Die Hooliga - Greuel.NET

DIE HOOLIGA
DIE
HOOLIGA
Ein Schauspiel in drei Akten und drei
Einheiten
von
Thomas Greuel
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DIE HOOLIGA
Personen
•
Haudegen: Ende 40, aber trotz eines Bauchansatzes
immer noch durchtrainiert und impulsiv. Sein rechtes
Bein ist steif, aber sehr agil, und er hat etwas
Animalisches an sich.
•
Buchhalter: Ein hagerer älterer Mann, der sich ein
wenig linkisch bewegt.
•
Wolf (alias: WiB-Wolf): Ein Gewinnertyp: stark, attrak­
tiv, eloquent mit Hang zur Arroganz, Mitte 20
•
Cem (alias WiB-Kanake): Türke, muskulös und un­
tersetzt, auffällig modisch gekleidet, Ende 20
•
Die Blonde: Wasserstoffblond, Solarium gebräunt, auf­
fällig geschminkt. Sie ist souverän in ihrem Auftreten.
Durch ihr extrovertiertes Äußere wirkt sie älter, ist aber
Mitte 20
•
Volontärin (Stefanie Schoeller): Ein Mädchen, Anfang
20, Pferdeschwanz, hat gerade die Schule absolviert und
•
Zwei Ratsmitglieder
•
Zwei Taiko-Trommler
•
Stimme eines Casters (eine Art Radio-Kommentator)
Die Namen der Kämpfer auf Seiten der beiden Clans lauten:
WiB: Wolf, Kanake, Knochenbrecher, Lungenriss, Leberwurst,
Greed
KkC: Leveler, Panta, Bambi, Zwergenwerfer, Stalker
Ort
Die Zentrale des Hooligan Clans WiB (ehemals Wölfe im Blut­
rausch)
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DIE HOOLIGA
Bühne
Das gesamte Stück spielt in einem Bühnenbild. In der Mitte der
Bühne steht ein großer runder oder ovaler Tisch, an dem
Sitzungen abgehalten werden. Gleichzeitig dient er als Arena
(ähnlich eines Sumo-Ringes), auf der Kämpfe abgehalten
werden. An den beiden Seiten der Bühne stehen große ja­
panische Taiko-Trommeln. Im Hintergrund hängt ein großes
Logo des WiB an der Wand.
Akteinteilung
Akt I,i Die Entscheidung.................................................................. 4
Akt I,ii Die Volontärin ............................................................... 19
Akt I,iii Einzug der Gladiatoren.....................................................27
Akt I,iv Skirmish...............................................................................34
Akt II,i Der Rat der Krieger ...........................................................45
Akt II,ii Debriefing.......................................................................... 54
Akt II, iii Neue Hoffnungen............................................................58
Akt II,iv Konfessionen..................................................................... 63
Akt II, v Allianzen............................................................................ 67
Akt II, vi Einnordung.......................................................................70
Akt II, vii Die Parabel von Sindbad und dem alten Mann.........73
Akt III,i Neue Hoffnungen..............................................................80
Akt III,ii Weibliche Intuition...........................................................82
Akt III, iii Der zweite Versuch........................................................88
Akt III, iv Die Büchse der Pandora................................................ 95
Akt III, v Klarstellung ................................................................... 102
Akt III, vi Scherbenhaufen und Rückzahlung............................104
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DIE HOOLIGA
Akt I,i
Die Entscheidung
Der Haudegen sitzt an einem großen Konferenztisch. Auf dem Tisch
liegen Aktenordner und verstreut Papiere. Der Mann studiert die Ak­
ten. Manchmal tippt er etwas in eine Rechenmaschine. Es wird deut­
lich, dass er diese Arbeit nicht mag. Er stöhnt, ist impulsiv, wirft ir­
gendwelche Utensilien vom Tisch, ist genervt, steht dann aber auf,
hebt sie auf und arbeitet weiter. Hinter dem Tisch steht ein Radio. Er
schaut auf die Uhr und schaltet es ein. Aus dem Off ertönt der Caster
im Stil eines Sportreporters. Der Haudegen setzt sich und führt seine
Arbeit fort.
Stimme des Casters: (aus dem Radio. Er spricht emotional, humor­
voll, persifliert zum Teil die Sprache von Sportkommentato­
ren, übt andererseits aber die gleiche Funktion aus. Die
Sprache lehnt sich an die Berichterstattung über Computer­
spiele an wie Counterstrike oder Warcraft und stellt eine
neue, innovative Form der Sport-Berichterstattung dar.) ...
ein großes Sportereignis statt. Ja, ihr habt richtig ge­
hört, ein Sportereignis. Keine Massenschlägerei, kein
asoziales aufeinander Einprügeln, sondern ein
Sportereignis. Bald sind wir keine Gewaltverbrecher
mehr, bald sind wir nicht mehr illegal, bald laufen wir
nicht mehr vor den Bullen davon, bald sind wir eine
anerkannte Sportart. Schluss mit den Schikanen der
Pozilei, Schluss mit dem Schmuddelimage. Wir stehen
kurz vor der Gründung. Der Gründung der Liga! Ges­
tern hat der Sportbund berichtet, dass er den Antrag
der Hooligan-Clans wohlwollend prüfend wird. Woh­
lige Quellen wollen wissen, dass wir heute schon die
Entscheidung erwarten können. Und wenn es so aus­
geht, wie wir alle hoffen, dann zücken wir die Ta­
schentücher, dann gibt es kein Halten mehr, dann
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DIE HOOLIGA
kullern die Tränen unsere Bäckchen hinab vor Rüh­
rung, denn dann halten wir Wettkämpfe ab und nicht
mehr das, was die grünen Männchen als illegale Stra­
ßenkämpfe betrachten. Und, geneigte Zuhörer, es
wird auch langsam Zeit! Wir haben mehr Fans, sind
besser organisiert, haben größere Erträge, mehr Spon­
soren, präzisere Regeln, weniger Verletzungen, attrak­
tivere weibliche Fans und mehr Sex als viele wampigpampig anerkannte Sportarten. Es wird Zeit, dass wir
das gleiche Recht erhalten wie Hallenhalma oder Ku­
humwerfen. Wer an den Volksempfängern lauscht,
wird heute Zeuge eines historischen Moments monu­
mentalen Ausmaßes, also bleibt dran! Doch bevor wir
die Sportwelt revolutionieren, findet heute noch ein
ganz wichtiges Match statt. Heute geht noch einmal
die Post ab, heute rockt der Bär, defloriert sich das
Seepferdchen, heute geht die Sau zur Brautschau.
Nach so vielen Entscheidungen, steht nun eine ganz
wichtige an. Welches ist das letzte Team, das in die
Liga aufgenommen wird? Wir wollen nur die Creme
de la Creme, und heute wird die Sahne geschlagen,
und nicht nur die! Im heutigen Clan War geht es um
viel. Es geht um alles. Es geht um den letzten freien
Platz in der Liga, der härtesten Liga, der ehrlichsten
Liga, der Hooliga. Jawohl! Die Gewinner werden in die
Liga aufgenommen, können auf Ruhm, Ehre und
Reichtum hoffen und werden Stars. Die Verlierer krie­
chen zurück in die Gosse ihrer Ghettos, in den Dreck,
in die Hoffnungslosigkeit und die Armut. Es geht also
um alles. Antreten werden Kalks krasse Chaoten aus
Köln Kalk gegen WiB aus Oberhausen. Es wird Seven
on Seven gekämpft. Ich schaue aufs Spielfeld, und was
sehe ich da? Die Teams stehen bereit. Jeweils sieben
hehre Recken, moderne Ritter, edle Großstadt-Samu­
rai. Ihre Farben, die roten und blauen Tücher hängen
locker an der Hose, sind um den Hals gebunden oder
um den Knöchel geknotet. Ich sehe die Medics am
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Spielfeldrand und auch den Admin. Die beiden TeamFlaggen wehen in der Morgenbrise der jeweiligen
Base. Die Luft ist frisch und rein. Der Tau glitzert auf
dem Rasen. Noch ist alles virginuös-makellos. Bald
wird das Blut des unterlegenen Teams den Rasen fär­
ben, die Schmerzensschreie der Geschlagenen werden
die Stille vertreiben und der Gestank der vollen Hosen
wird über den Hügel wehen! Ich schätze, dass sich 400
Fans in dieser Morgenstunde eingefunden haben.
Zwei Kamerateams übertragen direkt ins Netz hier
vom ... hier vom ... (kleine Pause) hahaha! So einfach
machen wir es euch nicht! Gruß hier vom Radio Fun­
kenschlag FM auch an die SoKo Hooligan, die fieberhaft
versucht, unsere Location zu ermitteln. Tja, grüne
Freunde, mit etwas Pech ändert sich die Lage bald ge­
waltig! Bald sind wir keine Objekte mehr, an denen ihr
eure Schlagstöcke geschmeidig prügeln könnt, bald
werdet ihr unsere Parkplatzwächter und mit
gesenkten Köpfen den Weg weisen und im strö­
menden Regen auf die Sportwagen und Pimp-Mobile
unserer Giga-Terra Stars aufpassen! Ja, verehrte Zuhö­
rer an den Volksempfängern, wir stehen am Fuße
großer Zeiten!
Auftritt der Buchhalter. Er trägt einige Unterlagen und zwei mit dem
Clan-Logo bedruckte T-Shirts unter dem Arm. Obwohl die beiden im
Folgenden eine Meinungsverschiedenheit haben, läuft das Gespräch
freundschaftlich ab.
Stimme des Casters: (fortgeführt) Die beiden Teams stehen sich
gegenüber. Sie sind bereit. Sie sind konzentriert. Sie
sind heiß. Und während der Admin das Begrüßungs­
zeremoniell ausführen lässt, stelle ich euch das Lineup.
Wir beginnen mit den krassen Chaoten. Es werden je­
weils fünf Grunts und zwei Heros gegeneinander an­
treten.
Buchhalter: (zeigt aufs Radio) Wie sieht’s aus?
Haudegen: Sie sind noch beim Setup. (schaltet das Radio aus)
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DIE HOOLIGA
Buchhalter: Schaffen die es?
Haudegen: Keine Zweifel, nicht die geringsten! Ich habe die
Jungs eben noch verabschiedet. Die sind voll kon­
zentriert. Die werden die Chaoten wegfegen. Die
wissen, worum’s geht. Glaub mir. Wir sind drin. Die
Jungs werden uns nicht enttäuschen! (kurze Pause)
Was hast du da? (zeigt auf die Unterlagen und Shirts des
Buchhalters)
Buchhalter: Die Muster für die Textilien sind gekommen. Sieh
selbst. (gibt dem Haudegen die beiden Shirts)
Haudegen: (prüft das Material ausgiebig) Das hier ist besser. Bei
dem anderen geht der Aufdruck ab, das kann man ja
mit dem Nagel abkratzen. Das ist Schund.
Buchhalter: Sehe ich auch so, aber das erste ist 20% teurer. Mit
dem zweiten würden wir mehr Gewinn machen. Und
weil es minderwertige Qualität hat, verkaufen wir öf­
ter neue.
Haudegen: Gewinn, Gewinn! Man merkt, dass du nie gekämpft
hast. Du denkst nur an den Profit, was anderes kennst
du nicht in deiner Buchhalter-Seele. Du hast es nicht
im Blut, du hast nicht das Feuer! Wir können unseren
Fans doch keinen billigen Müll verkaufen. Was
glaubst du, was wir sind?
Buchhalter: Wir sind jetzt ein mittelständiges Unternehmen
und kein kleiner Feierabendverein mehr. Was glaubst
du, was wir sind? 20% mehr Gewinn sage ich. Und das
gilt nur für die Shirts. Bei den Sweatern sind es sogar
25 und bei den Bomberjacken 30. (gibt dem Haudegen
aus seinen Unterlagen zwei Briefe) Lies selbst. (kleine
Pause, in der der Haudegen die beiden Schriftstücke über­
fliegt) Vielleicht habe ich nicht dein Feuer, aber ich
weiß, wie man Firmen führt.
Haudegen: Jetzt spiel dich mal nicht so auf!
Buchhalter: Du tust, was du kannst, ich, was ich kann. Deine
Generosität ist richtig für die Caritas, aber wir sind
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DIE HOOLIGA
jetzt mehr. Du willst immer ausgeben, ausgeben, aus­
geben, aber wie das Geld reinkommt, das kümmert
dich nicht.
Haudegen: Kommt jetzt diese Predigt schon wieder? Spar es
dir!
Buchhalter: Wenn du beginnst zu sparen, spare ich mir meine
Moralpredigten. Denk mal an die Renovierung des
Jugendzentrums, denk an all deine Visionen. Das
muss bezahlt werden. Mit welchem Geld? Das wollen
wir alles mit dem Profit aus dem Merchandising fi­
nanzieren. Ich erinnere dich dran, wenn du wieder
mal ungeduldig wirst und nicht genügend Geld da ist.
Haudegen: Was machst du dir Sorgen ums Geld? Wenn wir in
die Liga kommen, brauchen wir uns überhaupt keine
Gedanken mehr zu machen.
Buchhalter: Wenn wir in die Liga kommen, fangen unsere
Sorgen erst richtig an. Dann müssen wir
professioneller wirtschaften als jetzt. Du machst dir
falsche Vorstellungen über das, was auf uns zukommt.
Haudegen: Für die Finanzen haben wir dich ja. Du rechnest das
schon alles, da habe ich keine Zweifel. Dafür bin ich
die Seele und der Geist, und die sagen, dass unsere
Fans vorgehen. Wir nehmen das qualitativ bessere
Angebot. Punkt. Aus. Die Sache ist beschlossen. Keine
Diskussionen mehr. Du willst sparen, ich habe die
Angebote der Drucker verglichen. Da nehmen wir das
billigere, und dann gleicht sich das wieder aus.
Buchhalter: Nein, das tut es nicht. Die Drucksachen kosten nur
einen Bruchteil dessen, was wir durch die Shirts
einnehmen.
Haudegen: Sei nicht so kleinlich. Komm, über diese Sache lohnt
es sich nicht zu streiten. Mag ja sein, dass deine Proz­
entzahlen wichtig sind, aber das ist nicht alles. Die
Fans gehen einfach vor. Die halten uns am Leben,
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denen schulden wir mehr. Lass gut sein, ich habe
beschlossen.
Buchhalter: Also gut!
Haudegen: Braver Junge. Siehst du, so regeln sich die Dinge.
Buchhalter: Schon gut.
Haudegen: Ach, übrigens kommt diese Volontärin gleich.
Buchhalter: Wer?
Haudegen: Ich habe dir doch von der erzählt. Die Praktikantin,
die Reporterin, was weiß ich, wie man die nennt!
Journalistin oder so. Die ist halt noch in der Ausbil­
dung. Was weiß ich! Wir brauchen jetzt Publicity. Die
Leute müssen uns kennen lernen, müssen erfahren,
wer wir sind, und wir müssen endlich an unserem
Image arbeiten. Das haben wir zu lange vernach­
lässigt. Wir müssen mehr darauf achten, wie wir uns
darstellen. Ab jetzt sind wir keine Kriminellen mehr,
keine Rowdys, keine Schläger. Das muss jetzt alles ein
Ende haben.
Buchhalter: Aber irgendeinen Schmierfinken hier rein lassen?
Haudegen: Ich kenne aus den alten Tagen noch einen Typen.
Der ist jetzt Chefredakteur, und seine Tochter wird
auch Journalistin. Die sind auf unserer Seite. Da
müssen wir uns keine Sorgen machen.
Buchhalter: (skeptisch) Aha.
Haudegen: Wie hört sich das schon wieder an?
Buchhalter: Wir haben uns bisher von der Presse ferngehalten
und mit gutem Grund. Die haben uns genug ge­
schadet. Wenn die sich mal mit uns beschäftigt haben,
dann haben die uns in Grund und Boden geschrieben
und die Bullen auf den Hals gehetzt. Und von einem
auf den anderen Tag sind das plötzlich deine
Freunde?
Haudegen: Alles ändert sich im Moment.
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Buchhalter: Es ist zu voreilig, die jetzt plötzlich hier reinzuho­
len. Wir sollten warten, bis alles unter Dach und Fach
ist. Hier ist im Moment zu viel los. Was, wenn wir den
Clan War gleich verlieren? Du weißt nicht, wie die Ent­
scheidung ausfallen wird.
Haudegen: Ich bin da verdammt zuversichtlich, und du solltest
es auch sein!
Buchhalter: Hier ist alles im Aufruhr, da kann so jemand nur
Schaden anrichten!
Haudegen: Ich vertraue denen, die wissen, worum es geht. Die
machen keinen Scheiß. Du musst denen nur vertrauen.
Buchhalter: Wir sollten warten, bis sich die Wogen geglättet
haben, und alles unter Dach und Fach ist.
Haudegen: Dazu ist keine Zeit. Es muss alles schnell gehen.
Jetzt ist Goldgräberzeit. Wir sind legal, da brauchen
wir die Medien. Wir müssen uns jetzt aufstellen. Die
Lage ändert sich, und wir müssen darauf reagieren,
sonst werden wir überrollt. Glaub mir, ich würde
denen auch gerne aus dem Weg gehen, die haben mir
weiß Gott genug geschadet, das kannst du dir nicht
vorstellen, aber jetzt brauchen wir sie.
Buchhalter: Ich habe dabei kein gutes Gefühl.
Haudegen: Du hast deine Zahlen, lass mich mal die Entschei­
dungen treffen.
Buchhalter: Was genau soll die denn schreiben?
Haudegen: Na über uns, über die Liga, über den Kodex, was
Hools überhaupt sind. Vor allem aber über unser
ganzes Engagement. Wir sind keine Asis, wir setzen
uns ein. Da haben wir ja nun echt viel zu bieten, die
Jugendarbeit und das Zentrum und alles. Das muss
bekannt werden. So in Richtung: Klarstellung und die
wahre Geschichte hinter den Lügen. Wir müssen uns
jetzt ausdehnen und eine neue Basis suchen.
Buchhalter: Und wer ist dieses Kindchen?
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Haudegen: Das Kindchen ist leichter zu kontrollieren. Un­
terschätz das nicht. Ihr Vater ist auf unserer Seite und
wird ein Auge auf sie haben. Ich traue diesen
Journalisten ja auch nicht. Das sind Geier und
Hyänen, da gebe ich dir ja recht. Umso wichtiger ist
es, dass wir den Finger drauf haben können. Glaub
mir, das ist eine einmalige Gelegenheit für großartige
Publicity.
Buchhalter: Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei.
Haudegen: Und ich das Sagen. Vertrau mir!
Buchhalter: (resigniert) OK, du hast das Sagen.
Haudegen: (schlägt ihm auf die Schulter) OK, das möchte ich hö­
ren! OK, das hört sich gut an! Das wird sensationell!
(kurze Pause) Scheiße! Der Kampf!
Der Haudegen schaltet das Radio ein. Während des folgenden Cas­
tings fiebern die beiden mit. Der Haudegen ist dabei viel emotionaler,
feuert die Kämpfenden an und kommentiert das Geschehen durch
Zwischenrufe. Der Buchhalter ist zurückhaltender, zeigt aber auch
Emotionen. Die beiden Schauspieler sollten das statische Geschehen
dadurch aufbrechen, dass sie das Geschehen durch eine besonders aus­
greifende Körpersprache kommentieren. Vor allem der Haudegen
sollte mit dem gesamten Körpereinsatz auf der Bühne präsent sein.
Hier muss das Animalische des Haudegens deutlich werden, der sich
an alte Zeiten erinnert fühlt.
Stimme des Casters: (aufgeregt und sehr hastig) ... brenzlige Si­
tuation, ganz brenzlige Situation für WiB! Es sah so
gut aus, doch jetzt werden sie nach hinten gedrängt.
Aus 7 zu 7 sind 6 zu 5 geworden, drei sind schon raus.
WiB ist mächtig unter Druck. Der WiB-Knochenbrecher
muss gerade kräftig einstecken. Chaoten-Bambi setzt
ihm gewaltig zu mit Fausthieben und Tritten. Woah!
Drop-Kick vom Zwergenwerfer gegen WiB-Lungenriss,
und der geht down, der geht down, da isser down! Jetzt
muss er auch noch Faustschläge einstecken. Immer in
den Magen und ins Gesicht. Es sieht übel aus. Er ver­
sucht die Schläge abzuwehren, aber es gelingt nicht.
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Eine Menge kommen durch, oh oh oh, das ist bitter,
das ist ganz bitter! Das ist Zitrone! Immer wieder
fängt er sich Hiebe ein. Mit der dicken Fresse kann der
morgen in der Geisterbahn anheuern! Und ... oh nein!
Oh nein! Habt ihrs gehört! Da kam die Faust durch
und direkt auf die Nase vom Lungenriss! Und was
fliegt da? Was fliegt da? Da fliegt was auf mich zu. Es
ist ... es ist ... die Nasenscheidewand! Der riecht nichts
mehr. Wieder ein unnützes Körperteil weniger für
WiB-Lungenriss. Kleiner Scherz am Rande. Aber da
kommt der Pfiff des Admins, da ist der Frag, Lungen­
riss ist raus! 5 zu 5
Haudegen: Verdammte Scheiße!
Stimme des Casters: (fortgeführt) Der Medic kommt aufs Spiel­
feld, Lungenriss ist immer noch benommen, aber da
steht er wieder auf, da ist der gereckte Daumen.
Nichts passiert! Er kann alleine vom Spielfeld hum­
peln. Ja, die Jungs sind hart im Nehmen. Das Spiel ist
wieder angepfiffen. WiB wird weiter zurückgedrängt
in die eigene Base. Jetzt gehen zwei auf den Knochen­
brecher, er wehrt sich gegen Bambi, und da kommt von
hinten der First Hero, der krasse Chaoten-Leveler, der
Tritt in den Rücken, der Pfiff, der Frag, der Knochen­
brecher ist raus. WiB in der Unterzahl. Alle Vorteile da­
hin. Kalks krasse Chaoten rulen, ownen, reignen! Da
werden die ersten Sektflaschen bereit gestellt.
Haudegen: Nein!
Buchhalter: Nicht noch einer!
Haudegen: Reißt euch jetzt zusammen!
Stimme des Casters: (fortgeführt) Jetzt sieht es übel aus. War
das schon die Vorentscheidung? Die beiden Heros auf
Seiten von WiB können bislang keine Akzente setzen,
werden von den Chaoten gut abgeschirmt. Das ma­
chen die sehr gut, und die Chaoten gehen auf den
Schwächsten: Sehr gute Taktik. Dafür sind die Chao­
ten bekannt. In Sachen Strategy macht denen keiner
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was vor. Im Moment geht es auf WiB-Leberwurst. Der
wird jetzt getagt, in die Zange genommen. Von links,
von rechts und von vorne. Er hat keine Chance, da
kommt der Tritt in die Kniekehle, er geht down. Drei
krasse Chaoten stürzen sich wie die Geier auf ihn.
Doch bevor sie ihm die Gedärme rausreißen können,
wirft er das Tuch und gibt auf. Da fliegt das rote Tuch
der Schande durch die Luft, in den Dreck, ins Aus. Tja,
so rettet er seine Haut. Es ist peinlich, es ist
schwächlich, es ist traurig, aber es ist nicht zu ändern.
Haudegen: Die verdammte Schwuchtel! Kämpf doch, kämpf!
Was für ein Würstchen! Da gibt der einfach auf! Das
kann doch nicht sein! Du sollst bis zum Untergang
kämpfen!
Buchhalter: Beruhig dich!
Haudegen: Da kann man doch nicht ruhig bleiben! Da gibt der
einfach auf! Die wissen doch, worum es geht!
Stimme des Casters: (fortgeführt) 3 zu 5. Jetzt wird es schwer für
WiB. Doch da kommt der Ausbruch. Chaoten-Stalker
passt eine Sekunde nicht auf, freut sich zu früh, und
schon hat WiB-Kanake ihn am Schlafittchen, hebt ihn
aus, Schulterwurf und dann mit dem gesamten Kör­
pergewicht auf den Brustkorb. Oh! Oh! Oh! Wenn da
mal nicht ein paar Rippen auf der Strecke geblieben
sind! Der Stalker glaubt, die Engel singen zu hören,
aber es ist nur der Pfiff des Admins, der Mitleid mit
dem Stalker hat und ihn von seinen Qualen erlöst. Der
Medic schleift ihn vom Feld und man hört die Rippen
klappern. Der wird heute Abend zum Mexikaner ge­
hen und da nach den Spare Ribs fragen! Spare Ribs, ihr
versteht, was ich meine! Nach Spare Ribs fragt er! Ja,
da kalauert der Kalauer!
