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SCHAUPLÄTZE DER GESCHICHTE
Spaziergänge durch 21 Jahrhunderte
in München und Umgebung
SCHAUPLÄTZE DER GESCHICHTE
Spaziergänge durch 21 Jahrhunderte
in München und Umgebung
Impressum
Süddeutsche Zeitung GmbH, München
für die Süddeutsche Zeitung Edition 2015
Projektleitung: Sabine Sternagel
Lektorat: Daniela Wilhelm-Bernstein
Art Direction: Stefan Dimitrov
Gestaltung: Sibylle Schug
Herstellung: Thekla Licht, Hermann Weixler
Druck und Bindearbeiten: XXXXXXXXXXXXXXXX
Printed in Germany
Titelbilder:
Oben: SZ-Photo (Josef Wildgruber)
Unten: Schlacht bei Mühldorf, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
ISBN: 978-3-86497-295-9
Die Informationen und Daten dieses Buches wurden mit äußerster Sorgfalt recherchiert und
überprüft. Dennoch kann keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernommen werden.
Inhalt
Inhalt
01. Wanderung ins 1. Jahrhundert
Augustus lässt seine
Truppen marschieren ........................................................ 8
02. Mooswanderung ins 2. Jahrhundert
Fußbodenheizung gegen keltische Kälte .... 16
03. Mit dem Rad ins 3. Jahrhundert
Die Schlagadern des Imperiums .......................... 24
04. Wanderung ins 4. Jahrhundert
Als die Römer das Fürchten lernten ................... 32
05. Ein Nachmittag im 5. Jahrhundert
Bajuwarische Multikulti-Gesellschaft ............. 42
06. Dorfleben im 6. Jahrhundert
Schlaglichter aus dem Mittelalter
.....................
50
07. Tatortsuche im 7. Jahrhundert
Räuber und Gendarm ....................................................... 60
Geschichte macht Spaß
und man begegnet ihr
auf Schritt und Tritt.
15._Mit dem Rad ins 15. Jahrhundert
Bruderzwist und Familienfrieden ..................... 128
16._Rund um den See ins 16. Jahrhundert
Religion im Winkel ............................................................ 136
17. Jagdpartie im 17. Jahrhundert
Halali im Moor ....................................................................... 144
18._Per App ins 18. Jahrhundert
Rätsel um die letzte Ruhe ......................................... 156
19._Reisewege ins 19. Jahrhundert
„Mein liebes Griechenland“ ....................................... 164
20. Eine Straße erzählt das 20. Jahrhundert
Viele Wunden der Erinnerung ................................ 174
21._Auf der Überholspur ins 21. Jahrhundert
Bayerns meistbesuchte
Sehenswürdigkeit ............................................................. 182
08. Lehrpfade ins 8. Jahrhundert
Ein Lantfrid kommt selten allein .......................... 68
09. Spurensuche im 9. Jahrhundert
Das Mysterium der Burg
von Forstinning ....................................................................... 76
10. Markttreiben im 10. Jahrhundert
Die Kriegsgewinnler von Keferloh ....................... 84
11. Wallfahrt ins 11. Jahrhundert
„Gott will es“ ................................................................................ 94
12._Stadtbummel im 12. Jahrhundert
Figuren-Theater .................................................................... 102
13._Bergtour ins 13. Jahrhundert
Bluttat am Hochzeitstag .............................................. 110
14._Sonntagsspaziergang ins 14. Jahrhundert
Tod auf der Bärenhatz ................................................... 1 20
4
5
Ludwig der Bayer
(oben) und Napoleon:
Große Geschichte hat
in Oberbayern ihre
Spuren hinterlassen.
Sagenumwoben
und geschichtsträchtig: der Kofel
bei Oberammergau.
