Wettbewerb zwischen Supply Chains: Mehr Erfolg durch

Wettbewerb zwischen Supply Chains: Mehr Erfolg durch weniger Markt?
Bretzke (2006 c)
1. Gegenstand, Umfang und Ziele der Untersuchung
2. Grenzen einer ganzheitlichen Gestaltung und Optimierung von Lieferketten
2.1. Die Komplexität offener, polyzentrischer Netze
2.2. Die Unklarheit von Führungs- und Organisationsfragen
2.3. Die Grenzen der Modellierbarkeit
2.4. Die Unklarkeit des „Business Case“
2.5. Die Folgen der Ausweichlosigkeit
3. Supply Chains als Wettbewerber: ein unwahrscheinliches Szenario
3.1. Notwendigkeit und Nutzen einer strikten vertikalen Integration
3.2. Die Opportunitätskosten einer Abschottung von Märkten
3.2.1. Verluste von Risikonivellierungs- und Skaleneffekten
3.2.2. Reduzierte Informationsversorgung
3.2.3. Geschwächte Anreizsysteme
4. Methodologischer Exkurs: Wissenschaftstheoretische Schwächen des SCM-Ansatzes
5. Zum Abschluss: Plädoyer für einen Paradigmenwechsel
1
1. Gegenstand, Umfang und Ziele der Untersuchung
„In todays business environment, it is widely accepted that competition no longer takes
place between individual companies but between entire supply chains.“ 1) “Diese
Erkenntnis ist nicht nur graue Theorie, sondern Realität”.2) Im Folgenden werden diese
Thesen kritisch hinterfragt, wobei insbesondere die kaum diskutierten Nebenwirkungen
analysiert werden, die eintreten, wenn sich Unternehmen in Folge einer strikten
vertikalen Integration als „Quasi-Organisation“ innerlich von Marktmechanismen
befreien. 3)
Um Missverständnissen vorzubeugen, sei dabei bereits vorab betont, dass es nicht um
einen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Design-Modellen geht (also etwa die
Wettbewerbsvorteile, die ein Unternehmen wie Dell aus seinem Direktvertriebsmodell
gewinnt), sondern um die Idee, dass sich einzelne, vertikal kooperierende Unternehmen
zwecks Generierung einer „Netzwerkrente“ 4) zu einer Schicksalsgemeinschaft
zusammenschließen, um „Bereichsegoismen in einzelnen Unternehmen abzubauen“ und
„ein Gesamtoptimum sowie eine höhere Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen“. 5)
Dass Unternehmen immer in Netzwerke eingebunden sind und in ihrem Erfolg dabei
von der Qualität ihrer „Partner“ abhängen, wird hier ebenso als Trivialität vorausgesetzt
wie der Umstand, dass kommunikative „Vernetzung“ durch moderne IT-Systeme
kostengünstiger wird, damit Arbeitsteilung treibt und schließlich häufiger vorkommt.
Offene Netzwerke mögen prozessuale Neuerungen und veränderte Bindungsintensitäten
bergen, institutionelle Innovationen sind sie nicht.6)
Natürlich kann man durch Konzepte wie CPFR, „Vendor Managed Inventory“ oder
„Available to Promise“ Logistikprozesse überraschungsärmer machen, damit zur
Stabilisierung von Plänen beitragen und dabei gleichzeitig erweiterte
Handlungsspielräume für das Management von Engpässen schaffen. Solange die hierzu
erforderlichen Fähigkeiten selten sind, werden machen Beziehungen auch enger. Die
hier zu diskutierende Frage ist jedoch, ob man sich zwecks Ausschöpfung solcher
Effekte zu geschlossenen strategischen Gruppen zusammenschließen sollte, die als neue
organisatorische Einheit im Wettbewerb auftreten. 7)
Wenn es für diese Idee nicht mindestens vordergründig überzeugende Argumente gäbe,
wäre ihre Popularität vollkommen unerklärlich. Niemand kann bestreiten, dass
Zusammenhänge verloren gehen, Lösungsräume schrumpfen, Zielkonflikte nicht
sorgfältig ausbalanciert werden und einige besonders vorteilhafte Handlungsoptionen
ganz aus dem Blickfeld verschwinden, wenn verschiedene Organisationseinheiten die
Konsequenzen ihrer jeweiligen Entscheidungen nicht nur länger im Dunklen lassen,
sondern dann wechselseitig als Datum (und damit als Restriktion) betrachten, anstatt alle
irgendwie zusammenhängenden Probleme simultan zu lösen. Die „alte Welt“ von
Unternehmen, die noch den direkten Wettbewerb auf ihrer jeweiligen
Wertschöpfungsstufe suchen, lässt dich mühelos als eine Welt der Suboptima
beschreiben.
Bei Lichte betrachtet, wirft die Forderung nach einem durchgehenden, „ganzheitlichen“
Management von Ressourcen jenseits der Grenzen von eigentumsbasierten und
arbeitsrechtlich verankerten Verfügungsrechten jedoch mehr Fragen auf, als dieser
Ansatz selbst zu beantworten vorgibt. In einer jüngeren Veröffentlichung habe ich die
2
Grenzen dieses Konzeptes ausführlich beleuchtet. 8) Die dort herausgearbeiteten
wesentlichen Kritikpunkte werden im 2. Kapitel kurz rekapituliert und dabei
stellenweise ergänzt. Das Hauptaugenmerk dieses Beitrages ist aber auf einen Aspekt
gerichtet, der eine weiter vertiefende Betrachtung verdient: die Leichtigkeit, mit der
viele SCM-Protagonisten zugunsten einer vertikalen Integration die Wirkungen von
Markt und Wettbewerb außer Kraft setzen. Mehr Wettbewerbsfähigkeit bei weniger
Markt: Ist das eine Gleichung, die aufgehen kann?
2. Grenzen einer ganzheitlichen Gestaltung und Optimierung von Lieferketten
2.1. Die Komplexität offener, polyzentrischer Netze
Zunächst einmal suggeriert die durch den Begriff der Lieferkette hervorgerufene
„sequenzielle Wertadditionsperspektive“ 9) , Supply Chains böten sich als Objekte
einer ganzheitlichen Gestaltung in ähnlicher Weise an wie einzelne Unternehmen – als
Gebilde mit einer klar umrissenen Grenze zwischen sich und ihrer Umwelt. Tatsächlich
aber sind viele Unternehmen Kreuzungen, durch die hindurch Lieferwege von ganz
unterschiedlichen Vorlieferanten zu ganz unterschiedlichen Endprodukteherstellern
laufen. Im Ergebnis sind sie damit Elemente einander überlappender, mehrseitig offener,
polyzentrischer Netze. Aus diesen überkomplexen Beziehungsnetzen kann man zwar
begrenzte
Gebilde
„herausschneiden“,
die
dann
als
Objekte
einer
unternehmensübergreifenden Optimierung zur Verfügung stehen könnten. Allerdings ist
dieser Akt der Konstitution eines Referenzsystems nicht willkürfrei möglich, d.h. schon
der Versuch der ganzheitlichen Betrachtung und Gestaltung muss mit einem Verrat an
dieser Idee beginnen. 10)
2.2. Die Unklarheit von Führungs- und Organisationsfragen
Pragmatisch betrachtet mag eine solche limitierte Optimierung immer noch besser
erscheinen als der Verzicht auf jeden Versuch zur Ausschöpfung entsprechender
Potenziale. Bei näherer Betrachtung zeigt sich freilich, dass die Idee einer
unternehmensübergreifenden Optimierung unabhängig von der eingefangenen
Komplexität offensichtlich in einem organisationsfreien Raum gedacht ist. 11)
Jedenfalls bleibt unklar, wie eine solche Gruppe gegen ihre Umwelt abgegrenzt werden
soll und wie sie die für eine Zentralplanung erforderliche Hierarchie herausbilden soll
(wer entscheidet über Aufnahme oder Ausschluss von Mitgliedern, über Spielregeln wie
die Frage der Exklusivität, über einen Strategiewechsel, über die Verteilung von Kosten
und Nutzen der Kooperation etc.).
