617 Microfluidic design automation Lab-on-a-chip-Systementwicklung für den Laboralltag NILS GLEICHMANN, THOMAS HENKEL LEIBNIZ-INSTITUT FÜR PHOTONISCHE TECHNOLOGIEN, JENA Miniaturization of biological and chemical assays in lab-on-a-chip systems is a highly topical field of research. Full custom centric design of dropletbased microfluidic lab-on-a-chip systems leads to a high system integration level and design complexity. We report on a software toolkit for modelling droplet traffic and processing for complex microfluidic networks. As a result, the advantages of lab-on-a-chip systems will be accessible for more people through the easy, versatile and efficient transformation of complicated laboratory workflows to easy to use lab-on-a-chip applications. DOI: 10.1007/s12268-015-0623-6 © Springer-Verlag 2015 ó Der Wunsch nach steigender Leistung und Geschwindigkeit, bei gleichzeitiger Reduzierung von Masse und Energieverbrauch, treibt die Miniaturisierung von Bauteilen voran. Die rasante Entwicklung der Mikroelektronik ist der Beweis, wie die Fertigung von immer kleineren Strukturen zu einem Fortschreiten in Wissenschaft und Technik und zu einer Veränderung im Leben jedes Einzelnen führt. Unter der Bezeichnung lab-on-a-chip [1] wird das Konzept der Miniaturisierung auf chemische und biologische Verfahren angewandt, um auch diesem Zweig der Wissenschaft ein solches Voranschreiten zu ermöglichen. Labon-a-chip bedeutet, teure und aufwendige Laborverfahren in einem integrierten Chipsystem zu implementieren und damit neue, innovative Werkzeuge für die Lebenswissenschaften, die klassische Chemie und die Katalyseforschung bereitzustellen. Die gebotene Automatisierung bietet ein hohes Potenzial für Untersuchungen an biologischen und chemischen Proben, das über die Möglichkeiten der herkömmlichen Labormethoden hinausgeht. Lab-on-a-chip-Technologie Die technologische Basis für lab-on-a-chip-Systeme bieten die mikrofluidischen Plattformen [2], die sich in eine Vielzahl von Technolo- BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang gien aufspalten – angefangen vom Teststreifen bis hin zu hoch komplexen Systemen, basierend beispielsweise auf der Elektroosmose. Gemeinsam haben diese Technologien, dass kleine Mengen an Flüssigkeiten (Mikro- bis Nanoliter) in applikationsspezifischen Chips prozessiert werden. Ein solcher monolithischer Chip (Abb. 1) integriert nahtlos alle Laborschritte des Verfahrens. Die Miniaturisierung bedeutet dabei, dass ein konventionelles Laborprotokoll in einem Chip umgesetzt wird. Dazu wird das Protokoll in einzelne Basislaboroperationen zerlegt und auf Basisfunktionseinheiten der mikrofluidischen Plattform abgebildet. Der Chip erfüllt die gleiche Funktionalität wie das ˘ Abb. 1: Ein mikrofluidischer Chip, hergestellt in all-glassTechnologie. Die Funktionalität des Chips weist chaotisches Verhalten auf, das zur Validierung des neu entwickelten microfluidic design automation(MDA)Werkzeugs genutzt wurde. Laborverfahren, nun jedoch im Mikromaßstab. Durch die Integration in einen Chip kann das Laborverfahren unabhängig von der spezialisierten Laborinfrastruktur durchgeführt werden und ist direkt vor Ort verfügbar und anwendbar. Damit entfällt der Transport der Proben, und das Ergebnis der Untersuchung liegt sofort am Ort der Probenentnahme (on-line) vor [3]. Ebenso ist es möglich, die Geräte in einen Produktionsprozess einzubinden, sodass eine kontinuierliche Prozessüberwachung wichtiger Prozessparameter über eine lange, autonome Laufzeit erfolgt [4]. Mit der Reduzierung der Reagenz- und Probenvolumina gehen Kosten- und Zeitersparnis einher, beispielsweise bei der Durchführung von Hochdurchsatzanalysen [5]. Die geringe Wärmekapazität kleiner Volumen erlaubt die genaue Regulierung der Temperatur der Proben oder den schnellen Transfer von Reaktionswärme [6]. Ebenfalls sinkt das Risikopotenzial von Untersuchungen mit gefährlichen, giftigen