32 Sitzung 1 Sitzung 1 Sitzung 1 Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen Kurzzusammenfassung des Inhalts der Stunde In der ersten Sitzung wird ein psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen eingeführt, das dem Patienten unter Einbezug grundlegender anatomischer und funktioneller Informationen den andauernden Schmerz erklären soll. Dabei werden die Rolle von Stress, Spannung, Schmerz, Angst und Immobilität diskutiert und der Schmerz als eine Art der Stresserfahrung rekonzeptualisiert. Zudem werden das Biofeedback-Gerät und die körperliche Aktivität eingeführt. Zielsetzung der Stunde Primäres Ziel der ersten Sitzung ist die Erklärung des andauernden Schmerzes durch Einführung eines psychobiologischen Schmerzmodells. Der Patient lernt das BiofeedbackGerät und seine Wirkungsweise kennen. Zudem wird er mit den Übungen zur körper lichen Aktivierung vertraut gemacht, sodass er diese selbstständig zu Hause üben kann. Inhalt der Sitzung Begrüßung des Patienten T Liebe Frau/Herr …, schön, dass Sie gekommen sind und wir heute unsere erste gemeinsame Schmerztherapiesitzung haben. Bei unserem Vorgespräch haben wir ja bereits über die Schmerztherapie und auch die Ziele dieser Therapie gesprochen. Es geht darum, dass Sie mehr über Ihren Schmerz und die Zusammenhänge zwischen den schlimmen Erlebnissen, die Sie hatten, dem daraus resultierenden Stress und Ihrem Schmerz erfahren. Und dass Sie dann vor allem Hilfsstrategien erlernen, die Ihnen im Alltag helfen, besser mit dem Schmerz umzugehen. Das Biofeedback-Gerät ist dafür ein gutes Hilfsmittel – es zeigt Ihnen quasi wie ein Spiegel Ihre Muskelanspannung und unterstützt Sie darin, diese und damit auch Ihren Schmerz zu kontrollieren. Wie genau das funktionieren wird, werden wir uns später noch anschauen. Anmerkungen für den Therapeuten Klären von offenen Fragen Begrüßung des Patienten und kurze Einführung in die Elemente der Schmerztherapie. Auch wenn im Vorgespräch die Schmerztherapie bereits vorgestellt wurde, ist es (aufgrund der oft vorhandenen Konzentrationsschwierigkeiten) hilfreich, den Patienten zu Beginn der Therapie nochmals kurz einzuweisen. T Haben Sie aktuell Fragen? Manchmal kommen nach dem Vorgespräch zu Hause noch Gedanken oder Fragen auf, die Sie gern stellen können. Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen 33 Inhalt der Sitzung Überblick über den Inhalt der Stunde Heute werden wir darüber sprechen, was Schmerz ist und welche Unterschiede es zwischen chronischem und akutem Schmerz gibt. Außerdem geht es darum, die Zusammenhänge zwischen Schmerz, Anspannung und Stress zu erklären. Dazu nehmen wir das Biofeedback-Gerät zu Hilfe. T Bei Bedarf: T Da zur langfristigen Reduzierung von Schmerzen körperliche Aktivität eine entscheidende Rolle spielt, zeige ich Ihnen schließlich noch einige körperliche Übungen, die Sie v. a. zu Hause durchführen können. Psychoedukation: Was ist chronischer Schmerz? Einstieg in das Thema T Was denken Sie: Warum verspüren wir Menschen Schmerzen? Haben diese einen Sinn? T Schmerz ist eine überlebenswichtige und -notwendige Warnfunktion des Körpers. Würden wir keinen Schmerz empfinden, dann würden wir unsere Hand beispielsweise nicht von einer heißen Herdplatte ziehen und damit die Gefahr, die davon ausgeht, nicht erkennen. Somit schützt Schmerz also unseren Körper, der uns rechtzeitig warnt, wenn etwas Schädliches mit uns geschieht. Diese Form von Schmerz bezeichnet man als akuten Schmerz: Er ist die unmittelbare Reaktion auf eine Verletzung und verschwindet nach einiger Zeit, wenn die