Noch unklarer ist, wie eine solche Sekundärorganistation über die Schnittstellen zu
direkten Kunden und Lieferanten hinaus auf Netzwerk-Mitglieder entfernterer
Wertschöpfungsstufen ausgedehnt werden soll, zu denen ein Unternehmen überhaupt
keine vertraglichen Beziehungen unterhält. Gelegentlich schimmert da ein Glaube an
eine Art „rationaler Emergenz“ durch: als ob sich eine vernünftige Idee die zu ihrer
Realisierung notwendige Organisation von selbst schaffen würde.
Bei derartigen Organisationsfragen geht es im Übrigen nicht nur um Supply Chain
Management im engeren Sinne. Eine Organisation, die in ihrem Inneren keine
Koordination durch Marktmechanismen mehr kennt, muss, ihrer eigenen Logik einer
strikten Redundanzeliminierung folgend, auch die Verantwortlichkeiten für ihre
Außenbeziehungen neu ordnen (also etwa eine gemeinschaftliche Vertriebsorganisation
3
schaffen oder diese Aufgabe ganz an einen der Partner abtreten). Jede derartige
Kombination aus Zentralisierung, Hierarchisierung, und Ressourcenverlagerung bedingt
Subordination, erzeugt Identitäts- (und damit Motivations-)verluste und trägt Züge einer
Selbstentmündigung. Da sie mehr zu erhalten und mehr zu verlieren hat, wird sie
strukturkonservative Züge annehmen und einen Teil ihrer Energie darauf verwenden,
sich selbst zu legitimieren und ihre neue Identität zu verteidigen. Die mit der Integration
verbundenen Know-How-Verluste der „Partner“ fördern dies. Sie erschweren eine
Rückkehr in den Status Quo Ante.
2.3. Die Grenzen der Modellierbarkeit
Wenn man den Tatbestand zunehmender Umweltdynamik und die daraus resultierende
Notwendigkeit immer häufigerer Plananpassungen in die Analyse einbezieht, tritt ein
weiterer wesentlicher Aspekt zu Tage, der die Problematik des Anspruches auf eine
umfassende Planung ganzer „Supply Chains“ unterstreicht. Mit der expliziten
Abbildung immer weiterer, vormals ausgeblendeter Randbedingungen als Parameter
und Variable eines einzigen Planungsmodells steigt zwangsläufig die Notwendigkeit
einer immer häufigeren Planrevision. Schließlich müssen immer mehr Sachverhalte
planerisch antizipiert werden, d.h. mit einem solchen „Aufbohren“ von
Planungsmodellen holt man sich immer mehr Prognoserisiken in das Kalkül, die
schließlich dazu führen, dass es keine auch nur halbwegs stabilen Pläne mehr gibt. Der
Versuch, Komplexität nicht zu reduzieren, sondern „einzufangen“, bewirkt modellseitig
also nicht nur einen praktisch nicht mehr zu stillenden Datenhunger, sondern
konterkariert die eigene Zielsetzung: die wahrgenommene (und damit planerisch zu
bewältigende) Unsicherheit wird nicht reduziert, sondern sie nimmt zu. Komplexe
Systeme sind störanfälliger und instabiler als einfache, insbesondere, wenn sie eng
gekoppelt sind. 12)
Die Notwendigkeit einer permanenten Plankorrektur führt allein schon dazu, dass die
Rede von einer „Optimierung“ irgendwann absurd wird. Optimierung bedingt ein
Mindestmaß an Lösungsstabilität und muss damit mehr sein als eine vorübergehende
Anpassung. Zu Grenzen der Optimierung führen aber auch andere, nicht weniger
elementare modelltheoretische Überlegungen. Wenn überhaupt, ist ein als
unternehmensübergreifende Optimierung verstandenes Supply Chain Management nur
auf der Grundlage abgekappter Interdependenzen, impliziter Annahmen und – bewusst
oder unbewusst – ausgeklammerter Abhängigkeiten möglich, d.h. als Suboptimierung
eines von allen mathematischen Unhandlichkeiten bereinigten und qua
Prämissenbildung drastisch vereinfachten Ausgangsproblems. 13)
Dabei bleibt
„Optimierung“ auf die Verarbeitung quantifizierbarer Informationen beschränkt. Im
Zweifel gehen Messbarkeit und Rechenbarkeit („Modellierbarkeit“) vor Relevanz.
Beides macht diesen Ansatz „arm“ im Vergleich zu der Fülle an schwächer
strukturiertem
Wissen,
die
in
nicht
modellbasierten,
dezentralen
Entscheidungsprozessen verarbeitet werden kann. Einen Betriebsrat angesichts einer
unerwarteten Bedarfsspitze ad hoc zu einer Wochenendschicht zu überreden, kann
Lösungsräume jenseits modellierter Restriktionen erschließen, auf die ein
Optimierungskalkül schon konstruktionsbedingt nie kommen kann. Auch ohne
Optimierungsmodell würde eine zentrale Planungsinstanz diese Möglichkeit vermutlich
aber nicht sehen. Sie kann sich ein solches lokales Wissen nur sehr begrenzt verfügbar
machen. Den Gedanken, dass Entscheidungen, die auf dem zusammenfassenden Wissen
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einer zentralen Planungsinstanz aufbauen, schlechter sein können als Entscheidungen,
die sich auf dem gesonderten Wissen Vieler gründen, können oder wollen manche
Anhänger einer holistischen Planung offenbar nicht denken.
Dabei gilt diese Erkenntnis teilweise schon innerhalb der Grenzen eines einzelnen
Unternehmens. Das tatsächlich beobachtbare Verhalten der Praxis, Planabweichungen
nicht zentral auf der Planungs-, sondern lokal auf der Ausführungsebene zu lösen, ist trotz der damit verbundenen Negierung von Interdependenzen - nicht nur vernünftig,
sondern, zumindest in komplexen, dynamischen Umfeldern, zwingend notwendig.
„Echtzeit-Optimierung“ gibt es nicht (schon gar nicht „ganzheitlich“). Solange wir in
der Steigerung von Komplexität chronisch schneller sind als in der Fortentwicklung
unserer Prognose- und Planungskompetenz, führt an der Verschiebung der Gewichte
von der antizipierenden Planung zur ereignisgetriebenen Adaption kein Weg vorbei.
Damit verbunden sind eine notwendige Lokalisierung der Problemlösungskompetenz
und Puffer (Zeitüberschüsse und/oder „Just-in-Case“-Bestände).
