Sitzung 1 - Schattauer

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Sitzung 1 Sitzung 1
Sitzung 1
Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen
Kurzzusammenfassung des Inhalts der Stunde
In der ersten Sitzung wird ein psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen eingeführt, das dem Patienten unter Einbezug grundlegender anatomischer und funktioneller
Informationen den andauernden Schmerz erklären soll. Dabei werden die Rolle von Stress,
Spannung, Schmerz, Angst und Immobilität diskutiert und der Schmerz als eine Art der
Stresserfahrung rekonzeptualisiert. Zudem werden das Biofeedback-Gerät und die körperliche Aktivität eingeführt.
Zielsetzung der Stunde
Primäres Ziel der ersten Sitzung ist die Erklärung des andauernden Schmerzes durch Einführung eines psychobiologischen Schmerzmodells. Der Patient lernt das BiofeedbackGerät und seine Wirkungsweise kennen. Zudem wird er mit den Übungen zur körper­
lichen Aktivierung vertraut gemacht, sodass er diese selbstständig zu Hause üben kann.
Inhalt der Sitzung
Begrüßung des Patienten
T Liebe Frau/Herr …, schön, dass Sie gekommen sind und wir heute unsere erste
gemeinsame Schmerztherapiesitzung haben. Bei unserem Vorgespräch haben wir ja
bereits über die Schmerztherapie und auch die Ziele dieser Therapie gesprochen. Es
geht darum, dass Sie mehr über Ihren Schmerz und die Zusammenhänge zwischen den
schlimmen Erlebnissen, die Sie hatten, dem daraus resultierenden Stress und Ihrem
Schmerz erfahren. Und dass Sie dann vor allem Hilfsstrategien erlernen, die Ihnen im
Alltag helfen, besser mit dem Schmerz umzugehen. Das Biofeedback-Gerät ist dafür ein
gutes Hilfsmittel – es zeigt Ihnen quasi wie ein Spiegel Ihre Muskelanspannung und
unterstützt Sie darin, diese und damit auch Ihren Schmerz zu kontrollieren. Wie genau
das funktionieren wird, werden wir uns später noch anschauen.
Anmerkungen für den
Therapeuten
Klären von offenen Fragen
Begrüßung des Patienten und kurze Einführung in die Elemente der Schmerztherapie. Auch wenn im Vorgespräch die
Schmerztherapie bereits vorgestellt wurde, ist es (aufgrund
der oft vorhandenen Konzentrationsschwierigkeiten) hilfreich, den Patienten zu Beginn der Therapie nochmals kurz
einzuweisen.
T Haben Sie aktuell Fragen? Manchmal kommen nach dem Vorgespräch zu Hause
noch Gedanken oder Fragen auf, die Sie gern stellen können.
Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen
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Inhalt der Sitzung
Überblick über den Inhalt der Stunde
Heute werden wir darüber sprechen, was Schmerz ist und welche Unterschiede
es zwischen chronischem und akutem Schmerz gibt. Außerdem geht es darum, die
Zusammenhänge zwischen Schmerz, Anspannung und Stress zu erklären. Dazu nehmen wir das Biofeedback-Gerät zu Hilfe.
T
Bei Bedarf:
T Da zur langfristigen Reduzierung von Schmerzen körperliche Aktivität eine entscheidende Rolle spielt, zeige ich Ihnen schließlich noch einige körperliche Übungen,
die Sie v. a. zu Hause durchführen können.
Psychoedukation: Was ist chronischer Schmerz?
Einstieg in das Thema
T Was denken Sie: Warum verspüren wir Menschen Schmerzen? Haben diese einen
Sinn?
T Schmerz ist eine überlebenswichtige und -notwendige Warnfunktion des Körpers.
Würden wir keinen Schmerz empfinden, dann würden wir unsere Hand beispielsweise
nicht von einer heißen Herdplatte ziehen und damit die Gefahr, die davon ausgeht,
nicht erkennen. Somit schützt Schmerz also unseren Körper, der uns rechtzeitig warnt,
wenn etwas Schädliches mit uns geschieht. Diese Form von Schmerz bezeichnet man
als akuten Schmerz: Er ist die unmittelbare Reaktion auf eine Verletzung und verschwindet nach einiger Zeit, wenn die Ursache für den Schmerz beseitigt wurde.
T Beim chronischen, also andauernden Schmerz ist das anders. Dieser Schmerz
dauert oft über viele Jahre an, manchmal gibt es keine bestimmte Ursache dafür.
