Wissen in der Regionalzeitung

NEUE LUZERNER ZEITUNG
Forschung
10
Freitag, 12. Februar 2016 / Nr. 35
NEUE ZUGER ZEITUNG
NEUE NIDWALDNER ZEITUNG
NEUE OBWALDNER ZEITUNG
NEUE URNER ZEITUNG
Würmer sollen Allergien
und Krankheiten bekämpfen
GESUNDHEIT Würmer sind
üble Parasiten im Darm des
Menschen. Doch Forscher
infizieren Patienten absichtlich
mit den Schmarotzern. Dies
mit dem Ziel, Allergien und
Immunkrankheiten zu heilen.
CLAUDIA HOFFMANN
[email protected]
Hakenwürmer sind unangenehme
Mitbewohner: Sie beissen sich im Darm
fest, saugen dort Blut und legen bis zu
30 000 Eier pro Tag. Die nur etwa einen
Zentimeter grossen Parasiten sind eine
schlimme Plage in den Tropen, wo mehr
als eine halbe Milliarde Menschen damit
infiziert sind. Bei schwerem Befall
kommt es zu Bauchkrämpfen, Blutarmut
und bei Kindern gar zu Entwicklungsstörungen. Während Hakenwürmer und
andere Parasiten in ärmeren Ländern
häufig vorkommen, sind sie hierzulande
dank Hygiene und guter medizinischer
Versorgung praktisch verschwunden.
Doch seit einigen Jahren erleben Parasiten ein Comeback der anderen Art:
Forscher wollen sie gezielt einsetzen, um
Allergien und Krankheiten wie Asthma,
Multiple Sklerose (MS) oder chronische
Darmentzündungen zu behandeln. Für
alle wird ein gestörtes Immunsystem
MS-Patienten aus
Slumvierteln hatten
einen milderen
Krankheitheitsverlauf
als Patienten aus
reichen Vierteln.
Parasiten sind «alte Freunde»
Hinter dieser absurd anmutenden
Idee steckt die sogenannte Alte-Freunde-Hypothese. Diese besagt, dass der
Mensch während seiner Evolution immer Darmparasiten in sich trug. Diese
entwickelten Strategien, um die Immunabwehr ihres Wirtes gezielt zu dämpfen
und so nicht angegriffen zu werden.
Gleichzeitig passte sich das menschliche
Immunsystem fortlaufend an die Mitbewohner an.
Wenn diese ­– wie heute meistens –
fehlen, ist das Gleichgewicht gestört,
und das Immunsystem läuft aus dem
Ruder. Als Beleg dafür gilt, dass in Industrieländern immer mehr Menschen
unter Allergien und Autoimmunerkrankungen leiden. Hingegen treten diese in
grossen Teilen Afrikas nur sehr selten
auf. Dort also, wo Wurminfektionen weit
verbreitet sind.
Dass Würmer Krankheiten positiv
beeinflussen können, beobachtete der
argentinische Arzt Jorge Correale bereits
vor etwa zehn Jahren. Er untersuchte
MS-Patienten, die aus Slumvierteln
stammten und mit Darmparasiten in-
Raben haben
ein Bewusstsein
VERHALTENSFORSCHUNG dvw.
Raben sind nicht nur intelligent, sie
können sich auch erstaunlich gut in
ihre Artgenossen hineinversetzen.
Das fanden Forschende der Universität Wien heraus. Sie liessen jeweils
einen Raben durch ein Guckloch
beobachten, wie jemand im Nachbarraum Essen versteckte. Anschliessend durfte das Tier selbst Futter
verstecken. Dabei wurden ihm typische Rabengeräusche vorgespielt, die
es von der anderen Seite des Gucklochs hören konnte.