2.4. Die Unklarkeit des „Business Case“
Dass der viel beschriebene „Bullwhip-Effekt“ schädlich ist, ist unstrittig.14) Ob man zu
seiner Reduzierung nur eine verbesserte Informationsversorgung zwischen ansonsten
ungebundenen Unternehmen oder eine strikte vertikale Integration zwischen exklusiv
kooperierenden Unternehmen braucht, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Als
schädlich für die Verbreitung von SCM-Konzepten hat sich aber erwiesen, dass der
Schritt von der verbalen Beschreibung der negativen Folgen entkoppelter
Planungsprozesse hin zu einer belastbaren Kosten-Nutzen-Rechnung für integrierte
Systeme bislang weitgehend der Praxis überlassen worden ist, die sich damit
offensichtlich großenteils überfordert sieht. Wer aber große Unsicherheit etwa bei der
Frage verspürt, wie sehr sich durch SCM die Termintreue verbessern lässt und wie sich
dieser Effekt dann in erhöhte Marktanteile transformieren wird, wird zögern, die
notwendigen Investitionen (etwa in so genannte „Advanced Planning Systems“) zu
tätigen.15) Durch Predigten schafft man keinen Business Case.
2.5. Die Folgen der Ausweichlosigkeit
Für vertikale Integration wird nicht nur mit Hinweisen auf vergrößerte Nutzenpotenziale
geworben. Wichtig sind auch die Voraussetzungen zu deren Erschließung. Zwei der
meistdiskutierten Hauptargumente sind hier die Notwendigkeit spezifischer
Investitionen und die Notwendigkeit von Vertrauen. Beiden Argumenten gemeinsam ist,
dass sie sich nicht mit opportunistischem Verhalten vertragen. Spezifische Investitionen,
die
in
dem
hier
diskutierten
Kontext
angesichts
der
chronischen
Standardisierungsdefizite bei „Collaboration-Workflows“ und IT-Systemen unerlässlich
sind, würden durch einen Partnerwechsel zu versunkenen Kosten entwertet, und
Partnern, die keine Treue zeigen, vertraut man keine sensiblen Informationen an. 16)
Schon damit landet man in der Exklusivität. Betrachtet man die in Frage stehenden
Konzepte näher, so zeigt sich freilich, dass es neben diesen ökonomischpsychologischen Argumenten auch rein konstruktionsbedingte, „technische“ Argumente
für eine strikte vertikale Integration gibt.
5
Ein Zulieferer etwa, der weiterhin mehrere Kunden oder Absatzkanäle bedienen wollte,
müsste sich gefallen lassen, dass diese Abnehmer seiner Produkte in Engpasssituationen
im Sinne des „ganzheitlichen Optimums“ immer wieder in Wartepositionen gedrängt
werden. Solche Prioritäten grundsätzlich zu fixieren ist unklug, wenn man nicht weiß,
wie sich die relative Bedeutung der eigenen Kunden zukünftig entwickeln wird. Lässt
man sie jedoch offen, so gibt es kein klar definierbares gemeinsames Optimum mehr.
Dafür droht dem Zulieferer aber auch kein Kapazitätsverfall mehr, wenn sein „Partner“
seine eigenen Absatzpläne unterschreitet.
Wenn ein „eingemeindeter“ Zulieferer aber auch seinen Hauptkunden als Mitglied
„der“ Supply Chain nicht mehr uneingeschränkt versorgen könnte, dann müsste der
seinen Kunden Verspätungen zumuten, weil ein terminrettendes Ausweichen auf
alternative Lieferanten wiederum nicht im Sinne des Gesamtoptimums läge. Die
integrierte Kette ist langsamer als das offene Netz. Kundenverärgerung als Ergebnis
einer „Optimierungsstrategie“? In diesen einfachen Beispielen offenbart sich ein
fundamentales Dilemma: Offen gehaltene Alternativen fragmentieren Supply Chains
und machen sie als Ganzheit unplanbar. Gesamtoptimierung dagegen ist als Prozess nur
um den Preis von Beschränkung und Subordination zu haben. Ob sie diesen Namen
dann im Ergebnis noch verdient, ist zweifelhaft.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man, wenn man das „Capable-to-Promise-Konzept“
zu Ende denkt. Die mit belastbaren Lieferzeitzusagen verbundene Planungssicherheit
kann man durch dieses Konzept nur erlangen, wenn Lieferanten auf eine entsprechende
Verfügbarkeitsanfrage nicht nur mit Auskünften über die aktuelle oder eine
„wahrscheinliche“
zukünftige
Kapazitätssituation
reagieren,
sondern
mit
Kapazitätsreservierungen. Wer mit seinen Kapazitäten mehrere Kunden oder
Absatzkanäle versorgt, muss freilich immer damit rechnen, dass der prognostizierte
Mehrbedarf zu einem Zeitpunkt entfällt, wo er bereits Aufträge anderer Kunden
abgelehnt hat. In offenen Märkten könnte man dieses Problem durch Optionsrechte
regeln, die mit Preisen versehen und gegebenenfalls sogar handelbar gemacht werden
könnten. Dann würden die Opportunitätskosten einer prognosebasierten
Kapazitätsreservierung kompensiert und es herrschte trotzdem Planungssicherheit.
Entschädigungslose Vorab-Reservierungen, die nur eine Seite binden, sind dagegen
schlicht Risikoüberwälzungen und vertragen sich nicht mit der Rede von „Partnerschaft“
und „Win-Win-Situationen“.
Wer marktwirtschaftliche Lösungen nicht will, muss (jedenfalls, wenn er an dem
Leitbild der ganzheitlichen Planung festhält) verzweigte Netzwerke auf lineare Ketten
reduzieren – ganz oder gar nicht. Es ist absehbar, dass er damit (frei nach Adam Smith)
unwillentlich Ziele fördern wird, die nicht Teile seiner Absicht sind.
Soweit sie diese überhaupt erkennen (diskutiert werden sie kaum), erwarten
Protagonisten einer strikten vertikalen Integration für die Folgen dieser
Selbstbeschränkung offenbar eine angemessene Kompensation. Der in
Engpasssituationen hervortretende Verlust an Flexibilität wird sich jedoch nicht immer
durch die erhöhten Handlungsspielräume kompensieren lassen, die durch eine
verbesserte Sicht auf die Kapazitäten des einen, verbliebenen Zulieferers gewonnen
werden können. Auch die beste, flussorientierte Prozessarchitektur hilft nicht weiter,
wenn die verfügbaren Ressourcen unerwartete Umweltänderungen nicht mehr
absorbieren können und die als Anpassungsvariable tabuisierte lineare Kettenstruktur
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selbst zum lähmenden Engpass wird. Eine ausgedehnte Hierarchisierung ist keine
besonders kluge Antwort auf zunehmende Umweltkomplexität.
Noch gravierendere Folgen der Ausweichlosigkeit ergäben sich, wenn einer der Partner
auf seiner Wertschöpfungsstufe das von seinen ehemaligen direkten Konkurrenten
vorgelegte Tempo des technischen Fortschritts nicht halten kann. Dann wird deutlich,
dass Bindung in dynamischen Märkten nicht vorhersehbare, variable
Opportunitätskosten erzeugen kann. Folgen, die eintreten, wenn man
Netzwerkstrukturen nur unter logistischen Gesichtspunkten gestaltet.
Die beste Logistik nutzt wenig, wenn man mit dem zweitbesten Produkt antreten muss.
Desintegration kann dann zur Überlebensfrage werden. Aber ist der Weg zurück in den
Markt dann noch offen? Wenn man seine eigene Planungsintelligenz vorher durch
Subordination an eine Supply Chain- Zentrale aufgegeben hat, werden unverhofft
Austrittsbarrieren wirksam. Mitgliedschaft wandelt sich in Gefangenschaft. Und was als
Versuch der logistischen Risikominimierung begann, entpuppt sich jenseits rein
logistischer Fragen als schlechter Tausch von Risiken unterschiedlicher Kategorie. Auch
von Bullwhip-Effekten vollständig befreite Lieferketten können so zu Insolvenzfällen
werden.
