Hier entsteht eine Couch

Solo
Nummer 223 • Samstag, 26. September 2015
V1
Hier entsteht
eine Couch
Am Anfang steht das Leder.
Etwa die Fläche von 24 Fußballfeldern
verarbeitet der Hersteller Walter Knoll
aus Herrenberg (Kreis Böblingen)
jedes Jahr bei der Sofaproduktion. Die
edlen Tierhäute werden in derselben
Halle gelagert, in der sie auch weiterverarbeitet werden.
Foto: factim/granville
Herbstzeit ist Sofazeit. Endlich kann man sich ohne schlechtes Gewissen in die
eigene Komfortzone zurückziehen. Um Bücher zu lesen, Filme zu gucken oder
einfach nichts zu tun. Wir haben für Sie schon mal Platz genommen und erklären,
warum die Couch viel über ihre Zeit und Besitzer verrät. Bei Walter Knoll in
Herrenberg haben wir gelernt, wie ein Sofa entsteht. Wie es mit den Ledern auf
diesem Bild weitergeht, sehen und lesen Sie auf den kommenden Seiten.
¿V2
Der Möbel-Macher
Seelenlandschaft Sofa
Von Lisa Welzhofer
Ein Mann, ein Sofa. Zu Beginn des Films
„Broken Flowers“ macht Don Johnston, die
Hauptfigur, vor allem eines: Er sitzt oder
liegt auf dem Sofa. Mal schläft er auch dort,
mal schaut er fern oder nippt an einem
Champagnerglas. Bill Murray gibt in dem
Jim­Jarmusch­Streifen aus dem Jahr 2005
den betuchten IT­Spezialisten. Der ist eben­
so in die Jahre gekommen wie seine rötlich­
braune Ledercouch. Das Gesicht ein wenig
verknautscht, aber immer noch attraktiv.
Stoisch scheint er das Leben an sich abglei­
ten zu lassen (die Trennung von der Freun­
din, die Nachricht, dass er einen 19­jährigen
Sohn hat). Aber irgendwo unter der Oberflä­
che – man ahnt es – bahnt sich eine Krise an.
Die Wohnlandschaft als Seelenlandschaft. Das war nicht immer so. Bevor es das Sofa
gab (vom Arabischen „suffa“ für Ruhebank),
waren Möbel eine rationale Notwendigkeit.
Sie hatten einen Zweck und halfen den Men­
schen beim Überleben: Am Tisch wurde ge­
gessen, im Bett geschlafen und Kinder ge­
zeugt. Auf dem Stuhl saß man, zum Beispiel
an der Nähmaschine. Sich tagsüber auszu­
ruhen, zu chillen, wie es heute heißt, dazu
hatte der gemeine Mensch weder die Zeit –
noch die göttliche Erlaubnis . Es waren dann ein paar faule Adlige, die
sich als Erste einen gepolsterten Hocker vor
ihren Sessel schieben ließen, um die Füße
hochzulegen. Der Vorläufer der Chaise­
longue (franz. langer Stuhl) war erfunden.
Hier ließ sich ein allzu üppiges Mahl verdau­
en. Hier konnte man ruhen, lesen, träumen,
einfach nichts tun und sich des eigenen,
komfortablen Lebens erfreuen. Wenn man es
so will, ist die Geschichte des Sofas also auch
die Möbel gewordene Historie des Hedonis­
mus und Müßiggangs. Vom Privileg weniger
zum Lebensgefühl der Masse. Im 19. Jahrhundert entdeckte das erstar­
kende Bürgertum die neue Sitz­ und Liege­
gelegenheit für sich. Während die Heim­
arbeiter in einem Raum lebten und racker­
ten, legte der selbstbewusste Bürger Wert
auf die Trennung von Arbeit und Wohnen.
