Fallbeispiel «Fashion & Fun - Rechtswissenschaftliches Institut

Rechtswissenschaftliches Institut
Strafprozessrecht
Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht
Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
09.06.2015
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Inhaltsverzeichnis
1. Grundlagen, Geltungsbereich und Grundlagen der Schweizerischen
Strafprozessordnung
2. Strafbehörden, ihre Zuständigkeit und Amtstätigkeit
3. Parteien und andere Verfahrensbeteiligte
4. Beweismittel
5. Zwangsmassnahmen
6. Vorverfahren
7. Erstinstanzliches Hauptverfahren
8. Besondere Verfahren
9. Rechtsmittel
10. Verfahrenskosten, Entschädigung und Genugtuung
11. Rechtskraft und Vollstreckung der Strafentscheide, Übergangsbestimmungen
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Am 16. Mai 2013 probiert Peter Muster im Warenhaus «Fashion & Fun» in
Zürich einen Pullover an. Er wird von seiner Frau Claudia begleitet.
Anschliessend verlässt er das Warenhaus, mit einem Regenmantel
bekleidet, ohne seine Frau. Das beobachtet die Verkäuferin Bea. Danach
stellen die Angestellten des Warenhauses fest, dass der besagte Pullover
fehlt. Sofort kommt der Verdacht auf, dass der Kunde Muster den Pullover
unter dem Regenmantel getragen und so aus dem Warenhaus
weggeschmuggelt habe.
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1. Kapitel:
Grundlagen, Geltungsbereich und Grundsätze der
Schweizerischen Strafprozessordnung
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1. Teil:
Grundlagen und Anwendung der Schweizerischen
Strafprozessordnung
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Begriff und Rolle des Strafprozessrechts
Formelles Strafrecht:

Gerichtsverfassungsrecht

Strafprozessrecht

Strafvollstreckungsrecht

Recht der internationalen Rechtshilfe
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Ob die Wegnahme des Pullovers aus dem Gewahrsam des Warenhauses
mit Aneignungs- und Bereicherungsabsicht, wenn die entsprechenden
Voraussetzungen erfüllt sind, den Tatbestand des Diebstahls erfüllt und
welche Strafdrohung besteht, sind Fragen des materiellen Rechts.
Das formelle Recht regelt das Strafverfahren, in dessen Rahmen der
mutmassliche Täter beurteilt wird, nachdem die Strafverfolgungsbehörden
den Sachverhalt von Amtes abgeklärt haben.
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Überblick über das Strafverfahren gemäss StPO
Einleitung der
Strafverfolgung
Vorverfahren
Ermittlungsverfahren
Anklageprüfung
Hauptverfahren
Untersuchungsverfahren
Einstellung
des
Verfahrens
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Verurteilung
Anklageerhebung
(resp. Strafbefehl)
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Einstellung
des
Verfahrens
Freispruch
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Quellen des schweizerischen Strafprozessrechts
Bundesrecht
•Primär: StPO
•BV (insb. Verfahrensgrundsätze)
•Gesetzes- und Verordnungsstufe (z.B. StGB, JStPO, BGG, MStP, OHG )
Internationale Abkommen
•EMRK (inkl. 7. Zusatzprotokoll)
•IPBPR
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Anwendung des Strafprozessrechts

In Verfahren in denen Bundesstrafrecht von kantonalen oder
eidgenössischen Behörden angewendet wird (StPO 1).

Räumlich: Schweizerische Strafbehörden wenden ausschliesslich
schweizerisches Strafprozessrecht an.

Persönlich: Gemäss StGB 3-8
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Übungsfälle
1. Ein Kanton regelt gesetzlich, unter welchen Voraussetzungen Film- und
Tonaufzeichnungen vor den kantonalen Gerichten als Beweismittel
verwendet werden können. Wie ist dieser Erlass zu würdigen?
2. Richter Konrad überlegt sich während der Urteilberatung, ob die
Täterschaft von August anhand der Beweislage hinreichend belegt ist.
Handelt es sich um eine Frage des formellen oder materiellen
Strafrechts?
3. In einem anderen Verfahren fragt sich Richter Konrad, ob Theo wegen
Betruges zu verurteilen ist, wenn die Geschädigte den Schwindel
eigentlich mühelos hätte durchschauen können, wenn sie etwas
vorsichtiger gewesen wäre. Ist dies eine Frage des formellen oder
materiellen Strafrechts?
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Übungsfälle
4. Nach einer Schiesserei im Hauptbahnhof wertet die Polizei Aufnahmen
von Überwachungskameras aus. Um welches Verfahrensstadium
handelt es sich?
5. Können auf kantonaler Ebene einheitlich Rechtsmittel gegen
Strafentscheide (betreffend Delikten gemäss StGB) zugelassen werden,
wenn die Voraussetzungen gemäss StPO nicht erfüllt sind?
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2. Teil:
Grundsätze des Strafverfahrensrechts
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Die Verantwortlichen des Warenhauses «Fashion & Fun», die überzeugt
davon sind, dass Peter Muster den Pullover gestohlen hat, sind an einem
möglichst raschen Verfahren interessiert, in dem Peter Muster verurteilt und
ihr zivilrechtlicher Anspruch durchgesetzt wird.
Peter Muster hingegen hat Anspruch darauf, dass seine strafprozessualen
Verfahrensgrundrechte eingehalten werden und dass er erst dann verurteilt
wird, wenn seine Schuld zweifelsfrei feststeht.
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Staatliches Straf- und Justizmonopol
Justizmonopol des Staates
Ausschluss privater Strafverfahren
Justizgewährungspflicht des Staates
Pflicht des Staates das Strafrecht durchzusetzen
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Das Warenhaus «Fashion & Fun» ist für die Durchsetzung des
Strafanspruchs auf die Mithilfe des Staates angewiesen. Die Ausfällung
privater Bussen als strafrechtliche Sanktion ist nicht zulässig und lässt sich
nicht durchsetzen. Hingegen hat das Warenhaus einen Anspruch
gegenüber dem Staat, dass dieser den angezeigten Diebstahl verfolgt.
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Achtung der Menschenwürde, Fairnessgebot
StPO 3 I:
Achtung der Würde der vom Verfahren betroffenen durch die Strafbehörden
StPO 3 II:
a. Grundsatz von Treu und Glauben;
b. Verbot des Rechtsmissbrauchs;
c. Gebot, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und
ihnen rechtliches Gehör zu gewähren;
d. Verbot, bei der Beweiserhebung Methoden anzuwenden, welche die
Menschenwürde verletzen.
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Peter Muster wird von der Staatsanwaltschaft aufgefordert, innert 10 Tagen
Stellung zu nehmen. Dies tut er am letzten Tag per Mail, was aber
grundsätzlich nicht möglich ist. Die Staatsanwaltschaft muss Muster nun
eine Nachfrist setzen, da ihr ansonsten überspitzter Formalismus respektive
eine Verletzung des Gebots von Treu und Glauben vorzuwerfen wäre.
Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt aber auch für Muster: So kann
dieser etwa nicht im Rechtsmittelverfahren seine ungenügende Verteidigung
geltend machen, wenn er bei der Verhandlung bewusst und ausdrücklich auf
einen Anwalt verzichtete.
Angenommen Muster soll in Untersuchungshaft gesetzt werden, ist ihm dies
mit entsprechender Begründung vom Staatsanwalt mitzuteilen. Vor dem
Entscheid wird der Haftrichteranhören, was Muster dazu zu sagen hat
respektive ihm das rechtliche Gehör gewähren.
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Prinzip des gesetzlichen, unabhängigen und
unparteiischen Richters
Der Anspruch auf einen gesetzlichen Richter

Über eine erhobene Anklage und die Sanktion entscheidet ein Richter

Anspruch auf ein sachlich und örtlich zuständiges Gericht in
gesetzmässiger Besetzung
Der Anspruch auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter

Achtung der Gewaltenteilung

hierarchische Unabhängigkeit

persönliche Unabhängigkeit
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Wäre Peter Musters Mutter Staatsanwältin, so könnte sie das Verfahren
gegen ihren Sohn nicht selbst leiten. Es würde ihr an der notwendigen
persönlichen Unabhängigkeit mangeln. Sie wäre gemäss StPO 56 d
befangen und müsste in den Ausstand treten.
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Beschleunigungsgebot und
Konzentrationsgrundsatz
Beschleunigungsgebot

StPO 5, EMRK 5 III und 6 I, BV 29 I und 31 III

Durchführung und Abschluss des Strafverfahrens ohne Verzögerungen
Konzentrationsgrundsatz

StPO 5 I und 340 I a

Durchführung des Hauptverfahrens ohne unnötige Unterbrechungen
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Untersuchungsgrundsatz und
Wahrheitsgrundsatz
StPO 6
Untersuchungsgrundsatz
Die Erforschung des Sachverhalts von Amtes wegen
Wahrheitsgrundsatz
Entscheid auf der Grundlage der materiellen oder historischen Wahrheit
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Wenn Muster nach seiner Festnahme fälschlicherweise behauptet, dass er
sich nie im Warenhaus «Fashion & Fun» aufgehalten habe, so verstösst er
damit nicht gegen seine verfahrensrechtlichen Pflichten respektive seine
Lüge kann nicht sanktioniert werden. Indirekt können ihn allenfalls Nachteile
treffen, z.B. indem der geständige Täter gemäss StGB 47 günstiger beurteilt
werden kann.
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Verfolgungs- und Anklagezwang, Offizial- und
Legalitätsprinzip, Justizgewährungspflicht
Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, die Strafgewalt tatsächlich
auszuüben.

In materielle Hinsicht: Offizialprinzip

In formeller Hinsicht: Legalitätsprinzip
Strafprozessuales Legalitätsprinzip
Pflicht bei genügenden Verdachtsgründen und gegebenen
Prozessvoraussetzungen den Täter einer Verurteilung zuzuführen.
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Das Offizialdelikt gebietet den Strafverfolgungsbehörden tätig zu werden,
sobald sie Kenntnis von der Wegnahme des Pullovers erlangt haben. Eine
Einschränkung dieser Pflicht besteht namentlich deshalb nicht, weil es sich
beim Tatbestand des Diebstahls gemäss StGB 139 um ein Offizialdelikt
handelt (sofern nicht allenfalls StGB 172ter zur Anwendung kommt). Sofern
sich der Tatverdacht gegen Muster konkretisiert, sind die
Strafverfolgungsbehörden nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet, ein
Verfahren gegen Muster durchzuführen.
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Verzicht auf Strafverfolgung, Opportunitätsprinzip
StPO 8 I, Verzicht auf Strafverfolgung…

Wenn Schuld und Tatfolgen gering sind (StGB 52)

Im Falle einer Wiedergutmachung (StGB 53)

bei schwerer Betroffenheit des Täters durch die eigene Tat (StGB 54)
StPO II und III, Verzicht auf Strafverfolgung…
 Wenn der Täter schon in einer Strafuntersuchung steht oder die
Bestrafung eines zusätzlichen Delikts überflüssig erscheint (StPO 8 II)
 Fakultativ, wenn die Straftat bereits durch eine ausländische Behörde
verfolgt wird oder die Verfolgung an diese abgetreten wird (StPO 8 III)
In beiden Fällen: Nur wenn keine wesentlichen Interessen der
Privatklägerschaft entgegenstehen.
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im Fall von Peter Muster ist die Anwendung des Opportunitätsprinzips nach
StPO 8 II und III nicht möglich, da die entsprechenden Voraussetzungen
nicht gegeben sind. Allenfalls käme im Fall einer Wiedergutmachung ein
Verzicht auf die Strafverfolgung nach StPO 8 I i.V.m. StGB 53 in Frage.
Nicht zur Anwendung kommen StGB 54 mangels Betroffenheit des Täters
und wohl auch StGB 52, da es sich nicht mehr um ein Bagatelldelikt handelt.
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Anklagegrundsatz
EMRK 6 I und III a, StPO 9 und 325 f.
Ein Urteil kann nur gestützt auf eine Anklage ergehen, die ein vom Richter
unabhängiger Ankläger erhoben hat.

Unvereinbarkeit von Ankläger- und Richterrolle

Anklage als Prozessthema
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Seite 28
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Sollte der Staatsanwalt Peter Muster anklagen, so hat er in der Anklage
detailliert zu umschreiben, dass Muster einen Diebstahl gemäss StGB 139
begangen hat, indem er am 16. Mai 2013 im Warenhaus «Fashion & Fun»
einen Pullover anprobiert und diesen anschliessend, ohne ihn zu bezahlen,
unter dem Regenmantel aus dem Warenhaus gebracht hat.
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Unschuldsvermutung, freie richterliche
Beweiswürdigung
EMRK 6 II, BV 32 I, StPO 10
Unschuldsvermutung (StPO 10 I)
«Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.»
Freie richterliche Beweiswürdigung (StPO 10 II)
Keine Rangordnung der Beweise
«in dubio pro reo»
Beweislast- und Beweiswürdigungsregel
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft zu beweisen, dass Peter Muster den
Pullover gestohlen hat, Muster muss zu seiner Entlastung nichts beitragen.
Ist dies nicht möglich, ist Muster aufgrund der Unschuldsvermutung
freizusprechen.
Sollten verscheiden Zeugenaussagen vorliegen, die besagen, dass Muster
den Pullover mitgenommen hat, bestehen wohl nur noch rein theoretische
Zweifel an der Täterschaft von Muster. Überlegungen im Sinne dass ein
identisch aussehender Täter in Frage kommt, verhindern eine Verurteilung
nicht, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte einen solchen Schluss nahelegen
würden. Bei mehreren sich widersprechenden Zeugenaussagen sind diese
frei zu würdigen. Die Aussage eines unbeteiligten Zeugen wäre insofern
glaubwürdig, als er keine persönlichen Interessen verfolgt. Bei der Aussage
der Mutter der beschuldigten Person wäre das Naheverhältnis zu
berücksichtigen. Für die Aussage der Mutter spräche jedoch, dass eine
Verwechslung in diesem Fall üblicherweise ausgeschlossen erscheint.
09.06.2015
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Seite 31
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Verbot der doppelten Strafverfolgung
Grundsatz «ne bis in idem», IPBPR 14 VII, ZP 7 zur EMRK 4, StPO 11
Verbot jemanden wegen einer Tat für die er in der Schweiz verurteilt oder
freigesprochen wurde, nochmals zu verfolgen oder vor Gericht zu beurteilen.
Vorausgesetzt wird ein schweizerisches Urteil bei:

Identität der Tat und

Identität des Täters
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Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 32
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Wenn Peter muster von einem Gericht in Zürich freigesprochen wird, kann
er nicht in einem anderen Kanton wegen des gleichen Diebstahls noch
einmal verfolgt werden. Das Zürcher Urteil entfaltet Sperrwirkung. Wird
Muster hingegen von einem deutschen Gericht wegen des Diebstahls im
Warenhaus «Fashion & Fun» freigesprochen, so hindert der Grundsatz des
Verbots der doppelten Bestrafung ein schweizerisches Gericht nicht, die
Sache noch einmal zu beurteilen (StGB 3 II).
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Grundsatz der Öffentlichkeit
EMRK 6 I, IPBPR 14 I, BV 30 III, StPO 69-72
Möglichkeit der Parteien, anderen Verfahrensbeteiligten und der
Öffentlichkeit, an der Verhandlung teilzunehmen.