Tatsächlich handelte der Vogel, als
fühlte nun er sich beobachtet: Er
beeilte sich beim Verbergen seiner
Beute und bemühte sich, ein Versteck
nicht zu lange oder zu häufig aufzusuchen. War das Guckloch jedoch zu
und hörte er keine Geräusche, versteckte der Rabe das Futter in aller
Ruhe. Die Tiere seien also in der Lage,
die Perspektive eines Beobachters
einzunehmen, so die Forscher. Diese
Fähigkeit könne darauf hindeuten,
dass auch Raben – genau wie Menschen – ein Bewusstsein haben.
Faulheit für die
Umwelt nutzen
Parasiten als Heilmittel
verantwortlich gemacht. «Würmer könnten helfen, dieses wieder ins Gleichgewicht zu bringen», sagt Cris Constantinescu, Immunologe an der Universität
Nottingham. Er leitet eine aktuelle Studie,
in der MS-Patienten absichtlich mit dem
Hakenwurm Necator americanus infiziert
wurden.
Eine unangenehme Prozedur, denn die
Infektion kann nur über die Haut erfolgen. Dazu bekommen die Patienten ein
Pflaster mit lebenden Hakenwurmlarven
aufgeklebt. Diese bohren sich durch die
Haut und wandern durch die Blutgefässe in die Lunge. Sobald die infizierte
Person hustet, gelangen die Würmer in
den Mund und werden gleich wieder
verschluckt. So erreichen sie schliesslich
den Darm, wo sie bis zu fünf Jahre überleben. Dort sollen sie ihre therapeutische
Wirkung entfalten.
BOTE DER URSCHWEIZ
Hakenwürmer nutzen ihre zahnähnlichen Mundwerkzeuge, um sich
in der Darmwand ihres Wirtes zu verbeissen (200-fache Vergrösserung).
Sciencephoto.com
fiziert waren. Bei ihnen stellte er einen
deutlich milderen Verlauf der Autoimmunerkrankung fest als bei Patienten,
die aus wohlhabenden Stadtvierteln
stammten und parasitenfrei waren.
Ausgehend von dieser Beobachtung,
führten in den folgenden Jahren verschiedene Forschungsgruppen Experimente mit Mäusen durch, die sie gezielt
mit Wurmparasiten infizierten. Dadurch
produzierten die Mäuse unter anderem
mehr entzündungshemmende Botenstoffe und waren vor Allergien, Asthma
und MS geschützt.
Kaum Besserung der Symptome
Doch auf die viel versprechenden
Erfolge folgte die Ernüchterung: «Was
bei Mäusen funktioniert, scheint nicht
unbedingt auf den Menschen zuzutreffen», sagt Friedemann Paul, Neuroimmunologe an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin.
Zwar hatten einige kleinere Studien
zunächst Behandlungserfolge bei verschiedenen Krankheiten gezeigt. Doch
diese liessen sich in besser kontrollierten klinischen Studien mit einer grösseren Anzahl Patienten nicht wiederholen. Etwa in einer Studie aus dem
Jahr 2013 mit 250 Teilnehmern, an der
auch die Uni Zürich beteiligt war. Die
Patienten litten an Morbus Crohn, einer
chronischen Darmentzündung. Sie
schluckten während mehrerer Monate
Eier des Schweinepeitschenwurms. Der
Darmparasit befällt eigentlich Schweine,
hat aber auch beim Menschen einen
Effekt auf das Immunsystem. Dieser liess
sich zwar messen, und die Patienten
verspürten auch weniger Krankheitssymptome. Allerdings wirkte die Wurmbehandlung nicht besser als ein Placebo, das die Kontrollgruppe erhielt.
