Die Welt zockt in Essen

MAGAZIN 39
Tageblatt
Dienstag, 13. Oktober 2015 • Nr. 238
TAGEBLATT PREMIUM
Die Welt zockt in Essen
GESELLSCHAFTSSPIELE Luxemburger Autoren und Erklärbären auf der Spiel’15
Ganz gegen jeden
Online-Trend sind Brett- und
Kartenspiele so beliebt wie
nie zuvor. Eine Rekordzahl
von 162.000 Spielefans,
Lizenznehmern und Händlern
besuchten vergangenes
Wochenende die
weltweit größte Messe für
Gesellschaftsspiele in Essen.
Vier Tage lang konnten Tausende
Brett- und Kartenspiele getestet
werden, darunter auch mehr als
1.000 Neuheiten, die der Öffentlichkeit im Hinblick auf das große Weihnachtsgeschäft erstmals
vorgestellt wurden. 910 Aussteller aus 41 Nationen zeigten und
erklärten ihre Produkte, darunter
auch drei Spieleautoren aus Luxemburg.
Dennis Kirps, Jean-Claude Pellin und Christian Kruchten haben mehrere Kinder- und Familienspiele zum Teil gemeinsam
entwickelt und Verlage gefunden, die diese kommerziell vertreiben. Die kreative Stube der
Luxemburger Spieleautoren ist
die Gosseldinger Schule, wo sich
der einzige nationale Brettspielclub „Spillfabrik“ einmal die Woche trifft.
„Wir haben irgendwann festgestellt, dass wir sowohl bei der
Entwicklung von Spielen als
auch bei der Suche nach Verlagen schneller weiterkommen,
wenn wir zusammenarbeiten“,
sagte Jean-Claude Pellin, der
auch beruflich im spielpädagogischen Bereich tätig ist. Gemeinsam mit Dennis Kirps hat er das
Kinderspiel „Fish’n’Stones“ erfunden, die grafische Ausgestaltung und den Vertrieb übernimmt jedoch immer der Verlag.
Von der Abgabe der Idee in
Form eines Prototypen bis hin
zum fertigen Brettspiel können
über zwei Jahre vergehen, „und
wenn der Verlag Spielsteine mit
Fischen für werbewirksamer hält
als Obstmotive, dann kommen
eben Goldfische drauf. Wir entwickeln nur ein System mit Regeln und verkaufen dieses. Generell kommt man sich entgegen,
doch wir sind uns stets bewusst,
dass etwas entstehen könnte, das
uns nicht mehr gefällt“, sagte
Jean-Claude Pellin. „Wir versuchen deshalb, an den Folgerechten beteiligt zu werden, etwa, indem wir nur die Rechte für ein
bestimmtes Land abtreten. Reich
wird man als Brettspieleautor also eher nicht“, fügte Dennis
Kirps hinzu, der schon zig Spiele
herausgebracht hat, unter anderem mit Gérard Pierson und
Christian Kruchten. Übers Ohr
gehauen werde man aber selten,
denn Verlage gebe es wie Sand
am Meer, gute Idee dagegen
nicht. Wenn ein Verlag in Verruf
gerate, dann wäre dies fatal für
sein Geschäft, da die Kunden zu
ihren Autoren hielten.
Erklären im Minutentakt
Kinder interessieren sich wohl
kaum für diese Hintergründe,
doch auf der „Spiel’15“ wurde
auf einen Blick klar, wer die
Hauptzielgruppe ist: Erwachsene, die sich für hochkomplexe,
prächtig ausgestaltete Welten aus
Karton und Holz interessieren.
Um den Kunden diese nahezubringen, beschäftigten die Verlage während der Messetage Hunderte von sogenannten „Erklärbären“. Einer von ihnen war
Christian Kruchten, selbst CoAutor der Familienspiele „Balla
Balla“, „Insekten Hotel“ und „Sifaka“. Der Polizist besuchte die
Spielemesse vor 15 Jahren zum
ersten Mal und lernte im Laufe
der Zeit die Erklärbären am Ra-
Fotos: Lisa Goedert
Lisa Goedert
Die Tipps der Erklärbären ermöglichen den Messebesuchern einen schnellen Spielstart.
vensburger-Stand kennen. Über
eine Empfehlung ergatterte er einen der begehrten Betreuerjobs,
die von den meisten Verlagen mit
Vorabexemplaren der Neuerscheinungen entlohnt werden.
Auf diese Weise können die Erklärbären sich zu Hause optimal
auf ihre anstrengende Aufgabe
vorbereiten: „Man muss die Spiele unbedingt selbst ein paar Mal
durchspielen, die Regeln nur zu
lesen reicht nicht“, riet Kruchten,
der diese Strategie auch jedem
empfiehlt, der viel Wert auf Harmonie bei Spieleabenden im
Freundeskreis legt.
Die Spillfabrik hat zudem eine
Erklärbärin am Start. Jeia Scholtus ist erst seit vier Jahren dabei
und war diesmal im Business-Bereich des Pegasus-Verlags im Einsatz, was ein echter Ritterschlag
ist. Sie war über eine Bewerbung
beim Verlag an den Job gekommen: „Richtige Castings gibt es
nicht, aber für wichtige Messen
wie die hier in Essen wählen sie
70-80 Erklärbären aus, die sich
schon auf anderen Messen bewährt haben.“ Das Erklären in
der abgeschotteten BusinessLounge ist allerdings sehr verkaufsorientiert, niemand setzt
sich hin und will wirklich spielen: „Die Leute draußen zu betreuen, immer mal wieder einzugreifen und Tipps zu geben,
macht genauso viel Spaß. Das hat
eine ganz andere Dynamik“,
schlussfolgerte Jeia.
Den Luxus eigener Erklärbären
können Jean-Claude Pellin und
Dennis Kirps noch nicht genießen, da die meisten ihrer aktuellen Spiele bei kleineren Verlagen
ausliegen, „aber die Spillfabrik
hat kürzlich zwei richtig große
Treffer gelandet, die Anfang 2016
erscheinen. Mehr dürfen wir
euch leider noch nicht verraten.“
Fotos
tgb.lu/spiel15