Haudegen: Jawohl, der Cem hat es drauf. Unsere Heros ziehen
das noch!
Stimme des Casters: (fortgeführt) 3 zu 4. Endphase. Die krassen
Chaoten weiter im Angriff, Geplänkel zwischen dem
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Leveler und WiB-Greed, jetzt kommt noch der Zwergen­
werfer hinzu, jetzt ein Team-Move, Greed muss
Zwergenwerfers Knie in den Magen einstecken, ist
einen Moment benommen, und da kommt die Faust.
Direkt an den Kehlkopf. Noch ein paar Kombos an
den Kopf. Da gibt es nichts mehr zu tun, da bleibt die
Luft weg, da klappt er zusammen, da kann man nur
noch röcheln und pfeifen. Der Admin pfeift, der Greed
röchelt. Frag. Greed ist raus. 2 zu 4. Der Medic hilft ihm
vom Feld.
Haudegen: Verdammt noch mal, die lassen sich wie die Schafe
abschlachten! Nur noch die Heros stehen. Ihr seid Wöl­
fe verdammt! Kämpft jetzt!
Buchhalter: Jetzt ist es vorbei, das war’s.
Haudegen: Die können das noch drehen. Die beiden holen das
noch!
Buchhalter: Ich weiß nicht.
Stimme des Casters: (fortgeführt) Jetzt wird es ganz schwer für
WiB. Nur noch die beiden Heros stehen. Was können
WiB-Kanake und WiB-Wolf noch reißen? 2 zu 4, das ist
schon hart. Die Chaoten werden sich nun auf den
Schwächeren konzentrieren, auf Cem. Und da kom­
men sie auch schon. Vier zu zwei, allein beim Anblick
würde ich schon laufen gehen. Der Wolf und der Kana­
ke gegen den Zwergenwerfer, den Panta, den Leberwurst
und den Leveler. Kalks krasse Chaoten in der überzäh­
ligen Oberhand. Die Fans. Die Chaoten-Crew jubelt
schon. Sie erwarten ein Massaker. Aber was macht der
Wolf? Das ist mutig. Er lächelt und winkt sie heran mit
einer lockeren Handbewegung! Meine Fresse, wie cool
kann man sein? Das ist die härteste Sau! Respekt!
Vielleicht kriegt er die Fresse voll, und wenn ich ein
Chaot wäre, ich würde ihn für diese Geste in die
Mangel nehmen, dass ihn seine eigene Mutter nicht
mehr erkennt, aber Mut hat er, das muss man ihm
lassen. Der Mut der Verzweiflung, der Mut des bevor­
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DIE HOOLIGA
stehenden Hirnschadens? Aber jetzt der Angriff der
Chaoten. Doch was machen die beiden WiBler? Sie
stürzen sich gemeinsam auf den stärksten. Sie gehen
auf den Leveler. Was jetzt? Handsupport von Kanake
und dann ein Monster-Kung-Fu-Tritt von Wolf, und
der Leveler hat damit nicht gerechnet, kann nicht mehr
ausweichen, wird zu Boden geworfen, und bevor er
weiß, was geschieht, springt ihm der Kanake mit
beiden Füßen in den Magen. Wolf deckt die drei üb­
rigen Gegner ab, die nur da stehen, auf den Bus
warten und sabbern vor Staunen. Der Kanake versetzt
derweil den Gnadenstoß. Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Leute, ich kann das nicht beschreiben, was hier gerade
los ist. Seht euch das Replay im Netz an auf Double­
doubledoubleyou Dot Hoolcast Dot DE, so was habe ich
noch nie gesehen! Das sind die aberwitzigen Moves,
die nur der Wolf hinbekommt. So wurde der Leveler
lange nicht gedemütigt. Humiliation. Humiliation
Maximus. Motherfucking Humiliation Maximus.
Haudegen: Da siehst du es!
Stimme des Casters: (fortgeführt) Das Spiel ist unterbrochen,
der Leveler kommt von allein nicht auf die Beine, die
beiden Teams gehen zurück in ihre Base, der Medic
kommt, kümmert sich, hilft ihm auf die Beine. Beide
Teams in ihrer Base. Die Chaoten beraten sich, Der
First Hero ist ihnen gerade fliegen gegangen, aber sie
sind immer noch in der Überzahl. Die beiden WiB-He­
ros stehen nur da und warten. Die brauchen nichts zu
bereden, die verstehen sich blind. Ist der Leveler
verletzt? Nein, er steht langsam auf, da kommt der
Daumen, alles ok! Er musste wohl nur mal gestreichelt
werden. Der Admin pfeift wieder an. Weiter geht’s.
Und was! Es ist unglaublich. Es ist unglaublich! Un­
glaublich ist es! WiB stürmt voran. In Unterzahl
greifen sie an! Unglaublich, unglaublich. Das wird ein
Baserape. Bodycheck vom Kanaken auf den Second Hero
der Chaoten, auf den Panta. Der Kanake macht keine
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DIE HOOLIGA
Gefangenen, der geht einfach rein wie ein Ameisenbär
auf Amphetamin, wie ein Kaninchen auf Koks. Das ist
Style, steiler Style, skilliger, steiler Style!
Haudegen: Jawohl!
Stimme des Casters: (fortgeführt) Der Wolf derweil gegen die
zwei Grunts. Er muss ein paar Tritte einstecken, doch
die machen ihm scheinbar nichts. Die steckt er weg.
Der ist auf einem Adrenalinflash, der ist im Blut­
rausch. Er wehrt einige ab und geht jetzt selbst zum
Angriff über. Und jetzt sieht man seine ganze Über­
legenheit. Wolf wehrt ab mit Händen und Füßen.
Taekwondo, KungFu, Judo, Sushi, Harakiri, Origami. Was
auch immer die Schlitzaugen erfunden haben, er be­
herrscht es! Und der Kanake. Der schlägt einfach rein.
Bei dem kann man keine Technik erkennen, der
kloppt einfach, aber er kloppt gut und den Panta un­
angespitzt in den Boden. Der fühlt sich wie ein plattes
Schnitzel. Der Admin pfeift zum Frag. Ab in die
Pfanne! Weiter! Der Wolf wirbelt so schnell, dass die
verbliebenen Grunts der Chaoten nicht mehr wissen,
wo sie sind. Und da kommt der Tritt an den Hinter­
kopf und Leberwurst knickt ein. Und mit einem wilden
Schrei stürzt sich der Kanake auf ihn, kümmert sich um
den Rest, und bevor der Kanake die Schädeldecke spal­
ten kann, hat der Admin auch schon Mitleid und pfeift
ab. Jetzt ist nur noch der Knochenbrecher übrig, und
man sieht ihm an, dass der zum letzten Mittel greift,
zur Geruchsattacke. Der hat die Hosen so voll, dass
ich die Scheiße bis hierhin riechen kann. Er macht das
einzig Richtige, er kniet sich auf den Boden, zieht sein
Tuch und wirft es in den Staub. Surrender. Da ist das
GG. Da ist das Good Game und der Sieg für WiB. Die
Heros liegen sich in den Armen, die gefragten Grunts
liegen sich in den Armen. Glückwunsch von den ge­
schlagenen Chaoten, Glückwunsch von mir. WiB ist in
der Liga, und die Menge tobt!
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DIE HOOLIGA
Haudegen: Jawohl! Ich wusste es! Die enttäuschen uns nicht!
(fällt dem Buchhalter um den Hals, die beiden umarmen
sich)
Stimme des Casters: (fortgeführt) Ein eindrucksvoller Sieg. Dass
die das noch mal gedreht haben, wer hätte es gedacht?
Aber hier zeigt sich die Dominanz der beiden Heros
von WiB. Die verstehen sich blind und bügeln alle
Schwächen des rechtlichen Squads aus. WiB ist in der
Liga, und wir freuen uns auf spannende Clan Wars.
(kurze Pause) Einen Moment. Ich bekomme gerade mit­
geteilt, dass die Pozilei uns endlich geortet hat und
nun ihre Einsatzwagen schickt. Tja, leider zu spät.
Hier ist alles gelaufen. Ich verabschiede mich. Heute
wird der Sportbund tagen und über die Aufnahme ...
Haudegen: (schaltet das Radio aus) Ich hab’s doch gesagt. Alles
unter Dach und Fach! Wir sind in der Liga! Wir sind in
der Hooliga! Wie lange habe ich darauf hin gearbeitet?
Dafür haben die Bullen mich gejagt, dafür war ich vor
Gericht, ich war sogar im Knast, hab mich zum
Krüppel schlagen lassen und mir die Gesundheit
versaut. Aber jetzt ist es geschafft! (kurze Pause)
Komm! Jetzt geht’s an die Arbeit. Wir haben viel zu
tun. Du musst die Sitzung vorbereiten.
Buchhalter: Was liegt an?
Haudegen: Der Rat muss die Verträge absegnen. Wir müssen
die Finanzen regeln und vor allem den Beitritt zur
Liga beschließen.
Buchhalter: Ich trommele den Rat zusammen.
Haudegen: Ich stelle die Tagesordnung zusammen.
Buchhalter: Meinst du, dass es irgendwelche Probleme geben
wird?
Haudegen: Wieso?
Buchhalter: Mit Wolf.
Haudegen: Ach Unsinn! Du machst dir zu viel Sorgen! Wir zie­
hen alle am gleichen Strang!
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DIE HOOLIGA
Der Haudegen wendet sich wieder seinen Akten und Papieren zu.
Der Buchhalter ab.
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DIE HOOLIGA
Akt I,ii
Die Volontärin
Der Haudegen arbeitet am Konferenztisch. Auftritt der Buchhalter
und die Volontärin. Sie trägt eine große Handtasche, hat ein Note­
book unter dem Arm und ist sehr nervös.
Buchhalter: Sieh mal, wen ich hier habe! Das ist Frau ... äh
Volontärin: Stefanie ... ich meine Frau Schoeller.
Haudegen: Frau Schoeller! Freut mich, Sie kennen zu lernen,
wir haben Sie schon erwartet!
Volontärin: (nervös) Ja, hallo! Freut mich auch. Ich soll einen
Bericht über Sie machen, (kurze Pause) sagt mein Vater.
Haudegen: Sie sollen einen Bericht machen?
Volontärin: Oh, das war wohl ein schlechter Start. Ich bin et­
was nervös. Ich freue mich, einen Bericht schreiben zu
dürfen. Ist das so besser?
Haudegen: Sie müssen sich keine Sorgen machen. Sie können
ganz entspannt sein.
Volontärin: Also gut, ich versuche es.
Haudegen: Na also! Sie sind hier unter Freunden.
Volontärin: Gut.
Haudegen: Bleiben Sie ganz ruhig! Kein Grund zur Sorge.
Volontärin: Gut.
Haudegen: Was haben Sie sich denn vorgestellt? Wie wollen Sie
uns darstellen?
Volontärin: Naja, diesen Clan, die Schlägereien, die Hin­
tergründe, die Ursachen und so.
Haudegen: (atmet tief ein) Ah, ich sehe schon, da ist viel zu tun!
Wir sind um einiges mehr als Schläger, und wie Sie
19
DIE HOOLIGA
das Wort Clan aussprechen, hört es sich eher nach Ver­
brecherbande an. All das entspricht nicht der Realität,
und ich denke, ich kann Sie davon überzeugen.
Volontärin: Wir werden ja sehen.
Buchhalter: Wenn ihr mich nicht mehr braucht, entschuldigen
ich mich. Ich habe noch was zu tun.
Haudegen: (zum Buchhalter) alles klar, es bleibt wie besprochen,
du kannst gehen! (der Buchhalter ab, der Haudegen zur
Volontärin) Sie kommen genau zum richtigen Zeit­
punkt. Gerade haben wir erfahren, dass wir der neu
zu gründenden Liga beitreten werden zusammen mit
sieben anderen Clans. Das ist ein großer Erfolg für uns,
ein sehr großer Erfolg und das Ergebnis langer, langer
und schwerer Arbeit.
Volontärin: Das freut mich für Sie.
Haudegen: Danke.
Volontärin: Dann wird das ja bestimmt eine tolle Geschichte.
Also, ich habe mir ein paar Fragen aufgeschrieben,
einen Moment.
Sie kramt ungeschickt in ihrer Handtasche, dabei fallen einige Gegen­
stände heraus. Sie bückt sich schnell, um diese aufzuheben.
Haudegen: Lassen Sie mich Ihnen helfen.
Volontärin: Ach, es geht schon.
Der Haudegen bückt sich auch, aber sie hat schon wieder alles zu­
sammen gesammelt. Schließlich findet sie einen kleinen Notizblock.
Sie stellt ihre Tasche neben dem Tisch ab, kramt darin herum und
lässt sie dort stehen.
Der Haudegen: Setzen Sie sich!
Volontärin: Danke! Ich bin etwas aufgeregt. (sie setzt sich, der
Haudegen bleibt stehen und geht umher, er ist rastlos)
Also, sind Sie bereit?
Haudegen: Schießen Sie los!
Volontärin: (liest vor) Wann wurde der Clan WiB gegründet?
20
DIE HOOLIGA
Haudegen: Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wie wäre es,
wenn ich Ihnen einfach alles zeige und erkläre. Und
wenn Sie dann noch Fragen haben, stehe ich Ihnen
gern zur Verfügung. Das ist dann alles nicht so steif.
Was sagen Sie dazu?
Volontärin: Hört sich gut an. Wissen Sie, ich mache das noch
nicht so lange.
Haudegen: (lächelt) Das sehe ich. Keine Sorge, wir kriegen das
schon hin. Am Ende steht für Sie ganz sicher ein groß­
artiger Artikel.
Volontärin: Meinen Sie? Puh, das wäre cool.
Haudegen: Kein Zweifel. Wir haben alle mal klein angefangen.
Volontärin: Ich habe echt nicht viel Ahnung von all dem, aber
ich finde das alles irgendwie super interessant.
Haudegen: Dann fangen wir an! Sind Sie bereit?
Volontärin: Jawohl, ich bin bereit! Auf geht’s!
Sie greift den Block fester und schreibt ungelenk mit, während der
Haudegen spricht.
Der Haudegen: Ja, wo fangen wir denn an? Also gut: Dies ist
ein wichtiger Tag für uns. Wir stehen vor unserem
größten Erfolg, der Gründung einer anerkannten Liga
der Hooligans! Das wird heute wohl entschlossen, wir
sitzen auf heißen Kohlen, denn der Sportbund muss
uns anerkennen. Wenn das passiert, dann sind wir
legal, dann ändert sich für uns alles.
Volontärin: Da komme ich ja gerade richtig, wie es aussieht.
Haudegen: Das können Sie laut sagen. Wir brauchen jetzt jede
Hilfe, aber wir werden das schaffen. (kurze Pause) Na
gut. Angefangen hat alles vor 20 Jahren. Da war ich
ein richtiger Hooligan, wie man es aus den Klischees
kennt. Ich war eine harte Sau. Wir gingen zu Fußball­
spielen, soffen und prügelten uns mit den Fans
anderer Vereine. Wir pöbelten rum und dann
schlugen wir aufeinander ein wie die Tiere. (sieht die
21
DIE HOOLIGA
Volontärin erwartungsvoll an, es dauert etwas, bis sie
verstanden hat, dass eine Antwort erwartet wird)
Volontärin: Aha, und wie war das so?
Haudegen: Es war großartig! Das Adrenalin schoss uns aus den
Ohren, wir hatten ein Zusammengehörigkeitsgefühl
ohne Ende, wir kamen uns unschlagbar vor. Aber es
war eben auch gefährlich. Manchmal kam es zu ganz
fiesen Verletzungen. Immer wieder hatte irgendwer
Waffen dabei. Schon damals verständigten die
Fangruppen sich über ein paar Regeln. Ich erinnere
mich noch, wie wir zum ersten Mal beisammen saßen.
Meine Fresse! Fünf Anführer, die sich alle hassten in
einer Frittenbude versammelt. Da knisterte die Luft!
Volontärin: Das kann ich mir vorstellen.
Haudegen: Aber so ging es eben nicht weiter. Wir wollten uns
miteinander Prügeln, aber wir waren keine Verbre­
cher. Deshalb einigten wir uns auf ein paar Regeln.
Keine Waffen, nur gleichstarke Gruppen gegenein­
ander und auf jemanden, der am Boden liegt oder der
flieht, soll nicht noch eingeschlagen werden.
Volontärin: (lakonisch) Na, das sind ja tolle Regeln.
Haudegen: (versteht die Ironie nicht) Naja, es hat eine Zeit gedau­
ert, bis sich alle dran hielten, aber mit der Zeit ging es,
irgendwann waren wir soweit, dass wir Streitfälle vor
einer Art Tribunal verhandelten, dann haben wir ir­
gendwann sogar Admins ausgebildet.
Volontärin: Admins?
Haudegen: Verzeihung, ich bin so in der Materie. Admins sind
Schiedsrichter, die jeden Clan War beaufsichtigten. Mit
den Gegnern war das so eine Sache.
Volontärin: Wie war das so?
Haudegen: Man lernte sich kennen, respektieren. Wir wurden
keine Freunde, aber wir sprachen miteinander. Wir
organisierten uns, tauschten uns aus, und wir wurden
zusammen gehalten durch einen gemeinsamen Feind:
22
DIE HOOLIGA
Die Polizei, die uns gnadenlos verfolgte, obwohl wir
untereinander blieben und Unbeteiligte nicht anfass­
ten. Das ist ganz wichtig! Wir organisierten Hools
haben nie auf unbeteiligte Fußballfans oder Passanten
eingeschlagen. Das müssen Sie unbedingt aufnehmen!
Haben Sie das? Kommen Sie mit?
Volontärin: (überspielt ihre Überforderung) Es wird schon gehen,
ich habe ein gutes Gedächtnis.
Haudegen: Ich bin sicher, dass du das schon schaffst! (verbessert
sich sofort) Verzeihung, dass Sie das schaffen!
Volontärin: Schon in Ordnung.
Haudegen: Nein, nein. (kurze Pause) Nun, das waren die alten
Tage, (kurze Pause) und da war sicherlich nicht alles in
Ordnung. Aber das ist alles lange her. Heute halten
wir uns an einen strengen Kodex, halten Wettkämpfe
ab und sind genauso zivilisiert wie andere Sportarten.
(nun mit großem Enthusiasmus) Aber wir tun mehr. Viel
mehr. Wir engagieren uns. Wir tun was in unseren
Vierteln. Alle Clans machen das mehr oder weniger,
aber wir sind besonders stolz auf unsere Arbeit vor
allem mit der Jugend. Das muss besonders erwähnt
werden, das ist ganz wichtig!
Volontärin: Mach ich!
Haudegen: Wir kümmern uns um unsere Comunity. (nimmt
einen Ordner vom Tisch, schlägt ihn auf und zeigt ihr ganz
enthusiastisch) Wir unterstützen die Jugend hier im
Viertel. Mit Freizeitangeboten, Sport, wir haben eine
Hip-Hop-Crew und Graffiti-Kurse, wir bieten Nachhilfe
und Deutschkurse für die vielen Ausländer, die in der
Schule nicht mehr hinterher kommen. Wir bieten Be­
werbungstrainings an, arbeiten mit Streetworkern und
Sozialarbeitern zusammen. Wir haben gute Kontakte,
sodass wir Ausbildungsplätze vermitteln können, und
wir vertreten Werte! Alkohol und Drogen sind absolut
verboten, wir haben strenge Verhaltensregeln. Verstö­
ße können zum sofortigen Ausschluss aus dem Clan
23
DIE HOOLIGA
führen. Wir wollen Werte und Respekt vermitteln. Ich
wäre sehr glücklich, wenn Sie das angemessen berück­
sichtigen könnten.
Volontärin: Ja, ich glaube, das klappt schon irgendwie. Ist das
dieser Sektenkram?
Haudegen: (ein Funken Aggression flammt auf) Was sagst du ...
sagen Sie da?
Volontärin: Ich habe im Internet gelesen, dass Sie so was sek­
tenähnliches sind, so mit diesem Kodex und Strafen
und dass Sie keinen aussteigen lassen.
Haudegen: (versucht sich zu kontrollieren) Das ist alles Unsinn,
der in manchen Medien immer noch ungestraft ver­
breitet wird. Das ist alles nicht wahr. Das war früher
mal so. Ich habe ja gesagt, dass früher nicht alles in
Ordnung war, aber das ist lange her. Heute kann jeder
ungestraft den Clan verlassen.
Volontärin: Aha, na gut, wenn Sie es sagen.
Haudegen: Ja, so sage ich es, und es wäre gut, wenn Sie das
auch schreiben könnten.
Volontärin: (entschuldigend) Ja, schon gut. Ich muss meiner
journalistischen Pflicht ja nachkommen und zu­
mindest mal fragen.
Haudegen: Das verstehe ich. Ich muss hier so viel richtig
stellen, gegen so viele Lügen der Medien anrennen,
dass ich manchmal etwas heftig reagiere.
Volontärin: Kann ich mir denken.
Haudegen: Ich hoffe, Sie verzeihen das.
Volontärin: Schon gut, kein Problem.
Haudegen: Wissen Sie, wir kümmern uns um die Schwächsten,
und in diesem Viertel gibt es davon sehr viele. Hier
herrscht eine Arbeitslosenquote von über dreißig Pro­
zent. Die Politik hat uns längst abgeschrieben, aber
wir lassen uns nicht unterkriegen. Mittlerweile sind
wir weit mehr als einfältige Hooligans, die sich gegen­
24
DIE HOOLIGA
seitig die Schädel einschlagen. Entgegen der öffentli­
chen Meinung sind wir keine Staatsfeinde oder Ver­
brecher. Das muss ganz deutlich werden.
Volontärin: Verstanden.
Haudegen: Gut. Wir sorgen und kümmern uns. Wir sind eben
anders, als diese Fußballvereine, diese Aktiengesell­
schaften!
Volontärin: Was haben Sie gegen Fußballvereine?
Haudegen: Ach! Denen geht es nur doch nur noch um den Pro­
fit. Die haben jeden Kontakt zu ihren Fans längst
verloren.
Volontärin: Ich dachte, Sie sind alle Fußballfans?
Haudegen: Wir haben mit denen nichts mehr am Hut. Das sind
Wirtschaftsunternehmen und Aktiengesellschaften!
Volontärin: Also, ich bin auch Fußballfan. Die machen Geld, na
und?
Haudegen: (ereifert sich) Das ist es doch! Die machen nichts als
Geld! Was macht die denn noch aus? Womit kann
man sich da identifizieren? Mit nichts! Die kaufen und
verkaufen Spieler und Trainer hierhin und dahin. Der
Superstar dieses Jahres spielt im nächsten Jahr beim
Erzfeind. Als Fan unterstützt man doch nichts als eine
Marketingidee, als eine Imagekampagne. In Berliner
Vereinen spielt kein Berliner, in Münchener Vereinen
kein Münchener.
Volontärin: Aber das ist doch normal heutzutage. Sie haben
aber altmodische Vorstellungen, wenn ich das sagen
darf.
Haudegen: Wenn das altmodisch ist, dann bin ich das gerne!
Bei uns läuft es jedenfalls nicht so! Wir kommen alle
aus diesem Viertel. Das hier ist unser Turf. Wir sind
hier geboren und groß geworden. Hier kennt jeder je­
den! Deshalb sorgen wir uns umeinander. Das ist der
Unterschied. Hier geht man nicht zu einem anderen
25
DIE HOOLIGA
Clan. Wir sind Hooligans, und wir kommen aus diesem
Viertel! Das bedeutet uns was! Das muss rein!
Volontärin: Und wie lange dauert das noch so, wenn ihr mit
eurer Liga durch kommt? (der Haudegen setzt an, etwas
zu erwidern, aber die Volontärin lenkt ein) Aber lassen
wir das. Gut, gut, ich schreibe das. Aber wie läuft das
nun ab mit diesen Schlägereien?
Haudegen: Das sind keine Schlägereien. Wir haben strenge
Regeln, wie gesagt! Wir sehen uns eher wie ein
Gruppen-Kampfsport.
Volontärin: (schreibt) Gruppen-Kampfsport. Hört sich nett an.
