15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Vorlesung Polizei- und Sicherheitsrecht Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. (Cambridge) Wintersemester 2015/16 Donnerstags 12:15 – 13:45 Uhr, Raum 1009 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 I. Überblick und Organisatorisches Gliederung der Vorlesung 1. Teil (Std. 1) • • • Überblick über den Vorlesungsinhalt Strukturen des Polizeirechts Rechtsquellen: StPO, PAG, POG, LStVG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 1 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 I. Überblick und Organisatorisches 2. Teil Aufgaben der Polizei (Std. 2 - 4) • • • • • • • • • • Aufbau der Fortsetzungsfeststellungsklage Überprüfung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahme Aufgabenabgrenzung Generalklausel Schutzgüter „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ Gefahrenbegriff Verantwortlichkeit von Personen und Sachen/Tieren „Störer“-Begriff Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Einschränkung von Grundrechten • Ermessen Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 I. Überblick und Organisatorisches 3. Teil Spezialbefugnisse der Polizei (Std. 5) Überblick über die Standardmaßnahmen und ausgewählte einzelne Spezialbefugnisse: • • • • • • Identitätsfeststellung, Art. 13 PAG Platzverweisung, Art. 16 PAG Gewahrsam, Art. 17 PAG Durchsuchung, Art. 21 PAG Sicherstellung, Art. 25 PAG Verwahrung, Art. 26 PAG Kein Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis! Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 2 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 I. Überblick und Organisatorisches 4. Teil Anwendung von Zwang (Std. 6 + 7) • • • • • Zulässigkeit des Verwaltungszwangs: Erzwingen von Handlungen, Duldung, Unterlassung, Art. 53 PAG Zwangsmittel: Ersatzvornahme, Zwangsgeld, unmittelbarer Zwang, Art. 54 ff. PAG Ausübung unmittelbaren Zwangs: rechtliche Grundlagen, Begriffsbestimmungen, körperliche Gewalt, Schusswaffen Androhung unmittelbaren Zwangs, Art. 64 PAG Vorschriften über den Schusswaffengebrauch Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 I. Überblick und Organisatorisches 5. Teil Entschädigungs-, Erstattungs- und Ersatzansprüche (Std. 8) 6. Teil Gefahrenabwehrverordnungen (Std. 9) 7. Teil Versammlungsrecht (Std. 10) Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 3 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 I. Überblick und Organisatorisches Literaturvorschläge: • Becker/Heckmann/Kempen/Manssen, Öffentliches Recht in Bayern, 3. Aufl. 2005, Beck Verlag sowie Becker/Heckmann/Kempen/Manssen, Klausurenbuch Öffentliches Recht in Bayern, 3. Aufl. 2015, Beck Verlag • Gallwas/Lindner/Wolff, Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht, 4. Aufl. 2015, Boorberg Verlag • Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2012, Beck Verlag • Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2014, Beck Verlag • Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Aufl. 2013, Beck Verlag Zu den Vorlesungen sollten die Hörer bitte mitbringen: Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG) Gesetz über die Organisation der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiorganisationsgesetz - POG) Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz LStVG) Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 I. Überblick und Organisatorisches Kontakt: Prof. Dr. Martin Kment , LL.M. (Cambridge) Telefon +49 821 598 - 4535 Telefax +49 821 598 - 4537 E-Mail: [email protected] Sekretariat: Frau Manuela Schmid Telefon +49 821 598 - 4536 Telefax +49 821 598 - 4537 E-Mail: [email protected] Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 4 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 1 Strukturen Strukturen des Polizeirechts • staatliches Recht auf Gefahrenabwehr • innere Sicherheit, äußere Sicherheit • Gefahrenabwehr in Abgrenzung zur Strafverfolgung und zum geheimdienstlichen Staats- und Verfassungsschutz • Unterscheidung allgemeines und besonderes Sicherheitsrecht • Unterscheidung zwischen Primär-, Sekundär und Tertiärebene Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 1 Strukturen Kompetenzen bei der Gefahrenabwehr Länderkompetenz: Polizei- und Ordnungsrecht und deren Vollzug, Art. 70 I GG • Sonderordnungsgesetze wie z.B. LBauO oder LPresseG • Allg. Polizei- und Ordnungsgesetze • Verwaltungskompetenz, Art. 30 GG Bundeskompetenz: • Ausschließliche Kompetenz z.B. Zoll- und Grenzschutz, Art. 73 I Nr. 5 GG Waffen- und Sprengstoffrecht, Art. 73 I Nr. 12 GG Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus Art. 73 I Nr. 9a GG • Konkurrierende Kompetenz z.B. Art. 74 I Nr. 3, 4 GG Das allg. POR der Länder greift, wenn keine speziellen Gefahrenabwehrgesetze des Bundes oder des Landes anwendbar sind. Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 5 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 1 Strukturen Gefahrenabwehrbehörden in Bayern Mehrfachkompetenz der Sicherheitsbehörden, Art. 6 LStVG Gemeinden, Landratsämter, Regierungen, Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr Polizeibehörden Art. 4 ff. POG BayStMI Präsidien Inspektionen Stationen Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Aufbau der Fortsetzungsfeststellungsklage I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I VwGO Sonderzuweisungen, etwa § 23 EGGVG, Art. 18 Abs. 2 S. 2 PAG II. Zulässigkeit 1. Klageart Fortsetzungsfeststellungsklage Problem: VA-Charakter der jeweiligen Maßnahme 2. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 6 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei 3. Vorverfahren (-) 4. Fortsetzungsfeststellungsinteresse, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO Wiederholungsgefahr Schwerwiegender Grundrechtseingriff Rehabilitationsinteresse Achtung bei einer Klage zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses 5. Klagefrist, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO analog (str.) III. Begründetheit Passivlegitimation Grds. Art. 1 Abs. 2 POG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der polizeirechtlichen Maßnahme I. Ermächtigungsgrundlage 1. Spezialgesetzliches Gefahrenabwehrrecht (Art. 11 III 1 PAG i.V.m.) 2. Standardbefugnisnorm nach dem PAG 3. Oder/und polizeiliche Generalklausel (Art. 11 PAG) II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit (Art. 2, 3 PAG, 3 I POG) 2. Verfahren 3. Form III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Schutzgut öffentliche Sicherheit u. Ordnung 2. Gefahr 3. Pflichtigkeit/Störer (Art. 7, 8, 10 PAG) 4. Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG) 5. Ermessen (Art. 5 PAG) Daneben: Bayerischer Prüfungsaufbau Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 7 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Aufgabenabgrenzung nach Art. 3 PAG „Die Polizei wird tätig, soweit ihr die Abwehr der Gefahr durch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint.“ Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Generalklausel, Art. 11 PAG „Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die Art. 12 bis 48 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.“ Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 8 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Subsidiarität der Generalklausel Die Befugnisgeneralklausel des Art. 11 PAG gilt nur, soweit nicht spezialgesetzliche Befugnisnormen vorhanden sind. Welche Ermächtigungsgrundlage hat das polizei- und ordnungsbehördliche Handeln? 1. Liegt eine spezielle Befugnisnorm in besonderen Gesetzen vor? Bsp.: VersG, PaßG, AufenthG oder 2. Gibt es eine spezielle Befugnisnorm aus dem PAG, Standardmaßnahmen nach Art. 12 ff. PAG 3. Polizeirechtliche Generalklausel nach Art. 11 PAG als Ermächtigungsgrundlage Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Schutzgüter Für eine Gefahrenabwehrmaßnahme nach Art. 11 PAG muss einer der Schutzbereiche betroffen sein: Öffentliche Sicherheit Öffentliche Ordnung „Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte oder Rechtsgüter des Einzelnen sowie Einrichtungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt.“* „Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Vorrausetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird.“* * Def. nach dem PrOVG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 9 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Beispiele Anwendungsfälle 1. „Warnung vor polizeilicher Geschwindigkeitskontrolle“ Rentner R stellt am Straßenrand ein Schild mit der Aufschrift „Vorsicht! Radarkontrolle!“ auf. Eine vorbeikommende Polizeistreife will das Schild sicherstellen. Zu Recht? 2. „Unterbringung von schutzbedürftigen Personen“ Obdachloser O und seine Familie, darunter 2 Kleinkinder, werden in einer sehr kalten Winternacht von der Polizei in ein Obdachlosenheim untergebracht. Ist das Eingreifen der Polizei begründet? Variante: Die Polizei bringt O und seine Familie in einer Wohnung des Eigentümers A unter. Darf sie das? Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei 3. „Hausbesetzung“ (hierzu auch Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 2013, S. 22 Rn. 13) Eine Gruppe junger Leute hat ein nicht bewohntes Haus besetzt und zerstört dort Fensterscheiben und beschmiert die Wände. Der Hauseigentümer hat bereits Strafantrag gestellt. Darf auch die Polizei eingreifen? 4. „Alkoholkonsum“ (hierzu auch Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 2013, S. 36 Rn. 17 ff.) A betrinkt sich in der Fußgängerzone und wirft leere Bierdosen auf die Straße. Darf die Polizei einschreiten? Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 10 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Gefahrenbegriff BVerwGE 45, 51 (57): „Nach allgemeiner Auffassung liegt eine ‚Gefahr‘ vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird […].“ Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei • Konkrete Gefahr: „Im einzelnen Fall“; relevant für Befugnis • Abstrakte Gefahr: Wenn nach der Lebenserfahrung in gedachten, typischen Fällen mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen ist; wichtig für Aufgabeneröffnung • Gegenwärtige Gefahr: Besondere zeitliche Nähe zum Schaden • Erhebliche Gefahr: Qualitativ gesteigerte Gefahr • Gefahr im Verzug • Gefahrenverdacht: Polizei ist sich der Unsicherheit ihres Kenntnisstandes bewusst -> Gefahrerforschungseingriffe <-> Anscheinsgefahr: ex ante Sicht! <-> Putativgefahr: schuldhafte Falschprognose Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 11 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Beispiele Anwendungsfälle 1. Ein Teilabschnitt des Rheins ist beliebtes Ausflugsziel von Badegästen. Aufgrund der dort herrschenden starken Strömungen ist es in der Vergangenheit jedoch vermehrt zu Badeunfällen gekommen. Dies hält die Menschen jedoch nicht davon ab, weiter dort zu baden. Dürfen die Behörden einschreiten und das Baden an diesem Abschnitt verbieten? 2. Auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums entdeckt der Polizist P den in der Mittagssonne stehenden Jeep. Im Kofferraum des Fahrzeugs befindet sich ein Hund. Trotz Außentemperaturen über 35 Grad sind die Fenster des Pkw verschlossen. P sorgt sich um den Gesundheitszustand des ersichtlich erschöpften Hundes. Darf die Polizei eingreifen? 3. Ein Mann nimmt auf offener Straße eine Frau als Geisel. Der hinzukommende Polizist greift ein. Dabei konnte er nicht erkennen, dass es sich lediglich um eine Filmszene handelte. Abwandlung: Der Beamte hätte bei genauerem Hinsehen erkennen können, dass auf der anderen Straßenseite ein Kamerateam filmt. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Übersicht Störerbegriff Wer kann als Verantwortlicher für die Polizei- und ordnungsbehördliche Gefahrenabwehr in Anspruch genommen werden? Verhaltensstörer (Art. 7 PAG) unmittelbar: durch eigenes Handeln • durch Aufsichtspflicht • als Geschäftsherr • als Zweckveranlasser Zustandsstörer (Art. 8 PAG) Eigentümer Inhaber der tatsächlichen Gewalt Bei mehreren „Störern“/ Verantwortlichen: Auswahlermessen Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 12 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Pflichtigkeit im Einzelnen: • Handlungsstörer durch Tun oder Unterlassen • Juristische Personen • Anscheins- und Verdachtsstörer • Zweckveranlasser • Zustandsverantwortlicher für Sachen und Tiere • Verantwortlichkeit über derelinquierte Sachen • Verantwortlichkeit bei Rechtsnachfolge • Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Dritter Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Fallbeispiel zur Störereigenschaft „Das Schaufenster“ (nach PrOVGE 85, 270) Der Geschäftsmann G hat sich auf den Verkauf von Dessous spezialisiert. Neuerdings lässt er diese durch echte Models in den Schaufenstern seines Geschäfts präsentieren. Die neue Geschäftsidee des G scheint aufzugehen. Zumindest bilden sich große Ansammlungen vorbeikommender Passanten, die zum Teil auf dem Gehweg, der vor dem Geschäft des G verläuft, nicht genug Platz finden und daher auch auf die vorbeiführende Straße ausweichen. Es kommt zu einer Verkehrsbehinderung. Ist G Störer im polizeirechtlichen Sinne? Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 13 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Art. 4 PAG: „Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt.“ Ist die polizeiliche Maßnahme 1. zur Erreichung des Zwecks geeignet? (Mittel einsetzbar, tatsächlich und rechtlich möglich?) Beispiele: Gegenüber einem Rollstuhlfahrer wird eine Platzverweisung ausgesprochen, der er mangels Rampe nicht nachkommen kann. Teilnehmern einer Demonstration wird zur Auflage gemacht, jede Beeinträchtigung des Fußgänger- und Straßenverkehrs zu vermeiden. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei 2. zur Erreichung des Zwecks erforderlich? (am wenigsten beeinträchtigend? Gibt es eine gleich geeignete, aber weniger beeinträchtigende Maßnahme?) Beispiele: Individualverfügung statt Allgemeinverfügung; VA mit Befristung statt mit Dauerwirkung; Auflagen statt Nutzungsverbot; Teilabbruch statt vollständiger Beseitigung 3. zur Erreichung des Zwecks angemessen? Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Güterabwägung; Maßnahme darf keinen Schaden nach sich ziehen, der zum angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht) Beispiel: Abschleppen eines Fahrzeuges, das zwar verkehrswidrig parkt, aber niemanden behindert. Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 14 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Grundrechte als Abwehrrechte Da das polizei- und ordnungsbehördliche Handeln einen Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen darstellen kann, muss das Handeln verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. • • Bei Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt ist die Verfassungsmäßigkeit der in Betracht kommenden Norm des Polizei- und Sicherheitsrechts zu prüfen. Bei Grundrechten ohne Gesetzesvorbehalt können Eingriffe in Grundrechte gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutze anderer Verfassungsgüter erforderlich sind. Grundrechte als Schutzrechte • Anspruch auf polizeiliches Einschreiten aus Grundrechten? Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 2 Aufgaben der Polizei Ermessen, Art. 5 PAG „Die Polizei trifft ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. “ Polizei- und ordnungsbehördliches Ermessen umfasst: •Entschließungsermessen: Frage, „ob“ die Polizei- oder Ordnungsbehörde tätig wird •Auswahlermessen: Frage des „Wie“ des Handelns Ermessensfehler: •Ermessensnichtgebrauch •Ermessensfehlgebrauch •Ermessensunterschreitung/-überschreitung Ermessensreduktion auf Null: Pflicht zum Einschreiten Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 15 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Spezialbefugnisse Polizeirechtliche Spezialbefugnisse in Bayern: Geregelt in Art. 12 ff. PAG Sie ermächtigen zu bestimmten Maßnahmen zur Abwehr bestimmter Gefahren und sind vorrangig gegenüber der polizeilichen Generalklausel. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Identitätsfeststellung, Art. 13 PAG • Mittel zum Zweck, andere polizeiliche Maßnahmen zu ermöglichen • Unterschiedliche Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1: o Nr. 1: Konkrete Gefahr o Nr. 2-5: Anknüpfung an einen bestimmten Ort Problem „Schleierfahndung“ o Nr. 6 PAG: Schutz privater Rechte • Erlaubte Maßnahmen insb. anhalten, festhalten nur „wenn die Identität auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann“ Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 16 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Fallbeispiel zur Identitätsfeststellung (nach OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.06.2013 – 11 LA 1/13 –, NVwZ 2013, 1498) A wendet sich gegen eine Identitätsüberprüfung durch die Polizei in M am Rande einer dort stattfindenden Versammlung. Das Verhalten des A und seiner Begleiterin, die durch „Buttons“ an ihrer Kleidung als Angehörige der Interessengemeinschaft „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ zu erkennen waren, erweckte den Eindruck, Nahaufnahmen von den Polizeibeamten zu erstellen. War die Maßnahme rechtmäßig? Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Lösungsskizze • Rechtsgrundlage: Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 PAG • Gemäß Art. 13 Abs. 2 S. 1, 2 PAG kann die Polizei zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen und den Betroffenen insbesondere anhalten, ihn nach seinen Personalien befragen und verlangen, dass er mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt. • Hier: Gefahr der Begehung von Straftaten nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. §§ 33 KunstUrhG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 17 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Platzverweisung, Art. 16 PAG • Vorübergehende Verweisung von einem Ort oder vorübergehendes Betretungsverbot eines Orts Beispiele: Die Polizei wird zu einer Schlägerei gerufen und bringt die Beteiligten durch Platzverweisung auseinander. Bewohner eines Hauses werden aus dem Haus verwiesen, weil auf dem Grundstück ein Blindgänger gefunden wurde. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Fallbeispiel zur Platzverweisung bzw. zum Aufenthaltsverbot (nach VGH München, Beschl. v. 18.02.1999 – 24 CS 98.3198 –, NVwZ 2000, 454) D hält sich in M auf und ist bereits mehrfach wegen Verstößen gegen das BtMG in Erscheinung getreten. Nach einer Anhörung erlässt die Stadt M gegen den D einen Bescheid, indem diesem untersagt wird, sich, für die Dauer von 12 Monaten ab Zustellung des Bescheides, auf allen öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen in den Bereichen der näheren Umgebung des Hauptbahnhofes einschließlich des Alten Botanischen Gartens, der Gebiete um die Bereiche der U-Bahnhöfe U- und G-Straße einschließlich L-Park, der M-Freiheit mit angrenzenden nördlichen Bereich, des Ostbahnhofs und des O-Platzes einschließlich der O-Straße und der P-Wiese gemäß den schraffierten Flächen in den anliegenden Lageplänen aufzuhalten. Unerlaubter Drogenkonsum und -besitz sowie der Handel gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Aufgrund polizeilicher Erkenntnisse steht fest, dass sich in den genannten Gebieten eine sogenannte Drogenszene gebildet und verfestigt hat. Unbenommen blieben alle persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens, wie etwa das Einkaufen oder der Besuch von Verwandten. Ist die Verweisung des D aus den aufgeführten Gebieten rechtmäßig? Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 18 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Lösungsskizze I. Ermächtigungsgrundlage 1. VersG 2. Art. 16 PAG 3. Aufenthaltsverbot – Verfassungsmäßigkeit, Art 73 I Nr. 3 GG II. Formelle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes 1. Zuständigkeit 2. Verfahren – Anhörung des D 3. Form II. Materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes 1. Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 LStVG (+) Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen 2. Problem: Art. 7 Abs. 4 LStVG Grundrecht des D aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 102 Abs. 1 BV eingeschränkt? Rspr. des BVerfG und h.L.: Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG: Garantie der körperlichen Bewegungsfreiheit; nicht: Befugnis sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hin bewegen zu dürfen 3. Störereigenschaft des D 4. Verhältnismäßigkeit, insb. Geeignetheit 5. Bestimmtheit Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 19 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Gewahrsam, Art. 17 PAG • • • • • Schutzgewahrsam, Art. 17 I Nr. 1 PAG Sicherheitsgewahrsam, Art. 17 I Nr. 2 PAG Gewahrsam zur Durchsetzung einer Platzverweisung, Art. 17 I Nr. 3 PAG Ingewahrsamnahme von Minderjährigen, Art. 17 II PAG Gewahrsamnahme Entwichener, Art. 17 III PAG Vorrausetzungen der Freiheitsentziehung (Richtervorbehalt), Rechte des Festgehaltenen, Dauer des Freiheitsentzuges Beispiel: Polizei umringt Demonstranten und schließt sie derart auf engem Raum ein, dass sie gehindert sind, sich weg zu bewegen (Polizeikessel). Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Durchsuchung, Art. 21 PAG • Abgrenzung Durchsuchung – Untersuchung • Wichtig: Verfassungskonforme Auslegung, Erfordernis einer erhöhten abstrakten Gefahr, vgl. VGH München vom 07.02.2006 – Vf. 69-VI-04 –, BayVBl 2006, 339 Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 20 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Sicherstellung, Art. 25 PAG • Rahmen (Berührung des Grundrechts auf Eigentum, Art. 14 GG) • Abgrenzung zur strafprozessualen Beschlagnahme, §§ 94 ff., 111b ff. StPO • Spezialität bei Sicherstellung von Waffen, Munition, Pässen (nach WaffG und PaßG) • Problem: Abschleppfall Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen (P) Abschleppen eines Kraftfahrzeugs I. Rechtsgrundlage? 1. Abhängig davon, wie die Maßnahme rechtlich zu qualifizieren ist Sicherstellung nach Art. 25 PAG: -> entscheidend: wie das Abschleppen durchgeführt wird • Bloßes Versetzen => kein Gewahrsam => atypische Maßnahme, Art. 11 PAG • Verbringen des Fahrzeugs auf den Polizei- oder Abschlepphof => Sicherstellung, Art. 25 PAG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 21 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen II. Problem in Bayern bei Abschleppen eines Pkws ohne vorheriges Wegfahrgebot aufgrund Doppelnormierung Abgrenzungsschwierigkeiten unmittelbare Ausführung – Sofortvollzug • • Grds.: Vorrang der unmittelbaren Ausführung gegenüber dem Sofortvollzug Abgrenzungskriterium: Willensrichtung des Betroffenen entgegenstehender Wille Sofortvollzug, Art. 53 Abs. 2 PAG • (mutmaßliches) Einverständnis unmittelbare Ausführung, Art. 9 PAG Weiteres Abgrenzungskriterium: Vertretbare Handlung -> Art. 9 PAG <-> Wegfahrgebot gegenüber anwesendem Fahrer => Art. 53 Abs. 1, 55 PAG • Problem: Verkehrszeichen Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen 1. Abgrenzung: (-) Sofortvollzug (Art. 53 II PAG) (-) Vertretbare Handlung (+) Unmittelbare Ausführung (Art. 9 PAG) 2. Abgrenzung: Hypothetischer Wille Sicherstellung, Art. 25 PAG (+) => im Zweifel verhält sich Bürger rechtstreu Atypische Maßnahme, Art. 11 PAG Abgrenzung anhand der Begründung (+) von Gewahrsam bei Verbringen in eine Verwahrstelle der Polizei Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht (+) bei bloßem Versetzen im öffentl. Verkehrsraum 22 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen III. Zuständigkeitsfragen • Vollzug nur eigener Verwaltungsakte => Problem Verkehrszeichen • „Münchner Modell“: 1. Feststellung des verbotswidrigen Parkens durch kommunale Verkehrsüberwachung 2. Telefonische Mitteilung an Polizeibeamten 3. Auftrag an den Bediensteten der kommunalen Verkehrsüberwachung, ein Abschleppunternehmen zu beauftragen Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen Verwahrung, Art. 26 PAG • Durchführung der Sicherstellung durch amtliche Verwahrung • Öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis • Andere Formen der Verwahrung (je nach Beschaffenheit der zu verwahrenden Sache und den Verwahrungsmöglichkeiten) • Verwahrung durch Dritte Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 23 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Gesetzliche Grundlagen der Verwaltungsvollstreckung Vollstreckungstitel: Grund-VA einer Bundesbehörde einer Landes-/Kommunalbehörde Geldleistungsbescheid (Beitreibung) Erzwingung von Handlungen, Duldungen, Unterlassungen Geldleistungsbescheid (Beitreibung) Erzwingung von Handlungen, Duldungen, Unterlassungen erfolgt durch Vollstreckungsanordnung (§ 3 VwVG) erfolgt durch - Ersatzvornahme - Zwangsgeld oder - unmittelbaren Zwang (§§ 9 ff. VwVG) erfolgt durch Pfändung (Art. 26 III VwZVG) erfolgt durch - Zwangsgeld - Ersatzvornahme - Ersatzzwangshaft oder - unmittelbaren Zwang (Art. 29 ff. VwZVG) nach dem Verfahren der Abgabenordnung (§ 5 VwVG) idR nach Mahnung (Art. 23 I Nr. 3 VwZVG) idR im 2-stufigen Vf. - Androhung - Anwendung (Art. 36, 37 VwZVG) Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Rechtsgrundlagen der Verwaltungsvollstreckung nach dem VwZVG Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen => Art. 18 ff. VwZVG - wirksamer VA, Art. 18 I VwZVG vollstreckbare Grundverfügung, Art. 19 VwZVG kein Fall des Art. 22 VwZVG Gelten für alle Vollstreckungsarten! Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 24 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Rechtsgrundlagen der Verwaltungsvollstreckung Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen Vollstreckung von VAe, mit denen eine Geldleistung gefordert wird => Art. 23 ff. VwZVG Vollstreckung von VAe, mit denen eine Handlung, Duldung oder Unterlassung gefordert wird => Art. 29 ff. VwZVG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Vollstreckung eines Leistungsbescheides Formelle Voraussetzungen - Zuständigkeit - Verfahren - Form/Begründung Materielle Voraussetzungen - Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen (s.o.) - Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen o Zustellung des Leistungsbescheides, Art. 23 I Nr. 1 VwZVG o fällige Forderung, Art. 23 I Nr.2 VwZVG o Mahnung, Art. 23 I Nr. 3 VwZVG o Vollstreckungsanordnung, Art. 24 VwZVG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 25 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Vollstreckung eines sonstigen Verwaltungsaktes Formelle Voraussetzungen - Zuständigkeit - Verfahren - Form/Begründung Materielle Voraussetzungen - Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen (s.o.) - Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen o Wahl des richtigen Zwangsmittels o angemessene Frist, Art. 36 I 2 VwZVG o Androhung eines bestimmten Zwangsmittels, Art. 36 III-V VwZVG o fehlerfreie Ermessensausübung, Art. 29 I, III VwZVG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Gestrecktes Vollstreckungsverfahren – Mittel: Die Ersatzvornahme im Polizeirecht Androhung Art. 59 PAG Ersatzvornahme nur bei vertretbaren Handlungen Selbst- oder Fremdvornahme Art. 55 PAG nicht Geld fordern der Behörde Kostenerstattung Grund VA Grund-VA Pflichtiger Vornahme d. Hdlg. (Duldungspflicht) Priv-r. Vertrag Priv. Untern. Beachte: Androhung kann bzw. (bei Ausschluss des Suspensiveffekts) soll mit dem Grund-VA verbunden werden, Art. 59 II PAG Keine Anhörung nötig wg. § 28 II Nr. 5 VwVfG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 26 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Gestrecktes Vollstreckungsverfahren – Verhältnis zum Grund-VA Androhung Art. 59 PAG Ersatzvornahme nur bei vertretbaren Handlungen Selbst- oder Fremdvornahme Art. 55 PAG nicht Geld fordernder Grund VA Beachte das vollstreckungsrechtliche Abstraktionsprinzip!! Grund-VA muss nur wirksam, nicht aber rechtmäßig sein (str.!) a.A. (Konnexitätsthese): Rechtswidrigk. beachtlich, solange nicht bestandskräftig aber: Grund-VA muss unanfechtbar oder sofort vollziehbar sein Beachte insb. analoge Anwendung von § 80 II 1 Nr. 2 VwGO auf Verkehrszeichen Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Gestrecktes Vollstreckungsverfahren – Mittel: Zwangsgeld Androhung Art. 59 PAG nicht Geld fordernder Grund VA Ersatzvornahme Art. 55 PAG Festsetzung Androhung Art. 59 PAG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht nur bei vertretbaren Handlungen Selbst- oder Fremdvornahme Zwangsgeld Art. 56 PAG insb. bei unvertretbaren Handlungen o. Duldungs- o. Unterlassungspflicht (Schulpflicht; Auskunftserteilung; Impfpflicht) auch bei vertretbaren Handlungen nur Beugemittel, nicht Strafe: Art. 54 III, 56 III 2 PAG 27 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Gestrecktes Vollstreckungsverfahren – Mittel: Unmittelbarer Zwang Androhung Art. 59 PAG nicht Geld fordernder Ersatzvornahme Art. 55 PAG Festsetzung Zwangsgeld Androhung Art. 59 PAG Grund VA Art. 56 PAG Androhung Art. 59, 64 PAG nur bei vertretbaren Handlungen Selbst- oder Fremdvornahme Unmittelb. Zwang Art. 58, 60 ff. PAG insb. bei unvertretbaren Handlungen o. Duldungs- u. Unterlassungspflicht auch bei vertretbaren Handlungen nur Beugemittel, nicht Strafe: Art. 54 III, 56 III 2 PAG ultima ratio => nur subsidiär, Art. 58 I 1 PAG Todesschuss, Art. 67 PAG trotz Art. 60 II PAG: §§ 32 ff. StGB EGL Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Winteremester 2015/16 Sofortvollzug Ohne Grund-VA Art. 53 II PAG: Ersatzvornahme Art. 55 PAG z.B. Kfz-Halter eines falsch geparkten Fahrzeugs ist nicht erreichbar Beachte : Abgrenzung der unmittelbaren Ausführung zum Sofortvollzug Sofortvollzug innerhalb d. Befugnisse (= rm. fiktiver GrundVA) ggw. Gefahr erforderlich = GrundVA nicht o. nicht rechtzeitig mgl Unmittelb. Zwang Art. 59 I 3 PAG: i.d.R. keine Androhung Art. 58, 60 ff. PAG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 28 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Vollstreckung im gestreckten Verfahren: Die 2. Stufe Androhung Art. 59 PAG nicht Geld fordernder Grund VA Ersatzvornahme Art. 55 PAG Kostenbescheid Beitreibung Art. 1 ff. VwZVG Art. 55 I 2, 3 PAG Festsetzung Androhung Art. 59 PAG Zwangsgeld Art. 56 PAG Androhung Art. 59, 64 PAG Unmittelb. Zwang Beachte: § 28 II Nr. 5 VwVfG gilt nicht für den Kostenbescheid => Anhörung nötig Art. 58, 60 ff. PAG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Vollstreckung im gestreckten Verfahren: Die 2. Stufe Androhung Art. 59 PAG nicht Geld fordernder Ersatzvornahme Art. 55 PAG Festsetzung Androhung Art. 59 PAG Grund VA Androhung Art. 59, 64 PAG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht Kostenbescheid Beitreibung Art. 18 ff. VwZVG Art. 55 I 2, 3 PAG Normalfall: Beitreibung Zwangsgeld Art. 18 ff. VwZVG Art. 56 PAG Nur wenn Zwangsgeld haft Art. 57 PAG uneinbringlich mit Anordnung des VG Ersatzzwang- Unmittelb. Zwang Art. 58, 60 ff. PAG 29 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Vollstreckung im gestreckten Verfahren: Die 2. Stufe Androhung Art. 59 PAG nicht Geld fordernder Ersatzvornahme Art. 55 PAG Kostenbescheid Grund VA Androhung Art. 59, 64 PAG Art. 18 ff. VwZVG Art. 55 I 2, 3 PAG Normalfall: Festsetzung Androhung Art. 59 PAG Beitreibung Beitreibung Zwangsgeld Art. 18 ff. VwZVG Art. 56 PAG Nur wenn Zwangsgeld haft Art. 57 PAG uneinbringlich mit Anordnung des VG Unmittelb. Zwang Art. 58, 60 ff. PAG Ersatzzwang- Gebühren bescheid Art. 58 III PAG, KostG Mahnung Art. 23 I Nr. 3 VwZVG Beitreibung Art. 18 ff. VwZVG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Sofortvollzug Ohne Grund-VA Art. 53 II PAG: Ersatzvornahme Art. 55 PAG Kostenbescheid Beitreibung Art. 18 ff VwZVG Art. 55 I 2, 3 PAG Sofortvollzug z.B. Kfz-Halter eines falsch geparkten Fahrzeugs ist nicht erreichbar innerhalb d. Befugnisse (= rm. fiktiver GrundVA) ggw. Gefahr erforderlich = GrundVA nicht o. nicht rechtzeitig mgl Unmittelb. Zwang Gebühren bescheid Art. 59 I 3 PAG: i.d.R. keine Androhung Art. 58, 60 ff. PAG Art. 58 III PAG, KostG Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht Mahnung Beitreibung Art. 18 ff VwZVG 30 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Rechtsnatur der Vollstreckungsmaßnahmen ? Androhung Art. 59 PAG nicht Geld fordernder Ersatzvornahme Art. 55 PAG Kostenbescheid Normalfall: Festsetzung Androhung Art. 59 PAG Grund VA Androhung Art. 59, 64 PAG Beitreibung Art. 18 ff VwZVG Art. 55 I 2, 3 PAG Beitreibung Zwangsgeld Art. 18 ff VwZVG Art. 56 PAG Art. 57 PAG Nur wenn Zwangsgeld uneinbringlich mit Anordnung des VG Unmittelb. Zwang Art. 58, 60 ff. PAG Ersatzhaft Gebühren bescheid Mahnung Art. 58 III PAG, KostG Beitreibung Art. 18 ff VwZVG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Rechtsschutz im gestreckten Vollstreckungsverfahren Grund VA Androhung Art. 59 PAG = VA = VA Ersatzvornahme Kostenbescheid Art. 55 PAG Art. 55 I 2, 3 PAG = VA str. 1. A-Kl (ggf § 80 V VwGO) Begr.: EGL: zB § 11 Formelle RM Materielle RM 2. A-Kl / § 80 V VwGO Begr.: EGL: Art. 53, 55, 59 PAG Formelle RM Mat. RM: s. 3. + insb. - Art. 59 I 2 (Fristsetzung) - Art. 59 III (Bestimmtheit) Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht Beitreibung Art. 18 ff. VwZVG 3. Lstg.