„Bürgerliche Wohnungen waren viel diffe­
renzierter. Sie umfassten neben Küche,
Wohn­ und Schlafzimmer häufig auch Kin­
der­, Herren­ und Damenzimmer sowie
einen Salon“, schreibt der Historiker Peter
Steinbach. Das Wohnzimmer war der Mit­
telpunkt des Familienlebens. Hier kamen sie
alle zusammen: die Großeltern, Eltern, Kin­
der, der Hund – bisweilen auch das Dienst­
mädchen. Hier wurde gelesen, musiziert, ge­
stickt, gelebt. Auf dem Sofa, das mittlerwei­
le mit Rückenlehne und Sprungfedern schon
so aussah wie heute noch, wurde sozusagen
die bürgerliche Familie erfunden. Bis ins 20. Jahrhundert hinein blieb es ein
Luxusgut. Wer es sich leisten konnte, wollte
es herzeigen. Er stellte das Sofa in die gute
Stube und empfing darauf seine Gäste zu be­
sonderen Anlässen. Man trank Tee, führte
ein gepflegtes Gespräch. Danach schlossen
sich die Stubentüren wieder. Später dann,
als der Fernseher die Menschen längst täg­
lich auf die Polster zwang, schützten die es
mit durchsichtigen Schonbezügen aus Plas­
tik. Das Möbel wurde auch behäkelt und be­
stickt, schamponiert und gebürstet, mit
Spitzendeckchen, selbst gemachten Puppen
und Teddybären beladen. Wer den Begriff Polstergarnitur
hört, denkt sofort an die
Wirtschaftswunderjahre der BRD
Es liegt vielleicht an dieser emotionalen
Bindung des Menschen zu seinem bequemen
Begleiter, dass das Sofa auf so viele unter­
schiedliche Namen hört. Ein Tisch ist ein
Tisch ist ein Tisch. Aber die Nachfolger der
blaublütigen Behelfskonstruktion haben
durch die Zeitläufte hindurch viele Bezeich­
nungen gesammelt. Die Franzosen brachten
das arabische Wort Diwan nach Deutsch­
land, das ein niedriges Polstermöbel in einer
osmanischen Amtsstube bezeichnete. Noch
in den 20er und 30er Jahren saß man in Süd­
deutschland auf einem Kanapee – ebenfalls
eine Erinnerung an die französische Zeit. Wer heute das Wort „Ohnmachtscouch“
hört, denkt an ein blasses Fräulein in zu en­
gem Mieder. Die Polstergarnitur wiederum –
bestehend aus einem Dreisitzer und zwei
Sesseln – entführt in die Wirtschaftswun­
derjahre der BRD. Damals zog man sich nach
der Essenseinladung mit Freunden zum ge­
mütlichen Teil des Abends ins Wohnzimmer
zurück. Auf dem Couchtisch eine Rauchgar­
nitur mit Zigarettenauswahl für die Gäste.
Und wer das Wort Sofalandschaft hört,
denkt vielleicht an die 90er Jahre, in denen
alles möglichst groß sein musste: Das Haus.
Das Auto. Das Boot. Das Sofa.
Auch heute noch lässt sich von einem Pols­
termöbel ganz gut auf dessen Besitzer
schließen. Zwischen den blau­lila Plüsch­
sofagebirgen der Hartz­IV­Familien in der
Doku­Hölle von RTL 2 und dem Le­Corbu­
sier­Klassiker in der Halbhöhenwohnung
eines Gutverdienerpaares entspannt sich die
ganze Auswahl der Sofas und sozialen
Schichten. Film und Fernsehen haben die heimische
Komfortzone deshalb schon lange als Stil­
mittel erkannt. Nicht nur Bill Murray in
„Broken Flowers“ muss auf die Couch. Häu­
fig illustriert das Sofa den Zustand einer Be­
ziehung. Auf ihm nähern sich die Protago­
nisten schüchtern an, fallen leidenschaftlich
übereinander her oder sitzen schweigend
vor der Glotze, jeder in seiner Ecke. Mit dem Verlierer­Proll Al Bundy und sei­
ner „schrecklich netten Familie“ aus der
gleichnamigen US­Sitcom wollte wohl kei­
ner gern auf der braun­gelb geblümten
Couch sitzen.
E Fortsetzung auf Seite V2
Foto: factum/Granville
Die Couch ist wie kein anderes Möbel auch Ausdruck ihrer Zeit und der Menschen darauf
Kunden rät er beim Sofa­Kauf nur auf
eines zu achten: Dass sie sich auf dem Mö­
bel wohlfühlen. Markus Benz (54) muss es
wissen. Er ist Sohn des Nagolder Möbel­
pioniers Rolf Benz und leitet seit 1993 den
Hersteller Walter Knoll. Ein Gespräch.
¿V3
Eine kleine Sitzordnung
Chaiselongue, Récamiere, Ottomane, Di­
wan, Kanapee – der gemütliche Begleiter
des Menschen hört auf viele Namen. Wir
erklären, was hinter welcher Bezeichnung
steckt.