oder radioaktiven [7] Stoffen. Parallel mehrere Untersuchungen an einer Probe durchzuführen, führt zur Integration mehrerer lab-on-a-chip-Anwendungen in eine Gerätelösung. Sind für viele Proben gleiche Untersuchungen durchzuführen, kann ein lab-on-a-chip-System diese sequenziell in einem Hochdurchsatzverfahren prozessieren [8]. Dabei ist das Einsatzgebiet der lab-on-achip-Systeme breit. Sie können bei analyti- 618 W I S S ENS CHAFT · S P E C I A L : LAB O R AU TO M ATI O N ˚ Abb. 2: Entwicklungsablauf unter Zuhilfenahme von Methoden und Werkzeugen der microfluidic design automation (MDA). Vor allem die in silicoEvaluierung und -Optimierung ermöglicht die Reduzierung der Entwicklungszeiten auf ein Zehntel bei gleichzeitiger Steigerung der Entwicklungsqualität. schen Schnelltests, wie sie in Teststreifen realisiert sind, bei der Proteinanalyse und -charakterisierung, der chemischen Synthese, der Analyse klinischer Proben oder dem Screening von Arzneikandidaten [9] eingesetzt werden. Lab-on-a-chip-Entwicklung Doch warum findet man diese Technologie noch nicht in jedem Labor und in jeder Klinik? Die vielen Vorteile gegenüber den herkömmlichen Laborverfahren sollten doch ein Grund sein, den lab-on-a-chip-Systemen eine Chance zu geben. Zu finden ist die Ursache für die zögerliche Verbreitung von lab-on-a-chip-Geräten in der Entwicklung der Chipsysteme selbst. Der Anwender, sofern er die Möglichkeiten der Mikrofluidik kennt, trägt seine Vorstellungen dem Ingenieur für lab-on-a-chip-Sys- teme vor. Dieser beginnt daraufhin damit, für dieses Laborverfahren einen Chip als ein komplexes Netzwerk aus mikrofluidischen Kanälen zu erstellen. Auf Grundlage dieses Designs wird ein Prototyp gefertigt, der dann mit den Vorgaben des Anwenders verglichen und hinsichtlich seiner Eignung getestet wird. Dabei durchläuft die Entwicklung, aufgrund der Komplexität der Aufgabe, häufig mehrere iterative Entwicklungszyklen. Jeder dieser Zyklen beinhaltet dabei den Entwurf, die Präparation der Bauelemente und Funktionstests. Die Ergebnisse der Funktionstests fließen als Grundlage in das nächste Design ein. Die Chancen für einen Kommunikationsfehler zwischen Entwickler und Anwender sind recht hoch, mit der Folge, dass zusätzliche Entwicklungszyklen anfallen oder – im schlimmsten Fall – die Entwicklung abgebrochen wird. Bedenkt man, dass schon ein Entwicklungszyklus mit Fertigung eines Prototyps mehrere Monate benötigt und nicht unerhebliche Kosten mit sich bringt, versteht man die zögerliche Verbreitung der lab-on-a-chipSysteme. Microfluidic design automation Was ist also die Lösung des Entwicklungsproblems? Die frühe Einbindung des Anwenders bei der Entwicklung der Systeme und das Ersetzen der Herstellung von Prototypen durch die schnelle Simulation der entworfenen Netzwerke. Die Werkzeuge dafür bietet die mikrofluidische Designautomatisierung (microfluidic design automation, MDA). Ähnlich wie in der Entwicklung von Elektronik werden unter Zuhilfenahme von Simulationsalgorithmen und dem computergestützten Entwurf Designzyklen vermieden und BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang 620 W I S S ENS CHAFT · S P E C I A L : LAB O R AU TO M ATI O N ˚ Abb. 3: Darstellung des lab-on-a-chip aus Abbildung 1 als mikrofluidisches Netzwerk. Es besteht aus den einzelnen Operationseinheiten, die dem Anwendungszweck entsprechend miteinander verbunden sind. (Für eine genauere Beschreibung des Aufbaus und der Funktionsweise der mikrofluidischen Netzwerke siehe [10].) deutlich verkürzt. Die in silico-Überprüfung von Entwürfen mit kostensparender Reduzierung der Anzahl von gefertigten Labormustern führt zu neuen Konzepten bei der Entwicklung von tropfenbasierten mikrofluidischen Anwendungen. Das neue, auf der Basis des in silico-Entwurfs durchgeführte Entwicklungsverfahren setzt der steigenden Komplexität der Anwendungen die Integration von computergestützten Werkzeugen sowie