Lügenmuseum Babe

Lügenmuseum Babe
„Emma von Hohenbüssow überließ sich ihrer Neigung, entging dabei dem
Zufall des Wirklichen, um sich ihre Kunst letztlich so zu collagieren, wie sie es
brauchte. Ihre Spaziergänge und philosophischen Untersuchungen auf den
Müllhalden der Ostprignitz waren Quellen ihres listigen Humors und satirischen Objektwitzes. Zeit ihres Schaffens ein Filou und Verfechterin der
bildnerischen Anarchie, verfolgte Emma von Hohenbüssow noch im hohen
Alter mit viel Lust und Verve ihre Trivialphantasien, die in schwarzen Löchern
endeten. Mit hundert Maskierungen und aus immer neuen Ecken lockte sie
ihre Rezipienten aufs Kunsteis und drehte allen eine Nase.
Statt über die Mauer flüchtete sie in ein in Deutschland konkurrenzloses Refugium: in ein Museum absurder, skurriler Art. Wohl fraglos ein facettenreiches, aber auch komisches Unternehmen. Anhand eines Gesamtkunstwerks
aus bildverliebten Clownerien und abenteuerlichen Installationen führte sie
funktionierende Denkmuster ad absurdum. Im Kontext des sich leerlaufenden Kulturbetriebes entwickelte sie Konzepte für ihre Eklats. Den staatstragenden Künstlern und der kreischenden Borniertheit der Politiker waren
ihre Auftritte immer eine klebrig-süße Ohrfeige, die sie sich redlich verdient
hatten. Ihre Wut verwandelte sie in Taten, und wenn sie über ihre Strategien erzählte, begannen ihre Augen zu leuchten. Für die Medien waren ihre
Auftritte als Buttermilchterroristin Top-Events. Die Macht ist stark, stärker das
Gelächter (Heinrich Lützeler). In diesem Sinne hat sie degenerierte Machtstrukturen der Lächerlichkeit preisgegeben, verbogen, so dass sie schließlich
stürzten.“ Francis S.
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Ziele nach dem Mond, selbst wenn du ihn verpasst, wirst du zwischen den
Sternen landen. Les Brown
In einer stürmischen Nacht des Jahres 1988 träumte sich der Künstler in
seiner desolaten Bauernkate in Babe ein eigenes Museum. Als lebendiges
Museums-Experiment präsentiert es sich von der Idee bis zur Demontage
als öffentlicher Prozess.
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Ausstellungen
Reinhard Zabka war zu seiner Personalausstellung im kaiserlichen Treppenhaus des Berliner Domes eingeladen. Mit Albrecht Hillemann entwickelte er
ein Konzept, eine Dramaturgie für die Ausstellung und lud 12 Künstler ein,
sich mit Objekten und Installationen auseinanderzusetzen, die sonst nicht
in Ausstellungen gezeigt werden konnten. Im geschützten kirchlichen Raum
konnte dieses Experiment einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.
Der Vorschlag war, Installationen zu entwickeln für politische und künstlerische Ismen, Luxus, Zeit, Bewusstseinserweiterung oder für die Kindersärge
der Hohenzollern. Conny Bauer gab ein Konzert in der Baustelle, Rose Schulze
zeigte „Federn im Türrahmen“, Klaus Storde und Martin Claus ein Klangobjekt
in einer Zinkbadewanne, Gerd Sonntag eine luxuriöse Bruchbude, und Christoph Tannert hielt die Eröffnungsrede. Der Standort, gegenüber dem Palast
der Republik, hatte Brisanz und starke Besucherresonanz.
