Hintergrund zum Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts betr. Herausgabe von AKW-‐Abluftdaten Absonderliche Ausreden des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI Das Recht auf Einsicht in amtliche Dokumente steht nach Artikel 6 des Öffentlichkeitsgesetzes grundsätzlich jeder Person zu. Wie schwierig die Durchsetzung dieses einfachen Prinzips in der Schweiz sein kann und wie unwillig die Behörden in Atomfragen sind, diesem Recht Folge zu leisten, zeigt das folgende Beispiel. Marco Bähler, ein Strahlenschutzspezialist der die radioaktiven Emissionen aus Atomkraftwerken seit Jahren verfolgt, kämpft seit fast drei Jahren dafür, offizielle Abluftdaten schweizerischer Atomkraftwerke (AKW) vom ENSI zu erhalten. Bähler war beunruhigt, weil er 2012 während der Revision des AKW Mühleberg erhöhte Luftradioaktivität in der Umgebung feststellte. 20.07.2012 31.08.2012 12.02.2013 23.02.2013 18.03.2013 25.03.2013 18.04.2013 22.04.2013 14.05.2013 28.02.2014 14.03.2014 Bähler fragt beim UVEK nach, weshalb ihm das ENSI Fragen zu den Revisionszeiten nicht beantworte. Begründung für die Weigerung: Bei den Betriebsdaten handle es sich um börsenrelevante Angaben eines Unternehmens. Zugangsgesuch zu den EMI-‐Daten. Das ENSI lehnt die Herausgabe ab und antwortet am 20.9.: „Die dem ENSI elektronisch übermittelten Messdaten der Kamininstrumentierung liegen nicht in einer Form vor, die es erlaubt, gemäss Art. 5 Abs. 2 BGÖ durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen ein amtliches Dokument zu erstellen. Daher können wir Ihrem Gesuch nicht entsprechen.“ Bähler wendet sich in der Folge ein erstes Mal an den Datenschutzbeauftragten des Bundes (EDÖB). Er verlangt vom ENSI das Reglement AN7057, welches die Datenübertragung zwischen AKW und Aufsicht regelt. Am 6. Februar erhält er für CHF 50 zwei von acht Seiten des als «öffentlich"» klassierten Reglements, mehrheitlich eingeschwärzt. Bähler verlangt das komplette Reglement. Es wird vom ENSI für CHF 1700 offeriert. Erneutes Zugangsgesuch von M. Bähler an ENSI. EDÖB verwirft die Begründung des ENSI: „Für das Erfordernis des einfachen elektronischen Vorgangs gemäss Art. 5 Abs. 2 BGÖ kann es nicht davon abhängen, ob dazu eine Spezialsoftware verwendet werden muss, welche nur auf wenigen Rechnern der Behörde installiert und damit nur einem kleinen Personenkreis zur Verfügung steht. Solange ein Einsichtsgesuch hängig ist, sollten die Emissionsdaten vom ENSI gesichert werden“ Stellungnahme des ENSI zum erneuten Zugangsgesuch: „Gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ wird der Zugang zu amtlichen Dokumenten eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert, wenn durch seine Gewährung Informationen vermittelt werden können, die der Behörde vom Dritten freiwillig mitgeteilt worden sind und deren Geheimhaltung die Behörden zugesichert hat. … Somit gewährt das ENSI Ihnen keinen Zugang zu den online übermittelten Emissionsdaten.“ Diese Begründung wiederholte das ENSI in verschiedenen Schreiben vom 8. Mai 2013, 12. September 2013, 14. November 2013 und 24. März 2014 auf verschiedene weitere Zugangsgesuche von M. Bähler. Verfügung des ENSI – keine Herausgabe der Daten: „Im zu beurteilenden Fall wurden die vom Gesuchsteller gewünschten Daten nach 30 Tagen automatisch, definitiv und unwiderruflich gelöscht. … Die Daten sind somit weder aufgezeichnet noch im Besitz des ENSI. Die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Bst. a und Bst. b BGÖ sind somit nicht gegeben, weshalb kein amtliches Dokument im Sinne des BGÖ vorliegt. Folglich fehlt es an einem durchsetzbaren Recht auf Zugang nach dem Öffentlichkeitsgesetz.