Der Präsident Die adäquate medizinische Versorgung von Flüchtlingen. Wie können wir Hilfe leisten? Möglichkeiten und Tätigkeiten der Ärztekammer Ein Sachstandsbericht. Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, angesichts des zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Deutschland, erhalten die Ärztekammern und deren Gliederungen auf der Ebene der Stadt und Landkreisen vermehrt Anfragen von Kolleginnen und Kollegen die sich in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen engagieren möchten. Dieses Engagement wird vom Vorstand der Bezirksärztekammer Nordbaden sehr begrüßt. Es stärkt unser Selbstverständnis als Ärztinnen und Ärzte. Natürlich ist angesichts der unübersehbar großen Zahl von Flüchtlingen die sachgerechte Organisation und Koordination von Hilfsmaßnahmen das Gebot der Stunde. Unkoordinierte Hilfsaktionen schaden mehr als sie helfen. Die Organisationshoheit liegt bei den sogenannten Aufnahmebehörden, also den Regierungspräsidien und den Stadt- und Landkreisen. Die ärztliche Selbstverwaltung ist im Gespräch mit diesen Stellen. Maßnahmen bezogen auf die medizinische Versorgung von Flüchtlingen müssen sich in den vorgegebenen Rahmen einfügen. I. Rechtliche Lage: Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen nach Maßgabe des Asylbewerberleistungsgesetzes obliegt den oben genannten Aufnahmebehörden, die dafür die entsprechenden Behandlungsscheine ausstellen. Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, auf der Grundlage dieser Behandlungsscheine Leistungen erbringen, können diese extrabudgetär gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen, die ihrerseits ihren Aufwand den genannten Aufnahmebehörden in Rechnung stellt. Die Kassenärztliche Vereinigung hat dazu ein Merkblatt herausgegeben, dem weitere Einzelheiten entnommen werden können. Nach dem kommenden Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz soll die Abwicklung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz den Krankenkassen übertragen werden, die dafür dann auch besonders gekennzeichnete Gesundheitskarten ausstellen sollen. 2 II. Tatsächliche Situation Die Zuflucht suchenden Menschen werden von der Grenze, den Bahnhöfen, Flughäfen, zunächst in eine Landeserstaufnahmestelle transportiert (LEA), oder bei Überfüllung in eine Bedarfserstaufnahmestelle (BEA). In Baden-Württemberg ist quantitativ vor allem Nordbaden tangiert mit sehr großen LEAs und BEAs (Kapazität bis zu je 15.000 Menschen) in Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim (in beiden letzteren Städten befinden sich große leerstehende Gebäudeeinheiten, Flächen, der abgezogenen USArmee). Dort werden die Menschen registriert und von Kolleginnen und Kollegen der staatlichen Gesundheitsämter erstuntersucht. In den LEAs und BEAs sollen zeitnah auch Präventionsmaßnahmen erfolgen, z.B. Impfungen. Ferner muss bedacht werden, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Menschen auch akut erkranken, oder chronisch Kranke versorgt werden müssen. Bedingt durch die massenhafte Unterbringung von Flüchtlingen in den Sammelunterkünften in der Phase der Erstaufnahme, ergeben sich zunehmend Versorgungsengpässe an den Standorten der Landeserstaufnahmestellen (LEA) und den ergänzenden Bedarfsaufnahmestellen (BEA). Vor allem zur Nachtzeit und an Wochenenden werden deshalb verstärkt die Notaufnahmen der umliegenden Krankenhäuser in Anspruch genommen. Teilweise haben die Aufnahmebehörden auch externe Dienstleister, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte oder Vereine unter Vertrag genommen, die dann zu gewissen Zeiten Sprechstunden in den Einrichtungen unterhalten. Die Verhältnisse sind derzeit nicht einheitlich. Nach der Phase der Erstaufnahme werden die Flüchtlinge zur „vorläufigen Unterbringung“ an die Stadt- und Landkreise überstellt. Diese übernehmen dann als zuständige Aufnahmebehörde die Unterbringung und die Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Sie stellen in dieser Phase die Behandlungsscheine für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie die Krankenhäuser aus. In einigen Kommunen scheint dies problemlos vonstatten zu gehen (Aussage des Sozialbürgermeisters der Stadt Heidelberg), anderenorts scheint dies Probleme der unterschiedlichsten Art hervorzurufen. III. Aktivitäten der ärztlichen Selbstverwaltung Spätestens seit Mai/Juni 2015 sucht die Kammer Kontakt mit Vertretern der Aufnahmebehörden (Regierungspräsidien, Stadt- und Landkreise), holt Gesprächspartner an den runden Tisch, besucht LEAs und BEAs vor Ort – natürlich in Abstimmung mit den zuständigen Behörden, die in den Einrichtungen das Hausrecht ausüben – um sich einen Eindruck zu verschaffen. Die Landesärztekammer versammelte alle Vorsitzenden der Ärzteschaften aus Baden-Württemberg, um ein konzertiertes Vorgehen zu besprechen. Sie wurde auch im zuständigen Ministerium vorstellig, um das Haftungs-und Versicherungsproblem für freiwillige Helfer zu besprechen. Geklärt werden konnte, dass Ärztinnen und Ärzte, die freiwillig im Auftrag der Aufnahmebehörden in den Einrichtungen tätig werden, im Haftungsfall durch den Eintritt der Staatshaftung abgesichert sind. Noch nicht abschließend in allen denkbaren Fallkonstellationen geklärt ist die Absicherung der freiwilligen Helfer gegen Unfall- und Erkrankungsrisiken. 