3. Supply Chains als Wettbewerber: ein unwahrscheinliches Szenario
3.1. Notwendigkeit und Nutzen einer strikten vertikalen Integration
Angesichts der oben beschriebenen logischen Zwangsläufigkeiten wird verständlich,
dass die These, der Wettbewerb würde sich von der Ebene einzelner
Wertschöpfungsstufen auf die Ebene ganzer Supply Chains verlagern, viele Anhänger
gefunden hat. Die meisten sehen diese Entwicklung allerdings offensichtlich weniger als
Voraussetzung denn als Folge einer Implementierung von Supply Chain-Konzepten.
Unabhängig von der Frage, ob nun 1:1-Beziehungen für eine Erschließung der
logistischen Vorteile einer vertikalen Integration notwendig oder nur „günstig“ sind,
bleibt allerdings festzuhalten, dass die meisten Protagonisten dieser These mit der
Ausblendung von Marktmechanismen offensichtlich nicht die Vorstellung von
nennenswerten Opportunitätskosten verbinden.
Dabei wird der Wettbewerb innerhalb eines solchen Arrangements gleich an zwei
Stellen suspendiert. Lieferanten werden von dem Zwang entbunden, sich auf ihrer
Wertschöpfungsstufe immer wieder neu im Wettbewerb zu behaupten. Und Preiskämpfe
zwischen den Supply Chain-Stufen werden suspendiert, weil sie dem Ziel der
Transaktionskostensenkung und dem Geist der Partnerschaft widersprechen (im Übrigen
wären sie auch sinnlos, weil es mangels Alternativen keine Druckpotenziale mehr gibt).
Falls sich tatsächlich in einem Markt eine solche Gruppe etablieren sollte, wird eine
neue Wettbewerbsfront auf jeden Fall entstehen: diese Gruppe wird sich, bevor sie auf
ähnlich aufgestellte Konkurrenten trifft, zunächst einmal gegen solche Wettbewerber
durchsetzen müssen, die sich dem Wettbewerb weiterhin an allen „Fronten“ direkt
stellen (und die ihn damit nutzbar machen). Es gibt starke Argumente für die
Vermutung, dass in dieser Konstellation die bilateralen Monopole auf der Verliererseite
landen. 17)
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3.2. Die Opportunitätskosten einer Abschottung von Märkten
3.2.1. Verluste von Risikonivellierungs- und Skaleneffekten
Nicht wenige Vertreter von SCM-Konzepten sehen hierin eine Antwort auf die neuen
Koordinationsprobleme, die durch die fortgeschrittene weltweite Arbeits- und
Standortteilung entstanden sind. Es erscheint jedoch paradox, den durch Globalisierung
und Internet erschlossenen, nie gekannten Alternativenreichtum gleich wieder
preiszugeben und damit zentrale Vorteile des Outsourcing wieder rückgängig zu
machen. Die durch reduzierte Fertigungstiefen ermöglichten Risikonivellierungs- und
Größendegressionseffekte, die Zulieferer über „Drittgeschäfte“ erschließen können,
liegen ja auch im wirtschaftlichen Interesse der Auftraggeber und erklären teilweise
überhaupt erst jenes Ausmaß an Arbeitsteilung und Spezialisierung, durch das SCM
und „Collaboration“ zum Thema geworden sind.
Skaleneffekte sind unter Ökonomen praktisch selbsterklärend, Risiknivellierungseffekte
sind vielleicht etwas weniger offensichtlich. Sie würden sich bei Investitionen in
gewidmete Kapazitäten, die sich im Falle ihrer Überdimensionierung nicht mehr
anderweitig vermarkten lassen, schon vor der Realisierung in niedrigeren Kapitalwerten
niederschlagen, weil der Risikozuschlag zum Kalkulationszinsfuss erhöht werden muss.
Die Folge: innerhalb solcher Arrangements wird weniger investiert. Weitere
wertmindernde Risikozuschläge wären erforderlich, wenn man aus einer „virtuellen“
Supply Chain nach Tätigung spezifischer Investitionen auch wieder entlassen werden
kann 18).
In Zeiten von „Shareholder Value“ dürfte es jedenfalls schwer sein, Anteilseignern zu
erklären, dass sie für den Verlust von Skalen- und Risikonivellierungseffekten durch die
Vorteile einer logistischen Integration mehr als entschädigt werden. Nicht nur wegen
ungeklärter Verteilungsfragen ist der „Business Case“ einer stufenübergreifenden
Synchronisation von Bedarfsprognosen und Bestellpolitiken dafür zu unscharf.
3.2.2. Reduzierte Informationsversorgung
Marktpreise sind ihrer äußeren Erscheinung nach „arme“ Informationen: sie bestehen
jeweils nur aus einer Zahl. Was sie reichhaltig und als Steuergröße und
Verhaltensimpuls wertvoll macht, ist die Art ihres Zustandekommens. Sie reflektieren
die jeweils aktuellen Rahmenbedingungen der Produktion eines Gutes (von
Energiepreissteigerungen über Mautgebühren bis zu Steuersenkungen) und seines
Vertriebs (Wettbewerbsintensität im Absatzmarkt,…). Zu diesen Rahmenbedingungen
zählt auch und gerade die zentrale Kenngröße des Supply Chain Managements: die
relative Knappheit von Kapazitäten. 19)
Marktpreise sind Signale, die Führungskräfte veranlassen, sich an Tatbestände
anzupassen, die sie gar nicht kennen. Über diese Signale schafft der Markt permanent
Situationen, in denen alle Entscheider weitaus mehr Informationen nutzen können, als
jeder Marktteilnehmer einzeln besitzt. Der Marktmechanismus nutzt ein Wissen, das als
Ganzes gar nicht vorhanden ist, und er ist damit ein besseres Instrument zur Nutzung
verstreuter Informationen, als es eine zentrale Planungsinstanz je sein könnte. 20)
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Diesen Informationsgehalt – und damit die Funktion einer Steuergröße – würden Supply
Chain-interne Verrechnungspreise schon nach kurzer Zeit verlieren. Verzögerte oder
verzerrte Anpassungen sind die zwangsläufige Folge. So würde etwa ein Zulieferer, in
dessen Markt es zu Überkapazitäten kommt, als festes Glied einer als Einheit geformten
Supply Chain zunächst keinerlei Veranlassung sehen, die ihm unter anderen
Bedingungen zugestandenen Verrechnungspreise freiwillig zur Disposition zu stellen.
Da sich sein Partner und ehemaliger Kunde das Ausnutzen günstiger Gelegenheiten
selbst versagt hat und deshalb seine Marktübersicht verliert (nur durch den Abbau von
Einkaufsfunktionen lässt sich ja die erhoffte Senkung der Transaktionskosten
realisieren), werden solche Preisbewegungen möglicherweise auch gar nicht mehr
zeitnah und genau genug wahrgenommen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain
nimmt damit ab, und feste Verrechnungspreise entpuppen sich als das Gegenteil von
dem, was sie zu sein scheinen: als Destabilisatoren. Gleichzeitig verliert der Markt seine
wichtigste Funktion: die Stimulation notwendiger Veränderungen. 21)
Das hat, nebenbei bemerkt, auch Folgen für die Verteilung von Wertschöpfungsanteilen.
