Inhalt 15 B. Pinsker/A. Zeeb MIT KARL DEM GROSSEN DURCH DIE ZEIT 33 M. Exner ANSPRUCH UND AUTORITÄT EINES KAISERLICHEN MODELLS Zur Rezeption der Buchmalerei vom Hof Karls des Großen 55 T. Licht/K. Tobler KAROLINGISCHE MINUSKEL 67 G. Quarg VOM PFENNIG ZUM EURO Westeuropäische Münzgeschichte – Zeitraffer 75 B. Burrichter/S. Tomasek KARLSBILDER: «CHANSON DE ROLAND» – «ROLANDSLIED» Miniaturen der Heidelberger Handschrift 115 A. Tischer KARL DER GROSSE UND DIE KAISER DER FRÜHEN NEUZEIT 123 G. Quarg „Aus Keyserlichm und Königlichm Stam Von Carlo Magno ein Ursprung nam“ ZU HERKUNFT UND FAMILIENTRADITION DER LANDGRAFEN UND GROSSHERZÖGE VON HESSENDARMSTADT 131 S. M. Kaiser DES KAISERS NEUE KLEIDER Wiederbelebung, Reinkarnation und Asche Karls des Großen unter Napoleon Bonaparte 157 A. C. Oellers POLYVALENZ UND INSTRUMENTALISIERUNG Zum Karlsbild im Zeitalter des Historismus 181 M. Kerner KARL DER GROSSE UND AACHEN Eine Spurensuche 193 M. Th. Kloft KARLSVEREHRUNG IN FRANKFURT AM MAIN 207 J. Führer/R. Zingg NACHLEBEN UND VEREHRUNG KARLS DES GROSSEN IN ZÜRICH 221 B. Pinsker/A. Zeeb KARL DER GROSSE IM ÖFFENTLICHEN RAUM 243 KATALOG 309 ANHANG 310 Liste der Figuren, Glas- und Wandgemälde Karls des Großen im öffentlichen Raum 318 Abbildungsnachweis Anspruch und Autorität eines kaiserlichen Modells | Matthias Exner Abb. 8 Hildesheim, Domschatz, DS 33, Guntbald-Evangeliar, fol. 21v: Majestas Domini durch je vier Zierseiten hervorging. Den Evangelistenbildern in der Tradition des «Lorscher Evangeliars» folgen jeweils Initialseiten und diesen wiederum Paare gerahmter Textzierseiten, die einer lokalen Tradition der Zeit verpflichtet sind. Nur dem Matthäusbeginn steht wie in Lorsch das Majestasbild gegenüber (Abb. 8). Guntbald überliefert folglich nicht nur den Rahmen der Hofschulminiatur mit den kleinen Engelsbüsten genauer als die beiden Reichenauer Repliken, sondern verrät auch Kenntnisse von der ursprünglichen Vertei- Matthias Exner | Anspruch und Autorität eines kaiserlichen Modells lung der Bilder im Text, was nur ein anderes Evangeliar leisten konnte. Mithilfe verworfener Ritzzeichnungen, die im Unterschied zur ausgeführten Johannesminiatur noch das Vorhangmotiv der Vorlage kopierten, war es möglich, dieses Bindeglied als eine Schwesterhandschrift der beiden aus Mainz erhaltenen Kopien zu identifizieren.21 Die zugehörigen Kanontafeln erweisen sich gleichfalls als Kopien nach karolingischen Vorlagen, doch fand hierfür nicht eine Hofschulhandschrift Verwendung, sondern ein frankosächsisches Evangeliar aus Saint-Vaast, das damals offenbar in Hildesheim verfügbar war.22 Dem ebenso gebildeten wie ehrgeizigen Stifter war es offensichtlich darum zu tun, zur Ausstattung seiner Klostergründung nicht nur Texte, sondern auch Bilderzyklen von einem durch Alter und Herkunft nobilitierten Anspruch zusammenzuführen. Die Nachfolge des Wiener «Krönungsevangeliars» Der herausragenden Rolle gemäß, die dem «Krönungsevangeliar» für die Geschichte des Evangelienbuches wie für die Entwicklung der karolingischen Buchmalerei zukam, entfaltete die außergewöhnliche PurpurHandschrift aus dem Besitz Karls des Großen schon früh eine besondere Wirkung auf diverse Zentren abendländischer Buchmalerei, indem die Typen und Motive ihrer Evangelistenbilder an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten eine wiederholende