WEITERER MEILENSTEIN IN DER AKTIENRECHTSREVISION Der

R E C HT
KARIN POGGIO
F LO R I A N Z I H L E R
WEITERER MEILENSTEIN IN DER
AKTIENRECHTSREVISION
Der Bundesrat nimmt die Vernehmlassungsergebnisse
zur Kenntnis und beschliesst das weitere Vorgehen
Die Vernehmlassung zum Vorentwurf zur Aktienrechtsrevision dauerte bis am
15. März 2015. Es wurden 147 Stellungnahmen eingereicht, die vom Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement (EJPD) ausgewertet wurden. Am 4. Dezember 2015 hat der Bundesrat die Ergebnisse zur Kenntnis genommen, das EJPD mit der Ausarbeitung des
Entwurfs beauftragt und inhaltliche Eckwerte festgelegt.
1. AKTIENRECHTSREVISION IM JAHR 2015
1.1 Durchführung der Vernehmlassung. Am 28. Novem­
ber 2014 hatte der Bundesrat die Vernehmlassung zum Vor­
entwurf und erläuternden Bericht zur Änderung des Obligationenrechts (OR) [1] (Aktienrecht) eröffnet [2]; sie dauerte bis
am 15. März 2015. Es wurden 147 Stellungnahmen eingereicht.
Nebst den Kantonen, den in der Bundesversammlung ver­
tretenen Parteien, den gesamtschweizerischen Wirtschafts­
dachverbänden sowie den Universitäten und Fachhochschu­
len meldeten sich zahlreiche Branchenverbände, Zürcher
Wirtschaftsanwaltskanzleien, global tätige Unternehmen
und Einzelpersonen zu Wort. Die Stellungnahmen waren
zum Teil sehr umfangreich; die längsten umfassten bis zu
150 Seiten. Kurz nach Ablauf der Vernehmlassung wurden
sie im Original auf der Homepage des Bundesamts für Justiz
öffentlich zugängig gemacht [3].
1.2 Auswertung der Vernehmlassung und Regulierungsfolgenabschätzung. Ab März 2015 werteten die Projektver­
antwortlichen des Bundesamts für Justiz innerhalb von rund
zwei Monaten Tausende von Seiten von Stellungnahmen
aus. Dabei versuchten sie, in einer Tabelle jede allgemeine
und spezifische Anmerkung zum Vorentwurf zu erfassen.
Schlussendlich lag als internes Arbeitsinstrument eine Ta­
belle mit über 200 Seiten vor.
In einem nächsten Schritt galt es, den Bericht zur Ver­
nehmlassung zur Aktienrechtsrevision zu verfassen. Auf
rund 40 Seiten werden in der definitiven Fassung vom
17. September 2015 die wichtigsten Erkenntnisse aus der Ver­
nehmlassung dargelegt (Hauptergebnisse, Ergebnisse im
Einzelnen). Im Bericht erfolgte eine fünffache Kategorisie­
rung: deutliche Ablehnung, Ablehnung, kein klares Bild,
Zustimmung, deutliche Zustimmung. Als Anhang I bein­
haltet der Bericht zudem die Liste sämtlicher Teilnehmen­
den der Vernehmlassung und als Anhang II eine Liste wei­
terer in der Vernehmlassung vorgebrachter Aspekte und
Ideen, die nicht direkt einer Bestimmung des Vorentwurfs
zugeordnet werden konnten [4].
Parallel zur Vernehmlassung und ihrer Auswertung führ­
ten zwei Wirtschaftsfachhochschulen eine Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) zu einzelnen Aspekten des Vorentwurfs
zur Aktienrechtsrevision durch [5]. Die Bestimmungen der
Entwürfe von 2007 und 2008 waren nicht Gegenstand der
RFA. Es wären kaum neue Erkenntnisse zu erwarten gewe­
sen. Der Ständerat hatte die beiden Entwürfe bereits einmal
vollständig beraten, und beide Rechtskommissionen hatten
Anhörungen u. a. von Vertretern der Wirtschaft durchge­
führt [6]. Auch die Verordnung vom 20. November 2013 gegen
übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften
(VegüV) [7] wurde von der RFA nicht erfasst, da sie von den Ak­
tiengesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind,
und von den Vorsorgeeinrichtungen bereits grösstenteils an­
gewendet werden muss. Gegenstand der RFA waren deshalb
die Abschaffung der Möglichkeit zur Teilliberierung, die
KARIN POGGIO,
FLORIAN ZIHLER,
MLAW, NOTARIN, PROJEKT-
DR. IUR., RECHTSANWALT,
LEITERIN DER AKTIEN­
LL.M.EUR., PROJEKT-
RECHTSREVISION,
LEITER DER AKTIEN­
BUNDESAMT FÜR JUSTIZ,
RECHTSREVISION, BUNDES-
BERN
AMT FÜR JUSTIZ, BERN
1–2 | 2016 E X P E R T F O C U S
1
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W E ITE R E R M E I LE N STE I N I N D E R AKTI E N R E C HTS R EVI S I O N
Abbildung 1: HAUPTERGEBNISSE DER REGULIERUNGSFOLGENABSCHÄTZUNG (RFA)
VE-OR
Gegenstand
Hauptergebnis
Teilliberierung des Aktienkapitals
Art. 632
Abschaffung der Möglichkeit
zur Teilliberierung
Aus rechtlicher Perspektive wird die Abschaffung unterstützt, da sie Rechts­
sicherheit schafft.
Aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Optik wird die Abschaffung zurückhal­
tend beurteilt, obschon die geschätzten betriebs- und volkswirtschaft­lichen
Kosten gering ausfallen würden.
Geschlechterrichtwerte
Art. 734e
Einführung von Geschlechter­
richtwerten für das oberste Kader
grosser börsenkotierter AG
Eine staatliche Intervention ermöglicht es, die Erhöhung der Vertretung des
unterrepräsentierten Geschlechts in Publikumsgesellschaften zu beschleunigen.
Angesichts der Verpflichtung, die Nichteinhaltung der Geschlechterrichtwerte
nur erklären zu müssen (Comply-or-Explain-Ansatz), ist die Beschränkung des
Grundsatzes der Wirtschaftsfreiheit sowohl für den Verwaltungsrat als auch für
die Geschäftsleitung verhältnismässig.