In einigen Fällen ist es so, dass man zwar eine Vorstellung davon hat, wodurch der
Schmerz ausgelöst wurde, aber die Bedingungen sind nicht mit den gängigen medizinischen Methoden veränderbar. Und damit verliert der chronische Schmerz seine unmittelbare Warnfunktion. Der Schmerz ist die Krankheit, die behandelt werden muss. Jeder
Schmerz besteht aus körperlichen und psychischen Anteilen, und das gilt insbesondere
für den chronischen Schmerz. Mit den psychischen Anteilen des Schmerzes ist das Leiden gemeint, welches mit negativen Gefühlen und Stimmungen einhergeht: Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Resignation sind Gefühle, die wohl jeder Schmerzpatient
kennt. Die Gefühle wiederum sind Stress für eine Person und haben auch Auswirkungen auf die körperliche Anspannung. Viele Schmerzpatienten, insbesondere mit
Rücken- und Kopfproblemen, haben eine hohe Muskelspannung, die den Schmerz
negativ beeinflusst und z. T. auch aufrechterhält.
T Wie ich Ihnen auch schon gesagt habe, ist das Ziel der Behandlung nicht die
to­tale Schmerzfreiheit. Eine angemessene, psychologische Behandlung kann Ihnen vielmehr dazu verhelfen, dass Sie Ihre Schmerzen kontrollieren und reduzieren können.
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Inhalt der Sitzung
Rolle der Mitarbeit zu Hause
Neben den schon beschriebenen Stressreaktionen gehört die körperliche Ent­
spannungsreaktion zum natürlichen, angeborenen Verhaltensrepertoire und ist genauso
biologisch verankert. Wir wissen auch aus zahlreichen Studien, dass regelmäßig durchgeführte Entspannungsübungen zu einer Reduktion der (sympathischen) Erregungsbereitschaft führen und sowohl kurzfristig als auch langfristig wohltuende therapeutische
Effekte haben. Neben der Veränderung der Körperfunktionen (z. B. Abnahme der Muskelanspannung, periphere Gefäßerweiterung, Wärmegefühl in Händen und Füßen, Senkung des arteriellen Blutdrucks, Verlangsamung der Atemfrequenz, Gleichmäßigkeit
der Atemzyklen, Senkung der Hautleitfähigkeit) wirkt sich die regelmäßige Anwendung
von Entspannungsübungen auf gedanklicher Ebene z. B. in Konzentrationsverbesserung
und einer Abnahme belastender Gedanken aus oder kann Gefühle von Gelassenheit,
Ausgeglichenheit und Wohlbefinden auslösen. Diese Übungen einmal in der Woche zu
machen, reicht jedoch nicht. Nur ihre Mitarbeit zu Hause garantiert ein gutes Ergebnis.
Darum ist es sehr wichtig und entscheidend für den Therapieerfolg, dass Sie täglich zu
Hause üben, was Sie hier in den Stunden gelernt haben.
T
T Sie können sich das ähnlich vorstellen wie das Erlernen einer neuen Sprache.
Neben dem Besuch eines Sprachkurses ist es notwendig, Vokabeln, Aussprache etc. zu
Hause zu üben, ansonsten werden Sie eine Sprache kaum erlernen.
T Für die regelmäßige Ausführung der Übungen zu Hause ist es hilfreich, sich eine
feste Zeit vorzunehmen, in der Sie die Übung täglich durchführen. Wenn das nicht
gemacht wird, dann kommt es in der Regel dazu, dass man die Aufgabe auf später verschiebt, was dazu führt, dass sie nicht ausgeführt wird.
Was denken Sie? Wann können Sie in Ihrem Tagesablauf 20–30 Minuten für die
Übungen einplanen?
T
T Nehmen Sie sich diese Zeit als festen Termin vor, bei dem Sie sich durch nichts
stören lassen, wir werden später noch genau besprechen, wie die Übungen für zu Hause
aussehen werden.
Anmerkungen für den
Therapeuten
Die Betonung der Notwendigkeit der Mitarbeit und Übung
zu Hause ist ganz wesentlich. Auch wenn dies bereits im
Vorgespräch angesprochen wurde, so kann und sollte in der
ersten Therapiestunde darauf noch einmal besondere Aufmerksamkeit gelegt werden.
Vereinbaren Sie mit dem Patienten eine feste Zeit, in der er
die Übungen zu Hause ausführt. Auch wenn Patienten
Gründe bringen, weshalb es ihnen schwerfällt, eine feste
Tageszeit zu nennen, sollte der Therapeut standhaft bleiben
und auf einem solchen Termin „bestehen“. Die Gefahr, dass
die Übung nicht ausgeführt wird, ist ansonsten deutlich
erhöht.
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Inhalt der Sitzung
Die Beschreibung der „Körperlichen Übungen für Zuhause“
(s. Anhang) sollte für die Patienten kopiert und ihnen mitgegeben werden.
Biofeedback-Teil
Übersicht
3 Minuten Baseline
7–10 Minuten Demonstration des Biofeedbackverfahrens
3 Minuten Abschlussbaseline
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●●
●●
Anmerkungen für den
Therapeuten
Der detaillierte Ablauf des Biofeedback-Teils befindet sich
am Schluss dieser Sitzung.
