Die ZEIT, 28. Januar 2016 - Stuttgarter Antiquariatsmesse

50 FEUILLETON
28. J A N U A R 2016
KUNSTMARKT
D I E Z E I T No 5
TRAUMSTÜCK
Motorenzauber
Über ein wegweisendes Bild von
Fernand Léger VON LISA ZEITZ
»Es hat mir nie Spaß gemacht, eine Ma­schine
abzumalen«, sagte der Künstler. »Ich erfinde
Bilder von Maschinen, wie andere sich Landschaften ausdenken.« Dieser Satz passt perfekt auf sein Gemälde Le ­moteur, pre­mier ­état
von 1918. Es ziert den Katalog der
Christie’s-Abend­auk­tion mit Kunst des Impressionismus und der Moderne, die am
2. Februar in London stattfindet. Das Ölbild
auf Leinwand, 40,5 mal 33 Zentimeter groß,
ist auf 4 bis 6 Millionen Pfund geschätzt –
1992 war es bei Sotheby’s für 460 000 Pfund
zugeschlagen worden und befindet sich seitdem im Besitz derselben Familie.
Wie andere Künstler Berge, Täler, Flüsse
und Bäume komponieren, so hat Fernand­
Léger hier Kolben und Räder zusammengefügt. Die Glanzlichter auf den Wölbungen
der abstrakten blauen Elemente lassen an
Stahlrohre denken. Fast kann man sich vorstellen, welche metallisch harten Geräusche
das Dargestellte in rhythmischer Bewegung
verursachen würde.
»Für mich«, sagte der Künstler, »ist das
mechanische Element keine fixierte Po­si­
tion oder Einstellung, sondern ein Mittel,
mit dem ich ein Gefühl von Stärke und
Macht hervorrufe. Ich versuche, ein schönes Objekt mit mechanischen Elementen
zu schaffen.« ­Léger ist bekannt für seine
geometrischen Figuren und Zylinderformen.
Seinen typischen Stil entwickelte er genau
um die Entstehungszeit dieses Bildes herum, direkt im Anschluss an seine Zeit
beim Militär im Ersten Weltkrieg. Auch
wenn er von nun an Menschen malte, verwandelte er sie in Motoren. Im Krieg hatte
er jahrelang keinen Farbpinsel in der Hand
gehabt, und doch hat sich seine V
­ ision in
Abb.: Antiquariat Solder; © Christie’s Images Limited/VG Bild-Kunst, Bonn 2016 (r.)
Eine Erstausgabe
von »Felix der
Kater« aus dem
Jahr 1927 bietet
das Antiquariat
Michael Solder auf
der Antiquaria in
Ludwigsburg an
(Preis: 450 Euro)
Nietzsche und die Schiller-Locke
Auf dem Markt für alte Bücher gilt das Interesse nicht mehr nur seltenen Erstausgaben, sondern vor allem dem Obskuren. Ein Vorbericht
über die Antiquariatsmessen in Stuttgart und Ludwigsburg VON ANNEGRET ERHARD
J
ahrelang gab es das gleiche Schauspiel:
Die Pforten zur Antiquariatsmesse im
Kunstverein am Stuttgarter Schlossplatz
öffnen sich, und eine Menschenmenge
stürzt in die Hallen, rennt, rempelt,
bahnt sich den Weg. Jeder will an den
Stand, an dem das Werk steht, das er (es
sind tatsächlich überwiegend Männer) im vorab
versandten Katalog entdeckt hat. Die Statuten der
Messe ließen eine Reservierung nicht zu, man
musste einfach nur der Erste am Stand des jeweiligen Antiquariats sein. Diese gleichermaßen würdelose wie erheiternde Stampede geballter Sammlerleidenschaft gibt es nicht mehr. Nicht dass die
Bibliophilen ausgestorben wären. Das Prozedere
auf der Messe wurde schlicht geändert. Nun werden vorab die Interessenten gelistet und vor Ort
ausgelost. Das ist auch nicht immer lustig, aber die
Frustrationsschwelle eines Sammlers ist natur­
gemäß und ziemlich sicher so hoch wie seine Bereitschaft, aufzuspüren und zu erkunden.
Was sich ebenso geändert hat, sind die Themen
und Sparten, die nun gerade von jüngeren Sammlern kompiliert werden. Das Interesse gilt dem
Obskuren, dem Ephemeren, dem Objektcharakter
eines Druckwerks. Die fantasieanregende Nar­ra­
tion, die Kunde aus der Vergangenheit soll gleichsam als Schlaglicht beispielsweise in einer weniger
spektakulären, aber punktuell aufschlussreichen,
möglichst bis dato unbekannten Broschur greifbar
werden. Das Skizzenhafte, der Beleg einer Idee, das
Fragmentarische, in dem das große Ganze aufblitzt, erregt Aufmerksamkeit.
