Und willst kein braver Schuldner du sein, dann meld

WRP – Wettbewerb in Recht und Praxis
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Palzer, Und willst kein braver Schuldner du sein, dann meld’ ich bei der SCHUFA dich ein!
dass er sogar in Kauf nimmt, dass 750.000 AGB von Unternehmen abgeändert werden müssen und damit für die Wirtschaft ein
Umsetzungsaufwand von 70 Millionen EUR entsteht.
52 Ob der Gesetzgeber wirklich nur „missverständliche“, aber ohnehin rechtswidrige Schriftformklauseln untersagt hat, ist zweifelhaft. Denn nach der bisherigen Normfassung war es lediglich
unzulässig, eine strengere Form als die Schriftform auszuschließen. Wenn ein Unternehmen aber die Geltung der §§ 126 Abs. 1,
Abs. 3, 127 Abs. 2 BGB ausschloss, hat es damit keine strengere
Form als die Schriftform gewählt, sodass die Auffassung des OLG
München, dass in einem derartigen Fall gleichwohl ein Verstoß
gegen 309 Nr. 13 BGB a. F. vorlag, nicht zwingend war. Auch das
OLG Hamburg hat eine vergleichbare Schriftformklausel bei
einem Online-Dienst als unzulässig angesehen, weil ein derartiger Verstoß bei einem Online-Dienst nicht erwartet werde und
deswegen eine überraschende Klausel im Sinne von § 305 c
Abs. 1 BGB vorliege.80) Diese Begründung überzeugt mehr, doch
lässt sich mit einer derartigen Argumentation kein Totalverbot
derartiger Klauseln rechtfertigen. Insbesondere bei Verträgen,
die nicht im Internet geschlossen werden, stellt sich auch die
Frage, ob eine Schriftformklausel, bei der die Textform und die
Faxversendung ausgeschlossen wurden, immer unbillig sein
muss, zumal es sachliche Gründe für ein derartig verschärftes
Schriftformerfordernis (etwa Ermöglichung eines Urkundenprozesses) geben kann.81)
53 Immerhin hat der Gesetzgeber den Unternehmen für diese große
Aufgabe eine Umstellungsfrist bis zum 01.10.2016 eingeräumt.
Möglicherweise soll auf diese Weise auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Unternehmen diese im „Gesetz zur
Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts“ geschickt
versteckte Norm erst einmal finden müssen.
aufzulösen. Diese gesetzliche Intention ist sicherlich begrüßenswert. Doch hat der Gesetzgeber das eigentliche Problem, die zu
schlechte personelle und finanzielle Ausstattung der an sich
zuständigen und mit großer Rechtsmacht ausgestatteten Datenschutzbehörden, nicht beseitigt. Vielmehr wurde den Datenschutzbehörden durch das nun obligatorische Anhörungsverfahren in datenschutzrechtlichen UKlaG-Streitigkeiten nur noch
eine zusätzliche zeitfressende Aufgabe zugeteilt, welche das Vollzugsdefizit auf der Behördenebene weiter vergrößern dürfte.
Durch die Pflicht zur Anhörung von Datenschutzbehörden wird
zudem ein rechtsstaatliches und faires Verfahren gefährdet.
Denn die angehörten Datenschutzbehörden haben ihrerseits
Amtsermittlungsbefugnisse, mit denen sie mittels Verwaltungszwangs Sachaufklärung betreiben können. Damit können sie,
mit dem Beibringungsgrundsatz unvereinbar, die klagenden Verbände bei Sachverhaltsproblemen unterstützen. Da die Datenschutzbehörden wie unabhängige rechtliche Sachverständige angehört werden, werden sie auch faktisch bei der Beantwortung
von Rechtsfragen einen entsprechenden Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben. Dies ist deswegen besonders bedenklich, da sowohl Datenschutzbehörden als auch Verbände bereits
im Gesetzgebungsverfahren ein abgestimmtes Verhalten und
eine enge Kooperation angekündigt haben. Diese institutionalisierte Zusammenarbeit geht auch weit über eine – bereits jetzt
mögliche – freiwillige Zusammenarbeit hinaus, da die Datenschutzbehörden bislang noch bei ihrer Weitergabe von Informationen ihrerseits datenschutzrechtlichen Schranken unterworfen waren und zudem bislang in Zivilverfahren keine besondere
Rolle spielten. Sollte der Gesetzgeber hier nicht nachbessern,
steht zu befürchten, dass das geschaffene und mit dem Grundsatz
der prozessualen Waffengleichheit unvereinbare verfahrensrechtliche Ungleichgewicht auf Dauer mehr Probleme schaffen
als lösen wird.
III. Zusammenfassung und Ausblick
54 Mit der Einführung von mehr und weitergehenden Verbandsklagerechten bei Datenschutzverstößen versucht der Gesetzgeber, das Umsetzungs- und Vollzugsdefizit im Datenschutzrecht
80) OLG Hamburg, 23.09.2014 – 3 U 50/14, BeckRS 2015, 01644.
81) Kritisch insofern Abel, Schriftliche Stellungnahme für die Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 06.05.2015, S. 10 f.
Mag. jur. Christoph Palzer, Bayreuth*
Und willst kein braver Schuldner du sein, dann meld’ ich bei
der SCHUFA dich ein! – Ein lauterkeitsrechtlicher Blick auf ein
ambivalentes Phänomen
Zugleich eine Anmerkung zu BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13 – Schufa-Hinweis**
Inhalt
I. Hintergrund
II. Gegenstand und Gang des Verfahrens
III. Die Entscheidung des BGH
1. Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit
2. Rechtfertigung durch § 28 a Abs. 1 Nr. 4 lit. c BDSG
* Mag. jur. Christoph Palzer ist Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Steuer- und Sozialrecht (Prof. Dr. KarlGeorg Loritz) der Universität Bayreuth. Mehr über den Autor erfahren Sie auf S. 539.
** Abgedruckt in WRP 2015, 1341 ff.
IV. Bewertung
1. Lauterkeitsrechtlicher Flankenschutz zu Gunsten des
eigentlichen Regelungsanliegens des § 28 a Abs. 1 Nr. 4
lit. c BDSG
2. Exkurs: SCHUFA-Hinweis (erst Recht) unzulässig, wenn
der Mahnende den Eintrag nicht bewirken kann
3. Mehr Rechtssicherheit!
V. Ausblick
1. UWG-Novelle 2015 – aus § 4 Nr. 1 UWG 2008 wird § 4 a
UWG 2015
a) Mittel der Aggression
aa) Unzulässige Beeinflussung, § 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 3
UWG 2015
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bb) Nötigung, § 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG 2015
cc) Zwei sich überschneidende Kreise
b) Erhebliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit
c) Ergebnis
2. Datenübermittlung an Auskunfteien nach der Datenschutzgrundverordnung
I.
Hintergrund
1 Wo man auch hinblickt: Die weichgezeichneten Bilder auf der
Internetpräsenz der SCHUFA, Deutschlands führender Auskunftei,1) zeigen fröhliche, vorwärtsgewandte, anpackende Gesichter;
über allem ein kleiner Junge, der sich eng an seinen Vater
schmiegt und mit beiden Armen dessen Beine umklammert –
„So gut fühlt sich Vertrauen an“. Mit diesem Selbstbildnis dürften die typischen Assoziationen, die die SCHUFA, durchaus auch
sinnbildlich für vergleichbare Unternehmen, bei vielen auslöst,
deutlich kontrastieren: Der negative SCHUFA-Eintrag nämlich,
dieses gedankliche pars pro toto, steht für erhebliche Krediterschwernisse auf Seiten der Betroffenen bis hin zu einer Entscheidung über die wirtschaftliche Existenz schlechthin. 2)
2 Dabei sind Auskunfteien wie die SCHUFA, jene selbsternannten
„Schutzpatron[e] für die Wirtschaft“,3) ohne Zweifel sinnvolle
Einrichtungen. Die bonitätsrelevanten Informationen – von Privatpersonen wie von Unternehmen – nämlich, die sie speichern
und die sie unter Einsatz mathematisch-statistischer Verfahren
in einen sog. Score übersetzen, sollen ihre Vertragspartner vor
vermeidbaren Verlusten im Geld- oder Warenkreditgeschäft
und – zumindest reflexartig – die von der Datenerhebung Betroffenen vor Überschuldung schützen.4) Und sie senken Transaktionskosten, wovon im besten Fall auch die Marktgegenseite profitiert, denn Kreditanfragen können unbürokratisch und schnell
abgewickelt und dem Kreditnehmer kostengünstiger und bei
entsprechender Kreditwürdigkeit sogar ohne Sicherheiten gewährt werden.5) Umgekehrt bedeutet ein schlechtes Bonitätsurteil für den Betroffenen, dass er bestimmte Geschäfte nur noch
unter eingeschränkten Voraussetzungen oder überhaupt nicht
mehr vornehmen kann. Dagegen ist, wie gesagt, im Grundsatz
nichts zu erinnern: Warum sollte man gleichsam sehenden Auges ein besonders hohes kreditorisches Risiko eingehen? Daran
ändert auch die Unvollkommenheit zukunftsgerichteter Einschätzungen nichts, die notwendigerweise zu einem gewissen
Grad mit Unsicherheiten behaftet und auf Typisierungen angewiesen sind, mag man auch die Aussagekraft einzelner vergangenheitsbezogener Kriterien für die Prognose künftigen Verhaltens in Zweifel ziehen.6)
3 Umso wichtiger ist allerdings, dass die Datengrundlage, auf der
das Bonitätsurteil getroffen wird, richtig ist. Hiermit steht und
fällt letztlich die Funktionsfähigkeit der Auskunfteien. Vor dem
Hintergrund der potentiell einschneidenden Folgen für Betroffene war der Gesetzgeber im Zuge der BDSG-Novelle 2009 – mit
einem durchaus misstrauischen Unterton7) – bestrebt, die Transparenz insbesondere des Scoring-Verfahrens zu erhöhen und die
Rechte der Betroffenen zu stärken.8) Seitdem haben die Modali1) Zum Begriff Ehmann, in: Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 29 Rn. 81 ff.; vgl. auch Gola/
Klug/Körffer, in: Gola/Schumerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 28 a Rn. 2.