„Diese Ausstellung untersucht nicht das Zusammenspiel von Kirche, dem
Haus Hohenzollern und dem Militarismus, sondern ist eine Forschungsreise
durch Räume der Verehrung, Weltanschauungen mit Ganzheitsanspruch,
künstlerischer Sprachenverwirrung und gesellschaftlicher Abhängigkeiten,
um einem mündigen Publikum die Möglichkeit zu geben, die eigenen Verhaltensweisen zu überprüfen. Auf Repräsentation und museale Ästhetik wurde
gezwungenermaßen verzichtet, um eine armselige alltägliche Anhäufung
dem luxuriösen Verfallszustand des Berliner Domes gegenüberzustellen.
Mögen einige Objekte auch scheinbar das Gegenteil von dem, was für richtig
erkannt wurde, behaupten und das Publikum verwirrt sein, so muss es sich
doch die Frage gefallen lassen: Wie sieht es in Ihrem Kopf aus?“
Reinhard Zabka, Albrecht Hillemann, Text zur Ausstellung 1985
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Wir sind von unserem subjektiven Bewusstsein so gefesselt und gefangen,
dass wir eine uralte Weisheit vergessen haben:
Gott spricht zu uns hauptsächlich in Träumen und Visionen. C. G. Jung
Götzen – Ismen – Fetische. Ausstellung Berliner Dom 1985.
Psychedelica Maschinka im kaiserlichen Treppenhaus,
Konzept Albrecht Hillemann und Reinhard Zabka.
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Ausstellungen
Sie ließen sich die Haare lang wachsen und nannten sich in Erfurt GalanderKommune oder Knochenbande. Mit Freunden zogen sie durch das Thüringer Land, auf der Suche nach einem Ort, wo sie ihre Träume verwirklichen
konnten. In Kellern feierten sie Partys und machten sich auf die Suche nach
Gleichgesinnten, trafen sich mit der Gruppe vom Lichtenberger Tunnel, Nina
Hagen oder mit der Berliner Havemann-Kommune. Damit blieben Zabka
automatisch Abitur und Studium verwehrt. Sein Ausweis wurde eingezogen
und er erhielt einen Zettel als Personaldokument, der sich PM 12 nannte und
den er 17 Jahre behielt. Außerdem musste er sich jede Woche bei der Polizei
melden. Im Sommer fuhren seine Freunde ans Schwarze Meer, er durfte
nicht. Die DDR war nicht für jeden ein Gefangenenlager mit Wachtürmen
und Stacheldraht. Für Oppositionelle, Bürgerrechtler und Künstler schon. Ihre
Wut und ihren Schmerz konnten sie nicht einfach herauslassen.
Reinhard Zabka begann zu malen und zu träumen. Am liebsten malte er Himmel an der frischen Luft. Er arbeitete als Transportarbeiter in der Puddingfabrik, in einem Fotoladen schnitt er Passbilder aus oder hängte Eisenbolzen an
die Kette des Kranes im Schwermaschinenbau. Auf Schloss Mohlsdorf war er
Heizer und Gärtner. Das Probevierteljahr in der Predigerschule hatte er nicht
bestanden, in einer offenen Anstalt war er Hilfspfleger, aus der Diakonausbildung wurde er rausgeworfen. In einer Werbeabteilung arbeitete er immerhin
ein Jahr. In einer verlassenen Bäckerei in der Taubengasse richtete er sich mit
Albrecht Hillemann ein Atelier ein, experimentierte mit Siebdruck, Wandmalerei und Objekten.
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Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir, suchst du ihn anderswo, dann
fehlst du ihn für und für. Angelus Silesius
Perestroika Maschinka. Installation vor der Volksbühne, Pfingsttreffen 1987.
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Ausstellungen
1976 zog es Reinhard Zabka in die Hauptstadt und dort in die sich formende
Szene des Prenzlauer Bergs. Aus seiner Hinterhofwohnung schaute er auf
einen Kastanienbaum. Jeden Mittag versammelten sich alle Spatzen der Gegend darin und machten ein großes Geschrei. Die Sonne schien im Sommer
nur eine halbe Stunde ins Küchenfenster. Er legte Spiegel auf die Fensterbank, damit er den Himmel sehen konnte. Einen Ausweis hatte er immer
noch nicht. Er verkaufte Eis auf dem Alexanderplatz. Auf dem Friedhof fand
er eine kleine Wiese, wo er lesen und malen konnte. Mit Fotos von Paul Klee
und Kandinsky an den Wänden fanden die ersten Künstlersalons statt.