Publikumsöffentlichkeit

Mittelbare Öffentlichkeit

Parteiöffentlichkeit
09.06.2015
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Seite 34
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Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit
(1/2)
StPO 11 II
Unmittelbarkeit des Verfahrens
Das Urteil wird aufgrund eigener Wahrnehmung der Beweismittel ausgefällt.
Mittelbarkeit des Verfahrens
Die dem Urteil zugrunde liegenden Beweise wurden im von einer anderen
Behörde als dem Gericht zusammengetragen und gelangen dem Gericht in
Form von Akten zur Kenntnis,
09.06.2015
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Seite 35
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Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit
(2/2)
Vorteile Unmittelbarkeit
Nachteile Unmittelbarkeit
Direkt vom Gericht wahrgenommene
ungefilterte Beweise
Umfangreiches Verfahren;
verfahrensökonomisch kaum vertretbar
Persönlicher Eindruck von Zeugen
Schwer durchführbar bei aufwändigen
Sachverhalten
Hauptakzent des Verfahrens in der
Hauptverhandlung, wo das Urteil gefällt
wird
Qualität der Beweise beeinträchtigt
(langer Zeitablauf, beeinflussende
Publikumsöffentlichkeit)
Vorteile Mittelbarkeit
Nachteile Mittelbarkeit
Verfahrensökonomisch optimal
Nicht vom Gericht direkt
wahrgenommene ungefilterte Beweise;
Fehler und Mängel des Vorverfahrens
werden mitgeschleppt
Kein persönlicher Eindruck von Zeugen
09.06.2015
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Seite 36
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Grundsätze der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
StPO 66
Mündlichkeit:
Grundsätzlich im erstinstanzlichen Hauptverfahren
Schriftlichkeit
Grundsätzlich im Rechtmittelverfahren
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Seite 37
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Prozessvoraussetzungen und
Verfahrenshindernisse
Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Strafverfahren
eingeleitet und durchgeführt werden kann, z.B:

Vorliegen eines Strafantrags bei Antragsdelikten

Örtliche und sachliche Zuständigkeit
Verfahrenshindernisse sind negative Prozessvoraussetzungen, z.B:

Eintritt der Verjährung

Tod der beschuldigten Person

Sperrwirkung aufgrund von «ne bis in idem»
09.06.2015
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Seite 38
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Anlässlich der Hauptverhandlung wird festgestellt, dass das Delikt, das
Peter muster in der Anklage zur Last gelegt wird, ein Antragsdelikt darstellt.
Da bis zum Ablauf der Antragsfrist Strafantrag gestellt wurde, ist die
entsprechende Voraussetzung erfüllt. Das Gericht prüft dies von Amtes
wegen.
09.06.2015
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Seite 39
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Übungsfälle
6. Robert macht absichtlich die Uhr von Ralf kaputt. Um es ihm
«heimzuzahlen» zerkratzt Ralf daraufhin mit seinem Schlüssel die
Lackierung von Roberts Auto. Wie ist dieses Verhalten
strafprozessual zu würdigen?
7. Staatsanwalt Heinrich zwingt den Beschuldigten Ferdinand zwei
Flaschen Rotwein zu trinken und verhört diesen anschliessend,
wobei Ferdinand sämtliche Vorwürfe gesteht und anschliessend
einschläft. Können die gemachten Aussagen im Verfahren verwendet
werden?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 40
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Übungsfälle
8. Richter Heino soll ein Verfahren gegen die Prostituierte Alexa wegen
schwerer Körperverletzung verhandeln, da diese im Wissen um Ihre
HIV-Erkrankung ungeschützt mit Freiern verkehrte und mehrere
davon ansteckte. Dies ist Heino jedoch sehr unangenehm, da er
ebenfalls regelmässig bei Alexa Kunde war und zudem ist er empört,
dass Alexa seine Gesundheit derart gefährdete. Wie ist diese
Situation strafprozessual zu würdigen?
9. Wegen Überlastung bearbeitet die Staatsanwaltschaft während
sechs Monaten nur noch Verbrechen. Minderschwere Delikte bleiben
währenddessen unbearbeitet. Ist dies zulässig?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 41
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
10. Die Beschuldigte Daria meldet sich bei der Polizei und gesteht, dass
sie mehrere Passanten ausgeraubt hat. Kann gestützt auf dieses
Geständnis bereits Anklage erhoben respektive eine Verurteilung
ausgefällt werden?
11. Staatsanwalt Gunter entdeckt am Wochenende während des
Rasenmähens die Hanfplantage seines Nachbars. Muss er dies
anzeigen?
12. Rupert werden verschiedene geringfügige Verkehrsdelikte
vorgeworfen. Kann Rupert Wiedergutmachung i.S.v. Art. 53 StGB
leisten, indem er einer Stiftung für Strassenverkehrsopfer einen
Monatslohn überweist?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 42
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Übungsfälle
13. Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklageschrift betreffend
zahlreicher Betrugsfälle mehrere Geschädigte vergessen. Kann das
Gericht diese anhand der korrekt erstellten Akten im Urteil auch
berücksichtigen?
14. Die Verteidigung beantragt die Einvernahme des Bruders der
beschuldigten Person, welcher während der Tat ebenfalls am Tatort
war. Das Gericht lehnt dies mit der Begründung ab, dass diese
Aussage aufgrund des Naheverhältnisses ohnehin nichts beweisen
könne. Was ist von dieser Begründung zu halten?
09.06.2015
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Seite 43
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Übungsfälle
15. Die Hausangestellten Kassandra wurde fälschlicherweise wegen
Diebstahls verurteilt. Es wurde ihr vorgeworfen, ein Gemälde des
Hauseigentümers gestohlen zu haben. Tatsächlich handelte es sich
aber um einen Versicherungsbetrug. Nun stiehlt Kassandra zwei
Jahre später dasselbe Gemälde tatsächlich. Ist die frühere
Bestrafung im Falle eines neuen Strafverfahrens zu berücksichtigen?
16. Kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn dies
angesichts der Verfassung des Opfers eines schwerwiegenden
Sexualdelikts angezeigt ist?
17. Wie haben die Strafbehörden vorzugehen, wenn die beschuldigte
Person aufgrund schwerer Krankheit verhandlungsunfähig ist?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 44
Rechtswissenschaftliches Institut
2. Kapitel:
Strafbehörden, ihre Zuständigkeit und
Amtstätigkeit
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 45
Rechtswissenschaftliches Institut
1. Teil:
Strafbehörden
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 46
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Konzept der Behördenorganisation in der StPO
Strafbehörden
StPO 12: Strafverfolgungsbehörden
StPO 13: Gerichte
Ermittlungsbehörden (vorab Polizei)
Untersuchungs- und Anklagebehörden (Staatsanwaltschaft, Übertretungsstrafbehörden)
↓
Zwangsmassnahmengerichte
Erstinstanzliche Gerichte
Rechtsmittelbehörde
Vollzugsbehörde
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 47
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Strafverfolgungsbehörden: Polizei
StPO 12 lit. a, 15
Polizeitätigkeit:

kriminalpolizeilicher Aufgabenbereich: Gemäss StPO (StPO 15 I)

weitere Aufgaben (insb. Gefahrenabwehr): Verwaltungsrecht
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 48
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Anruf der Angestellten des Warenhauses Fashion & Fun bei der Polizei
löst deren Ermittlungstätigkeit aus (StPO 15 II). Da die Meldung, dass ein
Pullover gestohlen wurde, auf eine strafbare Handlung hindeutet, ist die
Tätigkeit der Polizei im vorliegenden Fall eine kriminalpolizeiliche und
untersteht somit der StPO.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 49
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Strafverfolgungsbehörden: Staatsanwaltschaft
StPO 12 lit. b, 16
Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft

Leitung des Vorverfahrens

Durchführung des Untersuchungsverfahrens

Anklageerhebung

Vertretung der Anklage vor Gericht
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 50
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens wird der Fall der
Staatsanwaltschaft übergeben. Diese führt den Prozessstoff zusammen.
Das heisst, sie befragt Muster und die Angestellten des Warenhauses. Am
Schluss des Untersuchungsverfahrens muss die Staatsanwaltschaft
entscheiden, ob sie über genügend Beweismittel verfügt, um Peter Muster
wegen Diebstahls anklagen zu können. Ist dies der Fall, dann erstellt sie –
falls nicht ein Strafbefehl in Frage kommt – eine Anklage, in der sie den
Tatvorwurf umreisst und schickt diese zusammen mit den Akten zum
Gericht. Vor Gericht wird die Staatsanwaltschaft die Anklage vertreten. Ist
die Beweislage ungünstig oder ist die Staatsanwaltschaft aus anderen
Gründen der Ansicht, dass eine Verurteilung wahrscheinlich nicht möglich
ist, so stellt sie das Verfahren gegen Peter Muster ein.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 51
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Strafverfolgungsbehörden:
Übertretungsstrafbehörden
StPO 12 lit. c, 17, 357
Aufgabenbereich
Verfolgung von Übertretungen durch spezielle Verwaltungsbehörden
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 52
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Wenn Peter Muster Tage vor dem Vorfall im Warenhaus «Fashion &
Fun» seiner Nachbarin eine Ohrfeige verpasst hat, wird diese
Übertretung (Tätlichkeit nach StGB 126 I) nicht (zwingend) von der für
den Diebstahl im Warenhaus zuständigen Staatsanwaltschaft verfolgt.
Verfügt der zuständige Kanton über eine Übertretungsstrafbehörde, so
ist diese für die Verfolgung der Tätlichkeit zuständig. Die Ohrfeige
jedoch, die Muster einer Verkäuferin des Warenhauses «Fashion &
Fun» gegeben hatte, als sie ihn auf der Flucht aufhalten wollte, steht im
Zusammenhang mit dem angeblich von Muster verübten Diebstahl. Die
Verfolgung dieser Tätlichkeit obliegt (zwingend) der für die Verfolgung
des Diebstahls zuständigen Staatsanwaltschaft.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 53
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Gerichte: Zwangsmassnahmengericht
StPO 13 lit. a, 18
Aufgabenbereich

Untersuchungs- und Sicherheitshaft

Anordnung und Genehmigung weiterer Zwangsmassnahmen, soweit
gesetzlich vorgesehen
09.06.2015
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Seite 54
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Gerichte: Erstinstanzliches Gericht (1/2)
StPO 13 lit. b, 19
Aufgabenbereich

Beurteilung, ob die beschuldigte Person in objektiver und subjektiver
Hinsicht den in der Anklage vorgeworfenen Straftatbestand erfüllt

Beurteilung, ob weitere Voraussetzungen der Strafbarkeit erfüllt sind

Beurteilung, welche strafrechtliche Sanktion verhängt werden soll
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 55
Rechtswissenschaftliches Institut
Gerichte: Erstinstanzliches Gericht (2/2)
StPO 19 II
Zuständigkeit Einzelgerichte (sofern vorgesehen)

Übertretungen

Verbrechen und Vergehen, sofern die Staatsanwaltschaft nicht
beantragt:
•
eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren
•
eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB
•
eine Behandlung nach Artikel 59 Absatz 3 StGB
•
bei gleichzeitig zu widerrufenden bedingten Sanktionen, einen
Freiheitsentzug von mehr als zwei Jahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 56
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Aufgrund fehlender Bundeskompetenz gemäss StPO 23 und 24 ist der
Peter Muster vorgeworfene Ladendiebstahl von einem kantonalen
erstinstanzlichen Gericht zu beurteilen. In Zürich handelt es sich dabei
um ein Bezirksgericht. Der zur Diskussion stehende Tatbestand des
Diebstahls (StGB 139 I) ist (sofern es sich nicht um ein geringfügiges
Vermögensdelikt gemäss StGB 172ter handelt) ein Verbrechen gemäss
StGB 10 III. Die mögliche Strafe liegt gemäss StGB 139 I zwischen
einem Tag und fünf Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe. Je
nach dem Antrag des Staatsanwalts (bis zwei Jahre Freiheitsstrafe resp.
Geldstrafe oder mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe) ist das
Bezirksgericht als Kollegialgericht zuständig oder der Fall kann dem
Einzelrichter am Bezirksgericht übertragen werden. Da es sich um einen
relativ leichten Fall eines Diebstahls handelt, dürfte die beantragte
Strafe zur Zuständigkeit des Einzelrichters führen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 57
Rechtswissenschaftliches Institut
Gerichte: Beschwerdeinstanz
StPO 13 c, 20
Aufgabenbereich
Beurteilung von Beschwerden gegen Verfahrenshandlungen und
Entscheidungen der Polizei, Staatsanwaltschaften,
Übertretungsstrafbehörden, Zwangsmassnahmengerichten und
erstinstanzlichen Gerichten, welche nicht der Berufung unterliegen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 58
Rechtswissenschaftliches Institut
Gerichte: Berufungsgericht
StPO 13 d, 21
Aufgabenbereich

Beurteilung von Berufungen

und Revisionsgesuchen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 59
Rechtswissenschaftliches Institut
Gerichte: Bundesgericht als eidgenössische
Berufungsinstanz
Gemäss BGG
Beschwerde in Strafsachen (BGG 78 ff.)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 60
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
18. Die Polizei rechnet nach einem Sportanlass mit Ausschreitungen und
ist mit einem Grossaufgebot vor Ort. Fällt dies in den
Anwendungsbereich der StPO?
19. Können die Kantone mehrere regionale
Zwangsmassnahmengerichte vorsehen?
20. Der Kanton X sieht im erstinstanzlichen Strafverfahren auch
Einzelgerichte vor. Ist es denkbar, dass Einzelrichter eine ambulante
Behandlung gemäss StGB 63 anordnen?
21. Können Kantone ihre Beschwerdeinstanz Anklagekammer nennen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 61
Rechtswissenschaftliches Institut
2. Teil:
Zuständigkeit
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 62
Rechtswissenschaftliches Institut
Begriff, Arten der Zuständigkeit

Örtliche Zuständigkeit: Regelt den geographischen Bereich der
Zuständigkeit einer Behörde (vgl. StPO 31 ff., wo die örtliche
Zuständigkeit Gerichtsstand genannt wird).

Sachliche oder materielle Zuständigkeit: Regelt die Frage, welche der im
Rahmen der örtlichen Zuständigkeit vorhandenen Behörden zuständig
ist.

Funktionelle Zuständigkeit: Beschreibt die verschiedenen zu
durchlaufenden Verfahrensstadien.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 63
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Peter Muster soll die Tat in Zürich verübt haben, entsprechend sind gemäss
StPO 340 I die Zürcher Behörden örtlich zuständig. Sachlich für die
Untersuchung zuständig ist die Staatsanwaltschaft. Mit Bezug auf die
funktionelle Zuständigkeit kann festgehalten werden, dass die
erstinstanzliche Beurteilung des Falls dem Bezirksgericht oder dem
Einzelrichter obliegt, zweitinstanzlich kommt eine Berufung an das
Obergericht in Frage.
09.06.2015
(Titel der Präsentation), Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch, (Autor)
Seite 64
Rechtswissenschaftliches Institut
Sachliche Zuständigkeit
BV 123 II

Strafverfolgung als grundsätzlich kantonale Angelegenheit,

soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht (vgl. StPO 23 f.).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 65
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit ist zunächst die Frage zu
beantworten, ob eine Bundeszuständigkeit vorliegt. Im Fall von Peter Muster
ist das nicht der Fall, denn das zur Diskussion stehende Delikt (Diebstahl) ist
weder im Deliktskatalog von StPO 23 noch von StPO 24 enthalten.
Ausserdem gibt es kein Spezialgesetz (namentlich VStrR und MStP), das
dem Bund die Strafverfolgung in diesem Fall auferlegen würde. Der Fall liegt
mithin in der kantonalen Zuständigkeit.
09.06.2015
(Titel der Präsentation), Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch, (Autor)
Seite 66
Rechtswissenschaftliches Institut
Gerichtsstand (örtliche Zuständigkeit)
StPO 31 ff.
Interkantonale und innerkantonale örtliche Zuständigkeitsordnung der
Strafbehörden.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 67
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im Fall von Peter Muster gäbe es verschiedene Anknüpfungspunkte, welche
die Zuständigkeit einer bestimmten Strafbehörde rechtfertigen würden: Ort
der Tat, Sitz der als erste verständigten Behörde, Wohnsitz des Täters, Sitz
der Geschädigten etc. Der Gesetzgeber regelt mit den
Gerichtsstandsregeln, welche Behörde im konkreten Fall zuständig ist.
Peter Muster wird verdächtigt, im Warenhaus «Fashion & Fun» in Zürich
einen Diebstahl verübt zu haben. Nach StGB 3 I ist das StGB anwendbar,
wenn die Straftat in der Schweiz verübt worden ist. Die Anwendbarkeit des
StGB ist Voraussetzung, dass nach StPO 31 ff. ein Gerichtsstand
festzulegen ist. Gleichzeitig besteht die Verpflichtung, für die Strafverfolgung
von Muster einen Gerichtsstand nach StPO zu definieren, da der Anspruch
besteht, dass die schweizerischen Strafbehörden alle Straftaten verfolgen,
die unter den Anwendungsbereich des StGB fallen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 68
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Grundsätze der Gerichtsstandsregelungen (1/5)
Gerichtsstandsregel:
Anwendungsbeispiel:
Handlungsort (StPO 31 I): Primärer Peter Muster wird verdächtigt, die Tat in
Gerichtsstand ist der Tatort (forum
Zürich verübt zu haben. Zuständig sind
delicti commissi)
entsprechend die für den Tatort
zuständigen Zürcher Strafbehörden.
Erfolgsort (StPO 31 I Satz 2): Bei
Erfolgsdelikten ist der
(schweizerische) Ort, wo der
Taterfolg eingetreten ist,
massgebend für den Gerichtsstand,
wenn sich der Handlungsort nicht in
der Schweiz befindet.
09.06.2015
Max schiesst von Deutschland aus
über die Landesgrenze auf einen
Mann, der sich in der Schweiz befindet.
Da sich der Erfolgsort, nicht aber der
Ausführungsort, in der Schweiz
befindet, ist der Erfolgsort für die
Zuständigkeit der schweizerischen
Behörden massgebend.
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 69
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Grundsätze der Gerichtsstandsregelungen (2/5)
Gerichtsstandsregel:
Anwendungsbeispiel:
Mehrere Handlungs- oder
Erfolgsorte (StPO 31 II):
Zuständigkeit des Ortes, der zuerst
Verfolgungshandlungen aufgenommen hat (forum praeventionis).
Definition der Verfolgungshandlung:
Strafsache wird in einer Weise an die
Strafverfolgungsbehörde
herangetragen, dass diese aktiv
werden muss (z.B. Strafanzeige oder
Strafantrag).
Kurt erwirkt mit verschiedenen
betrügerischen
Täuschungshandlungen, dass Otto
ihm Geld für fiktive Investitionen
übergibt. Die entsprechenden
Einzelhandlungen hat Kurt im Kanton
Genf und im Kanton Zug verübt.
Zuständig ist der Kanton Zug, da
dessen Behörden aufgrund einer
Strafanzeige als erste tätig geworden
sind.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 70
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Grundsätze der Gerichtsstandsregelungen (3/5)
Gerichtsstandsregel:
Anwendungsbeispiel:
Beurteilung mehrerer Straftaten eines
Täters:
Die Strafuntersuchung führt zur Anklage
gegen Hans wegen eines Diebstahls, der im
Januar 2008 in Dietikon verübt worden ist
und wegen eines im Dezember des gleichen
Jahres ebenfalls in Dietikon verübten Raubs.
Beide Taten werden im gleichen Verfahren
beurteilt.