3 Viele Vorsitzende der Ärzteschaften agieren vor Ort mit großem Engagement. Die Erfahrungen sind aber teilweise so, dass die relevanten Entscheidungsträger offensichtlich mit der Beschaffung von Unterkünften und der Sicherstellung der Ernährung schon an der Überforderungsgrenze sind so dass die medizinische Versorgung im Fokus zurückstehen muss. Diesen Eindruck vermittelte auch ein Gespräch mit den Verantwortlichen der Karlsruher Erstaufnahmestelle, das auf Initiative der Vorsitzenden der Karlsruher Ärzteschaft, Frau Kollegin Difflipp-Eppele zustande kam. An diesem Gespräch hat neben dem Präsidenten der Bezirksärztekammer Nordbaden auch der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Herr Kollege Fechner teilgenommen. Ziel des Gespräches war es, gemeinsam ein nachhaltiges Versorgungskonzept für die Flüchtlinge in den Einrichtungen zu entwickeln. Im Verlauf des Gespräches wurde deutlich, dass das Regierungspräsidium innerhalb einer kurzen Zeit ungeheure, seit Jahrzehnten nie dagewesene Organisationsprobleme zu bewältigen hätte. Die medizinische Versorgung sei ein wichtiges Anliegen, aber eines von sehr vielen. Deshalb neige die Behörde dazu, sich hier der Hilfe externer Dienstleister zu bedienen. Die Repräsentanten von Kammer und Kassenärztlicher Vereinigung konnten darlegen, dass mit der KV ein hoch kompetenter, gut organisierter Partner zur Verfügung steht, der im Auftrag der Aufnahmebehörde nachhaltig die medizinische Versorgung in der Phase der Erstaufnahme den LEAs und BEAs sicherstellen könnte – und natürlich auch in der Phase der vorläufigen Unterbringung auf der Ebene der Stadt- und Landkreise. Kostenträger wären wie bisher die Aufnahmebehörden. Die Kammer kann Hilfestellung geben, indem sie ihre Mitglieder, auch berentete Ärztinnen und Ärzte, aufruft, sich bei der KV registrieren zu lassen. Hilfsbereite Kliniken können sich dieser Struktur anschließen, oder zum Beispiel für staatliche Leistungen Sondervereinbarungen treffen. Stand der Dinge ist nun, dass das Regierungspräsidium auf die KV/Kammer zugehen möchte, sie überprüft aktuell die Möglichkeiten, mit diesen Partnern eine nachhaltige, bezahlte, aber nicht kommerzielle Versorgungsstruktur aufzubauen. Diese könnte dann als Matrix für das Land Baden-Württemberg dienen. Die Kassenärztliche Vereinigung ist mit ihrem Konzept zwischenzeitlich auch in der Abstimmung mit den zuständigen Ministerien. Einzelheiten können auf der Homepage der Kassenärztlichen Vereinigung nachgelesen werden. Im Wesentlichen geht es um folgende Eckpunkte: 1. In jeder Gemeinschaftsunterkunft (Sammelunterkunft) ab circa 50 Personen wird eine Sanitätsstelle eingerichtet (Mindestvoraussetzung: abschließbarer Raum mit Untersuchungsliege, Telefonanschluss, PC-Ausstattung analog der Notfallpraxen). Diese Sanitätsstelle wird je nach Größe bedarfsweise sowohl von Vertragsärzten als auch Nichtvertragsärzten stundenweise besetzt. In jeder Stadt haben sich bisher genügend freiwillige Ärzte verschiedener Fachrichtungen für diesen Dienst bereit erklärt, zudem könnten Pensionäre und Klinikärzte analog der Poolärzte im Notfalldienst zum Einsatz kommen. 4 2. Viele Sammelunterkünfte liegen außerhalb von Wohngebieten, das Transportproblem von den Sammelunterkünften zu den Arztpraxen entfiele damit. Auch das Dolmetscherproblem entfällt bei der aufsuchenden Tätigkeit in einer Sanitätsstelle, da in jeder Sammelunterkunft immer genügend Menschen mit zumindest englischen, oft auch deutschen Sprachkenntnissen verfügbar sind. 3. Die Versorgung mit Arzneimitteln könnte so erfolgen, dass die Verordnung per Privatrezept auf den Namen eines Asylbewerbers erfolgt. Die umliegenden Apotheken erhalten die Rezepte im wöchentlichen Turnus, beliefern die Sammelunterkünfte täglich, das zuständige Sozialamt müsste vorab den Apotheken die Bezahlung der abgegebenen Arzneimittel gutsagen. 4. Bis zur eventuellen Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylbewerber wird es noch Monate dauern. Als Übergang (ggf. solange Menschen in Sammelunterkünfte untergebracht werden müssen) wäre eine Stundenvergütung für die Ärzte zu vereinbaren, damit würde der bürokratische Aufwand bei den Asylstellen für den Arzt und die Abrechnung in den Sozialämtern deutlich reduziert. Abschließend sei noch auf einen weiteren Aspekt hingewiesen. Unter den Asylbewerbern befinden sich zahlreiche ärztliche Kollegen und Angehörige weiterer Gesundheitsberufe. Diese gilt es, so der Vorschlag des stellvertretenden Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, Dr. Fechner, zu identifizieren und rasch in die Versorgung von Flüchtlingen einzubinden. Im Zuge des kommenden Asylverfahrenbeschleunigungsgesetzes soll den Approbationsbehörden die Möglichkeit gegeben werden, diesen Personenkreis auch außerhalb des regulären Approbationsverfahrens für die Versorgung von Flüchtlingen zuzulassen. Ihre Dr. Herbert Zeuner Prof. Dr. Dr. Christof Hofele Präsident der Bezirksärztekammer Nordbaden Vizepräsident der Bezirksärztekammer Nordbaden
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