6
7
Wanderung ins 1. Jahrhundert
Augustus lässt seine
Legionäre marschieren
Ganz Südbayern ist von den Römern besetzt –
nur Oberammergau widersetzt sich
A
ls Gaius Octavius am 19. August des
Jahres 14 n. Chr. in Nola bei Neapel
die Augen für immer schloss, hatte er
eine Menge erreicht – und war doch, so könnte man glauben, am Ende gescheitert. Eine
stabile Ordnung hatte er dem von Bürgerkriegen zerrütteten Römischen Reich geben
wollen – doch bis zum nächsten Bürgerkrieg
sollten gerade einmal 54 Jahre vergehen und
das Imperium schließlich in einer Militärdiktatur enden. Die Herrschaft seiner Familie,
des julischen Kaiserhauses, hatte Octavius,
8
der sich „Augustus“ (der Erhabene) nennen
ließ, zementieren wollen – doch beerbt wurde
er vom ungeliebten Stiefsohn. Ganz Germanien hatte der erste Kaiser die Segnungen der
römischen Zivilisation bringen wollen – doch
nach der Schlacht im Teutoburger Wald im
Jahr 9 nach Christus war der Vormarsch der
Legionen beendet und im heutigen Bayern
die Donau für Jahrhunderte die Nordgrenze
des Reichs geworden. Und die „Pax Augusta“,
der Friede, den der Kaiser seinen Untertanen
hatte bringen wollen – er wurde erkauft von
einer waffenstarrenden Militärmaschinerie.
Wie diese Maschinerie funktionierte, erlebten die antiken Bewohner des heutigen
Bayern 29 Jahre vor Augustus’ Tod. Die Römer machten sich in jenem Jahr unter Führung der Augustus-Stiefsöhne Drusus und
Das idyllische Tal
der Ammer war vor
2000 Jahren Schauplatz einer erbitterten
Schlacht.
9
01
Augustus in der
Münchner Glyptothek:
Unter ihm kamen die
Römer ins spätere
Bayern.
01
Felszeichnungen am
Fuß des Kofels: Zeigen
sie keltische Götter …
Wanderung ins 1. Jahrhundert
Tiberius daran, die Alpen und das Alpenvorland zu unterwerfen. Wie genau der Feldzug
vonstatten ging, darüber streiten Historiker
noch heute. Ihre Zunftgenossen von der Archäologie haben aber herausgefunden, dass
der Einmarsch der Legionäre ins Land an
Ammer und Isar nicht ganz so reibungslos
verlief, wie es sich die Generalstäbler im fernen Rom wohl gewünscht hatten. Denn zumindest ein kleiner Bergstamm aus dem Volk
der Räter leistete den Eindringlingen tapfer
Widerstand.
Funde, die am Döttenbichl bei Oberammergau gemacht wurden – einem Kultplatz,
der wahrscheinlich von 100 vor bis 50 nach
Christus genutzt wurde –, belegen, dass dort
Einheimische ihren Göttern nach einer erfolgreichen Schlacht gegen die Römer mehr
als 700 Metallstücke opferten: Fibeln, Werkzeuge, Dolche, 300 Lanzen- und Katapultspitzen, Schuhnägel, wie sie die römischen
10
Wanderung ins 1. Jahrhundert
Legionäre in ihren Stiefeln, den „caligae“, hatten, Münzen . . . Die Funde, die sich der frühen
Kaiserzeit zuordnen lassen, sind im Oberammergauer Museum zu besichtigen. Wo der
Kampf zwischen einheimischer Bevölkerung
und Römern genau stattfand, ist bislang noch
ein Geheimnis. Am Döttenbichl selbst wird es
wohl nicht gewesen sein.
Bei Ausgrabungen fanden Forscher dort
vor 20 Jahren auch zwei silberverzierte römische Dolche und drei eiserne Katapultspitzen, die ausgerechnet den Stempel der
19. Legion tragen. Es ist jene Heereseinheit,
die 24 Jahre später in der Varusschlacht im
Teutoburger Wald von den Germanen des
Arminius komplett vernichtet wurde. Ausgeschlossen ist es also nicht, dass Rekruten,
die das Scharmützel bei Oberammergau noch
überlebt hatten, später zu den Opfern des
Gemetzels im Teutoburger Wald zählten: Die
Dienstzeit eines Legionärs konnte 25 Jahre
dauern. Zumindest für diese Soldaten ging
die Eroberung des Gebiets nördlich der Alpen
jedenfalls nicht gut aus.
