Der Improvisationsvirtuose Marvin Meinold spielt im Musical

Lokale Kultur
NR. 143, MITTWOCH, 24. JUNI 2015
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NEU IM KINO: Das Drama „Freistatt“
VON TILMANN P. GANGLOFF
¥ Bielefeld. Vor zwei Jahren hat
das ZDF mit dem Film „Und alle haben geschwiegen“ an die
verdrängte Geschichte der
deutschen Heimkinder in den
50er und 60er Jahren erinnert.
Das Drama basierte auf dem
Sachbuch „Schläge im Namen
des Herrn“ von Peter Wensierski. Der Spiegel-Autor inspirierte auch Marc Brummund. Pate für seinen Kinofilm „Freistatt“ war allerdings
Wolfgang Rosenkötter. Er war
ein Zögling der Diakonie Freistatt im niedersächsischen Kreis
Diepholz.
Das kirchliche Fürsorgeheim
galt als eines der härtesten seiner Art: Die oft aus fadenscheinigen Gründen eingelieferten
Jugendlichen mussten bis zur
Erschöpfung Torf stechen und
waren der Willkür ihrer Aufseher ausgeliefert, die mit Pädagogik wenig im Sinn hatten.
Es beginnt mit viel Zeitgefühl und Aufbruchstimmung;
das ändert sich abrupt, als
Wolfgang nach Freistatt kommt,
weil sein gewalttätiger Stiefvater (Uwe Bohm) eifersüchtig die
innige Beziehung zwischen dem
14-Jährigen und seiner Mutter
beenden will.
Allerdings kommt der Junge
vom Regen in die Traufe: Sehr
schnell wird klar, warum die
Zöglinge das Heim als Vorhof
zur Hölle bezeichnen. Erbarmungslos machen sich die Aufseher den Gruppendruck zunutze; Wolfgangs Fluchtversuche haben Abendbrotverbot für
alle zufolge, wofür sich die
Gruppe kollektiv an ihm rächt.
Aber weil er sich auch von mittelalterlichen Bestrafungsmethoden nicht brechen lässt, gewinnt er schließlich doch den
Respekt der Leidensgenossen.
Die Geschichte ist naturgemäß
freudlos, aber der Film ist hervorragend. Neben der ausgezeichneten Bildgestaltung durch
Judith Kaufmann und der vortrefflichen Musik von Anne Nikitin beeindruckt „Freistatt“ vor
allem durch die Führung der
Darsteller: Alexander Held als
schöngeistiger Leiter der Einrichtung, der auch anders kann,
Stephan Grossmann als Sadist,
der seine Wut hemmungslos an
den Jungs auslässt, und Max
Riemelt als sanfter Erzieher, der
hier völlig fehl am Platz wirkt.
Ganz großartig aber sind die
Leistungen der Jugendlichen,
aus denen Louis Hofmann in der
Hauptrolle herausragt. Der 18Jährige hat sein enormes Talent schon als Tom Sawyer in
den Jugendfilmen von Hermine Huntgeburth bewiesen.
INFO
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?RTY UVc Ac`SV Z^ EYVReVc+ „Ich war als Kind schon neugierig und habe vieles ausprobieren wollen“, sagt Marvin Meinold.
´ Der Film läuft heute in der
Kamera, Feilenstr. 4, an und
ist täglich um 15.40 Uhr und
20 Uhr (außer Mo. u. Mi.)
zu sehen.
´ Regisseur Marc Brummund wird am Dienstag 7.
Juli, 19 Uhr, seinen Film in
der Kamera vorstellen.
Brummond und Pastor
Christian Sundermann, Geschäftsführer von „Bethel im
Norden“ und damit zuständig für die Diakonie „Freistatt“, die die Entstehung des
Films unterstützt hat, mit
dem Publikum diskutieren.
´ Reservierungen sind unter
www.kamera-filmkunst.de
und Tel. 6 43 70 möglich.
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Der Improvisationsvirtuose Marvin Meinold spielt im Musical „Cyrano“ im Stadttheater mit
VON ANKE GROENEWOLD
¥ Bielefeld. „Machst du auch
normales Theater?“ Die Frage
amüsiert Marvin Meinold.