Die Geschlechterrichtwerte verursachen keine erheblichen Mehrkosten und
wirken sich nicht wesentlich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz
aus. Es wird sogar erwartet, dass die durch die Bestimmung erzeugte Vielfalt
positive wirtschaftliche Auswirkungen haben könnte.
Vergütungsbestimmungen
Art. 735c
Abs. 1 Ziff. 2
und 3
Regulierung der Konkurrenz­
verbote bei börsenkotierten AG
Insbesondere die wirtschaftliche Bedeutung der Konkurrenzverbote, das Risiko
der Umgehung des geltenden Verbots der Abgangsentschädigungen und die
strafrechtlichen Risiken für die Vertragsparteien rechtfertigen eine staatliche
Intervention.
Art. 735c
Abs. 1 Ziff. 5
Regulierung der Antrittsprämien
bei börsenkotierten AG
Art. 735
Abs. 3 Ziff. 4
Verbot prospektiver Abstimmun­
gen über variable Vergütungen
bei börsenkotierten AG
Einzeln betrachtet, hätten die Bestimmungen nur geringfügige Auswirkungen
auf die Unternehmen und die Wirtschaft als Ganzes. Es wird aber befürchtet,
dass selbst geringfügige Auswirkungen die Toleranzschwelle überschreiten
könnten.
Art. 717
Abs. 1bis
Präzisierung der Sorgfaltspflicht
bezüglich der Vergütungspolitik
Das Verbot prospektiver Abstimmungen über variable Vergütungen hätte die
negativsten Auswirkungen, ohne dabei die Erwartungen der Investorinnen und
Investoren sowie der Analystinnen und Analysten zu erfüllen.
Insbesondere mit der unverbindlich wirkenden, retrospektiven Abstimmung
über den Vergütungsbericht, der bereits aufgrund der VegüV erstellt werden
muss, stünde eine elegante und kostengünstige Alternative zur Verfügung.
Geschlechterrichtwerte für das oberste Kader grosser börsen­
kotierter Aktiengesellschaften, die Regulierung der Antritts­
prämien und der Konkurrenzverbote, das Verbot prospektiver
Abstimmungen über variable Vergütungen sowie die Präzisie­
rung der Sorgfaltspflichten für das oberste Kader bezüglich
« Abgelehnt wurden fast alle
über die VegüV hinausgehenden
Bestimmungen.»
der Vergütungspolitik des Unternehmens. Die Hauptergeb­
nisse der RFA können der Abbildung 1 entnommen werden.
1.3 Bundesrätliche Kenntnisnahme der Vernehmlassungsergebnisse. Es zeigte sich, dass die anlässlich der Ver­
nehmlassung eingegangenen Stellungnahmen zum Teil
sehr kontrovers waren. Die Palette reicht von der grundsätz­
lichen Zustimmung zum Vorentwurf bis hin zu dessen gänz­
licher Ablehnung. So stimmte rund ein Viertel der Teilneh­
2
menden, v. a. der Grossteil der Kantone, dem Vorentwurf
grundsätzlich zu. Insbesondere die Überführung der VegüV
auf Gesetzesstufe, die Liberalisierung der Gründungs- und
Kapitalbestimmungen, die punktuelle Verbesserung der
Corporate Governance und die Abstimmung des Aktienauf das Rechnungslegungsrecht wurden positiv bewertet [8].
Ebenfalls ein Viertel der Teilnehmenden lehnte hingegen
den Vorentwurf ab, u. a. viele Wirtschafts- und Branchenver­
bände. Aufgrund der aufgehobenen Euro-Franken-Unter­
grenze seien die Auswirkungen des Vorentwurfs auf den Wirt­
schaftsstandort Schweiz noch kritischer zu betrachten. Es
gelte alles zu unterlassen, was zu Verunsicherung und hohen
Kosten bei den Unternehmen führe. Falls kein Marschstopp
beschlossen werde, sollte die Vorlage ohne Belastung der Wirt­
schaft weitergeführt werden [9]. Abgelehnt wurden unter die­
sem Gesichtspunkt fast alle über die VegüV hinausgehenden
Bestimmungen sowie die Ausdehnung von Vorgaben für bör­
senkotierte auf nicht-börsenkotierte Aktiengesellschaften.
Damit die weiteren Schritte in der Aktienrechtsrevision
eingeleitet werden konnten, war ein Bundesratsbeschluss
notwendig. Am 4. Dezember 2015 hat der Bundesrat deshalb
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W E ITE R E R M E I LE N STE I N I N D E R AKTI E N R E C HTS R EVI S I O N
Abbildung 2: AUFBAU DES BERICHTS
ZUR VERNEHMLASSUNG
 Allgemeines zu den Stellungnahmen
 Gegenstand der Vernehmlassung
 Executive Summary des Berichts
 Vernehmlassungsergebnisse im Einzelnen
 Anhang I: Sämtliche Vernehmlassungsteilnehmer
 Anhang II: Weitere in der Vernehmlassung vor­
gebrachte Aspekte
Quelle: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home.html
(Wirtschaft/Revision des Aktienrechts)
den Bericht zur Vernehmlassung (siehe Abbildung 2) und die
RFA zur Kenntnis genommen, das weitere Vorgehen be­
schlossen (siehe nachfolgend Abschnitt 1.4) und gewisse in­
haltliche Eckwerte festgelegt (siehe unten 2. Kapitel) [10].
1.4 Aufträge an das EJPD. Am 4. Dezember 2015 nahm der
Bundesrat nicht nur die soeben dargestellten Vernehmlas­
sungsergebnisse zur Kenntnis, sondern er erteilte dem EJPD
auch konkrete Aufträge.
Dieses soll im Lichte der Ergebnisse der Vernehmlassung
den Entwurf zur Aktienrechtsrevision ausarbeiten. Der Bun­
desrat soll Ende 2016 über die entsprechende Botschaft (Ent­
wurf und Erläuterungen) beraten und sie zuhanden des Par­
laments verabschieden können. Um für das EJPD bei der Aus­
arbeitung der Botschaft Planungssicherheit und für den
Wirtschaftsstandort Schweiz eine gewisse Rechtssicherheit
zu schaffen, legte der Bundesrat inhaltliche Eckwerte fest
(siehe nachfolgend 2. Kapitel). In Verbindung mit der Ver­
nehmlassungsvorlage ist daraus die geplante Stossrichtung
der Aktienrechtsrevision nun sehr deutlich erkennbar.