Tatverübung am gleichen Ort (StPO 31
III): Vereinigung der Verfahren;

Tatverübung an verschiedenen Orten
(StPO 34): Vereinigung der Verfahren
nach folgenden Regeln:
Vereinigung am Ort, wo die schwerste Tat
verübt worden ist (schwerste Tat wird eruiert
nach folgenden Regeln: 1. angedrohtes
Höchstmass des Delikts; 2. höhere
Mindeststrafe);
Bei gleicher Strafandrohung Vereinigung
am Ort, an dem zuerst
Verfolgungshandlungen vorgenommen
worden sind (forum praeventionis).
09.06.2015
Wäre der Raub im Kanton Glarus verübt
worden, so wären dessen Behörden für die
Beurteilung beider Taten zuständig, da es
sich beim Raub um die schwerere Tat
handelt (Höchststrafe bei StGB 140 Ziff. 1
mit 10 Jahren Freiheitsstrafe höher als bei
StGB 139 Ziff. 1 mit maximal 5 Jahren
Freiheitsstrafe).
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 71
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Grundsätze der Gerichtsstandsregelungen (4/5)
Gerichtsstandsregel:
Anwendungsbeispiel:
Straftaten im Ausland oder ungewisser
Tatort (StPO 32):
Der in Zürich verhaftete Schweizer Bürger Ernst
wird verdächtigt, in Thailand eine sexuelle
Handlung mit einem 10-jährigen Kind
vorgenommen zu haben (vgl. StGB 5 I lit. b). Da
er sich nur auf der Durchreise befindet und
weder Wohnsitz noch Aufenthaltsort in der
Schweiz hat, sind die Behörden des Kantons
Bern zuständig, da sich der Heimatort von Ernst
im Kanton Bern befindet.
1.
2.
3.
4.
Behörden des Wohnsitzes oder
gewöhnlichen Aufenthalts des Täters;
Behörden des Heimatorts des Täters;
Behörden des Orts, an dem der Täter
angetroffen worden ist;
Behörden des Orts, der die Auslieferung
des Täters verlangt hat.
Mehrere Tatbeteiligte (StPO 33):

Anstifter und Gehilfen: Zuständigkeit der
Behörden des Orts, der für die Verfolgung
des Haupttäters zuständig ist.

Mittäter: Für alle Täter Zuständigkeit der
Behörden am Ort, an dem einer der Täter
zuerst verfolgt wird (forum praeventionis).
09.06.2015
Gustav verübt in Luzern einen Raub. Klaus hat
ihn dabei unterstützt, indem er ihm in Basel eine
Waffe beschafft hat. Zuständig für die
Beurteilung von Gustav und Klaus sind die
Behörden von Luzern, des Ortes also, wo der
Täter Gustav die Tat ausgeführt hat.
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 72
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Grundsätze der Gerichtsstandsregelungen (5/5)
Gerichtsstandsregel:
Anwendungsbeispiel:
Weitere besondere Gerichtsstände:
August, Geschäftsführer der stark
überschuldeten X AG mit Sitz in Zug,
schafft unmittelbar vor der Eröffnung
des Konkurses Vermögenswerte der X
AG auf die Seite und versteckt sie
(StGB 163). Betroffen sind
Vermögenswerte im Kanton Aargau und
im Kanton Solothurn. Die Sache wird
bekannt, weil ein Gläubiger bei den
Behörden in Solothurn Strafanzeige
eingereicht hat. Zuständig sind die
Behörden von Zug, da StPO 36 I für
Konkurs- und Betreibungsdelikte den
Gerichtsstand am Sitz der Schuldnerin
vorsieht.
 bei Straftaten durch Medien (StPO 35)
 bei Betreibungs- und Konkursdelikten
und bei Strafverfahren gegen
Unternehmen (StPO 36)
 bei selbständigen Einziehungen (StPO
37)
 bei Jugendlichen (JStPO 10).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 73
Rechtswissenschaftliches Institut
Gerichtsstandsverfahren
StPO 39 ff.
Innerkantonaler Gerichtsstandskonflikt

Entscheidkompetenz der Ober- bzw. Generalstaatsanwaltschaft

oder der kantonalen Beschwerdeinstanz, sofern keine übergeordnete
Staatsanwaltschaft vorhanden ist.
Interkantonaler Gerichtsstandskonflikt

Entscheidkompetenz der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 74
Rechtswissenschaftliches Institut
Rechtshilfe
StPO 43 IV: Massnahmen, um die eine Behörde im Rahmen ihrer
Zuständigkeit zur Unterstützung ihrer Tätigkeit in einem hängigen
Strafverfahren ersucht.

Nationale Rechtshilfe (StPO 43 ff.)
 Verfahrenshandlungen auf Verlangen (StPO 49-51)
 Verfahrenshandlungen in einem anderen Kanton (StPO 52 f.)

Internationale Rechtshilfe (StPO 54 f., IRSG, Staatsverträge)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 75
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Die Zürcher Staatsanwaltschaft, die das Verfahren gegen Peter Muster
leitet, möchte Akten der KESB Solothurn beiziehen. Diese ist gemäss
StPO 44 verpflichtet, die entsprechende Rechtshilfe zu leisten.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft möchte im Verfahren gegen Muster
ausserdem eine Hausdurchsuchung in dessen Ferienhaus in der
Lenzerheide vornehmen. Sie ersucht daher die Behörden des Kantons
Graubünden mittels Rechtshilfegesuch, die entsprechende
Verfahrenshandlungen zugunsten der Zürcher Behörden vorzunehmen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 76
Rechtswissenschaftliches Institut
Ausstand (1/3)
StPO 56 ff.
Ausstandsgründe:
Anwendungsbeispiele:
Persönliches Interesse in
der Sache (lit. a).
Richter Meier wird von einem Radfahrer angefahren und
leicht verletzt. Er stellt einen Strafantrag. Die zuständige
Staatsanwältin untersucht den Fall und erhebt Anklage
gegen den Radfahrer wegen Erfüllung des Tatbestands
der einfachen Körperverletzung (StGB 123 Ziff. 1). Der
Fall kann Richter Meier, obwohl er als Einzelrichter am
zuständigen Gericht tätig ist, nicht zugeteilt werden.
Vorbefassung (lit. b):
Tätigkeit in anderer
Funktion in der gleichen
Sache.
Staatsanwalt Müller untersucht einen Fall. Er schliesst das
Verfahren ab und erhebt Anklage. In der Zwischenzeit
wird Müller als Richter ans Bezirksgericht gewählt. Der
Fall kann ihm aber wegen Vorbefassung nicht zugeteilt
werden.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 77
Rechtswissenschaftliches Institut
Ausstand (2/3)
Ausstandsgründe:
Anwendungsbeispiele:
Ehe oder vergleichbare
Beziehung mit einem
Verfahrensbeteiligten (lit. c):
Ehe, Partnerschaft oder
vergleichbare Beziehung mit einer
Partei, ihrem Rechtsbeistand oder
Mitglied der Vorinstanz.
Staatsanwalt Hubers Frau ist Rechtsanwältin. Diese
verteidigt einen Mann, gegen den Huber eine
Untersuchung durchführt. Damit verstösst Huber
gegen die Ausstandsvorschriften.
Verwandtschaft mit einem
Verfahrensbeteiligten (lit. d und
e): Verwandtschaft in gerader
oder in Seitenlinie bis zum dritten
Grad mit einer Partei, bis zum
zweiten Grad mit dem
Rechtsbeistand einer Partei oder
mit einem Mitglied der Vorinstanz
Staatsanwalt Hubers Cousine ist ebenfalls
Rechtsanwältin. Sie verteidigt eine Frau, gegen die
Huber ebenfalls eine Untersuchung durchführt. Dies
ist kein Verstoss gegen die Ausstandsvorschriften, da
StPO 56 lit. e den Ausstand nur für die
Verwandtschaft mit einem Rechtsbeistand bis zum
zweiten Grad in der Seitenlinie (Geschwister)
vorsieht, wohingegen die Cousine eine Verwandte
vierten Grads darstellt.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 78
Rechtswissenschaftliches Institut
Ausstand (3/3)
Ausstandsgründe:
Anwendungsbeispiele:
Aus anderen Gründen (lit. f):
Generalklausel für andere Fälle, in
denen von einer Situation der
Befangenheit ausgegangen werden
muss. Dies gilt namentlich bei
Freundschaft oder Feindschaft mit
einer Partei oder deren
Rechtsbeistand.
Richter Kuhn soll eine Mietrechtsstreitigkeit beurteilen,
bei der die beklagte Seite von Rechtsanwalt Kobel
vertreten wird. Kobels jetzige Frau war in erster Ehe
mit Kuhn verheiratet und hat diesen wegen Kobel
verlassen. Richter Kuhn ist daher befangen und muss
in den Ausstand treten.
Ausstandsverfahren (StPO 57 ff.)

Durch Hinweis des befangenen Beamten selbst

Aufgrund eines Antrags einer Partei
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 79
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im Fall von Richter Kuhn (siehe Fallbeispiel zu lit. f) liegt ein
Ausstandsgrund gemäss StPO 56 lit. f vor. Dieser kann von einer Partei
vorgebracht werden oder auch von Richter Kuhn selbst. Da es sich um
einen Fall von StPO 56 lit. f handelt, muss die Ausstandsbehörde
entscheiden. Gemäss StPO 59 Abs. 1 lit. b ist dies die
Beschwerdeinstanz.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 80
Rechtswissenschaftliches Institut
Verfahrensleitung
StPO 61 ff.
Verfahrensabschnitt
Behörde
Untersuchungsverfahren (bis
Einstellung oder Anklageerhebung)
Staatsanwaltschaft
Hauptverfahren (ab
Anklageerhebung bis zum Urteil)
Präsident des Kollegialgerichts oder
Einzelrichter
Übertretungsstrafverfahren
Übertretungsstrafbehörde
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 81
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
22. Hans telefoniert von Rorschach aus mit seiner ehemaligen
Lebenspartnerin, welche den Anruf in Wil entgegennimmt, und
bedroht diese dabei im Sinne von StGB 180 II lit. b. An welchem Ort
sind die Strafbehörden zuständig?
23. Welche Behörde entscheidet im Kanton Zürich über innerkantonale
Gerichtsstandskonflikte?
24. Können die Strafbehörden des Kantons Freiburg eine
Hausdurchsuchung im Thurgau anordnen?
25. Der beschuldigte Robert äusserte sich mehrmals ehrverletzend über
den mit dem Verfahren befassten Staatsanwalt. Liegt ein
Ausstandsgrund vor?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 82
Rechtswissenschaftliches Institut
3. Teil:
Verfahrenshandlungen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 83
Rechtswissenschaftliches Institut
Verfahrenshandlungen, Allgemeines und Begriffe
Nach Art der Wirkung:

Erwirkungshandlungen

Bewirkungshandlungen
Abhängig von der Konsequenz fehlerhafter Verfahrenshandlungen:

Gültigkeitsvorschriften

Ordnungsvorschriften
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 84
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Die Vorladung zur Schlusseinvernahme, die der Staatsanwalt an Peter
Muster schickt, ist nicht unterschrieben. Die Einvernahme wird ohne
Verteidiger durchgeführt. Ersterer Mangel stellt die Verletzung einer
blossen Ordnungsvorschrift dar, wohingegen die Durchführung der
Schlusseinvernahme ohne Verteidiger als Verstoss gegen eine
Gültigkeitsvorschrift gilt. Letztgenannter Mangel führt zur Nichtigkeit der
ganzen Einvernahme.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 85
Rechtswissenschaftliches Institut
Mündlichkeit, Verfahrenssprache
StPO 66 ff.
Mündlichkeit, sofern Schriftlichkeit nicht gesetzlich vorgesehen (StPO 66).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 86
Rechtswissenschaftliches Institut
Geheimhaltungspflicht
StPO 73
Öffentlich:
Verhandlungen vor erst- und zweitinstanzlichen Gerichten und die
entsprechenden Urteilseröffnungen
Geheimhaltung:
Übrige Verfahrenshandlungen, nicht publikumsöffentliche Verfahren (StPO
69 III)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 87
Rechtswissenschaftliches Institut
Orientierung der Öffentlichkeit, Mitteilung an
Behörden
Orientierung der Öffentlichkeit (StPO 74 I):

damit die Bevölkerung bei der Aufklärung von Straftaten oder bei der
Fahndung nach Verdächtigen mitwirkt

zur Warnung oder Beruhigung der Bevölkerung

zur Richtigstellung unzutreffender Meldungen oder Gerüchte

wegen der besonderen Bedeutung eines Straffalles.
Mitteilung an Behörden:

Grundsätzliche Geheimhaltungspflicht auch zwischen Straf- und
anderen Behörden

Ausnahmen gemäss StPO 75
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 88
Rechtswissenschaftliches Institut
Dokumentationspflicht, Protokolle
StPO 76 ff.
Dokumentationspflicht für alle prozessual relevanten Vorgänge.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 89
Rechtswissenschaftliches Institut
Entscheide der Strafbehörden (1/2)
StPO 80 ff.
Endentscheide
durch ein Gericht
Urteil
durch die Staatsanwaltschaft
Strafbefehl
Verfahrens- oder Prozessentscheide
von einer Kollegialbehörde
Beschluss
von einer Einzelperson
Verfügung
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 90
Rechtswissenschaftliches Institut
Entscheide der Strafbehörden (2/2)
Wirkung von Verfahrens- oder Prozessentscheiden
 verfahrensleitend
 verfahrenserledigend
 urteilsabändernd
Eröffnung und Zustellung der Entscheide
Grundsatz gemäss StPO 84: sofortige Beratung und mündliche Verkündung
von Sachurteilen im Rahmen der Hauptverhandlung
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 91
Rechtswissenschaftliches Institut
Fristen und Termine
StPO 89 ff.
Gesetzliche Fristen:

bestehen aufgrund gesetzlicher Regelung

unabänderlich
Gerichtliche Fristen:

von einer Strafbehörde angesetzt

erstreckbar in begründeten Fällen (StPO 92)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 92
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Muster wird vom Staatsanwalt am 5. August 2013 aufgefordert, er solle
innert 10 Tagen mitteilen, ob er über einen Wahlverteidiger verfügt. Das
Schreiben erreicht Muster am 8. August 2013. Die Frist beginnt am
nächsten Tag, am Freitag, den 9. August 2013, zu laufen und endet am
18. August 2013. Zwar sind die 10 Tage schon am 18. August 2013
abgelaufen. Da es sich dabei aber um einen Sonntag handelt, läuft die
Frist bis zum nächsten Werktag, den Montag, 19. August 2013. Da es
sich um eine gerichtliche Frist handelt, kann Muster bis spätestens am
19. August 2013 um eine Erstreckung der Frist ersuchen, wenn es ihm
nicht möglich ist, fristgerecht die Mitteilung an den Staatsanwalt zu
machen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 93
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Muster wird vom Staatsanwalt für den 27. August 2013, 14 Uhr, zu einer
Einvernahme vorgeladen. Auf dem Weg zum Termin wird Muster Zeuge
eines Autounfalls. Er betreut die Verletzten und steht anschliessend der
Polizei bis um 15.30 Uhr für die Abklärung des Unfalls zur Verfügung.
Der Termin kann neu angesetzt werden, da Muster durch den Verzicht
auf die Einvernahme ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsmangel
erwachsen würde und weil er an der Säumnis kein Verschulden trägt.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 94
Rechtswissenschaftliches Institut
Aktenführung, Akteneinsicht
StPO 100 ff.
Aktenführung in Aktendossiers (StPO 100):
Systematische Sammlung der Protokolle und Akten
Recht auf Akteneinsicht:
 Umfassend für Parteien und deren Rechtsbeistände
 Andere Verfahrensbeteiligte, soweit zur Interessenwahrung notwendig
 Drittpersonen mit wissenschaftlichem oder anderem schützenswerten
Interesse, wenn kein anderes schützenswertes Interesse überwiegt
Einschränkungen der Akteneinsicht gemäss StPO 108
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 95
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Beschuldigte Muster hat das Recht, Akteneinsicht zu nehmen,
sobald er einvernommen worden ist und die wesentlichen Beweismittel
(insbesondere Einvernahme des beteiligten Verkaufspersonals) erhoben
worden sind. Dazu hat Muster ein Gesuch an den das Verfahren
leitenden Staatsanwalt zu stellen. Die Akteneinsicht kann ihm nicht
verweigert werden, wenn keine Kollusionsgefahr mehr besteht, da die
Verweigerung der Akteneinsicht weder zum Schutz bestimmter
Personen noch zur Wahrung öffentlicher oder privater Interessen
notwendig ist.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 96
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
26. Kann die Verfahrensleitung eine Fernsehübertragung der
Hauptverhandlung gestatten?
27. Claudia wurde erstinstanzlich verurteilt und ist unsicher, ob sie
Berufung einlegen soll (StPO 399 I). Diese müsste sie innert 10
Tagen seit Eröffnung anmelden. Kann diese Frist erstreckt werden?
28. In der Berichterstattung zu einem Tötungsdelikt wird der Nachbar des
Opfers als möglicher Täter dargestellt. Die Staatsanwaltschaft sieht
aufgrund ihrer bisherigen Erkenntnisse jedoch keinerlei
Anhaltspunkte dafür. Darf die Staatsanwaltschaft dazu Stellung
nehmen?
29. Robert wird im Berufungsverfahren vom Vorwurf der Vergewaltigung
freigesprochen. Was für ein strafprozessualer Entscheid liegt vor?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 97
Rechtswissenschaftliches Institut
3. Kapitel:
Parteien und andere Verfahrensbeteiligte
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 98
Rechtswissenschaftliches Institut
1. Teil:
Allgemeine Bestimmungen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 99
Rechtswissenschaftliches Institut
Parteien
StPO 104, 106 ff.
Parteien

Beschuldigte Person

Privatklägerschaft

Staatsanwaltschaft

Weitere Behörden, sofern gesetzlich ausdrücklich vorgesehen
Verfahrenshandlungen der Parteien (Eingaben gemäss StPO 109)

Anträge

Erklärungen

Aussagen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 100
Rechtswissenschaftliches Institut
Andere Verfahrensbeteiligte
StPO 105

Geschädigte Person und Opfer

Anzeigeerstatter

Zeuge und Auskunftsperson

Sachverständiger

Durch Verfahrenshandlungen unmittelbar beschwerte Dritte
StPO 105 II: Verfahrensrechte wie Parteien, nur soweit sie in ihren Rechten
unmittelbar betroffen sind.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 101
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
30. Roland hat Anzeige gegen seinen Nachbar erstattet. Hat Roland im
anschliessenden Strafverfahren ein Akteneinsichtsrecht?
31. Sandra beschuldigt den Nachbarn Hugo, er habe sie vergewaltigt.
Ines, die Ehegattin von Hugo glaubt, dass Sandra die Unwahrheit
sagt, kann Ines im Strafverfahren Beweisanträge stellen, um die
Unschuld ihres Gatten zu beweisen?
09.06.2015
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Seite 102
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2. Teil:
Beschuldigte Person
09.06.2015
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Seite 103
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Beschuldigte natürliche Person
StPO 111, 113 f.
Beschuldigte Person ist, wer wegen einer Straftat verdächtigt, beschuldigt
oder angeklagt wird (StPO 111 I).
Position der beschuldigten Person

Objekt des Strafverfahrens: Passiv-duldende Verfahrensrolle (z.B.
Untersuchungshaft).

Subjekt des Strafverfahrens: Aktiv-gestaltende Verfahrensrolle (z.B.
Stellen von Beweisanträgen).
09.06.2015
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Seite 104
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Peter Muster wird vom zuständigen Staatsanwalt zur Einvernahme
vorgeladen. Er ignoriert die Vorladung und erscheint nicht. In der Folge
lässt der Staatsanwalt Muster polizeilich vorführen. Muster muss diese
Zwangsmassnahmen über sich ergehen lassen. Des Weiteren kann er
aber jede Kooperation und die Aussage verweigern.
09.06.2015
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Seite 105
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Unternehmen als beschuldigte Person
Als beschuldigt gilt das Unternehmen, welchem Strafbarkeit gemäss StGB
102 vorgeworfen wird.
StPO 112
Bestimmung einer zur zivilrechtlichen Vertretung befugten Person, welche
das Unternehmen im Strafverfahren vertritt.
09.06.2015
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Seite 106
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Übungsfälle
32. Tom erschiesst an seinem Arbeitsplatz elf Mitarbeiter und versucht
anschliessend sich selbst zu erschiessen. Tom überlebt jedoch mit
dauerhaften Gehirnschäden mit erheblichen neurologischen
Ausfallerscheinungen. Kann Tom Beschuldigter sein?
09.06.2015
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3. Teil:
Geschädigte Person, Opfer, Privatklägerschaft und
Zivilklage
09.06.2015
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Geschädigte Person
StPO 115
Geschädigte Person im Strafverfahren ist, wer:

durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar tangiert wurde

und in jedem Fall, die zur Stellung eines Strafantrags berechtigte Person
Rolle der geschädigten Person:
Anderer Verfahrensbeteiligter gemäss StPO 105.
09.06.2015
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Seite 109
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im Verfahren gegen Peter Muster geht es um den Diebstahl eines
Pullovers. Geschädigte Person ist der Eigentümer des Pullovers,
dessen Vermögenswerte betroffen sind. Es handelt sich dabei um das
Warenhaus «Fashion & Fun», das z.B. als Aktiengesellschaft
konstituiert ist. Selbstverständlich kann auch eine Unternehmung, vorab
eine juristische Person, Geschädigter sein.
Bei den Falschgelddelikten wird hingegen primär das Vertrauen in die
Sicherheit des Geldverkehrs geschützt. Die entsprechenden Interessen
werden von der Staatsanwaltschaft vertreten. Aufgrund eines
Falschgelddelikts kann indes auch eine Privatperson einen Schaden
erleiden. In einem solchen Fall ist sie durch das Delikt mitbetroffen und
erhält somit ebenfalls Geschädigtenposition.
09.06.2015
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Seite 110
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Opfer
StPO 116 f.
Opfer ist, wer durch eine Straftat des Bundesrechts in seiner körperlichen,
sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt wurde.
Rolle des Opfers:
Anderer Verfahrensbeteiligter gemäss StPO 105 I lit. a mit besonderen
Verfahrensrechten gemäss StPO 117 I.
09.06.2015
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Seite 111
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Privatklägerschaft
StPO 118 ff.
Geschädigte Person, welche sich als Privatklägerschaft konstituiert.
Rolle der Privatklägerschaft:
Parteistellung gemäss StPO 104 I lit. b
09.06.2015
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Seite 112
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Zivil- (Adhäsions)klage
StPO 122 ff: Möglichkeit der Privatklägerschaft zivilrechtliche Ansprüche aus
einer Straftat adhäsionsweise im Strafverfahren geltend zu machen.
Keine adhäsionsweise Beurteilung findet statt, wenn (StPO 126 II):
 das Verfahren eingestellt wird oder ein Strafbefehl ergeht und die beschuldigte
Person die Zivilansprüche nicht anerkennt
 die Zivilansprüche nicht ausreichend begründet oder beziffert wurden
 die Privatklägerschaft die Sicherheit für die Ansprüche der beschuldigten
Person nicht leistet
 die beschuldigte Person freigesprochen wird, der Sachverhalt aber nicht
spruchreif ist
Beurteilung der Zivilforderung nur im Grundsatz, wenn die vollständige
Beurteilung für den Strafrichter zu aufwändig wäre (StPO 126 III).
09.06.2015
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Seite 113
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Übungsfälle
33. Markus wird der Tatbestand von StGB 319, das Entweichenlassen
von Gefangenen, vorgeworfen. Wer ist Geschädigter?
34. Der Geschädigte Heinrich verfolgt die erstinstanzliche
Hauptverhandlung und ist mit deren Verlauf unzufrieden. Kann
Heinrich auf das Verfahren Einfluss nehmen, indem er sich jetzt als
Privatkläger konstituiert?
35. Gegen Henry wurde ein Strafverfahren eröffnet, weil er Gunter
erwürgt hat. Können die Kinder von Gunter als Privatklägerschaft
zivilrechtliche Ansprüche geltend machen?
09.06.2015
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Seite 114
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4. Teil:
Rechtsbeistände
09.06.2015
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Seite 115
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Rechtsbeistände: Grundsätze
StPO 127
Beschuldigte Person, Privatklägerschaft und andere Verfahrensbeteiligte
können einen Rechtsbeistand beiziehen.
Die Verteidigung der beschuldigten Person im Strafverfahren ist
Rechtsanwälten vorbehalten (StPO 127 V).
09.06.2015
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Seite 116
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Verteidigung (1/3)
StPO 128 ff.
Recht auf Verteidigung
(EMRK 6 Ziff. 3, IPBPR 14 II lit. b, BV 32 II, StPO 129 I)

Recht der beschuldigten Person in jedem Straffall und jedem
Verfahrensstadium einen Verteidiger zu bestellen (Verteidigung im
formellen Sinn)

und ihre Verteidigungsrechte auszuüben (Verteidigung im materiellen
Sinn)
09.06.2015
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Seite 117
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Verteidigung (2/3)
Notwendige Verteidigung (StPO 130 f.)
Zwingende Bestellung eines Verteidigers, wenn:

Untersuchungshaft mehr als zehn Tage dauerte

eine Freiheitsstrafe über einem Jahr oder eine freiheitsentziehende
Massnahme gemäss StGB droht

die beschuldigte Person aus körperlichen oder geistigen Gründen ihre
Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren kann

ein Staatsanwalt vor der erstinstanzlichen Gericht oder Berufungsgericht
persönlich auftritt

ein abgekürztes Verfahren durchgeführt wird
09.06.2015
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Seite 118
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Peter Muster hat das Recht, selbständig einen Verteidiger zu bestellen
oder darauf zu verzichten. Ein Fall notwendiger Verteidigung besteht
wohl weder aufgrund des zur Diskussion stehenden Delikts resp. der in
Aussicht stehenden Strafe. Noch sind die anderen Voraussetzungen,
die eine notwendige Verteidigung nach sich ziehen, erfüllt.
09.06.2015
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Seite 119
Rechtswissenschaftliches Institut
Verteidigung (3/3)
Amtliche Verteidigung (StPO 132 ff.)
Staatlich bestellte und bezahlte Verteidigung:

Bei notwendiger Verteidigung, sofern kein Wahlverteidiger bestellt wurde
StPO 132 I lit. a).

Wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel
verfügt, kein Bagatellfall vorliegt und der Straffall tatsächliche oder
rechtliche Schwierigkeiten bietet (StPO 132 I lit. b, II,III).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 120
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Da im Fall von Peter Muster wohl kein Fall notwendiger Verteidigung
vorliegt, ist eine amtliche Verteidigung nicht möglich. Es dürfte ein
Bagatellfall vorliegen, der – unabhängig von der finanziellen Lage von
Muster – nicht Anlass zu einer amtlichen Verteidigung gibt.
09.06.2015
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Seite 121
Rechtswissenschaftliches Institut
Unentgeltliche Rechtspflege für die
Privatklägerschaft
StPO 136 ff.
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn:

Die Privatklägerschaft nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, um die
Zivilklage zu betreiben

und die Zivilklage nicht aussichtlos erscheint.
09.06.2015
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Seite 122
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Übungsfälle
36. Gertrud ist Beschuldigte in einem Strafverfahren wegen Förderung
der Prostitution gemäss StGB 195. Kann sie sich von ihrer Nichte
verteidigen lassen, welche wenige Tage zuvor ein juristisches
Studium mit hervorragenden Noten abgeschlossen hat?
37. Bernd soll als beschuldigte Person von der Staatsanwaltschaft
einvernommen werden. Darf die Verteidigung von einem Geständnis
abraten, obwohl sie weiss, dass Bernd schuldig ist?
38. Samuel erfährt, dass seine Ehegattin eine Liebesbeziehung mit
seiner amtlichen Verteidigung begonnen hat. Kann Samuel einen
anderen Verteidiger verlangen?
39. Der einschlägig vorbestrafte Marcel wird beschuldigt gegen StGB
261bis (Rassendiskriminierung) verstossen zu haben. Marcel verfasst
eine Schrift mit überwiegend politischem Inhalt und fordert seine
amtliche Verteidigung auf, diese in der Hauptverhandlung zu
verlesen. Muss die Verteidigung dieser Forderung nachkommen?
09.06.2015
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Seite 123
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4. Kapitel:
Beweismittel
09.06.2015
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Seite 124
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1. Teil:
Allgemeine Bestimmungen
09.06.2015
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Seite 125
Rechtswissenschaftliches Institut
Beweise im Allgemeinen (1/2)
Beweisgegenstand:

Direkter Beweis

Indirekter Beweis

Hilfstatsachen oder Indizien
Unterscheidung nach Art des Beweismittels:

Personalbeweise: Z.B. Einvernahmen

Sachbeweise: Z.B. Augenschein
09.06.2015
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Seite 126
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Wenn die Verkäuferin Bea aussagt, sie habe nicht gesehen, wie Peter
Muster den Pullover aus dem Warenhaus mitgenommen hat, dann liegt
kein direkter Beweis für den Diebstahl vor. Die Aussage, sie habe
beobachtet, dass Muster mit dem Pullover die Umkleidekabine betreten
und kurz darauf das Warenhaus verlassen habe, wobei der Pullover
weder zurückgegeben noch in der Umkleidekabine zurückgelassen
worden sei, kann als indirekter Beweis gewertet werden.
09.06.2015
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Seite 127
Rechtswissenschaftliches Institut
Beweise im Allgemeinen (2/2)
Beweisbedürftigkeit:
Beweisführung über alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale,
mit Ausnahme von (StPO 139 II):

unerheblichen

offenkundigen

der Strafbehörde bekannten

oder bereits rechtsgenügend nachgewiesenen Tatsachen.
Beweisfreiheit:
StPO 139 I: Die Strafbehörden setzen zur Wahrheitsfindung alle nach
dem Stand von Wissenschaft und Erfahrung geeigneten und rechtlich
zulässigen Beweismittel ein.
09.06.2015
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Seite 128
Rechtswissenschaftliches Institut
Beweisverbote (1/2)
Absolute Unverwertbarkeit (StPO 141 I)
 Beweiserhebung unter Einsatz physischer oder psychischer Gewalt
 Unverwertbarkeit aufgrund besonderer Regelung in der StPO
Relative Unverwertbarkeit (StPO 141 II)
 Verletzung von Gültigkeitsvorschriften
 Erhebung auf strafbare Weise
Werden bei der Beweiserhebung Ordnungsvorschriften verletzt, sind die
Beweise verwertbar (StPO 141 III).
09.06.2015
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Seite 129
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Beweisverbote (2/2)
Fernwirkung von Beweiserhebungsverboten (StPO 141 IV)
Grundsätzlich verwertbar:
 Wenn das ursprüngliche, gemäss StPO 141 II unerlaubte Beweismittel,
nur zum Auffinden des mittelbaren Beweises führt.
Unverwertbar:
 Wenn ein unerlaubtes Beweismittel gemäss StPO 141 II conditio sine
qua non für den mittelbaren Beweis ist.
 Wenn das ursprüngliche Beweismittel gemäss StPO 141 I und 140
absolut unverwertbar ist.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 130
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Übungsfälle
40. Der Staatsanwalt Christian behauptet wahrheitswidrig gegenüber
dem Beschuldigten Marc, dass dessen Tochter ihn mit ihrer
Zeugenaussage schwer belastet habe. Woraufhin Marc ein
umfassendes Geständnis ablegt. Wie ist dieses Geständnis zu
würdigen?
41. Der Vorgesetzte Eduard hört die Telefongespräche der ihm
unterstellten Angestellten ab, ohne dass diese oder Anrufer darüber
informiert sind. Können so erlangte Beweismittel in einem
Strafverfahren verwendet werden?
42. Die beschuldigte Person wird von der Staatsanwaltschaft
einvernommen und korrekt über ihre Rechte gemäss StPO 158 I
belehrt. Welche Auswirkungen auf die Verwertbarkeit hat es, wenn
die Belehrung im Verfahrensprotokoll nicht vermerkt wurde?
09.06.2015
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Seite 131
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2. Teil:
Personalbeweis, Einvernahmen als Beweismittel
09.06.2015
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Seite 132
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Allgemeine Vorschriften zu Einvernahmen
StPO 142 ff.
Befragung durch Staatsanwaltschaft, Übertretungsstrafbehörde oder Gericht
 Die Befragung der beschuldigten Person oder Auskunftsperson ist durch
die Polizei möglich.
Belehrung der zu befragenden Person über:
 Gegenstand des Verfahrens
 Die Eigenschaft, in der sie vernommen wird
 Die Rechte und Pflichten der einzuvernehmenden Person
Recht der Parteien auf Teilnahme und Konfrontation
09.06.2015
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Seite 133
Rechtswissenschaftliches Institut
Schutzmassnahmen
StPO 149:
Einschränkung von Parteirechten zum Schutz von Verfahrensbeteiligten
 Zusicherung der Anonymität (StPO 150)
 Einvernahmen unter Ausschluss der Parteien oder der Öffentlichkeit
durchführt
 Feststellung der Personalien unter Ausschluss der Parteien oder der
Öffentlichkeit
 Veränderung von Aussehen oder Stimme der zu schützenden Person
 Einschränkung der Akteneinsicht
StPO 151 ff:
Besondere Massnahmen zum Schutz verdeckter Ermittler, Opfer und
Personen mit psychischer Störung
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 134
Rechtswissenschaftliches Institut
Einvernahme der beschuldigten Person
StPO 157 ff.
Zwingende Rechtsbelehrung bei der ersten formellen Einvernahme:
 dass ein Vorverfahren eingeleitet wurde
 welche Straftat Gegenstand des Verfahrens ist
 dass ein Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht besteht
 über das Recht einen Verteidiger zu bestellen oder amtliche Verteidigung
zu beantragen
 über das Recht einen Übersetzer zu verlangen
Folge einer mangelhaften Belehrung ist die Unverwertbarkeit der gemachten
Aussagen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 135
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Peter Muster steht es aufgrund seiner Position als Beschuldigter zu, die
Aussage zu verweigern. Trotzdem muss er Fragen, die der Feststellung der
Personalien dienen, beantworten. Wenn er dies trotz dieser Pflicht aber
nicht tut, so sind die zur Feststellung der Personalien notwendigen und
angemessenen Zwangsmassnahmen zulässig, verfahrensrechtliche
Nachteile resultieren daraus jedoch nicht.
Im Rahmen der ersten Einvernahme wird Peter Muster darüber informiert,
dass gegen ihn ein Verfahren wegen Diebstahls eines Pullovers am 16. Mai
2013 im Warenhaus «Fashion & Fun» eingeleitet worden ist. Ausserdem
wird er darauf aufmerksam gemacht, dass er die Aussage und jede
Mitwirkung verweigern kann. Schliesslich wird er gefragt, ob er die
Unterstützung eines Verteidigers in Anspruch nehmen möchte. Da Muster
vorläufig auf dieses Recht verzichtet, kann die Einvernahme fortgesetzt
werden.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 136
Rechtswissenschaftliches Institut
Einvernahme von Zeugen (1/2)
StPO 162 ff.
Zeuge: An der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die über von ihr
wahrgenommene deliktsrelevante Tatsachen Aussagen machen kann und nicht
Auskunftsperson ist.
Zeugnisfähig ist, wer:
 älter als 15 Jahre
 und hinsichtlich des Gegenstands der Einvernahme urteilsfähig ist
Zeugnispflicht:
Zeugnisfähige Personen sind unter Vorbehalt der Zeugnisverweigerungsrecht
zum wahrheitsgemässen Zeugnis verpflichtet.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 137
Rechtswissenschaftliches Institut
Einvernahme von Zeugen (2/2)
Zeugnisverweigerungsrechte
absolute/relative Zeugnisverweigerungsrechte
 Persönliche Beziehung (StPO 168)
 Zum eigenen Schutz oder zum Schutz nahestehender Personen (StPO
169)
 Amtsgeheimnis (StPO 170)
 Berufsgeheimnis (StPO 171)
 Quellenschutz für Medienschaffende (StPO 172)
 Weitere Geheimhaltungspflichten (StPO 173)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 138
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Claudia Muster kann sich im Verfahren gegen Peter Muster aufgrund von
StPO 168 I lit. a auf ein Zeugnisverweigerungsrecht stützen. Die
Strafbehörden müssen sie vor ihrer Einvernahme darauf aufmerksam
machen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 139
Rechtswissenschaftliches Institut
Aussagen von Auskunftspersonen (1/4)
StPO 178 ff.
Auskunftspersonen sind gemäss StPO 178 (abschliessend):
 der gemäss StPO 118 ff. als Privatkläger konstituierte Geschädigte
 Kinder, die im Zeitpunkt der Einvernahme noch nicht 15 Jahre alt sind
 Personen, welche wegen eingeschränkter Urteilsfähigkeit nicht in der Lage
sind, den Gegenstand der Einvernahme vollständig zu erfassen
 wer als Täter oder Teilnehmer einer Tat nicht ausgeschlossen werden kann,
aber (noch) nicht beschuldigt ist
 mitbeschuldigte Personen bei Einvernahmen zu Delikten, die ihnen nicht zur
Last gelegt werden
 Beschuldigte in einem anderen Verfahren wegen einer Tat, die mit der
abzuklärenden Straftat im Zusammenhang steht
 Unternehmensvertreter nach StPO 112 sowie deren direkte Mitarbeiter bei
einem nach StGB 102 gegen ein Unternehmen gerichtetes Strafverfahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 140
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Aussagen von Auskunftspersonen (2/4)
Privatklägerschaft als Auskunftsperson:
Befragung nach den Bestimmungen der Zeugeneinvernahme
(StPO 180 I)
Übrige Auskunftspersonen:
Befragung nach den Bestimmungen über die Einvernahme der
beschuldigten Person (StPO 180 II)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 141
Rechtswissenschaftliches Institut
Aussagen von Auskunftspersonen (3/4)
Rollenwechsel der Auskunftsperson
 Der Grund für die Einvernahme als Auskunftsperson fällt nachträglich
weg
Zukünftige Einvernahme als Zeugin, frühere Aussagen verwertbar
 Eine als Zeugin einvernommene Person, hätte als Auskunftsperson
vernommen werden müssen
Zukünftige Einvernahme als Auskunftsperson, frühere Aussagen
tendenziell unverwertbar
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 142
Rechtswissenschaftliches Institut
Aussagen von Auskunftspersonen (4/4)
Rollenwechsel der Auskunftsperson
 Bei einer als Zeugin einvernommen Person erfüllen sich nachträglich die
Bedingungen für eine Einvernahme als Auskunftsperson
Zukünftige Befragung als Auskunftsperson, frühere Aussagen
verwertbar
 Eine Auskunftsperson belastet sich mit ihren Aussagen selbst
Zukünftige Befragung als beschuldigte Person, Aussagen von
Auskunftspersonen gemäss StPO 178 lit. a-e unverwertbar
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 143
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Sachverständige
StPO 182 ff.
Staatsanwaltschaft oder Gerichte ziehen eine Person mit besonderem
Fachwissen bei, wenn dies zur Feststellung und Beurteilung notwendig ist.
Funktion des Sachverständigen

Gehilfe der Strafbehörde mit besonderem Fachwissen

Keine rechtliche Würdigung des Sachverhalts
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 144
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
43. Ursula ist Beschuldigte in einem Strafverfahren, da sie gegenüber
ihrer Tochter Gisela den Tatbestand der schweren Körperverletzung
erfüllt habe. Peter, der Ehegatte von Ursula und Vater von Gisela,
möchte als Zeuge die Aussage verweigern. Darf er das?
44. Matthias ist bei den Verwaltungsratssitzungen der in einem
Strafverfahren beschuldigten Kataklysmus-AG jeweils
Protokollführer. In welcher Rolle ist Matthias einzuvernehmen?
45. Die Mitarbeiterin einer medizinischen Fakultät wird mit der
Ausarbeitung eines Gutachtens betraut, in welchem sie hinsichtlich
eines Kunstfehlerprozesses das Vorgehen eines hierarchisch
übergeordneten Fakultätskollegen medizinisch beurteilen soll. Wie ist
das zu beurteilen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 145
Rechtswissenschaftliches Institut
3. Teil:
Sachliche Beweismittel
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 146
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Beweisgegenstände, Augenschein
StPO 192 ff.
Beweisgegenstände (StPO 192)
Sachliche Beweismittel, welche den zuständigen Behörden zur Verfügung
stehen und unmittelbar zu den Akten genommen werden.
Augenscheinbeweis (StPO 193)
Sachliche Beweismittel, welche der Strafbehörde aufgrund ihrer
Beschaffenheit nicht unmittelbar zur Verfügung stehen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 147
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Für das Beweisverfahren im Strafverfahren gegen Muster ist ein
Augenschein im Warenhaus «Fashion & Fun» wohl entbehrlich. Allenfalls
kann es sinnvoll sein, den gestohlenen Pullover in Form photographischer
Aufnahme zu dokumentieren und so in die Akten zu integrieren.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 148
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
46. Kann die Staatsanwaltschaft anordnen, dass die beschuldigte
Person und Zeugen an der Nachstellung des Delikts am Tatort
teilnehmen?
47. Kann die Polizei zu Ermittlungszwecken die Akten eines
Verwaltungsverfahrens beiziehen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 149
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5. Kapitel:
Zwangsmassnahmen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 150
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1. Teil:
Allgemeines
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 151
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Allgemeine Bestimmungen (1/2)
StPO 196 ff.
Voraussetzungen (StPO 197, BV 36)

Gesetzliche Grundlage (lit. a)

Hinreichender Tatverdacht (lit. b)

Subsidiarität (lit. c)

Verhältnismässigkeit (lit. d)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 152
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Allgemeine Bestimmungen (2/2)
StPO 198: Zuständigkeit für die Anordnung von Zwangsmassnahmen
 Die Staatsanwaltschaft (lit. a)
 Das mit dem Fall befasste Gericht (lit. b)
 Die Polizei, sofern die StPO dies explizit vorsieht (lit. c)
Beschwerdemöglichkeit (StPO 393 ff.) gegen Anordnung und Durchführung
von Zwangsmassnahmen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 153
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Übungsfälle
48. Können strafprozessuale Zwangsmassnahmen auch gegenüber
Personen angeordnet werden, gegen welche kein Tatverdacht
besteht?
49. Welchen Zweck erfüllt die Untersuchungshaft im Hinblick auf StPO
196?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
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2. Teil:
Zwangsmassnahmen, die das Recht der persönlichen
Freiheit tangieren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 155
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Vorladung und Vorführung
StPO 201 ff: Vorladung
Schriftliche und verpflichtende Aufforderung an Personen, welche an einer
Prozesshandlung teilnehmen müssen
StPO 207 ff: Polizeiliche Vorführung
 Wenn eine Vorladung versäumt wurde und die Vorführung vorhergehend
angedroht wurde
 Wenn anhand konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass einer
Vorladung nicht nachgekommen wird
 Bei Verfahren wegen Vergehen oder Verbrechen, wenn das sofortige
Erscheinen im Interesse des Verfahrens unerlässlich ist
 Bei dringendem Tatverdacht bezüglich eines Vergehens oder
Verbrechens, sofern Haftgründe zu vermuten sind
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 156
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Peter Muster wird zu einer Einvernahme beim Staatsanwalt vorgeladen. Da
er zum besagten Termin einen wichtigen geschäftlichen Termin
wahrnehmen muss, kann er um eine Verschiebung des Termins ersuchen.
Tut er dies nicht, so riskiert er, polizeilich vorgeführt zu werden.
Wenn Muster ohne Entschuldigung der Einvernahme fernbleibt, wird somit
zunächst eine zweite Vorladung erfolgen. Erst wenn er auch dieser keine
Folge leistet, kommt eine polizeiliche Vorführung in Frage. Angesichts der
Geringfügigkeit des Delikts, wird die Polizei mit grösster Schonung vorgehen
und beispielsweise auf eine Festnahme auf offener Strasse, am Arbeitsplatz
etc. verzichten.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 157
Rechtswissenschaftliches Institut
Fahndung
StPO 210 f.
Ausschreibung zur Aufenthaltsausforschung:
Suche nach Wohn- oder Aufenthaltsort der Person (StPO 210 I).
Ausschreibung zur Verhaftung und Zuführung:
Bei beschuldigten Personen, welche eines Vergehens oder Verbrechens
dringend verdächtigt werden, sofern Haftgründe zu vermuten sind (StPO
210 II).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 158
Rechtswissenschaftliches Institut
Freiheitsentzug im Allgemeinen
StPO 212 ff.
Grundsatz: Die beschuldigte Person bleibt in Freiheit.
Freiheitsentzug ist nur unter den gesetzlich vorgesehenen
Voraussetzungen möglich, solange diese erfüllt sind und keine
Ersatzmassnahmen ausreichen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 159
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Aufgrund der Geringfügigkeit des Muster vorgeworfenen Delikts ist die
Anordnung der Untersuchungshaft auch dann mangels Verhältnismässigkeit
nicht anzuordnen, wenn die Voraussetzungen dafür grundsätzlich erfüllt
wären.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 160
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Polizeiliche Anhaltung
StPO 215 f.
Anhaltung einer Person durch die Polizei im Interesse der Aufklärung einer
Straftat, um:
 ihre Identität festzustellen
 sie kurz zu befragen
 abzuklären, ob sie eine Straftat begangen hat
 abzuklären, ob nach ihr oder nach Gegenständen, die sich in ihrem
Gewahrsam befinden, gefahndet wird.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 161
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Vorläufige Festnahme
Verpflichtung der Polizei zur vorläufigen Festnahme (StPO 217 I)

Wenn sie eine Person bei einem Verbrechen oder Vergehen auf frischer Tat
ertappt oder unmittelbar nach der Begehung antrifft.