¿V4
Mitmachen und gewinnen
Auf unserer Unterhaltungsseite gibt es in
der Rubrik „Landsleute“ wieder einen
attraktiven Preis zu gewinnen. Wir ver­
losen einen Einkaufsgutschein im Wert
von 100 Euro. V2
Nummer 223 • Samstag, 26. September 2015
Solo
Welcher
Couch-Typ
sind Sie?
Von Lisa Welzhofer
Bevorzugen Sie im Wohnzimmer die klas­
sische Schönheit, oder muss es vor allem
bequem sein? Finden Sie es heraus in unse­
rem nicht ganz ernst gemeinten Test. Der
Antwort­Buchstabe, den Sie am häufigs­
ten wählen, führt zu Ihrem Typ:
Wie nennen Sie Ihre Sitzgelegenheit?
A LC2, Loveseat, Lounge Chair, Swan
Couch, Scandinavian Teak – je nach
dem, was meine Innenarchitektin empfohlen hat.
B Unser Sofa ist wie ein Familienmitglied,
deshalb nennen wir es Emma.
C Sofa, Kanapee.
D Diwan der Schreckliche.
Was tun Sie bevorzugt auf dem Sofa?
A Ich lese „Die Zeit“ oder arbeite am
Vor der Verarbeitung wird das Leder auf
Schäden und unschöne Stellen geprüft.
Durch die Lupe sieht der Mitarbeiter den
feinen Unterschied.
Welche Haltung nehmen Sie ein?
A Eigentlich sitze ich nie lang auf dem So­
Was steht noch in Ihrem Wohnzimmer?
A Bauhaus­Leuchte von Wilhelm Wagen­
feld, Tisch von Eileen Gray.
B Filzhocker, Gründerzeitbüfett von mei­
ner Großmutter, Holzschaukelpferd.
C Flachbildfernseher (27 Zoll), Glasvitri­
ne mit Sammeltassen, Zimmerpalme.
D Bücherregale und ­stapel.
Wer sitzt neben Ihnen?
A Niemand, ich bin ein Elite­Partner.
B Luis, Maxi und Sophie. Und mein Mann
Thomas natürlich.
C Die Frau sitzt lieber in der Küche und
liest Zeitschriften.
D Mein Über­Ich.
Das Sofa ist für mich . . .?
A . . . ein Statussymbol.
B . . . Familienglück.
C . . . hä? Ein Sofa halt.
D . . . der bessere Mensch. „Wir verkaufen Hoffnung“
Markus Benz ist Chef des Sofa-Herstellers Walter Knoll und erklärt, warum ein gutes Sofa überall auf der Welt funktioniert
Kunden rät er beim Sofa-Kauf nur auf
eines zu achten: Dass sie sich auf dem
Möbel wohlfühlen. Markus Benz (54)
muss es wissen. Er ist Sohn des Nagolder
Möbelpioniers Rolf Benz und leitet seit
1993 den Herrenberger PolstermöbelHersteller Walter Knoll. Ein Gespräch.
Von Lisa Welzhofer
Herr Benz, was unterscheidet ein Sofa von
anderen Sitzmöbeln wie Sessel oder Stuhl?
Auf dem Sofa schläft man besser (lacht).
Aber ernsthaft: Das Sofa hat sich im Lauf
seiner Geschichte zu einem Möbel entwi­
ckelt, auf dem man gern allein ist, sich aber
auch gern mit Freunden trifft, also das Leben
zelebriert. Ein Sofa ist lässig und repräsen­
tativ zugleich. dene Funktionen. Bei kleineren Modellen
kann man zum Beispiel mit flexiblen Kissen
arbeiten oder mit drehbaren Elementen. Es
gilt: Je mehr man investiert, umso mehr
Komfort bekommt man. Walter Knoll, Sohn des Firmengründers Wilhelm Knoll, hat in Stuttgart in den 20er Jahren
im Sinne der Bauhaus-Schule Polstermöbel
entwickelt, die leicht und seriell herstellbar
waren – und somit für möglichst viele erschwinglich. Heute können sich die wenigsten
Walter-Knoll-Sofas leisten, die preislich bei
mehreren Tausend Euro anfangen.