2) Elgert, K&R 2013, 288, 289; Roßnagel, NJW 2009, 2716; Vahle, DSB 2014, 39.
3) Krämer, NJW 2012, 3201.
4) Abel, ZD 2015, 314, 314 f.
5) Bruchner/Kepold, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl.
2011, § 41 Rn. 2.
6) Vgl. Schulte am Hülse/Timm, NJW 2014, 1238.
7) Dix, in: Simitis (Fn. 1), § 34 Rn. 33.
8) BT- Drs. 16/10529, S. 9.
täten des Scoring-Verfahrens in § 28 b BDSG eine gesetzliche
Regelung erfahren. Und die Übermittlung personenbezogener
Daten über eine Forderung an Auskunfteien ist nach § 28 a BDSG
nur noch erlaubt, soweit die geschuldete Leistung trotz Fälligkeit
nicht erbracht worden ist, die Übermittlung zur Wahrung berechtigter Interessen der verantwortlichen Stelle oder eines Dritten erforderlich ist9) und einer (oder mehrere) der abschließenden10) Katalogtatbestände des § 28 a Abs. 1 Nr. 1-5 BDSG erfüllt
ist. Damit wurde nicht nur der Rahmen für eine zulässige Erhebung forderungsbezogener, personenbezogener Daten enger gesteckt.11) Mit dem Katalog des § 28 a Abs. 1 Nr. 1-5 BDSG hat der
Gesetzgeber außerdem die bis dato erforderliche Einzelfallabwägung im Interesse der Rechtssicherheit durch eine eigene, generell-abstrakte Abwägung ersetzt.12) Flankiert wird das Ganze
durch einen Auskunftsanspruch des Betroffenen gegenüber der
verantwortlichen Stelle in § 34 BDSG,13) der sich in Korrekturrechten bei unrichtiger oder unzulässiger Datenverarbeitung
nach § 35 BDSG fortsetzt.
Ob der Gesetzgeber seine Zielvorstellungen durchweg verwirk- 4
lichen konnte, ist allerdings zweifelhaft. So steht nicht nur das
Scoring nach wie vor unter Druck.14) Auch innerhalb der vermeintlich klaren Grenzen des § 28 a Abs. 1 BDSG erweist sich
insbesondere dessen Nr. 4 mit Blick auf die Rechtsstellung der
Betroffenen gleichsam als Sollbruchstelle. Danach ist es grundsätzlich erlaubt, „weiche“ Negativmerkmale, also personenbezogene Daten über offene Forderungen, über die es keine gerichtlichen Feststellungen gibt, an eine Auskunftei zu melden. Von
dem damit verbundenen Drohpotential wird in der Praxis weidlich Gebrauch gemacht, um Druck auf (vermeintliche) Schuldner
auszuüben – Druck, der dann besonders erfolgsversprechend ist,
wenn beim Schuldner der Eindruck besteht, die Einmeldung und
die daraus resultierenden, möglicherweise katastrophalen Folgen nur dadurch verhindern zu können, dass er dem Zahlungsbegehren nachkommt, selbst wenn er es für unberechtigt hält.
Tatsächlich kann der Betroffene eine entsprechende Meldung
zwar durch Bestreiten der Forderung abwenden (oder sich ihrer –
soweit das nicht hilft – notfalls gerichtlich erwehren15)). Das
nützt allerdings naturgemäß nur demjenigen, der um diese Möglichkeit weiß. Insofern stellt sich die Frage, ob dies gleichsam im
Risikobereich des Betroffenen liegt – Kenne deine Rechte! –, oder
ob die verantwortliche Stelle insoweit eine Informationslast
trägt. Der BGH hat sie unlängst im zweiten Sinne beantwortet.
II. Gegenstand und Gang des Verfahrens
Ausgangspunkt war ein Streit zwischen der Verbraucherzentrale 5
Hamburg e. V. und dem Telekommunikationsunternehmen Voda9) Dazu Abel, ZD 2015, 314, 316; Ehmann, in: Simitis (Fn. 1), § 28 a Rn. 23 ff.; Gola/
Klug/Körffer, in: Gola/Schumerus (Fn. 1), § 28 a Rn. 7; Ressmann/Serr, NJOZ 2013,
481.
10) Abel, ZD 2015, 314, 315; Ehmann, in: Simitis (Fn. 1), § 28 a Rn. 28 m. w. N.
11) Helfrich, Kreditscoring und Scorewertbildung der SCHUFA, zugl. Diss., 2010, S. 141.
12) BT- Drs. 16/10529, S. 14.
13) Zum Umfang vgl. BGH, 28.01.2014 – VI ZR 156/13, BGHZ 200, 38 = K&R 2014, 269
m. Anm. Lang – Schufa-Auskunftsanspruch; ferner Gärtner, BKR 2014, 197; Hoeren,
LMK 2014, 356425; Kirchberg, NVwZ 2014, 751; Metz, EWiR 2014, 281; Paal, JZ
2014, 1006; Schade/Wolff, ZD 2014, 309; Schulte am Hülse/Timm, NJW 2014, 1238;
Taeger, MMR 2014, 492.
14) Vgl. etwa BT-Drs. 18/4864 und jetzt Art. 20 Datenschutz-Grundverordnung, die
voraussichtlich 2018 in Kraft treten wird. Gegen die bereits vorstehend erwähnte
Entscheidung des BGH, 28.01.2014 – VI ZR 156/13, BGHZ 200, 38 = K&R 2014,
269 – Schufa-Auskunftsanspruch, wonach die SCHUFA zwar Auskunft darüber erteilen muss, welche personenbezogenen Daten in ein Scoring-Verfahren einfließen,
nicht jedoch darüber, wie diese Daten gewichtet werden, ist eine Urteilsverfassungsbeschwerde (1 BvR 756/14) anhängig.
15) AG Plön, 18.12.2007 – 2 C 650/07, MMR 2008, 269; AG Leipzig, 13.01.2010 –
118 C 10105/09, MMR 2010, 723; OLG Celle, 19.12.2013 – 13 U 64/13, WRP 2014,
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fone über die Zulässigkeit einer Passage, die ein von Vodafone
beauftragtes Inkassoinstitut in Mahnschreiben gegenüber säumigen Kunden verwendete. Darin hieß es:
weise kleinen Forderungen der Beklagten, sodass die konkrete
Gefahr einer allein angstgeleiteten Entscheidung bestehe, lasse
keinen Rechtsfehler erkennen. 22)
„Als Partner der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung
(SCHUFA) ist die W GmbH verpflichtet, die unbestrittene Forderung
der SCHUFA mitzuteilen, sofern nicht eine noch durchzuführende Interessenabwägung in Ihrem Fall etwas anderes ergibt. Ein SCHUFA-Eintrag kann Sie bei Ihren finanziellen Angelegenheiten, z. B. der Aufnahme
eines Kredits, erheblich behindern. Auch Dienstleistungen anderer Unternehmen können Sie dann unter Umständen nicht mehr oder nur noch
eingeschränkt in Anspruch nehmen.“
2.
6 Die Verbraucherzentrale sah hierin einen Verstoß gegen §§ 3, 4
Nr. 1 und § 5 a UWG 2008 und mahnte Vodafone ab. Anders als
die Betreiberin der Internet-Partnerbörse „Elitepartner“ in einem
vergleichbaren Fall16) weigerte sich Vodafone jedoch, die begehrte Unterlassungserklärung abzugeben, woraufhin sie von
der Verbraucherzentrale gerichtlich auf Unterlassung sowie auf
Zahlung von Abmahnkosten nebst Zinsen in Anspruch genommen wurde. Nachdem die Klage in erster Instanz erfolglos geblieben war,17) gab das Berufungsgericht der Klägerin Recht und
verurteilte Vodafone antragsgemäß.18) Hiergegen wandte sich
die Beklagte mit der Revision zum BGH.
III. Die Entscheidung des BGH
7 Der BGH bestätigte die Rechtsauffassung des OLG: Der Hinweis
auf eine vermeintliche Pflicht zur Übermittlung der Daten an die
SCHUFA stelle eine unzulässige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher i. S. von § 4 Nr. 1 UWG 2008 dar.