“ Erneutes Gesuch von M. Bähler mit dem Ziel ein Grundsatzurteil hinsichtlich der Öffentlichkeit der EMI-‐Daten zu erreichen. Zahlreiche Briefwechsel ENSI – EDÖB – Gesuchsteller. Das Reglement AN7057 wird geliefert. 65% sind eingeschwärzt. Aus dem Reglement wird ersichtlich, dass das ENSI den AKW-‐Betreibern vertrauliche Bearbeitung und kontinuierliche Löschung der Emissionsdaten zusichert. EDÖB stellt gegenüber ENSI klar: Es besteht keine Freiwilligkeit in der Übermittlung der Abluftdaten, sondern vielmehr eine gesetzliche Regelung. Deshalb sei auch die vom ENSI aufgerufene Geheimhaltungsvereinbarung von vornherein unwirksam. Verfügung des ENSI. Festhalten an der Argumentation, bei den Daten handle es sich nicht um ein amtliches Dokument. Für den Zugang sei eine Spezialsoftware notwendig, die Daten enthielten zudem „teilweise Geschäftsgeheimnisse der einzelnen Kernkraftwerke …, deren Veröffentlichung erheblichen kommerziellen Schaden anrichten kann“. 17.03.2014 08.05.2014 11.08.2014 29.05.2015 Nach Intervention des EDÖB liefert das ENSI kostenlos das vollständige Reglement AN7057. Eine Rückerstattung der zu Unrecht kassierten CHF 1750 wird jedoch verweigert. Beschwerde von M. Bähler – vertreten durch die Anwälte M. Looser und M. Rhyner -‐ gegen Verfügung des ENSI vor Bundesverwaltungsgericht mit Rechtsbegehren auf Einsicht in die geforderten Abluftdaten. Nach Beschwerdeerhebung gegen diese Verfügung liess das ENSI verschiedene streitbetroffene EMI-‐Daten auf ihrer Webseite veröffentlichen und informierte M. Bähler darüber u.a. im Schreiben vom 10. Juni 2014. Das ENSI habe beschlossen, der Empfehlung des EDÖB zu folgen und M. Bählers Informationsbedürfnis „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht … Rechnung zu tragen“. Mit diesem Manöver versucht das ENSI das Bundesverwaltungsgericht dazu zu bewegen die Beschwerde infolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben. Abschreibung des Verfahrens. ENSI muss Bähler CHF 10'000 Entschädigung zahlen und der Abschreibungsentscheid wird veröffentlicht. Aktuelle Praxis des ENSI Beispiel 1 In Beantwortung eines neueren Zugangsgesuchs von Greenpeace-‐Atomcampaigner Florian Kasser vom 14. November 2014 führte das ENSI mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 aus: „Die für den eingangs erwähnten Zeitraum ersuchten Abluftdaten waren zum Zeitpunkt des Zugangsgesuchs bereits gelöscht. Folglich sind sie weder aufgezeichnet noch im Besitz des ENSI. Mangels Besitzes bzw. Aufzeichnung der Information liegt insoweit kein amtliches Dokument im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Bst. a und b BGÖ vor. Deshalb besteht kein durchsetzbares Recht auf Zugang nach dem Öffentlichkeitsgesetz.