oder variierende Nachfolge gefunden haben. Nicht alle Spuren, die das Bilderquartett in der karolingischen oder ottonischen Malerei hinterlassen hat, können auf die im Aachener Domschatz sorgsam verwahrte Zimelie selbst zurückgeführt werden. Im Gegenteil: Mehrheitlich dürfte es sich um indirekte Dokumente einer anhaltenden Faszination handeln, die gleichermaßen in der Verknüpfung der Vorlage mit Karl dem Großen ihre Ursache haben konnte wie in den zugleich ungewöhnlichen und einprägsamen Erfindungen der Autorenbilder, auch dort, wo kaum mehr mit einem Bewusstsein von der Genese der zitierten und anverwandelten Motive gerechnet werden kann. Den Stationen dieser Rezeptionsgeschichte wurde jüngst eine eingehende Untersuchung gewidmet, deren Ergebnisse hier knapp referiert werden können.23 42 Die Rezeption in Aachen und Reims Die älteste und fraglos einflussreichste Spur führt in das karolingische Reims, wo Erzbischof Ebo (amt. 816–835 und 840–841) nicht zuletzt als Auftraggeber eines nach ihm benannten Evangeliars das dortige Skriptorium zu ungemein produktiver Blüte führte.24 Das «Ebo-Evangeliar» selbst geht zwar letztlich eigene Wege,25 doch ist eine Abhängigkeit der Reimser Evangelisten von jenen des «Krönungsevangeliars» offensichtlich, und im sogenannten «Evangeliar von Blois», das durch seine Kanontafeln und seine Initialen mit der Entwicklung des Reimser Skriptoriums verwoben ist, liegt zweifellos die beste Kopie des Zyklus vor, die sich erhalten hat (Abb. 9).26 Anders als die übrigen Reimser Zeugen teilt Blois auch den Verzicht auf die Evangelistensymbole mit der Vorlage. Zwar fehlt das Blatt mit dem Lukasbild, doch erweisen sich die drei anderen Bilder als so getreue Kopien, dass ein unmittelbarer Zugang zu der zweifellos am Aachener Hof verbliebenen Vorlage postuliert werden muss. Die Anlage der Handschrift schließt nicht aus, dass die auf verkürzten Zwischenlagen angebrachten Bilder außerhalb von Reims entstanden, um in Reims mit den Lagen von Textblock und Kanontafeln vereinigt zu werden. Für eine solche Theorie liefert der Textvergleich weitere Anhaltspunkte, da es gerade die mit den Bildern verknüpften Kapitelverzeichnisse sind, die in ihrer Auswahl und Abfolge aus dem ansonsten sehr einheitlichen Schema der Reimser Evangeliare herausfallen.27 Und auch dort, wo sich die Kanontafeln von der Gestaltung der Reimser Geschwister unterscheiden, in der steileren Führung der Giebel und Bögen wie in den oberen Abschlüssen der Gitter für die Textkolumnen, verdanken sich die Abweichungen dem Formenrepertoire des Wiener Evangeliars. Dass die Bilder von Blois demnach dort entstanden, wo die berühmte Vorlage unmittelbar zugänglich war, in Aachen, erscheint insoweit möglich. Die jüngeren Wiederholungen und Umformungen der Evangelistenreihen in den Reimser Evangeliaren der nächsten Generation tradieren zwar gleichfalls noch Elemente, die an das Krönungsevangeliar erinnern, zitieren diese jedoch in einer zweifellos indirekten Form, die offensichtlich zum Reimser Schulgut geworden ist. Nur ein weiterer Evangelistenzyklus ist bekannt, der sich zumindest in Teilen ähnlich unmittelbar an die Vorlage vom Aachener Hof anschließt: das Evangeliar aus Prüm in Berlin, das Wilhelm Koehler einem als Hofschule Kaiser Lothars tätigen Skriptorium zuweisen konnte (Abb. 10).28 Hier bieten die