1.
Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit
8 Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass bei richtlinienkonformer Auslegung von § 4 Nr. 1 UWG 2008 eine Beeinträchtigung
der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher (nur) dann vorliegt,
wenn der Handelnde die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer
freien, informationsgeleiteten Entscheidung gem. Art. 8 und
Art. 9 UGP-RL durch Belästigung, Nötigung oder durch unzulässige Beeinflussung i. S. von Art. 2 lit. j der UGP-RL erheblich
beeinträchtigt, die Rationalität der Entscheidung der angesprochenen Verbraucher also vollständig in den Hintergrund tritt.19)
9 Dies habe das Berufungsgericht zutreffend zu Grunde gelegt20)
und sei in der Folge zu Recht davon ausgegangen, dass die
beanstandete Passage die konkrete Gefahr einer nicht informationsgeleiteten Entscheidung berge. Den Angriffen der Revision
stellt der BGH den Vorwurf einer Nötigung und damit einer
aggressiven Geschäftspraktik i. S. von Art. 8 und Art. 9 UGP-RL
entgegen. 21) Denn die Übermittlung von Daten an die SCHUFA,
die für die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers relevant sind,
könne erhebliche Nachteile für den Verbraucher mit sich bringen
und stelle daher ein empfindliches Übel dar. Dadurch, dass das
von der Beklagten beauftragte Inkassounternehmen für den Fall
einer nicht fristgerechten Zahlung eine Übermittlung solcher
Daten ankündige, stelle sie also ein künftiges Übel in Aussicht,
auf dessen Eintritt sie Einfluss zu haben vorgibt. Die weitere
tatrichterliche Würdigung, das angedrohte Übel stehe in den
Augen der Betroffenen in keinem Verhältnis zu den vergleichs16)
17)
18)
19)
S. MMR-Aktuell 2013, 351927.
LG Düsseldorf, 27.04.2012 – 38 O 134/11, BeckRS 2015, 01704.
OLG Düsseldorf, 09.07.2013 – I-20 U 102/12, GRUR-RR 2013, 513.
BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 14 m. w. N. – Schufa-Hinweis.
Vgl. insoweit auch Schwippert, in: FS Samwer, 2008, S. 197, 198 ff.
20) BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 15 – Schufa-Hinweis. Krit.
Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 34. Aufl. 2016, § 4 a Rn. 1.65 und 1.92 f.
21) BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 17 – Schufa-Hinweis.
Rechtfertigung durch § 28 a Abs. 1 Nr. 4 lit. c BDSG
Die entscheidende Frage war allerdings, ob der beanstandete 10
Passus durch die gesetzliche Hinweispflicht nach § 28 a Abs. 1
Nr. 4 lit. c BDSG gerechtfertigt war. Der BGH nähert sich dem aus
teleologischer Sicht: Der Gesetzgeber habe in § 28 a Abs. 1 Nr. 4
BDSG strenge Voraussetzungen an die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten über eine Forderung an Auskunfteien geknüpft, um sicherzustellen, dass der Betroffene vor
der Einmeldung ausreichend Gelegenheit erhalte, die Forderung
zu begleichen oder das Bestehen der Forderung zu bestreiten.
Zugleich – und das ist hier entscheidend – solle dem Betroffenen
deutlich gemacht werden, dass es ihm obliege, Forderungen, die
er für unbegründet hält, entgegenzutreten, um eine Datenübermittlung zu verhindern. Diesen Zielsetzungen werde nur eine
Unterrichtung gerecht, mit der nicht verschleiert werde, dass ein
Bestreiten der Forderung durch den Schuldner selbst ausreiche,
um eine Übermittlung der Schuldnerdaten an die SCHUFA zu
verhindern. 23)
Zu Recht habe das OLG Düsseldorf insoweit angenommen, dass 11
die in dem Mahnschreiben verwendete Formulierung, die Beklagte sei verpflichtet, der SCHUFA die „unbestrittene Forderung“ mitzuteilen, dem nicht genüge. Das Berufungsgericht hatte
moniert, aus der Sicht eines in der Regel juristisch nicht vorgebildeten Adressaten werde dabei nicht hinreichend deutlich,
dass mit einem einfachen Bestreiten der Forderung der angedrohte SCHUFA-Eintrag zumindest zunächst abgewendet werden könne. „Unbestrittene Forderung“ könne insoweit nämlich
auch bedeuten, dass die Berechtigung der Forderung aus Sicht
der Beklagten nicht bestreitbar sei oder die Forderung von einer
wie auch immer gearteten Aufsichtsbehörde nicht beanstandet
worden sei. Zulässig, weil hinreichend deutlich, seien demgegenüber Formulierungen wie „die von Ihnen nicht bestrittene Forderung“ oder „die Forderung, die Sie nicht bestritten haben“. 24)
Im Rahmen der Revision argumentierte die Beklagte, bei der
streitgegenständlichen Wendung handle es sich lediglich um
eine elegantere Fassung der vom Berufungsgericht als zulässig
angesehenen Formulierungen. Damit wurde sie vom BGH freilich ebenso wenig gehört wie mit ihrer „letzten Verteidigungslinie“, auf die genaue Formulierung komme es schlussendlich
gar nicht an, weil jedenfalls ein berechtigtes Interesse an der
Erfüllung der offenen Forderung bestehe und die Drohung mit
der Datenübermittlung unabhängig von den Voraussetzungen
des § 28 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BDSG ein angemessenes Mittel zur
Erreichung dieses Zwecks darstelle. Mit Ersterem, so der BGH,
werde lediglich die tatrichterliche Würdigung durch eine eigene
ersetzt, ohne aber einen Rechtsfehler aufzuzeigen. Letzteres verkenne die in § 28 a Abs. 1 BDSG niedergelegte gesetzgeberische
Intention, es für die Zulässigkeit der Übermittlung von personenbezogenen Daten über eine Forderung an eine Auskunftei
gerade nicht ausreichen zu lassen, dass die Übermittlung zur
Wahrung berechtigter Interessen erforderlich sei. 25)
22) BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 18 – Schufa-Hinweis; zu Recht
darauf hinweisend, dass die Höhe der Forderung keinen entscheidenden Aspekt
darstellt, Hoeren, LMK 2015, 374545.
23) BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 25 – Schufa-Hinweis.
24) OLG Düsseldorf, 09.07.2013 – I-20 U 102/12, GRUR-RR 2013, 513, 514 f.
25) BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 29 ff. – Schufa-Hinweis.
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IV. Bewertung
1.
Lauterkeitsrechtlicher Flankenschutz zu Gunsten des
eigentlichen Regelungsanliegens des § 28 a Abs. 1
Nr. 4 lit. c BDSG
12 Mit seiner wohlbegründeten Entscheidung schiebt der BGH einen Riegel vor die weit verbreitete Praxis, die Drohkulisse
„SCHUFA-Eintrag“ als Druckmittel für den Forderungseinzug
zu instrumentalisieren.
13 Der Blick ist dabei, wie auch der hiesige Fall zeigt, nicht etwa
ausschließlich, nicht einmal in erster Linie, auf die vergleichsweise wenigen unseriösen Unternehmen gerichtet, die versuchen, vermeintliche Forderungen, etwa aus Internet-Abo-Fallen,26) zu kapitalisieren. 27) Denn die Drohung mit dem SCHUFAEintrag stellt in diesen Fällen typischerweise ein noch eher
harmloses Werkzeug aus dem „Inkasso-Folterkasten“ dar, der
den „Neukunden“ als freundlicher Willkommensgruß, gleichsam
auf eine gute Vertragsbeziehung, regelmäßig mit der „Vertragsbestätigung“ in seiner vollen Pracht vorgeführt wird. Dass es sich
dabei in aller Regel um leere Drohungen handelt,28) weil es von
vornherein nur darum geht, ganz nach dem Gesetz der großen
Zahl, ein Geschäft mit denen zu machen, die sich mangels besseren Wissens zu einer Zahlung bewegen lassen, ist natürlich
nur ein schwacher Trost. Doch werden sich diejenigen, deren
Geschäftsmodell auf Täuschung und Einschüchterung fußt,
durch eine weitere29) wettbewerbsrechtliche Kautel schwerlich
beeindrucken lassen – zumal hier mit dem Strafrecht ohnedies
ein ungleich schärferes Schwert zur Verfügung steht,30) dessen
Wirkbereich durch die hiesige Entscheidung (tendenziell) noch
erweitert wurde.31) Der Schlüssel dürfte hier zuvorderst in einer
wirksamen Verbraucheraufklärung liegen.32)
14 Ihre eigentliche Bedeutung entfaltet die Entscheidung vielmehr
im mit weitem Abstand größeren Bereich des seriösen Geschäftsverkehrs, gegenüber Unternehmen also, die sich grundsätzlich
(wettbewerbs-)rechtskonform verhalten wollen. Dass auch hier
der Hinweis auf eine bevorstehende SCHUFA-Einmeldung als –
willkommener – Hebel genutzt wird, um dem Zahlungsbegehren
Nachdruck zu verleihen, ist zwar eigentlich nicht gemeint, wenn
von der Funktion der SCHUFA, Schutz vor Forderungsausfall zu
26) Zu Recht wird entsprechenden Verträgen überwiegend – mit unterschiedlicher Begründung – die zivilrechtliche Wirksamkeit versagt, Blasek, GRUR 2010, 396; Buchmann/Majer/Hertfelder/Vögelein, NJW 2009, 3189, 3190 f.; Kredig/Uffmann, ZRP
2011, 37; Raue, MMR 2012, 438, 439; Redeker, IT-Recht, 5. Aufl. 2012, Rn. 921; nur
eine Anfechtbarkeit annehmend Alexander, NJW 2012, 1985, 1986. Gleichwohl ist
der Gesetzgeber seinerzeit, um den Verbrauchern ein einfaches und klares Schutzinstrument an die Hand zu geben, insbesondere mit der Einführung einer sog. ButtonLösung in § 312 g Abs. 3 BGB (jetzt: § 312 j Abs. 3 BGB) aktiv geworden. Dazu bspw.
