Interview mit Frau Schützeberg Anlässlich ihrer Bachelorarbeit über die Bedeutung der Theaterpädagogik interviewte die Mainzer Studentin und ehemalige Schülerin unserer Schule Ayla Adiguzel Frau Schützeberg. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und wird hier nur in Auszügen veröffentlicht. (….) Ayla: Und wie würden Sie die Theater-AG beschreiben, in den Strukturen? Schützeberg: Also, diese Strukturen verändern sich immer wieder, weil das Wesen einer Theater-AG ja vom Schulrhythmus her strukturiert wird, das heißt also, ich hab immer wieder Schüler, die gehen; ich habe Schüler, die nachkommen. Dementsprechend kann man die Struktur nicht beschreiben, aber was über all die Jahre hin bis auf eine kleine Ausnahme gemeinsam war: Es ist eine demokratische Einrichtung, also ich verstehe mich dort als „primus inter pares“, das heißt also, ich stehe zwar letzten Endes an der Spitze, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, aber ich versuche doch letzten Endes, das Geschehen nicht zu dominieren. Ich bin anders als der Lehrer nicht - wie soll ich sagen ? - in einer leitenden Position. Sondern ich bin eher in einer organisierenden Position. Ich lege großen Wert darauf, dass es demokratische Strukturen gibt, das betrifft die Rollenbesetzung, die Stückauswahl. Ich persönlich habe den Weg so beschritten, ich möchte, dass das immer als Gemeinschaftsprojekt gestaltet wird. Ansonsten, Sie hatten nach den Strukturen gefragt, ist es so, dass es eigentlich immer eine intensive Gemeinschaft gibt, ich habe keine Außenseiter in diesen Gruppen, es gibt eigentlich auch keine Grüppchenbildung. (...) Ayla: Dann habe ich noch einmal eine Frage dazu: Sie haben eben gesagt, durch die Lehrerausbildung haben Sie schon sehr viele Kompetenzen mitgebracht, quasi um den Schülern das nahe zu bringen. Wie würden Sie die Pädagogik in der Lehrerausbildung beschreiben, also was ist die Aufgabe der Pädagogik, wenn man Lehrer ist? Also ich meine damit, wenn man zum Beispiel Schülern was beibringen möchte, muss man sie irgendwie dazu bringen, zuzuhören und dann wäre hier das Ziel der Lehrerpädagogik, den Schüler dazu zu bringen, zu sitzen und zuzuhören, damit er was lernt für die Zukunft. Und würden Sie sagen, im Theaterunterricht ist es dann irgendwie anders? (...) Sie haben ja eben von Teambildung gesprochen, dass es da um was anderes geht, als im normalen Unterricht? Schützeberg: (...) Aber die eigentliche Pädagogik jetzt wiederum besteht ja darin, bei mir in der Theater-AG, die Gruppe einfach spielfähig zu machen und zu einem Team zu bilden, denn das ist meine besondere Auffassung, dass eine Theater-AG keine hierarchischen Strukturen haben sollte, deswegen sage ich meinen Schülern auch immer: Es gibt keine Hauptrollen, es gibt nur Rollen mit viel und mit wenig Text, aber nur wenn alle zusammenwirken, können wir ein Stück wirklich gut auf die Bühne bringen. Und das ist mein pädagogischer Ansatz, eine Teambildung zu erzielen – das können Sie natürlich auch in einem normalen Unterricht machen. Da steht das nur nicht so im Vordergrund. (...) Ich bilde ein Team heraus, weil meine Erfahrung ist: Ein Theaterstück ist keine „One-Man-Show“. Das kann nur funktionieren, wenn alle zusammenarbeiten. Selbst diejenigen, die eine klitzekleine Rolle haben, ja selbst derjenige, der für die Requisiten zuständig ist, den man gar nicht sieht, jeder einzelne ist sehr wichtig. Das