Ursache für den Schmerz beseitigt wurde. T Beim chronischen, also andauernden Schmerz ist das anders. Dieser Schmerz dauert oft über viele Jahre an, manchmal gibt es keine bestimmte Ursache dafür. In einigen Fällen ist es so, dass man zwar eine Vorstellung davon hat, wodurch der Schmerz ausgelöst wurde, aber die Bedingungen sind nicht mit den gängigen medizinischen Methoden veränderbar. Und damit verliert der chronische Schmerz seine unmittelbare Warnfunktion. Der Schmerz ist die Krankheit, die behandelt werden muss. Jeder Schmerz besteht aus körperlichen und psychischen Anteilen, und das gilt insbesondere für den chronischen Schmerz. Mit den psychischen Anteilen des Schmerzes ist das Leiden gemeint, welches mit negativen Gefühlen und Stimmungen einhergeht: Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Resignation sind Gefühle, die wohl jeder Schmerzpatient kennt. Die Gefühle wiederum sind Stress für eine Person und haben auch Auswirkungen auf die körperliche Anspannung. Viele Schmerzpatienten, insbesondere mit Rücken- und Kopfproblemen, haben eine hohe Muskelspannung, die den Schmerz negativ beeinflusst und z. T. auch aufrechterhält. T Wie ich Ihnen auch schon gesagt habe, ist das Ziel der Behandlung nicht die totale Schmerzfreiheit. Eine angemessene, psychologische Behandlung kann Ihnen vielmehr dazu verhelfen, dass Sie Ihre Schmerzen kontrollieren und reduzieren können. 34 Sitzung 1 Sitzung 1 Inhalt der Sitzung Rolle der Mitarbeit zu Hause Neben den schon beschriebenen Stressreaktionen gehört die körperliche Ent spannungsreaktion zum natürlichen, angeborenen Verhaltensrepertoire und ist genauso biologisch verankert. Wir wissen auch aus zahlreichen Studien, dass regelmäßig durchgeführte Entspannungsübungen zu einer Reduktion der (sympathischen) Erregungsbereitschaft führen und sowohl kurzfristig als auch langfristig wohltuende therapeutische Effekte haben. Neben der Veränderung der Körperfunktionen (z. B. Abnahme der Muskelanspannung, periphere Gefäßerweiterung, Wärmegefühl in Händen und Füßen, Senkung des arteriellen Blutdrucks, Verlangsamung der Atemfrequenz, Gleichmäßigkeit der Atemzyklen, Senkung der Hautleitfähigkeit) wirkt sich die regelmäßige Anwendung von Entspannungsübungen auf gedanklicher Ebene z. B. in Konzentrationsverbesserung und einer Abnahme belastender Gedanken aus oder kann Gefühle von Gelassenheit, Ausgeglichenheit und Wohlbefinden auslösen. Diese Übungen einmal in der Woche zu machen, reicht jedoch nicht. Nur ihre Mitarbeit zu Hause garantiert ein gutes Ergebnis. Darum ist es sehr wichtig und entscheidend für den Therapieerfolg, dass Sie täglich zu Hause üben, was Sie hier in den Stunden gelernt haben. T T Sie können sich das ähnlich vorstellen wie das Erlernen einer neuen Sprache. Neben dem Besuch eines Sprachkurses ist es notwendig, Vokabeln, Aussprache etc. zu Hause zu üben, ansonsten werden Sie eine Sprache kaum erlernen. T Für die regelmäßige Ausführung der Übungen zu Hause ist es hilfreich, sich eine feste Zeit vorzunehmen, in der Sie die Übung täglich durchführen. Wenn das nicht gemacht wird, dann kommt es in der Regel dazu, dass man die Aufgabe auf später verschiebt, was dazu führt, dass sie nicht ausgeführt wird. Was denken Sie? Wann können Sie in Ihrem Tagesablauf 20–30 Minuten für die Übungen einplanen? T T Nehmen Sie sich diese Zeit als festen Termin vor, bei dem Sie sich durch nichts stören lassen, wir werden später noch genau besprechen, wie die Übungen für zu Hause aussehen werden. Anmerkungen für den Therapeuten Die Betonung der Notwendigkeit der Mitarbeit und