beiden ersten Bilder recht getreue Wiederholungen der Wiener Prototypen, während die beiden anderen Fortentwicklungen darstellen, an deren Genese wiederum auch Reims einen gewissen Anteil hat. Auch hier gibt es Anhaltspunkte für einen direkten Zugang zum Krönungsevangeliar, während Parallelen zu den Reimser Bildern trotz der bekannten Abhängigkeiten im Bereich der Ornamentik marginal bleiben. So darf auch die Prümer Abb. 9 Paris, Bibliothèque national de France, lat. 265, sogenanntes Evangeliar von Blois, fol. 73v: Markus 43 Karolingische Minuskel | Tino Licht und Kirsten Tobler ten. Erhalten sind nur drei, und zwei davon gleichen bis in die Abmessung und Initialkunst hinein einander.20 Sie sind, obwohl sie unterschiedliche Texte enthalten, ,kodikologische Zwillinge‘;21 eine liegt in Berlin, die andere in Sankt Petersburg.22 Man gewinnt durch die Sankt Petersburger Handschrift eine Datierung und Lokalisierung, denn dort ist der Auftraggeber genannt: Leutcharius abba iussit fieri.23 Beide Handschriften entstanden also in Corbie unter Abt Leutchar, der längstens bis 769 dort gewirkt hat, mit Sicherheit aber im Jahr 762 Abt in dem alten Königskloster war.24 In dem «Berliner Leutcharcodex» nun ist für zwei Seiten die Halbunziale mit einer karolingischen Minuskel vertauscht worden, ohne dass die Schrift auf Rasur steht, ohne dass die Seitengrenzen Übergangsprobleme signalisieren, ja sogar so, dass der Wechsel nicht beim Übergang von Blatt zu Blatt, sondern beim Übergang von der Vorder- zur Rückseite erfolgte. Das ist ein experimenteller Wechsel; die neue Schrift wurde ausprobiert bzw. demonstriert; danach ist man wieder zur ursprünglichen Schrift, zur Halbunziale zurückgekehrt. Wir sind bei vorsichtiger Datierung in den 760er Jahren, möglicherweise sogar im Jahrzehnt davor und demnach erheblich früher, als man bisher erlauben wollte. Höchstwahrscheinlich bevor Karl der Große gemeinsam mit seinem Bruder Karlmann 768 die Herrschaft über das Frankenreich übernahm, mit Sicherheit bevor er im Jahr 772 Alleinherrscher wurde, existierte die karolingische Minuskel schon in Corbie. Das, was sich mit der MaurdramnusBibel angekündigt hatte, wird mit dem «Berliner Leutcharcodex» zur Gewissheit: Lang bevor die Hofschule Zeugnisse in karolingischer Minuskel hinterlassen hat, wurde diese in Corbie auf hohem kalligraphischem Niveau geschrieben. (Abb. 4) Wie genau die Frühgeschichte der karolingischen Minuskel zu beschreiben ist, muss in vielen Fällen noch geklärt werden. Man hat bisher das Zeugnis des «Godesscalc-Evangelistars» so bevorzugt in alle Erwägungen einbezogen, dass bei der Entwicklung der karolingischen Minuskel der Blick für naheliegende Zusammenhänge und richtige Konsequenzen verstellt gewesen ist. Ein Beispiel hierfür gibt das Kloster Lorsch an der Bergstraße ab. Das Datengerüst der dortigen karolingischen Schreibschule war bisher das folgende: Sie beginnt unter Abt Richbod († 804), einem Mit62 Tino Licht und Kirsten Tobler | Karolingische Minuskel glied des karolingischen Hofes,25 Abt von Lorsch seit dem Jahr 784. Die ältesten Beispiele datieren immer um das Jahr 800. Unter Adalung († 837), im Jahrzehnt nach 804, wird ein zweiter, ein Übergangsstil erkennbar; dieser wird bald von einer nordostfranzösischen karolingischen Minuskel begleitet, die auch in Lorsch geschrieben worden ist. Dieser