haben wir auch immer deutlich gemacht, indem auch diese Leute nach der Aufführung auf die Bühne geholt werden, damit auch sie den Applaus abbekommen. Und ansonsten, wenn ich Ihre Frage jetzt noch weiter fasse, es ist sicher auch ein pädagogischer Ansatz, dass die Kinder, die dorthin kommen, (...), dort aufblühen können. Ayla: Auch noch mal, um auf die Pädagogik zurück zu kommen, meine Frage war eben etwas unglücklich formuliert, glaube ich. Ich frage das deswegen, weil Valentin in ihrem Werk geschrieben hat, dass die Pädagogik der Lehrer auf etwas anderes aus ist, als die Pädagogik der Theaterpädagogen. Damit ist gemeint, dass die Pädagogik der Lehrer darauf zielt, dass die Schüler zukunftsorientiert etwas lernen, das heißt, dass es darum geht, dass sie später einmal einen guten Job ergreifen können, im Beruf erfolgreich sind, dass die Pädagogik darauf ausgerichtet ist: Wie bringe ich sie zum Zuhören, wie bring ich sie zum Mitarbeiten, wie bringe ich sie dazu, dass sie was lernen können ? Schützeberg: Also Ihre Frage amüsiert mich, also beziehungsweise amüsiert mich, was Frau Valentin dazu sagt, denn natürlich ist das, was ich in einer Theater-AG mache, sehr wohl zukunftsorientiert, denn ich bilde da überhaupt erst mal eine Persönlichkeit so heran, dass sie der Zukunft gewachsen ist Ayla: Ja, vielleicht sind das verschiedene Themenbereiche, was Zukunftsorientierung anbelangt. Das eine ist quasi auf den Beruf ausgerichtet vielleicht, das andere vielleicht mehr auf die Persönlichkeit. Schützeberg: Ja, das sind Qualifikationen, die im Bereich der Wissensqualifikation liegen. Da werden dann Kompetenzen wie Texte lesen, Schreiben lernen, Rechnen lernen und Grundlagenwissen vermittelt. Während im Theater der Schwerpunkt vielleicht eher darauf liegt, sozusagen seine Persönlichkeitsstruktur zu festigen, Selbstsicherheit aufzubauen, Teamfähigkeit zu entwickeln, das sind aber meines Erachtens, deswegen muss ich mich da amüsiert zeigen, das sind für mich nur zwei Seiten einer Medaille, das macht doch auch jemanden fit für den Arbeitsmarkt oder überhaupt den Zukunftsweg. Ayla: Aber würden Sie zustimmen, wenn ich jetzt quasi sage, die Zukunftsfähigkeit der Persönlichkeit kann man eher im Theaterunterricht als jetzt im normalen Deutsch- oder Reliunterricht? Schützeberg: Ja, da würde ich zustimmen, aber das liegt schon einmal daran, dass eine Theater-AG kleiner ist als eine normale Schulklasse. Ich könnte sicherlich auch in einem guten Religionsunterricht oder in einem guten Deutschunterricht so etwas fördern, aber wenn ich 30 Kinder da sitzen habe und ich muss eine Arbeit schreiben alle paar Wochen, die dann auch bewertet wird, dann ist das ein ganz anderer Rahmen, als in einer Theater-AG, in der vielleicht 15 Leute sind. Das heißt, ich habe ein ganz anderes Betreuungsverhältnis. Dann muss ich keine Noten geben, das ist ja noch mal ein Unterschied zum Theaterspielen im Fach Darstellendes Spiel. In meiner Theater-AG gibt es keine andere Bewertung außer dem Applaus eines Publikums am Ende des Tages. Das heißt, ich kann ganz anders mit meinen Schülern umgehen und deshalb, in dem Punkt würde ich Ihnen Recht geben, ist die TheaterAG sogar besser geeignet, weil das nämlich ein geschützter Raum ist, in dem die Kinder auch mal Mist bauen können und wissen, das wird sich nicht sofort in einer negativen Bewertung ausdrücken. (...) Wenn ich ein persönliches Ziel für