Wenn man es genau betrachtet, hat das Bau­
haus das Ziel, Möbel für alle zu bauen, nie
erreicht. Es hat uns aber etwas anderes ge­
schenkt: Eine seit 90 Jahren gültige Ästhetik
– den Minimalismus, die Mischung zwischen
Handwerk und industrieller Fertigung und
Materialien, die bleiben. Diese Werte funk­
tionieren übrigens in jeder Kultur. Foto: Ikea
Typ A – Der Designklassiker: Sie haben Er­
Das hört sich nach einer großen Herausforderung für Hersteller und Designer an?
folg, sind aber leider ein bisschen einfalls­
los. Deshalb wählen Sie einen der Klassi­
ker der Sofa­Geschichte, mit denen man
in Ihren Kreisen nichts falsch machen
kann: zum Beispiel den Le­Corbusier­
Dauerbrenner aus schwarzem Leder und
Stahlrohr. Der erinnert Sie an die An­
waltskanzleien und Hotels, in denen Sie
sich ohnehin öfter aufhalten als im eige­
nen Wohnzimmer. Das macht aber nichts,
wenn Sie Anlehnung brauchen, kuscheln
Sie sich auf die Plüschcouch Ihrer Oma in
Unterwiesenbach. Für mich sind Sofas weniger Designobjekte.
Sie sind architektonische Elemente im
Raum, sie strukturieren ihn, gliedern ihn
nach harten und weichen Zonen. Ihren per­
sönlichen Lebensstil drücken die Menschen
eher mit dem aus, was um das Sofa herum
steht. Mit Sesseln, mit Tischen, mit Acces­
soires. Das Sofa an sich ist zurückhaltender.
Das war in den 80er und 90er Jahren noch
anders. Da wurde das Sofa expressiv gestal­
tet. Typ B – Die Wohnlandschaft: Sie waren mal
Ich sage immer: Wir verkaufen ein Stück
Hoffnung, aber die Erfüllung der Hoffnung
gehört nicht zu unserer Gewährleistung. Die
Hoffnungen der Menschen, was sie auf dem
Sofa tun oder erleben werden, sind sehr viel­
fältig. Der eine will repräsentieren, der an­
dere es sich gemütlich machen. Und wer will,
kann darauf auch arbeiten. Größere Sofas
bieten verschiedene Bereiche für verschie­
Was ist heutzutage die wichtigste Aufgabe
eines Sofas?
Was meinen Sie damit?
Ich reise oft zu den Urvölkern in Afrika,
Südamerika, Australien. Sie alle verbindet
eine gemeinsame Philosophie. Zum Beispiel:
„Mir wurde etwas gegeben, und das will ich
weitergeben.“ Traditionen zu pflegen ist
auch mein persönlicher Maßstab. Dazu
kommt, dass handwerkliche Exzellenz und
gute Materialien in jeder Zeit und Kultur ge­
achtet werden, außerdem Formen, die einen
emotional ansprechen. Die Deutschen allerdings importieren immer
mehr Billigsofas aus Fernost. Zählen Ihre Werte hier nichts mehr?
Es gibt viele Menschen in Deutschland, die
die Wahlmöglichkeit haben, wofür sie ihr
Geld ausgeben. Das ist eben eine Frage der
Prioritäten. Menschen allerdings, die weni­
ger Geld haben, haben heute das Glück,
günstig ein relativ gutes Produkt zu erhal­
ten. Sie bekommen heute viel mehr für ihr
Geld durch diese offene Welt. Man kann sich
im Grunde auf jedem Niveau ordentlich ein­
richten. ein ziemlich wildes Mädchen auf den
durchgeräucherten Sofas diverser Stu­
dentenbuden. Aber dann kamen Thomas
und die drei Kinder und die Eigentums­
wohnung mit Gartenanteil. Seither sind
Sie damit beschäftigt, Ihren Lieben ein
möglichst gemütliches Heim zu bereiten,
zu dem auch eine im Design schlichte, aber
sehr große Sofalandschaft mit Stoffbezug
gehört. Hier leben Sie Ihr persönliches
Glück, hier hat die böse, unkontrollierte
Welt mit ihren vielen Problemen Platzver­
bot. Und manchmal, kurz nach dem Sonn­
tags­„Tatort“, schlägt auf der Couch das
wilde Mädchen noch mal durch.