Alexander, NJW 2012, 1985, 1987 ff.; Raue, MMR 2012, 438, 439 ff.; eine zwischenzeitliche Bewertung nehmen Spindler/Thorun/Blom, MMR 2015, 3 vor.
27) Anders wohl Triebe, JurisPR-WettbR 11/2015 Anm. 2, unter C.
28) S. Kamp, in: Wolff/Brink, BDSG, 2013, § 28 a Rn. 101.1.
29) Vgl. Blasek, GRUR-RR 2009, 241, 242 ff.; dies., GRUR 2010, 396, 398 ff.; Buchmann/
Majer/Hertfelder/Vögelein, NJW 2009, 3189, 3192; Micklitz/Namysłowska, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 5 UWG Rn. 118;
Raue, MMR 2012, 438, 439.
30) Vgl. BGH, 05.03.2014 – 2 StR 616/12, WRP 2014, 1189 m. Anm. Kolb; dazu ferner
Achenbach, NStZ 2015, 629, 629 f.; Apel, K&R 2014, 584; Cornelius, NStZ 2015, 310;
Hecker, JuS 2014, 1043; ders./Müller, ZWH 2014, 329; Heintschel-Heinegg, JA 2014,
790; Krack, ZIS 2014, 536; Majer/Buchmann, NJW 2014, 3342; Müller, NZWiSt 2014,
393; Rönnau/Wegner, JZ 2014, 1064.
31) BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 17 – Schufa-Hinweis: „Die
tatbestandlichen Voraussetzungen einer Nötigung (...) liegen vor.“ Dazu auch Ressmann/Serr, NJOZ 2013, 481, 483 f. Krit. zur Knappheit der Begründung freilich
Hoeren, LMK 2015, 374545. Vgl. insoweit auch BGH, 05.09.2013 – 1 StR 162/13,
NJW 2014, 401 m. Anm. Tsambikakis; dazu ferner Beckemper, ZJS 2014, 210; Fahl, JR
2015, 169; Heintschel-Heinegg, JA 2014, 313; Roxin, StV 2015, 447; Schuster, NZWiSt
2014, 64.
32) So auch Kredig/Ufmann, ZRP 2011, 36, 40; vgl. auch Spindler/Thorun/Blom, MMR
2015, 3, 5, 7.
bieten, die Rede ist. Per se anstößig ist das allerdings auch nicht.
Im Gegenteil verlangt § 28 a Abs. 1 Nr. 4 lit. c gerade, dass „der
Betroffene rechtzeitig vor der Übermittlung der Angaben, jedoch
frühestens bei der ersten Mahnung über die bevorstehende Übermittlung unterrichtet“ wird.
Dabei ist allerdings nicht stehen zu bleiben: § 28 a Abs. 1 Nr. 4 15
BDSG setzt weiterhin voraus, dass der Betroffene die Forderung
nicht bestritten hat. Aus gutem Grund. Die Übermittlung der
Schuldnerdaten an eine Auskunftei – mit all ihren Implikationen – läge sonst allein in Händen des Gläubigers und wäre auf
nicht mehr gestützt, als seine Behauptung, Inhaber einer begründeten Forderung zu sein. Die Möglichkeit, die Forderung zu
bestreiten, stellt insofern ein notwendiges Korrektiv zur Wahrung der Interessen des Betroffenen dar, mit dem verhindert
werden soll, dass Forderungen eingemeldet werden, deren Berechtigung streitig ist, über deren Bestand also keine hinreichende Sicherheit besteht.33) Denn insoweit fehlt es hier gerade an
einer (gerichtlichen) Feststellung über die Begründetheit des
Zahlungsbegehrens.
Man kann die Regelung des § 28 a Abs. 1 Nr. 4 BDSG freilich 16
durchaus auch insgesamt kritisch sehen.34) Denn anders als bei
sog. „harten“ Negativmerkmalen, die unter staatlicher Mitwirkung bzw. unter Beachtung gesetzlicher Verfahrensvorschriften
entstanden sind und insofern nachprüfbar auf eine fehlende
Zahlungsfähigkeit bzw. -willigkeit hindeuten,35) lässt das bloße
Schweigen auf eine außergerichtliche Zahlungsaufforderung
eine solche Schlussfolgerung gerade nicht zu.36) Hintergrund
kann vielmehr auch sein, dass der Betroffene die zu Grunde
liegende Forderung schlicht für unberechtigt hält. Und dennoch
nimmt § 28 a Abs. 1 Nr. 4 BDSG ihn in die Pflicht, zur Wahrung
seiner Rechte, im Interesses des „Selbstdatenschutzes“ also,
frühzeitig – dem zivilprozessualen System vorgreifend – aktiv
zu werden.37) Zivilprozessual betrachtet ist es nämlich völlig
legitim, auf außergerichtliche Zahlungsaufforderungen nicht zu
reagieren bzw. sich auf eine behauptete Forderung nicht einzulassen.38) Rechtsfolgen werden an schuldnerseitige Untätigkeit
erst nach Zustellung eines Mahnbescheids oder einer Klage geknüpft.
Ob man diese Kritik nun teilt oder nicht:39) Der Interessenaus- 17
gleich, der dem Gesetzgeber in § 28 a Abs. 1 Nr. 4 BDSG vorgeschwebt hat,40) hängt jedenfalls entscheidend davon ab, dass
dem Betroffenen klar ist, dass er aktiv werden muss, die Einmeldung dann aber auch vergleichsweise einfach, nämlich durch
bloßes Bestreiten, (vorläufig) verhindern kann und sie damit
letztlich selbst in der Hand hält. Darin, nämlich dem Betroffenen
nicht nur die drohenden Konsequenzen, sondern auch seine
Handlungsoptionen vor Augen zu führen, liegt auch das eigent33) Erfolgt das Bestreiten freilich aus treuwidrigen Motiven, allein zu dem Zweck, die
Übermittlung an die Auskunftei zu verhindern, ist es unbeachtlich, BT-Drs. 16/
10529, S. 14. Zum Teil wird insoweit generell ein „qualifiziertes Bestreiten“ gefordert,
also dass der Schuldner die Gründe vorträgt, aus denen sich ergibt, dass die Forderung unberechtigt ist, vgl. m. Nachw. Kramer, in: Auernhammer, BDSG, 4. Aufl. 2014,
§ 28 a Rn. 23.
34) Helfrich (Fn. 11), S. 154 f.; auch Ehmann, in: Simitis (Fn. 1), § 28 a Rn. 48 ff.; Hornung,
GRUR-Prax 2013, 121.
35) Beckhusen, Der Datenumgang innerhalb des Kreditinformationssystems der SCHUFA, zugl. Diss., 2004, S. 67 f.
36) Das wird auch in der Gesetzesbegründung konzediert, BT- Drs. 16/10529, S. 14.
37) Krit. auch BR-Drs. 548/1/08, S. 9; Bull, ZRP 2008, 233, 236; Ehmann, in: Simitis
(Fn. 1), § 28 a Rn. 50; Helfrich (Fn. 11), S. 154 f.
38) Helfrich (Fn. 11), S. 154.
39) So hält etwa Taeger, K&R 2014, 4, 16 die Anforderungen des § 28 a Abs. 1 Nr. 4 BDSG
für zu hoch und plädiert insbesondere für eine Verkürzung der „Stillhaltefrist“ des
§ 28 a Abs. 1 Nr. 4 lit. b BDSG; insoweit krit. auch Ehmann, in: Simitis (Fn. 1), § 28 a
Rn. 58.
40) Vgl. auch Kramer, in: Auernhammer (Fn. 33), § 28 a Rn. 20.
WRP – Wettbewerb in Recht und Praxis
Beitrge
4/2016
431
Palzer, Und willst kein braver Schuldner du sein, dann meld’ ich bei der SCHUFA dich ein!
liche Regelungsanliegen der rechtzeitigen Unterrichtungspflicht,41) nicht jedoch darin, dem Gläubiger ein zusätzliches
Druckmittel an die Hand zu geben.42) Dass der BGH dem nun
über den Umweg eines lauterkeitsrechtlich induzierten Klarheitsgebots zum Durchbruch verholfen hat, ist nachdrücklich
zu begrüßen.43) Dies nicht nur, weil die dem Gesetz zu Grunde
liegende Vorstellung, der Betroffene werde einer unberechtigten
Forderung schon widersprechen,44) doch etwas naiv anmutet,
sondern insbesondere auch, weil dadurch, gleichsam als wichtige „Vorfeldwirkung“, dysfunktionale Folgen der Unterrichtungspflicht,45) nämlich dass (allein) aus Angst vor den erheblichen
Konsequenzen auf unberechtigte Forderungen gezahlt wird, abgewendet werden. Jenes Klarheitsgebot steht auch nicht in Widerspruch zum modernen Verbraucherleitbild,46) das zwar auf
Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit fußt, nicht jedoch von umfassender Rechtskunde ausgeht.47)
2.
