Upton Sinclair - 85jährig - Home Textverzeichnisse.ch

Upton Sinclair - 85jährig
Vor kurzem hat ein Fernsehspiel den „Fall Sacco und Vanzetti“ einmal mehr kritisch beleuchtet. Jenen
Justizmord also, der in Amerika an zwei Menschen verübt wurde, nur weil nationaler Fanatismus ein Opfer
verlangte. Schon ein Jahr nach der Urteilsvollstreckung erschien in den USA ein Buch, das dieses Urteil
schonungslos als Justizmord brandmarkte und in der Behauptung gipfelte: die Hälfte der Mitglieder der
öffentlichen Rechtsprechung Amerikas seien gekaufte Lakaien der Hochfinanz.
Der Titel des Buches: Boston. Sein Verfasser: Upton Sinclair. Für die jüngeren Leser bedeutet dieser Name
wohl nur ein Schriftsteller unter vielen. Für die AeIteren aber hat er einen fast mystischen Klang. Upton Sinclair
zählte, neben Jack London und Sinclair Lewis, zu den grossen Sozialkritikern Amerikas zu Beginn dieses
Jahrhunderts. Sie waren unerschrockene Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Aber keiner hatte sich soweit in den
Sumpf der Korruption und der Ausbeutung des damaligen Kapitalismus vorgewagt wie Upton Sinclair. „Sumpf“
hiess übrigens sein erstes sozialkritisches Werk. „Sieben Wochen lang lebte ich unter den Lohnsklaven des
Fleischtrusts“, schreibt er in seinen Erinnerungen an die Entstehungszeit des Romans. Schauplatz sind die
Schlachthöfe von Chikago, wo „die Arbeiter zusammen mit dem Schlachtvieh in die Fabriken trotten, verkrüppeln
und tuberkulös in den Betten sterben oder zusammen mit fauligem Fleisch und Ratten im Inferno der
Büchsenfleischindustrie verschwinden“. Wer immer das liest, wird auch heute noch von einem entsetzlichen,
harten Schlag getroffen“. Upton Sinclair musste dieses Buch im Selbstverlag herausgeben. Selbst die
abgebrühtesten Sozialkritiker hielten die Schilderung für unglaubwürdig. Aber Sinclair konnte sich auf eine
Unzahl Zeugen berufen und jeden angeführten Punkt belegen. Kein Wunder also, dass das Buch in Amerika wie
eine Bombe einschlug. Upton Sinclair war berühmt! Er hatte den Kampf mit einem Ungetüm aufgenommen, das
ihn stets zu verschlingen drohte.
Heute lebt Upton Sinclair in Monrovia im Staate Kalifornien. Immer wieder darf er Ehrungen entgegennehmen.
So vor einem Jahr in Neuyork die Auszeichnung des „Page One Award“ der „New York Newspaper Guild“ und
des „Social Justice Award“ der „United Automobil Workers“. Mehr als fünfzig Bücher hat Upton Sinclair verfasst.
Ungefähr eine Million Dollar hat er dafür an Tantiemen erhalten und diesen Betrag „bis auf den letzten Cent“ für
gute Zwecke verausgabt. Viele Werke hat er im Selbstverlag herausgebracht. Nicht etwa, weil sich kein Verleger
gefunden hätte, sondern vor allem, weil er den Preis niedrig halten wollte. Upton Sinclair verdient unsern Dank!
Sein Werk gereicht ihm und der Arbeiterschaft zur Ehre.
Kleine Biographie: Am 20. September 1878 ist Upton Sinclair in Baltimore geboren worden. Er stammt aus einer
verarmten Familie des Südens. Sein Studium musste er sich mit Schreiben von Groschenromanen verdienen.
Jack London brachte ihn in Kontakt mit dem Sozialismus. Mehrmals kandidierte er auch für politische Posten,
doch der Erfolg blieb ihm versagt. Mit seinen Schriften aber hat er in den USA wohl tiefer gewirkt als mancher
Politiker. Als Autor war er ständig an der Aufdeckung sozialer Missstände interessiert. 1934 durfte er den
Pulitzerpreis für seinen Roman „Drachensaat“ entgegennehmen. Trotz seiner 85 Jahre zeigt Upton Sinclair
immer noch eine erstaunliche Frische. Er selbst führt das auf seine spartanische Enthaltsamkeit zurück. Alkohol,
Kaffee, Tee, Fleisch und Tabak meidet er heute vollständig. „Sie werden sich wundern, wie zufrieden ich mit
einer Diät bin, die aus gekochtem Reis, frischer Sellerie und Fruchtsäften besteht“, hat er kürzlich erzählt. Dazu
gehören die weltabgeschiedene Ruhe auf seinem kleinen Gut, die Bäume und Pflanzen, denen heute seine
Liebe gilt. Sein Werk: Der Alfred-Scherz-Verlag in Bern hat verschiedene Werke Upton Sinclairs
herausgebracht. So unter andern: “Welt-Ende”; “Zwischen zwei Welten“; „Weit ist das Tor“; „Agent des
Präsidenten“; „Teufelsernte“; „Schicksal im Osten“; „Die elfte Stunde“. Leider sind diese Bände vergriffen, aber
der Scherz-Verlag und die Büchergilde Gutenberg haben eben begonnen, sie neu herauszugeben. Erschienen
ist bereits der Roman „Welt-Ende“, der erste Band seines „zeitgemässen“ Gemäldes. Der Held dieser Reihe,
Lanny Budd, ist ein reicher junger Mann, der als Privatsekretär eines wichtigen amerikanischen Delegierten mit
der hohen Politik in Berührung kommt. Er erfährt die Hintergründe des Versailler Vertrages, erkennt die
Warnungszeichen des aufflammenden Faschismus und wirkt im politischen Intrigenspiel als Beobachter mit. Die
politische Weltgeschichte der letzten 50 Jahre zieht am Leser vorbei. Ausser Lanny Budd sind alle Figuren
authentisch. Es ist wahre Geschichte, so fesselnd in Romanform geschrieben, dass sie jeden Leser packen
muss. Viele mögen diese Art der Geschichtsschreibung verurteilen. Wir aber halten es mit George Bernard
Shaw, der einmal gesagt hat: „Wenn Leute mich fragen, was sich während meines langen Lebens ereignet hat,
so verweise ich sie nicht auf Bände alter Zeitungen oder wissenschaftlicher Autoritäten: ich rate ihnen, Sinclairs
Werk zu lesen“. F.L.
Bildungsarbeit, Heft 5, September 1963.
Personen > Sinclair Upton. Werke. Bildungsarbeit, September 1963