Abtauchen im Korallenriff Auf Exkursion am Roten Meer von Nathalie Kürten & Annabel Mathiske Jedes Jahr macht sich eine Gruppe Biologiestudenten der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zusammen mit Wissenschaftlern des Senckenberg-Instituts auf den Weg nach Ägypten, um eines der vielfältigsten Ökosysteme der Welt zu erforschen – das Korallenriff. p Abb. 1 Geweihkoralle (Acropora humilis) mit BlaugrünenChromis (Chromis viridis) am Blue Hole. Foto: Pavel Bečka 20 Endlich angekommen! Nach 15 Stunden Bus- und Flugreise steigen wir, 20 Studenten und drei Dozenten der Universität Oldenburg, voller Vorfreude aus dem Flugzeug in Sharm el Sheikh. Nur noch eine Stunde Minibusfahrt durch die felsige Wüstenlandschaft des Sinai und unsere Tauchbasis ist erreicht. Sie liegt direkt an der Promenade zur Innenstadt Dahabs, vor der sich das azurblaue Wasser des Golfs von Aqaba erstreckt. Maske, Schnorchel und Flossen ausgerüstet in das 29 Grad warme Meerwasser. Farbenfrohe Artenvielfalt Am nächsten Tag steht bereits der erste Tauchgang am Moray-Garden-Riff an und wir wagen uns mit Kamera, Auf Anhieb sind wir von der Vielzahl farbenprächtiger Fische überwältigt. Während sich einem die RotmeerAnemonenfische (Amphiprion bicinctus) todesmutig nähern, um ihre Anemone zu verteidigen (Abb. 2), ziehen sich einige Riffbarschschwärme zum Schutz lieber in ihre Korallen zurück (Abb. 1). Bereits im nächsten Moment schwimmt Forschung SENCKENBERG – natur • forschung • museum 146 (1/2) 2016 eine Gruppe von acht Lessons Riffkalmaren (Sepioteuthis lessoniana) vorbei (Abb. 6). Und schon entdecken wir die nächsten Highlights: einen Blaupunkt-Stechrochen (Taeniura lymma, Abb. 3) und eine Sternfleckenmuräne (Echidna nebulosa, Abb. 4). Nach weiteren Tauchgängen fällt es uns leichter, uns auf das Korallenriff zu konzentrieren, und wir lernen schnell, die vielen Korallenarten zu unterscheiden (Abb. 9). Nun bleiben uns auch die kleineren und unscheinbareren wirbellosen Lebewesen nicht länger verborgen. So finden wir unter anderem eine farbenprächtige Rüppells Warzenschnecke (Phyllidia rueppellii, Abb. 5), eine kleine Hohlkreuz-Garnele (Thor amboinensis, Abb. 10) mit ihren auffälligen weißen Punkten und verschiedenfarbige Weihnachtsbaum-Röhrenwürmer (Spirobranchus giganteus). Auch einen gut getarnten Buckel-Drachenkopf (Scorpaenopsis diabolus) übersehen wir nun nicht mehr. Eine Begegnung bleibt für uns alle jedoch unvergessen: Plötzlich blicken wir in die Augen eines jungen, aber durchaus imposanten Walhais (Rhincodon typus, Abb. 7) – und so schnell, wie er aufgetaucht war, ist er auch schon wieder in den Tiefen des Meers verschwunden. Erschöpft, aber mit vielen neuen Eindrücken fahren wir wie jeden Abend zu unserer Tauchbasis in der kleinen Küstenstadt Dahab zurück. Dort werden wir mit einem ausgefallenen Buffet liebevoll empfangen. Unsere Gastgeber SENCKENBERG – natur • forschung • museum 146 (1/2) 2016 p Abb. 2/3 Links oben: Rotmeer-Anemonenfisch (Amphiprion bicinctus) mit seiner Blasenanemone (Entacmaea quadricolor) im LighthouseRiff. Foto: Jil Kühne Links unten: Blaupunkt-Stechrochen (Taeniura lymma) im Napoleon-Riff. Foto: Jil Kühne Studienmodul „Biodiversität litoraler Lebensgemeinschaften“ Für dieses beliebte Modul bereiten sich die Studenten der Universität Oldenburg ein halbes Jahr im Voraus mit einem wöchentlichen Seminar vor. Jeder Teilnehmer hält zwei Vorträge über die wichtigsten Arten im Korallenriff, ihre Wechselbeziehungen und über charakteristische Biotope im und am Roten Meer. Neben der theoretischen Ausbildung erlernen die Studenten das Apnoetauchen – also das Tauchen ohne Gerät – im Schwimmbad der Universität. Sie trainieren Strecken- und Tieftauchen, um im Riff sicher unter Wasser arbeiten zu können. Anschließend geht es im Sommer für 17 Tage nach Dahab (Sinai, Ägypten), um das Erlernte anzuwenden und in selbstgewählten Forschungsprojekten zu vertiefen. Die Studenten arbeiten ihre Ergebnisse in einem wissenschaftlichen Artikel auf und stellen sie – wie im späteren Forscherleben – in einem Abschlusssymposium ihren Kommilitonen und Lehrenden vor. Fo rsch u n g 21 p Abb. 4–6 Links oben: Sternfleckenmuräne (Echidna nebulosa) im Napoleon-Riff. Foto: Jil Kühne Links unten: Rüppells Warzenschnecke (Phyllidia rueppellii) im South-Riff. Foto: Pavel Bečka Rechts: Acht Lessons Riffkalmare (Sepioteuthis lessoniana) im South-Riff. Foto: Mischa Schwarzmeier u Abb. 7 Walhai (Rhincodon typus) mit Schiffshalter (Echeneis naucrates) und juvenilen Makrelen in der Southern-Oasis. Foto: Annabel Mathiske 22 Forschung freuen sich sehr, dass sie endlich wieder so viele Gäste verwöhnen dürfen. Nun aber beginnt die Zeit der Forschung. Schon in den ersten Tagen sind uns Tierarten, Verhaltensweisen oder Lebensgemeinschaften aufgefallen, die wir jetzt näher untersuchen wollen (Abb. 8). Fragestellungen werden formuliert und ihre Durchführbarkeit mit den Betreuern diskutiert. Einige Arbeitsgruppen gehen anschließend erst einmal in die Stadt und kaufen Dinge wie Luftballons, Strohhalme oder Gummiringe; alles Utensilien, die für die erdachten Experimente gebraucht werden. Mit Schreibtafeln und Bleistiften, Taucheruhren, Senkloten und Unterwasserkameras bewaffnet forschen die Studentengruppen in den letzten drei Tagen der Exkursion zu den verschiedensten Themen: Ein Team befasst sich mit der Frage, ob sich adulte Rotmeer-Anemonenfische (Amphiprion bicinctus) gegenüber juvenilen Artgenossen und juvenilen Dreifleck-Preußenfischen (Dascyllus trimaculatus) gleich verhalten, und findet heraus, dass die juvenilen Dreifleck-Preußenfische zwar von den adulten Rotmeer-Anemonenfischen geduldet, aber nicht gleichbehandelt werden. In einem weiteren Forschungsprojekt beschäftigen sich die Studierenden mit dem Besiedlungs- SENCKENBERG – natur • forschung • museum 146 (1/2) 2016 SENCKENBERG – natur • forschung • museum 146 (1/2) 2016 Die Forschung beginnt! Nach einigen Tauchgängen, bei denen wir verschiedene Saumriffe wie Napoleon, Moray Garden, Canyon und Lighthouse kennengelernt haben, besuchen wir das berühmt-berüchtigte Blue Hole. Auch am Rand dieses bis zu 110 Meter tiefen dunkelblauen Lochs im Riff entdecken wir immer wieder für uns neue Arten und dokumentieren sie. Fo rsch u n g 23
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