Einführung des Biofeedback-Gerätes
T Sie haben in dem Vorgespräch und der Diagnostiksitzung das Biofeedback-Gerät
schon kennengelernt. Heute möchte ich Ihnen die Wirkung dieses Geräts zeigen. Dazu
werde ich, wie schon in der Diagnostiksitzung, in dem Bereich, in dem Sie starke
Schmerzen haben, Elektroden ankleben, um damit Ihre Muskelanspannung zu messen.
Das ist ähnlich wie bei einem EKG oder EEG, das Sie vielleicht von Ihrem Arzt kennen.
Das Gerät kann nur Ihre Anspannung messen, jedoch keine eigenen Impulse (Strom)
zu Ihnen senden.
T
Ich werde Ihnen jeweils genau erklären, was ich mache.
Bei Bedarf:
T Zuerst möchte ich Sie bitten, dass Sie ihren Schal abnehmen und die obersten
Knöpfe Ihres Hemdes öffnen, sodass ich die Elektroden auf Ihren Nacken kleben kann.
Die Elektroden werden dort angebracht, wo Sie starke Schmerzen empfinden. Wie
bereits besprochen, geht diese Form der Schmerzen in der Regel mit einer hohen Muskelspannung einher.
T Ich werde nun Ihre Haut etwas säubern (Watte, kalter Alkohol). Das ist notwendig, damit die Elektroden besser kleben und auch besser leiten. Wenn Ihnen etwas
unangenehm ist, dann sagen Sie bitte sofort Bescheid. Nun klebe ich die Elektroden auf
– jeweils 3 auf eine Seite (durch das Gel etwas kalt). Sie wissen, die Elektroden sind nur
zum Messen der Muskelanspannung da. Und nun werden die Kabel an den Elektroden
festgemacht, die hier aus dem Biofeedback-Gerät kommen.
T
Wie ist das für Sie? Ist es angenehm? Sitzen Sie gut?
T Sie brauchen nicht aufgeregt zu sein und wenn Sie es sind, ist das ganz normal.
Heute geht es erst einmal nur darum, dass Sie das Gerät ein wenig kennenlernen und
ausprobieren, wie es funktioniert. Dabei können Sie nichts falsch machen.
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Inhalt der Sitzung
T Sie sehen hier am Bildschirm zwei Balken: Der rechte Balken gibt die Muskelanspannung auf der rechten Seite (ihres Nackens) wieder, der linke Balken die Anspannung
der linken Seite. Je höher der Balken ist, desto höher ist auch die Muskelanspannung.
Baseline
T Wir beginnen jede Biofeedback-Sitzung mit einer sogenannten Baseline-Messung
von 3 Minuten. Dabei wird Ihre Grundanspannung gemessen. In dieser Zeit brauchen
Sie nichts zu tun, sondern können sich einfach entspannt hinsetzen. Der Computer sagt
Ihnen und auch mir, wann die 3 Minuten vorbei sind.
Anmerkungen für den
Therapeuten
Starten des Gerätes – 3 Minuten Baseline
Adaptation
So, die Messung der Grundanspannung ist nun vorbei. Wie ich bereits gesagt
habe, geht es heute darum, dass Sie das Gerät kennenlernen und sehen, wie es funktioniert. Sie können nun einfach einmal ausprobieren, wie sich die Balkenhöhe verändert,
wenn Sie Ihre Sitzposition ändern oder Ihren Nacken anspannen.
T
Ausprobieren
T Ein wesentliches Ziel ist es, die Anspannung zu reduzieren; wir werden dafür in
den nächsten Sitzungen verschiedene Übungen einführen. Um das Gerät aber genauer
zu verstehen und auch Ihre Muskulatur bzw. die An- und Entspannung bewusster
wahrzunehmen, möchte ich Sie bitten, dass Sie versuchen, die/den Balken auf dem
Bildschirm kleiner werden zu lassen. Probieren Sie einfach einmal aus, wie Sie ihre
Muskulatur entspannen können. Sie können z. B. verschiedene Sitzpositionen ausprobieren, die Augen offen oder geschlossen halten, sich auf die Schmerzen konzentrieren
oder wegträumen. Probieren Sie einfach das Gerät aus und gewöhnen Sie sich erst einmal daran. Ich lasse Ihnen dafür ein paar Minuten Zeit.
Anmerkungen für den
Therapeuten
Der Patient wird mit dem Biofeedback-Gerät vertraut
gemacht. Auch wenn Patienten in der Diagnostiksitzung das
Gerät bereits kennengelernt haben, sollten die einzelnen
Schritte in der ersten Sitzung noch einmal sehr genau erklärt
werden. Zum Teil haben Patienten ein unangenehmes
Gefühl oder sind sogar ängstlich, weil sie befürchten, dass
das Gerät Strom in ihren Körper sendet. Daher ist ein sehr
transparentes Vorgehen notwendig, bei dem jeder einzelne
Schritt genau erklärt wird.