Solo Nummer 223 • Samstag, 26. September 2015 V1 Hier entsteht eine Couch Am Anfang steht das Leder. Etwa die Fläche von 24 Fußballfeldern verarbeitet der Hersteller Walter Knoll aus Herrenberg (Kreis Böblingen) jedes Jahr bei der Sofaproduktion. Die edlen Tierhäute werden in derselben Halle gelagert, in der sie auch weiterverarbeitet werden. Foto: factim/granville Herbstzeit ist Sofazeit. Endlich kann man sich ohne schlechtes Gewissen in die eigene Komfortzone zurückziehen. Um Bücher zu lesen, Filme zu gucken oder einfach nichts zu tun. Wir haben für Sie schon mal Platz genommen und erklären, warum die Couch viel über ihre Zeit und Besitzer verrät. Bei Walter Knoll in Herrenberg haben wir gelernt, wie ein Sofa entsteht. Wie es mit den Ledern auf diesem Bild weitergeht, sehen und lesen Sie auf den kommenden Seiten. ¿V2 Der Möbel-Macher Seelenlandschaft Sofa Von Lisa Welzhofer Ein Mann, ein Sofa. Zu Beginn des Films „Broken Flowers“ macht Don Johnston, die Hauptfigur, vor allem eines: Er sitzt oder liegt auf dem Sofa. Mal schläft er auch dort, mal schaut er fern oder nippt an einem Champagnerglas. Bill Murray gibt in dem JimJarmuschStreifen aus dem Jahr 2005 den betuchten ITSpezialisten. Der ist eben so in die Jahre gekommen wie seine rötlich braune Ledercouch. Das Gesicht ein wenig verknautscht, aber immer noch attraktiv. Stoisch scheint er das Leben an sich abglei ten zu lassen (die Trennung von der Freun din, die Nachricht, dass er einen 19jährigen Sohn hat). Aber irgendwo unter der Oberflä che – man ahnt es – bahnt sich eine Krise an. Die Wohnlandschaft als Seelenlandschaft. Das war nicht immer so. Bevor es das Sofa gab (vom Arabischen „suffa“ für Ruhebank), waren Möbel eine rationale Notwendigkeit. Sie hatten einen Zweck und halfen den Men schen beim Überleben: Am Tisch wurde ge gessen, im Bett geschlafen und Kinder ge zeugt. Auf dem Stuhl saß man, zum Beispiel an der Nähmaschine. Sich tagsüber auszu ruhen, zu chillen, wie es heute heißt, dazu hatte der gemeine Mensch weder die Zeit – noch die göttliche Erlaubnis . Es waren dann ein paar faule Adlige, die sich als Erste einen gepolsterten Hocker vor ihren Sessel schieben ließen, um die Füße hochzulegen. Der Vorläufer der Chaise longue (franz. langer Stuhl) war erfunden. Hier ließ sich ein allzu üppiges Mahl verdau en. Hier konnte man ruhen, lesen, träumen, einfach nichts tun und sich des eigenen, komfortablen Lebens erfreuen. Wenn man es so will, ist die Geschichte des Sofas also auch die Möbel gewordene Historie des Hedonis mus und Müßiggangs. Vom Privileg weniger zum Lebensgefühl der Masse. Im 19. Jahrhundert entdeckte das erstar kende Bürgertum die neue Sitz und Liege gelegenheit für sich. Während die Heim arbeiter in einem Raum lebten und racker ten, legte der selbstbewusste Bürger Wert auf die Trennung von Arbeit und Wohnen. „Bürgerliche Wohnungen waren viel diffe renzierter. Sie umfassten neben Küche, Wohn und Schlafzimmer häufig auch Kin der, Herren und Damenzimmer sowie einen Salon“, schreibt der Historiker Peter Steinbach. Das Wohnzimmer war der Mit telpunkt des Familienlebens. Hier kamen sie alle zusammen: die Großeltern, Eltern, Kin der, der Hund – bisweilen auch das Dienst mädchen. Hier wurde gelesen, musiziert, ge stickt, gelebt. Auf dem Sofa, das mittlerwei le mit Rückenlehne und Sprungfedern schon so aussah wie heute noch, wurde sozusagen die bürgerliche Familie erfunden. Bis ins 20. Jahrhundert hinein blieb es ein