NFM 0102 2016

Abtauchen im Korallenriff
Auf Exkursion am Roten Meer
von Nathalie Kürten & Annabel Mathiske
Jedes Jahr macht sich eine Gruppe Biologiestudenten der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zusammen mit Wissenschaftlern des Senckenberg-Instituts auf den Weg nach Ägypten, um
eines der vielfältigsten Ökosysteme der Welt zu erforschen – das Korallenriff.
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Abb. 1
Geweihkoralle (Acropora
humilis) mit BlaugrünenChromis (Chromis viridis) am
Blue Hole. Foto: Pavel Bečka
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Endlich angekommen! Nach 15 Stunden Bus- und Flugreise
steigen wir, 20 Studenten und drei Dozenten der Universität Oldenburg, voller Vorfreude aus dem Flugzeug in Sharm
el Sheikh. Nur noch eine Stunde Minibusfahrt durch die felsige Wüstenlandschaft des Sinai und unsere Tauchbasis ist
erreicht. Sie liegt direkt an der Promenade zur Innenstadt
Dahabs, vor der sich das azurblaue Wasser des Golfs von
Aqaba erstreckt.
Maske, Schnorchel und Flossen ausgerüstet in das 29 Grad
warme Meerwasser.
Farbenfrohe Artenvielfalt
Am nächsten Tag steht bereits der erste Tauchgang am
Moray-Garden-Riff an und wir wagen uns mit Kamera,
Auf Anhieb sind wir von der Vielzahl farbenprächtiger
Fische überwältigt. Während sich einem die RotmeerAnemonenfische (Amphiprion bicinctus) todesmutig nähern,
um ihre Anemone zu verteidigen (Abb. 2), ziehen sich einige
Riffbarschschwärme zum Schutz lieber in ihre Korallen
zurück (Abb. 1). Bereits im nächsten Moment schwimmt
Forschung
SENCKENBERG – natur • forschung • museum 146 (1/2) 2016
eine Gruppe von acht Lessons Riffkalmaren (Sepioteuthis
lessoniana) vorbei (Abb. 6). Und schon entdecken wir die
nächsten Highlights: einen Blaupunkt-Stechrochen (Taeniura lymma, Abb. 3) und eine Sternfleckenmuräne (Echidna
nebulosa, Abb. 4). Nach weiteren Tauchgängen fällt es uns
leichter, uns auf das Korallenriff zu konzentrieren, und wir
lernen schnell, die vielen Korallenarten zu unterscheiden
(Abb. 9). Nun bleiben uns auch die kleineren und unscheinbareren wirbellosen Lebewesen nicht länger verborgen. So
finden wir unter anderem eine farbenprächtige Rüppells
Warzenschnecke (Phyllidia rueppellii, Abb. 5), eine kleine
Hohlkreuz-Garnele (Thor amboinensis, Abb. 10) mit ihren
auffälligen weißen Punkten und verschiedenfarbige Weihnachtsbaum-Röhrenwürmer (Spirobranchus giganteus).
Auch einen gut getarnten Buckel-Drachenkopf (Scorpaenopsis diabolus) übersehen wir nun nicht mehr.
Eine Begegnung bleibt für uns alle jedoch unvergessen:
Plötzlich blicken wir in die Augen eines jungen, aber durchaus imposanten Walhais (Rhincodon typus, Abb. 7) – und so
schnell, wie er aufgetaucht war, ist er auch schon wieder in
den Tiefen des Meers verschwunden.