Einige Oberammergauer glauben sogar,
dass es noch deutlich sichtbare Hinweise auf
die Anwesenheit römischer Soldaten in ihrem
Tal gibt: Ein paar hundert Meter vom Opferplatz entfernt entdeckt der Wanderer am Malenstein, einem mächtigen Felsbrocken am
Rande des Wegs, zahlreiche Felszeichnungen.
Darunter soll auch ein Römerkopf mit Helm
zu sehen sein. Die Felszeichnungen stellen
Historiker und Wanderer gleichermaßen vor
Rätsel – kein Zufall daher, dass sich unterhalb
des Kofels der „Rätselweg“ entlangschlängelt.
Er verbindet den Opferplatz am Döttenbichl,
die Mariengrotte oberhalb des Friedhofs und
drei imposante glatte Felsen, an denen zahlreiche Ritzungen gefunden wurden. Wer vor
den Felsen stehen bleibt, erkennt eine Fülle
11
01
… römische Soldaten
oder neuzeitliche Oberammergauer?
01
Rätsel über Rätsel: ein
Fußabdruck …
01
Wanderung ins 1. jahrhundert
an unterschiedlichen Motiven – darunter sind
ein Senkblei, ein antikes Symbol der Vergänglichkeit, ein „Fußabdruck“, der die Anwesenheit eines Gottes veranschaulichen sollte, ein
doppeltes Viereck, das die Oberammergauer
Museumsmacher zu der Frage verleitete, ob
die Felszeichnung römischen Soldaten als
Wegmarkierung diente.
Das ist natürlich Spekulation. Aber immerhin gibt es im Oberammergau des
21. Jahrhunderts auch „echte“ Römer, wie
die örtlichen Museumsmacher stolz auf ihrer Internet-Homepage vermelden: „Seit
1634 wird in Oberammergau alle zehn Jahre die Passions-Tragödie gespielt. Auch darin spielen römische Soldaten eine wichtige
Rolle. Das heißt, römische Legionäre aus der
Zeit von Christi Geburt sind hier seit bald
400 Jahren regelmäßig so präsent wie sonst
wohl nirgendwo.“
… und ein antikes Senkblei, Symbol des Todes
oder einfach nur ein A.
12
Die Römer sind in
Oberammergau allgegenwärtig. Und die
Berge auch.
Archäologische Zeugnisse aus dem frühen
1. Jahrhundert sind in Oberbayern dagegen
eher Mangelware. Immerhin weiß man, dass
das heutige Gauting als Straßenstation „Bratananium“ damals einige Bedeutung hatte.
Gegen Ende des Jahrhunderts standen am
Ufer der Würm größere Steinbauten – offenbar hatte sich dort ein florierender Handelsort
entwickelt. Auch bei Andechs könnte es einen
Militärposten gegeben haben. In Eching am
Ammersee fanden Archäologen eine Münze
des Tiberius und Reste von einem Pferdegeschirr. Und auf dem Auerberg bei Schongau
stand eine römische Ansiedlung. Unter den
Nachfolgern des Augustus – Tiberius, Caligula, Claudius und Nero – entwickelte sich
das eroberte Land zur römischen Provinz
„Raetia“. Und manches, was uns Menschen
2 000 Jahre später als selbstverständliches
Kulturgut erscheint, geht – dem Namen nach
wie als real existierender Import – auf die Römer zurück: Fenster zum Beispiel, Straßen,
der Wein natürlich auch.
Die Sommermonate heißen noch heute
nach dem ersten römischen Kaiser und nach
seinem Adoptivvater Caesar: August und Juli.