Seine Spezialität ist das Improvisationstheater, ein aus
dem Moment geborener, spielerischer und verbaler Trapezakt ohne das Netz einer Textvorlage. Gelernten Schauspielern kann das den Angstschweiß auf die Stirn treiben.
Marvin Meinold dagegen ist
beim spontanen Geschichtenerzählen in seinem Element.
8c`ÅRceZXV ;f_XURcdeV]]Vc+ Louis Hofmann als Wolfgang (l.) und Langston Uibel als Anton.
FOTO: SALZGEBER
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Konzert in der Capella Hospitalis
¥ Bielefeld. Cellosonaten von
Chopin und Prokofjew stehen
heute im Mittelpunkt des Konzerts mit der Pianistin Elena
Kaßmann und der Cellistin
Stella-Lucia Dahlhoff. Das
Konzert beginnt um 20 Uhr in
der Capella Hospitalis, Teutoburger Str. 50. Die aus Bulgarien stammende Pianistin Ele-
FOTO: ANDREAS ZOBE
na Kaßmann lebt seit 2004 in
Bielefeld und hat sich durch
zahlreiche Konzerte in der
Kammermusikszene in OWL
einen Namen gemacht. StellaLucia Dahlhoff ist mehrfache
Bundespreisträgerin des Wettbewerbs „Jugend musiziert” und
Mitglied der Bielefelder Philharmoniker.
Der studierte Bioinformatiker hat seine bereits in einer
schulischen Theater-AG geweckte
Impro-Leidenschaft
zum Beruf gemacht. Mit Sven
Stickling steht er als „Die Stereotypen“ auf der Bühne. Außerdem gehört er zum Ensemble des von Bill Mockridge gegründeten Kölner Improvisationstheaters „Springmaus“.
Was den 29-Jährigen aber
nicht daran hindert, Abstecher
zum klassischen Theater zu machen. Zum Beispiel wird er ab
September als Kadett im Musical „Cyrano“ am Stadttheater
zu sehen sein. Seinen Einstand
hatte er dort 2008 als Statist in
„Ronja Räubertochter“. Sein
Musical-Debüt gab der gebürtige Warsteiner in „City of Angels“. Ist es nicht seltsam für einen Virtuosen des freien Spiels,
nach Vorgabe agieren zu müs-
sen? „Es ist eine Herausforderung“, räumt er ein. Aber letztlich sei beides Theater. „Nur die
Herangehensweise ist unterschiedlich.“ Er lerne am Theater, sich mehr mit den Rollen
zu beschäftigen „und auch mal
ernste Momente mehr auszuspielen“. Das Improtheater sei
witzig, schnell und wortgewandt, „aber manchmal fehlt es
uns an Schauspieltalent, um eine rührende oder traurige Szene zu spielen. Das erwartet unser Komödienpublikum vielleicht nicht, aber es kann einen
Abend auch bereichern.“
Andersherum kann er auch
sein Talent im Theater einbringen. „Bei Proben geht es ja auch
darum, dem Regisseur etwas
anzubieten, und ich habe viele
Ideen – auch viele blöde“, sagt
er lächelnd. Genau das mache
das Improvisieren aus: die Lust,
Dinge auszuprobieren, mutig
und offen zu sein.
Doch auch Spontaneität ist
Arbeit. Routinen schleichen sich
unweigerlich ein. „Als Improspieler muss man aufpassen,
dass man im Kopf frei bleibt und
immer wieder sich selbst und
den anderen überrascht.“ Diese
Spielfreude übertrage sich sofort aufs Publikum.
Meinold und Stickling hatten mit den 2008 gegründeten
„Stereotypen“ von Anfang an
den Ehrgeiz, diese junge Kunstform professionell zu betreiben
und sich ein unverwechselbares
Profil zu erarbeiten. Aus dem
einstigen Spaß neben Schule
und Studium ist ein Beruf geworden. Einer, von dem Mei-
nold mit ansteckendem Enthusiasmus erzählt. Es überrascht
nicht, dass Meinold und Stichling ihr Können auch in Workshops weiter geben. Gebucht
werden sie von Amateurschauspielern und Lehrern, aber auch
von Firmen.