Stil ist der sogenannte Saint-Vaast-Stil. Er steht mit Adalung in Verbindung, der ab 808 auch Abt von Saint Vaast in Arras war. Ab den 820ern ist das Skriptorium auf seinem Höhepunkt und tritt in die lange und ertragreiche Phase der karolingischen Minuskel im jüngeren Lorscher Stil ein. Die Produktion wird um 860 in dem umfangreichsten Bibliothekskatalog Lorsch registriert und ebbt dann langsam ab.26 Älterer Lorscher Stil 784 – ca. 810, Übergangstil ca. 810 – ca. 825, SaintVaast-Stil ca. 810 – ca. 825, jüngerer Lorscher Stil ca. 825 bis zum Ende der Karolingerzeit. Mit welchem Argument ist der Beginn des Skriptoriums unter Richbod festgelegt? „Die Datierung muß sich zunächst darauf beschränken, daß ein Ansatz vor Gode[s]scalcs erstaunlicher Leistung (zwischen 781 und 783) unwahrscheinlich ist ...“.27 Für die Datierung der ältesten Handschriften wird also mit der ,Hofthese‘ argumentiert, wovon man sich nun im Wissen um den «Berliner Leutcharcodex» und um die Existenz der karolingischen Minuskel schon in den 760ern befreien darf. Paläographisch spricht nichts dagegen, dass das Lorscher Skriptorium von Anbeginn produktiv gewesen ist.28 Eigentlich ist schon das Gründungsjahr 764 nicht mehr auszuschließen. Vielleicht ist es für manchen leichter, den Beginn mit dem Bezug der neuen Konventsgebäude im Jahr 774 anzusetzen. Und damit lösen sich auch manche Datierungsschwierigkeiten, welche die frühen Jahre des Skriptoriums betreffen.29 Lorsch gehört sicherlich zu den karolingischen Schreibschulen, die wir am besten belegen können und in denen wir den Höhepunkt der karolingischen Schriftkultur illustrieren können. In Lorsch ist nämlich etwas gelungen, was wir nur in besonders leistungsfähigen Skriptorien nachvollziehen können: Das Kloster hat in der Mitte des 9. Jahrhunderts in Serie produziert, das heißt einen bestimmten Buchtyp mehrfach im Auftrag anderer Konvente, vielleicht auch anderer Einzelpersonen hergestellt. Voraussetzungen für den Nachweis einer solchen Serienpro- Abb. 5 «Seligenstädter Evangeliar». Der zweispaltige Prachtcodex demonstriert die karolingische Minuskel auf dem Höhepunkt ihrer Schriftentwicklung. Darmstadt, Universitätsund Landesbibliothek, 1957, fol. 8r 63 Karlsbilder: «Chanson de Roland» – «Rolandslied» | Brigitte Burrichter, Stefan Tomasek der militärischen Darstellungen (136 von 4200 Versen mit militärischen Motiven) eine Rolle spielt, obwohl das «Rolandslied» v. a. die Beschreibung eines kaiserlichen Feldzuges darstellt und der Beginn des Feldzuges sowie v. a. die Racheschlacht alle Optionen eröffneten, um die Karlsfigur prominent zu positionieren. Zugespitzt formuliert, fehlt die Hauptfigur des «Rolandsliedes» in der Haupthandlung und der Feldherr in der Feldschlacht – aus dieser Perspektive stellt das «Rolandslied» also keinesfalls ein „Karlslied“ dar. Die Miniaturen Es ist in diesem Kontext bemerkenswert, dass die Miniaturen diesen für das Karlsbild des «Rolandsliedes» problematischen Befund erheblich revidieren. Dies gelingt, indem die Schlachtdarstellungen fast vollständig anonymisiert gehalten sind. Den militärischen Gegebenheiten der Zeit entsprechend, verhüllt im Regelfall der Helm die Identität der Kämpfenden, was durch das Fehlen heraldischer (Wappen o. Ä.) oder sonstiger ikonographischer Zeichen weiter unterstützt wird. Die zudem weitgehend