Luxusgut. Wer es sich leisten konnte, wollte es herzeigen. Er stellte das Sofa in die gute Stube und empfing darauf seine Gäste zu be sonderen Anlässen. Man trank Tee, führte ein gepflegtes Gespräch. Danach schlossen sich die Stubentüren wieder. Später dann, als der Fernseher die Menschen längst täg lich auf die Polster zwang, schützten die es mit durchsichtigen Schonbezügen aus Plas tik. Das Möbel wurde auch behäkelt und be stickt, schamponiert und gebürstet, mit Spitzendeckchen, selbst gemachten Puppen und Teddybären beladen. Wer den Begriff Polstergarnitur hört, denkt sofort an die Wirtschaftswunderjahre der BRD Es liegt vielleicht an dieser emotionalen Bindung des Menschen zu seinem bequemen Begleiter, dass das Sofa auf so viele unter schiedliche Namen hört. Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch. Aber die Nachfolger der blaublütigen Behelfskonstruktion haben durch die Zeitläufte hindurch viele Bezeich nungen gesammelt. Die Franzosen brachten das arabische Wort Diwan nach Deutsch land, das ein niedriges Polstermöbel in einer osmanischen Amtsstube bezeichnete. Noch in den 20er und 30er Jahren saß man in Süd deutschland auf einem Kanapee – ebenfalls eine Erinnerung an die französische Zeit. Wer heute das Wort „Ohnmachtscouch“ hört, denkt an ein blasses Fräulein in zu en gem Mieder. Die Polstergarnitur wiederum – bestehend aus einem Dreisitzer und zwei Sesseln – entführt in die Wirtschaftswun derjahre der BRD. Damals zog man sich nach der Essenseinladung mit Freunden zum ge mütlichen Teil des Abends ins Wohnzimmer zurück. Auf dem Couchtisch eine Rauchgar nitur mit Zigarettenauswahl für die Gäste. Und wer das Wort Sofalandschaft hört, denkt vielleicht an die 90er Jahre, in denen alles möglichst groß sein musste: Das Haus. Das Auto. Das Boot. Das Sofa. Auch heute noch lässt sich von einem Pols termöbel ganz gut auf dessen Besitzer schließen. Zwischen den blaulila Plüsch sofagebirgen der HartzIVFamilien in der DokuHölle von RTL 2 und dem LeCorbu sierKlassiker in der Halbhöhenwohnung eines Gutverdienerpaares entspannt sich die ganze Auswahl der Sofas und sozialen Schichten. Film und Fernsehen haben die heimische Komfortzone deshalb schon lange als Stil mittel erkannt. Nicht nur Bill Murray in „Broken Flowers“ muss auf die Couch. Häu fig illustriert das Sofa den Zustand einer Be ziehung. Auf ihm nähern sich die Protago nisten schüchtern an, fallen leidenschaftlich übereinander her oder sitzen schweigend vor der Glotze, jeder in seiner Ecke. Mit dem VerliererProll Al Bundy und sei ner „schrecklich netten Familie“ aus der gleichnamigen USSitcom wollte wohl kei ner gern auf der braungelb geblümten Couch sitzen. E Fortsetzung auf Seite V2 Foto: factum/Granville Die Couch ist wie kein anderes Möbel auch Ausdruck ihrer Zeit und der Menschen darauf Kunden rät er beim SofaKauf nur auf eines zu achten: Dass sie sich auf dem Mö bel wohlfühlen. Markus Benz (54) muss es wissen. Er ist Sohn des Nagolder Möbel pioniers Rolf Benz und leitet seit 1993 den Hersteller Walter Knoll. Ein Gespräch. ¿V3 Eine kleine Sitzordnung Chaiselongue, Récamiere, Ottomane, Di wan, Kanapee – der gemütliche Begleiter des Menschen hört auf viele Namen. Wir erklären, was hinter welcher Bezeichnung steckt. ¿V4 Mitmachen und gewinnen Auf unserer Unterhaltungsseite gibt es in der Rubrik „Landsleute“ wieder einen attraktiven Preis zu gewinnen. Wir ver losen einen Einkaufsgutschein im Wert von 100 Euro. V2 Nummer 223 • Samstag, 26. September 2015 Solo Welcher Couch-Typ sind Sie? Von Lisa Welzhofer Bevorzugen Sie im Wohnzimmer die klas sische Schönheit, oder muss es vor allem bequem sein? Finden Sie es heraus in unse rem nicht ganz ernst gemeinten Test. Der AntwortBuchstabe, den Sie am häufigs ten wählen, führt zu Ihrem Typ: Wie nennen Sie Ihre Sitzgelegenheit? A LC2, Loveseat, Lounge Chair, Swan Couch, Scandinavian Teak – je nach dem, was meine Innenarchitektin empfohlen hat. B Unser Sofa ist wie ein Familienmitglied, deshalb nennen wir es Emma. C Sofa, Kanapee. D Diwan der Schreckliche. Was tun Sie bevorzugt auf dem Sofa? A Ich lese „Die Zeit“ oder arbeite am Vor der Verarbeitung wird das Leder auf Schäden und unschöne Stellen geprüft. Durch die Lupe sieht der Mitarbeiter den feinen Unterschied. Welche Haltung nehmen Sie ein? A Eigentlich sitze ich nie lang auf dem So Was steht noch in Ihrem Wohnzimmer? A BauhausLeuchte von Wilhelm Wagen feld, Tisch von Eileen Gray. B Filzhocker, Gründerzeitbüfett von mei ner Großmutter, Holzschaukelpferd. C Flachbildfernseher (27 Zoll), Glasvitri ne mit Sammeltassen, Zimmerpalme. D Bücherregale und stapel. Wer sitzt neben Ihnen? A Niemand, ich bin ein ElitePartner. B Luis, Maxi und Sophie. Und mein Mann Thomas natürlich. C Die Frau sitzt lieber in der Küche und liest Zeitschriften. D Mein ÜberIch. Das Sofa ist für mich . . .? A . . . ein Statussymbol. B . . . Familienglück. C . . . hä? Ein Sofa halt. D . . . der bessere Mensch. „Wir verkaufen Hoffnung“ Markus Benz ist Chef des Sofa-Herstellers Walter Knoll und erklärt, warum ein gutes Sofa überall auf der Welt funktioniert Kunden rät er beim Sofa-Kauf nur auf eines zu achten: Dass sie sich auf dem Möbel wohlfühlen. Markus Benz (54) muss es wissen. Er ist Sohn des Nagolder Möbelpioniers Rolf Benz und leitet seit 1993 den Herrenberger PolstermöbelHersteller Walter Knoll. Ein Gespräch. Von Lisa Welzhofer Herr Benz, was unterscheidet ein Sofa von anderen Sitzmöbeln wie Sessel oder Stuhl? Auf dem Sofa schläft man besser (lacht). Aber ernsthaft: Das Sofa hat sich im Lauf seiner Geschichte zu einem Möbel entwi ckelt, auf dem man gern allein ist, sich aber auch gern mit Freunden trifft, also das Leben zelebriert. Ein Sofa ist lässig und repräsen tativ zugleich. dene Funktionen. Bei kleineren Modellen kann man zum Beispiel mit flexiblen Kissen arbeiten oder mit drehbaren Elementen. Es gilt: Je mehr man investiert, umso mehr Komfort bekommt man. Walter Knoll, Sohn des Firmengründers Wilhelm Knoll, hat in Stuttgart in den 20er Jahren im Sinne der Bauhaus-Schule Polstermöbel entwickelt, die leicht und seriell herstellbar waren – und somit für möglichst viele erschwinglich. Heute können sich die wenigsten Walter-Knoll-Sofas leisten, die preislich bei mehreren Tausend Euro anfangen. Wenn man es genau betrachtet, hat das Bau haus das Ziel, Möbel für alle zu bauen, nie erreicht. Es hat uns aber etwas anderes ge schenkt: Eine seit 90 Jahren gültige Ästhetik – den Minimalismus, die Mischung zwischen Handwerk und industrieller Fertigung und Materialien, die bleiben. Diese Werte funk tionieren übrigens in jeder Kultur. Foto: Ikea Typ A – Der Designklassiker: Sie haben Er Das hört sich nach einer großen Herausforderung für Hersteller und Designer an? folg, sind aber leider ein bisschen einfalls los. Deshalb wählen Sie einen der Klassi ker der SofaGeschichte, mit denen man in Ihren Kreisen nichts falsch machen kann: zum Beispiel den LeCorbusier