Der Bundesrat beauftragte das EJPD auch, den gesetzgebe­
rischen Handlungsbedarf und die europäische/internatio­
nale Entwicklung im Bereich des Revisions- und Revisionsauf­
sichtsrechts abklären zu lassen. Die entsprechenden Berichte
sollen dem Bundesrat im Herbst 2017 zur Kenntnisnahme
und zum Beschluss über das weitere Vorgehen vorgelegt wer­
den. Mit diesem Prüfauftrag will der Bundesrat eine fundierte
Grundlage für eine allfällige Umgestaltung, Liberalisierung
oder Verschärfung des Revisions- und/oder des Re­visions­
aufsichtsrechts legen. Bereits früher hatte es der Bundesrat
ausdrücklich abgelehnt, einzelne Aspekte des Revisions­
rechts – z. B. zur eingeschränkten Revision – im Rahmen der
Aktienrechtsrevision zu behandeln. Bei der Änderung der
gesetzlichen Vorgaben in einem für den Wirtschaftsstand­
ort Schweiz so wichtigen Bereich könne nicht auf eine Ver­
nehmlassung verzichtet werden. Alle betroffenen Kreise –
also nicht nur die Revisionsbranchenverbände – müssten die
Gelegenheit bekommen, sich zu allfälligen Änderungen um­
fassend und öffentlich äussern zu können, so insbesondere
die geprüften Unternehmen und die Kapitalgeber [11].
Der Bundesrat will es dem Parlament ermöglichen, die de­
finitive Umsetzung von Art. 95 Abs. 3 der Bundesverfassung
(BV) [12] zeitnah zur Annahme der Volksinitiative «gegen die
1–2 | 2016 E X P E R T F O C U S
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Abzockerei» vorzunehmen. Er hat bei der Aktienrechtsrevi­
sion die Vornahme eines Marschstopps, um eine politisch
breit abgestützte «Groupe de réflexion» einzusetzen, abge­
lehnt [13]. Es fanden in den letzten zehn Jahren zwei Ver­
nehmlassungen zum Aktienrecht (2005 [14]/2014 [15]) und
eine vergleichbare Anhörung zur VegüV (2013) [16] statt.
Dabei wurden sehr viele Stellungnahmen eingereicht, die
vom EJPD jeweils gründlich ausgewertet und in öffentlich
zugängigen Berichten zusammengefasst wurden. Der Stän­
derat hat zudem den Entwurf vom 21. Dezember 2007, der
für den Vorentwurf vom 28. November 2014 neben der VegüV
die wichtigste Grundlage bildete, bereits im Detail beraten
und ihm Mitte 2009 mit nur wenigen Änderungen zuge­
stimmt [17]. Zudem gilt es in Erinnerung zu behalten, dass
das EJPD einen Vorentwurf oder Entwurf nicht im luftleeren
Raum ausarbeitet. Es kann sich auf das Wissen anderer Bun­
desämter, etliche offizielle Vorarbeiten, wie z. B. Experten­
berichte und Gutachten [18], sowie Publikationen aus Lehre
und Praxis abstützen.
2. INHALTLICHE ECKWERTE
2.1 Beibehaltung der Möglichkeit zur Teilliberierung.
Hinsichtlich der Aufhebung der Möglichkeit zur teilweisen
Liberierung des Aktienkapitals ergab sich in der Vernehm­
lassung kein klares Bild. Einerseits wurde für die Beibehal­
tung der Möglichkeit zur Teilliberierung vorgebracht, dass
sie einem praktischen Bedürfnis von Start-up-Unternehmen
diene und die GmbH aus verschiedenen Gründen keine voll­
wertige Alternative sei (z. B. bezüglich der bedingten Kapi­
talerhöhung). Andererseits wurde der Aufhebung der Mög­
lichkeit zur Teilliberierung von verschiedener Seite zuge­
stimmt. So wird etwa vorgebracht, dass sie dem Schutz der
Gläubiger diene. Kritisiert wurde die Übergangsbestim­
mung, die faktisch zu einer Pflicht zur Nachliberierung füh­
ren würde. Sie müsse entweder eine umfassende Besitz­
standsgarantie (grandfathering) vorsehen oder dem Verwal­
tungsrat zumindest ein gestaffeltes Vorgehen bei der
Nachliberierung ermöglichen [19]. Die RFA ergab ebenfalls
kein klares Bild; juristische Argumente sprachen für die Auf­
hebung, ökonomische Argumente eher für die Beibehaltung
der Möglichkeit zur Teilliberierung [20].
Aufgrund der Tatsache, dass immerhin etwas mehr als 10%
der Aktiengesellschaften die Möglichkeit zur Teilliberie­
rung nutzen, und da sich die Konjunktur in der Schweiz auf­
grund des starken Frankens immer stärker eintrübt, will
der Bundesrat die Möglichkeit zur Teilliberierung des Akti­
enkapitals (Art. 632 OR) beibehalten.
2.2 Beibehaltung der Stimmrechtsaktien. Das schweize­
rische Aktienrecht geht grundsätzlich von einem Gleichlauf
von Kapitaleinsatz und Stimmkraft aus. Neudeutsch wird
oft von «one share, one vote» gesprochen. Das schweizeri­
sche Aktienrecht erlaubt allerdings mehrere Abweichungen
vom Konzept der Einheitsaktie bezüglich des Stimmrechts.
Aktionäre können Stimmrechtsaktien [21] und Partizipati­
onsscheine (stimmrechtslose Aktien) [22] schaffen oder bei
Namenaktien eine prozentuale Beschränkung des Stimm­
rechts pro Aktionär (Vinkulierung) [23] vorsehen.
3
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Aufgrund der jüngsten Vorkommnisse bei der Sika AG [24]
wurde vermehrt gefordert, im schweizerischen Aktienrecht
den Grundsatz «one share, one vote» konsequenter umzu­
setzen. Im Parlament wurden in diesem Zusammenhang be­
reits drei Vorstösse eingereicht: eine Interpellation von Stän­
derat Pirmin Bischof [25], eine Interpellation von Nationalrat
« Der Bundesrat beschloss,
dass neue Aspekte nichtfinanzieller Berichterstattung
nicht Teil der Aktienrechtsrevision sein werden.»