Wenn Gaius Octavius das erlebt hätte, hätte
er dann wohl doch gesagt: Gescheitert? Wieso
gescheitert?!
Martin Bernstein
13
Oberammergau
Bahnhof
OB E R AMMERG AU
Am
me
Der „Rätselweg“ ist eine gemütliche Wanderung im Wald unterhalb des
Oberammergauer Hausbergs Kofel. Der Spaziergang in die Geschichte
dauert gerade einmal 40 Minuten. Ausgangspunkt ist der Parkplatz „Döttenbühl“. Mit dem Auto erreicht man unseren ersten Schauplatz der Geschichte über die Autobahn München-Garmisch und anschließend auf der
B 2 bis Oberau, dann rechts auf die B 23 bis nach Oberammergau, im Ort die
Ettaler Straße entlangfahren und links in die König-Ludwig-Straße, nach
der Brücke links in den Malensteinweg und geradeaus bis zum Parkplatz
„Döttenbühl“. Von Murnau fährt stündlich der Zug nach Oberammergau.
Der Spaziergang führt zunächst zum Opferplatz „Döttenbichl“. Irgendwo in
der Nähe mussten die eindringenden Römer eine Schlacht gegen die Einheimischen schlagen. Die Bedeutung des Orts wird auf Infotafeln erklärt.
Felsritzungen finden die Wanderer oberhalb des Neuen Friedhofs, an der
Kofelwand und schließlich – den schwer erkennbaren angeblichen Römerkopf – am Malenstein (auf kleine nummerierte Holztafeln achten).
r
B 23
Felsritzungen
am Friedhof
Felsritzungen
am Malenstein
Start/Ziel
Felsritzungen
an der langen
Kofelwand
Wer den Spaziergang zu einer leichten Bergwanderung machen möchte,
geht vom Döttenbichl aus über eine Wiese und in Serpentinen zum Sattel
Richtung Kofel. Der Schlussanstieg hinauf zum 1341 Meter hohen Gipfel
führt über einen mit Drahtseil gesicherten Weg, der vom Wanderer Trittsicherheit verlangt. Mit Abstieg über die Kolbenalm und Rückweg über den
Grottenweg dauert die Rundtour (500 Meter Höhenunterschied in An- und
Abstieg) etwa drei Stunden. Opferplatz
Mariengrotte
250 m
14
15
Mooswanderung ins 2. Jahrhundert
Fußbodenheizung
gegen keltische Kälte
02
„Der beste aller Ehemänner“ war Publicus
Julius Pintamus, fand
seine Frau.
Auf ihrem Landsitz genossen Pintamus und seine
einheimische Frau jeglichen Komfort
P
ublius Iulius Pintamus. So hieß der erste Villenbesitzer am Starnberger See.
Er lebte auf einem Anwesen an den Gestaden des Sees, vor fast 1900 Jahren, als das
Wasser noch das heutige Leutstettener Moos
bedeckte. Nicht weit entfernt von Bratananium, dem heutigen Gauting und damals Kreuzungspunkt zweier wichtiger Römerstraßen,
ließ Pintamus sich einen Gutshof, eine Villa
rustica, bauen. Ein erstklassiger Wohnsitz
mit Blick auf den See und das Gebirge, auch
16
Eine Attraktion sind
die Reste der Römervilla bei Leutstetten.
schon im Jahr 137 nach Christus. Das konnte
sich Publius Pintamus durchaus leisten, denn
er war mit gut 50 Jahren ein Offizier der römischen Reitertruppe. Und ein weit gereister
Mann. Geboren in Braga in Nordportugal, der
römischen Provinz Hispania Citerior, machte er Karriere im römischen Heer, brachte
es zum Dekurio, dem Führer einer aus bis
zu 60 Reitern bestehenden Schwadron. Er
heiratete nach dem ehrenvollen Ende seiner
Militärkarriere eine Einheimische, Clementia Popeia, die ihn auf einer Inschrift auf der
Grabplatte als „den besten aller Ehemänner“
bezeichnet. Sein Todesjahr ist nicht genau bekannt, aber das Ehepaar lebte auf dem Gutshof, der einem heutigen Aussiedlerhof gleich
käme, vermutlich noch einige Jahrzehnte.