Dauerbrenner aus schwarzem Leder und Stahlrohr. Der erinnert Sie an die An waltskanzleien und Hotels, in denen Sie sich ohnehin öfter aufhalten als im eige nen Wohnzimmer. Das macht aber nichts, wenn Sie Anlehnung brauchen, kuscheln Sie sich auf die Plüschcouch Ihrer Oma in Unterwiesenbach. Für mich sind Sofas weniger Designobjekte. Sie sind architektonische Elemente im Raum, sie strukturieren ihn, gliedern ihn nach harten und weichen Zonen. Ihren per sönlichen Lebensstil drücken die Menschen eher mit dem aus, was um das Sofa herum steht. Mit Sesseln, mit Tischen, mit Acces soires. Das Sofa an sich ist zurückhaltender. Das war in den 80er und 90er Jahren noch anders. Da wurde das Sofa expressiv gestal tet. Typ B – Die Wohnlandschaft: Sie waren mal Ich sage immer: Wir verkaufen ein Stück Hoffnung, aber die Erfüllung der Hoffnung gehört nicht zu unserer Gewährleistung. Die Hoffnungen der Menschen, was sie auf dem Sofa tun oder erleben werden, sind sehr viel fältig. Der eine will repräsentieren, der an dere es sich gemütlich machen. Und wer will, kann darauf auch arbeiten. Größere Sofas bieten verschiedene Bereiche für verschie Was ist heutzutage die wichtigste Aufgabe eines Sofas? Was meinen Sie damit? Ich reise oft zu den Urvölkern in Afrika, Südamerika, Australien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Philosophie. Zum Beispiel: „Mir wurde etwas gegeben, und das will ich weitergeben.“ Traditionen zu pflegen ist auch mein persönlicher Maßstab. Dazu kommt, dass handwerkliche Exzellenz und gute Materialien in jeder Zeit und Kultur ge achtet werden, außerdem Formen, die einen emotional ansprechen. Die Deutschen allerdings importieren immer mehr Billigsofas aus Fernost. Zählen Ihre Werte hier nichts mehr? Es gibt viele Menschen in Deutschland, die die Wahlmöglichkeit haben, wofür sie ihr Geld ausgeben. Das ist eben eine Frage der Prioritäten. Menschen allerdings, die weni ger Geld haben, haben heute das Glück, günstig ein relativ gutes Produkt zu erhal ten. Sie bekommen heute viel mehr für ihr Geld durch diese offene Welt. Man kann sich im Grunde auf jedem Niveau ordentlich ein richten. ein ziemlich wildes Mädchen auf den durchgeräucherten Sofas diverser Stu dentenbuden. Aber dann kamen Thomas und die drei Kinder und die Eigentums wohnung mit Gartenanteil. Seither sind Sie damit beschäftigt, Ihren Lieben ein möglichst gemütliches Heim zu bereiten, zu dem auch eine im Design schlichte, aber sehr große Sofalandschaft mit Stoffbezug gehört. Hier leben Sie Ihr persönliches Glück, hier hat die böse, unkontrollierte Welt mit ihren vielen Problemen Platzver bot. Und manchmal, kurz nach dem Sonn tags„Tatort“, schlägt auf der Couch das wilde Mädchen noch mal durch. Seelenlandschaft Sofa Typ C – Das Polstermöbel: Über Ihr Sofa Fortsetzung von V1 machen Sie sich genauso wenig Gedanken wie über Ihre Garderobe oder das Weih nachtsgeschenk Ihrer Frau. Möglichst bequem muss es sein, vor allem aber lang lebig. Billigware (Foto: Hersteller) kommt Ihnen deshalb ebenso wenig ins Wohnzim mer wie überteuerter DesignFirlefanz mit USBAnschlüssen. Sie gehen ins Mö belfachgeschäft Ihres Vertrauens. Auch die Nutzung ist traditionell: Auf dem Sofa machen Sie ein Nickerchen oder ärgern sich über schlechte Fußballspieler oder Politiker im Fernseher. Typ D: Die Denker-Couch: Früher gab es in Ihrem Wohnzimmer nur Bücherstapel und eine alte Matratze auf dem Boden, aber mit den Jahren kam der schmale LederDiwan