Freilich finden sich im Katalog zur diesjährigen Messe des Verbands der Antiquare (29. bis
31. Januar, www.stuttgarter-antiquariatsmesse.de)
unter den Ankündigungen der 70 Aussteller – zur
Internationalität tragen 17 Teilnehmer aus Österreich, der Schweiz, aus Großbritannien und
Italien bei – weiterhin die Werke der klassischen
Bibliophilie.
Tenschert (Bibermühle, Schweiz) etwa präsentiert ein mit 31 ganzseitigen Miniaturen kostbar
illuminiertes Ritterepos, eine elsässische Handschrift aus der Fürstlich Fürstenbergischen Hof­
biblio­
thek Donaueschingen für 2,4 Millionen
Euro. Das Antiquariat Bado e Mart bringt für seine Stuttgarter Premiere aus Padua die erste gedruckte Ausgabe von Petrarcas Trionfi e canzoniere
mit, eine venezianische Inkunabel von 1497
(28 500 Euro). Hatry (Heidelberg) hat ein Konvolut mit 23 Flugschriften zum Bauernkrieg dabei,
agitatorische Pamphlete aus den Jahren 1524/25,
unter anderem mit scharf formulierten Stellungnahmen von Martin Luther und Thomas Müntzer, die seinerzeit zwar massenhaft gedruckt und
verbreitet wurden, jedoch als Propagandamaterial
nur selten in einigermaßen gutem Zustand erhalten blieben (68 000 Euro).
Mit solchen Werken ist sowohl der einsatzbereite
Sammler angesprochen, der auf die solide Wertanlage eines Rarissimums setzt, als auch der bildungsbürgerlich orientierte Bibliophile mit einem nicht
unerheblichen Quantum an Pres­tige­bewusst­sein.
Unbestreitbar ist aber auch deren, zugegeben vielleicht etwas behäbig daher­kommender, über die inhaltliche Bedeutsamkeit hinausweisender, buchstäblich greifbarer ­Zeitzeugenstatus.
Kleine Werbebroschüren aus den zwanziger
Jahren sind heute gesuchte Ware
Der bemerkenswert hohe Standard der Stuttgarter
Messe zieht sich durch (fast) alle Wissens- und
Sammelgebiete. Gut vertreten sind nach wie vor
seltene Erstausgaben der deutschen Literatur zwischen Sturm und Drang, Kafka und Thomas
Mann (überwiegend im mittleren vierstelligen
Euro-Bereich), die frühen Landkarten und Atlanten, die üppigen Tafelwerke zu Flora und Fauna,
die Reiseliteratur der Entdecker und ihrer Begleiter, etwa Georg Forsters erste Ausgabe der zweibändigen Beschreibung von Captain Cooks Reise
um die Welt mit der Resolution (4800 Euro).
Das einst starke Interesse an Werken zur Medizingeschichte – es gehörte zu einem intellektuell
grundierten und kultivierten Arzthaushalt eine respektable Fachbibliothek – ist geschrumpft, geblieben ist die Freude an frühen Anatomie-Atlanten
wie Felix Platters De Corporis Humani von 1603,
unter dessen zahlreichen Kupferstichtafeln sich die
erste, ausgesprochen anmutige Darstellung eines
weiblichen Skeletts findet (bei Fons Blavus aus
Renningen, 6500 Euro).
Einigen Pfiff in die gediegene Veranstaltung
wird Neuzugang Emanuel von Baeyer aus London
bringen, er versteht sich auf Entlegenes und inspiriert mit gut recherchierten Fundstücken. Sein
1971/72 nur in 75 Exemplaren herausgegebenes
Großformat von John Cages Mushroom Book mit
zwanzig signierten Lithografien, auf denen Textfragmente zu den Themen Pilzbestimmung und
experimentelle Musik gleichsam als avantgardis­
tische Partitur angeordnet sind, kostet 15 000 Euro.
Und leitet über zur 30. Antiquaria, der einst als
Satellit gegründeten, jung gebliebenen und dabei
bestens etablierten Buchmesse in Ludwigsburg
(28. bis 31. Januar, www.antiquaria-ludwigsburg.
de). Hier gibt es die 1973 gedruckte Buchausgabe
des Mushroom Book mit den kalligrafischen Illustrationen, auf dem Schutzumschlag ein Foto des
fröhlichen Meisters mit Pilzkörbchen auf der
Pirsch (190 Euro); Anbieter ist das Hamburger
Antiquariat Mykolibri, das sich – Cage wäre
Stammkunde – auf die Pilzkunde im weitesten
Sinn spezialisiert hat.