Haudegen: Taktik spielt eine große Rolle, und ich behaupte so­
gar Philosophie. Das ist wie Krieg im Kleinen. Sie ge­
winnen keinen Krieg ohne Strategie. So ist es auch bei
uns. Macchiavellis und Sun Tsus Kunst des Krieges ge­
hören bei uns zur Standardlektüre. Es gibt Taktik-Gui­
des im Internet. Wir sind wirkliches Rasenschach. Es
geht darum, den anderen auszutricksen, in Hin­
terhalte zu locken, zu täuschen. Wir sind Strategen,
und WiB ist dafür besonders bekannt.
Volontärin: Woher kommt eigentlich der Name WiB?
Haudegen: Nun, früher hießen wir Wölfe im Blutrausch, aber als
wir Sponsoren suchten, baten die uns den Namen zu
ändern. Es sind also nur die Initialen geblieben. (kurze
Pause) Ich will Sie nicht schwindlig reden. Ich führe sie
einfach was rum, was halten Sie davon? Dann bekom­
men Sie einen besseren Eindruck! Wenn Sie sehen,
was wir alles so machen, wird das alles viel plastischer
und lebendiger.
Volontärin: Au ja, das fände ich gut. Das sind ja doch viele In­
formationen.
Haudegen: Nicht wahr? Kommen Sie, vielleicht laufen gerade
auch irgendwelche Kurse, da können Sie sich selbst
von unserem Engagement überzeugen.
26
DIE HOOLIGA
Akt I,iii
Einzug der Gladiatoren
Der Haudegen und die Volontärin wollen ab. Von der anderen Seite
kommen Wolf, Cem und die Blonde herein. Vor allem Cem ist sehr
ausgelassen, Wolf ist etwas kühler, die Blonde hält sich im Hin­
tergrund.
Cem: Hooliga! Wir kommen! Wir haben sie in den Staub getre­
ten!
Wolf: Vernichtet!
Cem: Verbrand!
Wolf: Wir haben geownt!
Haudegen: Ich hab’s im Radio gehört. Es war großartig!
Sie umarmen sich überschwänglich.
Cem: Du hättest dabei sein müssen! Wolf war ein verdammter
Kung-Fu-Killer-Master! (schlägt wild in die Luft)
Wolf: Das war noch nichts!
Haudegen: Das will ich hoffen! Wir müssen noch arg zulegen!
Aber was rede ich? Jetzt wird gefeiert! Ich bin so stolz
auf euch, Jungs! Ihr Macht mir und dem Clan alle Eh­
re.
Cem: Es ist uns eine Ehre! (schlägt sich mit der Faust aufs Herz)
Haudegen: Wie geht’s den anderen? Da haben einige ja kräftig
einstecken müssen.
Cem: Ach, nichts Schlimmes, ein paar blaue Flecken! Selbst
Schuld, würde ich sagen.
Wolf: Sag mal, alter Mann, wer ist das? (nickt zur Volontärin)
Haudegen: Das ist Frau ...
Volontärin: Schoeller.
27
DIE HOOLIGA
Wolf: Hallo, Frau Schoeller. Hallo, ich bin Frank, aber man
nennt mich den Wolf.
Volontärin: Hi! Ich heiße Stefanie.
Wolf: Freut mich, dich kennen zu lernen.
Volontärin: Mich auch.
Haudegen: (zu Wolf) Finger weg. Turtelt hier nicht rum. Frau
Schoeller wird eine Reportage über uns schreiben.
Wolf: (flirtet mit ihr) Komme ich da auch drin vor?
Volontärin: Man sagt wohl, dass du hier der Superstar bist.
Wolf: Man sagt viel, aber es stimmt.
Volontärin: Dann würde ich sagen, dass wir über ein Interview
reden müssten.
Wolf: Ich bin verdammt gebildet, wenn ich will!
Volontärin: Vielleicht ist das gar nicht, was ich will.
Wolf: Ich kann auch anders.
Volontärin: Ach?
Haudegen: Schluss jetzt ihr beiden! (zu Wolf) Das hier ist was
Professionelles! Such dir ein anderes Flittchen!
Die Volontärin sieht ihn erstaunt an, der Haudegen versteht nicht so­
fort und spricht zu Wolf.
Haudegen: Nur zur Erinnerung: Wir haben heute noch eine
Sitzung. (jetzt merkt er es und zur Volontärin) Oh Verzei­
hung. So habe ich das nicht gemeint.
Volontärin: Kein Problem.
Haudegen: Ich meinte nur, dass er keinen Unsinn mit Ihnen
anzetteln soll! Wir brauchen Sie doch noch!
Er lächelt verschmitzt, aber der Charme kommt nicht an, und so lä­
chelt die Volontärin nur höflich zurück.
Die Volontärin: Kein Problem.
Wolf: Alles klar, alter Mann! (zur Volontärin) Und wir sehen uns
hoffentlich noch!
Volontärin: Schauen wir mal!
28
DIE HOOLIGA
Haudegen: (zur Volontärin) Kommen Sie!
Der Haudegen und die Volontärin ab.
Cem: (greift die Blonde bei den Hüfen und hebt sie hoch) Hooliga!
(küsst sie leidenschaftlich und hat gleichzeitig die Faust ge­
reckt)
Wolf: (sieht der Volontärin nach) Netter Arsch!
Cem: Finger weg, du hast doch gehört!
Wolf: Dann hole ich mir eben deine!
Cem: Versuch’s und ich brech’ dich in zwei Teile! Mittendurch!
Wolf: Keine Sorge, ich steh nicht auf gut durch, ich will sie
frisch und knackig haben!
Die Blonde: Pass bloß auf!
Cem: Boah, Liga! Ist das geil? Wir haben’s geschafft! Jetzt geht’s
ab! Was glaubst du, wie viel wir verdienen werden?
Ich brauche Autogrammkarten!
Die Blonde: Finger weg von den Schlampen!
Cem: Ey, keine Sorge!
Die Blonde: Du wirst ein Star. Hättest dich heute sehen sollen.
Das war Spitzenklasse. Wir werden reich!
Cem: Wolf, was denkst du?
Wolf: Keine Ahnung.
Cem: Ey, du musst das doch wissen, du Bankkaufmann!
Wolf: Was weiß ich!
Cem: Es wird reichen! (zur Blonden) Baby, wir können uns end­
lich `ne richtige Wohnung leisten, du kriegst mein
Auto, und ich einen fetten Schlitten.
Wolf: Aber bitte, ich flehe dich an! Ein bisschen was mit Stil,
keinen Türkenbomber. Keinen BMW.
Cem: Was hast du gegen BMW?
Die Blonde: Ich will ein Kabrio!
Auftritt der Buchhalter.
Buchhalter: Hallo Jungs! Glückwunsch!
29
DIE HOOLIGA
Cem: Danke, Mann! Wir haben das Haus gerockt!
Buchhalter: Der Chef hat eine Sitzung des Rats einberufen.
Heute um 11. Hier ist die Tagesordnung, und hier
sind noch ein paar Infos zu den wichtigsten Punkten.
(gibt Wolf und Cem jeweils einen gehefteten Stapel mit Do­
kumenten) Seht es euch noch an. Es geht um geschäftli­
che Sachen und hauptsächlich um die Entscheidung
für den Beitritt zur Liga.
Cem: Super!
Buchhalter: Ihr entschuldigt mich, ich habe noch einiges zu tun.
Wir sehen uns ja gleich. Noch mal Glückwunsch!
Der Buchhalter ab. Cem blättert ratlos in den Papieren, Wolf über­
fliegt sie gelangweilt.
Cem: Was ist das? Nur Zahlen und so Briefe und Be­
amtendeutsch! Das versteht doch keiner. Was ist das?
Wolf: (leicht genervt) Es geht ums Geld. Verträge, die wir abni­
cken müssen.
Cem: Und sind die gut für uns? (gibt sein Handout an die Blonde,
die es sich genauer ansieht)
Wolf: Ist doch egal, du weißt doch, wie diese Sitzungen
verlaufen. Was soll’s also?
Cem: Wir müssen doch wissen, was wir da zustimmen.
Die Blonde: Das meiste sind wohl Aufträge.
Cem: Und, sind die gut?
Die Blonde: Keine Ahnung. (blättert weiter) Warte! Hier ist was
Interessantes. Punkt 5 bestimmt euren Anteil an den
Nettogewinnen.
Cem: Und, wie viel kriegen wir?
Die Blonde: 20 Prozent.
Cem: 20 Prozent? Für jeden? Das ist ok, oder nicht?
Die Blonde: Für alle.
Cem: Wie? Für alle Sieben? Die müssen wir uns teilen? Wie viel
ist das für jeden?
30
DIE HOOLIGA
Die Blonde: Kannste nicht sagen, das wird noch mal aufgeteilt.
Als 2nd Hero kriegst du mehr als die Grunts, aber
Wolf als 1st Hero kriegt mehr als du.
Cem: Das ist doch Beschiss. Da soll eine Summe stehen! Ich will
wissen, wie viel das wird! Und wer bekommt die rest­
lichen 80 Prozent?
Wolf: Die gehen an den Clan. Checkst du das nicht? Da kann
keine Summe stehen, das kommt alles auf die Höhe
der Einnahmen an! Prozent eben!
Cem: Woher soll ich das wissen? Wer ist hier der Bank-Mann?
Wolf: Und wer hat sich zu viele Schläge auf den Hinterkopf
eingefangen?
Cem: (zur Blonden) Was sagst du?
Die Blonde: Ihr haltet eure Knochen hin und macht die Drecks­
arbeit. Da finde ich, sind 20 Prozent zu wenig.
Cem: Das sage ich auch! Wolf, komm Mann, was sagst du?
Wolf: (entnervt) Sie hat Recht.
Cem: Na also! Wieviel wollen wir? Das Doppelte, das Dreifa­
che?
Die Blonde: 30 Prozent. Realistisch bleiben! Ihr sagt 40 und
trefft euch bei 30. Das fände ich fair.
Cem: Du bist gut. Du bist genial! Ist sie nicht genial? Was sagst
du, Wolf?
Wolf: (trocken) Absolut genial.
Die Blonde: Hast du schlecht geschlafen? Warum bist du so
mies drauf? Ihr seid jetzt in der Liga, und es geht ums
Verteilen der Beute! Da kannst du dich auch mal was
einsetzen, schließlich profitierst du am meisten! Als
Leitwolf musst du dich um dein Rudel kümmern.
Wolf: Lass mich mit dem Leitwolf in Ruhe. Hier macht jeder
sein Ding. Geilt euch doch nicht so wegen der Kohle
auf!
Die Blonde: Du hast gut reden, du bist der einzige hier mit
einem gut bezahlten Job. Du hast es nicht nötig. Aber
31
DIE HOOLIGA
wir wollen nicht über den Tisch gezogen werden.
Willst du das?
Wolf: (einlenkend) Nein, du hast ja Recht.
Die Blonde: Ich versteh dich nicht. Ständig jammerst du rum,
dass die Alten hier das Sagen haben und euch wie die
Blutegel aussaugen, und jetzt, wo es wirklich um was
geht, da schwuchtelst du rum.
Wolf: Ist ja gut. Wir werden uns das nicht gefallen lassen. Das
wird geändert. Wir halten unsere Knochen nicht um­
sonst hin und schon gar nicht für die paar Prozente!
Die Blonde: Na also. Geht doch, Mr. Superstar.
Cem: Aber wie?
Wolf: Ich mach das schon. Halt dich einfach an mich. Wir
kriegen das hin!
Cem: Ja, wir kriegen das hin! Heute kriegen wir alles hin!
(schreit) Hooliga wir kommen! (die anderen beiden ver­
drehen die Augen leicht genervt)
Wolf: Hast du Lust auf ein kleines Scharmützel?
Cem: Was ist das? Hör mit dieser Klugscheißerei auf! Sprich
deutsch!
Wolf: Ein Skirmish, mein schulabbrechender Freund!
Cem: Ah ok! Immer. Aber wie, jetzt sofort?
Wolf: Ja klar jetzt. Ich bin eben nicht mal ins Schwitzen gekom­
men, muss mein Gemüt kühlen. Hilf du mir dabei!
Komm Dicker, du brauchst Übung, wenn du über­
leben willst in deiner Liga.
Cem: Nenn mich nicht Dicker, ich mach dich fertig! Mich beein­
druckst du nicht mit deinem Shaolin-Voodoo-Scheiß! Ich
zerquetsch dich!
Wolf: Das werden wir ja sehen, mein fetter, osmanischer
Freund. Bringen wir doch ein wenig Würze rein. (er
holt einen Baseballschläger und ein Nunchakku hinter der
Bühne hervor) Wie wär’s?
Cem: Was soll das?
32
DIE HOOLIGA
Wolf: Bleib locker!
Cem: Du weißt doch, dass das streng verboten ist!
Wolf: Na und?
Cem: Dafür können wir rausgeworfen werden.
Wolf: Warst du heute morgen dabei?
Cem: Klar Mann!
Wolf. Wir beide haben die Chaoten alleine auseinander genom­
men. Ohne uns ist der Clan nichts. Wir können nicht
rausgeworfen werden.
Cem: Trotzdem ist das verboten. Wenn wir erwischt werden!
Wolf: Komm schon. Du verweichlichst doch total mit diesem
ganzen Rumgehampel. Lass uns kämpfen wie
Männer.
Cem: Was willst du?
Wolf: Training!
Cem: Ach Scheiße!
Wolf: Komm schon, du kriegst auch den Baseballschläger, da­
mit du wenigstens den Hauch einer Chance hast.
Cem: (nach kurzem Zögern nimmt er den Schläger und schwingt ihn
durch die Luft) Aber winsel nicht um Gnade. Du hast es
so gewollt.
Wolf: Das ist mein Mann!
Cem: Und ich mach dich zu meiner Bitch!
Wolf: Red du, red du, red du, so lange du noch kannst!
33
DIE HOOLIGA
Akt I,iv
Skirmish
Cem, Wolf, die Blonde. Cem schwingt den Baseballschläger, und die
beiden steigen auf den Konferenztisch. Sie lockern ihre Muskeln, der
Wolf schwingt das Nunchakku kunstvoll. Zwei Taiko-Trommler
kommen von beiden Seiten auf die Bühne und schlagen einen lang­
samen Takt. Die Kämpfer stellen sich einander gegenüber in den
Ring. Sie vollziehen ein Ritual ähnlich dem eines Sumo-Ring­
kampfes. Cem nimmt dies ernster als Wolf, der es uninspiriert ab­
spult. Der aufkommende Streit zwischen den beiden wird sehr spiele­
risch ausgetragen und ist nicht ernst zu nehmen.
Cem: (feierlich) Ich bin bereit und bitte um die Gunst des Gottes
Mars.
Wolf: Können wir jetzt, oder musst du noch nach Mekka beten?
Cem: Hey komm, mach das richtig.
Wolf: Und jetzt noch dreimal mit den Ohren wackeln!
Cem: Das gehört sich so!
Wolf: Und jetzt mit noch den Schließmuskeln gen Norden klat­
schen.
Cem: Das ist Tradition, Mann!
Wolf: Tradition! Die hilft dir auch nicht. Am Ende sammelst du
mit gebrochenen Fingern deine Zähne auf.
Cem: Laber nicht!
Wolf: Die einzige Tradition ist, dass ich gewinne, und du heu­
lend davon schleichst.
Cem: Du träumst doch!
Wolf: Sind wir jetzt fertig mit dem Gebete?
Cem: Stell dich nicht so an!
Wolf: Können wir anfangen?
34
DIE HOOLIGA
Cem: Respektier das! Respektier das!
Die beiden stehen sich gegenüber, verbeugen sich ein letztes Mal.
Dann beginnt der Kampf. Die Trommler geben den Takt vor, zu dem
die Kämpfer sich bewegen und die Waffen schwingen. Der Takt
schlägt zunächst nur langsam wie zur Übung, mit der Zeit nimmt
das Tempo aber zu und die Aktionen folgen immer schneller aufein­
ander und die Schläge werden immer schwieriger zu parieren. Der
Kampf ist insgesamt ausgeglichen, aber man bekommt den Eindruck,
dass Wolf mit weniger Mühe kämpft. Cem muss sich anstrengen, das
Tempo zu halten. Dieser Kampf dauert etwas, dann
Auftritt die Volontärin. Der Kampf wird unterbrochen. Die TaikoTrommler stehen die Szene über stumm und reglos neben
den Trommeln.
Volontärin: Störe ich?
Wolf: Keineswegs!
Volontärin: Schön.
Wolf: Wo ist der Alte, der wollte doch die Lobtour mit dir
durchziehen.
Volontärin: Ist was dazwischen gekommen, der ist wohl im
Stress. Musste sich um was anderes kümmern. Er
meinte, ich solle mich umsehen, ihr hättet nichts zu
verbergen.
Wolf: Da hast du ja Glück gehabt, dass du ihm entkommen
konntest.
Volontärin: Du hältst nichts von ihm.
Wolf: Er redet zu viel.
Volontärin: Findest du?
Wolf: Du brauchst nicht übermäßig höflich zu sein, wir sind es
auch nicht. Kannst ganz normal reden.
Volontärin: Er redet ein bisschen zu viel, aber sonst scheint er
ganz in Ordnung.
Wolf: Der ist ein Schwätzer.
Cem: Der ist in Ordnung. Er setzt sich halt ein.
Volontärin: (zu Wolf, der aber nichts antwortet) Glaube ich auch.
35
DIE HOOLIGA
Cem: Das alles hier ist sein Ding.
Volontärin: Ich finde auch, dass er sich sehr einsetzt.
Wolf: (wechselt das Thema. Zur Volontärin) Also, was machst du
hier?
Volontärin: Naja, ich soll eine Reportage über euch machen.
Mein Vater meinte, das wäre eine einmalige Chance,
einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Cem: Was für ne Tür?
Volontärin: Journalismus. Mir einen Ruf zu machen. Hab ge­
rade erst Abi gemacht und studiere jetzt. Ich soll halt
in seine Fußstapfen treten.
Wolf: (scherzhaft) Eine kleine Reporterin. Wie süß!
Volontärin: (kokett) Ich mache dich vielleicht zum Star.
Wolf: Danke, aber bin ich längst. Noch nie von mir gehört?
Volontärin: Tut mir leid.
Wolf: Dann kannst du nicht viel Ahnung haben.
Volontärin: Oder du bist doch keine so große Nummer, wie du
glaubst.
Wolf: Nenn mir einen Namen aus der Szene.
Volontärin: Gewonnen.
Wolf: Na, jetzt kennst du mich.
Die Blonde: Der Clan lässt eine vollkommen unerfahrene Ab­
iturientin so eine wichtige Publicity-Sache machen?
Schwer zu glauben.
Wolf: Die sind bestimmt zu geizig.
Volontärin: Das haben mein Vater und der Haudegen ausge­
kungelt. Der war auch mal einer von euch. Ich bin mir
sicher, dass der das ganze Teil am Ende schreiben
wird, aber offiziell will er damit nichts mehr zu tun
haben. Die denken sich, dass so ein unerfahrenes Kü­
ken wie ich keine unbequemen Fragen stellt.
Wolf: Einfacher zu manipulieren.
Volontärin: Genau, aber lassen wir das. Was macht ihr hier?
36
DIE HOOLIGA
Wolf: Wir spielen nur ein bisschen.
Volontärin: Ihr spielt nur?
Wolf: Wir trainieren.
Volontärin: Hört sich interessant an.
Wolf: Willst du zusehen?
Volontärin: Super gerne. Darf ich ein paar Fotos machen?
Wolf: Sicher, mach eins vom Kanaken, der hat es nötiger.
Cem: Ey, pass auf!
Wolf: Am besten vorher, denn mit dem zugeschwollenen
Gesicht, das er gleich hat, kann man ihn nicht mehr
vorzeigen.
Sie holt eine kleine Digitalkamera hervor und knipst ein paar Bilder
von den beiden in Macho-Posen.
Volontärin: Ihr kämpft mit Waffen? Der Haudegen sagt, dass
ihr keine Waffen benutzt. Aber im Training dürft ihr
das?
Wolf: Waren wir uns nicht einig, dass der Alte zu viel redet?
Volontärin: Also dürft ihr das?
Cem: Nee, das ist alles total ille.
Volontärin: Und warum macht ihr das dann?
Wolf: Senioren neigen dazu, zuviel zu reden. Man muss die
nicht immer ernst nehmen.
Volontärin: (nach einer kleinen Pause) Ich versteh diesen ganzen
Kram hier nicht.
Wolf: Was für ein Kram?
Volontärin: Das alles. Ich kann das nicht verstehen, was daran
so toll ist, sich gegenseitig zu verprügeln. Habt ihr
nichts Besseres zu tun?
Wolf: Was zum Beispiel? Reitstunden nehmen? Polo spielen?
Volontärin: Hattet ihr eine schlechte Kindheit? Seid ihr von eu­
ren Eltern geschlagen worden? Mutter Alkoholiker?
37
DIE HOOLIGA
Wie kommt man dazu, sich gegenseitig zu ver­
prügeln?
Cem: Was laberst du?
Wolf: Es geht um den Kampf.
Volontärin: Den Kampf?
Die Blonde: Da kommen schon die unbequemen Fragen.
Volontärin: Ist das schon unbequem? Das geht aber schnell bei
euch!
Wolf: (zum ersten Mal mit einem Anflug von Eifer – aber nicht
übertrieben) Mann gegen Mann. Es geht darum, sich zu
messen. Herauszufinden, ob du der bessere bist. Wenn
du mit deinem Clan auf einen anderen triffst, wenn du
sie abcheckst. Dein Herz rast, du weißt nicht, was
passieren wird, du bist heiß. Teilst du heute aus oder
steckst du ein? Du suchst dir einen raus, visierst den
an, forderst den quasi heraus. Aber vielleicht sucht
sich auch einer dich raus. Irgendein Klotz vielleicht,
der zwei Köpfe größer ist. Schaffst du den? Schafft er
dich? Im schlimmsten Fall bricht er dir die Knochen
und das war’s.
Cem: Es ist total geil, wenn sich alle bereit machen, wenn der
ganze Clan sich anfeuert und das Ritual gemacht wird.
Wenn es dann losgeht, dann seid ihr Brüder. Das
Squad, das ist deine Familie. Du musst dich auf die
verlassen können. Die halten dir den Rücken frei,
passen auf dich auf und du musst auf deine Brüder
aufpassen. Nur dann könnt ihr siegen.
Wolf: Aber wenn es losgeht, dann bist du allein. Niemand hilft
dir. Du bist der einsamste Mensch der Welt. Die
Schmerzen spürst nur du allein und nur du allein
schlägst zu. Du fixierst den, den du dir ausgesucht
hast, und der Typ da ist dein größter Feind. Du willst
den einfach nur platt machen, und er will dich platt
machen. Mehr gibt es nicht. Du oder er. In dem
Moment merkst du, dass du lebst und fragst dich, wie
38
DIE HOOLIGA
lange noch. Wenn deins auf dem Spiel steht und du
auf ein anderes eintrittst. Das ist besser als Sex, und
das ist keine Floskel, das ist wirklich so.
Cem: Und jeder gibt sein Bestes. Man ist nur so stark wie der
Schwächste, und das will keiner sein. Wenn alle zu­
sammen loslaufen, du deine Brüder neben dir spürst!
Und dann knallen die beiden Squads aufeinander.
(schreit und boxt mit der Faust in die Luft) Boom!
Wolf: Es ist wunderbar einfach. Entweder du oder er. Es gibt in
dem Moment nichts anderes. Du passt einen Augen­
blick nicht auf, und alles ist vorbei. Wenn seine Faust
durchkommt, dann kann schon Feierabend sein, und
dann rettet dich nichts mehr. Deine Leute sind weit
entfernt, wenn du dich mit einem anlegst. Das Team
ist gut und schön, aber am Ende teilst du aus, und du
steckst du ein. Du kannst keinen anderen verantwort­
lich machen. Du versagst, du bist der Schuldige. Du
gewinnst, du bist der Sieger. Du bist dein Boss im
Ring. Du hast was zu sagen und zu entscheiden und
du lebst mit den Konsequenzen.
Cem: Und am Ende, da feiert ihr gemeinsam oder tröstet euch
gemeinsam. Du hast immer deine Brüder um dich.
Volontärin: Hört sich ja alles nett an, aber ich kann’s trotzdem
nicht nachvollziehen. Warum die Waffen, wenn das
alles so ein toller Kampf Mann gegen Mann ist?
Cem: Waffen sind scheiße. Die machen alles kaputt. Das ist
nicht original oder Hool. Die sind einfach scheiße.