Seelenlandschaft Sofa
Typ C – Das Polstermöbel: Über Ihr Sofa
Fortsetzung von V1
machen Sie sich genauso wenig Gedanken
wie über Ihre Garderobe oder das Weih­
nachtsgeschenk Ihrer Frau. Möglichst
bequem muss es sein, vor allem aber lang­
lebig. Billigware (Foto: Hersteller) kommt
Ihnen deshalb ebenso wenig ins Wohnzim­
mer wie überteuerter Design­Firlefanz
mit USB­Anschlüssen. Sie gehen ins Mö­
belfachgeschäft Ihres Vertrauens. Auch
die Nutzung ist traditionell: Auf dem Sofa
machen Sie ein Nickerchen oder ärgern
sich über schlechte Fußballspieler oder
Politiker im Fernseher. Typ D: Die Denker-Couch: Früher gab es in
Ihrem Wohnzimmer nur Bücherstapel und
eine alte Matratze auf dem Boden, aber
mit den Jahren kam der schmale
Leder­Diwan dazu, der mittlerweile auch
schon wieder ziemlich abgewetzt ist. Hier
haben Sie befruchtende Gespräche mit
einem guten Freund, viel Rotwein und Zi­
garetten geführt, hier haben Sie allerdings
auch einen ziemlichen Weltschmerz ent­
wickelt. Am liebsten liegen Sie deshalb
mittlerweile auf der Couch Ihres Psycho­
analytikers. Zwischen die Freunde aus der US­Serie
„Friends“ auf ihrem Kneipensofa hingegen
hätten sich viele Fans gern gequetscht. Das Sofa ist immer dann das Möbel der
Wahl, wenn eine intime Bühne benötigt
wird. Moderator Michel Friedman rückte in
seiner Talkshow Gesprächspartnern auf
einem gebogenen roten Polstermöbel auf die
Pelle. Sein Kollege Thomas Gottschalk war
auf der beigen „Wetten, dass . .?“­Couch auf
Du und Du mit den Stars – und blieb ihnen
dennoch seltsam fern. Auch Politiker nutzen das Sitzmöbel,
wenn sie den Menschen in sich rauskehren
wollen. US­Präsident George W. Bush ku­
schelte wie ein kleiner Bub mit seinem Hund
Miss Beazley auf dem berühmten Sofa des
Oval Office im Weißen Haus. Sein Nachfol­
ger Barack Obama gibt darauf gern mit Frau
und Töchtern den lockeren, modernen Fami­
lienvater. Auch Kanzlerin Angela Merkel saß
mit ihrem britischen Kollegen David Came­
ron mal auf dem gelben Zweisitzer in dessen
Wohnküche in der Downing Street. Danach
allerdings sprach niemand über die Politik,
die darauf gemacht wurde, sondern über die
Frage, ob das Teil von einem schwedischen
Billig­Möbelhersteller stammt oder nicht. Im Privaten hat das Sofa allerdings seinen
Status als Ort der Repräsentation und des
Gesprächs mit Freunden und Fremden ein­
gebüßt. Ausgerechnet das frühere Schmud­
delkind der bürgerlichen Wohnung, die
Küche, hat ihm den Rang als Statussymbol
abgelaufen. „Das Sofa ist heute ein rein pri­
vater Rückzugsraum. Mit Gästen sitzt man
lieber am Esstisch in der offenen Küche, auf
Stühlen, die wie bequeme Sessel sind“, sagt
Ursula Geismann, Trend­ und Designexper­
Warum produziert Ihr Unternehmen seit 150
Jahren ausschließlich in Deutschland?
Also wird es kein Walter-Knoll-Sofa aus dem
3-D-Drucker geben?
Es gibt einen weltweiten Markt für hoch­
wertige Produkte wie unsere, zunehmend
zum Beispiel in Asien, aber auch in den USA,
in Australien, dem Nahen und Mittleren
Osten. Diesen Markt wollen wir beliefern –
und zwar mit Qualität aus dieser Region.
Das nennt sich „Cluster supply chain“: Klei­
nere und mittlere Unternehmen arbeiten zu­
sammen, um ein perfektes Ergebnis zu errei­
chen. Wir haben auch Partner in Italien, aber
die meisten sitzen in der Region und
Deutschland. Wir liefern eine wirtschaft­
lich­kulturelle Leistung. Für mich heißt das
auch, dass eine gute Ausbildung die Grund­
lage jeglichen Handelns sein muss. Das käme auf den Drucker an, das heißt auf
die geistige Leistung, die dahintersteckt. Es
müsste ein sehr besonderer sein, denn für
Mittelmäßigkeit sind wir nicht zuständig. Wie bilden Sie aus?
Wie? Ist ein Walter-Knoll-Sofa etwa doch nicht
perfekt?
Die Grundausbildung zum Raumausstatter
beträgt drei Jahre. Danach spezialisieren
sich die Mitarbeiter zum Beispiel als Polste­
rer oder Näherin. Es dauert weitere sieben
bis zehn Jahre, bis sie ihr Handwerk meister­
lich beherrschen. Die Fähigkeiten und Fer­
tigkeiten hängen direkt an den Menschen,
Technologien kommen und gehen. Zur Person
Markus Benz
¡ 1961 wird Markus
Benz als ältester
Sohn von Rolf Benz
geboren, dem Gründer der Möbelmarke
Rolf Benz.