Exkurs: SCHUFA-Hinweis (erst Recht) unzulässig,
wenn der Mahnende den Eintrag nicht bewirken kann
18 Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BGH zugleich en
passant einer (glücklicherweise) vereinzelt gebliebenen Sichtweise den Boden entzogen, die das OLG Hamburg in einer jüngeren
Entscheidung eingenommen hatte.48) Darin war ein im Fettdruck gehaltener Hinweis auf einen möglichen negativen SCHUFA-Eintrag mit der Begründung unbeanstandet gelassen worden,
dieser sei so offen formuliert, dass ein verständiger Leser erkennen könne, dass ein Eintrag nicht unmittelbar drohe. Denn weder sei ausdrücklich noch sinngemäß behauptet worden, die
Verwenderin sei selbst in der Lage, einen solchen SCHUFA-Eintrag unmittelbar herbeizuführen.49) Gerade dann stellt sich aber
die Frage, welchen anderen Zweck der Hinweis haben sollte, als
möglichst viel Druck auf den Empfänger auszuüben.50)
3.
Mehr Rechtssicherheit!
19 Die Formulierungsvorschläge des OLG Düsseldorf 51) schließlich
bieten den Unternehmen die nötige Rechtssicherheit, um den
schmalen Grat zwischen gesetzlich vorgeschriebener Unterrichtungspflicht und unzulässiger Druckausübung52) problemlos bewältigen zu können. Dabei ist freilich auch darauf zu achten,
einen sachgerechten Hinweis nicht durch einen zu scharf gehaltenen Tonfall sogleich wieder zu torpedieren.53)
41) BT- Drs. 16/10529, S. 14; Helfrich (Fn. 11), S. 149; Ressmann/Serr, NJOZ 2013, 481,
482.
42) Vgl. auch AG Leipzig, 13.01.2010 – 118 C 10105/09, MMR 2010, 723, 724.
43) Zustimmend auch Hoeren, LMK 2014, 356425; Schulte am Hülse/Appelt, NJW 2015,
3510.
44) Augenscheinlich ist der Gesetzgeber ja davon ausgegangen, dass das Nichtbestreiten
der Forderung bedeutet, dass die Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit „gesichert“
festgestellt ist.
45) Bull, ZRP 2008, 233, 236.
46) Vgl. zu (vermeintlichen) aktuellen Relativierungstendenzen Jahn/Palzer, K&R 2015,
444, 446 ff.
47) Vgl. m. Nachw. v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht,
zugl. Diss., 2006, S. 34.
48) OLG Hamburg, 30.01.2013 – 5 U 174/11, MMR 2013, 511 m. krit. Anm. Hornung,
GRUR-Prax 2013, 121.
49) OLG Hamburg, 30.01.2013 – 5 U 174/11, MMR 2013, 511, 512 f.
50) Abel, DSB 2013, 204; Hornung, GRUR-Prax 2013, 121.
51) OLG Düsseldorf, 09.07.2013 – I-20 U 102/12, GRUR-RR 2013, 513, 514 f.
52) Ähnlich Schulte am Hülse/Appelt, NJW 2015, 3510, 3511.
53) Kamp, in: Wolff/Brink (Fn. 28), § 28 a Rn. 97.
54) Vgl. zum Referentenentwurf Alexander, WRP 2014, 1384; Fritzsche, WRP 2014, 1392;
Glöckner, WRP 2014, 1399; Henning-Bodewig, WRP 2014, 1407; Köhler, WRP 2014,
1410; Münker, WRP 2014, 1434; Ohly, GRUR 2014, 1137; Sack, WRP 2014, 1418;
Schlingloff, WRP 2014, 1424; zum (überarbeiteten) Regierungsentwurf Henning-Bodewig, GRUR Int. 2015, 529; Kirchhoff, WRP 2015, 659; Köhler, WRP 2015, 275; ders.,
WRP 2015, 1311; Ohly, WRP 2015, 1443; Sosnitza, GRUR 2015, 318; zur endgültigen
Fassung Köhler, WRP 2015, Editorial Heft 12; Ohly, GRUR 2016, 3; Köhler, NJW 2016,
593.
V. Ausblick
Das Fundament, auf dem die vorliegende Entscheidung ruht, ist 20
freilich gegenwärtig bzw. zumindest absehbar gleich aus zwei
verschiedenen Richtungen Verschiebungen ausgesetzt. Zum einen ist da die jüngste UWG-Novelle,54) die am 10.12.2015 in
Kraft getreten ist, zum anderen die Reform des Datenschutzes
auf europäischer Ebene, die Datenschutzgrundverordnung, die
mit Abschluss des Trilog-Verfahrens nach fast vier Jahre langem,
durchaus zähem Ringen nun doch noch einem glücklichen Ende
entgegensieht. Ist die Entscheidung damit bereits überholt? Erfreulicherweise (wohl) nicht; in der Sache wird sie über den Tag
hinaus Bestand haben. Doch der Reihe nach.
UWG-Novelle 2015 – aus § 4 Nr. 1 UWG 2008 wird
§ 4 a UWG 2015
Den Hintergrund der (erneuten) Novellierung des UWG bildet 21
bekanntlich die seitens der Europäischen Kommission zu einem
Vertragsverletzungsverfahren verdichtete Kritik, der deutsche
Gesetzgeber habe die auf Vollharmonisierung des verbraucherbezogenen Lauterkeitsrechts gerichtete Richtlinie 2005/29/EG
(UGP-RL) mit Blick auf die Normenklarheit als Ausfluss des
Gebots der Rechtssicherheit55) – ein gerade im Bereich des Verbraucherschutzes heikler Punkt56) – nur unzureichend umgesetzt.57) § 4 Nr. 1 UWG 2008, auf den diese Kritik in besonderem
Maße zutraf,58) hat in diesem Rahmen ein grundlegendes Facelift erhalten und findet sich nun in einem neuen, eng an der
UGP-RL orientierten § 4 a UWG 2015 wieder. Ohne Zweifel bedeuten Änderungen im Normtext, zumal solche grundlegender
Natur, regelmäßig neue Auslegungsprobleme, die die Kontinuität der Rechtsanwendung in Frage stellen. Der hiesige Fall wäre
gleichwohl auch nach neuem Recht nicht anders zu entscheiden.
Denn insoweit entsprach das „law in action“, das Gepräge also,
das die Karlsruher Richter § 4 Nr. 1 UWG 2008 durch richtlinienkonforme Auslegung gegeben haben,59) bereits dem Rechtszustand, den § 4 a UWG 2015 nun auch in der gebotenen Klarheit reflektiert.60)
1.
Gleichwohl lohnt ein Blick auf die Neuregelung, deren Dreh- und 22
Angelpunkt der Begriff der aggressiven geschäftlichen Handlung
darstellt,61) und darauf, wie der vorliegende Fall konkret unter
§ 4 a UWG zu fassen wäre. Um eine geschäftliche Handlung als
aggressiv einstufen zu können, müssen zwei Voraussetzungen
vorliegen. Erstens muss eines (oder mehrere) von drei Mitteln
der Aggression, (Belästigung, Nötigung oder unzulässige Beeinflussung) eingesetzt werden. Zweitens muss das eingesetzte Mittel im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände des
55) Vgl. insoweit zum Markenrecht Palzer/Preisendanz, EuZW 2012, 134, 139.
56) Vgl. etwa EuGH, 10.05.2001 – C-144/99, EU:C:2001:257, Rn. 21 – Kommission/
Niederlande.
57) Vgl. auch den frühen Appell für eine „offensive“ Umsetzung von Fezer, WRP 2006,
781, 783; auch Keßler, WRP 2007, 714, 718; Köhler, WRP 2012, 251, 251 f.; ders.,
WRP 2013, 403, 404.
58) Alexander, WRP 2014, 1384, 1389; Fritzsche, WRP 2014, 1392, 1395; Köhler, GRUR
2008, 841; ders., WRP 2012, 251, 255 f.; ders., WRP 2012, 638, 641; Ohly, GRUR
2016, 3, 5.
59) Vgl. BGH, 03.04.2014 – I ZR 96/13, WRP 2014, 1301 Rn. 26 f. m. zahlr. Nachw. –
Zeugnisaktion; BGH, 19.03.2015 – I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 14, 31 – Schufa-Hinweis; auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.6.
60) Das schließt nicht aus, dass es im Einzelnen weiterhin einer richtlinienkonformen
Auslegung bedarf, vgl. Fritzsche, WRP 2016, 1, 6; Kirchhoff, WRP 2015, 659, 662.