Und die beiden mussten dabei auf Komfort
nicht verzichten: Der Gutshof war mit einer
Fußboden- und Wandheizung ausgestattet,
die Fenster waren verglast. Was bei Häusern
weiter im Süden nicht nötig war. Aber hier,
im kalten keltischen Winter, wollte Publius
auf eine mollig warme Stube nicht verzichten.
Dass Pintamus ein weltläufiger Mann war,
zeigt auch der Grundriss des Gutshofs. Er ist
für die hiesige Gegend völlig untypisch, sondern stammt von Villen aus dem römischen
Britannien.
17
Eine überdimensionale „Vitrine“ schützt
die Grundmauern der
Villa rustica.
02
Für wohlige Wärme
sorgte eine Bodenund Wandheizung.
02
Mooswanderung ins 2. Jahrhundert
Dass man den Alltag dieses Römers im zweiten Jahrhundert nach Christus so gut nachvollziehen kann, ist vor allem einem Mann
zu verdanken: Hansjörg Hägele. Er ist Vorsitzender der „Gesellschaft für Archäologie und
Geschichte Oberes Würmtal“, und zusammen
mit einem Dutzend fleißiger Freiwilliger hat
er von 2002 bis 2005 die Reste der römischen
Villa ausgegraben, archiviert – und dafür
gesorgt, dass über der Fundstelle eine Art
gläserne Vitrine gebaut wurde, durch deren
Glasscheiben man die Fußbodenheizung,
das Hypokaustum, und einige Funde der
Grabungen bewundern kann. Die schönsten
Stücke, eine Schale aus Terra sigillata des
südgallischen Großtöpfers Cinnamus etwa,
sind in Münchner Museen und einer kleinen
Ausstellung im Gautinger Rathaus zu sehen.
In der Villa steht nur eine Kopie.
Nirgends nachzulesen sind die Geschichten, die Hägele manchmal bei einer Führung
in der Villa einstreut. Etwa die Anekdote,
dass es auch in römischen Zeiten schon gute
Handwerker gab – und nicht so gute. Denn
beim Bau des Hypokaustums, der Fußboden-
Knochenfunde beweisen, dass Pintamus
Rinder züchtete.
heizung, wurde ein Schacht verlegt, ohne die
vorherrschende Windrichtung aus Westen
zu berücksichtigen. So wurde die Wärme des
Feuers nicht in die Villa hineingetragen, bis
ein neuer Schacht gemauert worden war. „Ja,
das war Pfusch“, sagt Hägele und lacht. Neben
dem Gutshof liegen Gabionen, mit Steinen
gefüllte Drahtkäfige, die den Grundriss der
Villa nachzeichnen. Es gab einen Patio, einen
Innenhof, eine große Küche und auch einen
Keller. Neben den Grundmauern ragt ein Erdhügel auf. „Hierbei handelt es sich nicht um
einen Grabhügel, sondern das ist einfach der
Aushub, der bei den Ausgrabungen angefallen ist“, räumt Hägele mit einer verbreiteten
Ansicht auf. Die Archäologen hätten gerne
noch weiter gegraben. Aber die Wittelsbacher, denen der Grund im Umgriff der Villa
gehört, spielten nicht mit. Der Gutshof selbst
steht auf einem Grundstück der Stadt München.
In der Nähe des Gutshofs wurden Emmer
und Dinkel angebaut, aber auch die Rinderzucht war Pintamus und seinen vermutlich
keltischen Knechten durchaus geläufig. Das
beweisen Getreidespuren und Knochenfunde
im Brunnenschacht, der überhaupt von entscheidender Bedeutung für die gründliche
Erforschung der Villa war. „Wir haben zuerst
nur eine dunklere Stelle im Boden bemerkt“,
sagt Hägele. Doch schnell war klar, dass es
19
Hansjörg Hägele hat
vor zehn Jahren die
Villa ausgegraben.