In dynamischen Märkten werden die Beteiligten schon nach kurzer Zeit nicht mehr
wissen, ob die zwischen ihnen vereinbarten Verteilungsregeln irgendwelchen
Ansprüchen von Fairness und Gerechtigkeit genügen. Das kann für ähnlich viel
Sprengstoff sorgen wie der Eindruck, man könne Produkte außerhalb der eigenen
Supply Chain zu bessere Konditionen verkaufen oder erstehen als innerhalb der eigenen
Organisation. Wie sich eine solche Lösung mit dem Shareholder-Value-Konzept
vereinbaren lässt, bleibt offen und scheint niemanden ernstlich zu interessieren.
Zu den Leittragenden werden dabei über kurz oder lang auch die Kunden dieser Supply
Chain gehören. Da der Verhandlungsdruck aus dem System genommen wurde, werden
die ursprünglich angestrebten Effizienzsteigerungen nicht zügig über alle
Wertschöpfungsstufen an die Endkunden durchgereicht. Schließlich wollte man ja auch
eine „Win-Win-Situation“ für eine Gemeinschaft von Herstellern installieren. Der
Übergang in die „Loose-Loose-Situation“ kommt schleichend, und er wird von
versteckten Quersubventionierungen durchsetzt sein.
3.2.3. Geschwächte Anreizsysteme
Wesentlich gravierender als der bislang beschriebene Informationsverlust ist der
Verzicht auf andere Wirkungen des Wettbewerbs, die sich hinter dem
Preisbildungsmechanismus verbergen. Nicht erst seit gestern wird Wettbewerb in der
Volkswirtschaftslehre vor allem auch als zentraler Stimulus von Innovationen und damit
als ein Entdeckungsverfahren gesehen. 22) Dieser Energiequelle wird innerhalb fest
gefügter Supply Chains ihre Kraft genommen, weil dort die Anreize falsch gesetzt sind.
Dies gilt nicht nur für Anpassungsprozesse innerhalb „gegebener“ Prozess- und
Netzwerkarchitekturen, wo in dezentralen Systemen lokale Probleme durch
Eigeninitiative bereits gelöst werden, bevor sie als Planadjustierungsbedarfe überhaupt
zentral wahrgenommen werden. Besonders gravierend wirkt die Ausschaltung des
Wettbewerbs als Motor für Veränderungen innerhalb längerer Gestaltungshorizonte, wo
es um die Weiterentwicklung jener Strukturen geht, die bei kurzen Zyklen als
Datenkranz und Restriktionen „Optimierung“ ermöglichen. 23) Solche Design-Fragen
greifen sehr viel tiefer in eigentumsbasierte „Hoheitsrechte“ ein, setzen
dementsprechend mehr Macht voraus und enthalten ein höheres Konfliktpotential.
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Letztlich geht es hier um den Wechsel von Arbeiten im System zu einer Arbeit am
System, also um Evolution. Im Kontext dieses Kapitels bedeutet das: es geht um die
Schaffung von Bedingungen, die einer weiteren Ressourcenentwicklung förderlich sind.
Hier bringt Hierarchisierung vermutlich die größten Nachteile. Wer als Zulieferer mit
seinem Kunden nicht mehr um knappe Wertschöpfungsanteile ringen und gleichzeitig
seine Position nicht mehr im Wettkampf gegen direkte Konkurrenten behaupten muss,
wird in seinen Bemühungen um eine permanente Verbesserung seiner Kosteneffizienz
ebenso nachlassen wie in seiner Suche nach besseren Produkten, die ihm eine dominante
Marktposition verschaffen könnten. Die eigene Marktposition ist ja schon durch die
Zugehörigkeit zu einer Supply Chain gesichert. Das verschafft Handlungsspielräume,
die zu einem opportunistischen Verhalten geradezu einladen. Dass darüber hinaus einem
solchen Unternehmen die kreativitätsfördernden Anreize fehlen, die ihm zuvor noch aus
den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Kunden erwachsen sind, sei dabei
nicht nur am Rande erwähnt.
Im Übrigen kann auch der Markt zur Hervorbringung und Verbreitung von logistischen
Innovationen wie „Vendor Managed Inventory“, „Available to Promise“ oder
„Collaborative Forecasting“ beitragen. Die zunehmende Verlagerung des Wettbewerbs
von Produktmerkmalen auf Serviceleistungen führt dazu, dass Lieferanten mehr und
mehr lernen müssen, Prozesse und Fähigkeiten zu verkaufen. Mit einem solchen Wandel
zu produzierenden Dienstleistungsunternehmen können für die jeweiligen Pioniere
zeitweilige Integrationsvorteile (also erhöhte Lieferantenwechselkosten) verbunden sein.
Ihre Kunden werden dagegen eher dazu neigen, solche Innovationen zu den
Standardanforderungen der Zukunft zu machen, d.h. sie werden sie verbreiten, anstatt
sie sich durch exklusive Bindungen in einer als Einheit auftretenden Supply Chain zu
sichern.
Es ist erstaunlich, dass in einer Disziplin, die sich dem Systemdenken verpflichtet fühlt,
Systementwürfe diskutiert werden, in denen eine der wichtigsten Dimensionen der
Gestaltung komplexer Organisationen kaum thematisiert wird: das kluge Setzen von
Anreizen, die Entscheidungsträger innerhalb gegebener Ermessensspielräume dazu
anhalten, aus eigenem Interesse übergeordnete Systemziele zu verfolgen. Wie schon bei
der Idee einer supply-chain-weiten ganzheitlichen Optimierung hat man den Eindruck
einer Weltsicht von Uhrmachern: in dieser Welt ohne horizontale, nicht-lineare und
reziproke Kausalitäten lässt sich alles durch Planung und Kontrolle regeln. Da es in
dieser tayloristisch gestaltbaren Welt offensichtlich weder Zielkonflikte, noch
Ermessensspielräume oder Opportunisten gibt, braucht man sich um Motivationsfragen
nicht ausdrücklich zu kümmern. Mögliche Motivationsverluste durch Subordination
und Verlust von Eigenständigkeit werden nicht einmal angedacht. Und der Gedanke,
dass Integration auch zusätzliche Managementkapazitäten für vorher nicht benötigte
Konfliktbewältigungen binden könnte, bleibt hinter der viel strapazierten Rede von
„Partnerschaft“ schlicht verborgen.
Nicht weniger erstaunlich als der sich hierin manifestierende Rückfall hinter das Wissen
der Transaktionskostentheorie 24) ist, dass es in eben dieser Disziplin augenscheinlich
viele Autoren gibt, die mit dem Markt das zentrale System, dem wir unseren Wohlstand
verdanken, so wenig verstanden haben, dass sie seine Wirkmechanismen preisgeben,
ohne je auf den Gedanken zu kommen, dass dafür ein Preis gezahlt werden muss.
10
4. Methodologischer Exkurs: Wissenschaftstheoretische Schwächen des SCMAnsatzes
Zu den Schwächen einiger populärer Konzepte im Supply Chain Management zählen
noch weitere Defizite methodologischer Natur. Insbesondere ist oft nicht ganz klar,
welcher
Geltungsanspruch
mit
bestimmten
Aussagen
wie
etwa
der
Wettbewerbsverlagerungsthese verbunden sein soll. Diese Aussage kann in einem strikt
erfahrungswissenschaftlichen Sinne als Prognose betrachtet werden, was bedeuten
würde, dass sie an der Realität scheitern und damit empirischen Gehalt beanspruchen
könnte. 25) Letzteres würde allerdings voraussetzen, dass ihre Protagonisten angeben,
bis wann mit dem Eintritt des von ihnen beschriebenen Phänomens gerechnet werden
muss und wie hoch der Marktanteil dieser neuen Organisationsform werden muss, um
von einer Bestätigung der Erwartungen reden zu können. Die bisherigen, unscharf
gehaltenen Tendenzaussagen sprechen eher für eine versteckte Strategie der
Falsifikationsimmunisierung, die Vagheit mit Universalität verwechselt.