uniforme Darstellung der Krieger lässt nur aufgrund der jeweiligen Stellung im Text erahnen, welcher fränkische Adelige dargestellt ist (vgl. exemplarisch fol. 57v, Abb. 13) – diese Tendenz zur Uniformität geht sogar so weit, dass auch der Unterschied zwischen christlichen und nicht-christlichen Kämpfern nicht dargestellt wird, was auch Relevanz für das Bildkonzept der muslimischen Truppen hat (z. B. fol. 63r, vgl. Abb. 14). Besonders Roland und Olivier erscheinen so in den Schlachtdarstellungen als nur zwei von vielen, was nicht ihrer exponierten Darstellung im Text entspricht (vgl. exemplarisch fol. 11v, Abb. 15, und fol. 89r, Abb. 16). Als kämpfende Figur ist Roland in den Miniaturen nur einmal sicher zu identifizieren, als er mit seinem Horn Olifant einen Angreifer erschlägt – es ist aber das Horn, das diese Zuordnung sichert, nicht die Rolandsdarstellung selbst (vgl. fol. 93v, Abb. 17). Brigitte Burrichter, Stefan Tomasek | Karlsbilder: «Chanson de Roland» – «Rolandslied» Abb. 15 Rolandslied des Pfaffen Konrad, Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 112, fol. 11v (Roland und Olivier inmitten christlicher und muslimischer Fußtruppen) Abb. 14 Rolandslied des Pfaffen Konrad, Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 112, fol. 63r (christliche und muslimische Kavallerieattacke) 98 Abb. 16 Rolandslied des Pfaffen Konrad, Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 112, fol. 89r (Roland und Olivier in voller Rüstung) 99 Des Kaisers neue Kleider | Simone Maria Kaiser Abb. 8 Heiliges Schwert der französischen Könige, genannt „Schwert von Karl dem Großen“, auch „Joyeuse“, 9. - Anf. 14. Jh. Gold, Edelsteine, Silber, Stahl, 100,5 x 22,6 cm, Musée du Louvre, Paris Abb. 9 Kaiser Karl der Große auf dem Zepter Karls V., 1364–1380. Gold, Perle, Edelstein, Glas, H. 60 cm, Musée du Louvre, Paris bung und Krönung in Rom am Weihnachtstag 800 zu verwenden, mit dem epochalen Unterschied freilich, dass Napoleon sich von Papst Pius VII. nur salben ließ, sich und seiner Kaiserin Joséphine am 2. Dezember 1804 die Krone aber eigenhändig aufs Haupt zu setzen beschloss.44 Hinsichtlich der Insignien hatte sich Napoleon ebenfalls mehrere Möglichkeiten eröffnet und verschiedenen, seiner Herrlichkeit dienlichen Symbolgehalt zu akkumulieren gesucht. Während die Aachener Reichskleinodien außer Reichweite bei ihrem deutsch-römischen Kaiser Franz II. in Wien lagen und der Stadt nicht restituiert wurden, reaktivierte er die französischen Honneurs de Charlemagne. Sie waren nicht mehr in Saint-Denis, sondern während der Revolution teilweise zerstört worden, und ihre Reste im Museum im Louvre aufbewahrt worden. Auch hierzu gehörte ein sogenanntes Schwert Karls des Großen, Simone Maria Kaiser | Des Kaisers neue Kleider die Joyeuse (Abb. 8), und das Zepter mit der goldenen Thronfigur Karls des Großen, das Karl V. im 14. Jahrhundert hatte herstellen lassen, um die karolingische Abkunft der Valois symbolisch zu bekräftigen (Abb. 9), außerdem die Main de justice (Justizhand) und die Karlskrone der französischen Könige. Krone und Schwurhand waren komplett zerstört worden, dem Zepter Karls V. fehlte nur der Stab, das Schwert war am besten erhalten. Den kaiserlichen Goldschmied Martin-Guillaume Biennais (1764–1843) beauftragte man mit der „Restaurierung“ dieser Insignien. Zur Wiederherstellung