¡ 1993 steigt die Familie Benz beim einstigen Konkurrenten
Walter Knoll in Herrenberg ein. Der studierte Jurist Markus
Benz ist seither Geschäftsführer. Er ist
verheiratet und hat zwei Kinder. (wel)
Foto: factum/Granville
fa, mein LC2 von Le Corbusier ist ein­
fach zu unbequem. Falls doch: Aufrecht,
keinesfalls will ich faul wirken.
B Auf dem Sofa fühle ich mich wie die Kat­
zenmami mit ihren Jungen im Körbchen. C Ich kann in jeder Haltung dösen.
D Liegend mit Blick zur Decke (schlafen
kann ich schon seit Jahren nicht mehr).
Wenn ich weinen muss, in Embryostel­ lung.
Foto: factum/Granville
Macbook Air.
B Tagsüber toben die Kinder drauf,
abends kuschelt hier die Familie.
C Ich lassen den Herrgott einen guten
Mann sein und/oder gucke fern.
D Zu Hause lese ich Jean­Paul Sartre. In
der Praxis meines Psychoanalytikers
kann ich darauf wunderbar monologi–
sieren.
tin des Verbandes der Deutschen Möbel­
industrie. Angefangen habe diese Entwick­
lung auf den Wohnlandschaften der 90er
Jahre. „Sofas hatten teilweise eine Sitztiefe
von 1,40 Metern, sie waren also wie ein klei­
nes Doppelbett. Auf denen konnte man nur
noch liegen“, sagt Geismann. Die Fachfrau kann viele interessante Din­
ge über die Deutschen und das Sitzmöbel
erzählen. Zum Beispiel, dass das durch­
schnittliche Sofa acht bis zwölf Jahre im
Wohnzimmer steht. Oder dass die Deutschen
Billigware aus China importieren und die
Chinesen die hochpreisigen Edelcouchen
deutscher Hersteller. Dass Frauen züchtig
auf den Kissen sitzen und Männer eher in
Lümmelposition. Und wer hätte gedacht,
dass die Emanzipation der Frau auch das
Ende der klassischen Polstergarnitur mit
Dreisitzer und zwei Sesseln eingeleitet hat.
„Der Mann braucht keinen Thron mehr“,
sagt Geismann. Er sitzt jetzt gleichberech­
tigt mit Frau und Kindern auf der Couch.
Das Sofa ist heute Teil der Wohnkultur der
sogenannten Neo­Biedermeier, sagt Geis­
mann. Sie meint damit eine Generation, die
Wie wird für Sie das Sofa der Zukunft aussehen?
Früher gab es klare Regeln, wie man zu leben
hatte, wenn man Wert auf Design legte: die
und die Möbel, die und die Accessoires. Heu­
te kann man viele Stile miteinander kombi­
nieren. Und Schönheit darf auch einen
Makel haben. Das ist eines der Themen, die
mich interessieren: Das Unperfekte im Per­
fekten.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir fertigen heu­
te Stühlen mit losen Bezügen. Das dient der
Bequemlichkeit. Und deshalb darf die Linie
der Kante eben auch mal verrutschen. Oder
ein Material darf seine Unebenheiten haben.
In früheren Kollektionen hätte es das nicht
gegeben, die Naht musste perfekt auf der
Kante sitzen. Aber das ist die neue Design­
sprache. Etwas ist attraktiv, gerade weil es
nicht perfekt ist. Vielleicht haben wir des­
halb auch so einen großen Retro­Trend. Da­
mals waren die Dinge oft noch nicht alle bis
zu Ende gedacht, es gab Brüche. Und das
macht den Reiz aus. Aber weil Sie nach der
Zukunft fragen: Ich glaube, die Menschen
werden immer einen Ort suchen, an dem sie
sich geborgen fühlen.
Was machen Sie daheim auf dem Sofa?
