Lab-on-a-chip-Systementwicklung für den Laboralltag

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Microfluidic design automation
Lab-on-a-chip-Systementwicklung
für den Laboralltag
NILS GLEICHMANN, THOMAS HENKEL
LEIBNIZ-INSTITUT FÜR PHOTONISCHE TECHNOLOGIEN, JENA
Miniaturization of biological and chemical assays in lab-on-a-chip systems
is a highly topical field of research. Full custom centric design of dropletbased microfluidic lab-on-a-chip systems leads to a high system integration level and design complexity. We report on a software toolkit for modelling droplet traffic and processing for complex microfluidic networks.
As a result, the advantages of lab-on-a-chip systems will be accessible for
more people through the easy, versatile and efficient transformation of
complicated laboratory workflows to easy to use lab-on-a-chip applications.
DOI: 10.1007/s12268-015-0623-6
© Springer-Verlag 2015
ó Der Wunsch nach steigender Leistung und
Geschwindigkeit, bei gleichzeitiger Reduzierung von Masse und Energieverbrauch, treibt
die Miniaturisierung von Bauteilen voran. Die
rasante Entwicklung der Mikroelektronik ist
der Beweis, wie die Fertigung von immer kleineren Strukturen zu einem Fortschreiten in
Wissenschaft und Technik und zu einer Veränderung im Leben jedes Einzelnen führt.
Unter der Bezeichnung lab-on-a-chip [1] wird
das Konzept der Miniaturisierung auf chemische und biologische Verfahren angewandt,
um auch diesem Zweig der Wissenschaft ein
solches Voranschreiten zu ermöglichen. Labon-a-chip bedeutet, teure und aufwendige
Laborverfahren in einem integrierten Chipsystem zu implementieren und damit neue,
innovative Werkzeuge für die Lebenswissenschaften, die klassische Chemie und die Katalyseforschung bereitzustellen.
Die gebotene Automatisierung bietet ein
hohes Potenzial für Untersuchungen an biologischen und chemischen Proben, das über
die Möglichkeiten der herkömmlichen Labormethoden hinausgeht.
Lab-on-a-chip-Technologie
Die technologische Basis für lab-on-a-chip-Systeme bieten die mikrofluidischen Plattformen
[2], die sich in eine Vielzahl von Technolo-
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gien aufspalten – angefangen vom Teststreifen bis hin zu hoch komplexen Systemen,
basierend beispielsweise auf der Elektroosmose. Gemeinsam haben diese Technologien, dass kleine Mengen an Flüssigkeiten
(Mikro- bis Nanoliter) in applikationsspezifischen Chips prozessiert werden. Ein solcher
monolithischer Chip (Abb. 1) integriert nahtlos alle Laborschritte des Verfahrens.
Die Miniaturisierung bedeutet dabei, dass
ein konventionelles Laborprotokoll in einem
Chip umgesetzt wird. Dazu wird das Protokoll in einzelne Basislaboroperationen zerlegt und auf Basisfunktionseinheiten der
mikrofluidischen Plattform abgebildet. Der
Chip erfüllt die gleiche Funktionalität wie das
˘ Abb. 1: Ein mikrofluidischer Chip, hergestellt in all-glassTechnologie. Die
Funktionalität des
Chips weist chaotisches Verhalten auf,
das zur Validierung
des neu entwickelten
microfluidic design
automation(MDA)Werkzeugs genutzt
wurde.
Laborverfahren, nun jedoch im Mikromaßstab.
Durch die Integration in einen Chip kann
das Laborverfahren unabhängig von der spezialisierten Laborinfrastruktur durchgeführt
werden und ist direkt vor Ort verfügbar und
anwendbar. Damit entfällt der Transport der
Proben, und das Ergebnis der Untersuchung
liegt sofort am Ort der Probenentnahme
(on-line) vor [3]. Ebenso ist es möglich, die
Geräte in einen Produktionsprozess einzubinden, sodass eine kontinuierliche
Prozessüberwachung wichtiger Prozessparameter über eine lange, autonome Laufzeit
erfolgt [4].