61) Das weitere Erfordernis der Veranlassung zu einer geschäftlichen Entscheidung, die
andernfalls nicht getroffen worden wäre, wird bei Vorliegen einer aggressiven geschäftlichen Handlung praktisch immer erfüllt sein, so dass ihm insoweit keine
praktische (Filter-)Funktion zukommt, vgl. Glöckner, in: Harte/Henning, UWG,
3. Aufl. 2013, Einl. B. Rn. 399; Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.36;
auch Apetz, Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken, zugl. Diss., 2011, S. 356, der
freilich hervorhebt, das Relevanzerfordernis erfülle einen wichtigen Konkretisierungsbeitrag.
432
Beitrge
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Palzer, Und willst kein braver Schuldner du sein, dann meld’ ich bei der SCHUFA dich ein!
Einzelfalls geeignet sein, die Entscheidungsfreiheit62) des Adressaten (Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer63)) erheblich zu beeinträchtigen.
23 Hierfür hält § 4 a Abs. 2 UWG 2015 ergänzend ein weitestgehend64) aus Art. 9 UGP-RL bekanntes, nicht abschließendes65)
„System beweglicher Beurteilungsfaktoren“66) bereit,67) das zugleich die für das Unlauterkeitsverdikt notwendige Beeinflussungsintensität reflektiert.68) Anders als es die RL vorzugeben
scheint, beschränkt sich dessen Bedeutung in § 4 a UWG 2015
nämlich nicht auf die Bestimmung der Frage, ob die Mittel der
Belästigung, der Nötigung oder der unzulässigen Beeinflussung
verwendet werden. Vielmehr soll der Kriterienkatalog des § 4 a
Abs. 2 UWG 2015 für die Beurteilung des Vorliegens einer aggressiven geschäftlichen Handlung insgesamt herangezogen
werden. Indes ist – wie auch die inhaltlichen Vorgaben des Kriterienkatalogs, namentlich der Art. 9 lit. c und d UGP-RL, nahelegen – kaum vorstellbar, dass die Beurteilungsfaktoren nicht
auch im Rahmen des Art. 8 UGP-RL bei der „Berücksichtigung
aller tatsächlichen Umstände“ zur Ermittlung der Frage einer
erheblichen Beeinträchtigung der Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit im konkreten Fall hinzugezogen werden sollten.69)
Methodisch ließe sich das über eine teleologische Extension des
Art. 9 UGP-RL erreichen. Vor diesem Hintergrund erscheint § 4 a
Abs. 2 UWG 2015 also geradezu als eine bessere Version des
Originals.
a)
Mittel der Aggression
aa) Unzulässige Beeinflussung, § 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG 2015
24 Ein SCHUFA-Hinweis, der verschleiert, dass ein Bestreiten der
Forderung durch den Schuldner selbst ausreicht, um eine Übermittlung der Schuldnerdaten an die SCHUFA zu verhindern,
stellt zunächst eine unzulässige Beeinflussung i. S. des § 4 a
Abs. 1. S. 2 Nr. 3 UWG 2015 dar. Darunter ist gem. § 4 a Abs. 1
S. 3 UWG 2015 – in Anknüpfung an Art. 2 lit. j UGP-RL – die
Ausnutzung einer Machtposition gegenüber dem Verbraucher
oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch
ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in
einer Weise, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen
Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt, zu verstehen.
25 Die erforderliche Machtposition ergibt sich dabei aus der (tatsächlichen oder vermeintlichen70)) Hoheit über die Datenüber62) Anders als Art. 8 UGP-RL schützt § 4 a UWG 2015 nicht auch die Verhaltensfreiheit
ausdrücklich. Darin wird z. T. eine unzulässige tatbestandliche Verengung des Schutzes vor aggressiven Einflussnahmen gesehen, so etwa Alexander, WRP 2014, 1384,
1389; tendenziell auch Fritzsche, WRP 2016, 1, 2. Dagegen hat Apetz überzeugend
dargelegt, dass bereits der in Art. 8 UGP-RL ausgesprochenen Schutz der Verhaltensfreiheit keinen über die geschäftliche Entscheidungsfreiheit hinausreichenden, isolierten Schutzansatz beinhaltet, dass vielmehr Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit im Verbotskonzept aggressiver Geschäftspraktiken untrennbar miteinander verknüpft sind und in einem umfassenden Schutzansatz zugunsten der geschäftlichen
Entscheidungsfreiheit aufgehen, ders. (Fn. 61), S. 353 f.; wohl auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.33.
63) Zustimmend zu dieser Erweiterung gegenüber der UGP-RL etwa Glöckner, WRP 2014,
1399, 1405.
64) Vgl. Fritzsche, WRP 2016, 1, 6; Ohly, GRUR 2016, 3, 5.
65) Im Normtext selbst kommt dies zwar nicht zum Ausdruck (unentschieden Veelken,
WRP 2004, 1, 23), ergibt sich aber ohne Weiteres aus der bloßen Ergänzungs- bzw.
Konkretisierungsfunktion der Regelung; i. E. auch Apetz (Fn. 61), S. 330; Micklitz, in:
MüKo-UWG, 2. Aufl. 2014, EG D, Art. 8-9 Rn. 27; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG,
6. Aufl. 2014, § 4 Rn. 1/2.
66) Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, zugl. Habil., 2007, S. 998.
67) S. dazu i. E. Apetz (Fn. 61), S. 501 ff.; Fritzsche, WRP 2016, 1, 5 f.
68) Hecker, WRP 2006, 640, 641.
69) In diesem Sinne auch Apetz (Fn. 61), S. 495; Fritzsche, WRP 2016, 1, 5; Gamerith, WRP
2005, 391, 416; Hecker, WRP 2006, 640, 641; Micklitz, in: MüKo-UWG (Fn. 65), EG D,
Art. 8-9 Rn. 28; dagegen Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.82.
70) Vgl. oben sub IV. 2.
71) Zur Machtposition gegenüber sonstigen Marktteilnehmern vgl. Köhler, in: Köhler/
Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.57.
mittlung. Zumindest gegenüber einem Verbraucher71) ist nämlich jede Form unternehmerischer Überlegenheit hinreichend.72) Abzustellen ist dabei auf die Sicht des Verbrauchers.73)
Demgegenüber würde ein strikt wirtschaftliches Verständnis der
Machtposition74) den Tatbestand nicht nur marginalisieren, sondern ist in der RL, wie etwa ein Blick auf Nr. 30 Anhang I UGP-RL
zeigt,75) auch nicht angelegt. Die Machtposition wird auch zur
Ausübung von nicht gerechtfertigtem76) Druck ausgenutzt, denn
dem Adressaten wird – entgegen § 28 a Abs. 1 Nr. 4 BDSG –
bewusst suggeriert, er müsse mit der Übermittlung seiner Daten
an die SCHUFA und den damit verbundenen, erheblichen Nachteilen zwangsläufig rechnen, wenn er die geltend gemachte Forderung nicht begleicht. Vor diesem Hintergrund schließlich wird
eine nicht unerhebliche Zahl der Adressaten dem Zahlungsbegehren auch dann nachkommen, wenn sie die Forderung wegen
tatsächlicher oder vermeintlicher Einwendungen eigentlich
nicht bezahlen wollten, so dass die Freiheit ihrer Entscheidung
durch die Ausnutzung der Machtposition beeinträchtigt wird.77)
bb) Nötigung, § 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG 2015
Daneben handelt es sich, wie auch der BGH obiter festgestellt hat, 26
um einen Fall der Nötigung i. S. des § 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG
2015. Zwar findet sich in der UGP-RL – und damit konsequenterweise auch im UWG – keine ausdrückliche Aussage darüber,
was unter einer Nötigung zu verstehen ist. Auch kann wegen des
unionsrechtlichen Hintergrunds nicht ohne Weiteres auf das
tradierte nationale Begriffsverständnis aus § 240 StGB zurückgegriffen werden.78) Jedoch ergibt sich, auch wenn ein klärendes
Wort des EuGH noch aussteht, aus der Zusammenschau der
Art. 8, 9 lit. b, e und Nr. 24 Anhang I UGP-RL, dass die Nötigung
nicht nur die Anwendung körperlicher Gewalt umfasst,79) sondern ebenso den Einsatz von Drohungen, also physischen wie
psychischen Zwang gleichermaßen.80) Klar sein sollte auch, dass
jener Zwang von einer Intensität sein muss, die einerseits zwar
keine strafrechtlichen Dimensionen erreichen, andererseits aber
über bloße Druckausübung hinausgehen muss.81) Während
nämlich die klassischerweise strafrechtliche Konnotation des Begriffs der Nötigung82) nicht den Blick dafür verstellen darf, dass
es sich hier um einen genuin lauterkeitsrechtlichen, am Schutz72) Heermann, in: MüKo-UWG (Fn. 65), § 4 Nr. 1 Rn. 23; Pahlow, in: GK-UWG, 2. Aufl.