Wolf: Die erhöhen den Einsatz. Du passt einen Bruchteil nicht
auf, und schon steckt dir das Messer zwischen den
Rippen. Du bist nicht schnell genug, und schon spaltet
dir der Baseballschläger den Schädel. Mit Waffen ist
das alles kein Spiel mehr, das ist ernst. Da gibt es kein
Netz mehr, das ist der Extremsport ohne Kompro­
misse.
39
DIE HOOLIGA
Ohne Ankündigung schwingt er das Nunchakko und zielt auf den
Kopf Cems. Der kann nur noch mit Mühe ausweichen. Die Volontä­
rin knipst.
Volontärin: Das wird ein gutes Bild!
Cem: Bist du bescheuert, ey?
Wolf: Bleib locker, immer aufpassen!
Cem: Ey, du bist ein totaler Asi.
Wolf: Jetzt sei nicht eingeschnappt, du Mimose! (zur Volontärin)
Wenn du einem die Fresse polierst, wenn du spürst,
wie seine Nase unter deiner Faust bricht. Das Krachen
vergisst du nie.
Volontärin: Ich verstehe nicht, was daran so toll sein soll. Ihr
prügelt euch wie irgendwelche asozialen Penner. Habt
ihr nichts anderes? Ist das alles? Euch gegenseitig die
Fresse einzuschlagen?
Wolf: Du kannst das auch nicht verstehen. Ich arbeite in einer
Bank. Die Leute sagen, dass das ein sicherer Job sei,
dass ich ein Schweineglück hätte, nicht nur überhaupt
einen zu haben, sondern sogar einen so guten. Letzte
Woche kam der Filialleiter und sagte, er hätte Anwei­
sung von oben. Fünf Leute müssten gehen. Das ist ein
mickriges kleines Hemdchen, ein Speichellecker. Und
dann zeigte er mit dem Finger und sagte: Sie, Sie, Sie,
Sie und Sie! So schnell geht das. Vielleicht bin ich der
nächste, wer weiß? Seitdem traut sich keiner mehr,
dem ins Gesicht zu schauen. Alle halten die Blicke
gesenkt, gehen ihm aus dem Weg wie in einem Rudel
Paviane, wo niemand dem Leitpavian in die Augen
schaut, um ihn nicht herauszufordern, aus Angst tod­
gebissen zu werden. Ich könnte dem Hemdchen seine
kleinen Ärmchen ausreißen, und das meine ich nicht
metaphorisch. Aber ich mach’s nicht. Der steht auch
nur ein kleines bisschen über mir in der Hackordnung.
Und wenn die oben auf die Idee kommen, dass es zu
viele Filialleiter gibt, dann fliegt er nächste Woche. So
40
DIE HOOLIGA
sieht es aus! Wir sind Lämmer, die auf die Schlacht­
bank warten! Kannst du dir vorstellen, wie das ist?
Volontärin: Kann ich ganz gut.
Wolf: Kannst du nicht. Wenn ich im Ring stehe, dann gilt es
Mann gegen Mann. Dann wird’s mittelalterlich. Dann
gibt es keine Konzernzentrale mehr und keine Anwei­
sungen von oben. Dann rettet dich nichts mehr. Dann
kannst du dich nur noch auf dich verlassen, dann
starrst du den anderen nieder, wenn du den Mumm
dazu hast, und wenn du ihn dann aus den Schuhen
haust, dann hast du nicht nur einen auf dicke Hose ge­
macht, dann hast du dir und ihm etwas bewiesen.
Darum mache ich das. Darum schlage ich anderen die
Fresse ein und breche ihnen die Knochen, wenn es
sein muss. Darum bin ich Hooligan!
Volontärin: (an Cem) Und was ist mit dir?
Cem: Ey, ich wünschte, ich hätte einen Job! Mehr habe ich dazu
nicht zu sagen. Ich mach das zum Überleben, verstehst
du, was ich meine?
Wolf: (hat noch etwas vergessen und mischt sich erneut ein) Und
das hier, dieser ganze Firlefanz, diese Trommeln und
das ganze Geschiss hier! Das ist nichts als ein Witz.
(abschätzig) Ritual! Pah, das ist Kindergeburtstag. Wir
sind keine verdammten Sumo-Ringer. Wir haben keine
Jahrtausende alte Tradition!
Cem: Jetzt fang nicht damit wieder an! (Pause) Komm, wir woll­
ten kämpfen.
Wolf: Richtig, genug gelabert! (zur Volontärin) Jetzt zeig ich
dir, was für ein Gefühl das ist!
Er steigt wieder auf den Tisch, Cem folgt ihm. Die beiden führen
wieder das Ritual durch, aber schneller, die Taiko-Trommler geben
wieder den Takt vor.
Volontärin: (zur Blonden) Was machen die da?
Die Blonde: Das ist ein Ritual, das sie vor jedem Kampf durch­
führen. Auch bei den Clan Wars gibt es das.
41
DIE HOOLIGA
Wolf: Ich weiß, was du denkst. Ich finde es auch albern!
Cem: Ey, halt die Fresse, das ist richtig so.
Wolf: Scheiße!
Cem: Wir müssen die Götter ehren!
Wolf: Welche Götter ehren wir denn? Nenn mir einen! Du
kennst doch nur Kebab!
Cem: Pass auf, was du sagst!
Wolf: Den Gott des Döners.
Cem: Dafür mache ich dich platt!
Wolf: (zur Volontärin) Eine kleine Wette? Wenn ich gewinne,
gebe ich dir ein Interview, ganz privat, mit Homestory
und allem! Wenn er verliert, nehme ich dich mit in
mein Home und interviewe dich unter vier Augen.
Dann machen wir unsere eigene kleine Story.
Volontärin: Das hättest du wohl gerne!
Wolf: Gib’s doch zu! Du stehst drauf.
Volontärin: Das träumst du aber!
Wolf: Ach komm, du willst doch so einen richtigen harten Ty­
pen. Ihr Villen-Tussis wollt doch die richtig harten
Säuen, die euch so richtig hart rannehmen!
Volontärin: Du hast zu viele Schläge an den Kopf abbekom­
men! Wie kommst du eigentlich auf Villen-Tussi? Da
steckst du aber ganz tief im Klischee!
Wolf: (gespielt gekränkt) Oh, Baby!
Cem: Hör mit dem Gelaber, sonst liegst du gleich im Staub!
Der Kampf beginnt wie zuvor mit den Waffen. Die Trommler geben
wieder den Takt an. Das Tempo nimmt schnell zu. Wolf provoziert
Cem, der sich dadurch aus der Ruhe bringen lässt. Die Volontärin
knipst. Wolf gestikuliert zu den Trommlern, dass sie schneller
schlagen sollen.
Wolf: Was ist mit den Göttern, mein osmanischer Freund!
Cem: Pass auf, was du sagst!
Wolf: Gleich kommt Morpheus, der Gott der Träume über dich!
42
DIE HOOLIGA
Cem: Halt die Fresse!
Wolf: Na komm, einen Gott wirst du doch wohl kennen! Du
frisst den immer. Ein Schokoriegel.
Cem: Hör auf, ich warne dich! Ich bin nicht blöd!
Wolf: Sagt doch keiner! Ich geb dir ’nen Tipp. Es ist nicht
Snickers!
Das Tempo der Trommeln wird schneller. Cem kann nicht mehr alle
Schläge abwehren und muss einiges einstecken. Cem, das wird jetzt
deutlich, ist klar unterlegen.
Wolf: Nein, Bounty ist es auch nicht.
Cem: Hör auf, Mann!
Wolf bringt Cem zu Fall, schlägt ihm den Baseballschläger aus der
Hand. Die Trommeln verstummen. Er thront über ihm mit
schwingendem Nunchakko, droht zuzuschlagen und brüllt:
Wolf: Der römische Gott des Krieges heißt ...
Auftritt Buchhalter
Buchhalter: (brüllt) Was zum Teufel ist hier los? Seid ihr
wahnsinnig? (springt auf den Tisch und entreißt Wolf die
Waffe) Wenn der Haudegen das sieht, dann ist hier die
Hölle los! Und das auch noch vor den Augen von der
da! (zeigt auf die Volontärin)
Wolf: Reg dich mal nicht so auf, du Aktenordner!
Cem: Genau, ist ja nichts passiert!
Buchhalter: Wisst ihr eigentlich, in welch kritischer Phase wir
sind? (mit Blick auf die Volontärin) Noch ist nichts ent­
schieden! Da können wir uns so einen Kinderkram
nicht leisten!
Cem: Ist ja nichts passiert! Wir haben nur gespielt.
Buchhalter: Das ist kein Spiel. Hier geht es um verdammt viel.
Nehmt das endlich zur Kenntnis und benehmt euch
wie Erwachsene!
Wolf: Halt mal den Ball flach! Du kleine Rechenmaschine hast
uns überhaupt nichts zu sagen. Hast keine Ahnung,
43
DIE HOOLIGA
weißt nichts, kannst nur deine Bleistifte anspitzen! Du
bist ein kleines Würstchen! (geht auf den Buchhalter zu
und droht) Von dir lasse ...
Cem hält ihn zurück.
Cem: Komm, bleib mal locker, ganz ruhig!
Wolf: OK, OK. Ich mag es nicht, wenn so einer so mit mir redet!
Buchhalter: Verdammt, ihr müsst euch zusammen reißen. Ihr
habt noch nicht verstanden, dass mit Rechten auch
Pflichten kommen, dass ihr jetzt Verantwortung habt!
Die Dinge ändern sich zu euren Gunsten, aber ihr
müsst euch auch ändern! Wenn ihr Stars werden
wollt, dann verhaltet euch so! Wenn ihr groß werden
wollt, dann hört mit den Kindereien auf!
Cem: Ist ja schon gut, wir haben verstanden.
Buchhalter: (in erster Linie zu Cem, denn Wolf hat sich abgewandt)
Reißt euch zusammen. Gleich findet der Rat der
Krieger statt. Ihr solltet euch darauf vorbereiten.
Cem: Wir wollten nur was Dampf ablassen.
Volontärin: Haben Sie was dagegen, wenn ich schon mal ein
wenig rumtippe, ich glaube, ich habe schon eine Idee.
Buchhalter: (skeptisch) Sicher. Wenn Sie meinen. Setzen Sie sich
doch in den Aufenthaltsraum. (zeigt nach rechts)
Volontärin: Vielen Dank!
Wolf: (in Richtung Buchhalter) Wir sollten uns mal diese Tages­
ordnung näher ansehen. Nicht, dass ihr uns da über
den Tisch zieht!
Buchhalter: Niemand zieht euch über den Tisch.
Wolf: Ich will mich davon lieber selbst überzeugen! (zu Cem
und der Blondine) Kommt, Leute!
Cem und Wolf packen ihre Sachen zusammen, gehen dann mit der
Blonden links ab. Die Volontärin rechts ab. Sie hat ihr Notebook mit­
genommen, aber ihre Tasche bleibt nehmen dem Tisch stehen. Der
Buchhalter setzt sich an den Tisch und breitet Akten aus.
Vorhang.
44
DIE HOOLIGA
Akt II,i
Der Rat der Krieger
Der Haudegen sitzt am Kopf des Konferenztisches und blättert in
einigen Papieren. Der Buchhalter sitzt neben ihm und die zwei Tai­
ko-Trommler Spalier stehen neben den Trommeln.
Buchhalter: Ich habe hier noch die Umsatzzahlen und die Spiel­
pläne.
Haudegen: (sieht sie sich an) Sehr schön.
Buchhalter: In sechs Wochen soll es wohl losgehen.
Haudegen: Hat der Verband sich schon gemeldet?
Buchhalter: Die rotieren da wohl alle im Moment.
Haudegen: Was ist mit den Fernsehrechten?
Buchhalter: Dazu haben sie nicht viel gesagt. Die Privaten sind
grundsätzlich interessiert, aber auch vorsichtig. Die
wollen abwarten, wie das alles aufgenommen wird.
Haudegen: Die werden schon umschwenken, wenn sie sehen,
wie groß der Andrang ist.
Buchhalter: Ein paar Jugendsender haben wohl leise angefragt,
aber auch die wollen erst abwarten.
Haudegen: Die Zeit ist auf unserer Seite. Vielleicht ist es sogar
besser, wenn Verträge erst später zum Abschluss
kommen. Bis dahin steigen die Preise.
Buchhalter: Es ist nur wichtig, dass jetzt nichts schief geht.
Haudegen: Was meinst du?
Buchhalter: Jetzt darf keiner aus der Reihe tanzen.
Haudegen: Wieso? Wer tanzt aus der Reihe?
Buchhalter: Ich habe kein gutes Gefühl.
Haudegen: Fängt das schon wieder an?
45
DIE HOOLIGA
Buchhalter: Sie macht die Jungs verrückt.
Haudegen: Sieh es doch mal umgekehrt. Die machen sie ver­
rückt. Gut für uns! Eine handzahme, verknallte
Reporterin ist noch einfacher rumzukriegen. Aber du
hast Recht, wir sollten sie von den Kämpfern fern hal­
ten.
Buchhalter: Meinst du, dass es Probleme geben wird, die Ver­
träge durchzubringen?
Haudegen: Was für Probleme soll es geben?
Buchhalter: Bist du sicher, dass du die Jungs auf deiner Seite
hast?
Haudegen: Die wollen die Liga genauso wie wir.
Buchhalter: Der Kanake vielleicht, was ist mit dem Wolf?
Haudegen: Der auch. Ich kenne den. Der ist wie ich damals.
Der ist stolz und lässt sich nichts sagen, aber der will
das alles genauso wie ich.
Buchhalter: Was ist mit der Gewinnverteilung?
Haudegen: Was soll damit sein? Die bekommen einen ziemli­
chen Batzen. Das geht alles zulasten des Clans. Da
waren wir verdammt großzügig.
Buchhalter: Hast du mit ihnen gesprochen und ihnen das er­
klärt?
Haudegen: Was soll ich da groß reden? Das sind faire Be­
dingungen, das sehen die ein.
Buchhalter: Ich weiß nicht.
Haudegen: Nein, nein, da gibt’s nichts zu reden.
Buchhalter: (zweifelnd) Na gut.
Haudegen: Du hast keine Ahnung, wie es unter Kämpfern
läuft. Wir sind hier aufrichtig. Die sind alle der Sache
verpflichtet. Die wissen, dass der Clan wichtiger ist.
Buchhalter: Deine Zuversicht möchte ich haben.
Haudegen: Du hast keine Ahnung, du bist eben keiner von uns.
46
DIE HOOLIGA
Buchhalter: Ich kenne mich aber mit Geld aus, und das wollen
alle. Das ist stärker als dein Clan.
Haudegen: Freund, ich schätze dich für dein Geschick im Ge­
schäftlichen, aber du hast keinen Schimmer von den
Menschen. (schaut auf die Uhr) Oh, es ist Zeit. Wir soll­
ten anfangen!
Er gibt den Trommlern ein Zeichen, die laut und rhythmisch zum Be­
ginn der Sitzung trommeln. Zwei Statisten kommen von einer Seite
der Bühne und setzen sich neben die beiden an den Konferenztisch.
Wolf und Cem kommen aus der anderen Richtung und setzen sich
gegenüber. Die Trommeln verstummen.
Haudegen: Im Namen Mars des Kriegsgottes eröffne ich den
Rat der Krieger.
Die Trommler schlagen einen dumpfen Trommelwirbel auf die schwe­
ren Trommeln, die um den Tisch Sitzenden schlagen rituell mit der
Faust auf den Tisch. Während der einleitenden Worte zeigt Wolf
durch sein Verhalten seine Langeweile.
Haudegen: (feierlich) Heute haben wir uns in einem sensa­
tionellen Kampf durchgesetzt und den wohl­
verdienten und hart erarbeiteten Platz in der Liga
gesichert. Dafür danke ich im Namen des Clans den
stolzen Kämpfern unseres siegreichen Squads. Wir
haben damit den größten Erfolg in unserer Geschichte
errungen und stehen am Fuße neuer Gipfel und Tri­
umphe. Es war ein steiniger Weg von den wilden, un­
gezügelten Faustkämpfen auf den Parkplätzen von
Fußballstadien, der Angst vor schweren Verletzungen,
vor Geld- und Gefängnisstrafen hin zu kontrollierten,
organisierten Clan Wars mit verlässlichen Regeln,
Traditionen und neuen Aufgabenfeldern. Wir haben
einen beschwerlichen Weg hinter uns, und nun stehen
wir vor der ersten von hoffentlich zahlreichen Ernten.
Lasst uns der vielen Kameraden gedenken, die sich im
Namen der Bewegung geopfert haben, die von Justiz
und Verletzungen zermalmt wurden, sich jedoch im
47
DIE HOOLIGA
Kampf nie gebeugt haben. Ihnen gilt unser Dank und
unsere Hochachtung.
Die Trommler schlagen auf ihre Trommeln und dazu die Ratsteil­
nehmer mit der Faust auf den Tisch.
Der Haudegen: Ich habe die Sitzung kurzfristig einberufen,
und kurz möchte ich sie auch halten. Allen habe ich
die Tagesordnung zukommen lassen, sodass wohl
wenig Informationsbedarf besteht. Wir werden zu­
nächst über Diverses zu befinden haben, bevor
schließlich der Beitritt zur Liga auf der Agenda steht,
der laut Satzung einstimmig zuzustimmen ist. Gibt es
bis hierhin Fragen oder Unstimmigkeiten? (kurze
Pause) Ich rufe damit den ersten Tagesordnungspunkt
auf. Die Verteilung von Sponsorenaufträgen. Es ist be­
antragt, dass die Produktion und der Vertrieb unserer
Werbeartikel von der Firma PMG durchgeführt wird.
Gibt es zu diesem Antrag Wortmeldungen? (alle blät­
tern in ihren Papieren, aber niemand regt sich) So stelle
ich diesen Antrag zur Abstimmung. Wer stimmt
diesem zu? (der Haudegen, der Buchhalter und die beiden
Ratsmitglieder heben die Hand) Wer stimmt dagegen?
(Wolf und Cem heben die Hand. Alle übrigen Ratsmitglie­
der sehen die beiden irritiert an, sagen aber nichts) So ist
der Antrag bei zwei Gegenstimmen angenommen.
Buchhalter: (zu Wolf) Was hast du dagegen?
Wolf: Woher soll ich wissen, um was es da geht? Gibt es andere
Angebote? Gibt es Alternativen? Was ist das für eine
Firma?
Haudegen: Das hat alles seine Richtigkeit.
Wolf: Wie soll ich das beurteilen?
Haudegen: Weil der Buchhalter und ich das alles überprüft
haben.
Wolf: Und wie soll ich das beurteilen?
Haudegen: Weil du uns vertraust.
Wolf: Tue ich das?
48
DIE HOOLIGA
Haudegen: Du hast dich doch noch nie um die Geschäfte ge­
kümmert.
Wolf: Bisher ging es auch um nichts.
Haudegen: Als ich dich bat, dich in der Verwaltung zu enga­
gieren, da hast du mir gesagt, du willst kämpfen und
mit dem Scheiß nichts zu tun haben.
Wolf: Tja, dann ändert sich das jetzt.
Haudegen: Damit jetzt in der Sitzung zu kommen, ist ein wenig
spät.
Wolf: Wann hätte es dir denn besser gepasst?
Haudegen: Du hättest immer kommen können, aber hier jetzt
so einen Aufstand zu machen, das ist deplaziert!
Damit schweigt Wolf. Der Haudegen wartet auf eine Antwort, aber
die kommt nicht. Das Ritual um die Abstimmung wiederholt sich.
Der Wolf gebärdet sich dabei zunehmend unflätiger, sagt aber nichts.
Der Haudegen versucht, die Ruhe zu bewahren und ignoriert ihn.
Beim vierten Tagesordnungspunkt stimmt Wolf gar nicht mehr mit
ab, sondern quittiert die Ergebnisse nur noch mit einem Nase­
rümpfen. Er wendet sich von dem Tisch ab und spielt mit einem Blei­
stift. Seine linke Hand spreizt er auf dem Tisch, mit dem Bleistift
sticht er wie bei einer Mutprobe immer schneller zwischen die einzel­
nen Finger.
Der Haudegen: Ich rufe den zweiten Tagesordnungspunkt auf
zur Neuordnung der Satzung. Gibt es zu diesem An­
trag Wortmeldungen? (kurze Pause) So stelle ich diesen
Antrag zur Abstimmung. Wer stimmt diesem zu? (der
Haudegen, der Buchhalter und die beiden Ratsmitglieder
heben die Hand) Wer stimmt dagegen? (Wolf und Cem
heben die Hand). So ist der Antrag bei zwei Gegen­
stimmen angenommen. Ich rufe den dritten Tagesord­
nungspunkt auf. Es wurde ein Antrag zur Öffentlich­
keitsarbeit und zum Umgang mit der Presse gestellt.
Gibt es hierzu Wortmeldungen? (kurze Pause) So stelle
ich auch diesen Antrag zur Abstimmung. Wer stimmt
diesem zu? (der Haudegen, der Buchhalter und die beiden
Ratsmitglieder heben die Hand) Wer stimmt dagegen?
49
DIE HOOLIGA
(Wolf und Cem heben die Hand) So ist der Antrag bei
zwei Gegenstimmen angenommen. Ich rufe den
vierten Tagesordnungspunkt auf zur Neuregelung der
Geschäftsverteilung im Bereich des sozialen Engage­
ments und der damit zusammenhängenden Organisa­
tionen. Gibt es zu diesem Antrag Wortmeldungen?
(kurze Pause) So stelle ich diesen Antrag zur Abstim­
mung. Wer stimmt diesem zu? (der Haudegen, der
Buchhalter und die beiden Ratsmitglieder heben die Hand)
Wer stimmt dagegen? (Wolf rührt sich nicht, Cem hebt
die Hand, der Haudegen wartet irritiert) Gibt es Ent­
haltungen? (Pause, doch er hält sich zurück) So ist der
Antrag angenommen.
Cem: Ey, das ist doch alles Scheiße hier!
Haudegen: Ich rufe den fünften Tagesordnungspunkt Neuver­
teilung der Einnahmen. Gibt es zu diesem Antrag
Wortmeldungen?
Cem schubst Wolf.
Cem: Das ist unserer, dazu musst du was sagen:
Cem schaut Wolf an, der rührt sich nicht.
Cem: Jetzt tu doch endlich was. Das kann doch alles nicht sein!
Wolf: Alter Mann, du hast den Laden hier voll unter Kontrolle,
das beweist du uns eindrucksvoll! Aber wir sind nicht
einverstanden mit der Verteilung der Gelder. Wir
wollen einen größeren Anteil!
Haudegen: Wir haben eine Sitzungsordnung und der gemäß
wird darüber abgestimmt.
Wolf: Du ziehst uns hier ab.
Haudegen: Was? 20 Prozent aller Einnahmen ist ein mehr als
fairer Deal.
Wolf: Das finden wir nicht.
Cem: Genau!
Wolf: Wir halten immerhin unsere Knochen für euch hin. Ohne
uns läuft hier gar nichts. Wir sind die Wölfe von Wölfe
50
DIE HOOLIGA
im Blutsrausch. Ohne uns seid ihr allenfalls im Blut­
rausch, aber damit rauscht hier nichts, schon gar nicht
in euren Geldsäcken. Deshalb wollen wir einen ange­
messenen Anteil.
Buchhalter: 20 Prozent sind ein angemessener Anteil. Das ist
üblich auch in den anderen Clans. Das ist der Stan­
dard. Immerhin gibt es eine riesige Verwaltung und
schließlich das gesamte soziale Engagement. Das kos­
tet alles.
Wolf: Was üblich ist, interessiert mich nicht. Und eure
Verwaltung geht mir am Arsch vorbei. Wir sind ein
Clan und keine Aktiengesellschaft.
Buchhalter: Das ist nicht ganz richtig. Wir sind schon jetzt ein
mittelständiges Unternehmen, und das braucht ein
Management. Du magst kämpfen, aber ich kümmere
mich darum, dass das Geld reinkommt. Ohne uns
würdet ihr 100 Prozent von nichts bekommen. Da sind
20 Prozent von einer Menge eine ganze Menge. Wir
sind alle aufeinander angewiesen.
Haudegen: Schluss mit dieser Diskussion! Hier wird nicht
gefeilscht! 20 Prozent soll es sein und Feierabend! Wir
haben früher für nichts gekämpft, für die Ehre! Ja, im
Gegenteil, weißt du, wie viele Geldstrafen, wie viel
Schmerzensgeld ich zahlen musste? Es geht hier nicht
um persönliche Bereicherung. Denk mal an das
Jugendzentrum!
