„Ich bin ein pubertärer Business-Angel“

Utz Claassen im Interview: „Ich bin ein pubertärer Business-Angel“
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UTZ CLAASSEN IM INTERVIEW
„Ich bin ein pubertärer Business-Angel“
von:
Datum:
Anja Müller
04.12.2015 06:00 Uhr
Als Vorstand hat Utz Claassen große Unternehmen begleitet, nun treibt
er Innovationen in Start-ups voran. Im Interview spricht er über seine Pläne als
Investor, Regelbrecher und den fehlenden Reichtum vieler Ex-Manager.
PREMIUM
Innovationstreiber Claassen
„Man hat mir nie meine gedankliche Frische nehmen können.“
(Foto: dpa)
Herr Claassen, würden Sie sich selbst als Business-Angel bezeichnen?
Angel hört sich immer nach Jenseits an, Business-Angel klingt nach älterem weißhaarigem Herrn.
Ich finde die Bezeichnung wohlwollend und ehrwürdig, aber mein Haar ist nicht grau, sondern
Titan. Ich fühle mich fit wie vor der Pubertät. Ich wäre quasi ein pubertärer Business Angel, wenn
Sie so wollen. Ich fühle mich eher als Innovationstreiber.
Und was macht ein Innovationstreiber?
Ich musste zunächst drei große Sanierungen machen, Seat, Sartorius und EnBW
. Die Leute haben
ja nicht Unrecht, wenn sie mich deshalb als Sanierer bezeichnen, aber mein Kernthema war nicht
Sanierung, sondern stets Innovation. Meine Kernkompetenz ist es, Veränderungsprozesse zu
katalysieren. Jede wirklich gut gemachte Sanierung ist zugleich auch eine Innovation. Unsere gerade
gegründete Rulebreaker Management GmbH ist ein kleiner Mosaikstein des Treibens von
Innovationen.
Sie wollen Regelbrechern helfen, ihre Unternehmen aufzubauen, und grenzen sich von den
Exit-getriebenen Finanzinvestoren ab. Sie geben Geld und Rat, das machen Business-Angels
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ja auch.
Beides ist gleich wichtig. Denn es ist etwas ganz anderes, ob man über Innovation forscht oder ob
man sie lebt und durchleidet. Innovation habe ich schon in den großen Konzernen gelebt, aber
Start-ups waren für mich etwas Neues.
Was haben Sie dadurch gelernt?
Meine Erfahrung ist: Geld gibt es für wirklich technologieorientierte Start-ups in dieser Republik fast
gar nicht. Es gibt Fördermittel für Bloßfüßige, für Gründer, die den ersten Schreibtisch kaufen und
noch dazu ein Telefon brauchen. Das ist nicht schlecht für die, die ganz am Anfang stehen.
VITA UTZ CLAASSEN
Der Manager
Der 1963 in Hannover geborene machte bereits mit 17 Abitur, studierte Wirtschaftswissenschaften in seiner Heimatstadt und in
Oxford. Mit 22 war er Diplom-Ökonom, mit 26 Doktor. Er startete seine berufliche Karriere bei McKinsey, danach wechselte er als
Controller in die Autoindustrie, zunächst bei Ford und später bei Volkswagen, zuletzt in der oberen Führungsriege. 1994 wurde er
Finanzvorstand und Vertreter des Präsidenten bei der VW-Tochter Seat. Von 1997 bis 2003 war er Vorstandschef des BiotechUnternehmens Sartorius. Ab 2003 war er für vier Jahre Vorstandschef des Energieversorgers EnBW.
Der Unternehmer
Claassen gründete mit Wissenschaftlern das Unternehmen Syntellix AG, das sich selbst auflösende Implantate herstellt.
Mittlerweile ist er auch gemeinsam mit seiner Frau Mehrheitseigner des Fußballclubs RCD Mallorca.
Der Professor
Claassen ist Honorarprofessor am Institut für Controlling der Universität Hannover. Zudem lehrt er an der Gisma Business
School, ebenfalls in Hannover, Innovative Unternehmensführung, Risikomanagement und Wissensmanagement.
Und ...