Karl Vogler [26] sowie ein Postulat von Ständerat Thomas Minder [27]. In der Vernehmlassung wurde hingegen auf die The­
matik «one share, one vote» nur vereinzelt eingegangen.
Stimmrechtsaktien sind ein Beherrschungsinstrument,
das sich in Klein- und Familiengesellschaften zur Bildung
von Führungsschwergewichten eignet. Auch bei Unterneh­
men mit Gründerbeteiligung hat die Stimmrechtsaktie ihre
Bedeutung. Die Publizität ist aufgrund der u. a. bei den
Handelsregisterämtern öffentlich zugänglichen Statuten
und der Handelsregistereinträge gewährleistet. Es liegt
zudem in der unübertragbaren Zuständigkeit der General­
versammlung, über die Art der Aktien zu entscheiden. In der
Tat sind z. B. etliche Publikumsgesellschaften aufgrund des
Drucks der Investoren in den letzten 20 Jahren freiwillig
zur Einheitsaktie übergegangen. Ein dringender gesetzge­
berischer Handlungsbedarf war folglich für den Bundesrat
nicht erkennbar.
2.3 Umsetzung von Art. 95 Abs. 3 BV. Auf den 1. Januar
2014 setzte der Bundesrat die VegüV in Kraft. Bis zum In­
krafttreten der formell-gesetzlichen Bestimmungen (z. B. im
OR) setzt diese Verordnung die Vorgaben der Art. 95 Abs. 3
und Art. 197 Ziff. 10 BV um, die auf die Annahme der Volks­
initiative «gegen die Abzockerei» zurückgehen [28]. Die Be­
stimmungen des Vorentwurfs, die nicht über die Vorgaben
der VegüV hinausgingen, blieben in der Vernehmlassung
fast unbestritten.
Hingegen wurden die weiterführenden Bestimmungen in
der Vernehmlassung zum Teil deutlich abgelehnt [29]. Der
Bundesrat hat deshalb im Zusammenhang mit der Umset­
zung von Art. 95 Abs. 3 BV einige Eckwerte zur Regulierung
bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind,
beschlossen:
 Auf das Verbot prospektiver Abstimmungen über den Pool
der zukünftigen variablen Vergütungen (Boni) wird verzich­
tet [30]. Wird jedoch solchermassen abgestimmt, so soll der
jährliche Vergütungsbericht der Generalversammlung zur
retrospektiven, konsultativ wirkenden Abstimmung vorge­
legt werden müssen. Dies entspricht Best Practice [31] sowie
der RFA [32] und stärkt die Aktionärsrechte. Zudem müssten
die Statuten nicht angepasst werden, da sich die Pflicht zur
Konsultativabstimmung direkt aus dem Gesetz ergibt.  Auf
4
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die Pflicht zur statutarischen Festlegung des Verhältnisses
fixe/variable Vergütung (Bonus-Cap) [33], die vergütungsspe­
zifische Sorgfaltspflicht des obersten Kaders [34] und die
Einzeloffenlegung der Vergütungen aller Mitglieder der Ge­
schäftsleitung [35] wird verzichtet. Die Generalversammlung
hat bereits heute mittels Statuten ausreichende Gestaltungs­
möglichkeiten, und die allgemeine Sorgfaltspflicht nach
Art. 717 OR umfasst die vergütungsspezifische Sorgfalts­
pflicht vollständig.  Antrittsprämien für das oberste Kader
bleiben zulässig, sofern mit ihnen ein nachweisbarer finan­
zieller Nachteil der stellenwechselnden Person kompensiert
wird. Dadurch will der Bundesrat Rechtssicherheit schaffen:
Ein voraussetzungsloser «goldener Willkommensgruss»
soll im Hinblick auf die Vergütung im Voraus, die gemäss
Art. 95 Abs. 3 Bst. b BV bzw. Art. 20 Ziff. 2 VegüV bereits ver­
boten ist, unzulässig sein. Der Vorentwurf sah noch vor, dass
es eines «klaren» Nachweises bedürfe. Der Bundesrat hat
darauf verzichtet, da die benötigten Informationen oftmals
nur bei der bisherigen Arbeitgeberin vorliegen [36].  Das
Konkurrenzverbot für das oberste Kader soll nicht, wie es
der Vorentwurf vorsah, auf ein Jahr beschränkt werden. Es
soll eine finanzielle Begrenzung vorgesehen werden (z. B.
maximal eine Jahresvergütung) [37]. Damit will der Bundes­
rat hinsichtlich der bereits von Art. 20 Ziff. 1 VegüV verbote­
nen Abgangsentschädigung ebenfalls mehr Rechtssicherheit
schaffen, ohne die Gestaltungsmöglichkeiten der Gesell­
schaft zu stark einzuschränken.
2.4 Geschlechterrichtwerte. Die Vertretung beider Ge­
schlechter im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung
grosser Gesellschaften mit börsenkotierten Aktien wurde
von fast allen Teilnehmenden der Vernehmlassung als erstre­
benswertes Ziel erachtet. Dennoch wurde die Einführung
eines Geschlechterrichtwerts von 30% insbesondere von den
Wirtschafts- und Branchenverbänden deutlich abgelehnt [38].
Eine diametral entgegengesetzte Position nahmen diverse
Frauenrechtsorganisationen ein, welche die Stossrichtung
des Vorentwurfs befürworteten. Sie verlangten zudem grif­
fige Kontrollmechanismen und wirksame Sanktionen [39].
Die RFA unterstützt die Einführung von Geschlechterricht­
werten, da die Regulierungsfolgenkosten als gering einge­
schätzt werden [40].