2013, § 4 Nr. 1 Rn. 13; für ein weites Verständnis auch Apetz (Fn. 61), S. 301 ff.;
Fritzsche, WRP 2016, 1, 4; Glöckner, in: Harte/Henning (Fn. 61), Einl. B. Rn. 398;
ders./Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1333; Hecker, WRP 2006, 640, 642; Henning-Bodewig, WRP 2006, 621, 625 f.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a
Rn. 1.57 f.; ders., GRUR 2008, 841, 842 f.; ders./Lettl, WRP 2003, 1019, 1046; Steinbeck, in: Fezer, UWG, 2. Aufl. 2010, § 4 – 1 Rn. 27; dies., WRP 2008, 865, 866.
73) EuGH, 03.10.2013 – C-59/12, WRP 2013, 1454 Rn. 36 – BKK Mobil Oil m. w. N.;
EuGH, 16.04.2015 – C-388/13, WRP 2015, 698 Rn. 52 – UPC.
74) So Micklitz, in: MüKo-UWG (Fn. 65), EG D, Art. 8-9 Rn. 24.
75) Apetz (Fn. 61), S. 298 f.; Glöckner, in: Harte/Henning (Fn. 61), Einl. B. Rn. 398; ders./
Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1333; Henning-Bodewig, WRP 2006, 621, 625 f.;
Steinbeck, in: Fezer (Fn. 72), § 4 – 1 Rn. 27; dies., WRP 2008, 865, 866 f.
76) Aus § 4 a Abs. 2 Nr. 5 UWG 2015 folgt, dass Drohungen mit rechtlich zulässigen
Handlungen regelmäßig keine aggressiven geschäftlichen Handlungen darstellen;
vgl. auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.112.
77) Vgl. allgemein Apetz (Fn. 61), S. 339 ff.; Glöckner, in: Harte/Henning (Fn. 61), Einl. B.
Rn. 405; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza (Fn. 65), § 4 Rn. 1/13; Veelken, WRP 2004, 1, 24.
78) So der Sache nach („zutreffend davon ausgegangen“) aber wohl BGH, 19.03.2015 –
I ZR 157/13, WRP 2015, 1341 Rn. 17 – Schufa-Hinweis; auch Steinbeck, WRP 2008,
865, 866; richtig dagegen etwa Apetz (Fn. 65), S. 343 f.; Heermann, in: MüKo-UWG
(Fn. 65), § 4 Nr. 1 Rn. 15; Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.48.
79) Insoweit zeigt bereits der Umkehrschluss aus der Formulierung des Art. 8 UGP-RL
(„einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt“), dass das Mittel der Nötigung
auf physischen Zwang konzentriert sein mag, nicht aber darauf beschränkt ist.
80) Apostolopoulos, WRP 2004, 841, 850; Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a
Rn. 1.48; ders./Lettl, WRP 2003, 1019, 1045 f.; Micklitz, in: MüKo-UWG (Fn. 65),
EG D, Art. 8-9 Rn. 21; Pahlow, in: GK-UWG (Fn. 72), § 4 Nr. 1 Rn. 11; a. A. Veelken,
WRP 2004, 1, 26, der mit einem an sich überzeugenden Umkehrschluss argumentiert, dem allerdings durch Einfügung des kleinen Wörtchens „auch“ in die endgültige Definition der unzulässigen Beeinflussung die Grundlage entzogen wurde.
81) Köhler spricht von Zwang, dem man sich nicht oder nur schwer entziehen kann, ders.,
in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 1.11.
82) Kritisch Apetz (Fn. 61), S. 343 ff.
WRP – Wettbewerb in Recht und Praxis
Beitrge
4/2016
433
Palzer, Und willst kein braver Schuldner du sein, dann meld’ ich bei der SCHUFA dich ein!
zweck der Sicherung der Entscheidungsfreiheit ausgerichteten
Verbotstatbestand handelt, ist umgekehrt die bloße Ausübung
von Druck nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der
„unzulässigen Beeinflussung“ lauterkeitsrechtlich relevant.83)
27 Legt man dies dem vorliegenden Sachverhalt zu Grunde, kommt
man schwerlich umhin, von einer Nötigung auszugehen. Dafür
spricht bereits im ersten Zugriff, dass sich der betreffende SCHUFA-Hinweis als Drohung mit einer rechtlich unzulässigen, weil
nicht von § 28 a Abs. 1 Nr. 4 BDSG gedeckten Handlung i. S. von
§ 4 a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 UWG 2015 darstellt. Angesichts der einschneidenden, wirtschaftlich möglicherweise existentiellen Konsequenzen eines SCHUFA-Eintrags, bedeutet dem Adressaten zu
suggerieren, er könne einen entsprechenden Eintrag nur durch
Zahlung des geforderten Betrags abwenden, einen schwerwiegenden Eingriff in dessen Entscheidungsfreiheit, der in puncto
Intensität einen bloß irgendwie gearteten Nachteil deutlich übersteigt.
cc) Zwei sich überschneidende Kreise
28 Die hiesige Sachverhaltskonstellation liegt demnach in der
Schnittmenge von § 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 UWG 2015.
Überschneidungsmomente sind die sowohl von der Ausübung
von Druck i. S. des § 4 a Abs. 1 S. 3 UWG 2015 als auch von der
Nötigung erfasste, freilich unterschiedlich akzentuierte Anwendung von körperlicher Gewalt und die Androhung von (erheblichen) Nachteilen. Hinzu kommt, dass auch die Beurteilungsfaktoren des § 4 a Abs. 2 UWG 2015 hier jeweils in gleicher
Weise gelten. Dass ein qualitativer Unterschied zwischen der
(bloßen) Ausübung von Druck und einer Nötigung bestehen
muss, wurde bereits festgestellt. Genauso ist umgekehrt nicht
jede Nötigung eine unzulässige Beeinflussung.84) Die Kreise
überlagern sich aber eben dort, wo sich bei Vorliegen einer unzulässigen Beeinflussung die Druckausübung zur Nötigung verdichtet.85) Freunden von scharfen Tatbestandsabgrenzungen
bzw. klaren Zuordnungen mögen derart verschwimmende Grenzen ein Dorn im Auge sein. Der schulterzuckende Hinweis, dass
diese Überlagerung nun einmal in der Norm angelegt ist, hilft
ihnen da naturgemäß wenig. Und dennoch: Weiter problematisch ist das nicht, denn die Rechtsfolgen sind jeweils identisch.
Praktische Konsequenzen ergeben sich hieraus folglich nicht.86)
b) Erhebliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit
29 Die unzulässige Beeinflussung bzw. die Nötigung ist auch im
konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geeignet, die Entscheidungsfreiheit des Adressaten erheblich zu beeinträchtigen. Die Begründung hierfür fällt leicht,
denn insoweit sind dieselben Erwägungen maßgebend, die bereits zur wesentlichen Einschränkung der Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung angestellt wurden.87) Wie dort ist nämlich
auch hier entscheidend, dass die vom Handelnden in Aussicht
gestellten Nachteile so erheblich sind, dass sie den durchschnittlichen Adressaten veranlassen können, die von ihm erwartete
geschäftliche Entscheidung zu treffen,88) und dementsprechend
schon aus Gründen der Stringenz auch hier zu bejahen.
83) Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 81), § 4 Rn. 1.11.
84) Zu Konstellationen, in denen die Fähigkeit des Adressaten zu einer informierten bzw.
besser: zu einer freien Entscheidung, trotz Ausnutzung einer Machtposition zur
Ausübung von Druck, nicht wesentlich beeinträchtigt wird, Fritzsche, WRP 2016, 1, 5.
85) Vgl. auch Micklitz, in: MüKo-UWG (Fn. 65), EG D, Art. 8-9 Rn. 14.
86) Apetz (Fn. 61), S. 345 f.; Gamerith, WRP 2005, 391, 423; Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.29; ders./Lettl, WRP 2003, 1019, 1043; tendenziell anders
wohl Micklitz, in: MüKo-UWG (Fn. 65), EG D, Art. 8-9 Rn. 14; abweichend dagegen
ebda., Rn. 21.
87) S. o. sub V. 1. a) aa).
88) Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.34.
Die Schwelle liegt dabei freilich, dieser Hinweis sei der Vollstän- 30
digkeit halber erlaubt, etwas niedriger: Insoweit genügt es bereits, dass die aggressive Geschäftspraktik geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit erheblich zu beeinträchtigen, dass eine entsprechende Beeinträchtigung also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bewirkt wird.89) Voraussetzung für das Vorliegen
einer unzulässigen Beeinflussung ist demgegenüber, dass die
Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers
zu einer informierten Entscheidung wesentlich eingeschränkt
wird, mithin dass es tatsächlich zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit kommt. Dass das durchaus gewollt ist,90) zeigt ein Blick auf den systematisch-teleologischen
Hintergrund der Spürbarkeitsklausel im Rahmen der unzulässigen Beeinflussung: Sie dient nämlich dazu, ein gegenüber den
übrigen Aggressionsmitteln vergleichbares Intensitätsniveau zu
gewährleisten bzw. umgekehrt: ein Beurteilungsgefälle zu verhindern.91)
Eigenständige Bedeutung kommt dem Erfordernis der Eignung 31
zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit
daher praktisch nur in den Fallkonstellationen der Nötigung
oder der Belästigung zu. Dabei ist es nicht nur Ausdruck des
auf den Schutz wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher (und
sonstiger Marktteilnehmer) gerichteten Verbotskonzepts92) –
der Schutz vor nötigenden oder belästigenden Geschäftspraktiken ist insoweit kein Selbstzweck! –, sondern auch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, solche Einwirkungen vom Verbotsbereich auszunehmen, die sich nicht substanziell auf die geschäftliche Entscheidung auswirken können.
c)
Ergebnis
Wie angesichts der vom BGH vorgenommenen richtlinienkon- 32
formen Auslegung des § 4 Nr. 1 UWG 2008 nicht anders zu
erwarten, ist ein SCHUFA-Hinweis, der nicht hinreichend deutlich macht, dass der Adressat die Einmeldung durch Bestreiten
der Forderung verhindern kann, nach alledem auch nach Maßgabe des § 4 a UWG 2015 unlauter.