dazu, der mittlerweile auch schon wieder ziemlich abgewetzt ist. Hier haben Sie befruchtende Gespräche mit einem guten Freund, viel Rotwein und Zi garetten geführt, hier haben Sie allerdings auch einen ziemlichen Weltschmerz ent wickelt. Am liebsten liegen Sie deshalb mittlerweile auf der Couch Ihres Psycho analytikers. Zwischen die Freunde aus der USSerie „Friends“ auf ihrem Kneipensofa hingegen hätten sich viele Fans gern gequetscht. Das Sofa ist immer dann das Möbel der Wahl, wenn eine intime Bühne benötigt wird. Moderator Michel Friedman rückte in seiner Talkshow Gesprächspartnern auf einem gebogenen roten Polstermöbel auf die Pelle. Sein Kollege Thomas Gottschalk war auf der beigen „Wetten, dass . .?“Couch auf Du und Du mit den Stars – und blieb ihnen dennoch seltsam fern. Auch Politiker nutzen das Sitzmöbel, wenn sie den Menschen in sich rauskehren wollen. USPräsident George W. Bush ku schelte wie ein kleiner Bub mit seinem Hund Miss Beazley auf dem berühmten Sofa des Oval Office im Weißen Haus. Sein Nachfol ger Barack Obama gibt darauf gern mit Frau und Töchtern den lockeren, modernen Fami lienvater. Auch Kanzlerin Angela Merkel saß mit ihrem britischen Kollegen David Came ron mal auf dem gelben Zweisitzer in dessen Wohnküche in der Downing Street. Danach allerdings sprach niemand über die Politik, die darauf gemacht wurde, sondern über die Frage, ob das Teil von einem schwedischen BilligMöbelhersteller stammt oder nicht. Im Privaten hat das Sofa allerdings seinen Status als Ort der Repräsentation und des Gesprächs mit Freunden und Fremden ein gebüßt. Ausgerechnet das frühere Schmud delkind der bürgerlichen Wohnung, die Küche, hat ihm den Rang als Statussymbol abgelaufen. „Das Sofa ist heute ein rein pri vater Rückzugsraum. Mit Gästen sitzt man lieber am Esstisch in der offenen Küche, auf Stühlen, die wie bequeme Sessel sind“, sagt Ursula Geismann, Trend und Designexper Warum produziert Ihr Unternehmen seit 150 Jahren ausschließlich in Deutschland? Also wird es kein Walter-Knoll-Sofa aus dem 3-D-Drucker geben? Es gibt einen weltweiten Markt für hoch wertige Produkte wie unsere, zunehmend zum Beispiel in Asien, aber auch in den USA, in Australien, dem Nahen und Mittleren Osten. Diesen Markt wollen wir beliefern – und zwar mit Qualität aus dieser Region. Das nennt sich „Cluster supply chain“: Klei nere und mittlere Unternehmen arbeiten zu sammen, um ein perfektes Ergebnis zu errei chen. Wir haben auch Partner in Italien, aber die meisten sitzen in der Region und Deutschland. Wir liefern eine wirtschaft lichkulturelle Leistung. Für mich heißt das auch, dass eine gute Ausbildung die Grund lage jeglichen Handelns sein muss. Das käme auf den Drucker an, das heißt auf die geistige Leistung, die dahintersteckt. Es müsste ein sehr besonderer sein, denn für Mittelmäßigkeit sind wir nicht zuständig. Wie bilden Sie aus? Wie? Ist ein Walter-Knoll-Sofa etwa doch nicht perfekt? Die Grundausbildung zum Raumausstatter beträgt drei Jahre. Danach spezialisieren sich die Mitarbeiter zum Beispiel als Polste rer oder Näherin. Es dauert weitere sieben bis zehn Jahre, bis sie ihr Handwerk meister lich beherrschen. Die Fähigkeiten und Fer tigkeiten hängen direkt an den Menschen, Technologien kommen und gehen. Zur Person Markus Benz ¡ 1961 wird Markus Benz als ältester Sohn von Rolf Benz geboren, dem Gründer der Möbelmarke Rolf Benz. ¡ 1993 steigt die Familie Benz beim einstigen Konkurrenten Walter Knoll in Herrenberg ein. Der studierte Jurist Markus Benz ist seither Geschäftsführer. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. (wel) Foto: factum/Granville fa, mein LC2 von Le Corbusier ist ein fach zu unbequem. Falls doch: Aufrecht, keinesfalls will ich faul wirken. B Auf dem Sofa fühle ich mich wie die Kat zenmami mit ihren Jungen im Körbchen. C Ich kann in jeder Haltung dösen. D Liegend mit Blick zur Decke (schlafen kann ich schon seit Jahren nicht mehr). Wenn ich weinen muss, in Embryostel lung. Foto: factum/Granville Macbook Air. B Tagsüber toben die Kinder drauf, abends kuschelt hier die Familie. C Ich lassen den Herrgott einen guten Mann sein und/oder gucke fern. D Zu Hause lese ich JeanPaul Sartre. In der Praxis meines Psychoanalytikers kann ich darauf wunderbar monologi– sieren. tin des Verbandes der Deutschen Möbel industrie. Angefangen habe diese Entwick lung auf den Wohnlandschaften der 90er Jahre. „Sofas hatten teilweise eine Sitztiefe von 1,40 Metern, sie waren also wie ein klei nes Doppelbett. Auf denen konnte man nur noch liegen“, sagt Geismann. Die Fachfrau kann viele interessante Din ge über die Deutschen und das Sitzmöbel erzählen. Zum Beispiel, dass das durch schnittliche Sofa acht bis zwölf Jahre im Wohnzimmer steht. Oder dass die Deutschen Billigware aus China importieren und die Chinesen die hochpreisigen Edelcouchen deutscher Hersteller. Dass Frauen züchtig auf den Kissen sitzen und Männer eher in Lümmelposition. Und wer hätte gedacht, dass die Emanzipation der Frau auch das Ende der klassischen Polstergarnitur mit Dreisitzer und zwei Sesseln eingeleitet hat. „Der Mann braucht keinen Thron mehr“, sagt Geismann. Er sitzt jetzt gleichberech tigt mit Frau und Kindern auf der Couch. Das Sofa ist heute Teil der Wohnkultur der sogenannten NeoBiedermeier, sagt Geis mann. Sie meint damit eine Generation, die Wie wird für Sie das Sofa der Zukunft aussehen? Früher gab es klare Regeln, wie man zu leben hatte, wenn man Wert auf Design legte: die und die Möbel, die und die Accessoires. Heu te kann man viele Stile miteinander kombi nieren. Und Schönheit darf auch einen Makel haben. Das ist eines der Themen, die mich interessieren: Das Unperfekte im Per fekten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir fertigen heu te Stühlen mit losen Bezügen. Das dient der Bequemlichkeit. Und deshalb darf die Linie der Kante eben auch mal verrutschen. Oder ein Material darf seine Unebenheiten haben. In früheren Kollektionen hätte es das nicht gegeben, die Naht musste perfekt auf der Kante sitzen. Aber das ist die neue Design sprache. Etwas ist attraktiv, gerade weil es nicht perfekt ist. Vielleicht haben wir des halb auch so einen großen RetroTrend. Da mals waren die Dinge oft noch nicht alle bis zu Ende gedacht, es gab Brüche. Und das macht den Reiz aus. Aber weil Sie nach der Zukunft fragen: Ich glaube, die Menschen werden immer einen Ort suchen, an dem sie sich geborgen fühlen. Was machen Sie daheim auf dem Sofa? Morgens bearbeite ich dort meine Mails. Da bei will ich es gemütlich haben und mich gut fühlen. Dann kann ich diese Arbeit ganz ent spannt erledigen, das geht im Unternehmen einfach nicht. Abends liebe ich es dann, mit einem Glas Wein in das Sofa hineinzusinken, zu entspannen, zu lesen, fernzusehen. Aber natürlich halte ich dort auch hin und wieder ein Schläfchen. sich in globalisierten Zeiten, politikverdros sen und auch ein bisschen ängstlich ob der