“ Das ENSI stützt sich dabei auf die Empfehlung des EDÖB vom 18. März 2013 zum Gesuch von M. Bähler vom 31. August 2012 betreffend EMI-‐Daten KKM August 2012 und Juli bis September 2011. In Ziffer 23 schrieb der EDÖB dazu: „Die Daten des Jahres 2011 waren zum Zeitpunkt des Zugangsgesuches offensichtlich bereits gelöscht. Folglich waren sie entgegen dem Wortlaut in Art. 5 Abs. 1 Bst. a BGÖ gerade nicht mehr aufgezeichnet und demnach auch nicht mehr im Besitz des Behörde i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Bst b BG!O. Entsprechendes gilt auch für die Daten vom Juli 2012 und für die ersten Tage des Monats August. Da mangels Aufzeichnung bzw. Besitzes der Informationen durch das ENSI kein amtliches Dokument mehr vorlag, besteht folglich kein durchsetzbares Recht auf Zugang nach dem Öffentlichkeitsgesetz.“ Zum Argument des EDÖB, infolge automatischer Löschung von Daten nach 30 Tagen liege kein amtliches Dokument mehr vor, führten Beschwerdeführer und Anwälte vor Bundesverwaltungsgericht aus: „Zur Wahrnehmung dieser Aufsichtskompetenz besitzt die Vorinstanz [das ENSI] weitgehende Kompetenzen (vgl. insbesondere Art. 72 KEG). Umgekehrt treffen die KKW-‐ Betreiber umfangreiche Auskunfts-‐, Herausgabe-‐ und Zugangsgewährungspflichten (vgl. u.a. Art. 73 KEG und Art. 35 Abs. 2 StSG). … Die Vorinstanz war gestützt auf diese Aufsichtskompetenzen bereits einmal im Besitz der ersuchten Emissionsdaten. Aufgrund ihrer Aufsichtskompetenzen kann sie die gewünschten Messdaten vorliegend nochmals bei den KKW Mühleberg und Leibstadt einfordern. Aufgrund des gestellten Zugangsgesuchs muss sie dies auch tun. Umgekehrt sind die KKW-‐Betreiber von Gesetzes wegen (nicht zuletzt aufgrund von Art. 73 KEG) und qua Aufsichtsverhältnis verpflichtet, der Vorinstanz diese Messdaten auf deren Anweisung hin erneut zu liefern.“ Dabei stützen sich Beschwerdeführer und Anwälte auf die Gesetzesmaterialien sowie auf eine Lehrmeinung. Diese Frage ist jedoch von einem Gericht bisher noch nicht entschieden worden. Solange wird sich das ENSI mit Bezug auf „bereits gelöschte“ EMI-‐Daten auf der dargestellten Position ausruhen. Die Herausgabe aktueller Emissionsdaten wird das ENSI unter Berufung auf die zugesicherte Geheimhaltung weiterhin monatelang verzögern oder verweigern können. Beispiel 2 Am 21. Januar kam es im AKW Leibstadt (KKL) zu einer Schnellabschaltung. Gemäss ENSI wurde dabei keine Radioaktivität freigesetzt. Das MADUK-‐Netzwerk hatte jedoch erhöhte Werte gemessen. Am 30. Januar 2015 verlangte M. Bähler vom ENSI die EMI-‐Daten des Januars. Es vergingen drei Monate intensiver Kommunikation, doch erst eine drohende erneute Empfehlung des EDÖB konnte das ENSI dazu bewegen, die Herausgabe der EMI-‐Daten zu versprechen. Das Schlichtungsbegehren wurde in der Folge durch den EDÖB abgeschrieben. Das KKL konnte anschliessend auf der Webseite des ENSI seine Sicht der Dinge darlegen, das ENSI publizierte die EMI-‐Daten mit beschwichtigendem Kommentar, und schliesslich erhielt auch Bähler am 7. Mai die vom KKL kommentierten EMI-‐Daten. Beispiel 3 Bähler verlangte die Revisionsberichte des AKW Mühleberg der Jahre 2012 und 2013. Nach ermüdendem Briefwechsel mit dem ENSI, welches mehr als 2000 Fr für die Berichte forderte, wurde der EDÖB für eine Schlichtung angerufen. Dieser sollte feststellen, ob der hohe Preis bzw. die Schwärzungen gerechtfertigt sind. Das ENSI versprach dem EDÖB, die Berichte aus Goodwill gratis liefern zu wollen – die Schlichtung wurde am 23. März abgeschrieben; die Berichte sind weiterhin ausstehend. Ein Sachbearbeiter des EDÖB dazu: „Theoretisch kann das ENSI für die Bearbeitung der Berichte à gogo Zeit veranschlagen, wenn sie kompliziert sind.“
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