2.
Datenübermittlung an Auskunfteien nach der
Datenschutzgrundverordnung
Bleibt als mögliche offene Flanke für die Fortgeltung der vor- 33
liegenden Entscheidung noch das für 2018 avisierte Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung, mit der die aus dem Jahre
1995 stammende Datenschutzrichtlinie 95/46/EG ersetzt wird.
Die Zulässigkeit der Datenübermittlung an Auskunfteien – aus
lauterkeitsrechtlicher Perspektive: die Rechtfertigung für einen
entsprechenden Hinweis – wird dann an Art. 6 Abs. 1 lit. f Datenschutzgrundverordnung zu messen sein. Darin feiert die Einzelfallabwägung, die insoweit für das deutsche Recht mit der BDSGNovelle 2009 gerade abgeschafft worden war, fröhlich Urständ.
Mit dem Telos des § 28 a Abs. 1 Nr. 4 BDSG lässt sich dann nicht
mehr argumentieren. Freilich war auch schon nach der überkommenen Interessenabwägung gem. § 28 Abs. 1 BDSG a. F.
unter anderem Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Übermittlung „weicher“ Negativmerkmale an eine Auskunftei, dass
der Betroffene über die vorgesehene Datenübermittlung informiert wurde, um ihm noch einmal die Möglichkeit zu geben, der
geltend gemachten Forderung zu widersprechen.93) Das ist
89) OLG Frankfurt, 04.08.2005 – 6 U 224/04, GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion; OLG München, 02.07.2009 – 29 U 3992/08, GRUR-RR 2010, 53, 56 – Treuebonus II; Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 20), § 4 a Rn. 1.32.
90) Dagegen Apetz (Fn. 61), S. 341 f., der für eine Angleichung „nach unten“ plädiert.
91) Alexander, WRP 2014, 1384, 1389; Fritzsche, WRP 2016, 1, 5.
92) Vgl. EGr. 6 UGP-RL.
93) Vgl. Beckhusen (Fn. 35), S. 131 f. m. w. N.
434
Beitrge
WRP – Wettbewerb in Recht und Praxis
4/2016
Göckler, Die Klagebefugnis vertikaler Wirtschaftsverbände
zwar – wenn überhaupt – allenfalls ein zaghafter Fingerzeig.
Denn die Einzelheiten wird der EuGH (neu) auszubuchstabieren
haben. Dass er hinter diesem „Schutzniveau“ zurückbleibt, für
das die Erwägungen des BGH abstrakt durchaus entsprechend
Geltung beanspruchen, ist indes kaum vorstellbar. Eher denkbar
wäre da schon, dass der EuGH den Interessen der Betroffenen
mit Blick auf die Übermittlung „weicher“ Negativmerkmale generell Vorrang einräumt.94) Dann wäre ein SCHUFA-Hinweis in
einem Mahnschreiben freilich ganz grundsätzlich, unabhängig
von seiner konkreten Fassung, unzulässig.
Ganz im Sinne dieser begrüßenswerten Entscheidung besteht 34
also durchaus Hoffnung, dass alles so bleibt, wie es wird!95)
94) Zur Kritik s. oben sub IV. 1.
95) Formulierung von Glöckner, WRP 2003, 1327.
Wiss. Mit. Till Göckler, Leipzig*
Die Klagebefugnis vertikaler Wirtschaftsverbände
Auf der Suche nach dem Schutz der sonstigen Marktteilnehmer im Wettbewerbsrecht
Inhalt
I.
Einleitung
II.
Der Zweck der kollektiven Normdurchsetzung und der
Klagebefugnis
1. Die Kollektivklage
2. Klagebefugnis und Klagemissbrauch
III. Die Klagebefugnis der vertikalen Wirtschaftsverbände im
Wettbewerbsrecht
1. Die Klagebefugnis im UWG
2. Die Klagebefugnis im GWB
3. Die Klagebefugnis im UKlaG
a) Die bisherige Rechtslage
b) Einschränkung der Verbandsklagebefugnis
IV. Stellungnahme zur Klagebefugnis in UWG und UKlaG
1. Die unausgewogene Klagebefugnis im UWG
a) Anpassung der Klagebefugnis an den Schutzzweck des
UWG
b) Kohärenz des Durchsetzungssystems
c) Vorschlag zur Regelung der Klagebefugnis im UWG
aa) Anpassung an das Kartellrecht
bb) Annäherung an die Klagebefugnis von Verbraucherverbänden
2. Die wechselhafte Klagebefugnis im UKlaG
a) Rückkehr zur überindividuellen Klagebefugnis für
Vertikalverbände
b) Aus Fehlern lernt man – nicht
V.
Fazit
I.
Einleitung
1 Das deutsche Recht sieht mit dem Gesetz gegen den unlauteren
Wettbewerb (UWG), dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG)
ein umfassendes Normenregime vor, mit dem ein betroffenes
Unternehmen vor unlauteren Handelspraktiken anderer unternehmerischer Marktteilnehmer geschützt wird, die zum betroffenen Unternehmen – etwa als Lieferant oder Abnehmer von
* Mehr über den Autor erfahren Sie auf S. 539.
Waren – in einem Vertikalverhältnis stehen.1) Unlautere Handelspraktiken wie etwa die Versendung rechnungsähnlich aufgemachter Angebotsschreiben2) oder verschleierter Anträge in
Form von Korrekturabzügen,3) die Zusendung von Zahlungsaufforderungen oder Waren, ohne dass der Adressat mit dem Absender tatsächlich in einem Vertragsverhältnis steht,4) oder die
Zufügung unmittelbar wirtschaftlicher oder rechtlicher Nachteile durch wettbewerbsbeschränkende Absprachen bzw. die Verwendung unwirksamer AGB5) stellen nur eine kleine Auswahl
der Ansätze dar, mit denen sich ein Unternehmen einen wirtschaftlichen oder rechtlichen Vorteil auf Kosten eines Marktteilnehmers zu verschaffen sucht, der zum Zuwiderhandelnden in
einem Vertikalverhältnis steht.
Die gegen solche unlauteren Handelspraktiken bestehenden 2
Rechtsgebiete des Lauterkeits- und Kartellrechts sowie der überindividuellen AGB-Kontrolle eint, dass sie alle für die Verfolgung
entsprechender Normverstöße die Möglichkeit der kollektiven
Normdurchsetzung durch Wirtschaftsverbände vorsehen. Die
Regelungen, die den Wirtschaftsverbänden für den jeweiligen
Rechtsbereich eine Klagebefugnis zuweisen, unterscheiden sich
allerdings in ihrer Entwicklung sowie inhaltlichen Ausgestaltung voneinander. Das führt dazu, dass durch die Normen teilweise ein unterschiedlich umfangreicher Kreis von anspruchsberechtigten Wirtschaftsverbänden definiert wird. Diese Aufspaltung des Durchsetzungssystems kann zu einer Hemmung
der Normdurchsetzung in den einzelnen Rechtsbereichen führen,
die sich erstaunlicherweise insbesondere zulasten solcher Wirtschaftsverbände auswirkt, die die Interessen der sogenannten
sonstigen Marktteilnehmer vertreten; d. h. der Marktteilnehmer,
die unmittelbar von den unlauteren Handelspraktiken betroffen
sind. Es handelt sich also um die Gruppe von Marktteilnehmern,
1)
2)
3)
4)
5)
Der Begriff der unlauteren Handelspraktiken ist dem Grünbuch der Europäischen
Kommission über unlautere Handelspraktiken in der b2b-Lieferkette (COM(2013) 37
final) entnommen und steht für die Gesamtheit an rechtswidrigen Geschäftsgebaren –
auch über das Lauterkeitsrecht hinaus – die in der Anbahnung oder Durchführung
eines Austauschvertrags zwischen Unternehmen einseitig von einem Geschäftspartner zur Anwendung gelangen können.
BGH, 07.10.1993 – I ZR 293/91, WRP 1994, 28-31 – Folgeverträge I; BGH, 26.01.
1995 – I ZR 39/93, WRP 1995, 389-392 – Folgeverträge II; BGH, 26.11.1997 –
I ZR 109/95, WRP 1998, 383-386 – Wirtschaftsregister.
BGH, 30.06.2011 – I ZR 157/10, WRP 2012, 194-198 – Branchenbuch Berg.
BGH, 17.08.2011 – I ZR 134/10, WRP 2012, 198-201 – Auftragsbestätigung.
BGH, 05.10.2005 – VIII ZR 16/05, WRP 2006, 243-251.