Mit der Reduzierung der Reagenz- und Probenvolumina gehen Kosten- und Zeitersparnis
einher, beispielsweise bei der Durchführung
von Hochdurchsatzanalysen [5]. Die geringe
Wärmekapazität kleiner Volumen erlaubt die
genaue Regulierung der Temperatur der Proben oder den schnellen Transfer von Reaktionswärme [6]. Ebenfalls sinkt das Risikopotenzial von Untersuchungen mit gefährlichen, giftigen oder radioaktiven [7] Stoffen.
Parallel mehrere Untersuchungen an einer
Probe durchzuführen, führt zur Integration
mehrerer lab-on-a-chip-Anwendungen in eine
Gerätelösung. Sind für viele Proben gleiche
Untersuchungen durchzuführen, kann ein
lab-on-a-chip-System diese sequenziell in
einem Hochdurchsatzverfahren prozessieren
[8]. Dabei ist das Einsatzgebiet der lab-on-achip-Systeme breit. Sie können bei analyti-
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˚ Abb. 2: Entwicklungsablauf unter Zuhilfenahme von Methoden und Werkzeugen der microfluidic design automation (MDA). Vor allem die in silicoEvaluierung und -Optimierung ermöglicht die Reduzierung der Entwicklungszeiten auf ein Zehntel bei gleichzeitiger Steigerung der Entwicklungsqualität.
schen Schnelltests, wie sie in Teststreifen realisiert sind, bei der Proteinanalyse und -charakterisierung, der chemischen Synthese, der
Analyse klinischer Proben oder dem Screening von Arzneikandidaten [9] eingesetzt werden.
Lab-on-a-chip-Entwicklung
Doch warum findet man diese Technologie
noch nicht in jedem Labor und in jeder Klinik?
Die vielen Vorteile gegenüber den herkömmlichen Laborverfahren sollten doch ein Grund
sein, den lab-on-a-chip-Systemen eine Chance
zu geben. Zu finden ist die Ursache für die
zögerliche Verbreitung von lab-on-a-chip-Geräten in der Entwicklung der Chipsysteme
selbst.
Der Anwender, sofern er die Möglichkeiten
der Mikrofluidik kennt, trägt seine Vorstellungen dem Ingenieur für lab-on-a-chip-Sys-
teme vor. Dieser beginnt daraufhin damit, für
dieses Laborverfahren einen Chip als ein komplexes Netzwerk aus mikrofluidischen Kanälen zu erstellen. Auf Grundlage dieses Designs
wird ein Prototyp gefertigt, der dann mit den
Vorgaben des Anwenders verglichen und hinsichtlich seiner Eignung getestet wird. Dabei
durchläuft die Entwicklung, aufgrund der
Komplexität der Aufgabe, häufig mehrere iterative Entwicklungszyklen. Jeder dieser
Zyklen beinhaltet dabei den Entwurf, die Präparation der Bauelemente und Funktionstests.
Die Ergebnisse der Funktionstests fließen als
Grundlage in das nächste Design ein. Die
Chancen für einen Kommunikationsfehler
zwischen Entwickler und Anwender sind
recht hoch, mit der Folge, dass zusätzliche
Entwicklungszyklen anfallen oder – im
schlimmsten Fall – die Entwicklung abgebrochen wird.
Bedenkt man, dass schon ein Entwicklungszyklus mit Fertigung eines Prototyps
mehrere Monate benötigt und nicht unerhebliche Kosten mit sich bringt, versteht man
die zögerliche Verbreitung der lab-on-a-chipSysteme.