der verlorenen Krone und Main de justice (mit drei ausgestreckten Fingern) orientierte sich Biennais an den Abbildungen in Montfaucons «Monuments de la Monarchie françoise».45 (Abb. 10 + 11) Gleichzeitig erhielt er aber auch den Auftrag, neue Insignien für den Kaiser der Franzosen anzufer- Abb. 10 Martin-Guillaume Biennais, Sogenannte Krone Karls des Großen – angefertigt für die Krönung Napoleons I., Paris, 1804. Silber, Kupfer, vergoldet, Gemmen, Kameen, H. 25 cm, Dm. 18,5 cm, Musée du Louvre, Paris Abb. 11 Martin-Guillaume Biennais, Justizhand – angefertigt für die Krönung Napoe- tigen, die sogenannten „Honneurs de Napoléon“: ein neues Schwert, ein Zepter mit Adler, eine weitere Main de justice (mit fünf ausgestreckten Fingern) und einen Reichsapfel. Außerdem schmiedete Biennais eine römisch-antikische Krone aus goldenen Lorbeerblättern. Diese Krone setzte sich Napoleon I. schließ142 lich aufs Haupt am 2. Dezember, nicht die Karlskrone. Die restaurierten und rekonstruierten karolingischen Herrschaftszeichen bekamen eine mehr dekorativ-symbolische Funktion, denn Napoleon berührte sie nicht während der Zeremonie, sondern ließ sie von seinen Marschällen nur zur Schau tragen.46 Auf lons I., Paris, 1804. Amethyst, Bergkristall, Perlen, Gold, Silbergold, Elfenbein, Edelstein, H. 39,2 cm. Musée du Louvre, Paris 143 Karl der Große und Aachen | Max Kerner Abb. 9 Lotharkreuz „Kaiserseite“, um 1000 dieses päpstlichen Privilegs und apostolischen Schutzes wird nicht zuletzt an der jährlichen Zinszahlung für den Papst deutlich, die ein Pfund reinen Goldes betrug.15 In der Tat „ein mächtiges Stift in einer entstehenden Stadt“, wie Ludwig Falkenstein meint.16 In der Wissenschaft hat es für diese Aachenpräferenz Ottos III. verschiedene Erklärungen gegeben: den Karlskult und die versuchte Karlskanonisation (K. Görich)17, den Plan einer Aachener Bistumsgründung Max Kerner | Karl der Große und Aachen (E. D. Hehl)18 sowie das Konzept der kirchlichen Verstädterung (L. Falkenstein)19. Wie immer man sich hier entscheidet, die Rangerhöhung von Pfalz und Ort war sicherlich in Ottos III. besonderer Verehrung für Karl den Großen, für dessen Kirche und Grab begründet. Mitgewirkt haben dürfte auch seine hohe Wertschätzung für Adalbert von Prag, der 997 im fernen Königsberg bei den heidnischen Pruzzen den Märtyrertod gefunden hatte und noch im gleichen Jahr als Namenspatron für das Aachener Kanonikerstift gewählt wurde – die erste Kirche überhaupt, die ein Adalberts-Patrozinium erhielt. Vor diesem Hintergrund wird man insgesamt der Gründungsgeschichte der Abtei Brauweiler aus dem späten 11. Jahrhundert zustimmen wollen, wenn es dort heißt, dass Otto III. „diesen Ort [Aachen] mit größter Verehrung erneuert und berühmter als er vorher war gemacht hat.“20 Hochmittelalterlicher Karlskult In Aachen wird bis zum heutigen Tage der heilige Karl besonders verehrt – insbesondere beim Karlsfest eines jeden Jahres. Dies geht zurück auf Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152–1190), der seinen großen Vorgänger in der Weihnachtsoktav am 29. Dezember 1165 (am Kirchfest des biblischen Königs David, des Gesalbten des Herrn und Stammvaters Christi) zur Ehre der Altäre erhoben hat. Der damalige (Gegen-)Papst Paschalis III. (amt. 1164–1168) hatte die Heiligsprechung an den Kölner Erzbischof Rainald von