Treffpunkt Tankstelle

Treffpunkt Tankstelle | Manuskript
Treffpunkt Tankstelle
Bericht: Thomas Kasper
Freitag 15 Uhr in Oschatz. Falk und Pascale geben Gas. Sie wollen auf dem schnellsten Weg
zu ihrem Lieblingsplatz. Und der liegt für die beiden ganz am Rande der Stadt, auf dem
Außengelände einer Tankstelle. Falk und die Moped-Clique, das sind 10 Jugendliche. Sie
wohnen in Oschatz und den umliegenden Dörfern.
Falk: „Ich bin 17 und bin noch in der Schule und mache einen Realschulabschluss und
danach Ausbildung. KFZ- Mechatroniker.“
Florian: „Ich bin 18 und mach eine Ausbildung zum Landwirt, in Dresden.“
Reporter: „Du Lilli bist das einzige Mädchen in der Clique?“
Lilli: „Ja, eigentlich schon, ja.“
Die Tankstelle am Rande der Stadt ist der Platz, an dem sie Freunde treffen. Hier sind sie
geduldet, hier fühlen sie sich wohl.
Reporter: „Warum trefft ihr euch an der Tankstelle?“
Pascale: „Wissen alle, wo es liegt. Ist ein cooler Ort.“
Tankstellensaison ist eigentlich immer, auch bei schlechtem Wetter.
Terenc: „Ja bei Regen treffen wir uns hier meist. Aber da gehen wir in die Waschbox rein.
Mit dem Moped. Da warten wir immer bis es wieder trocken ist, weil wir nicht gerne bei
Regen fahren.“
Gleich neben der Moped-Clique, die nächste Gang. Es sind die „Großen“, die Tuning-Clique
von Sebastian.
Sebastian: „Ich hab den vorhin poliert.“
Der 28-Jährige ist bei der Bundeswehr. Die Woche verbringt er in der Kaserne. Am
Wochenende hängt er hier mit seinen Freunden ab. Aber warum ausgerechnet an der
Tankstelle und nicht beispielsweise im Stadtpark?
Sebastian:
„Ja was will man im Stadtpark, ganz ehrlich? Wenn man jetzt in den Stadtpark geht, da
haste die ganzen alten Leute, die beschweren sich, weil es zu laut ist. Und, keine Ahnung,
das bringt es ja nicht. Deshalb gehen wir halt hierher. Weil, hier ist es abgelegen,
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hier hat man Parkplätze, hier kann man Musik hören, hier kann man die Autos waschen,
hier kann man ein bisschen quatschen. Und mehr ist ja hier eigentlich nicht.“
Sebastian ist Tankstellen-Veteran. Seit über 10 Jahren verbringt er die Wochenenden
zwischen Zapfsäule und Wasch-Box. Das Freizeit-Equipment ist immer mit dabei.
Später Nachmittag, die Kids der Moped-Clique kriegen Hunger. Kulinarischer Höhepunkt des
Tages, die Aral-Bocki am Tankstellen-Staubsauger. Dann ein bisschen Moped-Schrauben,
Fachsimpeln, Flirten, Musikhören. Statt alleine zu Hause vorm PC zu sitzen, sind sie lieber
gemeinsam an der Tankstelle. Ihre Heimatstadt hätte nicht viel zu bieten, sagen sie. Falk, Lilli
und die anderen zeigen uns Oschatz. Oschatz aus ihrem Blickwinkel. Die Tour führt am
Altmarkt vorbei. Dass man früher einfach mal so in der Stadt ins Kino gehen konnte, kennen
sie nur noch aus den Erzählungen der Eltern.