Häufig kommen Aussagen dieser Art aber auch in der sprachlichen Gestalt von
Verhaltungsempfehlungen daher, etwa in Gestalt des Rates, man möge zum Wohle aller
Beteiligten und Betroffenen das Supply Chain Management ganzheitlich in die Hände
einer neuen Kategorie von Dienstleistungsanbietern (sogenannter „4PLs“) legen. 26)
Bisweilen mischen sich diese Denkansätze auch. Das führt zu merkwürdigen
Widersprüchen: wenn eine Entwicklung mit empirischer Gesetzmäßigkeit ohnehin
eintreten wird, braucht man sie niemandem mehr als Empfehlung mit auf den Weg zu
geben. 27)
Wie Prognosen greifen auch Aussagen mit Ratschlagcharakter der Realität voraus. Im
Gegensatz zu jenen sind sie jedoch empirisch nicht zu widerlegen, weil sie nicht Fakten
beschreiben oder Kausalitäten behaupten, sondern ein „Sein-Sollendes“ postulieren.
Das, was da beschrieben wird, soll nicht „wahr“ sein, sondern besser (und damit
zwangsläufig anders). Die bloße Nichtannahme solcher Empfehlungen besagt noch
nichts über ihre Qualität, schließlich können Implementierungsdefizite ja auch Ausdruck
einer unzureichenden Aufklärung der Adressaten sein oder nur indizieren, dass einige
notwendige Vorarbeiten (wie die Einführung einer bestimmten Art von Software) noch
nicht erledigt sind. Seltene Realisierungen können Empfehlungen sogar noch wertvoller
machen (indem sie Wettbewerbsvorteile versprechen). Kritisieren kann man derartige
Aussagen nur auf einer logischen Ebene, etwa indem man auf nicht erfüllbare oder
unwahrscheinliche implizite Randbedingungen, innere Widersprüche oder übersehene
unerwünschte Nebenwirkungen verweist.
Wenn Defizite dieser Art sich als so gravierend herausstellen, dass mit einer Umsetzung
der betrachteten Empfehlungen auch in Zukunft nicht gerechnet werden kann, wird man
wohl auch ohne klare Kriterien der „Wissenschaftlichkeit“ von einem Scheitern
sprechen können. Dann bleibt aber immer noch die Frage offen, ob eine Disziplin, die
derartige Aussagen verkündet oder unwidersprochen lässt, insoweit noch den eigenen
Anspruch erfüllt, „Wissen“ zu erarbeiten und für Forschung und Praxis bereitzustellen.
Eine bloße „Anmaßung von Wissen“ (F.A.v. Hayek) lässt sich wohl nur verhindern,
wenn man sich mit der Frage beschäftigt, an welchen (Wahrheits- oder Erfolgs-)
Kriterien die eigenen Aussagen gemessen werden sollen und was dementsprechend die
Bedingungen eines Scheiterns wären. Nur so kann man den Erkenntnisfortschritt einer
Disziplin fördern und sich besser vor kurzlebigen Modekonzepten schützen, deren
späteres Scheitern zwar schon bald danach in der Praxis niemanden mehr interessiert,
11
wohl aber der „Wissenschaft“ den Ruf einbringen kann, nicht wirklich zur Mehrung
unseres Wissens beitragen zu können.
Eine letzte Anmerkung methodologischer Art folgt aus der Art, wie innerhalb der SCMDiskussion immer wieder mit „Best-Practice“-Beispielen umgegangen wird. Wenn ein
Integrations-Konzept wie das des vielzitierten Vorzeigeunternehmens Zara, das sich in
einem sehr spezifischen Umfeld als erfolgreich erwiesen hat, nicht den Weg in andere
Branchen findet, zeigt das zunächst einmal vor allem eines: die Prinzipien eines
logistischen Systemdesigns sind ausnahmslos kontingent. 28) Das Wissen um solche
Bedingtheiten kann man nutzen. Aus Sicht eines OEM etwa bietet sich eine engere
Kopplung besonders im Verhältnis zu Lieferanten mit einem hohen, stetigen
Liefervolumen und schwer austauschbaren Produkten an. Hier spielen die Rüstkosten
der Integration keine nennenswerte Rolle, auch nicht, wenn die Investitionen spezifisch
sind. Gerade solche Partner wird man aber für exklusive Collaborationen nicht
gewinnen können. 29)
Wenn aber praktisch alle Hypothesen und Empfehlungen kontingent sind, dann
bestünde die Aufgabe einer der Praxis verpflichteten Wissenschaft darin, die für eine
erfolgreiche Umsetzung bestimmter Designkonzepte günstigen oder notwendigen
Bedingungen herauszuarbeiten. 30) Das kann den Geltungsbereich einer Hypothese
einschränken und sie insofern bis auf weiteres vor Falsifikation retten. Es kann aber
auch Hinweise auf Barrieren liefern, deren Überwindung einem Konzept zu einem
breiteren Durchbruch verhelfen könnte. Dieser Gedanke führt zu den Grenzen dieses
Konzeptes.
Ein solcher situativer Ansatz ist vor allem deshalb nicht einfach durchzuhalten, weil sich
fast alle als „gegeben“ unterstellbaren Randbedingungen im Prinzip auch selbst als
Gestaltungsvariable konzipieren bzw. thematisieren lassen. „Kontextvariable“
(Restriktion) oder „Gestaltungsvariable“ zu sein ist oft nur eine Frage der Betrachtung.
Ein Auftragsfertiger etwa kann man sein, nicht mehr sein oder werden wollen. Nur im
ersteren Falle ergibt sich eine als Grundlage für Wenn-Dann-Beziehungen brauchbare
Randbedingung, die diese Qualifizierung aber zwangsläufig einem vorläufigen Verzicht
auf „Problematisierung“ verdankt.
Pragmatisch kann eine solche Typenbildung aber Sinn machen, da sie vorfindbare,
hinreichend zeitstabile Komplexitätsreduktionen in der Praxis spiegeln und damit
wirksame Orientierungshilfen leisten kann. Auch wenn den so entstehenden
Konstrukten im Sinne eines wissenschaftsinternen Strebens nach dauerhaft gültigen
„Wahrheiten“ zwangsläufig ein Element der Grundlosigkeit anhaftet (paradoxerweise
könnte man mit Blick auf den Forschungsansatz auch von nicht intendierter Bedingtheit
sprechen), können sie Führungskräfte in die Lage versetzen, Kontext- und
Instrumentvariable harmonisch aufeinander abzustimmen. Wissenschaftsintern würde
ein situativer Ansatz in jedem Falle dazu zwingen, den Geltungsanspruch von
Hypothesen zu klären und damit zur Überprüfbarkeit von Konzepten beitragen. Auf
diesem Weg gibt es noch viel zu tun.