Wolf: Interessiert mich gar nicht! Dein sozialer Fimmel ist mir
scheißegal, das war deine Idee. Das hat alles nichts
mehr mit einem Clan zu tun. Wir schlagen uns hier die
Fresse blutig. Das tun wir! Wir sind nicht die Caritas!
Dieser ganze Quatsch ist doch nur dazu da, deinen
Egotrip zu befriedigen!
Haudegen: Wenn du dich nicht immer nur um dich kümmern
würdest, dann wüsstest du, wie vielen Menschen wir
hier helfen. Frag mal Cem, woher seine beiden kleinen
Brüder ihre Ausbildungsplätze haben. Frag mal seine
51
DIE HOOLIGA
Freundin, woher die ihre Stelle im Friseursalon hat.
Die hat sie nur, weil wir uns eingesetzt haben. Das ist
dir alles egal?
Wolf: Das ist mir in der Tat scheißegal! Ich bin nicht hier, um
den Samariter zu spielen. Ich bin hier um zu kämpfen.
Ich bin auch nicht hier, um Ares, Mars oder sonst wem
zu huldigen. Ich bin auch nicht hier, um irgendwelche
Rituale nachzubeten. Ihr verreckt doch an euren
ganzen Traditionen! Merkst du nicht, wie lächerlich
das alles ist?
Haudegen: Ordnung, mein Freund! Ordnung und Disziplin!
Nur so gewinnt man. Das gilt für den Kampf, und das
gilt fürs Leben. Wir bringen den Leuten hier Ordnung
bei und Disziplin. Wir geben ihnen Halt! Traditionen
und Rituale geben Halt. So führt man ein Squad zum
Sieg, und so führt man die Leute hier im Viertel zum
Erfolg.
Wolf: Ich bin der beste Kämpfer, den ihr je hattet, und weißt du
warum? Weil ich auf Ordnung scheiße. Ich bin unbe­
rechenbar. Du weißt nicht, was ich als nächstes zu tun
werde, weil ich so viel tun kann. Ihr seid durch­
schaubar. Und wenn du noch ein Kämpfer wärst,
würdest du das auch wissen. Aber du bist keiner
mehr, du bist ein alter Mann, der nicht weiß, wann sei­
ne Zeit abgelaufen ist.
Haudegen: Ha! Meine Zeit beginnt gerade erst! Ich bin jetzt in
der Blüte meines Lebens!
Wolf: Du bist ein alter Mann ohne Zukunft. Siehst du nicht, wie
wir an dir kratzen? Du sonnst dich in deinem Ruf,
während deine Sargträger schon über dir stehen, und
du wunderst dich noch, warum es so schattig ist.
Haudegen: Pass auf, wir machen das hier ganz demokratisch.
(in die Runde) Wer stimmt für den Antrag, wie er in
der Tagesordnung festgeschrieben ist?
52
DIE HOOLIGA
Wolf: Ach, wir brauchen das gar nicht abzustimmen. Es ist
doch sowieso klar, was da rauskommt. Ihr habt euch
das alles schön zurecht gelegt, um uns klein zu halten.
Diese Lakaien, die du da um dich geschart hast, deine
Sitzungsordnung, die nur dir hilft und den Status Quo
aufrecht erhält. Die Händchen könnt ihr auch ohne
mich heben. Du kannst dich an deinen Rat klammern
und die Tagesordnung und die Satzung, die dir alle
Macht gibt. Ich muss mir das nicht ansehen! (zu Cem)
Komm, das war’s.
Cem: Bist du sicher?
Buchhalter: Ihr könnt nicht so einfach gehen. Wir haben noch
nicht über den Beitritt befunden.
Wolf: Wenn diese Liga so wird, wie ihr sie euch vorstellt, dann
brauchen wir sie nicht.
Haudegen: Dann verpisst euch doch!
Cem: (zum Wolf) Weißt du, was du da tust?
Wolf: Verdammt, komm jetzt!
Wolf ab. Cem zögert, geht dann aber auch ab.
Vorhang.
53
DIE HOOLIGA
Akt II,ii
Debriefing
Der Haudegen und der Buchhalter am Konferenztisch.
Haudegen: (äußerst emotional) Dieser verdammte Scheißkerl! Ich
fasse das nicht. Solche Undankbarkeit! Von diesem
Hosenscheißer! Was hat der schon geleistet? Dass der
sich das Recht rausnimmt, so einen Aufstand zu ma­
chen. Unfassbar!
Buchhalter: Jetzt beruhige dich mal.
Haudegen: Ich mich beruhigen? Dieser kleine Scheißer macht
hier einen auf dicke Hose und glaubt Forderungen
aufstellen zu können. Und da soll ich mich beruhigen?
So kann nur ein Buchhalter reden.
Buchhalter: Mit deiner Verbohrtheit kommst du auch nicht
weiter.
Haudegen: Ich bin nicht verbohrt! Einer wie du kann das nicht
verstehen. Dir geht’s nur ums Geld und diesen Müll.
Buchhalter: Ich versuche, wenigstens eine Lösung zu finden.
Wenn Geld für dich nur Müll ist, dann sollte es ja kein
Problem sein, sich zu einigen.
Haudegen: Es geht doch gar nicht ums Geld! Das ist mir voll­
kommen egal. Aber denen ist nichts heilig. Die haben
keinen Stil, die haben keine Regeln, die haben keine
Prinzipien. Die wollen wieder zurück in die Steinzeit,
die wollen all das kaputt machen, was ich aufgebaut
habe. Die wollen sich einfach nur wie die Tiere die
Schädel einschlagen.
Buchhalter: Genau so hast du auch angefangen.
54
DIE HOOLIGA
Haudegen: Wir hatten immer Stil. Wir haben uns immer an
einige Grundregeln gehalten. Ich habe mit denen
nichts gemeinsam.
Buchhalter: Die Sturheit. Die habt ihr gemein. Du brauchst die
Jungen, um in die Liga zu kommen und sie brauchst
dich, dass ihr drin bleibt.
Haudegen: Ach, das Problem ist doch schnell beseitigt. Die
schmeißen wir raus, dann ist das erledigt. Solche
Querschläger können wir nicht brauchen.
Buchhalter: Du kannst sie nicht rausschmeißen. Laut Satzung
sind Ratsmitglieder nicht so einfach zu entfernen. Ich
erinnere dich daran, dass du das extra hast rein­
schreiben lassen.
Haudegen: Du bist so ein kleinmütiger Paragraphenreiter! Ich
will diese Störenfriede nicht in unseren Reihen haben.
Wenn ich die nicht haben will, dann bleiben die auch
nicht!
Buchhalter: Du kannst die nicht so einfach ausschließen. Ihr
müsst euch einigen. Außerdem sind die zu wertvoll.
Wir verdanken unsere Erfolge einzig den beiden, das
restliche Squad ist allenfalls zweitklassig. Die beiden
sind zu groß. Wir sind auf sie angewiesen, und die
Fans lieben sie.
Haudegen: Wir kommen auch ohne die aus. Wichtig ist nur der
Clan. Wir haben genug Nachwuchs. Das sind Tiere,
das sind Killermaschinen, denen kann man nicht
trauen, die passen nicht in diese Liga. Die stehen nicht
hinter unseren Idealen.
Buchhalter: Finde dich damit ab, dass wir auf die angewiesen
sind wie die auf uns.
Haudegen: Wie kann man nur so rückgratlos sein? Auf welcher
Seite stehst du eigentlich? Es geht hier um Stolz! Aber
davon hast du keine Ahnung.
55
DIE HOOLIGA
Buchhalter: Und bevor ihr alle nicht aufhört, anderen irgend­
welche Charaktereigenschaften abzusprechen, wird
das nichts!
Haudegen: Ich beuge mich jedenfalls nicht. Dafür steht zu viel
auf dem Spiel.
Buchhalter: Ihr müsst euch einigen. Es geht kein Weg daran
vorbei, und zwar heute noch. Wir müssen die Sitzung
neu einberufen und einen Kompromiss finden.
Haudegen: Es bricht mir das Herz, mit diesen Typen zu
verhandeln. Wir sollten das in der Arena klären. Er
und ich. Mann gegen Mann.
Buchhalter: Du hast doch keine Chance gegen den!
Haudegen: Es gibt in den ganz alten Regelbüchern die Möglich­
keit eines Handicap-Matches.
Buchhalter: Ihr müsst irgendwann lernen, diese Differenzen
mit Worten zu klären und nicht immer nur mit Blut
und gebrochenen Knochen.
Haudegen: (besinnt sich) Du hast Recht. Du hast Recht. Aber es
ist einfach schwer mit denen zu verhandeln.
Buchhalter: Dann mache ich das. Ich versuche, eine Einigung
zu erzielen.
Haudegen: (nach einer kurzen Pause) Ich will diese Liga, und
wenn es nur so geht, dann ist das wohl in Ordnung.
Aber ich sage dir, es gibt noch andere Wege. Mach dir
mal keine Sorgen. Ich kenne die Satzung, und es gibt
Wege. Glaub mir, ich bin nicht so weit gekommen
ohne ein paar Tricks zu kennen.
Buchhalter: Mach keinen Unsinn.
Haudegen: Lass mich einfach den Clan führen, und du führst
die Bücher.
Buchhalter: Du hast Recht, ich widme mich wieder meinen Bü­
chern. Wenn ihr das hier alles niederreißt, muss einer
die Liquidierung abwickeln. Ich habe hier auf jeden
Fall zu tun. Weißt du, eigentlich könnte mir das alles
56
DIE HOOLIGA
egal sein, aber einer muss hier ja vernünftig sein. Ich
rede mit Cem, der hat noch am meisten Verstand.
Haudegen: Verstand würde ich dem nicht gerade unterstellen.
Aber meinetwegen.
Buchhalter: Gut, dann gebe ich mich sofort dran.
Der Buchhalter ab
Haudegen: Die sollen nicht meinen, sie hätten mich in der
Hand, die sind schneller weg, als sie denken! Von
diesen verdammten Hosenscheißern lasse ich mir
nicht alles kaputt machen! (zieht ein Handy heraus und
ruft jemanden an. Nach kurzer Pause) Ich bin’s. (Pause)
Du musst mir helfen. Ich brauche was. (Kurze Pause)
Was kannst du mir anbieten? (Kurze Pause) Ein paar
Gramm. Ein Tütchen. (Kurze Pause) Ist egal was.
Hauptsache was Hartes. (Kurze Pause) Frag nicht.
(Pause) Frag nicht, verdammt! (Kurze Pause) Kannst du
mir das besorgen? (Kurze Pause) So schnell wie
möglich. (Kurze Pause) Wunderbar. Bis dann. (beendet
das Telefonat)
Der Haudegen ab
Vorhang.
57
DIE HOOLIGA
Akt II, iii
Neue Hoffnungen
Der Haudegen und die Volontärin
Haudegen: Ich muss mich entschuldigen, ich habe Sie vernach­
lässigt.
Volontärin: Das macht nichts. Ich habe ein wenig geschrieben.
Ich finde es hier ganz interessant.
Haudegen: Wie geht es denn voran?
Volontärin: Ganz gut. Ich würde Ihnen ja schon mal was vor­
legen, aber ich bin noch nicht soweit.
Haudegen. Sagen Sie einfach bescheid. Ich bin gespannt, wie
Sie uns darstellen.
Volontärin: Ich habe gehört, es gab Probleme?
Haudegen: Hier sprechen sich die Dinge schnell rum. Im
Moment geht alles drunter und drüber. Wir hatten ge­
rade einen kleinen Disput in einer Sitzung. Kleine
Querelen. Das passiert überall, nichts Schlimmes.
Volontärin: Worum ging es?
Haudegen: Vordergründig ums Geld. Aber eigentlich geht es
um Einfluss. Wissen Sie, wir haben uns über die Jahre
weiter entwickelt. Jetzt stehen wir vor der
Legalisierung. Das ist ein ziemlich großer Schritt in
einer kurzen Zeit. Das weckt Begehrlichkeiten.
Volontärin: Das ist wie in dem Film: Der Pate.
Haudegen: Dieser Mafia Film?
Volontärin: Da geht es um einen kleinen Verbrecher, der viel
riskiert, Verbrechen begeht, ein Mafiaboss wird, in der
zweiten Phase in legale Geschäfte investiert und in der
58
DIE HOOLIGA
letzten versucht, sich von den illegalen Sachen kom­
plett zu verabschieden. Das machen Sie gerade.
Haudegen: Schreiben Sie das nicht.
Volontärin. Warum nicht, es stimmt doch.
Haudegen: Ich weiß, was Sie meinen, aber schreiben Sie es
nicht.
Volontärin: Na gut, aber es war eine schöne Idee.
Haudegen: Keine Vergleiche mit der Mafia. So waren wir nie.
Volontärin: Na gut.
Haudegen: Man muss keine Angst mehr vor uns haben. Wir
sind keine Staatsfeinde.
Volontärin: Aber so unschuldig sind Sie auch nicht.
Haudegen: Was meinen Sie?
Volontärin: Sie vergessen die Opfer. Was ist mit denen? Was ist
mit denen, die verletzt werden?
Haudegen: Welche Opfer? Es gibt keine Opfer. Wir kämpfen
nur gegen unseresgleichen. Jeder ist freiwillig da und
weiß, worauf er sich einlässt. Niemand kann sich
beschweren, wenn er etwas abkriegt. Das gehört
einfach dazu. Früher haben sich die Hooligans auch mit
irgendwelchen unbeteiligten Fußballfans angelegt,
aber das ist lange vorbei. Es gibt keine Opfer, weil je­
der weiß, worauf er sich einlässt. Wir lassen uns das
sogar unterschreiben.
Volontärin: Aha.
Haudegen: Sie sind immer noch skeptisch?
Volontärin: Ein wenig.
Haudegen: Wir unterscheiden uns vom Boxen nur durch unser
Image. Das macht uns zu schaffen. Dabei gibt es eine
lange Kulturgeschichte des Kampfes. Denken Sie an
die Gladiatoren! Das waren Helden im Alten Rom.
Was wir tun ist reiner Sport, es wird nur leider nicht
so wahrgenommen.
59
DIE HOOLIGA
Volontärin: Nun gut.
Haudegen: Es ist schwer, gegen alte Vorurteile anzukämpfen.
Volontärin: So schlimm ist es nun auch wieder nicht, ich höre
Ihnen offen und aufmerksam zu!
Haudegen: So habe ich das auch nicht gemeint!
Volontärin: Sie kriegen eine realistische Darstellung.
Haudegen: Da bin ich ganz zuversichtlich. Wo war ich stehen
geblieben? Ah, ja Feinde. Ich habe viele Leute kennen
gelernt. Manche sind in den Knast gegangen, einige
haben sich Verletzungen geholt und mussten aus­
steigen, andere haben Familien gegründet und sind
gegangen, ich bin geblieben. Mittlerweile haben wir
einen Kodex, aber es kommen eben auch immer
wieder neue Leute hinzu, und die müssen die Regeln
erst lernen.
Volontärin: Sie meinen Wolf und Cem?
Haudegen: Ich kenne die seit sie Kinder sind. Hier im Viertel
kennt jeder jeden. Ich habe verfolgt, wie sie groß ge­
worden sind, ich erinnere mich noch, wie sie das erste
Mal in den Clan kamen. Ich habe mit ihnen trainiert,
und wenn die heute Stars sind, dann sind sie das nicht
zuletzt auch wegen mir. Aber sie haben das vergessen.
Sie haben keinen Respekt, sie verstehen nicht, worum
es hier geht. All unsere Errungenschaften gelten ihnen
nichts. Ich sage Ihnen, diese Jugend ist eine größere
Gefahr für uns als alle anderen Clans, als die Polizei
oder die Gerichte. Sie sind so gefährlich, weil sie
drohen uns von innen zu zerfressen wie die Parasiten.
Sie haben keine Achtung und keine Werte. Sie wollen
sich einfach nur prügeln. (kurze Pause, der Haudegen
besinnt sich) Aber schreiben Sie das nicht. Es ist keine
große Sache. Wir können uns sicherlich einigen.
Volontärin: Wissen Sie, woran mich das alles erinnert? Wir
haben in der Schule King Lear gelesen.
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DIE HOOLIGA
Haudegen: Ist das nicht über den alten König, der sein Land an
seine Töchter verschenkt?
Volontärin: Ja, genau das.
Haudegen: Ach, so weit bin ich noch nicht. Ich bin noch gut
dabei und halte die Fäden in der Hand.
Volontärin: Eigentlich geht es in dem Stück darum, dass ...
Auftritt der Buchhalter mit einem Briefumschlag in der Hand.
Buchhalter: Ein Kurier hat das hier abgegeben. Er meinte, es sei
für dich persönlich und dringend.
Haudegen: Ah, ja danke! Das ging ja schnell!
Der Haudegen nimmt den Umschlag. Der Buchhalter ab. Der Hau­
degen öffnet den Umschlag, dass die Volontärin den Inhalt nicht se­
hen kann und entnimmt ein Tütchen mit weißem Pulver.
Haudegen: (zu sich) Jetzt habe ich dich, du kleiner Drecksack!
(zur Volontärin) Wo waren wir stehen geblieben?
Volontärin: Bei King Lear.
Haudegen: Ich gehöre noch nicht zum alten Eisen, keine Sorge!
(steckt das Tütchen in die Jackentasche)
Volontärin: Schon gut.
Haudegen: Was macht Ihr Vater übrigens?
Volontärin: Dem geht es ganz gut.
Haudegen: Wissen Sie, ich habe früher mit ihm gekämpft. Ich
kann Ihnen sagen, das war ein ziemlich harter Hund,
das sieht man ihm heute nicht mehr an.
Volontärin: Es ist schwer vorstellbar, dass der sich mal ge­
prügelt haben soll.
Haudegen: Das kann man sich bei vielen von uns nicht vor­
stellen. Wir kommen aus allen Gesellschaftsschichten.
Volontärin: Tja, der ist auch älter geworden, aber hart ist er
immer noch, und streng. Man muss sich schon was
einfallen lassen, um gegen ihn zu bestehen.
Haudegen: Er meint es sicher nur gut!
61
DIE HOOLIGA
Volontärin: Aber manchmal gehen einem die Weisheiten so
richtig auf den Keks. Sie versuchen immer alles zu
wissen, haben immer einen weisen Spruch parat!
Haudegen: Hören Sie auf die Alten, die haben viel erlebt. (kurze
Pause) Es tut mir leid, aber ich habe noch etwas
anderes zu erledigen. Sie entschuldigen mich.
Volontärin: Natürlich. Ich werde noch was schreiben.
Der Haudegen ab. Die Volontärin öffnet ihr Notebook und tippt.
62
DIE HOOLIGA
Akt II,iv
Konfessionen
Die Volontärin am Notebook. Der Wolf kommt hereingejoggt.
Wolf: Ah, die kleine Nachwuchsreporterin.
Volontärin: Und der große Hooligan-Star. Im Training?
Wolf: Immer. Mens sana in corpore sano.
Volontärin: Nett, aber du musst nicht klug scheißen, ich hatte
auch Latein.
Wolf:
Weißt du, als Hooligan muss man immer mit
Minderwertigkeitskomplexen kämpfen. Wir gelten als
hirnlose Schläger. Ich nehme an, du wirst das Klischee
auch bedienen.
Volontärin: Ich dachte mehr so an die Wahrheit.
Wolf: Sicher tust du das. Darf ich sehen?
Volontärin: Ist noch nicht fertig.
Wolf: Komm schon, ich bin neugierig. Was steht über mich
drin?
Er versucht über ihre Schulter auf das Notebook zu schauen, sie
klappt es zu, steht auf und läuft mit dem Notebook weg. Es entspinnt
sich eine neckische Jagd.
Die Volontärin: Wie kommst du darauf, dass überhaupt was
über dich drin steht?
Wolf: Weil ich hier der Macker bin!
Volontärin: Du hast vielleicht eine Macke!
Wolf: (gespielt gekränkt) Oh, das war jetzt aber ganz übel!
Volontärin: Passt doch zu dir!
Wolf: Du kannst mir ohnehin nicht entwischen. Ich habe es
schon mit flinkeren Typen aufgenommen.
63
DIE HOOLIGA
Volontärin: Bescheiden bist du nicht gerade.
Er verfolgt sie über den Tisch. Schließlich stellt er sie, ringt sie nieder
und setzt sich auf sie.
Volontärin: Finger weg!
Wolf: Von dir oder dem Computer?
Volontärin: Von beidem!
Wolf: Entscheide dich!
Volontärin: Den Artikel bekommst du jedenfalls nicht!
Wolf: Dann nehme ich dich!
Volontärin: Das werden wir ja sehen!
Wolf: Ich wusste es doch. Ihr kleinen reichen Mädchen steht
auf die harten Kerle!
Volontäre: Jetzt greifst du aber selbst tief in die Klischee-Kiste.
Bild dir mal nicht zuviel ein. Du bist eine große Num­
mer. Du hast sogar Fansites im Internet.
Wolf: Was will man machen? Mir liegt nichts dran, aber ich
nehme es mit. Dem Ruhm kann man nicht entgehen.
Volontärin: Und dennoch hast du diese wichtige Sitzung eben
platzen lassen.
Wolf: Noch ist nichts entschieden.
Volontärin: Wär aber ziemlich blöd oder nicht?
Wolf: Wenn das nichts wird? Mir geht’s nicht um Geld. (das
Gespräch ist ihm zu wichtig, um es durch Spielereien oder
Flirten zu entwerten, daher steht er auf und spricht nun
ernsthaft) Mir ist das zu viel Trallalla. Mich stören
schon die Kameras, wie sie ranzoomen. Wenn du
einen zusammenschlägst oder von einem zu­
sammengeschlagen wirst, dann ist das ein intimer
Moment zwischen euch beiden. Das geht niemanden
sonst etwas an. Weder dein Triumph noch dein
Schmerz.
Volontärin: Da könnten trotzdem Millionen für dich drin sein,
sagt man.
64
DIE HOOLIGA
Wolf: Ich brauche keins. Ich sehe jeden Tag scheißreiche Leute
in der Bank. Die sind nicht glücklicher als ich. Die se­
hen genauso abgefuckt aus wie normale Typen. Ich sag
dir, was Befriedigung ist. Letztens haben wir gegen
einen Clan gekämpft, in dem der Second Hero Versi­
cherungsmakler ist. Einer von diesen widerlichen Ty­
pen, die hausieren gehen und einem Verträge andre­
hen, die keiner braucht, die Ommas verarschen und
ausnehmen. Als ich mit dem fertig war, war sein
Gesicht ein blutiger Klumpen Fleisch. Dagegen hat er
keine Versicherung. Der wird für Monate niemandem
einen Vertrag andrehen können!
Volontärin: Das ist Befriedigung für dich?
Wolf: Das ist der Kick. Diesmal habe ich ihn gekriegt, das
nächste Mal kriegt er mich vielleicht. Ich weiß, wie es
ist, wenn drei Typen dich in die Mangel nehmen, nur
noch Schmerz in dein Hirn gepumpt wird und du
dich danach wochenlang nicht mehr bewegen kannst.
Aber was auch passiert, du bist immer selbst verant­
wortlich. Es gibt keine Versicherung. Die hat der Typ
nicht parat. Er hat Versicherungen gegen alles, aber
nicht gegen drei wilde Schläger, die dir die Scheiße ais
dem Hirn prügeln. Ich will den ehrlichen Kampf.
Volontärin: Aber den will doch auch der Haudegen.
Wolf: Der will Schnickschnack und uns eine tausendjährige
Tradition verordnen. Ich will nur Hooligan sein.
Volontärin: Hooligan ist auch der Haudegen.
Wolf: Der will den Clan zu einem Esoterikverein machen, zu
einem anerkannten Sport. Aber es ist nun mal kein
Sport. Es ist dreckig und unfair und hinterhältig.
Volontärin: Dann tritt doch aus! Niemand zwingt dich, hier zu
sein.
Wolf: Ich bin hier groß geworden. Ich kenne nichts anderes. Ich
habe hier meine Freunde, echte Freunde, auf die ich
mich verlassen kann. Ich bin nicht irgendein Schläger.
65
DIE HOOLIGA
Ich bin Hool, und ein Hool braucht einen Clan. Ich will
hier bleiben, aber ich will kein Kasperltheater. (flirtet
wieder) Also, was ist jetzt mit dem Artikel? Der oder
du!
Volontärin: Den kriegst du nicht.
Wolf: Dann nehme ich dich!
Er packt sie, wirft sie über die Schulter. Sie wehrt sich nur spo­
radisch. Das Notebook bleibt auf dem Boden liegen.