02
Mooswanderung ins 2. Jahrhundert
Rund 5o Jahre lang
wurde die Villa rustica
bewirtschaftet.
Auch außerhalb des
Schutzdaches legten die Archäologen
Grundmauern frei.
sich um den Brunnen des Gutshofes handeln
musste.
In drei Metern Tiefe stieß man bei Grabungen auf die aus Eichenbohlen gezimmerte, sehr gut erhaltene Verschalung des
Brunnens. „So konnte die Bauzeit sehr gut
eingegrenzt werden“, erklärt Hansjörg Hägele. Die damals rund 200 Jahre alte Eiche muss
im Jahr 133 nach Christus gefällt worden sein.
Die Villa, die Ausmaße von rund 8 mal 25 Metern hatte, wurde den Erkenntnissen zufolge
auch umgebaut. Was ein Buchenbrett, das mit
Bauschutt in den Brunnen gelangte, dokumentiert. Das Buchenbrett stammt von einem
Baum, der nach der dendrochronologischen
Untersuchung im Jahr 147 nach Christus gefällt worden sein muss. Im Brunnen gefunden
wurden Tierknochen, aber auch eine Schreibtafel sowie der Hausschlüssel zum Gutshof.
„Hausrat, der nicht mehr gebraucht wurde,
ist einfach in den Brunnen geworfen worden“,
sagt Hägele. Insgesamt muss der Gutshof
rund 50 Jahre lang bewirtschaftet worden
sein, bevor er aufgelassen wurde. Pintamus
und seine Clementia hatten keine Kinder.
20
Wo der Villenbesitzer bestattet wurde, ist indes nicht ganz klar. Auch die Grabplatte, die
heute in der Villa rustica ausgestellt wird, ist
nur ein Abguss des Originals. Wo ist Pintamus
denn nun begraben? „Vermutlich in einem
der beiden Brandgräber, die in der Nähe des
Gutshofs gefunden wurden. Aber sicher ist
das nicht“, erklärt Hägele. Und bevor Hägele
etwas behauptet, möchte er es immer genau
wissen, am besten beweisen können. Er ist
nämlich studierter Mathematiker, hat bei
IBM noch an Großrechnern gearbeitet, „die
so groß waren, dass der Techniker durch eine
Tür hineingegangen ist“.
Zur Archäologie kam der 78-Jährige eher
zufällig. Er wollte auf seinem Grundstück
bauen, und in Gauting werden meistens archäologische Schnellgrabungen vorgenommen, bevor eine Fläche überbaut wird, denn
oft werden hier Zeugnisse aus der Römerzeit
gefunden. „2002 haben wir dann angefangen, an der Villa rustica zu graben. Die Leutstettener waren anfangs gar nicht begeistert,
weil sie befürchtet haben, dass Massen von
Touristen in ihr beschauliches Dorf einfallen werden“, erinnert sich Hägele. So weit ist
es dann doch nicht gekommen. Denn für viel
Tourismus ist diese Villa rustica archäologisch zu unbedeutend.
Immerhin: Die Stadt Starnberg, auf deren
Flur die Villa rustica liegt, hat sie unter ihre
Fittiche genommen. Und Mitglieder des Archäologie-Vereins schauen mindestens einmal in der Woche vorbei, ob alles in Ordnung
ist. „Bisher ist die Villa von Vandalismus verschont geblieben“, sagt Hägele. Was den Hobby-Archäologen die meiste Arbeit macht? Auf
diese Frage weiß Hägele sofort die Antwort:
„Es ist schon mühsam, die großen Fensterflächen an der Villa jede Woche zu putzen.“
Otto Fritscher
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02
Leutstetten mit seinem
Biergarten ist ein beliebter Ausflugsort.