Dassel (gest. 1167) delegiert. Barbarossas persönliches und politisches Interesse war unverkennbar: Karl der Große wurde Teil der staufischen Reichsidee vom sacrum imperium, von einer unmittelbar von Gott geschaffenen Weltherrschaft. Wenige Tage später, am 8. Januar 1166, ließ Barbarossa der Aachener Marienkirche eine feierliche Urkunde ausstellen, in der die Heiligsprechung Karls des Großen bekundet wird. Eingebunden in dieses Barbarossa-Diplom ist ein gefälschtes Karlsdekret, ein Aachener „Machwerk“ (B. Schneidmüller)21 aus der Zeit vor 1158, das Aachen zum Haupt und Sitz des Reiches macht (caput Galliae trans Alpes), zum Krönungsort der römisch-deutschen Könige und späteren Kaiser. Karl erscheint als der christliche Stadt186 gründer Aachens gegenüber den heidnischen Repräsentanten Nero und Granus, auf die Aachens Ursprünge zurückgehen sollen. Er ist der Erbauer der Marienkirche, die durch Papst Leo III. (amt. 795– 816) geweiht und in der die regia sedes aufgestellt worden sei. Er ist es auch, der den Einwohnern Aachens die städtischen Freiheiten verliehen hat.22 Inhalt und Ausrichtung dieses Karlsdekrets werden von Friedrich I. Barbarossa in seiner Urkunde in vollem Umfang bestätigt: „Es freue sich also und frohlocke in unsagbarem Jubel dieses Aachen, das Haupt der Städte“, das durch die Präsenz des heiligen Karl ausgezeichnet sei, der hier begraben liege und auf den die Gründung Aachens als Sitz und Haupt des Reiches zurückgehe (civitas Aquisgranum, que caput et sedes regni Theutonici est).23 „Aachen soll die Haupt[stadt] des Reiches sein“ und dessen sakraler Mittelpunkt (sacra civitas), die Aachener Marienkirche soll als „Verwahrraum“ des Thrones (E. Meuthen) erste Kirche im ganzen Reich sein, und die Aachener Gemeinde soll mit besonderen Vorrechten ausgezeichnet werden.25 Vor einem solchen Hintergrund ist die genannte Karlsfälschung von besonderem Interesse, die die Kanoniker des Marienstiftes Barbarossa vorgelegt und mit kaiserlicher Autorität hatten bestätigen lassen. Wo immer und wann genau dieses Karlsdekret entstanden ist – ob im Umkreis des Marienstiftes oder am Hofe Barbarossas, vor 1158 oder über die Mitte des 12. Jahrhunderts zurückweisend – für das Aachener Münster galt sie als eine Art „Gründungsurkunde“ (C. Brühl/ Th. Kölzer)25, die auszugsweise auf dem Karlsschrein Aufnahme fand und in die legendarische Karlsvita übernommen wurde. Sie ist zudem in der vielleicht Abb. 10 Aachener Karlsschrein, zwischen 1182 und 1215 187 Karl der Große im öffentlichen Raum | Bernhard Pinsker, Annette Zeeb Bernhard Pinsker, Annette Zeeb | Karl der Große im öffentlichen Raum Abb. 7 Frankfurt am Main, am Südbau des Römers Abb. 9 Frankfurt am Main, Stifts- und Pfarrkirche St. Bartholomäus, im Chorsakramentshaus Abb. 8 Frankfurt am Main, Stifts- und Pfarrkirche St. Bartholomäus, am Portal des Südquerhauses 224 Abb. 11 Frankfurt am Main, Carolus-Brunnen Abb. 10 Frankfurt am Wendelsplatz am Main, Haus am Römerberg 225 Katalog Katalog 25 25 Pfennig, Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth, Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1797–1840) Billon, Dm. 11 mm | Bayreuth 1801 | Privatsammlung GQ 22 22 Brakteat, Friedrich I. Barbarossa (1152-1190) Silber, Dm. 24 mm | Wetterau (?) | Aus dem Münzfund von Fischbachtal-Lichtenberg, Kreis Darmstadt-Dieburg, 1920 | Hessisches Landesmuseum Darmstadt GQ 23 Prager Groschen, Johann I. von Luxemburg (1309–1346) Silber, Dm. 28 mm | Böhmen | Privatsammlung 26 26 Mark, Deutsches Reich, Wilhelm I. (1871–1888) Silber, Dm. 24 mm | Darmstadt 1882. Eine Münzstätte in Darmstadt gab es mit Unterbrechungen von 1618 bis 1882. Dies ist letzte hier geprägte Münze | Privatsammlung GQ GQ 24 24 Meißner Groschen, Markgrafschaft Meißen, Wilhelm II. (1407–1425) Silber, Dm. 29 mm | Vor 1425 | Privatsammlung GQ 27 Pfennig, Deutsches Reich, Wilhelm II. (1888–1918) Aluminium (Kriegsprägung), Dm. 16 mm | Stuttgart 1917 | Privatsammlung GQ 27 28 Pfennig, Westdeutschland, Bank Deutscher Länder Kupferplattiertes Eisen, Dm. 16,5 mm | Karlsruhe 1948 | Privatsammlung GQ 28 23 262 263 Katalog Sammelobjekte – Münzen und Postsachen 104 Postkarte „Le Charlemagne“ Paris, o.J. (1900–1916) | Photogravur | Darmstadt, Privatsammlung Die „Charlemagne“ gehörte zu einer Klasse von drei Linienschiffen der französischen Marine. Sie lief 1895 vom Stapel und wurde 1900 in Dienst gestellt. Der Name bezieht sich auf ein früheres Kriegsmaschineschiff „Charlemagne“ des 1. französischen Kaiserreiches unter Napoleon I. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs wurde die „Charlemagne“ außer Dienst gestellt. SK 105 Postkarte „Panzerschiff Kaiser Karl der Grosse“ o.O., o.J. (1902–1919) | Farbdruck | Darmstadt, Privatsammlung Klasse. Es lief 1899 vom Stapel und wurde 1902 in Dienst gestellt. Sie kam auch im 1. SK Weltkrieg noch zum Einsatz. 107 Ersttagbrief Papier | Frankreich, 1966 In Frankreich steht Charlemagne bis heute als Gründer von Schulen in hohen Ehren. 106 Postkarte mit Stempel Karl der Große Deutschland, 1942 | Papier 107 BP 108 Ersttagsbrief Papier | Andorra, 1978 Der Sonderstempel auf der Postkarte von 1942, herausgegeben zu seinem vermeintlichen 1200sten Geburtstag 742 – das genaue Jahr ist bis heute unbekannt – zeigt das Metzer Reiterstandbild, das seinerzeit noch als Karl der Große angesehen wurde. Darunter steht der Text „Großdeutschland gedenkt Karls des Großen“. Ein nettes Wortspiel mit grausigem Hintergrund. Diese Postkarte ist ein seltener Beleg der öffentlichen Karlsverehrung in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Panzerschiff Karl der Große gehörte zu einer Klasse von fünf Linienschiffen der Kaiserlichen Marine, die sog. Kaiser-Friedrich- 106 BP Andorra, das einzige Land in Europa, das Karl den Großen in seiner Nationalhymne als Gründer nennt, feiert 1978 den 1200sten Geburtstag des Karolingers 778. BP 108 109 Postkarte Papier Andorra, 1978 Neben einem Ersttagsbrief wurde in Andorra 1978 auch eine Ersttagspostkarte anlässlich des 1200sten Geburtstag von Charlemagne 110 109 111 herausgegeben. Auf der Vorderseite prangt das Reiterstandbild vor Notre Dame in Paris. BP 110 Briefmarke Papier | Y.A.R (Jemen), o. J. Monochromer Kopf Karls des Großen in Manier des Dürergemäldes von 1513. BP 104 302 111 Ersttagsbrief 1200 Jahre Erhebung Bremens zum Bischofssitz | 1987 | Briefmarke: Offsetdruck | Entwurf: Rothacker | Darmstadt, Privatsammlung thematisiert die Erhebung Bremens zum Bischofssitz im Jahre 787 durch Karl den Großen. AZ Die Marke zeigt Kaiser Karl den Großen (links), Bischof Willhad (rechts), den Bremer Dom und darunter das Stadtwappen und 105 303
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