Volontärin: Lass mich runter!
Wolf: Du hattest deine Chance: Jetzt bekommst du von dem
brutalen, bösen Schläger das, was du verdienst.
Volontärin: Lass mich runter, verdammt!
Wolf: Du gehörst mir!
Volontärin: (gespielt) Du brutaler, böser Schläger, lass mich los!
Wolf: Du hattest deine Chance!
Wolf mit Volontärin nach links ab.
66
DIE HOOLIGA
Akt II, v
Allianzen
Von rechts Cem und der Buchhalter
Buchhalter: Was war das für ein Schauspiel da in der Sitzung?
Cem: Ich weiß auch nicht, ich schwöre!
Buchhalter: Ihr braucht diese Liga. Macht nicht alles kaputt!
Cem: Ja klar. Ich brauche die auf jeden Fall.
Buchhalter: Was ist mit Wolf? Dem scheint alles egal zu sein.
Cem: Der tut nur so. Der Clan ist sein Ein und Alles. Der hat
sonst nichts. Der lebt für den Kampf. Dem bricht das
Herz, wenn das hier nichts wird.
Buchhalter: Das wirkt aber nicht so.
Cem: Doch Mann, glaub mir. Der lebt für den Clan. Ey, der ist
einfach ausgeflippt. Ich weiß auch nicht, was das
sollte! Wir müssen was tun.
Buchhalter: Weißt du, von dieser ganzen Horde bist du mir
noch der Sympathischste. Du machst das wegen des
Geldes. Das kann ich wenigstens nachvollziehen. Ich
bin mittlerweile auch nur noch wegen des Geldes hier.
Aber diese beiden Leitwölfe, das sind Psychopathen.
Die haben irgendwelche krausen Ideologien. So was
ist gefährlich, ich sage es dir. Die spielen sich auf,
wollen Anführer sein und benehmen sich wie die
Kinder.
Cem: Die hassen sich.
Buchhalter: Erklär’s mir. Warum könnt ihr euch nicht wie
Erwachsene benehmen?
Cem: Das ist Ehre, Mann. Ehre!
67
DIE HOOLIGA
Buchhalter: Irgendwelche Schäden in der Kindheit? Haben
eure Eltern euch misshandelt? Wie wird man so?
Cem: Das verstehst du nicht, das ist Männerehre!
Buchhalter: Sind eure Schwänze wirklich so klein?
Cem: Was?
Buchhalter: Dass ihr euch so benehmen müsst?
Cem: Hey, pass auf, was du sagst!
Buchhalter: Ach, bist du mit deiner Sexualität etwa auch nicht
im Reinen?
Cem: Ich bin nicht schwul! Du bist gleich tot, Alter!
Buchhalter: Macht, was ihr wollt. Ich würde es nur gerne ver­
stehen. (sieht Cem an) Nichts für ungut.
Cem: Ey, wie redest du?
Buchhalter: (lenkt ein) Schon gut, schon gut. Also, wir beide
müssen das jetzt retten. Mir ist es egal, wie viel ihr
oder der Haudegen bekommt, (leise) ich mache
meinen Schnitt auch so, ihr Schwachsinnigen könnt ja
alle nicht rechnen (laut), aber ich vertrete seine Inter­
essen eben. Rede du mit Wolf. Du musst den um­
stimmen. Der muss einlenken. Über die Prozente
einigen wir uns irgendwie, aber du musst ihn dazu
bringen, zuzustimmen. Klar? Ich mach das gleiche mit
dem Haudegen.
Cem: Kein Thema. So sehe ich das auch.
Buchhalter: Jetzt liegt es an uns. Wenn diese Sturköpfe sich
nicht einigen, dann müssen halt die kühlen Rechner
das reißen.
Cem: OK, Ich rede mit ihm, der hört auf mich.
Buchhalter: Wollen wir hoffen.
Cem: Du bist in Ordnung, Mann. Für einen Bürotypen bist du
in Ordnung. Du musst nur aufpassen, was du sagst!
Buchhalter: Dann wäre das ja geklärt. So, ich muss zum Hau­
degen.
68
DIE HOOLIGA
Cem: Alles klar!
Buchhalter: (sieht das Notebook auf dem Boden liegen, hebt es auf
und legt es auf den Tisch) Weißt du eigentlich, wo diese
Reporterin ist? Die soll hier nicht so frei rumlaufen.
Cem: Keine Ahnung. Die interessiert mich nicht.
Buchhalter: Ist auch egal. Rede mit Wolf.
Cem: Alles klar, Mann, werde ich!
Der Buchhalter nach rechts ab.
69
DIE HOOLIGA
Akt II, vi
Einnordung
Cem. Die Blonde kommt von links.
Die Blonde: (aufgeregt) Was sollte diese Scheiße?
Cem: Ich weiß auch nicht.
Die Blonde: Du weißt auch nicht, du weißt auch nicht!
Cem: Ganz ruhig, Baby.
Die Blonde: Lass das!
Cem: Was hast du?
Die Blonde: Sag mal, checkst du überhaupt nichts?
Cem: Baby! Nicht in dem Ton!
Die Blonde: In einem anderen verstehst du es nicht.
Cem: Was soll ich denn tun? Der dreht total am Rad!
Die Blonde: Ich habe dir immer gesagt, dass der einen an der
Klatsche hat!
Cem: Jetz reg dich ab!
Die Blonde: Bist du vollkommen wahnsinnig?
Cem: Nicht in dem Ton!
Die Blonde: Dieser Idiot auf seinem Ego-Trip!
Cem: Was soll ich denn machen?
Die Blonde: Lass ihn fallen!
Cem: Der ist mein Freund!
Die Blonde: Der ist kein Freund, der spielt nur auf eigene Rech­
nung.
Cem: Was soll ich denn machen?
Die Blonde: Wenn es noch mal eine Abstimmung gibt, dann
wirst du für die Liga stimmen.
70
DIE HOOLIGA
Cem: Das kann ich nicht machen. Ich kann ihm nicht in den
Rücken fallen.
Die Blonde: Doch, das kannst du! Das ist keine Ehrensache
oder irgend so ein Scheiß. Hier geht es um ganz viel
Schotter! Und der benimmt sich wie ein tollwütiger
Köter!
Cem: Aber was denn?
Die Blonde: Das nächste Mal stimmst du für die Liga!
Cem: Ich kann doch nicht gegen ihn stimmen!
Die Blonde: Und ich sag dir noch was! Wenn es sein muss,
trommel ich die anderen Jungs zusammen, die werden
ihm die Scheiße aus dem Hirn prügeln, wenn er nicht
spurt.
Cem: Bist du verrückt geworden?
Die Blonde: Du solltest besser mal ruhig nachdenken. Was ist
dir wichtiger?
Cem: Red nicht so!
Die Blonde: Du hast es in der Hand. Denk nach.
Cem: Ich werde mit ihm reden.
Die Blonde: Tu das! Aber wenn er nicht auf dich hört, dann
denk an uns! Denk daran, dass wir hier raus wollen.
Denk an die Autos und die Wohnung und den Luxus.
Denk an uns! Das ist unsere Fahrkarte!
Cem: Er wird auf mich hören!
Die Blonde: Wenn er nicht auf dich hört, dann denk an uns.
Cem: Er wird schon auf mich hören! Wir sind Brüder.
Die Blonde: Ein Scheiß seid ihr!
Cem: Sag so was nicht!
Die Blonde: Ich sag dir, was ich tue. Ich werde jetzt mit dem
Haudegen reden. Und du wirst mit Wolf reden!
Cem: OK.
Die Blonde: Denk nach! Verdammt! Denk nach! Dem ist alles
egal!
71
DIE HOOLIGA
Cem: OK.
Die Blonde: Sag nicht OK, mach es einfach! Ach, was rede ich
eigentlich? Ich kümmere mich selbst drum und rede
mit den Alten.
Die Blonde ab.
72
DIE HOOLIGA
Akt II, vii
Die Parabel von Sindbad und dem alten Mann
Cem setzt sich an den Tisch. Von links kommt die Volontärin und
richtet ihre Kleidung. Sie geht an ihre Tasche und kramt darin herum,
nimmt dann ihr Notebook und geht nach rechts ab, ohne Cem zu be­
achten. Ihr ist es peinlich. Auftritt von links Wolf. Er macht seine
Hose zu und lächelt triumphierend mit einer Macho-Geste.
Cem: (sein Unmut verfliegt sehr schnell bim Anblick des Mädchens.
Er ist offensichtlich beeindruckt vom Wolf) Hey, hey!
Wolf: Public Relations, Öffentlichkeitsarbeit.
Cem: War sehr offen, die Pflaume!
Wolf: Einer muss sich ja opfern.
Cem: Du bist so ein guter Mensch!
Wolf: Selbstlos bis zur Kopulation.
Cem: (versucht ernst zu werden) Hör mal, wir müssen reden! Das
war scheiße eben.
Wolf: Was?
Cem: Ich habe mit dem Buchhalter gesprochen.
Wolf: Was redest du, Mann?
Cem: Der will sich mit uns einigen. Das ist ein kluger Mann,
mit dem kann man verhandeln. Der ist nicht gegen
uns.
Wolf: Lass dich doch nicht einlullen! Das ist ein Vertreter, der
labert dich voll und verdreht alles.
Cem: Der ist OK!
Wolf: Das ist ein Lakai. Eine Wurst! Es geht um den Haudegen.
Der entscheidet. Diese Aktentasche hat nichts zu
sagen. Lass dich nicht verarschen.
73
DIE HOOLIGA
Cem: Wir müssen uns mit denen einigen!
Wolf: Bleib mal locker!
Cem: Das ist meine Fahrkarte hier raus. Ich kann mir das nicht
durch die Lappen gehen lassen!
Wolf: Wir dürfen uns nicht über den Tisch ziehen lassen!
Cem: Kann dir doch alles egal sein. Was kümmerst du dich um
die Kohle?
Wolf: Wir dürfen uns nicht alles gefallen lassen.
Cem: Was redest du da?
Wolf: Wenn wir jetzt nachgeben, dann zerren die uns immer
wieder am Nasenring durch die Arena!
Cem: Ich verstehe dich nicht! Ist doch alles total egal.
Wolf: Nein, das ist es ganz und gar nicht!
Cem: Wir müssen da rein. Alles andere ist doch egal!
Wolf: Wir müssen jetzt ein Signal setzen!
Cem: Das kannst du doch auch, wenn wir drin sind! Ich versteh
das alles nicht!
Wolf: Du kannst denen alle nicht trauen.
Cem: Der Buchhalter ist in Ordnung. Ich habe mit dem geredet.
Wolf: Ich kenne Typen wie den. Ich bin selber einer von denen.
Die ficken dich von vorne und von hinten! Falsche
Schlangen sind das!
Cem: Falsche Schlange, falsche Schlange! Du musst dich mal
hören! Du hast keinen Respekt!
Wolf: Vor solchen Typen kann ich keinen Respekt haben!
Cem: Ohne den hätten wir nichts. Davor musst du Respekt
haben!
Wolf: Scheiße! Das ist ein alter Penner, der vielleicht mal früher
was gerissen hat, aber jetzt sitzt er da und hält sich die
Wampe. Der bringt es nicht mehr, der will nur noch
die Geldsäcke zählen!
Cem: Ich habe Achtung vor so was, und das solltest du auch.
74
DIE HOOLIGA
Wolf: Achtung, Achtung, Achtung! Du bist ein armseliger
kleiner Spinner!
Cem: Pass auf, Mann!
Wolf: Achtung! Willst du wissen, vor wem ich Achtung habe?
Cem: Sag’s!
Wolf: Ich habe Achtung vor jedem, der sich in den Ring traut.
Ich habe Achtung vor jedem, der mir die Fresse po­
liert. Ich habe Achtung vor allen, die sich von mir die
Fresse polieren lassen. Aber ich habe keine Achtung
vor einem alten Sack, dessen Zeit abgelaufen ist und
der jetzt nur noch darauf aus ist, dass sich nichts mehr
ändert. Ich habe keine Achtung vor einem, der uns un­
ten halten will! Der sitzt da, hat sich die Regeln so ge­
macht, dass sie ihm passen und kontrolliert nun alles.
Cem: So ist das nicht!
Wolf: Ich erzähl dir mal ne Geschichte. Kennst du Sindbad den
Seefahrer?
Cem: Der mit den 40 Räubern!
Wolf: Das ist Ali Baba. Sindbad ist so ein kleiner Packer.
Cem: Ey stimmt. Gab’s da nicht eine Sendung im Fernsehen?
Wolf: Genau der.
Cem: Ja, genau der. Das war super! Im Orient und so!
Wolf: Heimatgefühle?
Cem: Was meinst du?
Wolf: Wie auch immer. Da gibt es eine Geschichte um Sindbad
und den alten Mann am Brunnen. Kennst du die?
Cem: Erzähl!
Wolf: Also Sindbad kommt an einen Brunnen und sieht da
einen alten knochigen Mann, der fast nackt ist und
ziemlich fertig aussieht. Der Alte bittet Sindbad ihn
ein Stück zu tragen, und weil Sindbad ein netter
Mensch ist, stimmt er zu und nimmt den Alten auf die
Schultern. Komm, wir machen das mal. (Wolf springt
75
DIE HOOLIGA
Cem auf die Schultern, bevor der weiß, wie ihm geschieht)
Also trägt der ihn. Aber irgendwann wird der Alte zu
schwer, und Sindbad will ihn loswerden, aber der Alte
lässt sich nicht abschütteln.
Cem: Der Wichser!
Wolf: Wenn es dem nicht schnell genug geht, dann würgt er
Sindbad mit seinen dürren Schenkeln. (Wolf würgt
Cem, bis der nach Luft ringt und röchelt)
Cem: Ey, hör auf!
Wolf: Genau das sagt auch Sindbad. Aber so sehr er es ver­
sucht, der kann den Alten nicht abschütteln. Komm
versuch’s, Dicker!
Cem schüttelt sich, aber Wolf lässt sich nicht abwerfen. Er versucht
einiges, hat aber keinen Erfolg. Schließlich rennt er mit dem Rücken
gegen die Wand und quetscht Wolf kräftig ein. Aber der lässt nicht
los, würgt nur noch weiter und schlägt auf Cem ein.
Cem: Hör auf, Mann!
Wolf: Siehst du, genau so! (erzählt weiter) Er befiehlt Sindbad,
ihm was zu essen und zu trinken zu holen, und pisst
und scheißt ihn total voll. Selbst wenn der Alte Sind­
bad ein wenig schlafen lässt, hängt er ihm immer am
Hals. Sindbad ist wie ein Gefangener, der Sklave
dieses knochigen alten Arsches!
Cem: Ey, im Fernsehen hat nie einer auf Sindbad geschissen.
Das ist ja krank, das ist ja pervers!
Wolf: Ich erzähle dir die echte Sage. Du hättest mal ein Buch
lesen sollen, anstatt dir das Hirn von der Glotze
toasten zu lassen.
Cem: Sei vorsichtig, was du sagst, ich bin nicht blöd!
Wolf: Dann komm, versuch mich loszuwerden!
Cem versucht vergeblich Wolf abzuschütteln.
Cem: Ich schaff’s nicht. Also, wie ist Sindbad den Alten losge­
worden?
76
DIE HOOLIGA
Wolf: Er hat ihn betrunken gemacht mit gegorenen Früchten,
und als der Alte besoffen von Sindbads Schultern
gefallen ist, da hat Sindbad ihn mit einem Stein er­
schlagen!
Cem: Ey, das –
Wolf springt von den Schultern Cems, holt den Baseballschläger her­
vor und schlägt damit recht heftig auf Cem ein.
Wolf: Ja, ich weiß, das war auch nicht im Fernsehen! Warum er­
zähle ich dir wohl die Geschichte?
Cem: Weil der Haudegen der knochige Alte ist und wir sind
Sindbad?
Wolf: Ganz genau. Diese ganze Falten-Mischpoke, hängt,
würgt und gängelt uns und macht uns zu ihren Skla­
ven! Wir sind die besten Kämpfer, die es jemals gege­
ben hat. Wenn jemand Respekt verdient, dann sind
wir das! Aber die hängen uns auf dem Buckel und
saugen uns aus wie die Parasiten!
Cem: Nein, so kannst das nicht sehen. Die tun auch viel für uns.
Die leiten das hier alles. Die verdienen unseren Re­
spekt. Wenn du wie ich wärst, würdest du das ver­
stehen.
Wolf: Wofür verdienen die unseren Respekt, Muselmann?
Cem: Die haben Erfahrung. Die kennen das Leben, die haben
das verdient. Das ist einfach so! Die Jungen haben Re­
spekt vor den Alten!
Wolf: Du lässt dir von denen auch jede Scheiße einreden! Was
ist das denn für eine Leistung? Alt werden kann jeder.
Wir haben heute was geleistet. Wir haben zu zweit
vier Typen platt gemacht. Dafür verdienen wir Re­
spekt. Der Haudegen, hängt hier rum, weil er draußen
nichts mehr kriegt! Aber wir sind nicht hier, dem die
verdammte Rente zu finanzieren. Das kann der sich
abschminken!
Cem: Hey, so einfach ist das nicht!
77
DIE HOOLIGA
Wolf: Doch, es ist so einfach! Mann, denk doch mal nach! Wer
hält hier seine Knochen hin? Wir! Wer riskiert sein
Leben? Wir! Wer macht seine Gesundheit kaputt? Wir!
Und was machen die? Die sitzen da auf ihren fetten
Ärschen, kungeln und klüngeln und reiben sich die
Hände und verkaufen uns. Denk mal drüber nach,
Sindbad!
Cem: (unsicher geworden) So ist das nicht!
Wolf: Was passiert denn, wenn dir im nächsten Clan War einer
in den Rücken springt und du wie ne Waschmaschine
auf der Sackkarre im Rollstuhl rumgeschoben werden
musst? Stehen die fetten Säcke dann hinter dir? Keine
Chance! Die lassen dich fallen wie heiße Ware. Es gibt
genug Beispiele dafür, auch bei uns.
Cem: OK, vielleicht hast du damit Recht!
Wolf: Nur! Und wir reißen uns für die den Arsch auf.
Cem: Ja, das tun wir.
Wolf: Also, dann nimm die nicht noch in Schutz. In dieser
Frage gibt es kein Lavieren!
Cem: Kein was?
Wolf: Du musst dich entscheiden. Es gibt kein ‚Aber’, es gibt
nur ein ‚Ja’ oder ‚Nein’. Auf welcher Seite stehst du?
Cem: Auf deiner, Mann!
Wolf: Komm her, Alter! Ich wusste, dass ich mich auf dich
verlassen kann! (sie umarmen sich)
Cem: Aber tu nichts, was das hier gefährden könnte. Ich brau­
che die Liga, verstehst du? Ich brauche die Liga. Ich
brauche das Geld und die Hoffnung. Das ist mein
Weg hier raus!
Wolf: Ich brauche die doch auch! Du kannst mir vertrauen! Wir
kriegen das hin!
Cem: Das hast du heute schon mal gesagt.
Wolf: Und jetzt wird es laufen.
Cem: Wir wollen gleich noch mal verhandeln.
78
DIE HOOLIGA
Wolf: Vertrau mir!
Cem: Klar, Mann. Wenn meine Blonde sich mit denen einigen
kann, dann stimm aber zu, ok?
Wolf: Kein Thema, Bruder!
Umarmen sich nochmals. Beide ab.
Vorhang.
79
DIE HOOLIGA
Akt III,i
Neue Hoffnungen
Auftritt der Haudegen, der Buchhalter, Cem und die Blonde
Haudegen: Also?
Buchhalter: Wir versuchen eine Einigung zu erzielen.
Haudegen: Ich sehe Wolf nicht. Was ist mit dem?
Cem: Der hat versprochen, sich jeder guten Lösung anzu­
schließen.
Haudegen: Wer’s glaubt!
Die Blonde: Wir wollen doch alle eine Lösung. Wir wollen alle
die Liga. Dieses ganze Theater ist doch unsinnig.
Haudegen: Es liegt nicht an mir. Mit mir kannst du ganz ver­
nünftig reden.
Die Blonde: Na, das ist doch ein Wort.
Buchhalter: Ich schlage vor, dass wir beiden (nickt zur Blonden)
uns zusammen setzen und einen Kompromiss finden.
Haudegen: Ihr beide?
Buchhalter: Es ist besser, wenn das zwei neutrale Leute ma­
chen.
Haudegen: Keine gute Idee!
Buchhalter: Es geht doch nicht darum, irgendwas über deinen
Kopf hinweg zu entscheiden, aber die Situation ist halt
vertrackt, da ist es besser, wenn das von zwei Leuten
ausgehandelt wird, die da nicht so involviert sind. Ich
lass mich schon nicht übervorteilen.
Haudegen: (widerwillig) Also gut, ich höre mir an, was ihr da
macht, aber ich halte nicht viel davon.
Buchhalter: Das ist vollkommen in Ordnung.
80
DIE HOOLIGA
Die Blonde: Wir einigen uns bestimmt.
Haudegen: (beiseite) Eine Frau und ein Buchhalter treffen hier
die Entscheidung. So weit ist es schon gekommen.
Cem und der Haudegen ab. Die Blonde und der Buchhalter setzen
sich an den Tisch.
Vorhang.
81
DIE HOOLIGA
Akt III,ii
Weibliche Intuition
Die Blonde sitzt am Tisch und betrachtet einige Papiere. Die Volontä­
rin kommt herein.
Volontärin: Hallo!
Die Blonde: Was macht die Reportage?
Volontärin: Geht so voran. Bin ganz zufrieden. Gibt’s was Neu­
es bei euren Problemchen?
Die Blonde: Ich hoffe, dass sie das geregelt kriegen. Wir haben
einen guten Kompromiss gefunden. Jetzt muss der Rat
dem nur noch zustimmen.
Volontärin: Hört sich ja spannend an.
Die Blonde: (Pause) Wie ist dein erster Eindruck?
Volontärin: Wovon?
Die Blonde: Von all dem hier.
Volontärin: Naja, ich komme so zurecht.
Die Blonde: Das hier muss auf jemanden wie dich alles fremd
wirken.
Volontärin: Auf jemanden wie mich?
Die Blonde: Du siehst nicht aus, als würdest du aus so `nem
Ghetto kommen.
Volontärin: Wie ihr?
Die Blonde: (nach einer kurzen, aber kühlen Pause) Genau.
Volontärin: Merkt man das? Aber du hast Recht. Ich kann mit
all dem nicht viel anfangen.
Die Blonde: Manchmal übertreiben die mit ihrem MachoScheiß. Die nehmen das hier alle ziemlich ernst. Aber
so ist es eben. Ich habe mich damit abgefunden. Lass
82
DIE HOOLIGA
dich nicht einschüchtern. Die meinen, sie müssten sich
so benehmen, damit sie sich wie Männer fühlen.
Volontärin: Ach, ich habe keine Angst.
Die Blonde: Also mir war mulmig, als ich das hier kennen ge­
lernt habe. Ein Haufen Typen, die sich ständig prügeln
und die Köpfe einschlagen.
Volontärin: Du hast Recht, die wirken irgendwie gefährlich,
aber das hat ja auch manchmal was.
Die Blonde: Die machen ja auch noch andere Sachen, und die
sind teilweise ganz in Ordnung.
Volontärin: Meinst du? Das ist mir alles super suspekt. Meinen
die das wirklich ernst? (kurze Pause, in der sie sich
besinnt) Für mich hört sich das alles wie irgendein Sek­
tenkram an. Die machen ihre illegalen Sachen und ver­
stecken hinter so einem Pseudo-Engagement. Meinen
die das wirklich ernst, oder ist das alles nur
Verarsche?
Die Blonde: Kann verstehen, dass das so wirkt. Aber da kommt
viel bei rum.
Volontärin: Wirklich?
Die Blonde: Du verstehst das nicht. Wenn du hier in dem
Viertel groß geworden wärst, wüsstest du, dass sich
hier keiner um dich kümmert.
Volontärin: Fängst du jetzt auch schon so an?
Die Blonde: Das ist kein Scheiß!
Volontärin: Ach!
Die Blonde: Die meisten hier leben von den Almosen des Staa­
tes. Es gibt hier keine Jobs. Die Kids haben keine
Schulabschlüsse, und wenn sie welche haben, bekom­
men sie keine Ausbildung. Wer hier lebt, der hat ver­
schissen. Es gibt hier nichts außer dem Clan. Der Clan
gibt Hoffnung. Hier identifiziert man sich mit dem,
weil der das einzige ist, das Erfolg hat. Die Leute hier
lieben den Clan und im Gegenzug kümmert der sich
83
DIE HOOLIGA
um die Leute. Ich nehme an, der Haudegen hat dir da­
von erzählt.