Falk: „Das soll das alte Kino gewesen sein, oder Terence?“
Terence: „Ja, so wie ich es erfahren habe, war hier mal ein Kino drinne.“
„Wann war das?“
„Wie lange ist das? Das kann ich gar nicht so genau sagen. Das ist aber schon ziemlich
lange her.“
Heute steht hier die Stadthalle. Die Veranstaltungen der nächsten Monate passen in einen
Schaukasten. Höhepunkt des Jahres: Ein „lustiger“ Abend mit Karl Dall im November. Die
Jugendlichen kennen den alten Komiker nicht, verwechseln ihn mit Dieter Hallervorden.
Florian: „Oschatz ist ja eher für ältere Leute gedacht, weil für junge Leute gibt es eigentlich
nicht viel, wirklich. Drum sind wir ja meistens an der Aral.“
Am Rande der hübschen Altstadt, der Freizeit-, Tier- und Familienpark. Dumm nur, der
schließt schon 19 Uhr, und das auch im Sommer. Zwar gibt es in Oschatz ein Jugendzentrum,
das E-Werk. Doch auch hier, nichts los. Die nächste Veranstaltung ist in einem Vierteljahr.
Am Wochenende bleibt das Zentrum geschlossen.
Es ist kurz vor acht am Abend. Falk muss nach Hause, mal Hallo sagen. Der Vater will, dass er
Abendbrot isst.
Vater: „Na was willst’e drauf haben?“
Essen im Stehen gibt es nur, wenn Mutti nicht zu Hause ist. Mit dem Tankstellen-Hobby
seines Sohnes hat sich Norbert Guckland abgefunden.
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Norbert Guckland:
„Wo wollen sie hin? Früher sind wir auch das Wochenende auf Zeltplätze gefahren, aber
heutzutage kostet das alles Geld. Das ist eben das Geld. Es fehlt den Kommunen, es fehlt
den Eltern, es fehlt eigentlich allen. Das ist eben der ganze Haken.“
Abends um neun. Während in Oschatz Downtown gerade das letzte Café schließt, pilgern
immer mehr Jugendliche aus Oschatz und den umliegenden Dörfern zum Freizeittreff an den
Zapfsäulen.
Falk: „...17, 18, 19, 20, 21 Autos, hab ich jetzt gezählt.“
21 Fahrzeuge mit je vier bis fünf Personen, das macht an die 100 Jugendliche, die sich jetzt
an der Tankstelle befinden. Zum ersten Mal an diesem Tag entdecken wir einen der jungen
Leute beim Benzinzapfen – eigentlich das Kerngeschäft hier.
Für Stationswart Michael Bäger gehören die Jugend-Cliquen einfach dazu. Manche der
Tankstellen-Freizeitkunden kennt er schon seit Jahrzehnten.
Michael Bäger:
„Bin seit 24 Jahren hier und das geht von der ganz frühen Jugendzeit los, die da kommen,
sag ich mal. Wir sehen ja richtig, wie die groß und älter werden. Und fangen meist mit der
Mopedzeit dann an, 14, 15, 16, sind die dann hier und manche begleiten uns bis jetzt, muss
ich sagen.“
Kurz vor 22 Uhr wollen die Jugendlichen in die Landeshauptstadt aufbrechen. Sebastian, von
der Tuning-Clique, ist mit dabei, wie jede Woche.
Sebastian:
„Wir fahren nach Dresden jetzt, zum Elbepark. Da ist jeden Freitag ein Treffen. Sind halt
ein Haufen Autos. Laufen rum, kucken an, und irgendwann wieder nach Hause.“
Statt Disko wieder Parkplatz. Nur einer in Dresden. Heute dürfen auch die Jüngsten mit, Lilli
und Terence, beide sind erst 15.
Reporter: „Wie lange werdet ihr durchhalten?“
Terence und Lilli: „Bis morgen früh. Dann geht es pennen.“
Lilli und Terence schlafen jetzt schon fast. Egal, Hauptsache mit den Kumpels unterwegs sein.
Für wenige Stunden kehrt hier jetzt Ruhe ein, an der Tankstelle am Rande von Oschatz.
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