Der Bundesrat hat sich dafür entschieden, den Geschlechter­
richtwert sowohl für den Verwaltungsrat wie auch für die Ge­
schäftsleitung beizubehalten. Allerdings sollen der Wert für
die Geschäftsleitung von 30% auf 20% gesenkt und die Über­
gangsfrist von fünf auf zehn Jahre verlängert werden. In der
Vernehmlassung wurde die Erreichung des im Vorentwurf
vorgesehenen Richtwerts von 30% für die Geschäftsleitung
innerhalb von fünf Jahren als nicht realistisch bewertet. Ur­
sächlich dafür erscheint die Tatsache, dass in gewissen Bran­
chen zu wenig Frauen mit fach- und branchenspezifischem
Wissen vorhanden sind. Mitglieder der Geschäftsleitung
würden zudem oft intern gefördert. Eine Beförderung in die
Geschäftsleitung erfolge durchschnittlich erst nach rund
13 Jahren [41]. Mit der Verlängerung der Übergangsfrist auf
zehn Jahre wird dem internen Talent Management ausrei­
chend Zeit eingeräumt und die Erreichung des Richtwerts
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von 20% erscheint als realistisches Ziel. Darüber hinaus ist
zu beachten, dass mit dem Comply-or-Explain-Mechanis­
mus keine scharfe Sanktion droht und somit ausreichende
Flexibilität für die Generalversammlung und das oberste
Kader der Gesellschaft bezüglich der Vielfalt (Branchen­
kenntnisse, berufliche Erfahrung, Internationalität usw.)
gewährleistet bleibt. Mit den moderaten Geschlechterricht­
werten wird ein seit 1981 in der Verfassung verankerter Ge­
setzgebungsauftrag zumindest ein weiteres Stückchen um­
gesetzt: Art. 8 Abs. 3 Satz 2 BV hält zur Gleichstellung von
Mann und Frau Folgendes fest:
«Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstel­
lung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit.» [42]
2.5 Transparenz bei Rohstoff fördernden Unternehmen.
Unternehmen, die von Gesetzes wegen zu einer ordentlichen
Revision verpflichtet (Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR) und in der
Rohstoffförderung tätig sind, sollten gemäss Vorentwurf
Zahlungen an in- und ausländische staatliche Stellen offen­
legen müssen. Die Vernehmlassung ergab kein klares Bild;
der grösste Branchenverband, die Swiss Trading and Shipping
Association, äusserte sich jedoch grundsätzlich positiv zu den
Bestimmungen des Vorentwurfs [43]. U. a. deshalb und um
zu vermeiden, dass der Wirtschaftsstandort Schweiz unter
internationalen Druck gerät (die EU und USA sehen ver­
gleichbare Bestimmungen vor), sollen die Transparenzvor­
schriften im Entwurf erhalten bleiben. Materiell soll jedoch
nicht über die EU-Vorschriften hinausgegangen werden. Die
Möglichkeit des Bundesrats, den persönlichen Anwendungs­
bereich im Rahmen eines international abgestimmten Ver­
haltens auf den Rohstoffhandel auszudehnen, soll eben­
falls beibehalten werden. Damit soll gewährleistet werden,
dass die Schweiz ausreichend schnell auf internationale Ent­
wicklungen reagieren kann, ohne den eigenen Wirtschafts­
standort zu schwächen.
2.6 Nicht-finanzielle Berichterstattung. Der Bundesrat
beschloss, dass neue Aspekte nicht-finanzieller Bericht­
erstattung, wie sie zum Teil im Rahmen der Vernehmlas­
sung gefordert wurden [44], nicht Teil der Aktienrechtsrevi­
sion sein werden. Zurzeit werden die Unterschriften zur
Volks­initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen –
zum Schutz von Mensch und Umwelt» gesammelt [45]. Der
Bundesrat erachtete es deshalb als verfrüht, eine teilweise
Antwort auf die Themen der Volksinitiative zu geben. Mög­
licherweise waren für den Bundesrat auch die negativen Er­
fahrungen aus der parlamentarischen Beratung der Aktien­
rechtsrevision und der Volksinitiative «gegen Abzockerei»
mitbestimmend. In den Jahren 2007 bis 2013 waren teilweise
mehrere indirekte Gegenvorschläge und direkte Gegenent­
würfe in beiden Parlamentskammern hängig [46].
2.7 KMU-Tauglichkeit der Aktionärsrechte. U. a. auf­
grund der in der Vernehmlassung geforderten KMU-Taug­
lichkeit sollen die Schwellenwerte für die Ausübung der Ak­
tionärsrechte nochmals überprüft und allenfalls angepasst
werden. Dies betrifft insbesondere das Recht auf Einberufung
einer Generalversammlung, das Traktandierungsrecht und
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das Recht auf Einleitung einer Sonderprüfung [47]. Es soll im
Gesetz ein Gleichgewicht zwischen dem Minderheitenschutz
einerseits und den Interessen der Mehrheit bzw. des obersten
Kaders des Unternehmens andererseits verankert werden.
2.8 Verzicht auf die öffentliche Beurkundung bei einfach strukturierten Unternehmen. Der Bundesrat hat
entschieden, dass Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit
beschränkter Haftung und Genossenschaften ohne Ur­
« Die gesetzliche Prüfpflicht
für die Rück­zahlung
gesetzlicher Reserven, v. a.
von Agio, soll nicht ins
Gesetz aufgenommen werden.»
kundsperson gegründet, aufgelöst und im Handelsregister
gelöscht werden können, sofern einfache Verhältnisse vorlie­
gen. Für solche Unternehmen soll folglich die Pflicht zur öf­
fentlichen Beurkundung aufgehoben werden. Dieser im
Rahmen der Vernehmlassung mehrmals vorgebrachte As­
pekt [48] war bereits im Vorentwurf vom 19. Dezember 2012
zur Modernisierung des Handelsregisters enthalten [49].
Aus verschiedenen Gründen war er damals in der Vernehm­
lassung auf deutliche Ablehnung gestossen [50], und der
Bundesrat hatte deshalb beschlossen, die Pflicht zur öffentli­
chen Beurkundung beizubehalten [51]. Die angespannte
Wirtschaftslage der Schweiz hat aber auch hier zum Umden­
ken geführt. Die Aufhebung der öffentlichen Beurkundung
würde für die Unternehmen eine deutliche administrative
Erleichterung und Kostenersparnis bedeuten, was aufgrund
der wirtschaftlichen Folgen des starken Frankens besonders
wichtig erscheint.