Erschöpft, aber mit vielen neuen Eindrücken fahren wir
wie jeden Abend zu unserer Tauchbasis in der kleinen
Küstenstadt Dahab zurück. Dort werden wir mit einem ausgefallenen Buffet liebevoll empfangen. Unsere Gastgeber
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Abb. 2/3
Links oben: Rotmeer-Anemonenfisch (Amphiprion bicinctus) mit
seiner Blasen­anemone (Entacmaea quadricolor) im LighthouseRiff. Foto: Jil Kühne
Links unten: Blaupunkt-Stechrochen (Taeniura lymma) im
Napoleon-Riff. Foto: Jil Kühne
Studienmodul „Biodiversität litoraler Lebensgemeinschaften“
Für dieses beliebte Modul bereiten sich die Studenten der Universität Oldenburg ein
halbes Jahr im Voraus mit einem wöchentlichen Seminar vor. Jeder Teilnehmer hält
zwei Vorträge über die wichtigsten Arten im Korallenriff, ihre Wechselbeziehungen
und über charakteristische Biotope im und am Roten Meer. Neben der theoretischen
Ausbildung erlernen die Studenten das Apnoetauchen – also das Tauchen ohne Gerät –
im Schwimmbad der Universität. Sie trainieren Strecken- und Tieftauchen, um im
Riff sicher unter Wasser arbeiten zu können. Anschließend geht es im Sommer für
17 Tage nach Dahab (Sinai, Ägypten), um das Erlernte anzuwenden und in selbstgewählten Forschungsprojekten zu vertiefen. Die Studenten arbeiten ihre Ergebnisse in
einem wissenschaftlichen Artikel auf und stellen sie – wie im späteren Forscherleben –
in einem Abschlusssymposium ihren Kommilitonen und Lehrenden vor.
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Abb. 4–6
Links oben: Sternfleckenmuräne (Echidna nebulosa)
im Napoleon-Riff. Foto: Jil Kühne
Links unten: Rüppells Warzenschnecke (Phyllidia rueppellii)
im South-Riff. Foto: Pavel Bečka
Rechts: Acht Lessons Riffkalmare (Sepioteuthis lessoniana)
im South-Riff. Foto: Mischa Schwarzmeier
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Abb. 7
Walhai (Rhincodon typus) mit Schiffshalter (Echeneis
naucrates) und juvenilen Makrelen in der Southern-Oasis.
Foto: Annabel Mathiske
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Forschung
freuen sich sehr, dass sie endlich wieder so viele Gäste
verwöhnen dürfen.
Nun aber beginnt die Zeit der Forschung. Schon in den ersten
Tagen sind uns Tierarten, Verhaltensweisen oder Lebensgemeinschaften aufgefallen, die wir jetzt näher untersuchen
wollen (Abb. 8). Fragestellungen werden formuliert und
ihre Durchführbarkeit mit den Betreuern diskutiert. Einige
Arbeitsgruppen gehen anschließend erst einmal in die
Stadt und kaufen Dinge wie Luftballons, Strohhalme oder
Gummiringe; alles Utensilien, die für die erdachten Experimente gebraucht werden. Mit Schreibtafeln und Bleistiften,
Taucher­uhren, Senkloten und Unterwasserkameras bewaffnet forschen die Studentengruppen in den letzten drei Tagen
der Exkursion zu den verschiedensten Themen: Ein Team
befasst sich mit der Frage, ob sich adulte Rotmeer-Anemonenfische (Amphiprion bicinctus) gegenüber juvenilen
Artgenossen und juvenilen Dreifleck-Preußenfischen (Dascyllus trimaculatus) gleich verhalten, und findet heraus, dass
die juvenilen Dreifleck-Preußenfische zwar von den adulten
Rotmeer-Anemonenfischen geduldet, aber nicht gleichbehandelt werden. In einem weiteren Forschungsprojekt
beschäftigen sich die Studierenden mit dem Besiedlungs-
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Die Forschung beginnt!
Nach einigen Tauchgängen, bei denen wir verschiedene Saumriffe wie Napoleon, Moray Garden, Canyon
und Lighthouse kennengelernt haben, besuchen wir das
berühmt-berüchtigte Blue Hole. Auch am Rand dieses bis zu
110 Meter tiefen dunkelblauen Lochs im Riff entdecken wir
immer wieder für uns neue Arten und dokumentieren sie.
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