weltpolitischen Probleme, die da plötzlich an ihre Haustür klopfen, ins Private zurück zieht. Das Sofa ist das Multifunktionsmöbel, von dem aus sich das Leben im Kokon orga nisieren lässt. Auf ihm kann man sich von Serien des OnlineSenders Netflix berieseln lassen oder mit Freunden WhatsappNach richten austauschen. Man kann online ein kaufen, man kann Musik hören, loungen und chillen und seit Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse, auch seine Profilneuro sen darauf abladen. Dank integrierten Tischchen, Regalen und Stromanschlüssen ist das Sofa auch ein Ort zum Essen, Trinken und Arbeiten geworden. Aber kein Trend ohne Gegentrend: Seit etwa einem Jahr, so Expertin Geismann, werden die Sofas wieder kleiner und filigra ner, die Sitzposition wieder aufrechter. Einfach nur vor sich hin zu dämmern ist auf diesen neuen Polstermöbeln nicht mehr so einfach. Wer weiß, vielleicht ist es eben ein fach mal wieder an der Zeit aufzustehen. Solo Nummer 223 • Samstag, 26. September 2015 V3 Polstermöbel: Eine kleine Sitzordnung Von Julia Lutzeyer Kaum ein Möbel trägt so viele verschiede ne Namen wie jene bequeme Sitzgelegen heit, die in fast jedem Wohnzimmer steht. Eine Begriffserklärung – vom Sofa bis zum Lounge Chair: Sofa Klingt das nicht wunderbar weich und warm? Sofa! Dabei legt die wörtliche Be deutung eine gewisse Härte nahe. Genau genommen heißt Sofa „Ruhebank“ – ab geleitet vom arabischen Wort „suffa“. Frü her nur in den Gemächern des Adels zu finden, sind Sofas in nahezu jedes Wohn zimmer gezogen und bieten Platz für min destens zwei sitzende Personen. Früher wurden sie mit Sesseln kombiniert, heute sind sie so groß, dass die ganze Familie darauf Platz findet. In der Not und für Übernachtungsgäste muss der perfekte Ort zum Lümmeln, Lesen, Fernsehen und Plaudern als Nachtquartier herhalten. Couch Eine Mitarbeiterin markiert mit Kreide Bereiche, die beim Zuschnitt ausgespart werden sollen. Der Weg zum Möbel Die Couch ist nichts anderes als eine ande re Bezeichnung fürs Sofa. Darin steckt das französische Verb „coucher“ für liegen und schlafen. Insbesondere bei Couch Surfern steht das Möbel hoch im Kurs: Zu Hause bieten sie Reisenden gratis ihr Sofa an, um ihrerseits einen Schlafplatz zu ha ben, wenn sie in der Fremde weilen. CouchPotato wiederum bezeichnet einen Menschen, der das Möbel am liebsten gar nicht mehr verlässt. Kanapee Mit dieser ebenfalls französischen Be zeichnung war zunächst das Himmelbett gemeint. Bei Hof war das mit Baldachin und Vorhängen versehene Prunkbett kein intimer Rückzugsort. Damen und Herren von Stand hielten von dort aus Audienz und empfingen privilegierte Hofschran zen. Und da solche Betten durch ihre auf gebrezelten Bewohner üppig belegt wa ren, gab das Kanapee auch den essbaren CanapéHäppchen den Namen. Zu Besuch in der Walter-Knoll-Manufaktur in Herrenberg Von Lisa Welzhofer (Text) und Simon Granville (Fotos) Chaiselongue „Langer Stuhl“ heißt die französische Chaiselongue im Deutschen und bezeich net tatsächlich ein auf Beinlänge ge strecktes Sitzmöbel. Der Liegekomfort dieses leicht zur Seite verdrehten Lehn sessels ohne durchgehende Rückenlehne ist deutlich geringer als etwa beim Sofa oder Kanapee. Ins Schwäbische ging das auch Römersofa genannte Möbelstück als Schesslo ein. Die Maschine zeigt mögliche Schnittmuster auf dem Leder an. Per Hand werden die digitalen Schablonen so verschoben, dass möglichst wenig Verschnitt anfällt. Danach werden die Stücke