Meinold ist auch als Trainer
für das Leipziger Deutsche Institut für Humor aktiv. „Es geht
darum, Humor in Alltag und
Beruf zu integrieren. Das Thema ist wichtiger, als viele denken. Arbeit und Spaß können
gut zusammen funktionieren“,
erklärt er. „Es gibt niemanden,
der das nicht lernen kann.“ Einzige Voraussetzung sei der Mut,
die eigene Komfortzone zu verlassen. Für Meinold, der mit der
Musicaldarstellerin Alina Meinold eine kleine Tochter hat, ist
INFO
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´ Die „Stereotypen“ treten am
Donnerstag, 25. Juni, 20 Uhr,
in der Komödie am Klosterplatz auf.
´ In die dritte Runde geht
„Leif“ im Rahmen der Reihe
„Freitagnacht“ am Freitag, 26.
Juni, 23 Uhr, im Theater am
Alten Markt. Die Ensemblemitglieder Guido Schikore und
Georg Böhm fordern Marvin
Meinold und Sven Stickling zu
einem humorvollen Kampf auf
Leben und Bühnentod. „Ich
glaube, das wird deshalb so gut,
weil es so schlecht vorbereitet
ist“, sagt Meinold.
´ Als Kadett und Page wird
Meinold in dem Musical „Cyrano“ am Theater auftreten.
Das Theater gewährt Lesern der
Neuen Westfälischen einen exklusiven Einblick in die Generalprobe des Stücks am
Mittwoch, 1. Juli, 19.30 Uhr,
im Stadttheater. Ein Ticket
kostet 15 Euro und ist nur in
den NW-Geschäftsstellen und
auf www.erwin-event.de erhältlich. Telefonische Reservierungen sind nicht möglich.
Besitzern einer NW-Karte wird
die Hälfte des Eintrittspreises
aufs Konto zurückerstattet.
Premiere hat „Cyrano“ am 6.
September.
das Improtheater eine Lebenseinstellung. „Auf der Bühne
versuche ich, aus dem, was da
ist, eine gute Geschichte zu machen. Und wenn man im Leben versucht, aus dem, was da
ist, eine gute Geschichte zu machen, ist das auch nicht so verkehrt.“
Wichtigste Voraussetzung ist
laut Meinold das Positivsein, das
Jasagen. „Wie oft kriegt man
Angebote im Leben und merkt
es nicht. Oder man sagt: Nein,
das habe ich noch nie gemacht
und das werde ich auch nicht
ausprobieren. Man bestellt beim
Chinesen immer das Gleiche
und trifft sich mit den gleichen
Leuten. Da geht viel flöten.“
Die „Stereotypen“ haben jetzt
mit der Komödie am Klosterplatz ein festes Haus. Die Shows
bis nächsten Sommer stehen
fest. Doch für das Duo kann jeder Ort zur Bühne werden. Einmal war es ein schwedisches
Einrichtungshaus. Die beiden
wollten improvisieren, wenn ein
Kunde einen Schrank öffnet.
Nur wollte niemand eine
Schranktür aufmachen, erinnert sich Meinold. „Natürlich
können wir uns verrennen oder
kein schönes Ende finden, aber
das gehört dazu. Wir können das
auch feiern und sagen: Das war
richtig schlecht, und jetzt machen wir etwas Neues. Ich glaube, man scheitert erst dann,
wenn man zu viel Angst vorm
Scheitern hat.“
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Sinfoniekonzert des Universitätsorchesters mit dem „Trio Piast“ im Audimax / Werke von Beethoven und Brahms standen auf dem Programm
VON CLAUDIA VIOTTO
¥ Bielefeld. Für sein Sinfoniekonzert zum Abschluss des
Sommersemesters konnte das
Universitätsorchester als Gastmusiker das Trio Piast aus Korea gewinnen. Eigens für diesen Abend waren die Violinistin Jieun Cho, Cellistin Min-A
Kim und Pianistin Jin Hwa Choi
aus Seoul angereist. Dort unterrichten die drei Künstlerinnen an der Sun-Hwa Arts
School. Vor ein paar Jahren studierten sie noch an der Hochschule für Musik Detmold und
wirkte Min-A Kim im Universitätsorchester mit.