«Diese Ergebnisse sind enttäuschend», sagt Friedemann Paul, der
Gefährliche
Selbsttherapie
ONLINE-ANGEBOTE ho. Darmparasiten oder deren Eier werden
auch auf einigen Internetseiten angeboten. Jedoch raten Ärzte dringend davon ab, auf eigene Faust
solche Wurmbehandlungen durchzuführen. Medizinische Betreuung
sei unabdingbar, da die Auswirkungen solcher Therapien noch nicht
genügend erforscht sind. Ausserdem
könnten Würmer von unseriösen
Anbietern mit Viren oder anderen
Erregern verseucht sein und gefährliche Krankheiten übertragen.
zurzeit selbst eine klinische Studie mit
etwa 20 MS-Patienten durchführt, um
die Wirksamkeit einer Behandlung mit
dem Schweinepeitschenwurm zu belegen. Paul hat trotz allem noch Hoffnung, dass dies gelingt. «Es ist gut
möglich, dass eine Wurmtherapie bei
bestimmten Krankheiten hilft, bei anderen jedoch nicht.» Bisher wisse man
einfach noch nicht genug, da erst wenige klinische Studien an Menschen
durchgeführt wurden.
Einige Forscher vermuten auch, dass
der Kontakt mit dem Wurm schon stattfinden muss, bevor eine Krankheit überhaupt ausbricht. Oder dass der Schweinepeitschenwurm, der in den meisten
Studien verwendet wurde, nicht besonders gut geeignet sei. Denn der
Mensch ist nicht sein eigentlicher Wirt.
Andere Parasiten könnten hingegen
einen stärkeren Effekt haben.
So zum Beispiel der Hakenwurm, den
derzeit die Forscher um Cris Constantinescu in Nottingham an MS-Patienten
testen. Ob er die Fähigkeit hat, die
Krankheitssymptome zu lindern, wird
sich erst in einigen Monaten zeigen.
Bisher vertragen zumindest alle Probanden die Infektion mit dem Wurm
ohne Nebenwirkungen. Zum Dauermieter soll er dennoch nicht werden:
Nach Abschluss der Studie werden alle
Teilnehmer mit einem Mittel entwurmt.
PSYCHOLOGIE dvw. Der Wille ist da,
aber die Umsetzung klappt nicht:
Mehr als drei Viertel der Schweizer
würden gerne Ökostrom beziehen,
doch nur 20 Prozent der Haushalte
tun dies auch tatsächlich.
Wie sich das ändern lässt, haben
nun Forschende der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
in einem Experiment mit 250 Studenten untersucht. Diese wurden je einem
von drei verschiedenen Stromprodukten zugeteilt: erneuerbare Energien,
Atomstrom oder einem Mix. Um zu
einem anderen Produkt zu wechseln,
mussten die Versuchsteilnehmer aktiv
werden. Ergebnis: 50 Prozent blieben
beim Atomstrom, wenn sie diesen
bereits abonniert hatten. Aber nur 15
Prozent entschieden sich dafür, wenn
sie aktiv wechseln mussten.
Grund dafür sei Bequemlichkeit,
die sich gemäss der Forschenden aber
auch positiv nutzen lasse: Gemeinden
sollten als Standard einen ökologischen Strom anbieten. So muss extra
zum Atomstrom gewechselt werden,
falls gewünscht. Einige Schweizer
Städte wenden diese Strategie bereits
erfolgreich an. In Winterthur beispielsweise konnte der Anteil an
Atomstrom so von 57 auf 48 Prozent
gesenkt werden.
Neue Galaxien
entdeckt
ASTRONOMIE ho. Fast 900 neue
Galaxien hat ein internationales Astronomen-Team erstmals sichtbar gemacht. Die Sternenansammlungen
liegen hinter der Milchstrasse und
waren deshalb von der Erde aus bisher nicht auszumachen. Nun gelang
es den Forschern mit Hilfe des ParkesRadioteleskops in Australien, durch
die Sterne und den Staub der Milchstrasse hindurchzublicken. Die Entdeckung könnte helfen, bisher unerklärte Anziehungskräfte im Universum zu enträtseln, schreiben die
Forscher in einer Mitteilung.
Produktion
Scitec-Media GmbH, Agentur für Wissenschaftsjournalismus
Leitung: Beat Glogger
Verantwortliche Redaktorin: Claudia Hoffmann
[email protected], www.scitec-media.ch