zugeschnitten. Ottomane Die zugeschnittenen Stücke werden sortiert. Jedes Päckchen gehört zu einem Sofa. Mit Verbeugung vor der osmanischen Kul tur ist diese vor allem in Frankreich ge schätzte Sonderform des Sofas einer Chaiselongue eng verwandt. Die Ottoma ne wird mit einer ovalen, aber breiten Sitzfläche, abgerundeten Lehnen und feh lender oder niedriger Rückenlehne in Ver bindung gebracht. Ein Polsterer fügt die sogenannten Weißpolster, die im anderen Werk in Mötzingen angefertigt werden, und die Bezüge zusammen. Für ein Zweisitzersofa braucht ein Polsterer etwa einen Tag. Drei Kollegen arbeiten drei Tage lang an zehn Sesseln. Näherinnen fertigen die Bezüge. Je nach Modell und Naht stehen unterschiedliche Maschinen bereit. Info 150 Jahre Polstermöbel ¡ 1865 eröffnet Wilhelm Knoll in Stuttgart ein Ledergeschäft und bietet auch Polstermöbel an. Zwanzig Jahre später wird er „Königlicher Hoflieferant“ der württembergischen Herrscher. Mit neuen Polstertechniken führen die Söhne Willy und Walter das Unternehmen ins neue Jahrhundert, unter anderem entwickeln sie Aluminiumsessel für Zeppeline. ¡ 1925 gründet Walter Knoll sein eigenes Unternehmen und verschreibt sich ganz der handwerklichen Serienfertigung moderner Möbel. Unter anderem stattet er Musterwohnungen der Stuttgarter Bauhaus-Siedlung Weißenhof aus sowie das erste Großraumflugzeug Dox, 1937 zieht die Firma nach Herrenberg um. ¡ Seither steht Knoll für hochwertige und teure Polstermöbel. Interessante Projekte waren unter anderem die Ausstattung des Stuttgarter Fernsehturms, des Flughafens Berlin-Tegel sowie der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Auch die Möbel im Polanski-Thriller „Der Ghostwriter“ stammen aus Herrenberg. Die Unternehmensgruppe hat 330 Mitarbeiter und machte 85 Millionen Euro Umsatz (2014). Foto: Fotolia-Ihlenfeld Récamiere Die Récamiere wirkt eher wie eine grazile Bank, nicht wie ein verlängerter Sessel. Dennoch gilt sie als Abwandlung der Chaiselongue. Die Récamiere kommt ohne Rückenlehne aus, besitzt aber zwei abge rundete Armlehnen. Im Gegensatz zur asymmetrischen Chaiselongue oder zur wuchtigeren Ottomane ist sie symmet risch und graziler gebaut. Den Namen er hielt das Möbel durch die Kunst. Der Maler JacquesLouis David, Vertreter des französischen Klassizismus, hielt Ma dame Julie Récamier auf einer formschö nen Tagesliege in Öl fest. Das im Jahr 1800 entstandene Gemälde hängt im Pariser Louvre. Diwan Das persische Wort Diwan hat mehrere Bedeutungen: Die eine ist das Bettsofa oh ne Rückenlehne, eine andere meint die Amtsstube, Kanzlei oder das Büro. Damit hat diese Liege durchaus zu tun; sie war in orientalischen Amtsstuben gebräuchlich. JohannWolfgang von Goethes „Westöst licher Diwan“ ist weder eine Abhandlung über ein Sofa noch über eine Kanzlei, son dern eine Gedichtsammlung, inspiriert durch den persischen Poeten Hafis. Davon unbenommen lässt sich dieser literarische Diwan natürlich ganz wunderbar auf einem Diwan lesen. Lounge Chair Die fertigen Sofas werden direkt an die Kunden ausgeliefert. Im Showroom des Unternehmens kann man verschiedene Modelle sehen. Beine hoch und die Gedanken wandern lassen! Das ist auch auf einem Lounge Chair möglich, wenn dieser wie der Klas siker von Ray und Charles Eames aus dem Jahr 1956 einen Fußhocker hat. Das US amerikanische DesignerEhepaar hat das zweiteilige Möbelstück aus einem Club sessel entwickelt.
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