Morgens bearbeite ich dort meine Mails. Da­
bei will ich es gemütlich haben und mich gut
fühlen. Dann kann ich diese Arbeit ganz ent­
spannt erledigen, das geht im Unternehmen
einfach nicht. Abends liebe ich es dann, mit
einem Glas Wein in das Sofa hineinzusinken,
zu entspannen, zu lesen, fernzusehen. Aber
natürlich halte ich dort auch hin und wieder
ein Schläfchen.
sich in globalisierten Zeiten, politikverdros­
sen und auch ein bisschen ängstlich ob der
weltpolitischen Probleme, die da plötzlich
an ihre Haustür klopfen, ins Private zurück­
zieht. Das Sofa ist das Multifunktionsmöbel,
von dem aus sich das Leben im Kokon orga­
nisieren lässt. Auf ihm kann man sich von
Serien des Online­Senders Netflix berieseln
lassen oder mit Freunden Whatsapp­Nach­
richten austauschen. Man kann online ein­
kaufen, man kann Musik hören, loungen und
chillen und seit Sigmund Freud, Begründer
der Psychoanalyse, auch seine Profilneuro­
sen darauf abladen. Dank integrierten
Tischchen, Regalen und Stromanschlüssen
ist das Sofa auch ein Ort zum Essen, Trinken
und Arbeiten geworden. Aber kein Trend ohne Gegentrend: Seit
etwa einem Jahr, so Expertin Geismann,
werden die Sofas wieder kleiner und filigra­
ner, die Sitzposition wieder aufrechter.
Einfach nur vor sich hin zu dämmern ist auf
diesen neuen Polstermöbeln nicht mehr so
einfach. Wer weiß, vielleicht ist es eben ein­
fach mal wieder an der Zeit aufzustehen. Solo
Nummer 223 • Samstag, 26. September 2015
V3
Polstermöbel:
Eine kleine
Sitzordnung
Von Julia Lutzeyer
Kaum ein Möbel trägt so viele verschiede­
ne Namen wie jene bequeme Sitzgelegen­
heit, die in fast jedem Wohnzimmer steht.
Eine Begriffserklärung – vom Sofa bis zum
Lounge Chair:
Sofa
Klingt das nicht wunderbar weich und
warm? Sofa! Dabei legt die wörtliche Be­
deutung eine gewisse Härte nahe. Genau
genommen heißt Sofa „Ruhebank“ – ab­
geleitet vom arabischen Wort „suffa“. Frü­
her nur in den Gemächern des Adels zu
finden, sind Sofas in nahezu jedes Wohn­
zimmer gezogen und bieten Platz für min­
destens zwei sitzende Personen. Früher
wurden sie mit Sesseln kombiniert, heute
sind sie so groß, dass die ganze Familie
darauf Platz findet. In der Not und für
Übernachtungsgäste muss der perfekte
Ort zum Lümmeln, Lesen, Fernsehen und
Plaudern als Nachtquartier herhalten. Couch
Eine Mitarbeiterin markiert mit Kreide Bereiche,
die beim Zuschnitt ausgespart werden sollen.
Der Weg zum
Möbel
Die Couch ist nichts anderes als eine ande­
re Bezeichnung fürs Sofa. Darin steckt das
französische Verb „coucher“ für liegen
und schlafen. Insbesondere bei Couch­
Surfern steht das Möbel hoch im Kurs: Zu
Hause bieten sie Reisenden gratis ihr Sofa
an, um ihrerseits einen Schlafplatz zu ha­
ben, wenn sie in der Fremde weilen.
Couch­Potato wiederum bezeichnet einen
Menschen, der das Möbel am liebsten gar
nicht mehr verlässt.
Kanapee
Mit dieser ebenfalls französischen Be­
zeichnung war zunächst das Himmelbett
gemeint. Bei Hof war das mit Baldachin
und Vorhängen versehene Prunkbett kein
intimer Rückzugsort. Damen und Herren
von Stand hielten von dort aus Audienz
und empfingen privilegierte Hofschran­
zen. Und da solche Betten durch ihre auf­
gebrezelten Bewohner üppig belegt wa­
ren, gab das Kanapee auch den essbaren
Canapé­Häppchen den Namen. Zu Besuch in der Walter-Knoll-Manufaktur in Herrenberg
Von Lisa Welzhofer (Text)
und Simon Granville (Fotos)
Chaiselongue
„Langer Stuhl“ heißt die französische
Chaiselongue im Deutschen und bezeich­
net tatsächlich ein auf Beinlänge ge­
strecktes Sitzmöbel. Der Liegekomfort
dieses leicht zur Seite verdrehten Lehn­
sessels ohne durchgehende Rückenlehne
ist deutlich geringer als etwa beim Sofa
oder Kanapee. Ins Schwäbische ging das
auch Römersofa genannte Möbelstück als
Schesslo ein.
Die Maschine zeigt
mögliche Schnittmuster auf dem Leder
an. Per Hand werden
die digitalen Schablonen so verschoben,
dass möglichst wenig
Verschnitt anfällt.