mich, also was ich mit meiner Arbeit erreichen möchte, formulieren kann, dann ist es das natürlich, dass Kinder Freude am Theater entwickeln, merken, was in ihnen steckt, und dass ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird und darüber hinaus, dass Schüler mutiger werden und auch Freude am Text entwickeln, erkennen, was in diesen Texten drin steckt (...). Ayla: Also darf ich kurz zusammenfassen, dass bei Ihnen durchaus nicht das Abliefern eines fertigen Stückes im Vordergrund steht, sondern wirklich der Prozess der Kinder und der Teilnehmer. Schützeberg: Für mich, ja. Ich habe das Privileg an dieser Schule, dass ich das auch so machen kann. Ich weiß, es gibt Schulen, die müssen sogar zwei Stücke im Jahr abliefern. Ayla: Okay, und Sie würden das kritisieren? Schützeberg: Ja. Ayla: Weil? Schützeberg: Weil das der einzige Raum ist, wo die Kinder das sein können, was sie sind. Sie müssen keine Rolle spielen, so absurd das klingt, sie stehen auf der Bühne und spielen eine Rolle, aber sie sind ausnahmsweise und meines Erachtens nur dort wirklich sie selbst. Ich habe meine Schüler auf der Theaterbühne häufig parallel auch in meinem Unterricht und sehe den Unterschied. Und das würde sich ändern, wenn das Ganze in einen Mechanismus gepresst würde und wenn am Schluss etwas dastehen müsste. Also, es tut dem Ganzen gut, dass der Druck und die Bewertungsnotwendigkeit heraus genommen ist. Ayla: Also Sie meinen, dass quasi Darstellendes Spiel, was benotet wird und was man dann auch im Zeugnis so wiederfinden würde, dem nicht entsprechen würde, was Sie in Theater gerade machen. Schützeberg: Hätte ich persönlich meine Probleme mit. Wie kann ich von einem Schüler erwarten oder zu ihm sagen: “Sei locker, sei spontan, geh aus dir heraus, sei, wer du bist!”, wenn ich gleichzeitig mein Notenbüchlein in der Hand habe? Ich finde das extrem schwierig. Mir ist natürlich klar, dass ein Musiklehrer, der seine Schüler singen lässt, vor einer ähnlichen Situation steht, aber ich finde das im Theater noch einmal schwieriger, weil man wirklich seine ganze Person dort mit hineinbringt. Man muss den Mut aufbringen, sich lächerlich zu machen, das ist ja auch das Motto meiner speziellen Gruppe: „Jeder hat das Recht, sich lächerlich zu machen!“ Und das praktizieren wir auch! Aber das kann ich nicht, wenn ich mit einem Rotstift in der Hand anschließend gleich notiere: “Das war jetzt aber nicht gut.” (...) Ayla: Und könnten Sie mir kurz ein Beispiel, von einem Schüler, an den sie sich erinnern, dass er eine Entwicklung hatte durch die Theater-AG vielleicht sogar? Schützeberg: Ja, da ist eins, das sehr eindrücklich war, ein Schüler, der in sehr jungen Jahren zu mir kam, (...) und war nicht Herr über seinen Körper, schlaksige Bewegungen, ich glaube 14 Jahre damals, nicht in der Lage, einen Satz geradeaus zu sagen und auch nicht in der Lage, einen Satz irgendwie betont auszusprechen. Wir haben ihn immer wieder, manchmal bis zu einer halben Stunde gequält, bis dass er einen Satz irgendwie in einer bestimmten Art und Weise betonten konnte - er hatte sich überhaupt nicht unter Kontrolle. Und der ist tatsächlich über die Jahre hineingewachsen, wurde immer besser und hat schließlich die Hauptrollen gespielt, hat hier Erfolge gefeiert und ist inzwischen als Theaterregisseur im Ausland tätig. Ayla: Wow, nicht schlecht. (...)
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