... dann gibt es noch die anderen: die Multi-Millionen- und Milliarden-Projekte, die ganz
überwiegend den Großkonzernen zu Gute kommen. Wenn ich mir die großen Fördermittel des
Bundes anschaue, dann qualifizieren sich dafür oftmals die Daimlers und die Boehringers, aber
nicht die innovativen Forscher mit einer Ausgründung aus der Uni. Die Mittel sind oft daran
gebunden, dass man schon massive Forschungs- und Entwicklungsstrukturen hat. Und die hat ein
innovativer Gründer noch nicht. Außerdem sitzen oft die großen Konzerne in den Gremien, die die
Kriterien für die Vergabe der Gelder definieren. Der Uniprofessor, der eine bahnbrechende
Innovation hat, die morgen in die unternehmerische Umsetzung gehen kann, der aber noch
Lichtjahre davon entfernt ist, die Strukturen eines Konzerns zu haben, für den gibt es nichts. Das
Thema Finanzierung ist deshalb extrem schwierig. Im Silicon Valley ist der Anteil an Risikokapital
disproportional höher.
Und wie ist es mit dem Rat?
Das Know-how, der zweite Flügel der Business-Angels, ist mindestens genauso wichtig. Dazu habe
ich bei meiner Gründung von Syntellix – wir stellen metallische Implantate her, die sich später
selbst auflösen – folgende Erfahrung gemacht: Wir arbeiten mit Wissenschaftlern zusammen, die in
ihren Fachbereichen unfassbar gut sind; da sind auch welche dabei, die selbst Unternehmen
gründen könnten oder gegründet haben. Dennoch stellen sie fest: Es gehört auch viel Erfahrung
dazu, Business-Pläne, rechtliche Rahmenbedingungen und Finanzierungen zu managen.
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Und was überwog bei Syntellix, Rat oder Tat?
Bei Syntellix habe ich Geld eingebracht, hinreichende Ressourcen und Kontakte, um das
Unternehmen in eine weitere Phase zu führen. Ich war der Financier des Anschubs. Ich war der,
der die Innovation getrieben hat. Ich bin aber kein Experte für die Technologie, ich bin kein
Material-Wissenschaftler, ich bin kein Orthopäde. Wenn ich es nicht finanziert, vernetzt, paketiert
und getrieben hätte, würde es das Unternehmen und das Produkt nicht geben, obwohl alle
wissenschaftliche Kompetenz im Land vorhanden war. Ich habe mehr als ein Business-Angel an
Geld und Zeit und Liebe reingegeben. Ich war von der Idee durchdrungen, ich war
Mehrheitsgründer und bin heute größter Einzelaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender.
Also sind sie ein großer Business-Angel bei Syntellix
oder den Rulebreakers?
Business-Angels stellt man sich konservativ,
traditionsbewusst vor. Sie bringen gesetzte Erfahrung mit,
um junge Leute in der Gründung zu stabilisieren. Wir
wollen mit den Rulebreakers ganz bewusst andere
aufrütteln, Branchen durchschütteln, eingetretene,
BUSINESS-ANGELS
100 Prozent Risiko, 1000 Prozent Chance
Sie sind Topmanager oder
Unternehmer. Sie helfen Start-ups, und schieben mit
Kapital und Know-how Geschäftsideen an. Doch
nicht jeder ist gleich ein Heiliger. Eine Reise durch
die Welt der Business-Angels. mehr…
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strukturkonservative Pfade verlassen. Bei Syntellix bin ich
selbst Start-up-Gründer, habe allerdings bisher keinen
Business-Angel zu Rate gezogen.
Haben Sie zuvor bereits privates Geld in
Unternehmensgründungen investiert?
In sehr bescheidenem Umfang, Syntellix war meine erste
wirklich innovationsgetriebene Unternehmensgründung,
wo ich zwar nicht als Vorstand, aber als Aufsichtsrat aktiv bin. Wir haben auch Fehler gemacht bei
Syntellix, wir haben vielleicht verschiedentlich eine Stufe zu klein gedacht, wir waren mutig, es zu
wagen, aber in der Umsetzung sehr vorsichtig und dosiert.
Man hätte also noch schneller wachsen können?