-Kl / § 123 VwGO Begr.: EGL: Art. 55 PAG Formelle RM: - Anhörg. unnötig, jdf. Art. 28 II Nr. 5 VwVfG - ordnungsgem. Androhung, Art. 59 PAG Materielle RM - richtiges Zwangsmittel - wirksamer Grund-VA genügt!! - vollstreckbarer Grund-VA - Zwangsmittelanwendung (VHM) - nachträgl. VollstrHindernis? 31 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 4 Anwendung von Zwang Fallbeispiel Ersatzvornahme: Ein Fahrzeugführer weigert sich, sein ordnungswidrig geparktes und den Verkehr behinderndes Fahrzeug wegzufahren. Dies erfolgt daraufhin durch einen von Polizeibeamten beauftragten Abschleppunternehmer. Fallbeispiel Zwangsgeld: A weigert sich, einer polizeilichen Vorladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nachzukommen. Die Vorladung kann zwangsweise durchgesetzt werden, Art. 15 III Nr. 2 PAG. Fallbeispiel unmittelbarer Zwang: Der Nachbar N hört Hilferufe aus der Wohnung seines Nachbarn B. Nach mehrfachem Klingeln und Klopfen an der Tür seines Nachbarn bricht die hinzugerufene Polizei das Türschloss auf. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 4 Anwendung von Zwang Schusswaffengebrauch, insb. der finale Rettungsschuss • Problematik: Eingriff des Grundrechts auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG • In Bayern: Art. 66 II S. 2 PAG zulässig als ultima ratio: Es darf keine andere Möglichkeit bestehen, die Gefahr abzuwenden • Präventiv: zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 32 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 4 Anwendung von Zwang Fallbeispiel: A und B haben ein Bank ausgeraubt und befinden sich auf der Flucht. Sie haben schon mehrere Personen getötet und einen Bankangestellten als Geisel genommen, den sie ebenfalls mit dem Tode bedrohen. Die Einsatzleitung ordnet, als die Scharfschützen der Polizei freie Sicht haben, die Erschießung der bewaffneten Geiselnehmer an, da eine alternative Möglichkeit, das Leben des Geisels zu retten, nicht bestand. Die Maßnahme ist nach Art. 66 II i.V.m. Art. 67 I Nr. 1 und 2 PAG gerechtfertigt. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 5 Entschädigungs-, Erstattungs- und Ersatzansprüche Grundsatz: Rechtmäßige Maßnahmen sind vom Störer entschädigungslos hinzunehmen 1. Schadensausgleich zugunsten nichtverantwortlicher Personen, Art. 70 I PAG • • • • • • Inanspruchnahme muss ursächlich für den entstandenen Schaden sein Kein Schadenausgleich zugunsten „Jedermann“, sondern zugunsten Nichtverantwortlicher iSv. Art. 10 PAG Subsidiarität Umfang ist angelehnt an den Aufopferungsgedanken des BGH: „angemessener“ Ausgleich (= Kompensation der erlittenen Nachteile) Aber kein voller Schadenersatzanspruch wie im Falle einer Amtspflichtverletzung Problem: Anscheinsstörer Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 33 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 5 Entschädigungs-, Erstattungs- und Ersatzansprüche 2. Schadensausgleich bei rechtswidrigen Maßnahmen • Amtshaftung, enteignungs- und aufopferungsgleicher Eingriff Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/2016 Ausgangspunkt • Staatshaftung als Sekundärrechtsschutz • Ausgleich von „Schäden“ aus Verwaltungshandeln • demgegenüber insb. AK und VK als Primärrechtsschutz zur Abwehr rechtswidrigen Verwaltungshandelns • Fehlende Systematik des deutschen Staatshaftungsrechts • keine einheitliche Normierung • Staatshaftungsgesetz 1981 wegen fehlender Bundeskompetenz verfassungswidrig • heutige Bundeskompetenz des Art. 74 I Nr. 25 GG bislang nicht genutzt Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 34 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/2016 Zielsetzung der staatshaftungsrechtlichen Einzelansprüche • Haftung des Staates wg. Pflichtverletzungen • Amtshaftung (§ 839 BGB/Art. 34 GG) • Ansprüche aus ör Schuldverhältnissen inkl. ör GoA (§§ 280, 677 ff BGB analog) • Ersatz für Eingriffe in das Eigentum oder bestimmte nichtvermögenswerte Rechte • Enteignungsentschädigungen (Art. 14 III GG iVm Spezialgesetz) • Enteignungsgleicher und enteignender Eingriff • Aufopferungsansprüche (z.T. Art. 70 ff. PAG) • Rückgängigmachung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen • ör Erstattungsansprüche • Beseitigung rw Folgen von Verwaltungshandeln • Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/2016 Eigentum iSd Art. 14 GG Enteignung Art. 14 III GG Inhalts-/Schrankenbestimmung Art. 14 I 2, II GG rechtmäßig rechtswidrig Kein Primärrechtsschutz Vorrangig Primärrechtsschutz Entschädigung nach Art. 14 III 2, 3 GG Subsidiär: Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff (nicht bei förmlichen Gesetzen) Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht Sonstige Eingriffe rechtmäßig Kein Primärrechtsschutz Finanzieller Ausgleich für unzumutbare, aber typische Ausnahmefolgen bei I/S Anspruch aus enteignendem Eingriff bei atypischen Nebenfolgen (auch bei förmlichen G. ) 35 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 5 Entschädigungs-, Erstattungs- und Ersatzansprüche Fallbeispiel Schadenausgleich (nach BGHZ 117, 303): Kälbermäster B hatte einen Bestand von etwa 300 Kälbern von einem Betrieb übernommen, bei dem die Verwendung verbotener hormoneller Masthilfsmittel festgestellt wurde. Die zuständige Behörde ordnete die Schlachtung von fünf Kälbern des B zum Zwecke der Untersuchung an, ob diese – möglicherweise vor dem Verkauf an B - mit Hormonen behandelt worden sind. Weder die Stichproben noch der später bei der Schlachtung ebenfalls untersuchte Restbestand wiesen Hinweise auf den Einsatz verbotener Mastmittel auf. Kann B Schadensausgleich verlangen? Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 6 Gefahrenabwehrverordnungen Verordnung als Form der Gefahrenabwehr, Art. 16 ff. LStVG • • • • Rechtsnorm für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet Abgrenzung zu Gefahrenabwehrverfügung (konkreter Einzelfall) Voraussetzungen: 1. Regelung zur Gefahrenabwehr 2. Erforderlich zur Abwehr einer Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung (abstrakte Gefahr ausreichend) 3. Verhältnismäßigkeit 4. Adressaten sind Verantwortliche i.S.v. Art. 9 LStVG 5. Ordnungsgemäße Verkündung: Kenntnisnahme der Öffentlichkeit muss möglich sein 6. Rückwirkungsverbot Beispiel: HundeVO zur Regelung des Haltens gefährlicher Hunde Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 36 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 6 Gefahrenabwehrverordnungen Prüfschema zur Überprüfung einer Verordnung I. Ermächtigungsgrundlage II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit, insb. Art. 42 LStVG 2. Verfahren, insb. Art. 51 LStVG III. Materielle Rechtmäßigkeit, insb. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 6 Gefahrenabwehrverordnungen Fallbeispiel „Gefährliche Hunde“ Die Gemeinde M erlässt durch Verordnung eine Maulkorbpflicht für Kampfhunde i.S.d. Art. 37 I 2 LStVG in öffentlichen Anlagen sowie auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen. A ist Besitzer eines Kampfhundes i.S.d. sicherheitsrechtlichen Vorschrift und ist der Meinung, sein Hund sei völlig harmlos. Er verzichtet daher bewusst auf das Anlegen eines Maulkorbes. Im Übrigen ist er der Ansicht, die Verordnung sei ungültig; die Ermächtigungsgrundlage lasse eine solche Maßnahme nicht zu. Die Gemeinde hingegen verweist auf Art. 18 LStVG. Wie ist die Rechtslage? Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 37 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 6 Gefahrenabwehrverordnungen Lösungsskizze • • Ermächtigungsgrundlage: Art. 18 I 1 LStVG Formelle Rechtmäßigkeit o Zuständigkeit • Materielle Rechtmäßigkeit Gem. Art. 18 I 2 LStVG können die Gemeinden nur „das freie Umherlaufen“ von Kampfhunden i.S.d. Art. 37 I 2 LStVG einschränken. Nicht von der Ermächtigung umfasst ist die Verhängung einer Maulkorbpflicht, sodass die Verordnung jedenfalls aus diesem Grund ungültig ist. Zulässig wäre bspw. die Anordnung einer Leinenpflicht. Exkurs: Unberührt bleibt die Möglichkeit einer Benutzungssatzung nach Art. 24 I Nr. 1 GO Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht Versammlungsrecht als Sonderordnungsrecht I. Zweck Abwehr von Gefahren durch die Ansammlung vieler Menschen. Schutz der Versammlungsfreiheit, aber auch Schutz vor Beeinträchtigung der Grundrechte durch eine Versammlung II. Begriff der Versammlung iSd. Art. 8 GG • In Bayern: Art. 2 I BayVersG • Örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen (Absicht) • zu einem gemeinsamen Zweck • Ziel: Kundgebung und Erörterung zur Teilhabe an öff. Meinungsbildung III. Arten der Versammlungen 1. öffentliche / nicht öffentliche Versammlung 2. Versammlung unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen 3. stationäre Versammlung (bleibt an einem Ort) und Aufzüge (bewegt sich) Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 38 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht Verhältnis Versammlungsrecht - Polizeirecht • „Polizeifestigkeit“ des VersR= Vorrang des VersG vor dem „allgemeinen“ POR • Bei jeder Spezialermächtigung im VersG ist zu prüfen, ob sie abschließend ist oder daneben das POR zur Anwendung kommt • Grundsatz: Abwehr versammlungstypischer Gefahren aus dem Zusammenkommen vieler Menschen? Dann VersG abschließend! Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht Vorschriften des Versammlungsgesetzes 1. Erlaubnisfreiheit und Anmeldepflicht 2. Pflichten der Veranstalter im Vorfeld 3. Rechte/Pflichten während der Veranstaltung 4. Teilnehmerpflichten 5. Präventive Eingriffsbefugnisse Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 39 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht Fallbeispiel Versammlungsrecht (angelehnt an Schoch, Übungen im Öffentlichen Recht II, 1992, Fall 5) Im Januar mietete der Verein V im Konferenzzentrum D in der bayerischen Stadt A einen Raum für eine geschlossene Veranstaltung für den 15.04.2015. Der gebuchte Raum befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes und ist aufgrund seiner großflächigen Verglasung auch von außen fast vollständig einsehbar. Für die Veranstaltung haben sich hundert Teilnehmer angemeldet. Der Verein ist nicht zuletzt wegen Äußerungen seines Vorsitzenden zu Fragen der Einwanderungspolitik in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. In der Vergangenheit kam es schon zu diversen Protestbewegungen gegen Veranstaltungen des Vereins, welche nicht selten Personen- und Sachschäden zur Folge hatten. Nachdem bekannt wurde, dass der Verein am 15.04.2015 eine Veranstaltung in A plant, wurden Gegendemonstrationen bei den Ordnungsbehörden angemeldet. Darüber hinaus gingen anonymisierte Schreiben ein, in welchen erhebliche Proteste angekündigt wurden. Des Weiteren liegen den Behörden auch Hinweise aus sicheren Quellen vor, dass bereits einige Vereinigungen umfangreiche Vorbereitungen für ein militantes Vorgehen getroffen haben. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht Nach Besichtigung der Lage vor Ort wurde am 14.04.2015 wegen nicht auszuschließender gewalttätiger Gegendemonstrationen und nach vorheriger Information des Vereins, die Durchführung der Veranstaltung durch die zuständige Sicherheitsbehörde durch einen mit einer entsprechenden Begründung versehenen Bescheid untersagt. Die geplante Veranstaltung am 15.04.2015 fand daher nicht statt. Da der Verein in den nächsten Wochen und Monaten vergleichbare Veranstaltungen plant, erhebt er Klage am 20.04.2015 beim zuständigen Verwaltungsgericht. Er begehrt die Feststellung, dass die Verfügung vom 14.04.2015 rechtswidrig gewesen ist. Bearbeitervermerk: Prüfen Sie die Erfolgsaussichten der Klage des Vereins. Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 40 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht Lösungshinweise Obersatz Die Klage des Vereins hat Aussicht auf Erfolg, wenn und soweit sie zulässig und begründet ist. A. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO (+) - keine abdrängende Sonderzuweisung, insb. (-), § 23 Abs. 1 EGGVG B. Zulässigkeit der Klage I. Statthafte Klageart - klägerisches Begehren, § 88 VwGO: Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verbots vom 14.04.2015 => Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO? Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht 1. Erledigter Verwaltungsakt a) VA (+) b) Erledigung - nachträglicher Wegfall der mit dem VA verbundenen Beschwer - Hier: (+), Versammlung war geplant für den 15.04. (P) Erledigung vor Klageerhebung => keine direkte Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO => analoge Anwendung? Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 41 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht Voraussetzungen für eine Analogie 1. Regelungslücke - keine andere Klageart in der VwGO o Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO? (-), fehlende Aufhebbarkeit des VA aufgrund Erledigung o Allgemeine Feststellungsklage, § 43 Abs. 1 VwGO? (-), fehlendes Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO 2. Planwidrigkeit der Regelungslücke (+), Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht 3. Vergleichbarkeit der Interessenlagen (+), berechtigtes Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch bei einem bereits vor Klageerhebung erledigten VA II. Berechtigtes Interesse, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO - jedes aufgrund vernünftiger Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art - Hier: Wiederholungsgefahr? - Vors.: hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr (+), laut Sachverhalt sind weitere, vergleichbare Veranstaltungen geplant Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 42 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht III. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO 1. Beteiligtenfähigkeit a) Verein als jur. Person des Privatrechts, § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO i.V.m. b) Sicherheitsbehörde, § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO § 21 BGB 2. Prozessfähigkeit a) Verein (-), wird aber vertreten durch seinen Vorstand, § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 26 Abs. 1 S. 2 1. Hs. BGB b) Sicherheitsbehörde (-), wird aber ebenfalls vertreten, § 62 Abs. 3 VwGO Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht IV. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog - Ausschluss von Popularklagen - Möglichkeitstheorie (+), mögliche Verletzung der Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG V. Zuständiges Gericht, §§ 45, 52 VwGO - laut Sachverhalt (+) Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 43 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht (P) Weitere Sachurteilsvoraussetzungen (Vorverfahren, Klagefrist)? (-), systematische Stellung im Gesetz („Besondere Vorschriften für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen“) (+), systematische Stellung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO (+), Rechtssicherheit durch Fristenerfordernis infolge Bestandskraft (-), fehlende Bestandskraftfähigkeit eines erledigten VA - jedenfalls: fristgerechte Erhebung sowie Entfallen des Vorverfahrens gem. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 2 AGVwGO Zwischenergebnis Die Klage ist zulässig. Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht C. Begründetheit Obersatz Die Klage des Vereins ist begründet, wenn die Verbotsverfügung rechtswidrig gewesen und der Verein dadurch in seinen Rechten verletzt worden ist. I. Passivlegitimation II. Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung 1. Rechtsgrundlage BayVersG? Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 44 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht - Anwendungsbereich des BayVersG (-), da nichtöffentliche Versammlung, Art. 2 Abs. 3 BayVersG - Eröffnung des Anwendungsbereichs des VersG? (-), Art. 1 Abs. 1 VersG (P) Analogie? (-), keine Regelungslücke aufgrund Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 BayLStVG Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht 2. Formelle Rechtmäßigkeit a) Zuständigkeit (+), SV b) Verfahren (+), insbesondere Anhörung i.S. v. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG c) Form (+), schriftlich und mit Begründung Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 45 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht 3. Materielle Rechtmäßigkeit a) konkrete Gefahr? - hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass bei ungehindertem Ablauf des Geschehens in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird - Hier: - gewalttätige Gegendemonstrationen Personen- und Sachschäden in der Vergangenheit Schutzgüter mit Verfassungsrang, Art. 2 Abs. 2 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG Androhung in anonymisierten Schreiben Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht b) Ermessen, insb. Auswahl des richtigen Adressaten aa) Verhaltensstörer (-), Gegendemonstranten als unmittelbare Verursacher bb) Zweckveranlasser (-), besondere Schutzbedürftigkeit provokanter Versammlungen cc) Inanspruchnahme als Nichtstörer - Vors.: gegenwärtige erhebliche Gefahr - gegenwärtig? - befürchtete Störung ist bereits eingetreten oder steht mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevor Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 46 15.01.2016 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht (+) entsprechende Vorfälle in der Vergangenheit; Ankündigung weiterer Vorfälle durch anonymisierte Schreiben - erheblich? • Rechtsgüter von großem Gewicht betroffen? (+) Personen- und Sachschäden - Heranziehung des Nichtstörers als ultima ratio • Möglichkeit der (rechtzeitigen) Gefahrenabwehr durch Heranziehung des Verantwortlichen? o tatsächliche Möglichkeit? (+), Veranstalter der geplanten Gegendemonstrationen aufgrund vorheriger Ankündigung bekannt Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Sommersemester 2015 II. Allgemeiner Teil Teil 7 Versammlungsrecht o rechtliche Möglichkeit? (+), Möglichkeit der Auflagen sowie des Verbots der Gegendemonstration - Erfolglosigkeit von Maßnahmen gegen den Störer? (+), bisherige Erfahrungen, Ankündigungen - Aber: objektive Unmöglichkeit? (-), Arg.: - Versammlung in geschlossenen Räumen - Mangel an ausreichendem Sicherheitspersonal nicht ersichtlich III. Rechtsverletzung (+) IV. Ergebnis Die zulässige Klage ist auch begründet. Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 47
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