Danach werden die
Stücke zugeschnitten.
Ottomane
Die zugeschnittenen Stücke werden
sortiert. Jedes
Päckchen gehört zu
einem Sofa.
Mit Verbeugung vor der osmanischen Kul­
tur ist diese vor allem in Frankreich ge­
schätzte Sonderform des Sofas einer
Chaiselongue eng verwandt. Die Ottoma­
ne wird mit einer ovalen, aber breiten
Sitzfläche, abgerundeten Lehnen und feh­
lender oder niedriger Rückenlehne in Ver­
bindung gebracht. Ein Polsterer fügt
die sogenannten
Weißpolster, die
im anderen Werk
in Mötzingen
angefertigt
werden, und die
Bezüge zusammen. Für ein Zweisitzersofa braucht
ein Polsterer etwa
einen Tag. Drei
Kollegen arbeiten
drei Tage lang an
zehn Sesseln.
Näherinnen fertigen
die Bezüge. Je nach
Modell und Naht
stehen unterschiedliche Maschinen
bereit.
Info
150 Jahre Polstermöbel
¡ 1865 eröffnet Wilhelm Knoll in Stuttgart
ein Ledergeschäft und bietet auch Polstermöbel an. Zwanzig Jahre später wird er
„Königlicher Hoflieferant“ der württembergischen Herrscher. Mit neuen Polstertechniken führen die Söhne Willy und
Walter das Unternehmen ins neue Jahrhundert, unter anderem entwickeln sie
Aluminiumsessel für Zeppeline.
¡ 1925 gründet Walter Knoll sein eigenes
Unternehmen und verschreibt sich ganz
der handwerklichen Serienfertigung moderner Möbel. Unter anderem stattet er
Musterwohnungen der Stuttgarter Bauhaus-Siedlung Weißenhof aus sowie das
erste Großraumflugzeug Dox, 1937 zieht
die Firma nach Herrenberg um.
¡ Seither steht Knoll für hochwertige und
teure Polstermöbel. Interessante Projekte
waren unter anderem die Ausstattung des
Stuttgarter Fernsehturms, des Flughafens
Berlin-Tegel sowie der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Auch die Möbel im
Polanski-Thriller „Der Ghostwriter“ stammen aus Herrenberg. Die Unternehmensgruppe hat 330 Mitarbeiter und machte 85
Millionen Euro Umsatz (2014).
Foto: Fotolia-Ihlenfeld
Récamiere
Die Récamiere wirkt eher wie eine grazile
Bank, nicht wie ein verlängerter Sessel.
Dennoch gilt sie als Abwandlung der
Chaiselongue. Die Récamiere kommt ohne
Rückenlehne aus, besitzt aber zwei abge­
rundete Armlehnen. Im Gegensatz zur
asymmetrischen Chaiselongue oder zur
wuchtigeren Ottomane ist sie symmet­
risch und graziler gebaut. Den Namen er­
hielt das Möbel durch die Kunst. Der
Maler Jacques­Louis David, Vertreter des
französischen Klassizismus, hielt Ma­
dame Julie Récamier auf einer formschö­
nen Tagesliege in Öl fest. Das im Jahr 1800
entstandene Gemälde hängt im Pariser
Louvre.
Diwan
Das persische Wort Diwan hat mehrere
Bedeutungen: Die eine ist das Bettsofa oh­
ne Rückenlehne, eine andere meint die
Amtsstube, Kanzlei oder das Büro. Damit
hat diese Liege durchaus zu tun; sie war in
orientalischen Amtsstuben gebräuchlich.
Johann­Wolfgang von Goethes „West­öst­
licher Diwan“ ist weder eine Abhandlung
über ein Sofa noch über eine Kanzlei, son­
dern eine Gedichtsammlung, inspiriert
durch den persischen Poeten Hafis. Davon
unbenommen lässt sich dieser literarische
Diwan natürlich ganz wunderbar auf
einem Diwan lesen. Lounge Chair
Die fertigen Sofas werden direkt an die Kunden
ausgeliefert. Im Showroom des Unternehmens
kann man verschiedene Modelle sehen.
Beine hoch und die Gedanken wandern
lassen! Das ist auch auf einem Lounge
Chair möglich, wenn dieser wie der Klas­
siker von Ray und Charles Eames aus dem
Jahr 1956 einen Fußhocker hat. Das US­
amerikanische Designer­Ehepaar hat das
zweiteilige Möbelstück aus einem Club­
sessel entwickelt.