Buchempfehlungen Vielfalt in der Familie unkompliziert und humorvoll zum Thema machen: Alexandra Maxeiner und Anke Kuhl (Illustrationen) Alles Familie. Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten Klett Kinderbuch Leipzig 2010 Altersempfehlung: ab 5 Jahre „Alles Familie“ ist ein Sachbuch, das alles andere als sachlich daherkommt. Das Buch dreht sich um all jene, die Familie sein können, und um familiäre Eigenheiten und Umgangsformen. In witzigen Bildern und kurzen Erläuterungen werden eine Vielfalt an Familien- und Beziehungskonstellationen dargestellt. Sie zeigen auf charmante Art und Weise, wie einzigartig jede Familie ist: in ihren Gewohnheiten und Ritualen, der Art sich beim Namen zu rufen oder zu streiten. Dabei haben Patchworkfamilien genauso Platz wie alleinerziehende Elternteile, der eigene Geruch, gemeinsame Gewohnheiten, Streit oder „schwarze Schafe“. „Alles Familie“ ist ein Buch für jüngere Kinder. Es lädt auf humorvolle und wertschätzende Art und Weise dazu ein, über die eigene Familie ins Gespräch zu kommen. Es zeigt, wie unterschiedlich jede Familie sein kann, ohne auf Klischees und Stereotype zurückzugreifen. Die Bilder und kurzen Erläuterungen lassen Raum für eigene Gedanken und machen das Buch zu einem guten Ausgangspunkt für kreatives Arbeiten. Leben in der Illegalität, in der Migration, im Exil in Deutschland am Beispiel zweier autobiografisch fundierter Erzählungen: Ela Aslan (mit Veronika Vattrodt) Plötzlich war ich im Schatten. Mein Leben als Illegale in Deutschland. Arena Verlag Würzburg 2012 Altersempfehlung: ab 14 Jahre Der autobiografische Roman „Plötzlich war ich im Schatten“ beschreibt die Flucht eines jungen Mädchens und ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland und ihr Ringen um einen gesicherten Aufenthalt dort. Elas Vater ist Kurde und für die Gleichstellung der Kurd_innen politisch aktiv. Aufgrund von Verfolgung muss er mit einem Teil seiner Familie die Türkei verlassen. Nur die 10jährige Ela selbst bleibt vorerst bei den Großeltern zurück. Erst zwei Jahre später kann sie ihren Eltern und kleinen Geschwistern nach Deutschland folgen. Das ersehnte Wiedersehen wird von beklemmenden Gefühlen begleitet: Der Familie Aslan droht die Abschiebung und die Eltern sind durch die dauernde psychische Belastung schwer angeschlagen. Ela steht mehr und mehr in der Verantwortung, für sich und ihre Familie zu sorgen. Das Buch zeichnet die Geschichte eines jungen Mädchens unter schwierigen Lebensbedingungen, ohne sie auf vermeintliche Besonderheiten ihrer Herkunft festzulegen. Die Autorin beschreibt Elas Leben aus der Perspektive eines jungen Teenagers. Hier hat die Scham über die abgetragene Kleidung und den beengten Raum, auf dem die Familie lebt, genauso Platz wie die erste große Liebe und Elas Bemühungen um eine eigene Zukunftsperspektive. Einziger Wermutstropfen: Elas Erzählung wird durch Zitate von Personen, die sie in Deutschland kennen lernt, ergänzt. Diese etwas paternalistisch wirkende Bestätigung ihrer Geschichte hätte Ela nicht gebraucht. Das Buch ist einfach geschrieben und chronologisch angelegt. Es kann gut zum autobiografischen Schreiben mit Schüler_innen genutzt werden. Saša Stanišić Wie der Soldat das Grammofon repariert Luchterhand Literaturverlag München 2006 Altersempfehlung: ab 16 Jahre Aleksandar ist 10 Jahre als sein Großvater stirbt und er beschließt, dass alles Enden und Fertigwerden aufgehalten werden muss. Aleksandar wird zu einem Künstler des guten Unvollendeten und zeichnet Bilder auf denen immer etwas Entscheidendes fehlt: der Fluss Drina ohne Staudamm, Tito ungekämmt, Carl Lewis ohne Goldmedaille, Panzer ohne Ketten. Aleksandar