Maihingen - einige Bemerkungen zur Orgel in der Klosterkirche (ein Text aus der Homepage von Jan Doležel) Die Orgel in Maihingen, fertiggestellt im Jahre 1737 von Martin Baumeister, gehört zu den wenigen Orgeln, die bis zum heutigen Tag fast ohne Veränderungen geblieben sind. Die Klosterkirche, in der sich die Orgel befindet, wurde nach der josephinischen Reform nicht mehr regelmässig genutzt und so ist ihre ganze Innenaustattung im Grunde unverändert geblieben - so auch die Orgel. Es handelt sich um eine grosse süddeutsche Barockorgel mit einer großen Fülle differenzierter Grundstimmen. Die Intonation der Orgel ist sehr charakteristisch, in dem Instrument selbst sind keine Spuren nach einer Nachintonation bemerkbar. Man muss also annehmen, dass der Klang der Orgel in der Form, wie wir ihn heute kennen, noch am Ende des 18.Jahrhunderts zumindest tolleriert wurde. Disposition: Manual C, D, E-c3 Rückpositiv C, D, E-c3 Pedal C, D, E-a0 Bordon 16´ Principal 8´ Spitzflauten 8´ Quintatön 8´ Gambe 8´ Salecinal 8´ Octava 4´ Quint 3´ Superoctava 2´ Mixtur 1´ 4fach Cymbal 3fach Copel 8´ Flauten 8´ Cythara 8´ Principal 4´ Quint 3´ Gemshorn 2´ Mixtur 1´ 3fach Principalbass 16´ Subbass 16´ Octavbass 8´ Quintbass 6´ Manualschiebekoppel (RP-HW) Pedalventilkoppel (HW-Ped) Martin Baumeister, 1737 Gambenkonsort in der Orgel Das ganz besondere Register der Orgel ist zweifellos die Gambe 8´. Es handelt sich um ein sehr enges, streichendes Register. Dieses Register überrascht vor allem durch seine sehr langsame Ansprache und einem sehr zerbrechlichen Ton. Manche Pfeifen ergeben bei der Ansprache ein charakteristisches Geräusch, das bei neueren Orgeln bei der Intonation sorgfältig beseitigt wird. Spielen wir dieses Register akkordisch in einem langsamen Tempo, entsteht unten in der Kirche ein unglaublich lebendiger Eindruck von einem echten Streichinstrument. Die langsame Ansprache der Pfeifen immitiert eindeutig das natürliche Einschwingen der Saiten und die gelegentlichen Geräusche am Tonanfang klingen wie ein feiner Bogenakzent. Wenn wir zu der Gambe das Salecinal 8´ ziehen, entsteht unten in der Kirche der Eindruck eines echten Gambenkonsorts. Wenn wir dazu noch die Spitzflauten 8´ ziehen, bereichern wir die Gamben um ein Orgel-Continuo. Auf dieser Orgel können wir wahrscheinlich am besten begreifen, wie die Streichregister zu ihrem Namen gekommen sind. Die hohe Schule der Pfeifenansprache Die vielleicht wichtigste Eigenschaft der Orgel in Maihingen ist die Art der Pfeifenansprache. Die einzelnen Register unterscheiden sich beriets deutlich voneinander in der Art, wie ihre Pfeifen überhaupt zum Klingen kommen. Im Prinzip können wir die einzelnen Register nach ihre Anpsachegeschwindigkeit ungefährt folgendermassen anordnen: Copel 8´ Spitzflauten 8´ Flauten 8´ Quintatön 8´ Principal 8´ Salecinal 8´ Gambe 8´ Die gedeckten Pfeifen des Registers Copel 8´ sprechen sehr schnell, mit einem feinen Spucken an. Dagegen brauchen die Pfeifen des Registers Gamba 8´ sehr viel Zeit bis ihr Ton seine definitive Form bekommt. Bei einer Mischung der Register in Grundlage entsteht so bei jedem Ton ein feines crescendo, weil die einzelnen Register unterschiedlich viel Zeit brauchen, um ihren vollen Ton zu entfalten. Das grösste crescendo entsteht also dann, wenn wir alle 8´-Register gleichzeitig spielen. Der Klang der Orgel korrespondiert so mit dem Stil der Messa di voce - also einer Barockpraxis, nach der der Interpret den Anfang des Tones lebendig moduliert. Vor