Volontärin: Der Haudegen erzählt das gleiche wie du jetzt. Ihr
scheint euch auf mich gut vorbereitet zu haben.
Die Blonde: Dafür müssen wir uns nicht vorbereiten. Über­
schätz dich mal nicht, hier dreht sich nicht alles um
dich.
Volontärin: So habe ich das nicht gemeint.
Die Blonde: Der Haudegen meint das alles sehr ernst.
Volontärin: Hab ich gemerkt.
Die Blonde: Mag sein, dass er dich geholt hat, um das Image
des Clans zu verbessern und gute Presse zu bekom­
men. Aber der Grund ist eigentlich egal. Es hilft den
Leuten, und das zählt. Das Viertel blüht wieder ein
bisschen auf. Man hat wieder ein klein wenig Hoff­
nung. Der Clan hat die Dealer vertrieben und es gibt
so was wie eine Nachbarschaftspolizei, die nachts
durch die Straßen läuft und aufpasst. Als Frau bist du
ein kleines Bisschen sicherer. Es ist nicht viel, aber
man merkt, dass es besser wird.
Volontärin: Das Viertel, das Viertel! Du erzählst mir, dass ein
Verein von Schlägern dafür sorgt, dass in eurem
Viertel die Gewalt abnimmt. Was ist das, eine
Bürgermiliz? Eure Leute laufen hier Patrouille?
Die Blonde: So ist es nicht!
Volontärin: Ich verstehe euch nicht.
Die Blonde: Das merke ich.
Volontärin: Wenn ich ehrlich bin, bin ich froh darüber.
Die Blonde: Für eine Journalistin ist das keine gute Einstellung.
Volontärin: Mag sein, warte ab, wie der Artikel aussehen wird.
Die Blonde: So wie du im Moment redest, werden wir nicht
gut wegkommen.
Volontärin: Das liegt nicht an mir, wie ihr wegkommt. Mach
dir mal keine Sorgen um meine Einstellung zu euch.
84
DIE HOOLIGA
Die Blonde: Das hier bedeutet vielen Leuten verdammt viel.
Du solltest das nicht zu leicht nehmen. Du kannst hier
viel zum Guten bewegen. Wenn diese Liga wirklich
seriös wird, dann wird das Viertel davon unendlich
profitieren.
Volontärin: Wir werden sehen.
Die Blonde: Das werden wird wohl.
Volontärin: Aber sag mal, was ich mich frage: Wie ist das,
wenn dein Freund sich den Schädel einschlagen lässt.
Hast du da keine Angst?
Die Blonde: Angst? Weißt du, wie es ist, stundenlang wie eine
Bettlerin im Arbeitsamt zu sitzen und um Almosen zu
winseln? Du kommst dir wie eine Ratte vor, wenn du
da vor einem gelangweilten Beamten hockst, der dich
für Abschaum hält, und du um Geld betteln musst.
OK, mittlerweile habe ich einen Job, aber einen ziem­
lich miesen. Ich sollte dankbar sein, aber ich habe
keine Lust, noch dreißig Jahre lang fettige Haare zu
waschen, zu schneiden und zu fönen. Ich will hier
raus!
Volontärin: Was hat das damit zu tun?
Die Blonde: Cem ist meine Fahrkarte nach draußen. Wenn du
hier wohnst und nicht ein Genie bist wie Wolf, der in­
telligent genug war, einen Ausbildungsplatz zu be­
kommen, dann gibt es nur wenige Möglichkeiten. Die
Typen machen krumme Dinger oder kämpfen, und
die Frauen suchen sich einen Kämpfer oder kriegen
Kinder, weil es dafür Geld gibt. So einfach ist das. Ich
bin schon seit Jahren mit Cem zusammen, und ich
passe auf ihn auf. Ich halte ihn von seinen Freunden
fern, die ihn in ihre miesen Geschäfte ziehen und ab­
zocken wollen. Ich passe auf, dass er sauber bleibt,
dass er keine Scheiße macht und nicht in die falschen
Kreise kommt. Ich bin so was wie seine Managerin. Er
ist nicht der Klügste, aber er ist ein guter Kerl. Durch
ihn komme ich aus dem Dreck raus, und jetzt ist es
85
DIE HOOLIGA
bald soweit. Natürlich habe ich eine Scheißangst um
ihn, und nicht nur wegen der Knete. Ich liebe ihn. Ver­
stehst du das?
Volontärin: Absolut.
Die Blonde: Du hast keinen Schimmer. Er ist unser Ticket hier
raus, aber das kann auch ganz schnell zuende sein.
Wenn sie ihm die Knochen zertreten, dann ist es für
ihn und für mich aus.
Volontärin: Also ist er dein Goldesel.
Die Blonde: Du hast keinen Schimmer.
Volontärin: Woher willst du sicher sein, dass der dir nicht
abhaut, wenn er es geschafft hat? Es gibt noch blonde­
re als dich.
Die Blonde: Das weiß ich einfach, und red nicht so abfällig. Sei
froh, dass sie sich gegenseitig die Fresse einschlagen.
Wenn Leute wie ich sie nicht zurückhalten würden,
kämen sie vielleicht auf die Idee, zu Leuten wie dir zu
kommen und sich zu nehmen, was sie sonst nicht
kriegen können.
Volontärin: Dann bin ich wohl besser froh, dass Leute wie ihr
sich zum Vergnügen von Leuten wie mir verprügeln,
anstatt Leute wie mich auszuplündern.
Die Blonde: Ich hoffe, dass dein Job dich mal etwas mehr Ach­
tung vor anderen lehren wird, sonst sehe ich schwarz
für deine Karriere!
Volontärin: Mach dir mal keine Sorgen um meine Karriere. Da
habe ich alles im Griff. (kurze Pause, in der sich die Ge­
müter abkühlen) Aber lass mal gut sein. Sag mal, was ist
denn der Wolf für einer?
Die Blonde: (kurze Pause) Der ist gefährlich.
Volontärin: Wieso?
Die Blonde: Der nennt sich nicht ohne Grund den einsamen
Wolf.
Volontärin: Hat er eine Freundin?
86
DIE HOOLIGA
Die Blonde: Der kümmert sich nur um sich. Der hat keine
Freundin, den interessieren Frauen nicht.
Volontärin: Da hatte ich einen anderen Eindruck.
Die Blonde: (sieht sie an) Mach dir da keine Illusionen. Der ist
ein Einzelgänger. Der kümmert sich nur um sich. Der
nimmt sich, was er braucht, aber das war’s. Er hat
Cem noch nie im Stich gelassen, aber ich habe immer
ein mulmiges Gefühl, wenn die zusammen kämpfen.
Volontärin: Na ja, wem kann man heutzutage noch trauen?
Die Blonde: Wenn du hier groß geworden wärst, dann wüss­
test du, dass Freundschaft und Vertrauen das
Wichtigste sind. Hier gibt es so viele, die ums Über­
leben kämpfen. Die sind bereit, dafür alles und jeden
zu verraten. Da ist es wichtig, dass es Leute gibt,
denen du vertrauen kannst. Vielleicht ist das in deiner
Welt anders, aber hier musst du jeden Moment damit
rechnen, abgezockt zu werden. Jemanden zu haben,
auf den man sich verlassen kann, ist wichtiger als alles
andere.
Volontärin: Da habe ich ja noch ein paar geballte Lebensweis­
heiten gesammelt. Vielen Dank dafür!
Die Blonde: Bleib mal ganz locker. Was ist mit dir los?
Volontärin: Schon gut. Ich sammele heute von allen Seiten gute
Ratschläge. (kurze Pause) So, ich muss noch was
schreiben. Bald ist Redaktionsschluss.
Die Blonde: (kühl) Viel Erfolg.
Volontärin: Danke.
Die Volontärin ab, die Blonde sieht ihr noch einen Augenblick hin­
terher, dann geht sie in die andere Richtung ab.
Vorhang.
87
DIE HOOLIGA
Akt III, iii
Der zweite Versuch
Die Taiko-Trommler kommen herein und trommeln langsam zum
Beginn der Sitzung. Wolf und Cem kommen herein.
Cem: (angespannt) Wie sieht’s aus?
Wolf: Bleib locker!
Cem: Bist du sicher?
Wolf: Alles im grünen Bereich?
Cem: Sicher?
Wolf: Hörst du schlecht? Hast du wieder auf’m Döner gepennt?
Cem: Das ist nicht witzig!
Wolf: Pul dir mal das Pressfleisch aus den Ohren.
Cem: Ey, das meine ich ernst! Jetzt kommt es drauf an!
Wolf: Bleib ruhig, ich habe mit deiner Pflaume gesprochen.
Cem: Und?
Wolf: Ist alles ok. Wir machen das so, wie ihr euch das ausge­
dacht habt.
Cem: (bleibt skeptisch) Bist du ganz sicher?
Wolf: Sag mal, langsam nervt es!
Cem: Ich habe immer zu dir gestanden, aber wenn du jetzt
Scheiße baust!
Wolf: Was dann?
Cem: Mach es nicht! (kurze Pause) Mach es nicht!
Wolf: Bleib locker, alles wird gut. Vertrau mir! Habe ich dich je
enttäuscht? (kurze Pause, in der Cem skeptisch schweigt)
Komm schon! Wir machen es, wie deine Alte sagt!
Wolf zieht Cem mit sich, der sich ein wenig sträubt, dann aber ein­
lenkt.
88
DIE HOOLIGA
Cem: Bruder! (sie umarmen sich, dann gehen sie gemeinsam an den
Tisch und setzen sich)
Haudegen, Buchhalter, zwei Ratsmitglieder kommen herein.
Buchhalter: Was ist jetzt?
Haudegen: Es bricht mir das Herz, wenn ich sehe, wie du
verhandelt hast.
Buchhalter: Es ging nicht anders!
Haudegen: Ich weiß.
Buchhalter: Also?
Haudegen: (säuerlich) Ich stimme zu.
Buchhalter: Na also! Das ist die richtige Entscheidung.
Sie setzen sich ohne ein weiteres Wort, aber mit der Andeutung skep­
tischer Blicke auf die bekannten Plätze. Man spürt die Anspannung.
Die Trommler beginnen zur Sitzung zu trommeln, werden aber sofort
unterbrochen.
Haudegen: Halt! (die Trommler stoppen) Ziehen wir das Prozede­
re nicht unnötig in die Länge. Wir wollen alle die Ent­
scheidung.
Wolf: (nach einer kurzen Pause, in der er nachdenkt) Plötzlich kein
Interesse mehr an deinen rituellen Voodoo-Trommeln?
Cem: (aufbrausend) Scheiße Mann!
Wolf: Bleib ruhig, ist schon ok!
Haudegen: Wir sind erneut zusammengekommen, um über die
ausstehenden Entscheidungen des Rates zu befinden,
nachdem die erste Sitzung so unplanmäßig und ge­
schäftsordnungswidrig unterbrochen wurde. Ich rufe
erneut den Punkt fünf der Tagesordnung auf, in dem
es um die Verteilung der Einnahmen geht. Entgegen
der Sitzungsordnung wird dieser Punkt neu beraten,
obwohl hierzu bereits abgestimmt wurde. Ich über­
gebe hierzu dem Buchhalter das Wort, der einen neu­
en Vorschlag ausgearbeitet hat und diesen nun vor­
stellen möge.
89
DIE HOOLIGA
Buchhalter: Ich danke dir. Also, die Blonde und ich haben
einen Vorschlag zur Verteilung der Gewinne ausge­
arbeitet, dem wohl alle zustimmen können. Es ist ein
sinnvoller Kompromiss, der allen gerecht wird. Dem­
nach werden die Einnahmen nun anders verteilt. Wir
sind von einer starren Prozentzahl abgekommen und
schlagen eine Mischbeteiligung vor. Ich habe das hier
mal skizziert. (verteilt Papiere an die Konferenzteil­
nehmer, die die anderen Teilnehmer studieren) Demnach
garantiert der Clan eine Mindestsumme pro Monat
ähnlich eines Gehaltes, darüber hinaus operiert unser
System auf der Basis einer prozentualen Gewinnbetei­
ligung. Das bedeutet, je erfolgreicher die Kämpfer
sind, desto höher ist ihre Beteiligung. Sollte der Erfolg
ausbleiben, können sie sich zumindest auf ein Grund­
gehalt verlassen.
Wolf: (studiert das Papier) Warum sind die Einnahmen des Mer­
chandisings hier nicht berücksichtigt?
Buchhalter: Die haben wir komplett rausgelassen, um damit
die gemeinnützige Arbeit zu finanzieren. Diese Gelder
sind quasi geblockt und gehen gar nicht in den Clan.
Das ist notwendig, um die Finanzierung dieser Sparte
gewährleisten zu können. Dafür partizipieren die
Kämpfer überdurchschnittlich stark an den Ein­
nahmen im Bereich des Sponsorings, und hier
erwarten wir enorme Einnahmen. Wir stellen uns vor,
dass Sponsoren Partnerschaften oder Patenschaften
übernehmen, und natürlich können alle Kämpfer sich
private Sponsoren suchen, insofern die nicht mit den
Interessen unserer eigenen kollidieren. Das verspricht
gerade für die besten Kämpfer gewaltige Einnahme­
quellen. Du wirst also besonders profitieren. Das sollte
dir gefallen.
Wolf: Dafür bekommt ihr die Fernseheinnahmen. Ich nehme
an, ihr vertretet die Administration, die hier so ein­
sackt.
90
DIE HOOLIGA
Buchhalter: Das ist richtig, aber wir sacken nicht ein.
Wolf: Wie viel durch Fernseheinnahmen reinkommt, steht hier
nicht.
Buchhalter: Natürlich ist das noch nicht ausgehandelt, denn die
Liga existiert ja noch nicht. Wir erwarten aber keine
großen Summen zu Beginn. Allenfalls kleine
Sportsender werden sich am Anfang interessieren.
Wir erhoffen uns aber in der Zukunft höhere Ab­
schlüsse. Doch das kann einige Jahre dauern.
Haudegen: (nimmt den Buchhalter zur Seite) Du lässt dich doch
nicht über den Tisch ziehen!
Buchhalter: Keine Sorge, das ist alles durchgerechnet.
Cem: Das hört sich doch gut an.
Wolf: Ich weiß nicht. Das ist alles viel zu kompliziert. Die Rech­
nung vorher war einfacher. Diese Formeln durch­
schaut ja niemand. Mir ist das alles zu unsicher.
Cem: Das hat die Blonde ausgehandelt. Die hat das alles durch­
gerechnet. Das ist schon in Ordnung so.
Wolf: Na klasse! Die mag die Menge von einem Haarfärbe­
mittel berechnen können, aber das hier ist was
anderes.
Cem: Vorsicht!
Buchhalter: Wenn du mal auf Seite zwei schaust, da habe ich
das mal konkret, aber sehr konservativ, durchgerech­
net. Ich denke mit den Zahlen kann jeder leben.
Cem: (blättert) Das kriegen wir? Hier, was da unten steht?
Wahnsinn! Das ist ja großartig. Das kriegen wir?
Scheiße!
Buchhalter: Wie gesagt, das ist konservativ gerechnet. (zum
Haudegen) Und wenn du mal siehst, wie viel für die
gemeinnützige Arbeit bleibt, dann können damit alle
Parteien leben. Von der Liga werden wir alle profi­
tieren.
91
DIE HOOLIGA
Haudegen: Sagen wir so, ich kann damit leben. Wenn ich mir
allerdings ansehe, was hier die Kämpfer absahnen,
dann wird mir schon schwindelig. Aber ich beschwere
mich nicht. Sollen sie ihren Anteil bekommen.
Wolf: Mir ist das alles zu blauäugig. Diese Summen hier sind
doch total willkürlich. Das ist alles einfach mal so
angenommen und dahingeklatscht. So kann man
keine Bilanz aufstellen. Das sind die Methoden von
Bauernfängern.
Cem: Ey, die Blonde hat das mit durchgerechnet.
Wolf: Ich werde mich bei solch einer Entscheidung sicher nicht
auf die buchhalterischen Skills einer Frisöse verlassen.
Cem: Alter, mach keinen Scheiß hier! Ich brauche diese Liga.
Wir alle brauchen die!
Buchhalter: Unseren Berechnungen nach werdet ihr euch mit
dem neuen System sehr viel besser stellen als mit dem
anderen Vorschlag.
Kurze Pause, in der alle in den Unterlagen blättern.
Haudegen: (schließlich die Initiative ergreifend) Was soll das?
Wenn die Liga läuft, schwimmen wir alle im Geld. Ich
vertraue den Berechnungen! Ich stimme zu. (zu Wolf)
Du willst hier nur quer schießen.
Wolf: Alter Mann, solltest du dich da nicht raushalten? Du hast
doch am wenigsten Ahnung von all dem. Selbst Cem
hier peilt das besser als du!
Haudegen: Spiel dich mal nicht so auf! Nur weil du ein kleiner
Bankkaufmann bist, hast du keinen Grund, hier den
Dicken zu machen!
Cem: Ich warne dich! Stell dich nicht gegen uns!
Wolf: Tut mir leid, dem kann ich nicht zustimmen. Ich rechne
das alles durch und dann kann ich ein Urteil dazu
abgeben, aber hier so im Vorbeigehen mit irgendwel­
chen Phantasiezahlen konfrontiert zu werden ... tut
mir leid, keine Chance.
92
DIE HOOLIGA
Cem: Ich warne dich!
Haudegen: (aufbrausend, da seine Geduld erschöpft ist) Jetzt ist
Schluss mit dem Gequatsche. Wir brauchen heute eine
Entscheidung und nicht in Tagen oder Wochen oder
wann auch immer es dem feinen Herrn beliebt! Ich
durchschaue dich. Mir kannst du nichts vormachen.
Wir klären das hier und jetzt. Heute fällt die Entschei­
dung. Wenn es nicht am Tisch geht, dann in der Are­
na. Ich fordere dich heraus.
Wolf: Du mich?
Haudegen: Ich dich!
Wolf: Zu was? Alter Mann, ich zerbreche dich!
Haudegen: Zu einem Handicap-Match.
Wolf: Handicap-Match?
Haudegen: Genau!
Wolf: Jetzt wird es so richtig mittelalterlich! Aber wenn es hilft,
dir das Maul zu stopfen, stimme ich zu!
Buchhalter: Jetzt bleibt doch mal locker und fangt nicht schon
wieder damit an. Wir können das auch in Ruhe klären.
Wolf: Halt die Fresse, du Hemdchen. Klären wir das in der Are­
na.
Haudegen: Dann sind wir uns da ja einig.
Wolf: Alles oder nichts! Wer verliert, verlässt den Clan!
Haudegen: Werd mal nicht übermütig. Ich wäre ein Idiot, so
viel einzusetzen. Es geht nur um diese Sache hier. Wir
kämpfen um die Gewinnverteilung.
Wolf: Du bist so ein Narr. Es ist vollkommen egal, um was wir
kämpfen. Wenn ich gewinne, hast du deine Credibility
verloren, dann sind deine Tage gezählt. Dann nimmt
dich keiner mehr für voll. Deine Niederlage besiegelt
dein Ende!
Buchhalter: Er hat Recht. Lass dich nicht darauf ein! Dein Ein­
satz ist doch viel größer als seiner!
93
DIE HOOLIGA
Wolf: Wenn ich verliere, gehe ich. Dann siehst du mich nie
mehr wieder. Wenn die Liga wirklich kommt, dann
finde ich einen anderen Clan. Deine edlen Prinzipien
kannst du in die Tonne kloppen, sobald es um Geld
geht. Dein Viertel ist dann nichts mehr! Die Zeiten
ändern sich, nur du peilst das nicht!
Haudegen: Ich sorge dafür, dass du nie wieder kämpfst. Nie
wieder. Pass auf deine Knochen auf, mein Sohn, pass
auf deine Knochen auf!
Wolf: Streng dich an! Dann kannst du deinen Club der Senioren
ganz ungestört leiten.
Buchhalter: Lass dich nicht drauf ein! Es geht hier nicht nur um
dich und ihn. Es geht um alles!
Wolf: Was bist du plötzlich so besorgt? Was hast du gegen ein
wenig frischen Wind?
Haudegen: Selbst wenn ich verlieren würde, hätte ich immer
noch ein As im Ärmel. (steht auf, zieht hinter dem
Rücken das Tütchen mit den Drogen hervor und geht zum
Wolf, legt ihn den Arm um die Schulter) Wenn ich dich in
den Boden stampfe, wird mein Sieg umso süßer und
eindrucksvoller. Dann wird für lange Zeit keiner mehr
meine Autorität anzweifeln. (steckt Wolf unbemerkt das
Tütchen in die Jackentasche) Ich bin nicht auf einen Sieg
im Kampf angewiesen. Um diesen Clan zu leiten
braucht man einen klugen Kopf. Die Zeiten haben sich
geändert. Hier geht es um Management.
Wolf: Was faselst du? Alter Mann, du hast den Touch verloren.
Du weißt nicht mehr, was abgeht. Deshalb dieses
ganze Kasperltheater. Aber ich bin großzügig und
führe dich zurück auf den Weg der Erkenntnis.
Haudegen: Ach!
Wolf: Ich prügele die Weisheit in dich rein!
Haudegen: Genug gequatscht. Kämpfen wir es endlich aus. Ein
für alle Mal.
94
DIE HOOLIGA
Akt III, iv
Die Büchse der Pandora
Die Vorigen. Die Trommler trommeln einen langsamen Rhythmus.
Die Blonde kommt hinzu.
Die Blonde: Was ist hier los?
Cem: Halt’s Maul! Jetzt wird’s ernst!
Die Blonde: Erklär’s mir!
Cem: Die kämpfen es jetzt aus!
Die Blonde: Also doch wieder Kindergarten.
Cem: Du verstehst das nicht!
Wolf steigt auf den Tisch. Cem holt eine schwere Kette und befestigt
sie am Fuß Wolfs. Dann nimmt er eine Schlinge, legt sie um Wolfs
rechten Arm und bindet ihm diesen auf den Rücken, indem er das Seil
um dessen Taille wickelt. Somit kann Wolf nur mit einem Arm und
einem Bein angreifen und abwehren. Derweil hat der Haudegen sein
Hemd ausgezogen und macht sich warm. Schließlich betritt auch er
die Arena und stellt sich Wolf gegenüber. Der Buchhalter nimmt alle
Unterlagen vom Tisch.
Buchhalter: Seid ihr bereit?
Haudegen: Ich bin bereit und bitte um die Gunst des Gottes
Mars.
Wolf: Das ist das letzte Mal, das hier so ein Scheiß veranstaltet
wird.
Das aus I,iv bereits bekannte vorbereitende Ritual des Kampfes wird
wiederholt. Beide sind konzentriert. Dann beginnt der Kampf, der
durch die Taiko-Trommeln kontrolliert wird. Beide sind vorsichtig,
lauern und greifen zunächst nur sporadisch an. Mit der Zeit wird der
Kampf lebhafter und brutaler. Dadurch dass der Wolf in seiner Bewe­
gung eingeschränkt ist, verläuft der Kampf ausgeglichen. Beide
müssen einstecken, teilen aber auch aus. Der Kampf wird verbissen
95
DIE HOOLIGA
geführt und beide Kämpfer legen eine animalische Entschlossenheit an
den Tag. Im Verlauf gewinnt Wolf langsam die Oberhand. Der Hau­
degen gerät wegen seiner Konditionsprobleme immer mehr in die
Hinterhand. Da er sich der Reichweite des angeketteten Wolfs entzie­
hen kann, ist er in der Lage, diesen Nachteil etwas auszugleichen.
Während er wieder angreift: Auftritt der Volontärin.
Die Volontärin: (betont naiv, aber vollkommen verändert, nunmehr
ist sie kalt und berechnend) Hallo zusammen! Störe ich?
Wolf ist irritiert, dreht sich um und bekommt einen Fausthieb ab und
einen schmerzhaften Tritt in den Magen. Die Trommler stoppen. Der
Kampf wird unterbrochen.
Volontärin: Kloppt ihr euch schon wieder?
Buchhalter: Hier findet ein Kampf statt, das sind Interna, die
nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
Volontärin: Ach, mit Interna ist das immer so eine Sache, nicht
wahr? Manches ist nicht so geheim, wie man das ger­
ne hätte.