5. Zum Abschluss: Plädoyer für einen Paradigmenwechsel
Innerhalb des SCM-Konzeptes gibt es ganz offensichtlich massive, zum Teil unerkannte
Widerspruche. Als Antwort auf richtig diagnostizierte Veränderungen wie zunehmende
12
Arbeitsund
Standortteilung,
ausufernde
Produktkomplexität,
sinkende
Produktlebenszyklen und wachsende Marktdynamik werden unter dieser Überschrift
immer wieder Systementwürfe propagiert, die von Selbstbeschränkung, Subordination
und innerer Erstarrung geprägt sind und die einer statischen Weltsicht entspringen, die
einseitig auf Planung, Kontrolle, Integration und Zentralisierung setzt - als gäbe es für
dieses Designprinzipien weder Alternativen noch einen Preis. Es lassen sich jedoch
starke Argumente dafür ins Feld führen, dass lose gekoppelte, dezentral gesteuerte
Regelkreise mit unvorhergesehenen Änderungen wesentlich besser fertig werden als
jeder Versuch hoch-integrierter Ketten, auf Parametervariationen mit immer neuen
Entwürfen einer unternehmensübergreifenden Gesamtplanung zu reagieren. 31) Rigide
Kopplungen dagegen führen zu Abweichungsverstärkungen („Dominoeffekten“), die
sich als schädlicher herausstellen können als die eigentlich bekämpften „Bullwhip“Effekte.
Obwohl sie aus Sicht der hier kritisierten Konzepte von Redundanzen durchsetzt und
scheinbar „out of control“ sind, sind lose gekoppelte, dezentrale „Systeme“ in Summe
von einer (allerdings an keiner einzigen Stelle klar verorteten) höheren Intelligenz. Sie
sind qua Entkopplung frei von Selbstinfizierungseffekten, können mehr Informationen
aufnehmen, diese Informationen schneller verarbeiten, und weil die
Netzwerkangehörigen einander nicht restlos ausliefern, verfügen sie an entscheidender
Stelle über höhere Freiheitsgrade der Anpassung an Umweltänderungen. Da sie als
kontextreichere Systeme in Summe mehr über ihre (jeweilige) Umwelt wissen, sind sie
lernfähiger. Und da sie auf selbst-organisierende Regelkreise setzen, sind sie stabiler: sie
lokalisieren ihre Anpassungsbedarfe und begrenzen ihre Anpassungsrisiken. Ihre auf
Selbstbestimmung basierenden, überlegenen Anreizsysteme verhelfen ihnen dabei
zugleich, statische Effizienz (die „Absorption“ von Unsicherheit) mit dynamischer
Effektivität („Evolution“) zu verbinden.
Obwohl die Einsparung von Transaktionskosten immer wieder als Argument für eine
vertikale Integration ins Feld geführt wird 32), erscheint die Transaktionskostenbilanz
im Prinzip als offen. Dem Mehraufwand für Marktbeobachtung und Partnerwechsel
stehen reduzierte Koordinationskosten und geringere Kontrollaufwendungen gegenüber.
Aufgrund der lokalen Problemlösungskompetenzen gibt es weniger zu koordinieren und
weniger zu regeln, und den Schutz vor Opportunismus liefert als Nebeneffekt der Markt.
Lose gekoppelte Netze wandeln Opportunismus von einer Gefahren- in eine
Energiequelle um. Sie können Ressourcen durch Flexibilität und Rekombination vor
Entwertung schützen und deren Allokation sowohl vom Aufwand als auch vom
Ergebnis her effizienter steuern. Wenn solche dezentral gesteuerten Netzwerke
intelligent in Wettbewerbssituationen eingebunden sind und wenn sie Märkte auch im
Innenverhältnis als Koordinationsmechanismen und Energiequellen nutzen, anstatt sich
gegen sie abzuschotten, droht vertikal integrierten linearen Supply Chains das Schicksal
von Dinosauriern.
Diesem doppelt begründeten Plädoyer für Dezentralität widerspricht nicht der Versuch,
den Umfang der zwischen den Netzwerkknoten ausgetauschten Kommunikationsinhalte
von Auftragsdaten, Lieferavisen und Rechnungen auf Bedarfsprognosen,
Bestandsreichweiten und Nettokapazitäten auszudehnen. Solange dabei Redundanzen
nicht einseitig nur als Ausdruck eines durch rigide Kopplungen zu überwindenden,
unvollkommenen logistischen Designs betrachtet werden, ist die Schaffung von mehr
Transparenz in logistischen Netzwerken ein vernünftiges Programm. Dass dieses
Programm sich auf Prozessinnovationen konzentriert und Organisationsstrukturen
13
weitgehend unberührt lässt, fördert seine Realisierungschancen. Bestehende
Unternehmensgrenzen werden weder verschoben noch aufgehoben, und schon gar nicht
werden die enger kooperierenden Unternehmen dabei „virtuell“ oder „grenzenlos“. Aber
sie können besser werden.
Fußnoten
1) Einleitender Satz in einem Call for Paper für einen 2006 stattfindenden
internationalen SCM-Kongress. Spätestens seit Christopher (1998), S. 28 wird diese
These von unzähligen Autoren so vertreten, als sei sie selbst-evident.
2) Jahns (2005), S. 56.
3) Vgl. auch Sydow (1992), S.72: „Der Begriff „Quasi-Unternehmung“ …ist am
ehesten geeignet, als Synonym für die Begriffe des Unternehmungsnetzwerkes bzw.
des strategischen Netzwerkes zu stehen“.
4) Jahns, ebenda, S. 55.
5) Winkler (2005), S. 11.
6) „In a broad sense“, sagt z.B. Stadtler in einer ersten Annäherung, “a supply chain
consists of two or more legally separated organizations, being linked by material,
information and financial flows”. In diesem Sinne sind wohl nur private Haushalte
keine “Supply Chain”. Vgl. Stadler (2005), S. 9.
7) Zu einer ausführlicheren Erörterung der hier erwähnten Konzepte vgl. auch Alicke
(2003). Bezeichnend für diese Konzepte ist im hier diskutierten Kontext, dass sie
durch vielfache öffentliche Beschreibungen als „best practice“ jedermann
zugänglich sind und dass die jeweiligen Umsetzungspioniere in aller Regel nach den
ersten Piloterfolgen ein breiteres „Roll-Outsourcing“ planen. Beschränkte bilaterale
Wettbewerbsvorteile im Sinne von „relational rents“ werden also trotz der Rede von
„Collaboration“ gerade nicht angestrebt. Ähnliches gilt für Internetplattformen wie
e2open, Elemica oder SupplyOn, die als branchenorientierte SCM-Hubs gerade ihre
Standardisierungseffekte als wesentlichen Wertschöpfungsbeitrag für die
unternehmensübergreifende Logistik herausstellen: Einfache Integration für alle.
8) Vgl. hierzu Bretzke (2005a) und die dort angegebene Literatur. Dieser Beitrag
konzentriert sich auf Fragen der unternehmensübergreifenden Integration von
Planungssystemen. Zu einer analogen Behandlung der Frage nach Kosten und
Nutzen einer Integration operativer Prozesse vgl. auch Bretzke (2005b).
9) Vgl. zu diesem Begriff Otto/Kortzab (2001), S. 160.
10) Besonders deutlich wird dies, wenn vertikal verbundene Unternehmen
konkurrierende Netzwerkausschnitte als ihre jeweilige Domäne beanspruchen. Der
Wettbewerb zwischen Industrie und Handel um die Systemführerschaft in der
Konsumgüterbranche liefert hierfür ein anschauliches Beispiel.