Microfluidic design automation
Was ist also die Lösung des Entwicklungsproblems? Die frühe Einbindung des Anwenders bei der Entwicklung der Systeme und
das Ersetzen der Herstellung von Prototypen
durch die schnelle Simulation der entworfenen Netzwerke. Die Werkzeuge dafür bietet
die mikrofluidische Designautomatisierung
(microfluidic design automation, MDA). Ähnlich wie in der Entwicklung von Elektronik
werden unter Zuhilfenahme von Simulationsalgorithmen und dem computergestützten Entwurf Designzyklen vermieden und
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˚ Abb. 3: Darstellung des lab-on-a-chip aus
Abbildung 1 als mikrofluidisches Netzwerk.
Es besteht aus den einzelnen Operationseinheiten, die dem Anwendungszweck entsprechend miteinander verbunden sind. (Für eine
genauere Beschreibung des Aufbaus und der
Funktionsweise der mikrofluidischen Netzwerke siehe [10].)
deutlich verkürzt. Die in silico-Überprüfung
von Entwürfen mit kostensparender Reduzierung der Anzahl von gefertigten Labormustern führt zu neuen Konzepten bei der
Entwicklung von tropfenbasierten mikrofluidischen Anwendungen.
Das neue, auf der Basis des in silico-Entwurfs durchgeführte Entwicklungsverfahren
setzt der steigenden Komplexität der Anwendungen die Integration von computergestützten Werkzeugen sowie eine Systematik
und Struktur im Entwicklungsprozess entgegen. In Abbildung 2 wird dieses Verfahren
schematisch dargestellt.
Im Zuge des Entwicklungsverfahrens können nun alle beteiligten Personen zusammen
die Entwürfe bewerten. Die schnelle Simulation ermöglicht es, dem Anwender das Verhalten des neuen Chips direkt vorzuführen
und mit seinen Wünschen zu vergleichen.
Der zukünftige Anwender wird in die Entwicklung bereits früh einbezogen, und ein
Kommunikationsproblem wird dadurch vermieden. Fehler werden sofort erkannt und
können bereits im Vorfeld der Fertigung behoben werden. Durch die schnelle Simulation
können Entwurfszyklen vermieden und stark
beschleunigt werden, was eine enorme Zeitund Kostenersparnis mit sich bringt.
zien zu Tropfen, Durchmischung der Fluide in
Tropfen, Vereinigen und Teilen von Tropfen,
Inkubation, Temperierung sowie Vermessung
der Tropfen mit spektroskopischen und bildgebenden Verfahren ab. Die Implementierung
des vorgegebenen Verfahrensablaufs ergibt
sich aus der korrekten Skalierung und Verschaltung dieser Funktionselemente. Die im
vorgegebenen mikrofluidischen Netzwerk enthaltenen Informationen beschreiben die zu
simulierenden Objekte und ihre Beziehungen (Abb. 3). Es dient neben der Simulation
auch als gemeinsame Kommunikationsebene
zwischen dem Entwickler und dem Anwender. Einzelne Tropfen sind im Ergebnis der
Simulation im System verfolgbar, und die in
den Tropfen ablaufenden chemischen, molekularbiologischen oder mikrobiologischen
Prozesse können berücksichtigt werden.
Der neue Simulationsalgorithmus [10]
basiert auf den gleichen Prinzipien, die für
die Simulation elektronischer Netzwerke
durch den SPICE-Algorithmus (simulation program with integrated circuit emphasis) zur
Simulation von Schaltungen angewendet werden. Zusätzliche Schritte, wie die Berechnung
der Segmentverarbeitung, erzeugen für jeden
der berechneten Zeitpunkte einen neuen Systemzustand.
Beinahe in Echtzeit kann der Entwurf einer
tropfenbasierten mikrofluidischen Anwendung auf sein Verhalten geprüft werden und
in Übereinstimmung mit den Wünschen des
zukünftigen Anwenders gebracht werden.
Fazit
Durch den Einsatz der mikrofluidischen
Designautomatisierung und ihrer Werkzeuge kann die Entwicklung von lab-on-a-chipSystemen von Entwicklungszeiten von bis zu
einem Jahr auf wenige Wochen reduziert werden. Daneben wird die Kommunikation zwischen Entwickler und Anwender verbessert,
was zu einer höheren Qualität der Entwicklung und einer höheren Zufriedenheit beim
Anwender führt.