2.9 Verzicht auf besonders umstrittene Einzelpunkte
des Vorentwurfs. Aufgrund der grösstenteils deutlichen
Ablehnung in der Vernehmlassung will der Bundesrat auf
folgende Aspekte des Vorentwurfs verzichten:
 In der Vernehmlassung wurde es zwar begrüsst, dass der
Bundesrat mit der statutarischen Möglichkeit einer Bonus-/
Malusdividende für aktive bzw. inaktive Aktionäre einen
Vorschlag gegen die zum Teil hohen Dispoaktien-Bestände
bei börsenkotierten Gesellschaften [52] machte. Es wurden
jedoch viele Bedenken geäussert, insbesondere hinsichtlich
der praktischen Umsetzbarkeit der Bonus-/Malusdivi­
dende [53]. Zudem wurde zum Teil vorgebracht, dass die Dis­
poaktien-Problematik überbewertet sei. Selbst das NomineeModell [54] wurde von Kreisen, die es zum Teil sehr aktiv un­
terstützt hatten, viel kritischer betrachtet als während der
ständerätlichen Beratung des Entwurfs vom 21. Dezember
2007 im Jahr 2009 [55]. Deshalb will der Bundesrat auf eine
explizite gesetzliche Verankerung der Möglichkeit einer
Bonus-/Malusdividende verzichten. Ein grundlegend neuer
Lösungsansatz zur allfälligen Reduktion hoher Dispoak­
tien-Bestände wurde in der Vernehmlassung nicht erkenn­
5
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W E ITE R E R M E I LE N STE I N I N D E R AKTI E N R E C HTS R EVI S I O N
Abbildung 3: STAND DER AKTIENRECHTS­
REVISION
1. Meilenstein: Vernehmlassung vom 28. November
2014 bis am 15. März 2015 zum Vorentwurf und
zum erläuternden Bericht

Auswertung der Ergebnisse der Vernehmlassung
durch das EJPD (erste Hälfte 2015)

2. Meilenstein: Beschluss des Bundesrats vom
4. Dezember 2015
 Kenntnisnahme der Ergebnisse der Vernehmlassung und der Regulierungsfolgenabschätzung
 Weiteres Vorgehen: EJPD soll Botschaft ausarbeiten
 Inhaltliche Eckwerte

3. Meilenstein: Geplanter Beschluss des Bundesrats
Ende 2016
 Verabschiedung des Entwurfs und der
Erläuterungen in Form einer Botschaft zuhanden
des Parlaments
Ende 2016/Anfang 2017: Beginn der parlamentarischen Beratung
bar. Deshalb wird im Entwurf möglicherweise auf einen Re­
gulierungsvorschlag im Bereich der Dispoaktien verzichtet
werden. Prüfenswert erscheint immerhin ein Lösungsansatz
mit Loyalitätsaktien/-dividenden, den detailliert eine Auto­
rin und zwei Autoren [56] sowie in allgemeiner Form einige
weitere Teilnehmende in der Vernehmlassung [57] vorge­
bracht haben.  Die gesetzliche Prüfpflicht für die Rück­
zahlung gesetzlicher Reserven, v. a. von Agio, soll nicht ins
Gesetz aufgenommen werden. In der Vernehmlassung wurde
vorgebracht, dass sie nicht der relativ liberalen Rechtspre­
chung des Bundesgerichts [58] zur Rückzahlung von Agio
entspreche und deshalb als allgemeine Pflicht überschies­
send sei [59].  Auch auf das im Vorentwurf neu vorgesehene
Minderheitenrecht auf Einleitung einer Klage auf Kosten
der Gesellschaft wird aufgrund der überwiegenden Ableh­
nung in der Vernehmlassung verzichtet. Teilweise wurde das
Missbrauchspotenzial des Minderheitenrechts als hoch ein­
gestuft. Auch wurde bezweifelt, ob ein Gericht besser als die
Generalversammlung beurteilen könne, was im Interesse
der Gesellschaft liege [60].  Der Bundesrat sieht von der
Pflicht des Verwaltungsrats börsenkotierter Gesellschaften
zum Aufbau und Betrieb eines elektronischen Aktionärsfo­
rums im Vorfeld von Generalversammlungen ab. In der Ver­
nehmlassung wurde festgehalten, dass Aufwand und Nut­
zen in einem Missverhältnis stünden, da das Aktionärsfo­
rum kostspielig sei und den Verwaltungsrat zeitlich und
haftungsmässig zu stark belasten würde [61].  Und schliess­
lich verzichtet der Bundesrat darauf, die Buchwertkonsoli­
dierung unter gleichzeitiger Erhöhung der Schwellenwerte
6
bei der Konsolidierungspflicht aufzuheben. Gemäss Ver­
nehmlassung besteht ein gewisses Bedürfnis nach Buch­
wertkonsolidierung. Die Erhöhung der Schwellenwerte des
neuen Rechnungslegungsrechts [62] von CHF 20 Mio. Bi­
lanzsumme/CHF 40 Mio. Umsatzerlös/250 Vollzeitstellen
« Mit umfassend neuen
Konzepten, z. B. mit
der Einführung neuer Arten
von Rechtseinheiten,
ist im Hinblick auf die Botschaft
zur Aktienrechtsrevision nicht
zu rechnen.»
auf 40/80/500 wird als überhastet eingestuft (bis Ende 2012
betrugen die Schwellenwerte sogar nur 10/20/200 [63]). Das
geltende Konsolidierungsrecht, das flächendeckend sogar
erst ab dem Geschäftsjahr 2016 angewendet werden muss,
soll also unverändert bleiben [64].
3. AUSBLICK
Die Aktienrechtsrevision soll die Flexibilität der Unterneh­
men stärken, Rechtssicherheit schaffen und zwei Verfas­
sungsaufträge umsetzen [65].
Mit umfassend neuen Konzepten, z. B. mit der Einführung
neuer Arten von Rechtseinheiten [66], ist im Hinblick auf die
Botschaft zur Aktienrechtsrevision nicht zu rechnen. Hierzu
wären oftmals die Ausarbeitung eines Vorentwurfs und eines
erläuternden Berichts und danach die Durchführung einer
Vernehmlassung notwendig [67]. Hingegen wird das EJPD
zusätzlich zu den bundesrätlichen Eckwerten sämtliche Be­
reiche des Vorentwurfs im Lichte der Ergebnisse der Ver­
nehmlassung, der wirtschaftlich schwierigen Situation in
der Schweiz aufgrund der Aufhebung des Euro-Mindestkur­
ses Anfang 2015 und der weiteren politischen Vorgaben (v. a.
aufgrund parlamentarischer Vorstösse) beurteilen und gege­
benenfalls Anpassungen vornehmen. Das EJPD wird sich
zudem sehr bemühen, juristische Unklarheiten im Gesetzes­
text und in den Erläuterungen zu beseitigen und damit po­
tenziellen Auslegungsproblemen vorzubeugen.
