Panorama M A R KT PAS S I V H AUS S I E D LU N G Photovoltaikelemente auf dem Dach und an der Fassade prägen das nachhaltige Wohnprojekt „Heidelberg Village“. Foto: Frey Architekten, Freiburg Ein Stadtteil mit 100 % erneuerbarer Wärme „Heidelberg Bahnstadt“ heißt der 116 ha große neue Stadtteil, der bis 2022 auf dem ehemaligen Heidelberger Güterbahnhof entsteht. Er ist größer als die Heidelberger Altstadt. Als Null-Emissions-Stadtteil konzipiert, wird er Raum für etwa 5.000 Bewohner und 7.000 Beschäftigte bieten und gilt als Vorbild für eine zukunftsweisende Stadtentwicklung. A ls derzeit in der Planung größte Passivhaussiedlung der Welt bietet die Bahnstadt eine Mischung aus Wohnraum, Gewerbeflächen, Wissenschaftsstandorten und Freizeiteinrichtungen. Derzeit ist die Hälfte der Einwohnerzahl bereits überschritten und 1.000 Arbeitsplätze sind entstanden. Von über 50 Baufeldern sind 15 fertiggestellt und weitere 15 in Bau oder in der konkreten Planung. Der hohe energetische Standard wird erzielt durch eine verpflichtende Passivhausbauweise sowie den Anschluss an die Fernwärmeversorgung, die bilanziell zu 100 % aus nachwachsenden Rohstoffen erfolgt. Der jährliche Heizwärmebedarf pro Quadratmeter der Gebäude darf dabei höchstens 15 kWh betragen. Effiziente Versorgung Eines der größten Holzheizkraftwerke Deutschlands mit einer Leistung von 3 MWel und 10,5 MWth versorgt seit Ende 2013 die 22 Sonne Wind & Wärme 01+02/2016 Bahnstadt mit Strom und Wärme. Betrieben wird die Kraft-Wärme-Kopplungsanlage fast ausschließlich mit Straßenbegleitgrün aus der Region. Das Holzheizkraftwerk der Stadtwerke Heidelberg steht im Energiepark Pfaffengrund, in unmittelbarer Nachbarschaft der Bahnstadt. Gemeinsam mit insgesamt vier Biomethan- und zwei Erdgas-Blockheizkraftwerken der Stadtwerke speist es in das Heidelberger Fernwärmenetz ein. In Zukunft soll es noch durch einen Wärmespeicher ergänzt werden. Fernwärme deckt heute schon fast 40 % des Energiebedarfs in Heidelberg. Die Stadt hat sich als Ziel gesetzt, ihre CO2-Emissionen bis 2050 um 95 % zu senken. Hier bietet die Fernwärme das größte Potenzial, um rasch auf erneuerbare Energien umzustellen. Allein durch das neue Holzheizkraftwerk erhöhte sich den Anteil erneuerbarer Energien im Heidelberger Fernwärmenetz auf 14 %. Zusammen mit den Biomethan-BHKWs ist dieser Anteil noch einmal auf jetzt rund 20 % gestiegen. Die effiziente Strom-und Wärmeversorgung der Bahnstadt erfolgt über ein Holzheizkraftwerk im Energiepark Pfaffengrund. Fotos (2): Martin Frey Fernwärme-Mininetze Bei der Verteilung der Fernwärme verfolgt man in der Bahnstadt das Konzept der „Mininetze“: Die einzelnen Baufelder sind per Übergabestelle an das Fernwärmenetz angeschlossen; dahinter verteilen die Mininetze die Wärme in die Gebäude. Der Hintergrund: Diese Infrastruktur nutzt den sogenannten Gleichzeitigkeitsfaktor. Denn selbst in Zeiten mit dem höchsten Energieverbrauch am Morgen oder am Abend fragen nicht alle Haushalte gleichzeitig das Höchstmaß an Energie nach. „Daher brauchen zehn Häuser zusammen einen kleineren Anschlusswert als zehn einzelne Häuser“ erläutert Horst Ludwig von den Stadtwerken Heidelberg Netze. Deshalb kann der Anschlusswert für das Mininetz niedriger ausfallen als bei der Aufsummierung der Anschlusswerte für alle einzelnen Häuser – das senkt die Kosten für die Eigentümer deutlich. Das Konzept hat erst wenig Verbreitung: „Ein kleines Projekt mit Nahwärme und Reihenhäusern hatten wir zuvor realisiert“, berichtet Olaf Hildebrandt, Geschäftsführer der Ebök Planung und Entwicklung Gesellschaft mbH aus Tübingen, der eine Studie für das Energiekonzept der Bahnstadt vorgelegt hatte. Das Ganze bringt auch Vorteile bei der Verlegetechnik: Die Rohre gehen durch die Keller und Tiefgaragen zu den anderen Häusern, was Kosten spart und Wärmeverluste verringert. werk bilanziell nicht erforderlich, kommt aber doch an einigen Gebäuden vor: So leistet etwa ein Drittel des Strombedarfs der Kindertagesstätte eine Photovoltaik-Anlage mit 10 kW. Zusätzliche Anlagen befinden sich auf der „Neuen Feuerwache“ (Fassade 40 kW und Dach 60 kW) und auf einem neuen Hotel (Leistung noch unbekannt). Auf zu errichtenden kommunalen Gebäuden sind weitere geplant. Ein architektonisch besonders ambi tioniertes Projekt ist das sogenannte „Heidelberg Village“, zwei Wohnblocks für ein generationenübergreifendes und nachhaltiges