Mit ihr gab es am Montagabend im gut gefüllten Audimax also ein Wiedersehen –
doch spielte Min-A Kim nicht
im Orchester mit, sondern vor
ihm. Das Solistinnen-Trio bot
mit dem Universitätsorchester
unter Leitung von Michael
Hoyer Beethovens Tripelkonzert C-Dur, ein heiter-be-
schwingtes Werk. Das Universitätsorchester legte mit beachtlicher Klangfülle los und führte
das freudig-stolze Hauptthema
ein, das den Allegro-Satz hauptsächlich bestimmt. Die tiefen
Streicher – anziehend homogen – nehmen es auf und entwickeln es weiter. Bald auch die
Solo-Instrumente.
Zuerst hört man Min-A Kim
heraus und vernimmt ihren anmutig-gediegenen, geschlossen
wirkenden Cello-Ton. Dann die
Violinstimme von Jieun Cho in
heller Klangfarbe und bis in
höchste Lagen von einer bestechenden Feinheit und Klarheit. Dem Streicherduo kommen die schwierigsten Passagen zu und es meistert sie souverän. Jin Hwa Choi liefert dazu im träumerisch leicht wirkenden Spiel am Flügel brillante Klänge.
Eng und vertraut wirken die
drei zusammen. Für ihr harmonisches
Zusammenspiel 6ZXV_d Rfd <`cVR R_XVcVZde+ Das Trio Piast (vorne) mit Jieun Cho (Violine), Min-A Kim (Cello) und Jin
wurden sie seit ihrer Gründung Hwa Choi (Flügel) sowie das Universitätsorchester.
FOTO: CLAUDIA VIOTTO
2012 schon durch Preise ausgezeichnet. Das Orchester wirkt
vom Dialog mit dem Trio Piast
inspiriert und passt sich ihm
konzentriert – etwa in der Dynamik – an. Die Abstimmung
zwischen Trio und Orchester
läuft vor allem über Blickkontakte zwischen Jieun Cho und
Michael Hoyer. Nach dem Largo-Satz leitet Kim am Solo-Cello unmittelbar in das Finale
über: ein feuriges „Rondo alla
Polacca“, das tänzerisch daherkommt. Hier steigert sich das
Zusammenspiel von Orchester
und Trio und wird von der
Stimmung zunehmend mitreißend. Enorm schnell spielt hier
das Trio, dass man schon fürchtet, sie würden das Orchester
abhängen.Im Finale erfährtman
viel Klangschönheit des Werks.
Nach kräftigem Applaus
spielt das Trio Piast noch ein gefühlvolles Stück – laut Jieun Cho
„irgendein Liebeslied von Edith
Piaf“ – der Name klingt ähnlich. Im zweiten Teil bringt das
Universitätsorchester Brahms
zweite Sinfonie D-Dur eindrucksvoll zu Gehör. Hierin hat
Brahms sich in einer groß dimensionierten Komposition an
klassischen Vorbildern, insbesondere den späten Sinfonien
Haydns und Beethovens orientiert. Eingängige Melodien
gibt es kaum, an die sich der Hörer halten könnte. So wird man
vom
Universitätsorchester
durch vier Sätze aus vieldeutigen, changierenden Gebilden
geführt. Der Fortgang erscheint
offen, so dass der Hörer in die
Schwebe gerät. Dabei wird er
durch kompositorische Erfindungen und Wohlklang überrascht und findet darin wohl
auch so etwas Gesuchtes wie
„Wahrheit“.
Die Instrumentengruppen
leisten hier Einiges, etwa die
Querflöten, die Oboen, Klarinetten, die Hörner. Und auch
die Streicher – als Hoyer sie zuletzt aufstehen lässt, lodert der
Beifall noch einmal deutlich auf.