ist auch ein Künstler des Geschichtenerzählens. Während er erzählt schleicht sich in seine Geschichten langsam der Krieg. Er taucht zwischen all den Gesichtern der Stadt auf, sucht sich einen Platz zwischen den Verwandten und Freunden, unterscheidet zwischen „denen“ und „uns“ und lässt am Ende nur diejenigen überleben, die „den richtigen Namen“ haben. Es dauert nicht lange, bis der Krieg Aleksandars Heimatstadt Visěgrad erreicht. Mit seinen Eltern flieht er nach Belgrad und weiter nach Deutschland. Seine Gedanken kreisen weiter um den Krieg, Menschen und Orte und immer wieder um das Mädchen Asija, die Aleksandar in den langen Nächten im Visěgrader Keller so gerne beschützen wollte. Aleksandar kehrt erst als erwachsener Mann nach Bosnien zurück. Er hat Listen gemacht. Listen von Namen und Orten, die er oftmals vergebens sucht. Es bleiben die Bilder des Unfertigen, die Aleksandar Stück für Stück zu Ende erzählt malt. „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist ein wunderbar poetisch geschriebenes Buch, welches den/die Leser_in von Anfang an in den Bann zieht. Es beschreibt die Absurdität ethnischer Kategorisierungen, die Grausamkeiten des Krieges und die Hilflosigkeit des erwachsenen Aleksandars gegenüber seiner eigenen Erfahrung. Es macht aber auch Mut für die Zukunft. Chemie und Physik anschaulich und lebensnah vermitteln – als Beispiele für den Einbezug von Interkulturalität in naturwissenschaftlichen Fächern Janina Göbel: Auf den Spuren der Chemie Comic im Eigenverlag, zu beziehen unter: http://janinagoebel.com/ (€ 5,-) Der bunte Comic im DIN A6-Format ist bunt, ausdrucksstark und witzig gestaltet. Ein Chemiker in Schutzbrille und Kittel begleitet die Leser_innen durch die Jahrtausende und Jahrhunderte, in denen wichtige chemische Entwicklungen stattfanden. Schüler_innen erfahren, dass Chemie und auch der Beruf des Chemikers oder der Chemikerin eine Geschichte haben. Sie erkennen, dass Wissen über chemische Zusammenhänge nicht ein abstraktes System ohne Zusammenhang zur sonstigen Lebenswelt darstellt, sondern aus konkreten und alltäglichen Alltagsverrichtungen von Menschen entstanden ist. Der Umgang mit Feuer, Körperbemalung und die Herstellung von Keramik sind nur einige Beispiel. Schüler_innen lernen anhand episodenhafter Darstellungen, wie Chemie sich aus der „Probierkunst“ heraus entwickelte und dabei auch zeitweise Fehlannahmen und falschen Konzepten folgte. Es wird sichtbar, dass Chemie, die Wissenschaft von den Stoffen und ihren Umsetzungen, aus der Bearbeitung von Materialien aus der Umwelt hervorgegangen ist, um Bedürfnisse des Alltags zu befriedigen (Seife, Glas, Metalle, …). Das Büchlein vermittelt auch Denkanstöße zur kritischen Reflexion, etwa wenn Umweltschäden angesprochen werden oder der Einsatz von Schwarzpulver einerseits als Feuerwerk und andererseits als Waffe präsentiert wird. Wenn auch mit gewissen Beschränkungen – so kommen weder das vorkolumbianische Amerika oder Afrika vor – wird gut sichtbar, welchen Anteil verschiedenste Gesellschaften zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Regionen der Welt bei der Entwicklung chemischen Wissens hatten. Die Rolle der arabischen Gesellschaft zur Tradierung des Wissens aus der Antike wird deutlich. Das Büchlein macht auch den Versuch, die Teilhabe von Frauen an der Weiterentwicklung der Chemie sichtbar zu machen, an einer Stelle allerdings sehr klischeehaft (Schminke und Parfüm als Utensilien für Frauen). Die Figuren zeigen keine abwertenden Klischees in Bezug auf die visuelle oder sonstige Darstellung. Der Text bemüht sich, die Rolle von Menschen außerhalb Europas aufzuwerten. Etwas schwierig