Wohnprojekt. Geplant durch das Architekturbüro Frey aus Freiburg, sollen die Fassaden durch PV-Verschattungselemente gegliedert und die Dachgärten ebenfalls zur Stromgewinnung genutzt werden. Auf einer Gesamtfläche von 15.000 m2 werden 162 Wohneinheiten zur Miete, von Ein-ZimmerAppartements bis hin zu großen Familienwohnungen und Gewerbeflächen entstehen. Der Baubeginn fand im vergangenen Jahr statt. Alle Bahnstadt-Gebäude werden zudem mit intelligenten Stromzählern ausgestattet, etwa 3.000 davon sollen in den kommenden Jahren in dem Heidelberger Stadtteil verbaut werden. „Bis Ende 2015 haben wir 1.300 intelligente Messsysteme eingebaut“, sagt Gerd Reibold, Abteilungsleiter Messund Zählerwesen bei den Stadtwerken Heidelberg. Low Exergy-Netze Zuspruch der Bewohner Erfolgskontrolle Aus energetischer Sicht seien Niedrigtemperaturnetze mit um die 60° Vorlauftemperatur, sogenannte Low-Exergy-Netze, sehr interessant, meint Hildebrandt. Man spare allein durch den Einsatz der Mininetze in der Bahnstadt etwa 4 % Primärenergie, weitere Einsparungen erreicht man in Heidelberg durch den Einsatz der Biomasse im Fernwärmenetz. Bei Ebök weiß man von vergleichbaren Folgeprojekten, etwa dem Glücksteinquartier, Konversionsgebieten in Mannheim oder dem neuen Stadtteil Hubland in Würzburg. Für den Ebök-Geschäftsführer steht fest: „Obwohl immer wieder angezweifelt, zeigt sich, dass ein hocheffizienter Gebäudestandard beziehungsweise der Passivhausstandard und Fernwärmenutzung in verdichteten Quartieren ökologisch und wirtschaftlich gut kombinierbar sind“. Anfängliche Bedenken gegenüber der verpflichtenden Passivhausbauweise hat der Abverkauf der Immobilien in der Bahnstadt widerlegt: „Alle bislang angebotenen Bauflächen in der Bahnstadt sind verkauft, und für weitere Flächen besteht ein reges Interesse.“ weiß Ralf Bermich, Leiter der Abteilung Energie im Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie Heidelberg, der das Projekt von Anbeginn an betreut hat. Umsetzungshemmnissen bei den Wohn gebäuden wurde von Anfang an auch mit dem Förderprogramm „Rationelle Energieverwendung“ entgegengewirkt. Hiernach können Investoren dank des hohen Dämmstandards bis zu 50 €/m² und maximal 5.000 € pro Wohnung Unterstützung erhalten. Eine Mieterin, die sich in der Bahnstadt bereits jetzt ausgesprochen wohlfühlt, ist Anne Stein (Foto): „Der bunte Mix aus Familien, jungen Leuten und Älteren gefällt mir“, sagt die Mitarbeiterin der Stadtwerke Heidelberg. Mit dem Fahrrad sei man in kurzer Zeit am Hauptbahnhof und in der Innenstadt. Ein Monitoring des Darmstädter Passivhausinstitutes für das Jahr 2014 unterstreicht die positiven Mieterstimmen. Man verglich die monatlichen Wärmeverbräuche ganzer Baufelder von jeweils über hundert Wohnungen mit Forschungsergebnissen anderer Projekte. Dabei zeigte sich: Bereits im ersten Betriebsjahr wurde durch die Passivhausbauweise eine Heizenergieeinsparung von mehr als 80 % gegenüber einem Durchschnittswert von 112 kWh/m2 und Jahr erzielt. Geplant ist nun ein Abschlussbericht, der auch die Forschungsergebnisse von 2015 enthalten soll. In die Bahnstadt wird nun immer mehr Leben einkehren. Bei entsprechender Nachfrage sollen ab 2017 noch zwei Lebensmittelgeschäfte, ein Drogeriemarkt, eine Apotheke und eine Bank dazukommen und Besorgungen des täglichen Bedarfs ermöglichen. Ein öffentliches Zentrum mit Schule, weiterer Kita und Bürgerzentrum sowie ein Kino stehen kurz vor Baubeginn. PV in der Bahnstadt Der Einsatz von Photovoltaik ist zwar angesichts der 100-prozentigen Strom- und Wärmeversorgung durch das Holzheizkraft- Anne Stein wohnt gerne in der Bahnstadt, unter anderem aufgrund der geringen Energiekosten und der zentralen Lage. Gerade mit der energieeffizienten Bauweise ist Anne Stein hoch zufrieden: „Die Passivhausbauweise bietet zu jeder Jahreszeit ein angenehmes Raumklima“, sagt sie. „Meine anfängliche Befürchtung, dass das Lüften in einer Passivwohnung sehr reglementiert ist, hat sich nicht bewahrheitet.“ Es werde auch nach längerem Lüften schnell wieder eine konstante Zimmertemperatur von 22 bis 24°C erreicht. Anfang 2015 befragte die Stadt die 1.500 Haushalte und fand heraus, dass rund 80 % mit dem Wohnen im Passivhaus zufrieden sind und über 90 % die Bedienung der Lüftungs anlagen als einfach beurteilen. Martin Frey Sonne Wind & Wärme 01+02/2016 23
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