Sie geht zu ihrer Tasche, die immer noch am Tisch lehnt und zieht ein
Aufnahmegerät heraus.
Haudegen: (überrascht) Was soll das?
Volontärin: Sagt mal, was habt ihr denn von meiner Darbie­
tung gehalten? Ich dachte mir, gegenüber dem Hau­
degen und dem Buchhalter spiele ich die naive, etwas
hilflose kleine Abiturientin, die auf die Hilfe der
gestandenen Männer angewiesen ist. Gegenüber den
Jungs hier habe ich so ein wenig auf Kumpel gemacht
und mich nageln lassen. Ich glaube die Blonde hat so
ein bisschen Lunte gerochen. Daran muss ich wohl
noch arbeiten.
Haudegen: (aufgebracht) Was zum Teufel soll das hier?
Volontärin: Dass hier so viel dreckige Wäsche gewaschen wird,
das hätte ich beim besten Willen nicht gedacht. Ihr
habt es mir wirklich zu einfach gemacht. Glaubt mir,
ich habe ja keine große Ahnung, aber wenn ihr wüss­
tet, was ich heute alles gehört habe, ihr würdet euch
96
DIE HOOLIGA
gegenseitig an die Gurgel gehen. Naja, ihr seid ja
schon dabei, wie ich sehe.
Cem: Was erzählst du hier?
Die Blonde: Das Flittchen spielt falsch.
Volontärin: Ich habe einfach keine Lust zu machen, was mein
Vater für mich vorgesehen hat. Vielleicht sollte ich
Schauspielerin werden? Das hat mir Spaß gemacht
heute, und ich glaube, ich habe auch ein wenig Talent.
Was meint ihr?
Haudegen: Schluss mit dem Gelaber. Was willst du?
Volontärin: Also, (sie blickt zum Haudegen) ich mache euch ein
Angebot, das ihr nicht ausschlagen könnt. Ich habe
alles, was in diesem Raum gesagt wurde, aufgenom­
men und daraus einen netten Artikel fabriziert. Fotos
habe ich auch. Da steht nichts als die Wahrheit drin,
aber eben nicht unbedingt das, was ihr hören wollt.
Ich weiß von all euren Intrigen und Lügen, von den
Hinterziehungen, von den Gewaltexzessen und sogar
den Drogen. Es ist ein netter Artikel geworden.
Cem: Was für Drogen? Hier nimmt keiner Drogen!
Volontärin: Warte doch ab!
Haudegen: Du willst uns erpressen.
Volontärin: Das war meine Absicht. Ich hatte mir gedacht, dass
ihr mir ein kleines Taschengeld gebt, dafür bekommt
ihr den Artikel. Billiger natürlich wäre es auf, die
Zeitung zu warten, aber vielleicht ist euch das nicht so
recht.
Haudegen: Was immer das für ein Dreck ist, den du da ge­
schrieben hast, dein Vater wird das niemals drucken.
Volontärin: Oh, ich habe den nicht meinem Vater angeboten,
sondern der Abendzeitung. Die drucken das heute
noch, in die Online-Ausgabe kommt es auch. Ihr
müsstet euch bald entscheiden. Es ist bald Redaktions­
schluss.
97
DIE HOOLIGA
Buchhalter: Wie viel willst du?
Haudegen: Bist du wahnsinnig? Wir lassen uns von so einer
kleinen Schlampe nicht erpressen. Was kann die schon
wissen?
Buchhalter: Weißt du, was die anrichten kann? Wir haben doch
wohl genug Erfahrung mit diesen Lügen und Verdre­
hungen.
Volontärin: Ach, ich habe eigentlich nicht viel hinzugedichtet.
Ihr habt es mir einfacher gemacht, als ich gehofft
hatte. Ich hätte mehr von euch erwartet.
Haudegen: (schäumt vor Wut) Ich mach dich fertig! Damit kom­
mst du nicht durch!
Buchhalter: Ganz ruhig. Wir müssen jetzt besonnen bleiben.
Volontärin: Das würde ich euch auch raten. Ich könnte mir vor­
stellen, dass das alles nicht so gut kommt, wenn man
erfährt, was hier abgeht. Soll die Entscheidung nicht in
wenigen Minuten fallen, ob eure Liga nun legal wird?
Haudegen: Wir verhandeln auf keinen Fall!
Buchhalter: (zum Wolf) Was sagst du?
Wolf: Die blufft. Dazu ist die nicht in der Lage. Wir behalten sie
einfach hier, bis alles unter Dach und Fach ist.
Wolf befreit sich von seiner Fesselung und spielt damit drohend.
Cem: So machen wir das!
Die Blonde: Das wird nicht klappen. Die ist durchtrieben.
Volontärin: Wird es auch nicht. Den Artikel hat schon ein
Strohmann, der wird ihn dem Ressortleiter verkaufen,
wenn ich den nicht zurückpfeife.
Wolf. Bluff.
Volontärin: Wollt ihr es darauf ankommen lassen?
Buchhalter: Das ist zu riskant. Sag schon, wie viel?
Volontärin: Nun, ich habe mich erkundigt, wie viel ihr derzeit
in euren Kassen habt. Sehr viel ist das nicht, aber ich
würde mich damit zufrieden geben, und es ist nichts
98
DIE HOOLIGA
im Vergleich mit dem, was euch prognostiziert wird.
Im Gegenzug bekommt ihr von mir ganz umsonst
einen Artikel, der euch im besten Licht darstellt. Ich
finde, das ist ein gutes Geschäft, und davon redet ihr
doch die ganze Zeit, dass das hier alles ein Geschäft
sei. Dann lasst uns doch jetzt Geschäfte machen.
Haudegen: Siehst du hier irgendwo Geldsäcke liegen, die wir
verteilen könnten? Hier gibt’s nichts zu holen. Wir
lassen uns nicht erpressen.
Volontärin: Nun, wenn der Artikel so rausgeht dann ist die
ganze Liga Geschichte, und es gibt überhaupt nichts
mehr. So richtig klug ist das nicht, was ihr hier gerade
macht.
Haudegen: Das ist eine Frage der Prinzipien. Woher wissen wir
denn, dass du nicht nächste Woche wieder hier auf
der Matte stehst?
Volontärin: Du weißt es nicht, aber wenn die Liga beschlossen
ist, wen interessieren dann noch solche Sachen? Du
siehst, es macht Sinn, hier einzulenken.
Buchhalter: (zum Haudegen) Wir haben keine Wahl.
Haudegen: Du armselige Krämerseele! So einfach gebe ich
nicht auf. Die wird ihren Artikel nicht abliefern.
Volontärin: Glaubt mir, ich würde lieber mit euch das Geschäft
machen, denn da ist weit mehr drin, als würde ich den
Artikel verhökern. Denkt doch auch an diesen ganzen
sozialen Kram, den ihr hier habt. Soll das alles un­
tergehen wegen eurer Sturheit? Zeigt doch einmal,
dass ihr nicht einfach nur Tiere seid, die sich gegensei­
tig zerfleischen.
Wolf: Dieses kleine Miststück verarscht uns doch nur!
Haudegen: Hier wird nicht verhandelt.
Buchhalter: Seht es doch ein!
99
DIE HOOLIGA
Haudegen: Ich habe nicht das erste Mal mit Erpressern zu tun.
Die kommen immer wieder. Mit denen macht man
keine Geschäfte.
Der Haudegen, Cem und Wolf haben sie eingekreist und kommen be­
drohlich näher.
Wolf: Du kleines Miststück!
Volontärin: Ich warne euch!
Haudegen: Du warnst uns?
Wolf: Du lässt dich hier mit Kräften ein, die du nicht kon­
trollieren kannst! Das Lämmchen sollte nicht die Wöl­
fe herausfordern!
Volontärin: Ihr schaufelt euer eigenes Grab.
Haudegen: (zu Cem und Wolf) Los!
Der Haudegen, Cem und Wolf packen die Volontärin.
Volontärin: (gerät in Panik und muss erkennen, dass ihr Plan nicht
aufgegangen ist) Lasst mich los! Lasst mich los, ihr Tie­
re!
Die Blonde: Hört mit dem Scheiß auf!
Volontärin: (zur Blonden) Hilf mir!
Wolf: Du bist hier nicht unter Freunden!
Buchhalter: Lasst das, mein Gott, denkt doch mal nach!
Haudegen: Halts Maul, du hast doch überhaupt keinen Plan!
Buchhalter: Mein Gott, denkt nach!
Haudegen: Genug geredet!
Wolf: Packt sie!
Sie schubsen das Mädchen hin und her. Sie schreit um Hilfe. Schließ­
lich legen der Haudegen und Wolf ihr die Kette um den Hals und
verschließen sie mit einem Schloss. Sie zerrt daran wie ein verängs­
tigtes Tier.
Volontärin: (hysterisch) Das werdet ihr bereuen! Fasst mich an,
und ihr habt auch noch meinen Vater auf dem Hals.
Der wird euch so richtig fertig machen! Der ist zu
mächtig für euch! Fasst mich nicht an!
100
DIE HOOLIGA
Wolf: Jetzt ist der Papa doch wieder gut genug?
Haudegen: Glaub mir, wenn hier einer was bereut, dann bist
du das.
Volontärin: (schreit) Nein! Nein!
Buchhalter, Cem, Wolf, Blonde, Ratsmitglieder, Taiko-Trommler ab.
Die Volontärin zerrt an der Kette. Der Haudegen betrachtet sie.
Sie fängt an zu weinen.
101
DIE HOOLIGA
Akt III, v
Klarstellung
Der Haudegen und die Volontärin.
Volontärin: Das werden Sie bereuen!
Der Haudegen setzt sich schweren Schrittes an den Tisch und denkt
nach, während die Volontärin immer wieder versucht, mit ihm zu
sprechen. Er reagiert nicht.
Volontärin: Hey! Sprechen Sie mit mir. (Pause) Hallo? (Pause)
Ich warne Sie, lassen Sie mich gehen! (Pause) Mein
Vater wird Ihnen das Leben zur Hölle machen! (Pause)
Hallo! (Pause) Hallo! (Pause) Sie werden das bereuen!
Haudegen: (sehr ruhig antwortet er mehr zu sich als zu ihr)
Vielleicht werde ich das, aber wenn ich das tue, dann
werde ich Spaß haben an dem Gedanken, dass du das
alles noch viel, viel mehr bereust.
Volontärin: Was Sie machen, ist dumm! Einfach nur dumm!
Haudegen: Das mag sein, aber in meiner Welt handelt man
nicht nach solch rationalen Gesichtspunkten. Für dich
mag das alles ein Geschäft sein, für mich gelten nur
Prinzipien. Ich hätte dich bezahlen sollen, ich hätte
mich vor dir demütigen lassen sollen, aber das kann
ich nicht. Diese ganzen Schachzüge hier, dieses ganze
Geschacher, das ist nichts für mich. Ich habe heute viel
einstecken müssen, ich habe über die Jahre viel einste­
cken müssen, irgendwann ist Schluss. Du hast die
Grenze überschritten, du musst jetzt dafür büßen. Ich
habe mir lange genug von diesen Pickelbubis, diesen
Hosenscheißern Unverschämtheiten gefallen lassen
müssen. Von so einer verzogenen Villen-Göre lasse ich
mir das ganz bestimmt nicht bieten. Du bist zur
102
DIE HOOLIGA
falschen Zeit am falschen Ort. Geschäfte, Geschäfte.
Nur darum geht es hier. Vielleicht ist dein Geschäfts­
modell das bessere. Du hast uns in der Hand. Aber ich
werde dir heute eine Lektion erteilen. Der Theorie
nach hast du Recht, aber in der Praxis sieht das ganz
anders aus. Es gibt Leute, die denken in anderen Kate­
gorien, und an so einen bist du geraten. Vielleicht hast
du die Sache begriffen und ich nicht. Vielleicht weißt
du, wie es heute so läuft. Vielleicht hast du mir eine
Lektion erteilt, vielleicht habe ich gelernt, dass ich die
Liga nicht will, wenn sie schon so anfängt. Ich hatte et­
was Nobles und Edles im Sinn. Etwas Wichtiges. Du
siehst darin, ihr alle seht darin, nur eine Kuh zum
Melken. Dann fresse ich sie lieber. Es wird mir ein
Vergnügen sein zu sehen, wie du dich irrst und wie
du winselst. (Pause) Wir sind nicht alle korrupt. Ich
mag brutal sein, man mag mir viel vorwerfen, aber ich
bin nicht korrupt! Du meinst, dir würde die Welt ge­
hören, du könntest dir alles nehmen, weil du jung bist.
Ich zeige dir, dass du dir die Zähne ausbeißen wirst an
mir.
Volontärin: Lassen Sie mich laufen! Sie sind ja verrückt!
Haudegen: Du hast noch nicht verstanden, wie das Leben läuft.
Volontärin: Lassen Sie mich laufen!
Haudegen: Du hast es nicht verstanden.
Volontärin: Sie sind wahnsinnig!
Haudegen: Mit Wahnsinnigen sollte man sich nicht anlegen.
Der Haudegen steht auf und geht ab.
Die Volontärin: (schreit) Hilfe! Hilfe!
Vorhang.
103
DIE HOOLIGA
Akt III, vi
Scherbenhaufen und Rückzahlung
Die Volontärin mit der Kette um den Hals kauert an einem Ende des
Tisches. Sie hat sich etwas beruhigt. Wolf kommt herein mit der
Abendzeitung. Er schaltet das Radio ein und setzt sich stumm an das
andere Ende des Tisches.
Stimme des Casters (aus dem Radio): Schreckliche Nachrichten,
schreckliche Nachrichten. Gerade hat der Sportbund
verkündet, dass er Hools nicht als Sportart anerkennen
wird. Damit sind alle Pläne, eine Liga einzuführen
gestorben. Es ist bitter, sehr bitter. Es ist bitter bitter!
Wie ist es dazu gekommen? Wie konnte das ge­
schehen? Heute morgen sah es doch noch so gut aus!
Ich erinnere an den fulminanten, an den extraordi­
nären, an den atemberaubenden Sieg von WiB und de­
ren Qualifikation für die Liga. Wir kamen in den
Genuss von Heldenleistungen, ja ich möchte sagen:
Superheldenleistungen! Und nun ist alles vorbei. Alles
zerstört. Eine Reportage in der Abendzeitung hat alles
vernichtet und einen Tsunami der Zerstörung hin­
terlassen. Dieser widerliche Artikel stellt WiB, einen
der ehrenhaftesten Clans, als eine windige, eklige,
schreckliche, fiese, fuckige Verbrecherorganisation dar.
Die Nachrichten überschlagen sich, die Telegraphen­
leitungen glühen. Die Staatsanwaltschaft soll ange­
kündigt haben, Ermittlungen aufzunehmen. Da sind
sie aber mal ganz flott. Auch andere Clans geraten ins
Schusslicht. Die Pressemitteilungen überschwemmen
uns gerade. Das hat niemand erwartet. Das hat nie­
mand kommen sehen. Das ist wohl das Ende der Liga.
Es ist grausam. Es ist schrecklich. Was ist jetzt noch zu
tun? Mir fehlen die Worte. Ich verliere die Fassung.
104
DIE HOOLIGA
Wir werden weiter in der eisigen Welt des Un­
tergrunds, in der kalten Ödnis der Illegalität unser Da­
sein fristen. Es wird lange dauern, bis wir uns davon
erholt haben. Tja, vereinte Hools. Kündigt die Mietver­
träge eurer neu bezogenen Villen, stoppt die Umzugs­
wagen, verkauft die Picassos, kommt zurück an die
brennenden Tonnen eurer Ghettos. Aus! Aus! Aus!
Der Traum ist aus. Es wird keine seidenen Verbände
geben und keine goldenen Stahlkappen. Oh, es ist eine
Schande, eine schreckliche, scheußliche Schande!
Wolf schaltet das Radio ab.
Wolf: (liest aus der Zeitung) Wölfe im Blutrausch sind nichts als
Wölfe im Schafspelz. Wie weit sind wir gekommen, wenn
brutale Schlägereien als Sport kaschiert werden? (trocken)
Sehr treffend geschrieben. Sehr treffend. (liest weiter)
Drogen, Intrigen, interne Schlägereien. Darf so was legal
sein? Und was ist mit dem sozialen Engagement? Alles er­
stunken und erlogen. WiB ist eine sektenartige Vereini­
gung, die die Polizei verachtet und eine eigene Miliz auf­
baut, die durch die Straßen streunt und Bürger einschüch­
tert. Asoziale, Verbrecher, Schläger, organisiertes Verbre­
chen. Du haust ja ganz schön auf die Kacke! Hätte ich
dir nicht zugetraut, Respekt, Respekt!
Volontärin: Wann lasst ihr mich gehen?
Wolf: Der Haudegen ist noch nicht durch mit dir.
Volontärin: Habt ihr euch wieder versöhnt?
Wolf: Halt’s Maul.
Volontärin: Im Angesicht der Katastrophe die Gemeinsamkei­
ten entdeckt? Dann hat das ja alles was Gutes.
Wolf: Ich habe mit ihm nicht geredet, aber was auch immer er
mit dir macht, je schlimmer es ist, desto mehr findet es
meine Zustimmung.
Volontärin: Versuchst du mir Angst zu machen?
Wolf: Das muss ich nicht. Du hast dich mit Kräften angelegt,
die du nicht kontrollieren kannst. Aber das wirst du
105
DIE HOOLIGA
bald ja selbst erfahren. (kurze Pause) Erklär mir nur
eins. Was haben wir dir getan? Wie kommst du dar­
auf, uns so heimzusuchen wie ein Schwarm Heuschre­
cken? Wir haben dir nichts getan.
Volontärin: Du solltest froh sein. Du mochtest das alles doch
ohnehin nicht. Jetzt kannst du es aufbauen, wie es dir
gefällt. Du hast doch genauso gegen alles geschossen
wie ich. Was ist bei dir anders? Sag’s mir.
Wolf: Bist du wirklich so naiv? Aber red dich nicht raus. Was
haben wir dir getan?
Volontärin: Ich habe einfach die Chance gesehen und am
Schopf gepackt. Als mein Vater mir den Auftrag gege­
ben hat, da habe ich erkannt, dass das der Weg ist hier
rauszukommen.
Wolf: Geld ist es also?
Volontärin: Das ist dir zu trivial? Du kannst auch sagen, dass
ich gegen meinen Vater revoltiere. So ähnlich wie du.
Tröstet dich das?
Wolf: Ich revoltiere hier nicht und der Haudegen ist nicht mein
Vater.
Volontärin: Du hast diese ganze Scheiße doch angefangen! Hät­
tet ihr euch geeinigt, hätte ich keine Story gehabt.
Wolf: Das ist doch Bullshit.
Volontärin: Was jetzt in Trümmern liegt, habt ihr selbst zu
verantworten. Ich habe das ein wenig beschleunigt,
mehr nicht.
Wolf: Red dich nicht raus!
Volontärin: Tu ich nicht. Früher oder später hättet ihr euch
alles selbst zerfleischt. Ihr seid doch alle zerfressen
von Hass und benehmt euch wie die Kinder. Ihr hattet
doch gar nicht das Zeug dazu, hier was Seriöses auf­
zubauen. Ihr seid Schläger und Asoziale, egal wie ihr
euch seht und was ihr erzählt. Ihr bekommt genau
106
DIE HOOLIGA
das, was ihr verdient. Ich erspare euch lediglich viele
langsame Qualen.
Wolf: Dir werden wir die nicht ersparen.
Auftritt Haudegen
Wolf: Da kommt der Chef. Jetzt ist Payback Time. Ich muss mir
das nicht ansehen. (zum Haudegen) Viel Vergnügen.
Haudegen: Werde ich haben. Ach, eine Sache noch. Hast du
den Buchhalter gesehen?
Wolf: Nein.
Haudegen: Der ist verschwunden.
Wolf: Ich habe dem nie getraut.
Wolf ab. Der Haudegen setzt sich an den Tisch, ohne ein Wort zu
sagen. Die Volontärin wird nervös.
Haudegen: Ich habe gerade einen Anruf von unserem Hauptsp­
onsor erhalten. Er fragt mich, ob das wahr ist, was er
da gelesen hat.
Volontärin: Haben Sie ja gesagt?
Haudegen: Er hat alle Verträge gekündigt. Andere werden sich
anschließen. Die wollen keine schlechte Publicity. Ge­
rade war ein Sprecher des Sportbundes im Fernsehen.
Er hat dementiert, dass sie auch nur darüber nachden­
ken, uns als Sportart anzuerkennen. (Pause) Das war
es. (Pause) Ich habe viel durchgemacht in all den Jah­
ren. Wir haben viele Rückschläge kassiert, aber so
kurz vor dem Ziel noch niedergestreckt zu werden ...
Volontärin: Was regen Sie sich auf? Ich habe Ihnen einen Vor­
schlag gemacht, Sie wollten es so. In dem Artikel steht
nichts drin, was nicht der Wahrheit entspräche. Ich
habe es vielleicht ein wenig aufgemotzt, aber es ist
vollkommen sinnlos, mir die Schuld zu geben.
Haudegen: Du hast alles gravierend verfälscht.
Volontärin: Ich habe geschrieben, was ich gesehen habe. Sie
können doch nicht ernsthaft eine Journalistin einladen
107
DIE HOOLIGA
und glauben, dass die es so schreibt, wie Sie es sich
vorstellen.
Haudegen: Du solltest dich zurückhalten mit Belehrungen über
Moral und Ethik.
Volontärin: Da geben wir uns wohl beide nichts.
Haudegen: Ich hätte nicht gedacht, dass du uns so arglistig hin­
tergehst.
Volontärin: Wissen Sie, ich habe den Paten auch gesehen, und
wissen Sie, wie der dritte Teil endet? Michael Cor­
leones Tochter wird in einer wilden Mordszene er­
schossen, weil er es einfach nicht schafft, rauszukom­
men. Er wird immer wieder von den anderen Mafiosi
daran gehindert auszusteigen.
Haudegen: Was hat das damit zu tun?
Volontärin: Sie glauben, dass ich alles zerstört habe, aber Sie
sind einfach nur ein verblendeter, alter Mann, der es
nicht mehr unter Kontrolle hat. Früher oder später
hättet ihr euch selbst zerfleischt mit eurer Sturheit.
Haudegen: (lange Pause) Ich habe Jahrzehnte gebraucht, das
alles aufzubauen. Du kannst dir gar nicht vorstellen,
wie viel Arbeit und Mühe das war, und da kommst du
einfach so her, hast noch nie etwas geschaffen und zer­
störst hier alles mit einem Handstreich.
Volontärin: Was habt ihr denn aufgebaut? Ihr seid doch immer
noch nichts anderes als Gauner und Schläger. (sie zerrt
an der Kette) Das hier zeigt doch alles! Ihr seid immer
noch Machos und Schläger, es hat sich nichts ge­
ändert.
Haudegen: Du solltest den Mund nicht zu voll nehmen.
Volontärin: Also, wann lasst ihr mich endlich gehen. Es ist vor­
bei.
Haudegen: Du glaubst doch nicht, dass du hier so rausmar­
schierst!
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DIE HOOLIGA
Volontärin: Sie können mir nichts. Es ist alles längst öffentlich.
Wenn Sie mir ein Haar krümmen, sind Sie dran. Ich
warne Sie.
Haudegen: (kurze Pause, in der er sich besinnt, dann spricht er kalt
und drohend) Mein ganzes Leben habe ich dem hier ge­
opfert. Ich habe mich demütigen und beleidigen
lassen, war im Knast, habe mir die Gesundheit
ruiniert. Ich habe hart gearbeitet, um hier zu stehen.
Ich habe keine Familie außer dieser. All das hast du
zerstört. Wenn man jung ist, glaubt man, immer alles
neu beginnen zu können. Aber meine Zeit ist rum. Ich
wollte nur die paar Früchte genießen, die mir zu­
stehen. Das hast du mir kaputt gemacht. (Pause) Du
schreibst, dass wir hier brutale, skrupellose Schläger
sind. Du schreibst, dass unsere Welt eine dünne Krus­
te ist, die zerreißt unter dem winzigsten Druck und
dann die wahre widerliche Fratze offenbart. Wenn du
glaubst, was du da geschrieben hast, würde ich mir an
deiner Stelle arge Sorgen machen. Jetzt wirst du die
widerliche Fratze zu sehen bekommen, die sich vor dir
auftut, Kindchen. Du hast uns fertig gemacht. Jetzt re­
vanchiere ich mich. Ich werde im Knast enden, aber
du endest hier und jetzt!
Er geht auf sie zu.
Vorhang.
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