Wenn die Person zur Verhaftung ausgeschrieben ist.
Berechtigung der Polizei zur vorläufigen Festnahme (StPO 217 II, III)

Wenn die Person gestützt auf Ermittlungen oder andere zuverlässige Informationen
eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig ist

Wenn eine Person bei einer Übertretung auf frischer Tat ertappt oder unmittelbar
nach der Begehung angetroffen wird, sofern (alternativ):
•
die Person ihre Personalien nicht bekannt gibt
•
die Person nicht in der Schweiz wohnt und nicht unverzüglich eine Sicherheit
für die zu erwartende Busse leistet
•
die Festnahme nötig ist, um die Person von weiteren Übertretungen abzuhalten
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 162
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Untersuchungs- und Sicherheitshaft (1/6)
StPO 220 ff.
Untersuchungshaft
Freiheitsentzug während des Vorverfahrens
Sicherheitshaft
Freiheitsentzug zwischen dem Eingang der Anklage beim Gericht und der
Rechtskraft des Urteils, der Haftentlassung oder dem Antritt einer
freiheitsentziehenden Sanktion
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 163
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Untersuchungs- und Sicherheitshaft (2/6)
Voraussetzungen der Anordnung von Untersuchungshaft (StPO 221)

Dringender Tatverdacht

Haftgrund
•
Fluchtgefahr
•
Kollusionsgefahr
•
Wiederholungsgefahr
•
Ausführungsgefahr
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 164
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Untersuchungs- und Sicherheitshaft (3/6)
StPO 237 II und III: Ersatzmassnahmen (nicht abschliessend)
 Sicherheitsleistung
 Ausweis- und Schriftensperre
 Auflage, sich nur oder sich nicht an einem bestimmten Ort oder in einem
bestimmten Haus aufzuhalten
 Zur Überwachung: Electronic Monitoring
 etc.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 165
Rechtswissenschaftliches Institut
Untersuchungs- und Sicherheitshaft (4/6)
Verfahren bei Anordnung von Untersuchungshaft
Innert 48 Stunden nach Festnahme:
Antrag der Staatsanwaltschaft ans Zwangsmassnahmengericht
auf Anordnung von Untersuchungshaft oder
Ersatzmassnahmen
Innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags beim
Zwangsmassnahmengericht:
Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts über die
Freilassung, die Anordnung der Untersuchungshaft oder von
Ersatzmassnahmen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 166
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Untersuchungs- und Sicherheitshaft (5/6)
Haftverlängerungsgesuch
Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der Haft, nach Ablauf der
Haftdauer oder drei Monaten (StPO 227 I)
Haftentlassungsgesuch
Jederzeitige Möglichkeit der beschuldigten Person die Haftentlassung zu
fordern (StPO 228 I)
Rechtsmittel gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts
 Beschwerdemöglichkeit der verhafteten Person
 Beschwerdemöglichkeit der Staatsanwaltschaft
 Danach: Strafrechtsbeschwerde an das Bundesgericht (BGG 78 ff.)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 167
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Untersuchungs- und Sicherheitshaft (6/6)
Sicherheitshaft
 Als Fortsetzung der Untersuchungshaft, wenn sich die beschuldigte
Person bei Anklageerhebung bereits in Untersuchungshaft befindet
(StPO 229 I, III lit. b)
Anordnung durch das Zwangsmassnahmengericht auf
Gesuch der Staatsanwaltschaft hin.
 Als neue Haftanordnung, wenn sich die Haftgründe erst nach der
Anklageerhebung ergeben (StPO 229 II, III lit. a)
Anordnung durch das Zwangsmassnahmengericht auf
Antrag des erstinstanzlichen Gerichts hin.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 168
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Übungsfälle
50. Die Polizei wurde von der Verfahrensleitung beauftragt, die
Beschuldigte Sarah vorzuführen. Diese verbarrikadiert sich in ihrem
Haus und weigert sich, die Polizei einzulassen oder das Haus zu
verlassen. Benötigt die Polizei einen Hausdurchsuchungsbefehl, um
die Vorführung durchzusetzen?
51. Der Kaufhausdetektiv James erwischt Danielle beim Diebstahl eines
Computerspiels mit dem Verkaufspreis von CHF 89.90. Darf James
Danielle vorläufig festnehmen, um sie anschliessend der Polizei zu
übergeben?
52. Ist Kollusionsgefahr als Haftgrund bei der Anordnung von
Sicherheitshaft möglich?
53. Der in Untersuchungshaft befindliche Adrian stellt jeden Tag ein
Haftentlassungsgesuch. Müssen die Strafbehörden sich mit jedem
davon befassen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 169
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3. Teil:
Durchsuchungen, Untersuchungen und Beschlagnahme
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 170
Rechtswissenschaftliches Institut
Allgemeines
Durchsuchung
 Räumlichkeiten, bewegliche Sachen, Aufzeichnungen
 Personen an Bekleidung, Körperoberfläche und einsehbare
Körperöffnungen und Körperhöhlen
Untersuchung
 des geistigen Zustands von Personen
 des Körperinneren sowie der nicht einsehbaren Körperöffnungen und
Körperhöhlen von toten oder lebenden Personen
Anordnung grundsätzlich in einem schriftlichen Befehl (StPO 241 I).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 171
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Peter Muster wird auf der Strasse vor dem Warenhaus «Fashion & Fun»
von der Polizei angehalten. Sie kann Muster durchsuchen, um festzustellen,
ob er den als gestohlen gemeldeten Pullover unter dem Regenmantel trägt.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 172
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Hausdurchsuchung
StPO 244 f.
 Mit Einwilligung der berechtigten Person
 Wenn zu vermuten ist, dass in diesen Räumen:
• gesuchte Personen anwesend sind
• Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände oder
Vermögenswerte vorhanden sind
• Straftaten begangen werden.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 173
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Wenn der konkrete Verdacht besteht, dass sich in der Wohnung von Muster
weiteres Diebesgut befindet, kann der Staatsanwalt mittels
Hausdurchsuchungsbefehl eine Durchsuchung der Wohnung anordnen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 174
Rechtswissenschaftliches Institut
Durchsuchung von Aufzeichnungen (1/2)
Voraussetzung der Durchsuchung von Aufzeichnungen:
Vermutung, dass die Aufzeichnungen Informationen enthalten,
welche der Beschlagnahme unterliegen (StPO 246).
Siegelung
Der Inhaber der Aufzeichnungen macht geltend, dass:

Ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht vorliegt

Andere Geheimhaltungsinteressen tangiert werden
Amtliche Verwahrung unter besonderem Verschluss
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 175
Rechtswissenschaftliches Institut
Durchsuchung von Aufzeichnungen (2/2)
Entsiegelungsverfahren
Entsiegelungsgesuch der Strafbehörde innert 20 Tagen
Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts im Vorverfahren, des
Gerichts in übrigen Fällen, über das Geheimhaltungsinteresse des
Inhabers
Kein Entsiegelungsgesuch oder ablehnender Entsiegelungsentscheid
Rückgabe der Aufzeichnungen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 176
Rechtswissenschaftliches Institut
Untersuchung
Untersuchung des körperlichen oder geistigen Zustands bei:

der beschuldigten Person zwecks Feststellung des Sachverhalts und
Feststellung der Schuld- Verhandlungs- und Hafterstehungsfähigkeit

bei anderen Personen entweder freiwillig oder unfreiwillig sofern bei
schweren Delikten gemäss StPO 251 IV unerlässlich
Legalinspektion bei aussergewöhnlichen Todesfällen zwecks Feststellung
von Todesart und Identität des Toten.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 177
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DNA-Untersuchung (1/2)
StPO 255 I: Abnahme von DNA-Proben zwecks Aufklärung von Vergehen
und Verbrechen bei:

der beschuldigten Person

anderen Personen um von ihnen stammendes biologisches Material von
jenem der beschuldigten Person zu unterscheiden

toten Personen

tatrelevantem biologischem Material
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 178
Rechtswissenschaftliches Institut
DNA-Untersuchung (2/2)
Massenuntersuchungen (StPO 256):
DNA-Proben bei einer grösseren Anzahl Personen, welche bestimmte, in
Bezug auf ein Verbrechen festgestellte Merkmale aufweisen
Das Gericht kann die DNA-Erfassung anordnen, bei verurteilten
Personen (StPO 257):

die wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens zu einer
Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden sind

die wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens oder Vergehens
gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität verurteilt
worden sind

gegenüber denen eine therapeutische Massnahme oder die Verwahrung
angeordnet worden ist
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 179
Rechtswissenschaftliches Institut
Erkennungsdienstliche Erfassung, Schrift- und
Sprachproben
StPO 260 ff.
Erkennungsdienstliche Erfassung
Feststellung der äusserlich wahrnehmbaren Körpermerkmale einer Person
Schrift- und Sprachproben
Festhaltung der Schriftführung und Sprechweise einer Person zu
Vergleichszwecken
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 180
Rechtswissenschaftliches Institut
Beschlagnahme (1/2)

Beweismittelbeschlagnahme (StPO 263 I lit. a)

Beschlagnahme zur Sicherstellung von Kosten, Geldstrafen, Bussen und
Entschädigungen (StPO 263 I lit. b, 268)

Beschlagnahme zur Rückgabe an den Geschädigten (StPO 263 I lit. c)

Beschlagnahme zur Einziehung (StPO 263 I lit. d, StGB 69 ff.)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 181
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der bei Peter Muster aufgefundene Pullover ist gemäss StPO 263 I lit. c zu
beschlagnahmen, um ihn an das Warenhaus «Fashion & Fun»
zurückzugeben. Vorausgesetzt ist, dass nachgewiesen werden kann, dass
es sich beim besagten Pullover um Eigentum des Warenhauses handelt,
das Muster unrechtmässig an sich genommen hat.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 182
Rechtswissenschaftliches Institut
Beschlagnahme (2/2)
StPO 264: Einschränkung der Beschlagnahme zwecks Sicherstellung von
Beweismitteln oder der Kosten:

Unterlagen aus dem Verkehr der Verteidigung mit der beschuldigten Person

Persönliche Aufzeichnungen und Korrespondenz

Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit
Zeugnisverweigerungsberechtigten

Seit 1. Mai 2013: Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr einer
anderen Person mit ihrer anwaltlichen Vertretung, sofern diese im gleichen
Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt ist.
StPO 265: Editionspflicht:
Herausgabepflicht des Inhabers von beschlagnahmbaren Objekten
Ausnahme: Die beschuldigte Person, Aussageverweigerungsberechtigte
sowie Unternehmen gemäss StPO 265 II lit. c
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 183
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Wenn Peter Muster einräumt, dass der Pullover dem Warenhaus «Fashion
& Fun» gehört, dann kann der Staatsanwalt den Pullover schon vor
Abschluss der Untersuchung dem Warenhaus aushändigen. Sind die
Eigentumsverhältnisse unklar, so hat das Gericht diese im Rahmen des
Urteils zu klären.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 184
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
54. Im Rahmen einer rechtmässig angeordneten und durchgeführten
Hausdurchsuchung wird eine erhebliche Menge Heroin gefunden.
Die Hausdurchsuchung war ursprünglich angeordnet worden, um
Beweismittel in einem Verfahren wegen Diebstahls zu sichern. Wie
gehen die Strafbehörden vor?
55. Die Strafbehörden wissen, dass der Beschuldigte Johann in der
Garage seines Nachbarn Beweisgegenstände lagert, welche im
Verfahren benötigt werden. Wie gehen die Strafbehörden vor, wenn
sie diese Beweise sicherstellen wollen?
56. Wer ordnet bei Fahrzeuglenkern die Erhebung einer Blutprobe an,
wenn die Vermutung besteht, der Fahrer sei betrunken?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 185
Rechtswissenschaftliches Institut
4. Teil:
Geheime Überwachungsmassnahmen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 186
Rechtswissenschaftliches Institut
Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs
StPO 269 ff.
Voraussetzungen:

Dringender Tatverdacht betreffend eines Delikts gemäss Deliktskatalog
von StPO 269 II

Verhältnismässigkeit: Schwere der Straftat rechtfertigt die Überwachung

Subsidiarität: Bisherige Untersuchungen blieben erfolglos oder die
Ermittlungen würden ansonsten aussichtlos oder unverhältnismässig
erschwert
Die Anordnung bedarf der Genehmigung durch das
Zwangsmassnahmengericht
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 187
Rechtswissenschaftliches Institut
Überwachung mit technischen
Überwachungsgeräten
StPO 280 f.
Voraussetzungen:
StPO 281 IV: Entsprechend der Überwachung des Post- und
Fernmeldeverkehrs
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 188
Rechtswissenschaftliches Institut
Observation
StPO 282 f.
Voraussetzungen:

aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass Verbrechen
oder Vergehen begangen worden sind

und die Ermittlungen sonst aussichtslos wären oder unverhältnismässig
erschwert würden
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 189
Rechtswissenschaftliches Institut
Überwachung von Bankbeziehungen
StPO 284 f.
Überwachung der Beziehung zwischen der beschuldigten Person und einer
Bank oder einem bankähnlichen Institut zwecks Aufklärung von Vergehen
oder Verbrechen.
Anordnung durch das Zwangsmassnahmengerichts auf Antrag der
Staatsanwaltschaft.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 190
Rechtswissenschaftliches Institut
Verdeckte Ermittlung
StPO 285 ff.
Voraussetzungen (StPO 286):

bestehender Verdacht, eine Katalogtat sei begangen worden

Verhältnismässigkeit: Die Schwere der Straftat rechtfertigt die verdeckte
Ermittlung und

Subsidiarität: Die bisherigen Untersuchungshandlungen blieben erfolglos
oder die Ermittlungen wären sonst aussichtslos oder würden
unverhältnismässig erschwert
Anordnung durch die Staatsanwaltschaft und Genehmigung durch das
Zwangsmassnahmengericht (StPO 289).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 191
Rechtswissenschaftliches Institut
Verdeckte Fahndung
StPO 298a ff.
Voraussetzungen (StPO 298b):

bestehender Verdacht, ein Verbrechen oder Vergehen sei begangen
worden oder befinde sich in Ausführung und

Subsidiarität: Die bisherigen Untersuchungshandlungen blieben erfolglos
oder die Ermittlungen wären sonst aussichtslos oder würden
unverhältnismässig erschwert
Anordnung durch die Polizei im Ermittlungsverfahren bzw. die
Staatsanwaltschaft ab Beginn des Untersuchungsverfahrens.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 192
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
57. Gegen August besteht der dringende Verdacht, dass er mehrere
Betrugsdelikte beging. Kann der Fernmeldeanschluss eines nicht
beschuldigten Freundes überwacht werden, wenn die Vermutung
besteht, dass August diesen anrufen wird?
58. Der Wiederholungstäter Ulrich wurde soeben aus dem Strafvollzug
entlassen. Kann die Polizei Ulrich gestützt auf StPO 282 observieren,
wenn die begründete Vermutung besteht, dass Ulrich in Kürze wieder
Straftaten begehen wird?
59. Die Staatsanwaltschaft ordnet aufgrund des Verdachts auf
qualifizierten Drogenhandel eine verdeckte Ermittlung an, ohne beim
Zwangsmassnahmengericht eine Genehmigung einzuholen. Wie sind
die Erkenntnisse, welche während der verdeckten Ermittlung
gewonnen werden zu würdigen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 193
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6. Kapitel:
Vorverfahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 194
Rechtswissenschaftliches Institut
Allgemeine Bestimmungen zum Vorverfahren
Eröffnung des Vorverfahrens:

Durch die Aufnahme der polizeilichen Ermittlungstätigkeit

Durch die Eröffnung einer Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft
Verfolgungszwang der Strafbehörden bei bekannt gewordenen
Straftaten:

Aufgrund eingegangener Strafanzeigen bei Polizei oder
Staatsanwaltschaft

Aufgrund von Wahrnehmungen der Strafbehörden von Straftaten, die sie
bei ihrer amtlichen Tätigkeit festgestellt haben bzw. Anzeige an die
zuständige Strafverfolgungsbehörde
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 195
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im Fall von Peter Muster erfolgt die Strafanzeige durch die Angestellten des
Warenhauses «Fashion & Fun», die die Polizei informieren. Damit ist das
Vorverfahren eröffnet.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 196
Rechtswissenschaftliches Institut
Polizeiliches Ermittlungsverfahren (1/2)
 Unaufschiebbare Sicherungsmassnahmen (StPO 306 II), wie:
• Sicherstellung und Auswertung von Spuren und Beweismitteln
• Ermittlung und Befragung der geschädigten und verdächtigen
Personen
• Anhaltung und vorläufige Festnahme tatverdächtiger Personen (bzw.
die Fahndung nach diesen
 Feststellung, ob ein Offizial- oder Antragsdelikt vorliegt
 Feststellung, ob bei Antragsdelikten ein Strafantrag gestellt wurde
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 197
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Nach Eingang der Strafanzeige durch die Angestellten des Warenhauses
«Fashion & Fun» nimmt die Polizei die Ermittlungen auf. Sie klärt zunächst
den Sachverhalt ab und versucht, die strafrechtlich Verantwortlichen zu
eruieren. Dazu befragt sie zunächst die Angestellten des Warenhauses, hält
Peter Muster vor dem Warenhaus fest und vernimmt ihn anschliessend.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 198
Rechtswissenschaftliches Institut
Polizeiliches Ermittlungsverfahren (2/2)
Informations- und Rapportpflicht zuhanden der Staatsanwaltschaft:
 Information bei schweren Straftaten und anderen schwer wiegenden
Ereignissen (StPO 307 I)
 Übermittlung von Rapporten und Akten an die Staatsanwaltschaft (StPO
307 III)
Ausnahme: Für die Staatsanwaltschaft stehen weitere Verfahrensschritte
ausser Betracht und es fanden keine Zwangsmassnahmen oder
formalisierten Ermittlungshandlungen statt
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 199
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im von der Polizei erstellten Rapport wird festgestellt, dass nach
übereinstimmenden Aussagen der Angestellten Peter Muster einen Pullover
anprobiert und anschliessend das Warenhaus mit einem Regenmantel
bekleidet verlassen hat und dass danach der Pullover vermisst wurde.
Ausserdem wird festgestellt, dass Peter Muster vor dem Warenhaus
angehalten werden konnte und den besagten Pullover unter dem
Regenmantel getragen hat. Weiter wird festgehalten, dass Muster die
Aussage verweigerte. Der Rapport und die Akten werden an die
Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 200
Rechtswissenschaftliches Institut
Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft (1/3)
StPO 309 I: Eröffnung der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung,
wenn (alternativ)
 ein ausreichender Tatverdacht vorliegt
 die Staatsanwaltschaft Zwangsmassnahmen anordnet oder veranlasst
 oder die Polizei die Staatsanwaltschaft bei schweren Delikten gemäss
StPO 307 I orientiert hat
Bei aussichtslosen Anzeigen:
Erledigung mittels Nichtanhandnahmeverfügung (StPO 310)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 201
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Staatsanwalt eröffnet die Untersuchung wegen Diebstahls gegen Peter
Muster, da dieser aufgrund der polizeilichen Akten als Verdächtiger
erscheint und ein ausreichender Tatverdacht vorliegt.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 202
Rechtswissenschaftliches Institut
Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft (2/3)
Sistierung des Verfahrens:

wenn der Täter oder dessen Aufenthalt unbekannt ist oder andere
vorübergehende Verfahrenshindernisse bestehen (StPO 314 lit. a)

der Ausgang des Strafverfahrens von einem anderen Verfahren abhängt und
es angebracht erscheint, dessen Ausgang abzuwarten (StPO 314 lit. b)

ein Vergleichsverfahren hängig ist und es angebracht erscheint, dessen
Ausgang abzuwarten (StPO 314 lit. c)

ein Sachentscheid von der weiteren Entwicklung der Tatfolgen abhängt
(StPO 314 lit. d)

wenn die Anklage oder die Akten mangelhaft sind (StPO 329 II)

wenn das Opfer bei Körperverletzungen unter Ehegatten und Lebenspartnern
damit einverstanden ist (StGB 55a I)

wenn der Exhibitionist sich ärztlich behandeln lässt (StGB 194 II)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 203
Rechtswissenschaftliches Institut
Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft (3/3)
Verfahrenserledigung gemäss StPO 316
 Vergleich: Möglichkeit der Staatsanwaltschaft bei Antragsdelikten die
beschuldigte Person und den Antragssteller zwecks Einigung vorzuladen
Verfahrenseinstellung, wenn der Antragssteller nicht erscheint oder
eine Einigung gelingt
 Wiedergutmachung: Verhandlungen zwischen geschädigter und
beschuldigter Person, wenn die Wiedergutmachung gemäss StGB 53 in
Betracht kommt
Verfahrenseinstellung, wenn die Voraussetzungen von StGB 53
erfüllt werden
Abschluss der Untersuchung (StPO 318 I)
mittels Schlussverfügung oder Strafbefehl
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 204
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Im Rahmen der Schlusseinvernahme bricht Peter Muster angesichts der
erdrückenden Beweislage sein Schweigen. Er gibt zu, dass er den Pullover
mitgenommen hat, macht aber geltend, dass er dies nicht bewusst gemacht
habe. Er habe den Pullover anprobiert und dann nicht mehr daran gedacht,
den Regenmantel angezogen und das Warenhaus verlassen, ohne weiter
an den Pullover zu denken. Deshalb liege mangels Vorsatz kein Diebstahl
vor. Der Staatsanwalt hält Muster vor er sei der Ansicht, dass Muster den
Pullover vorsätzlich mitgenommen habe und deshalb den Tatbestand des
Diebstahls erfüllt habe.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 205
Rechtswissenschaftliches Institut
Einstellung des Verfahrens (1/2)
StPO 319 I: Einstellung des Verfahrens
 Wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a)
 kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b)
 Rechtfertigungsgründe oder Schuldausschlussgründe vorliegen (lit. c)
 Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können oder
Prozesshindernisse aufgetreten sind (lit. d)
 nach gesetzlicher Vorschrift auf Strafverfolgung oder Bestrafung
verzichtet werden kann (lit. e)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 206
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Einstellung des Verfahrens (2/2)
StPO 319 II: Das Verfahren kann zudem eingestellt werden, wenn
(kumulativ)
 das Interesse eines Opfers unter 18 Jahren verlangt zwingend die
Einstellung des Strafverfahrens
 dieses Interesse überwiegt das staatliche Strafverfolgungsinteresse
offensichtlich
 das Opfer oder bei Urteilsunfähigkeit seine gesetzliche Vertretung
stimmen der Einstellung zu
StPO 323: Wiederaufnahme nach der Einstellung eines Verfahrens
Bei Bekanntwerden neuer Beweismittel oder Tatsachen, welche (kumulativ):
 für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschuldigten sprechen
 und sich nicht bereits aus den früheren Akten ergeben.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 207
Rechtswissenschaftliches Institut
Anklageerhebung
StPO 324 ff.
Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage, wenn aufgrund eines hinreichend
erhärteten Tatverdachts eine Verurteilung als wahrscheinlich erachtet wird
und kein Strafbefehl erlassen werden kann.
Inhalt der Anklage:
StPO 325 f.
Wirkung der Anklageerhebung:

Übergang der Verfahrensherrschaft an das Gericht

Beginn des Hauptverfahrens
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 208
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Staatsanwalt erhebt gegen Muster Anklage. Im entsprechenden
Schriftstück umschreibt er den Sachverhalt, der sich im Warenhaus
«Fashion & Fun» zugetragen hat und wirft Muster vor, dass er damit den
Tatbestand des Diebstahls erfüllt habe und deshalb zu bestrafen sei. Er
stellt den Antrag, dass Muster mit einer Geldstrafe in der Höhe von 10
Tagessätzen à CHF 100 zu bestrafen sei.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 209
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Übungsfälle
60. Eine Person wurde auf offener Strasse erschossen. Zuerst trifft die Polizei
am Tatort ein und befragt Passanten, gleichzeitig werden Sachbeweise
gesichert. Die von der Polizei informierte Staatsanwaltschaft trifft wenig
später ebenfalls ein und erteilt der Polizei Weisungen. Wann wurde das
Vorverfahren eingeleitet?
61. Während einer Schulreise überfährt ein Lehrer mit seinem Fahrzeug
einen Schüler und verletzt diesen tödlich. Nachdem eine
Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung eröffnet wurde, möchte die
Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen, weil der Lehrer mit der
Schuld, mit welcher er nun zu leben habe, genug bestraft sei. Ist dies
möglich?
62. Die Staatsanwaltschaft ist im Begriff eine Strafuntersuchung
abzuschliessen, in welchem der beschuldigten Person eine
Vergewaltigung vorgeworfen wird. Der Beschuldigte beharrt darauf, dass
sämtliche Handlungen einvernehmlich waren. Die Staatsanwaltschaft
vermutet, dass der Beschuldigte lügt, ist sich aber unsicher. Wie hat die
Staatsanwaltschaft das Verfahren abzuschliessen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 210
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7. Kapitel:
Erstinstanzliches Hauptverfahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 211
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Rechtshängigkeit und Vorbereitung der
Hauptverhandlung
Eingang der Anklage beim erstinstanzlichen Gericht:
StPO 328:Rechtshängigkeit, Verfahrensherrschaft des Gerichts
Vorprüfung der Anklage (StPO 329):

ob die Anklageschrift und die Akten ordnungsgemäss erstellt sind

ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind

ob Verfahrenshindernisse bestehen
Grundsatz: Immutabilitätsprinzip
Ausnahme: StPO 333
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 212
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Mit Eingang der Anklage gegen Muster beim Einzelrichter wird das
Verfahren rechtshängig, d.h. fortan ist der Einzelrichter für das Verfahren
zuständig.
Das Gericht nimmt eine Vorprüfung der Anklage gegen Muster vor. Es
befindet die Anklage als den Voraussetzungen entsprechend und hält dies
z.B. in einer Aktennotiz formell fest.
Der Einzelrichter setzt den Termin für die Hauptverhandlung fest und teilt
dies den Parteien mittels Vorladung mit.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 213
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Durchführung der Hauptverhandlung (1/2)

Gesetzmässige Zusammensetzung des Gerichts (StPO 335 I)

Anwesenheit der beschuldigten Person, der amtlichen oder notwendigen
Verteidigung gemäss StPO 336

Teilnahme der Staatsanwaltschaft gemäss StPO 337

Persönliches Erscheinen der Privatklägerschaft und von einer
beantragten Einziehung betroffenen Dritten gemäss StPO 338
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 214
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Staatsanwalt muss aufgrund der geringen Strafe und dem Umstand,
dass er seinen Strafantrag schriftlich in der Anklage gestellt hat, nicht an der
Hauptverhandlung teilnehmen.
An der Hauptverhandlung eröffnet der Richter diese, gibt die
Zusammensetzung des Gerichts bekannt und stellt fest, dass die
vorgeladenen Parteien anwesend sind.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 215
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Durchführung der Hauptverhandlung (2/2)
Ablauf der Hauptverhandlung:

Eröffnung

Vor- und Zwischenfragen

Anträge der Staatsanwaltschaft

Beweisverfahren

Parteivorträge

Urteilsberatung und Urteilseröffnung
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 216
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Die Hauptverhandlung gegen Muster wird grundsätzlich nach dem
Mittelbarkeitsprinzip durchgeführt. Es findet somit vor Gericht keine
Beweisabnahme mehr statt; der Richter stützt sich dabei auf die Akten der
Voruntersuchung. Jedoch erfolgt eine Einvernahme von Peter Muster, in der
er zu seiner Person und zum eingeklagten Vorwurf des Diebstahls Stellung
nehmen kann. Muster bleibt bei der Version, die er bereits im Rahmen der
Schlusseinvernahme geäussert hat.
Da der Staatsanwalt im Verfahren gegen Muster nicht anwesend ist, hat er
auch keine Möglichkeit zu einem Parteivortrag. Es plädiert somit einzig der
(Wahl-) Verteidiger von Muster, der geltend macht, Muster habe ohne
Vorsatz gehandelt und sei daher vom Vorwurf des Diebstahls
freizusprechen. In seinem Schlusswort betont Muster, dass er den Pullover
nicht habe an sich nehmen wollen und nach Entdecken der versehentlichen
Wegnahme sofort zurückgebracht hätte.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 217
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Einzelrichter kommt zum Schluss, dass die Beweislage soweit klar ist,
dass eine Verurteilung Musters wegen Diebstahls erfolgen muss.
Angesichts des Verschuldens erachtet er eine Strafe in der Höhe von 20
Tagessätzen (trotz des tieferen Antrags des Staatsanwalts) für
angemessen. Die Höhe des Tagessatzes legt er indes aufgrund der
persönlichen Verhältnisse von Muster bei CHF 50 fest.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 218
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Übungsfälle
63. Bei der Hauptverhandlung fällt ein Richter eines Kollegialgerichts
aus. Welche Konsequenzen hat dieser Vorfall?
64. Kann der Staatsanwalt im Parteivortrag von der rechtlichen
Würdigung des Sachverhalts gemäss Anklageschrift abweichen?
65. Der Verteidiger des Beschuldigten Franz möchte eine Zweiteilung
des Verfahrens gemäss StPO 342. Wann kann er dies beantragen?
66. Das Gericht gibt der Staatsanwaltschaft im Sinne von StPO 333 I
Gelegenheit die Anklage zu ändern. Kann das Gericht der
Staatsanwaltschaft Weisungen erteilen, wie die Anklage zu ändern
ist?
67. Ein Mitglied eines Kollegialgerichts kann sich hinsichtlich der
Urteilsfällung nicht entscheiden. Kann er sich enthalten?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 219
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8. Kapitel: Besondere Verfahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 220
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Strafbefehlsverfahren
 Angebot zur Verfahrenserledigung
 erlassen durch Staatsanwaltschaft
 Voraussetzungen:
• beschuldigte Person hat Sachverhalt eingestanden oder Sachverhalt
ist anderweitig ausreichend geklärt
• beschuldigte Person wird schuldig gesprochen
• eine der folgenden Sanktionen ist ausreichend:
 Busse in unbeschränkter Höhe
 Geldstrafe von max. 180 Tagessätzen
 gemeinnützige Arbeit von max. 720 Stunden
 Freiheitsstrafe von max. 6 Monaten
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 221
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Übertretungsstrafverfahren
• Übertretungsstrafbehörden sind ebenfalls zum Erlass von Strafbefehlen
befugt
• Übertretungsstrafbehörden verfügen über staatsanwaltschaftliche
Befugnisse
• Überweisung an Staatsanwaltschaft bei Verbrechen oder Vergehen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 222
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Einsprache (1/2)
• gegen Strafbefehl
• durch beschuldigte Person, betroffene Dritte, Ober- oder
Generalstaatsanwaltschaft
• innert 10 Tagen
• bewirkt Einleitung des gerichtlichen Verfahrens
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 223
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Einsprache (2/2)
• Staatsanwalt/Übertretungsstrafbehörde hat Untersuchung nachzuholen
• Hält Einsprecher nach abgeschlossenem Beweisverfahren an der
Einsprache fest, hat Staatsanwalt/Übertretungsstrafbehörde folgende
Möglichkeiten:
 am Strafbefehl festhalten und Überweisung an Gericht
 Verfahren einstellen
 neuen, gegenüber dem ersten anders lautenden Strafbefehl erlassen
 Anklage erheben, wenn Voraussetzungen für Strafbefehl nicht mehr
gegeben
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 224
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Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Staatsanwalt erwägt im Verfahren gegen Muster den Erlass eines
Strafbefehls. Die von ihm als angemessen erachtete Strafe würde für ein
solches Vorgehen sprechen. Der Sachverhalt wird allerdings von Muster in
wesentlichen Teilen (subjektiver Tatbestand) bestritten. Der Staatsanwalt
stellt sich die Frage, ob die Beweislage allenfalls als ausreichend geklärt
eingestuft werden kann. Da der Sachverhalt aus seiner Sicht nicht
ausreichend geklärt ist, entscheidet er sich zur Anklageerhebung und
verzichtet damit auf den Erlass eines Strafbefehls.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 225
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
68. In einem Straffall, für welchen Staatsanwältin Meier zuständig ist, hat der
Beschuldigte den Sachverhalt eingestanden. Meier hält eine Geldstrafe
von 120 Tagessätzen für ausreichend. Sie möchte aber, dass der Fall
von einem Gericht beurteilt wird. Kann die Staatsanwältin Anklage
erheben, obwohl die Voraussetzungen für den Erlass eines Strafbefehls
erfüllt wären?
69. Staatsanwalt Huber erlässt gegen den Beschuldigten Müller einen
Strafbefehl. Müller findet die Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu hoch
und erhebt rechtzeitig Einsprache. Darauf veranlasst Staatsanwalt Huber
weitere Beweiserhebungen und Einvernahmen. Es kommen weitere
Taten von Müller ans Licht. Huber erlässt gegen Müller einen neuen
Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen. Darf er das?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 226
Rechtswissenschaftliches Institut
Abgekürztes Verfahren (1/2)
 Möglichkeit der gegenseitigen Absprache
 Voraussetzungen
• Antrag der beschuldigten Person
• Anerkennung Zivilansprüche
• anwaltliche Verteidigung
• Geständnis
• Freiheitsstrafe bis 5 Jahre
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 227
Rechtswissenschaftliches Institut
Abgekürztes Verfahren (2/2)
 Ablauf
• Verhandlungen zwischen Beschuldigtem und Staatsanwalt
• Erstellung Anklageschrift durch Staatsanwalt
• Eröffnung Anklageschrift an Parteien
• Zustimmung zur Anklageschrift durch Parteien
• Übermittlung Anklageschrift an Gericht
• Hauptverfahren mit öffentlicher Hauptverhandlung durch Gericht
• Erhebung Anklageschrift zum Urteil
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 228
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
70. Gegen Silvio wird wegen möglichem qualifizierten Raub ein
Strafverfahren eröffnet. Er beantragt dem Staatsanwalt die Durchführung
des abgekürzten Verfahrens, da er den Sachverhalt eingesteht und die
Zivilforderungen anerkannt. Der Staatsanwalt lehnt dies ohne
Begründung ab. Darf er das? Kann Silvio etwas dagegen tun?
71. Welche Grundsätze des Strafverfahrens spielen beim abgekürzten
Verfahren eine Rolle? Welche Grundsätze sprechen für das abgekürzte
Verfahren, welche dagegen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 229
Rechtswissenschaftliches Institut
Verfahren bei selbständigen nachträglichen
Entscheiden des Gerichts (Nachverfahren)
 Begriff
 Zuständigkeit
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 230
Rechtswissenschaftliches Institut
Verfahren bei Abwesenheit der beschuldigten
Person
Voraussetzungen
 unentschuldigte Abwesenheit der beschuldigten Person anlässlich
einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung trotz ordnungsgemässer
Vorladung
 beschuldigte Person bleibt an erneut angesetzter Hauptverhandlung
unentschuldigt fern
 beschuldigte Person konnte sich zu den Anklagevorwürfen im
Vorverfahren äussern
 Akten- und Beweislage erlaubt eine Verurteilung ohne Anwesenheit
der beschuldigten Person
 beschuldigte Person untersteht dem schweizerischen Strafrecht
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 231
Rechtswissenschaftliches Institut
Selbständige Massnahmeverfahren
Massnahmen können nicht im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens
ausgesprochen werden:
 Verfahren bei einer schuldunfähigen beschuldigten Person
 Selbständiges Einziehungsverfahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 232
Rechtswissenschaftliches Institut
9. Kapitel: Rechtsmittel
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 233
Rechtswissenschaftliches Institut
1. Teil: Begriff und Arten der Rechtsmittel,
Anfechtbare Entscheide, Rechtsmittellegitimation
und - verfahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 234
Rechtswissenschaftliches Institut
Begriff des Rechtsmittels
 Mittel für die Verfahrensbeteiligten, die Aufhebung oder Änderung eines
für sie nachteiligen Entscheids zu verlangen
 Beschwerde (StPO 393 ff.)
 Berufung (StPO 398 ff.)
 Revision (StPO 410 ff.)
 Beschwerde in Strafsachen (BGG 78 ff.)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 235
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Arten der Rechtsmittel
 Ordentliche und ausserordentliche
 Primäre und subsidiäre
 Vollkommene und unvollkommene
 Suspensive und nicht suspensive
 Devolutive und nicht devolutive
 Reformatorische und kassatorische
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 236
Rechtswissenschaftliches Institut
Anfechtbare Entscheide, Rechtsmittellegitimation
 Anfechtungsobjekte: behördliche Verfahrenshandlungen
 Befugnis zur Ergreifung eines Rechtsmittels:
• Staatsanwaltschaft und weitere Behörden (StPO 381, 104 I lit.c)
• Übrige (private) Parteien (StPO 382)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 237
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Rechtsmittelverfahren
 Frist
 Begründung
 Rechtsmittelverzicht/-rückzug
 Aufschiebende Wirkung
 Beweise
 Bindung an Begründung und Anträge der Parteien
 Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius)
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 238
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Übungsfälle
72. Albin wird von der Kantonspolizei Zürich vorläufig festgenommen, weil er
auf frischer Tat ertappt wird als er in ein Haus einbricht. Der zuständige
Staatsanwalt beantragt Untersuchungshaft, welche vom
Zwangsmassnahmengericht angeordnet wird. Kann A etwas dagegen
tun?
73. Der Staatsanwalt eröffnet gegen Albin eine Untersuchung. Kann Albin
dagegen etwas tun?
74. Albin wird vom erstinstanzlichen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von 12
Monaten verurteilt. Beat, der eine Zivilforderung gegen Albin geltend
macht und sich daher am Verfahren als Privatkläger beteiligt, findet, dies
sei viel zu wenig. Seiner Meinung nach müsste Albin für mindestens
doppelt so lange ins Gefängnis. Kann Beat etwas tun?
75. Albin legt gegen das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Berufung ein.
Das Berufungsgericht verurteilt ihn zu einer Freiheitsstrafe von 18
Monaten. Darf es das?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 239
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2. Teil: Rechtsmittel nach der StPO
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 240
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Beschwerde (1/3)
 Anfechtungsobjekte
• Verfügungen und Verfahrenshandlungen von Polizei,
Staatsanwaltschaft und Übertretungsstrafbehörde (StPO 393 I lit. a)
• Verfügungen und Beschlüsse sowie Verfahrenshandlungen der
erstinstanzlichen Gerichte (StPO 393 I lit. b)
• Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts in den in der StPO
vorgesehenen Fällen (StPO 393 I lit. c)
 Beschwerdegründe
• Rechtsverletzungen
• Unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts
• Unangemessenheit des vorinstanzlichen Entscheids
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 241
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Beschwerde (2/3)
 Ausschluss
 Berufung möglich
 von der Staatsanwaltschaft oder Übertretungsstrafbehörde
abgelehnte Beweisanträge im Vorverfahren, die vor dem
erstinstanzlichen Gericht ohne Rechtsnachteil wiederholt werden
können
 gegen Berufungsurteile und Beschwerdeentscheide
 Beschwerdeinstanz
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 242
Rechtswissenschaftliches Institut
Beschwerde (3/3)
 Frist: 10 Tage
 Form: schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz
 keine aufschiebende Wirkung
 devolutiv
 Beschwerdeverfahren grundsätzlich schriftlich
 Entscheid reformatorisch oder kassatorisch
 Strafrechtsbeschwerde ans Bundesgericht gegen Beschwerdeentscheid
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 243
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Der Staatsanwalt erlaubt dem Verteidiger von Muster nicht, diesen an die
Einvernahme zu begleiten, weil er meint, dass ein Verteidiger nur die
Wahrheitsfindung behindere. Muster kann dagegen eine Beschwerde
erheben. Muster ist ausserdem nicht damit einverstanden, dass der
Staatsanwalt sich weigert, einen Passanten, mit dem er vor dem Warenhaus
gesprochen hat, als Zeugen einzuvernehmen. Dagegen ist die Beschwerde
nicht zulässig, da Muster den entsprechenden Antrag in der
Hauptverhandlung wiederholen kann (StPO 394 lit.b).
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 244
Rechtswissenschaftliches Institut
Berufung (1/3)
 Anfechtungsobjekte: erstinstanzliche Urteile von Einzel- und
Kollegialgerichten
 Beschwerdegründe:
• grundsätzlich sämtliche Mängel des vorinstanzlichen Urteils und
Verfahrens
• wenn ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des Verfahrens, nur
Rechtsverletzung und offensichtlich unrichtige Feststellung des
Sachverhalts
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 245
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Gegen das Urteil des Einzelrichters erhebt Peter Muster die Berufung. Er
rügt darin einerseits, dass er verurteilt worden ist, da er nicht vorsätzlich
gehandelt habe, andererseits macht er geltend, dass die Einvernahme des
Passanten als Zeuge auch vom Einzelrichter abgelehnt worden sei.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 246
Rechtswissenschaftliches Institut
Berufung (2/3)
 Berufungsinstanz
 Legitimation
 Verfahren der Berufungseinlegung
• Berufungsanmeldung innert 10 Tagen beim erstinstanzlichen Gericht
durch appellierende Partei
• Begründung des Urteils durch erstinstanzliches Gericht und
Übermittlung an Berufungsgericht
• Berufungserklärung der appellierenden Partei innert 20 Tagen an
Berufungsgericht
 Beschränkung der Berufung auf einzelne Punkte des Urteils
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 247
Rechtswissenschaftliches Institut
Berufung (3/3)
 Anschlussberufung
 aufschiebende Wirkung
 devolutiv
 Unter Umständen zuerst schriftliches Verfahren ob auf die Berufung
überhaupt einzutreten ist
 Berufungsverfahren
 Säumnis
 Entscheid reformatorisch, ausnahmsweise kassatorisch
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 248
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Das Berufungsgericht heisst die Berufung Musters nicht gut, da es die
Schuld Musters als erwiesen erachtet und die Meinung vertritt, dass der
Verzicht auf die Einvernahme des Passanten als Zeugen mangels Relevanz
einer allfälligen Aussage berechtigt war. Das Urteil des Einzelrichters wird
durch dasjenige des Berufungsgerichts ersetzt.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 249
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
76. Das erstinstanzliche Gericht verurteilt Mona zu einer bedingten
Freiheitsstrafe von 12 Monaten wegen einfacher Körperverletzung. Sie
findet dieses Strafmass zu hoch. Welches Rechtsmittel muss sie
erheben und welchen Beschwerdegrund gibt sie an?
77. Nach einer Hausdurchsuchung in Peters Wohnung beschlagnahmt die
Kantonspolizei Zürich ein Küchenmesser. Kann Peter die
Beschlagnahme anfechten?
78. Hans wird vom erstinstanzlichen Gericht zu einer Geldstrafe wegen
Nötigung und Tätlichkeit verurteilt. Er ist mit dem Urteil des Gerichts
nicht ganz einverstanden, erhebt aber keine Berufung. Dann erfährt er,
dass die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung erhoben hat.
Hans will sich nun doch am Verfahren beteiligen. Die 20 Tagesfrist für
seine Berufung ist aber schon abgelaufen. Kann er noch etwas tun?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 250
Rechtswissenschaftliches Institut
Revision (1/3)
 Rechtsmittel zur Wiederaufnahme des Strafverfahrens, wenn nach Eintritt
der formellen Rechtskraft neue Tatsachen und Beweismittel entdeckt
werden
 Anfechtungsobjekte
• erstinstanzliche Urteile
• Berufungsurteile
• Strafbefehle der Staatsanwaltschaft und der
Verwaltungsstrafbehörden
• nachträgliche richterliche Entscheide nach StPO 363 ff.
• Entscheide im selbständigen Massnahmeverfahren nach StPO 372 ff.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 251
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Revision (2/3)
 Revisionsgründe
• absolute und relative
• Neue Tatsachen und Beweismittel
• Widersprechende Strafentscheide
• Einwirkung durch eine Straftat
• Verletzung der EMRK
 Revisionsinstanz
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 252
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Revision (3/3)
 Legitimation
 Revisionsverfahren
• Gesuch
• Vorprüfung: Wiederaufnahme oder nicht?
• Rückweisung an Vorinstanz oder neuer Entscheid der
Berufungsinstanz
 Anfechtung des Revisionsentscheids
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 253
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Übungsfälle
79. Oskar wird von einem erstinstanzlichen Gericht wegen Betrug verurteilt.
Das Gericht stützte sein Urteil insbesondere auf Urkunden, mit Hilfe
denen Oskar seine Opfer getäuscht haben soll. Das Urteil wird
rechtskräftig. Nachträglich stellt sich heraus, dass diese Urkunden
gefälscht waren. Kann Oskar Revision erheben?
80. Emil wird wegen eines Delikts verurteilt. Jahre später erfährt er zufällig,
dass eine Gesetzesänderung in Kraft trat, wonach die von Emil
begangene Tat nun nicht mehr strafbar wäre. Kann Emil Revision
erheben?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 254
Rechtswissenschaftliches Institut
3. Teil: Weitere Rechtsmittel und Rechtsbehelfe
nach Bundesrecht
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 255
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Beschwerde in Strafsachen (1/4)
 Anfechtungsobjekte:
• letztinstanzliche kantonale Strafentscheide
• (erstinstanzliche) Entscheide des Bundesstrafgerichts
 Beschwerdegründe:
• Bundesrecht
• Völkerrecht
• kantonale verfassungsmässige Rechte
• interkantonales Recht
• offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhaltes
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 256
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Nach dem negativen Entscheid des Berufungsgerichts erhebt Muster eine
Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er rügt die Verletzung
von Bundesrecht, indem er geltend macht, dass seine Verurteilung wegen
Diebstahls mangels Vorsatz unzulässig sei.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 257
Rechtswissenschaftliches Institut
Beschwerde in Strafsachen (2/4)
 Anfechtbare Entscheide
•
Vorinstanz
•
Endentscheide
•
Vor- oder Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und den
Ausstand
•
Andere Vor- oder Zwischenentscheide

Beschwerde wegen Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung

Rechtsmittelbehörde: Bundesgericht
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 258
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Beschwerde in Strafsachen (3/4)
 Beschwerdelegitimation: allgemeine Voraussetzungen
• Teilnahme am vorinstanzlichen Verfahren
• rechtlich geschütztes Interesse
 Beschwerdelegitimation: Parteien
• beschuldigte Person
• gesetzliche Vertretung
• Staatsanwaltschaft
• Staatsanwaltschaften des Bundes
• Privatklägerschaft
• beteiligte Bundesverwaltungen
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 259
Rechtswissenschaftliches Institut
Beschwerde in Strafsachen (4/4)
 Frist: 30 Tage
 keine Anschlussbeschwerde
 Rügeprinzip
 Novenverbot
 keine aufschiebende Wirkung
 Verfahren
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 260
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Das Bundesgericht weist Musters Strafrechtsbeschwerde ab. Es sieht
keinen Verstoss gegen Bundesrecht, da es aufgrund der Beweislage eine
Verurteilung Musters wegen Diebstahl als korrekt erachtet.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 261
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
81. Das obere kantonale Gericht (letzte kantonale Instanz) tritt nicht auf eine
Berufung ein, weil sie zu spät erfolgte. Ist der Nichteintretensentscheid
anfechtbar?
82. Fabio findet die Strafzumessung des obersten kantonalen Gerichts zu
hoch. Kann er dies mit der Strafrechtsbeschwerde geltend machen?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 262
Rechtswissenschaftliches Institut
Weitere Rechtsbehelfe des Bundesrechts gegen
Strafentscheide
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 263
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Begnadigung und Amnestie
Begnadigung
Verzicht auf Strafvollzug gegenüber einer einzelnen Person
Amnestie
Verzicht auf Strafvollzug gegenüber einer Mehrheit nicht einzeln
bezeichneter Personen (Massenbegnadigung)
Abolition
Verzicht auf noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Strafverfolgung
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 264
Rechtswissenschaftliches Institut
10. Kapitel: Verfahrenskosten, Entschädigung und
Genugtuung
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 265
Rechtswissenschaftliches Institut
Allgemeine Bestimmungen
 gesetzliche Grundlage
 bei mehreren kostenpflichtigen Personen
 Rückgriff
 Beurteilung im Endentscheid
 Anfechtung
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 266
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Verfahrenskosten
 allgemeine Aufwendungen des Staates
 Auslagen im konkreten Fall
 Berechnung
 Tragung der Kosten durch verurteilte Person
 Tragung der Kosten durch Staat: bei Freispruch oder Einstellung des
Verfahrens
 Tragung der Kosten durch Privatklägerschaft
 Kosten des Rechtsmittelverfahrens
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 267
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung hat Muster die Verfahrenskosten
zu tragen.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 268
Rechtswissenschaftliches Institut
Entschädigung und Genugtuung
 Begriffe
 Ansprüche bei Verurteilung
 Ansprüche bei Einstellung des Verfahrens oder Freispruch
• Entschädigung für Aufwendungen zur Wahrung der Verfahrensrechte
• Entschädigung für wirtschaftliche Einbussen
• Genugtuung
 Herabsetzung oder Verweigerung der Entschädigung oder Genugtuung
 Überhaft
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 269
Rechtswissenschaftliches Institut
Fallbeispiel «Fashion & Fun»
Aufgrund des Prozessausgangs hat Muster weder Anspruch auf einen
Ausgleich des Schadens noch auf eine Genugtuung.
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 270
Rechtswissenschaftliches Institut
Übungsfälle
83. Britta fühlt sich etwas angetrunken und gerät mit dem von ihr gelenkten
Auto mehrmals auf die Gegenfahrbahn. Sie wird von einem Polizisten
kontrolliert. Der gemessene Blutalkoholgehalt weist jedoch einen gerade
noch erlaubten Wert auf. Gegen Britta muss das Verfahren eingestellt
werden. Können ihr die Kosten des Tests auferlegt werden?
84. Gegen Lukas wird ein Verfahren wegen sexuellen Handlungen mit
Kindern erhoben. Der Fall wirft hohe Wellen und wird in den Medien breit
abgehandelt. Lukas wird vom Gericht freigesprochen. Hat er Anspruch
auf Genugtuung?
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 271
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11. Kapitel: Rechtskraft der Strafentscheide
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 272
Rechtswissenschaftliches Institut
Rechtskraft
 Begriff
 Formelle Rechtskraft
 Materielle Rechtskraft
 Auswirkungen der materiellen Rechtskraft
• Verbot der doppelten Strafverfolgung
• Feststellungswirkung
• Bindung an Zivil- und Verwaltungsentscheide
09.06.2015
Strafprozessrecht, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
Seite 273