ist die Linearität der Darstellung. Die traditionelle Denkweise von der Höherentwicklung der Menschheit ausgehend von antiken Hochkulturen bis zu „uns heute hier in Europa/Deutschland“ wird eher bestärkt als hinterfragt. Hier wäre beispielsweise ein Hinweis auf den Kolonialismus hilfreich, in dem die Ökonomien ganzer Erdteile als Rohstofflieferanten gestaltet wurden. Die Förderung der Chemie im deutschen Kaiserreich etwa hatte zum Ziel, durch die Gewinnung künstlicher Rohstoffe England und Frankreich wirtschaftlich und damit politisch zu überflügeln (synthetisches Gummi statt Naturkautschuk). Für einen Einstieg darin, Chemie in gesellschaftlichen Zusammenhängen zu denken und mit Schüler_innen weitergehende Fragen zu entwickeln, eignet sich die kleine Broschüre sehr. Maja Nielsen: Marie Curie – Die Entdeckung der Radioaktivität 2010 GerstenbergVerlag Hildesheim. ISBN 978-3-8369-4848-7 Schüler_innen, die wenig Interesse für Naturwissenschaften haben, können über den biografischen Zugang die Motivation entwickeln, sich mit Physik zu befassen – und physikalisch interessierte Schüler_innen können erfahren, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht als abstraktes und kontextloses Wissen in die Welt gekommen sind. Mit „Marie Curie“ wird im Band aus der Reihe „Abenteuer & Wissen“ nicht nur eine besondere Persönlichkeit mit großem Forschergeist gewürdigt. Die Rolle von Frauen in Naturwissenschaften wird sichtbar gemacht und das Buch thematisiert auch die Gründe, warum lange Zeit so wenige Frauen Physik und ähnliche Fächer studierten und darin beruflich erfolgreich wurden. Beginnend mit dem Phänomen der Radioaktivität werden ähnliche einem Roman erzählend Curies Forschungen dazu vorgestellt. Sie hatte die Ambition, nicht nur das Wissen der Menschheit zu erweitern, sondern genauso wie Männer einen Doktortitel zu erlangen und sich beruflich zu entfalten. Im Folgenden werden verschiedene Stationen in Curies Biografie dargestellt, immer in Verbindung mit Fragen zu wissenschaftlichen Hintergründen, politischen Ereignissen und den Erfordernissen des Alltags einer Ehefrau und Mutter. Mit dem Buch lassen sich gut Geschlechterverhältnisse ansprechen, das heißt, die Frage, wer in der Partnerschaft welche Funktion übernimmt und wie eine gleichberechtigte Lebensgestaltung aussehen könnte, die Männern und Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Die Biografie Curies macht deutlich, dass Migration selbstverständlich zum Leben vieler Menschen dazugehört und dass internationale Entwicklungen die Menschen je nach Herkunft und Verbundenheit zu Freund_innen und Verwanden unterschiedlich betrifft (Erster Weltkrieg, Nationalsozialismus). Man erfährt auch, welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf das Leben der Curies und damit auch auf die Entwicklung der Wissenschaft hat. Die kritische Betrachtung des Einsatzes von Radioaktivität (Medizin einerseits, Atombombe andererseits) lässt sich vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen der porträtierten Personen im Umfeld Curies gut zum Thema machen. Interessant wäre es, Bücher über Naturwissenschaftler mit der Biografie Curies zu vergleichen: Spielen Familie und Gefühle oder das gesellschaftliche Engagement von Forschern und Theoretikern dort auch eine Rolle – oder erfährt man solche Dinge nur, wenn es um Frauen geht? Eine Biografie wie „Marie Curie“ unterstützt junge Menschen darin, Naturwissenschaften, abstrakte Denkmodelle und Formeln in einen Zusammenhang zu gesellschaftlichen Verhältnissen zu setzen und auf Fragen von Berufsentscheidungen und Lebensführung zu beziehen.
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