allem beim Gesang und Streichinstrumenten handelt es sich um einen der wichtigsten Parameter bei der authentischen Interpretation alter Musik. Scheinbare Unwollkommenheit als künstlerische Volkommenheit Die Orgel in Maihingen würde sofort ihr Zauber verlieren, wenn wir alle Parameter in ihrem Klang zur absoluten Volkommenheit manipulieren würden. Was aus dem einen Blickwinkel wie Unwolkommenheit aussehen kann, ist aus der künsterischen Perspektive genau das, was ein Orgelklang braucht. Die Pfeifenansprachen in verschiedenen Geschwindigkeiten sind für einen natürlichen Orgelklang sehr wichtig. Im Unterschied zu Digitalinstrumenten können weder eine menschliche Stimme noch herkömmliche Musikinstrumente alle Töne gleich leicht hervorbringen. Um die grossen tiefen Kontrabasssaiten zum Klingen zu bringen, benötigt man zwangsläufig mehr Zeit und Kraft, als für einen Geigenton in der Mittellage. Genauso ist es ganz natürlich, dass die Tasten für die tiefe Töne mehr Kraft für das Niederdrücken und die grosse Pfeifen mehr Zeit benötigen als die der Mittellage. Beim Vortrag jeder Melodie auf einem herkömmlichen Musikinstrument muss der Spieler für verschiedene Töne einen verschiedenen Kraftaufwand leisten. Genauso ist auch die Zeit für das Einschwingen von verschiedenen Töne verschieden und außerdem hat jedes Instrument mehrere verschiedene Farben - je nach dem, ich welcher Lage es gerade klingt. Die scheinbaren Unvolkommenheiten in der Intonation der Orgel in Maihingen gehen also auf die natürlichen Eigenschaften der Musikinstrumente oder des Gesangs zurück. Eine Interpretation aller Musik ist ohne solcher Parameter gar nicht denkbar. Um so bemerkenswerter ist die Tatsache, das die alten Orgelbauern gerade diese - heute übrigends meistens ganz vernachlässigte - Parameter des Orgelklanges bewusst realisiert haben. Eine ewige Inspiration Die Kenntniss der Orgel in Maihingen eröffnet neue Horizonte in der Wahrnehmung des Orgelklanges. Es handelt sich um eine Orgel, die außerordentlich gut erhalten ist und gleichzeitig ist diese Orgel relativ wenig bekannt. Dabei baut mehr als hundert Jahre nach der Fertigstellung dieses Instrumentes E.F.Walcker in Hoffenheim eine Orgel, die in ihrem Klangcharakter sehr auffallend an die Orgel in Maihingen erinnert... Der Weg zum Verständniss der Eigenschaften der Maihinger Orgel gelingtnur durch Spielen und Zuhören. Scheinbare Unvolkommenheiten werden sofort zum Vorteil, die für das Orgelspiel die Wege öffnen, die heute schon längst vergessen sind. Um die Möglichkeiten der Orgel in Maihingen zu beschreiben, bräuchte man eine extra Publikatio. Aus Platzgründen wurden für dieses Kapitel nur einige wichtige Parameter ausgewählt und viele andere mussten bewusst vernachlässigt werden. Wenn aber dieses Kapitel das Interesse zu einem Besuch der Orgel gerweckt hat, ist seine Aufgabe schon erfüllt. Ein wirklich guter Eindruck von dieser Orgel kann nur beim persönlichen Besuch dieser absolut einzigartigen Orgel entstehen. Möge dieses Artikel als Inspiration für einen Orgelbesuch dienen! Lassen Sie sich nicht entgehen: Auf der Homepage von Jan Doležel finden Sie jeden Monat ein Portrait einer interessanten Orgel. Lernen Sie näher kennen, was und warum für einen Organisten an der Orgel wichtig ist! Ihre Ansichten oder Fragen schicken Sie an die Adresse: [email protected] Mehr über die Tätigkeit von Jan Doležel finden Sie auf: www.jandolezel.cz Jan Doležel 2012
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