eine Systematik und Struktur im Entwicklungsprozess entgegen. In Abbildung 2 wird dieses Verfahren schematisch dargestellt. Im Zuge des Entwicklungsverfahrens können nun alle beteiligten Personen zusammen die Entwürfe bewerten. Die schnelle Simulation ermöglicht es, dem Anwender das Verhalten des neuen Chips direkt vorzuführen und mit seinen Wünschen zu vergleichen. Der zukünftige Anwender wird in die Entwicklung bereits früh einbezogen, und ein Kommunikationsproblem wird dadurch vermieden. Fehler werden sofort erkannt und können bereits im Vorfeld der Fertigung behoben werden. Durch die schnelle Simulation können Entwurfszyklen vermieden und stark beschleunigt werden, was eine enorme Zeitund Kostenersparnis mit sich bringt. zien zu Tropfen, Durchmischung der Fluide in Tropfen, Vereinigen und Teilen von Tropfen, Inkubation, Temperierung sowie Vermessung der Tropfen mit spektroskopischen und bildgebenden Verfahren ab. Die Implementierung des vorgegebenen Verfahrensablaufs ergibt sich aus der korrekten Skalierung und Verschaltung dieser Funktionselemente. Die im vorgegebenen mikrofluidischen Netzwerk enthaltenen Informationen beschreiben die zu simulierenden Objekte und ihre Beziehungen (Abb. 3). Es dient neben der Simulation auch als gemeinsame Kommunikationsebene zwischen dem Entwickler und dem Anwender. Einzelne Tropfen sind im Ergebnis der Simulation im System verfolgbar, und die in den Tropfen ablaufenden chemischen, molekularbiologischen oder mikrobiologischen Prozesse können berücksichtigt werden. Der neue Simulationsalgorithmus [10] basiert auf den gleichen Prinzipien, die für die Simulation elektronischer Netzwerke durch den SPICE-Algorithmus (simulation program with integrated circuit emphasis) zur Simulation von Schaltungen angewendet werden. Zusätzliche Schritte, wie die Berechnung der Segmentverarbeitung, erzeugen für jeden der berechneten Zeitpunkte einen neuen Systemzustand. Beinahe in Echtzeit kann der Entwurf einer tropfenbasierten mikrofluidischen Anwendung auf sein Verhalten geprüft werden und in Übereinstimmung mit den Wünschen des zukünftigen Anwenders gebracht werden. Fazit Durch den Einsatz der mikrofluidischen Designautomatisierung und ihrer Werkzeuge kann die Entwicklung von lab-on-a-chipSystemen von Entwicklungszeiten von bis zu einem Jahr auf wenige Wochen reduziert werden. Daneben wird die Kommunikation zwischen Entwickler und Anwender verbessert, was zu einer höheren Qualität der Entwicklung und einer höheren Zufriedenheit beim Anwender führt. Die mikrofluidische Designautomatisierung kann das Entwicklungsproblem, das die Verbreitung der lab-on-a-chip-Systeme derzeit noch stark behindert, lösen und so dem Einzug dieser Technologie in den Laboralltag den Weg weisen. Danksagung Die Autoren danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die finanzielle Unterstützung im Rahmen des Forschungsvorhabens BactoCat, FKZ 031A161A. ó Literatur [1] Theberge AB, Courtois F, Schaerli Y et al. (2010) Microdroplets in microfluidics: an evolving platform for discoveries in chemistry and biology. 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Basis für die Simulation ist ein mikrofluidisches Netzwerk, das aus standardisierten Operationseinheiten und deren Vernetzung besteht. Diese bilden Basisoperationen wie Tropfenerzeugung, Zudosieren von Reagen- AUTOREN Nils Gleichmann Thomas Henkel Jahrgang 1979. Informatikstudium an der Universität Jena, dort 2013 Promotion. Seit 2013 Postdoc am Leibniz-Institut für Photonische Technologien, Jena. Jahrgang 1962. Chemiestudium an der Universität Jena, dort 1993 Promotion. 1994–1997 Postdoc am Universitätsklinikum Jena. Seit 1997 Entwicklung Biotechnischer Mikrosysteme am Leibniz-Institut für Photonische Technologien, Jena. Seit 2002 Leiter der Forschungsgruppe „Mikrofluidik“. BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang
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