11) Vgl. beispielhaft Winkler (2005). Der Autor spricht mit großer Leichtigkeit von
überbetrieblichen Kollektiven, die ungeachtet jeglicher Eigentumsgrenzen und darob
begrenzter Verfügungsrechte „wie ein reales Unternehmen zu führen sind“ (ebenda,
S.10). Unternehmensindividuelle Strategien, Ziel- und Präferenzsysteme (also etwa
Risikobereitschaften) kommen in diesem Ansatz nur noch als störende, zu
überwindende Partialinteressen vor. Daraus resultierende „Widerstände… müssen
(!) sich zugunsten eines kooperativen Erfolges…auflösen“. In der Trennung von
Eigentum und Verfügungsmacht wird kein besonders erwähnenswertes („Agency“-)
Problem gesehen. Man könnte das alles als Merkwürdigkeit einstufen, wenn es nicht
einem aktuellen Mainstreamdenken entsprechen würde.
14
12) Dass lose gekoppelte, dezentral gesteuerte Regelkreise mit unvorhergesehenen
Änderungen besonders gut fertig werden, wussten schon die Pioniere der
künstlichen Intelligenz, z.B. Ashby (1952) und Simon (1962). Auch Autoren, die
sich wie Malik/Probst (1981) das Wissen der Evolutionstheorie angeeignet haben,
waren sich dessen schon bewusst.
13) Vgl. hierzu grundsätzlich Bretzke (1980). Zur Logik der Komplexitätsreduktion vgl.
auch fundamental Luhmann (1968).
14) Zu einer Darstellung dieses Effektes vgl. etwa Alicke (2003), S. 97 ff.
15) Vgl. zur Logik dieser Tools auch Stadtler, H., Kilger, Ch. (2005).
16) Dieser Themenkreis wird in der so genannten „Neuen Institutionenökonmie“
ausführlich behandelt. Zu einer Diskussion dieser Ansätze in einem logistischen
Kontext vgl. auch Stölzle (1999).
17) Seltsamerweise wird in diesem Zusammenhang nie die Frage der kartellrechtlichen
Relevanz solcher Konstruktionen untersucht. Immerhin definiert das GWB in §1 als
Kartelle jegliche vertragliche Absprachen zwischen Unternehmen, die „…geeignet
sind, die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder
gewerblichen Leistungen durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen.“
18) Eigenartigerweise hat zeitgleich zur Entwicklung und Verbreitung der These von der
Wettbewerbsverlagerung auf integrierte Supply Chains das Konzept „virtueller“,
„grenzenloser“ Unternehmen an Popularität gewonnen, das qua definitione nur
temporäre Unternehmenszusammenschlüsse vorsieht (vgl. z.B. Blecker (1999). Das
nährt Vorstellungen von einer sich ständig erneuernden „Best-of-Breed“Unternehmung. Hierarchie und Selbst-Organisation gehen jedoch offensichtlich
nicht so einfach zusammen. Weder ist klar, wie sich Vertrauen einstellen soll, wenn
Beziehungen jederzeit zur Disposition stehen, noch ist erkennbar, wie unter solchen
Bedingungen spezifische Investitionen in Collaboration-Tools gerechtfertigt werden
können. Auch den wiederholten Aufbau einer Sekundärorganisation mit zentralen
Planungsbefugnissen kann man sich angesichts der Komplexität und Aufwändigkeit
dieser Aufgabenstellung nicht vorstellen. Supply Chain-Integration fußt nicht
einfach nur auf Ressourcenkomplementarität, sondern auf einem innovativen,
Netzknoten verbindenden Prozessdesign und wird auf absehbare Zeit nicht in einer
rüstkostenfreien „Plug&Play-Welt“ stattfinden können.
19) Die folgenden Aussagen basieren wesentlich auf den Erkenntnissen und Positionen
von F. A. von Hayek. Vgl. hierzu insbes. von Hayek (1996).
20) Vgl. von Hayek (1996), S. 145.
21) Vgl. von Hayek (1996), S. 138.
22) Vgl. von Hayek (1996), S. 170.
23) Vgl. hierzu auch die Unterscheidung zwischen Reaktionsfähigkeit und Agilität bei
Pfohl (2005), S.575. Die meisten „Collaborations“-Konzepte (wie etwa CPFR)
kreisen um Fragen der Reaktionsfähigkeit: Einmalige Ressourcenentwicklungen,
begrenzt auf die Verbesserung laufender Einmal-Interventionen.
24) Dort werden Koordination und Motivation als gleichrangige, interdependente Fragen
behandelt. Vgl. beispielhaft Milgram/Roberts (1992).
25) Vgl. hierzu auch Popper (1966), hier insbes. S. 52 ff.
26) Vgl. etwa Baumgarten/Kasiske/Zadek (2002), S. 35: „Logistikdienstleister als
sogenannte 4PL werden zunehmend gefordert sein, die gesamte Planung und
Steuerung aller Aktivitäten entlang der Logistikkette vom Lieferanten zum
Endkunden zu übernehmen“. Diese Aussage ist insofern besonders mutig, weil sie
(a) zum Outsourcing eines Leistungsbündels auffordert, das noch kaum jemand in
der Hand hat, und (b) als Auftragnehmer dafür einen Typus Dienstleister vorsieht,
den der Markt noch gar nicht hervorgebracht hat.
15
27) So auch Bretzke (1999) mit Blick auf entsprechende Doppeldeutigkeiten in der
Interpretation der Transaktionskostentheorie.
28) Zara lässt einen Großteil der eigenen Produktion „ in kleinen Nähbuden in Galizien
und Portugal“ fertigen (Vgl. Logpunkt, Heft 4/2005, S. 22.).
29) „Das Bosch-Konzept sieht so aus: Uns ist unsere unternehmerische Unabhängigkeit
sehr wichtig, dafür (ist) aber ein breites Kundenportfolio …notwendig“. (Bosch
CEO Fehrenbach in der FAZ vom 22.102005, S. 17.) Was ist von einem SCMKonzept zu halten, für dessen Verwirklichung gerade die besten und wichtigsten
Supplier nicht zur Verfügung stehen? Und wäre den Endkunden einer Industrie nicht
mehr damit gedient, wenn Zulieferer mehrheitlich alle Anstrengungen unternehmen
würden, um durch Produktinnovationen die Boschs und Intels ihrer Branche zu
werden, anstatt jeweils in einer engen Kooperation einem logistischen
Kollektiverfolg nachzujagen? Schumpeter würde sich im Grabe herumdrehen.
30) So auch Klaas/Delfmann (2005) und Klaas (2005). Einen situativen Ansatz hat
schon Staehle (1976) als Forschungskonzept propagiert.
31) Auf ähnlichen Paradigmen basieren Selbstorganisationskonzepte wie die „fraktale
Fabrik“, Multiagentensysteme, neuronale Netze und RFID-basierte Visionen von
einem „Internet der Dinge“. Vgl. etwa Warnecke (1993), Wooldridge (2002),
Müller/Reinhardt (1990) und ten Hompel (2005).
32) Vgl. etwa Klaus (2003), S. 29.: „Die Tendenz zu hoch integrierten, auf
Kollaboration aufgebauten Logistiksystemen ergibt sich aus der allmählich in der
Wirtschaft wachsenden Einsicht, dass langfristiges gemeinsames Lernen und
Verzicht auf wechselseitige „Ausbeutung“ der Partner in den Supply Chains zu
besseren Gesamtergebnissen führen können, als die beständige Bedrohung mit der
Austauschbarkeit der Partner durch Konkurrenten, die hohe Such-, Anlauf-,
Qualitätssicherungs- und andere Transaktionskosten verursachen“.
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