In dieser Zeit wurden Zabkas Bilder von den Jurys, die mit Funktionären und
staatstragenden Künstlern besetzt waren, wiederholt abgelehnt. Aus Wut
da-rüber zersägte er seine Kunstwerke und verarbeitete sie zu Objekten und
Altären. Gleichzeitig begann er 1979 seine Bilder immer wieder zu übermalen. Wie ein Restaurator legte er dann wieder Schicht um Schicht frei. Mit
dieser Technik näherten sich seine Bilder einer musealen Atmosphäre. Seine
Eingaben gegen die alltägliche Erniedrigung wandelten sich von Beschwerden und Anklagen über Selbstdenunziationen und Pamphleten zu sich selbst
aufhebenden heiteren Satiren.
Daraus entstand eine differenzierte Weise des Sehens. Die Ironie und der
feine Humor der oppositionellen Kultur hatten eine ganz andere Wucht und
Glaubwürdigkeit. Doch war ihre codierte Lesbarkeit später für den vereinigten Kunstmarkt ungeeignet.
Von der Malerei und Grafik verlief Zabkas Weg über Objekte und Installationen, Festivals, internationalen Künstlersymposien und Sommercamps. Im
Prenzlauer Berg oder später, als er sich arbeitslos meldete, war er bereits
süchtig nach Kunst, und selbst als sein Museum gepfändet wurde, machte er
weiter.
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So wie der Appetit mit dem Essen kommt, so kommt die Inspiration
mit der Arbeit. Igor Strawinsky
Schöpfungsakt im Arbeitsspind. Reinhard Zabka,
Nester der Poesie Albrecht Hillemann, Installation im Palast der Republik
1987.
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Ausstellungen
Flucht nach innen. Um den Beobachtungen der staatlichen Organe zu entfleuchen, erwarb Reinhard Zabka 1980 in Babe eine verfallene romantische
Landarbeiterkate. Diese wurde der Grundstein für das 1990 gegründete
Lügenmuseum, das schon bald ein vielbesuchter Ort wurde. In einer schlaflosen Nacht der achtziger Jahre, der Wind zerrte an den Fensterläden und
die Kastanien knallten aufs Dach, die Laternen im Dorf waren verloschen, da
malte er sich aus, in seiner verfallenen Kate ein Museum einzurichten. Auf
kleinen Handwagen, Schlitten und Kinderwagen standen mobile Objekte, wie
ein kleiner Wanderzirkus, der einstmals von Ort zu Ort gezogen sein könnte.
Behausungen für Hamster, Spinnen, Grillen und Mäuse waren in die Wände
eingelassen.
Ein großer leuchtender Pilz stand in der Stube und reichte bis an die Decke.
Wenn er schon nicht die Welt sehen durfte, so wollte er sie wenigstens in
sein Haus einladen. Er verfertigte eine Liste aller vorhandenen und zu erstellenden Objekte: die kosmischen Fladen vom Gülper See, die geheimnisvollen
Kreise im Rhinluch, das Orakel in der Salman-Rushdie-Gasse, die Silberbüchse
von Winnetou, das alles sollte sich vorsichtig der touristischen Massenwallfahrt aussetzen. So folgte er den jahrhundertealten Wegen der Pilgerzüge
durch die Prignitz und träumte vom Lügenmuseum.
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Im wiederholten Anblick steigert sich ein Kunstwerk. Walter Benjamin
Nach New York und Neu-Delhi nun endlich in Dresden.
Kunsthochschule Dresden 1988, Enthüllungen der Zugluft auf den Brühlschen
Terrassen, Ausstellung und bewohnte Installation.
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