Verläuft die Aktienrechtsrevision weiterhin in geordneten
Bahnen, so ist damit zu rechnen, dass der Bundesrat Ende
2016 die Botschaft zur Aktienrechtsrevision zuhanden des
Parlaments verabschieden kann. Ab Anfang 2017 könnte
somit die vorberatende Kommission des Erstrats – in den
letzten Jahren waren jeweils die Rechtskommissionen zu­
ständig – mit der Behandlung beginnen (siehe Abbildung 3).
Wie lange die parlamentarische Phase [68] dauern wird, lässt
sich zum heutigen Zeitpunkt nicht festlegen. Selbst nach der
parlamentarischen Schlussabstimmung wird es noch min­
destens ein Jahr dauern, bis die neuen Bestimmungen in
Kraft gesetzt werden können. Es müssten die Referendums­
frist abgewartet und insbesondere die Handelsregisterver­
ordnung überarbeitet werden.
n
E X P E R T F O C U S 2016 | 1–2
W E ITE R E R M E I LE N STE I N I N D E R AKTI E N R E C HTS R EVI S I O N
Anmerkungen: 1) SR 220. 2) http://www.admin.
ch/ch/d/gg/pc/past.html (2014, Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement). Vgl. ausführlich Karin Pog­
gio/Florian Zihler, Vorentwurf zur Revision des
Aktienrechts, ST 2015/1–2, S. 93 ff. 3) https://www.
bj.admin.ch/bj/de/home.html (Wirtschaft, Revi­
sion des Aktienrechts). 4) Bericht vom 17. Septem­
ber 2015 zur Vernehmlassung zum Vorentwurf
vom 28. November 2014 zur Änderung des Obli­
gationenrechts (Aktienrecht), zu finden unter:
https://www.bj.admin.ch/bj/de/home.html (Wirt­
schaft, Revision des Aktienrechts). Nachfolgend:
Bericht Vernehmlassung. 5) Haute école de gestion
Arc, Neuchâtel/Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften, Analyse d’impact de la règlemen­
tation relative à la modernisation du droit de la
société anonyme, rapport final, 30 septembre 2015.
Zu finden unter: https://www.bj.admin.ch/bj/de/
home.html (Wirtschaft, Revision des Aktienrechts).
Nachfolgend: RFA. 6) Medienmitteilung der RK-S
vom 26. August 2008; Medienmitteilung der RK-N
vom 28. August 2009. 7) SR 221.331. 8) Bericht Ver­
nehmlassung, S. 5. 9) Bericht Vernehmlassung, S. 5.
10) Medienmitteilung des Bundesrats vom 4. De­
zember 2015. 11) Interpellation Schneeberger vom
16. Juni 2015, KMU-taugliche Lösung sichern. Ein­
geschränkte Revision verwesentlichen (15.3567);
Motion Schneeberger vom 20. März 2015, Revi­
sionsstelle. KMU-taugliche Lösung sichern und
eingeschränkte Revision verwesentlichen (15.3355).
Siehe auch die parlamentarische Initiative Schnee­
berger vom 19. Juni 2015, KMU-taugliche Lösung
sichern. Eingeschränkte Revision verwesentlichen
zum Schutz unserer KMU (15.472) und NZZ vom
3. September 2015, S. 10. 12) SR 101. 13) Bericht Ver­
nehmlassung, S. 5 f. 14) Zu finden unter: https://
www.bj.admin.ch/bj/de/home.html (Wirtschaft,
Abgeschlossene Rechtsetzungsprojekte, Revision
des Aktien- und Rechnungslegungsrechts). 15) Zu
finden unter: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home.
html (Wirtschaft, Revision des Aktienrechts). 16) Zu
finden unter: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home.
html (Wirtschaft, Revision des Aktienrechts). Fak­
tisch war auch die Anhörung zur VegüV eine Ver­
nehmlassung, aber sie wurde v. a. aus zeitlichen
Gründen (vgl. Art. 197 Ziff. 10 BV) nicht vom Bun­
desrat, sondern vom EJPD eröffnet. 17) AB 2009
S. 718. 18) Zu finden unter: https://www.bj.admin.
ch/bj/de/home.html (Wirtschaft, Abgeschlossene
Rechtsetzungsprojekte, Revision des Aktien- und
Rechnungslegungsrechts). 19) Bericht Vernehmlas­
sung, S. 8. 20) RFA, S. 77 f. 21) Stimmrechtsaktien
werden geschaffen, indem die Gesellschaft Aktien
mit unterschiedlichem Nennwert ausgibt (z. B.
CHF 1000 und CHF 100) und statutarisch vor­
1–2 | 2016 E X P E R T F O C U S
schreibt, dass jede Aktie eine Stimme hat. Die Ak­
tien mit geringerem Nennwert haben somit ein
indirektes Stimmrechtsprivileg. Echte Stimm­
rechtsaktien, z. B. Aktien mit mehrfacher Stimm­
kraft, kennt das schweizerische Aktienrecht nicht.
Auch der Entwurf wird diese nicht vorsehen, da
sie zu einem Systemwechsel führen würden, der
in der Vernehmlassung kaum gefordert wurde.
22) Art.  656a ff. OR. 23) Art.  685a ff. OR. 24) Am
8. Dezember 2014 wurde bekannt, dass die Familie
Burkard ihre Stimmrechtsmehrheit an dem Spezi­
alchemieunternehmen Sika AG an den französi­
schen Baustoffkonzern Saint-Gobain verkauft hat.