Ich kenne kein Unternehmen, das so schnell eine Zulassung bekommen hat. In der Summe bin ich
glücklich, zufrieden und dankbar. Wir lernen jeden Tag.
Welche Anteilsgrößen streben sie bei künftigen Engagements an?
Bei einer Innovation muss der Unternehmerinnovator auch der Treiber sein; wir hätten kein
Interesse daran, selbst die Macher zu sein. Wir streben nur Minderheitenanteile an. Wir sind ja erst
Mitte Oktober an die Öffentlichkeit gegangen mit unserer Inkubator-Idee für Regelbrecher. Bereits
in den ersten zwei, drei Tagen wurden ca. 60 Projekte an uns herangetragen. Das lässt hoffen.
Wie viele Start-ups wollen Sie unterstützen in der nächsten Zeit?
Das hängt davon ab, wie viele der Projekte sich als wirklich disruptiv und zugleich tragfähig
erweisen.
DIE BESTEN ZITATE VON UTZ CLAASSEN
Abitur
Genau um 11:11 Uhr am 11.11. wusste ich, dass mein Abitur Geschichte schreiben würde. Am Ende erreichte ich mit gerade
einmal 17 Jahren insgesamt den rechnerischen Notendurchschnitt 0,7.
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Respekt
Ich bringe jedem Menschen grundsätzlich den gleichen Respekt entgegen, egal ob er über Milliarden gebietet oder die Toilette
putzt.
Querdenker
Der oder die Querdenkende ist nicht nur hilfreich, sondern sogar erforderlich, um durch das Einbringen einer anderen,
zusätzlichen Perspektive uns erst in die Lage zu versetzen, die richtigen Beurteilungen und Bewertungen vorzunehmen und
darauf aufbauend dann die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Querulant oder Pionier
Wer zielführend querdenkt, ist nicht etwa ein Querulant, sondern vielmehr ein Pionier und Innovator. Wir können als Gesellschaft
nicht stets Innovation und Zukunftsfähigkeit fordern, ohne zugleich Raum für Querdenken und Hinterfragen zu geben.
Erfolg
Erfolg lässt sich nicht erzwingen. Aber man kann mit einer angemessenen Mischung aus Kompetenz, Fleiß und
Unbequemlichkeit die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein, sehr deutlich erhöhen.
Bewusst leben
Wer nur Bewusstseins- und Glückzustände optimiert, statt bewusst zu leben und zu gestalten, hat am Ende womöglich umsonst
gelebt.
Fragen, die sich jeder stellen sollte
Bin ich noch frisch genug? Bin ich noch unbefangen genug? Bin ich noch radikal genug? Bin ich noch revolutionär genug? Bin
ich noch schnell genug? Bin ich noch mutig genug? Und vor allem: Bin ich eigentlich noch unbequem genug? Diese Fragen
sollte sich jeder von uns jeden Tag stellen.
Selbstüberwindung
Wer sich einmal selbst überwunden hat, wer auch nur ein einziges Mal gegenüber sich selbst so unbequem und so unnachgiebig
war, dass er zu einem fast unmöglich erscheinenden Erfolg getragen wurde, der weiß, dass er es im Zweifelsfall immer wieder
schaffen kann.
Nur Erfolg zählt
Mir persönlich ist es deshalb egal, ob meine MitarbeiterInnen und Führungskräfte ihre Arbeit in der Badewanne erledigen oder
am Schreibtisch, im Whirlpool oder im Büro, freudig am Konferenztisch in Hannover oder konzentriert im Freudenhaus in
Bangkok. Solange sie sich dabei rechtmäßig, anständig und korrekt verhalten, zählen für mich nur Arbeitsergebnis und Erfolg.
Nie schwach werden
Werde niemals schwach! Sonst bist du angreifbar – und damit verloren. Werde niemals schwach, egal ob eine Einladung zur
Großwildjagd in Botswana auf dem Programm steht, eine Gruppe feuriger und bildhübscher Mulatas im Hotelzimmer wartet –
oder auch nur ein einfacher Aktenkoffer voller Geld.