In Ludwigsburg zeigt sich auch vermehrt, dass
die typografischen, die gebrauchsgrafischen Hervorbringungen der zwanziger und dreißiger Jahre,
die Leistungen in Architektur und Gestaltung einhergehend mit Fotografie zeigen, Konjunktur haben. Kleine Werbebroschüren wie die 1927 von
dem bedeutenden (aus Deutschland vertriebenen)
Gebrauchsgrafiker Paul Renner als Fotocollage gestaltete und heute quasi unauffindbare Zeitungsbeilage Für Fotomontage Futura (380 Euro, Feurer,
Obing) sind derzeit ebenso gesucht wie etwa der
31-seitige broschierte Katalog zur ersten russischen Kunstausstellung 1922 bei van Diemen in
kunstmarkt zeit.de/auktion
Berlin, dessen konstruktivistischen Schutzumschlag El Lissitzky entworfen hat (2500 Euro,
Gerber, Basel).
Fast alle Antiquare sind der Aufforderung­
gefolgt, zum 30. Jubiläum und angesichts des
hübsch-eklektizistischen Veranstaltungsorts Musik­
halle Ludwigsburg das eine oder andere Werk zum
Thema Musik mitzubringen. Volkert aus Traunstein ist mit der Erstausgabe von Nietzsches Erstling Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der
Musik (5000 Euro) angereist; da war der große
Philosoph noch Wagner-Anhänger reinsten Wassers, das sollte sich gründlich ändern, später sprach
er von »dieser jetzigen deutschen Musik ... als
Nerven­verderberin ersten Ranges«. Bei Sander aus
Dresden gibt es eine ganze Reihe von Lieder­
büchern, die von einstiger großer Sangesfreude in
Deutschland künden, schönstes Beispiel ist das
Liederbuch für Fußballspieler von 1908, das, nein,
nicht die Nationalhymne enthält, sondern einen
»Klagegesang der Schiedsrichter« (700 Euro).
Echtes blondes Dichter-Haar gibt es für
15 000 Euro in Ludwigsburg zu kaufen
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1433
– zur Blütezeit der Florentiner Frührenaissance – schuf der Künstler Filarete ein exquisites kleines Bronzerelief mit dem Triumphzug Cäsars. Die Londoner Kunsthandlung Tomasso Brothers stellt es bis
zum 30. Januar in der New Yorker Galerie
von Carlton Hobbs aus und hat es prompt
verkauft. Für einen »bedeutenden« siebenstelligen Dollar-Betrag, heißt es.
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den Schützengräben herausgebildet. Bei all
dem Grauen, dem mensch­lichen Leiden
und Sterben um ihn herum fand er für sich
die Schönheit in der Maschine, in den
Waffen und Flugzeugen, den Kanonenrohren und den Propellern. Le ­moteur malte
er im Mai 1918, während er, an Tuber­
kulose erkrankt, in einem Hospital behandelt wurde – vielleicht mit dem Glauben,
es ginge uns allen besser, wenn wir Maschinen wären.
Lisa Zeitz ist Chefredakteurin von
»Weltkunst« und »Kunst und Auktionen«
Vielleicht gelingt es ja – unterstützt von der munteren Jubiläumsidee, allen Ludwigsburger Besuchern
unter dreißig Jahren freien Eintritt zu gewähren –,
den so dringend erhofften Nachwuchs zu begeistern. Die von einem Zertifikat begleitete blonde
Haarlocke Schillers (15 000 Euro, Kotte, Roßhaupten) wird es wohl eher nicht sein, wir tippen
auf die Offerte von Brugsch und Lehmanns­
Colonialwaren aus Berlin, dort findet sich ein­
Seuttersches Globenpaar von 1710, das Himmel
und Erde in einer Zeit abbildet, als es noch viel zu
entdecken gab (45 000 Euro); von Beflissenheit
befreites Zeitkolorit bietet ein kleines Heftchen mit
Beiträgen der Kommunistischen Internationale,
das 1937 zu Tarnzwecken mit einem Umschlag der
allseits populären Operettenführer (hier zu Johann
Strauß’ Fledermaus) versehen worden war. Das Rote
Antiquariat aus Berlin bietet es für 100 Euro an.
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Alle Rechte vorbehalten. © DIE ZEIT. Download vom 08.02.2016 12:37 von www.genios.de.