Die mikrofluidische Designautomatisierung
kann das Entwicklungsproblem, das die Verbreitung der lab-on-a-chip-Systeme derzeit
noch stark behindert, lösen und so dem Einzug dieser Technologie in den Laboralltag den
Weg weisen.
Danksagung
Die Autoren danken dem Bundesministerium
für Bildung und Forschung für die finanzielle Unterstützung im Rahmen des Forschungsvorhabens BactoCat, FKZ 031A161A.
ó
Literatur
[1] Theberge AB, Courtois F, Schaerli Y et al. (2010)
Microdroplets in microfluidics: an evolving platform for discoveries in chemistry and biology. Angew Chem Int Ed
49:5846–5868
[2] Mark D, Haeberle S, Roth G et al. (2010) Microfluidic labon-a-chip platforms: requirements, characteristics and applications. Chem Soc Rev 39:1153–1182
[3] Ahn CH, Choi JW, Beaucage G et al. (2004) Disposable
smart lab on a chip for point-of-care clinical diagnostics.
Proc IEEE 92:154–173
[4] Chow AW (2002) Lab-on-a-chip: opportunities for chemical engineering. AIChE J 48:1590–1595
[5] Brouzes E, Medkova M, Savenelli N et al. (2009) Droplet
microfluidic technology for single-cell high-throughput
screening. Proc Natl Acad Sci USA 106:14195–14200
[6] Pumera M (2006) Analysis of explosives via microchip
electrophoresis and conventional capillary electrophoresis: a
review. Electrophoresis 27:244–256
[7] Nichols KP, Pompano RR, Li L et al. (2011) Toward mechanistic understanding of nuclear reprocessing chemistries by
quantifying lanthanide solvent extraction kinetics via
microfluidics with constant interfacial area and rapid mixing.
J Am Chem Soc 133:15721–15729
[8] Sundberg M, Bunk R, Albet-Torres N et al.(2006) Actin filament guidance on a chip: toward high hroughput assays and
lab-on-a-chip applications. Langmuir 22:7286–7295
[9] Dittrich PS, Manz A (2006) Lab-on-a-chip: microfluidics in
drug discovery. Nat Rev Drug Discov 5:210–218
[10] Gleichmann N, Malsch D, Horbert P et al. (2015) Toward
microfluidic design automation: a new system simulation
toolkit for the in silico evaluation of droplet-based lab-on-achip systems. Microfluid Nanofluid 18:1095–1105
Korrespondenzadresse:
Dr. Thomas Henkel
Leibniz-Institut für Photonische Technologien
(IPHT)
Albert-Einstein-Straße 9
D-07745 Jena
Tel.: 03641-206-307
Fax: 03641-206-545
[email protected]
Werkzeuge der microfluidic design
automation
Für die vielversprechende, tropfenbasierte
mikrofluidische Plattform entwickelten wir
einen schnellen Simulationsalgorithmus, der
die Grundlage für die mikrofluidische Designautomatisierung in diesem Bereich ist.
Basis für die Simulation ist ein mikrofluidisches Netzwerk, das aus standardisierten
Operationseinheiten und deren Vernetzung
besteht. Diese bilden Basisoperationen wie
Tropfenerzeugung, Zudosieren von Reagen-
AUTOREN
Nils Gleichmann
Thomas Henkel
Jahrgang 1979. Informatikstudium an der Universität
Jena, dort 2013 Promotion.
Seit 2013 Postdoc am
Leibniz-Institut für Photonische Technologien, Jena.
Jahrgang 1962. Chemiestudium an
der Universität Jena, dort 1993 Promotion. 1994–1997 Postdoc am
Universitätsklinikum Jena. Seit
1997 Entwicklung Biotechnischer
Mikrosysteme am Leibniz-Institut
für Photonische Technologien, Jena.
Seit 2002 Leiter der Forschungsgruppe „Mikrofluidik“.
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