Augen des Teufels
Und lese im Übrigen auch stets mit den Augen des Teufels. Selbst dann, wenn du ein Engel bist. Produziere niemals ein
Schriftstück und schreib nie ein Papier, bei dem du Sorgen haben müsstest, wenn du wüsstest, dein größter Feind auf der Welt
hätte davon eine Kopie.
Warum glauben Sie, investieren Ex-Manager eher seltener in Geschäftsideen? Fehlt Ihnen
der Mut zum Risiko?
Drei Gründe: Erstens haben sie oftmals deutlich weniger Geld als erfolgreiche Unternehmer.
Wirklich reiche Manager gibt es wenige. In aller Regel ist der Wohlstand der Unternehmer größer.
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Zweitens: Die Manager leben in ihren großen Strukturen. Sie tun sich vielfach schwer in kleineren
Strukturen, die bei Start-ups gelten, zu denken und zu handeln. Sie sind es nicht mehr gewohnt,
bestimmte Dinge selbst zu machen. Drittens wird in der Tendenz ein Unternehmer früher daran
gewöhnt, in gesellschaftlichen Verantwortungszusammenhängen zu denken, Unternehmer denken
weniger instrumentell.
Können Sie das konkreter sagen?
Der Unternehmer weiß: Damit es seinem Unternehmen auch in Zukunft gut geht, muss es auch der
Gesellschaft gut gehen. Der Manager schaut oftmals auf den Fünfjahresplan.
Fühlen Sie sich eher als Manager oder als Unternehmer?
Ich sehe da keinen Widerspruch. Ein guter Manager handelt wie ein Unternehmer, und ein guter
Unternehmer wäre stets auch in der Lage, ein guter Manager zu sein. Mal abgesehen von der
Eigentümerfrage haben beide die gleiche Aufgabe: Das Unternehmen weiterzuentwickeln.
Und Sie sind der Wanderer zwischen den Welten?
Ich fühle mich als Manager, als Unternehmer, als Investor, als Berater und als Wissenschaftler im
Bereich der Ökonomie. Für mich ist das eine Welt.
Wie kommen Sie mit dem kleinen und manchmal
vielleicht auch schlichten Ambiente in Start-ups
zurecht?
Bei Syntellix ist es klein und fein, modern und niveauvoll.
In Deutschland gibt es eine bestimmte Macht- und
Statusstruktur. Die Amerikaner sagen: „Small office, big
home“, in Deutschland ist es oftmals andersherum. Ich
UTZ CLAASSEN UND REAL MALLORCA
Aufstieg um jeden Preis
Utz Claassen rettete Real Mallorca vor
dem Ruin – nun will der deutsche Manager das
Stadion umbauen und einen Spitzenklub formen.
Mallorca, sagt er, sei nach London und Moskau der
beste Standort für einen europäischen
Profiverein. mehr…
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sehe es eher wie die Amerikaner. Die Wertigkeit einer
Aufgabe bemisst sich nicht in den Quadratmetern des
Büros, sondern in der intellektuellen Herausforderung.
Sie haben offensichtlich als Manager genug verdient,
um bei Real Mallorca und Syntellix groß
einzusteigen, wie haben Sie das geschafft?
Ich habe das Glück gehabt, sehr früh und sehr schnell und
sehr jung in Positionen zu kommen, in denen ich viel bewegen konnte und nicht
unterdurchschnittlich verdient habe. Mit 33 war ich Vorstandschef bei Sartorius, mit 39 bei EnBW…
aber um noch mal auf die vorherige Frage zurückzukommen: Bei mir war das Studium noch nicht
so lange her, ich wusste in Vorstandssitzungen noch ganz genau, wie es als Student gewesen war.
Deshalb habe ich auch oft Meinungen jenseits des Mainstreams vertreten. Diejenigen, die bereits 30
Jahre in einem Unternehmen arbeiten, sind eingeritten, sind festgefahren in ihren Denkstrukturen.
Mir aber hat man nie meine gedankliche Frische nehmen können.
Herr Claassen, vielen Dank für das Interview.
© 2014 Handelsblatt GmbH - ein Unternehmen der Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH & Co. KG
Verzögerung der Kursdaten: Deutsche Börse 15 Min., Nasdaq und NYSE 20 Min. Keine Gewähr für die Richtigkeit
der Angaben.
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