Den Minderheitsaktionären musste kein Kaufan­
gebot gemacht werden, was zu einem Sturz der frei
gehandelten Sika-Inhaberaktien führte. Bedeutend
für die Intensität des Sika-Falls und die damit ver­
bundenen Kursverluste war es, dass in den Statu­
ten der Sika AG zwei Aspekte kombiniert wurden:
Zum einen bestand eine duale Aktienkapitalstruk­
tur mit Stimmrechts- und Stammaktien. So war es
möglich, dass mit einer relativ kleinen Beteiligung
die Kontrollmehrheit erreicht wurde. Zum ande­
ren enthielten die Statuten eine Klausel, wonach
insbesondere den Aktionären ohne Stimmrechts­
aktien kein öffentliches Kaufangebot gemäss Bör­
sengesetz unterbreitet werden musste (Opting-out).
25) Ip. 14.4154 vom 11. Dezember 2015. 26) Ip. 15.3163
vom 18. März 2015. 27) Po. 15.3504 vom 1. Juni 2015.
28) Vgl. Florian Zihler, Verordnung gegen über­
mässige Vergütungen, ST 2014/1–2, S. 46 ff. 29) Be­
richt Vernehmlassung, S. 6 und 21 ff. 30) Bericht
Vernehmlassung, S. 22. 31) Vgl. Economiesuisse,
Swiss Code of Best Practice for Corporate Gover­
nance, 2014, Ziff. 38. 32) RFA, S. 115. 33) Bericht
Vernehmlassung, S. 15 f. 34) Bericht Vernehmlas­
sung, S. 21. 35) Bericht Vernehmlassung, S. 22 f.
36) Bericht Vernehmlassung, S. 24. 37) Bericht Ver­
nehmlassung, S. 23 f. 38) Bericht Vernehmlassung,
S. 25. 39) Bericht Vernehmlassung, S. 25. 40) RFA,
S. 14 f. Siehe auch Abbildung 1. 41) Vgl. den Schil­
lingreport «Transparenz an der Spitze, Die Ge­
schäftsleitungen und Verwaltungsräte der hundert
grössten Schweizer Unternehmen im Vergleich»
der guido schilling ag, Zürich 2015, S. 22. 42) Vgl.
insgesamt Urs Schenker, Gleichstellung – ein ak­
tienrechtliches Thema, SZW 5/2015, S. 469 ff., der
den Geschlechterrichtwert und die Rechenschafts­
pflicht im Vergütungsbericht positiv und wirt­
schaftlich sinnvoll bewertet. 43) Bericht Vernehm­
lassung, S. 36 f. Vgl. Adrian Tagmann, Bundesrat
verlangt mehr Transparenz im Rohstoffsektor, Die
Volkswirtschaft 12/2015, S. 61 f. 44) Bericht Vernehm­
lassung, S. 49 (Anhang II), Ziff. 6.6. 45) Zu finden
unter: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis462.
R E C HT
html. Vgl. auch die vom Nationalrat abgelehnte
Motion der Aussenpolitischen Kommission des
Nationalrats vom 1. September 2014, Umsetzung
des rechtsvergleichenden Berichtes des Bundesra­
tes über die Verantwortung von Unternehmen be­
züglich Menschenrechten und Umwelt (14.3671).
46) Vgl. hiezu den erläuternden Bericht vom 28. No­
vember 2014 zur Änderung des Obligationenrechts
(Aktienrecht), S. 7 ff. 47) Bericht Vernehmlassung,
S. 6, 17 und 30. 48) Bericht Vernehmlassung, S. 7.
49) Vgl. insbesondere Art. 629 Abs. 3 des Vorent­
wurfs vom 19. Dezember 2012 zur Änderung des
Obligationenrechts (Handelsregisterrecht sowie
Anpassungen im Aktien-, GmbH- und Genossen­
schaftsrecht), zu finden unter: https://www.bj.
admin.ch/bj/de/home.html (Wirtschaft, Moderni­
sierung des Handelsregisters). 50) Zusammenfas­
sung der Vernehmlassungsergebnisse, August 2013,
S. 15 f. 51) Botschaft vom 15. April 2015 zur Ände­
rung des Obligationenrechts (Handelsregister­
recht), BBl 2015 3617, 3628. 52) Als Dispoaktien
werden Namenaktien bezeichnet, die an der Börse
erworben werden, deren Erwerber sich aber an­
schliessend nicht ins Aktienbuch der Gesellschaft
eintragen lassen. Nur wer im Aktienbuch einge­
tragen ist, gilt im Verhältnis zur Gesellschaft als
stimmberechtigter Aktionär. Auf die Vermögens­
rechte (Anspruch auf Dividende usw.) hat die feh­
lende Eintragung gemäss Bankenpraxis hingegen
keine Auswirkung. 53) Bericht Vernehmlassung,
S. 26 f. 54) Vgl. zu diesem Konzept eingehend den
erläuternden Bericht vom 28. November 2014 zur
Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht),
S. 31 ff. 55) AB 2009 S. 602 ff. und 620 ff. 56) Peter
Forstmoser/Mirjam Staub-Bisang/Rudolf Wehrli,
Vernehmlassung zum Vorentwurf für eine Revi­
sion des Aktienrechts: Rechtsgrundlage für die
Ausgabe von sog. Loyalitätsaktien, Zürich 11. März
2015. 57) Bericht Vernehmlassung, S. 27. 58) Urteil
4A_138/2014 des Bundesgerichts vom 16. Oktober
2014, E. 6.2.2. 59) Bericht Vernehmlassung, S. 14 f.
60) Bericht Vernehmlassung, S. 30 f. 61) Bericht
Vernehmlassung, S. 19. 62) Art. 963a Abs. 1 Ziff. 1
OR. 63) Art. 663e Abs. 2 aOR. 64) Bericht Vernehm­
lassung, S. 35. 65) So u. a. Bundespräsidentin Simo­
netta Sommaruga an der Medienkonferenz vom
4. Dezember 2015. 66) Vgl. hiezu den Bericht Ver­
nehmlassung, Anhang II, Ziff. 6.4. 67) Siehe ent­
sprechend oben zum Revisions(aufsichts)recht
Ziffer 1.4. 68) Vgl. die grafische Übersicht aus dem
Parlamentswörterbuch zum Gesetzgebungsverfah­
ren: http://www.parlament.ch/d/wissen/parlaments
woerterbuch-neu/Seiten/gesetzgebungsverfahren.
aspx. Ab ca. Februar 2016 sollte das Parlamentswör­
terbuch auch in englischer Fassung vorliegen.
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