Übung zu Hause ist ganz wesentlich. Auch wenn dies bereits im Vorgespräch angesprochen wurde, so kann und sollte in der ersten Therapiestunde darauf noch einmal besondere Aufmerksamkeit gelegt werden. Vereinbaren Sie mit dem Patienten eine feste Zeit, in der er die Übungen zu Hause ausführt. Auch wenn Patienten Gründe bringen, weshalb es ihnen schwerfällt, eine feste Tageszeit zu nennen, sollte der Therapeut standhaft bleiben und auf einem solchen Termin „bestehen“. Die Gefahr, dass die Übung nicht ausgeführt wird, ist ansonsten deutlich erhöht. Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen Einführung: Psychobiologisches Modell chronischer Schmerzen 35 Inhalt der Sitzung Die Beschreibung der „Körperlichen Übungen für Zuhause“ (s. Anhang) sollte für die Patienten kopiert und ihnen mitgegeben werden. Biofeedback-Teil Übersicht 3 Minuten Baseline 7–10 Minuten Demonstration des Biofeedbackverfahrens 3 Minuten Abschlussbaseline ●● ●● ●● Anmerkungen für den Therapeuten Der detaillierte Ablauf des Biofeedback-Teils befindet sich am Schluss dieser Sitzung. Einführung des Biofeedback-Gerätes T Sie haben in dem Vorgespräch und der Diagnostiksitzung das Biofeedback-Gerät schon kennengelernt. Heute möchte ich Ihnen die Wirkung dieses Geräts zeigen. Dazu werde ich, wie schon in der Diagnostiksitzung, in dem Bereich, in dem Sie starke Schmerzen haben, Elektroden ankleben, um damit Ihre Muskelanspannung zu messen. Das ist ähnlich wie bei einem EKG oder EEG, das Sie vielleicht von Ihrem Arzt kennen. Das Gerät kann nur Ihre Anspannung messen, jedoch keine eigenen Impulse (Strom) zu Ihnen senden. T Ich werde Ihnen jeweils genau erklären, was ich mache. Bei Bedarf: T Zuerst möchte ich Sie bitten, dass Sie ihren Schal abnehmen und die obersten Knöpfe Ihres Hemdes öffnen, sodass ich die Elektroden auf Ihren Nacken kleben kann. Die Elektroden werden dort angebracht, wo Sie starke Schmerzen empfinden. Wie bereits besprochen, geht diese Form der Schmerzen in der Regel mit einer hohen Muskelspannung einher. T Ich werde nun Ihre Haut etwas säubern (Watte, kalter Alkohol). Das ist notwendig, damit die Elektroden besser kleben und auch besser leiten. Wenn Ihnen etwas unangenehm ist, dann sagen Sie bitte sofort Bescheid. Nun klebe ich die Elektroden auf – jeweils 3 auf eine Seite (durch das Gel etwas kalt). Sie wissen, die Elektroden sind nur zum Messen der Muskelanspannung da. Und nun werden die Kabel an den Elektroden festgemacht, die hier aus dem Biofeedback-Gerät kommen. T Wie ist das für Sie? Ist es angenehm? Sitzen Sie gut? T Sie brauchen nicht aufgeregt zu sein und wenn Sie es sind, ist das ganz normal. Heute geht es erst einmal nur darum, dass Sie das Gerät ein wenig kennenlernen und ausprobieren, wie es funktioniert. Dabei können Sie nichts falsch machen. 36 Sitzung 1 Sitzung 1 Inhalt der Sitzung T Sie sehen hier am Bildschirm zwei Balken: Der rechte Balken gibt die Muskelanspannung auf der rechten Seite (ihres Nackens) wieder, der linke Balken die Anspannung der linken Seite. Je höher der Balken ist, desto höher ist auch die Muskelanspannung. Baseline T Wir beginnen jede Biofeedback-Sitzung mit einer sogenannten Baseline-Messung von 3 Minuten. Dabei wird Ihre Grundanspannung gemessen. In dieser Zeit brauchen Sie nichts zu tun, sondern können sich einfach entspannt hinsetzen. Der Computer sagt Ihnen und auch mir, wann die 3 Minuten vorbei sind. Anmerkungen für den Therapeuten Starten des Gerätes – 3 Minuten Baseline Adaptation So, die Messung der Grundanspannung ist nun vorbei. Wie ich bereits gesagt habe, geht es heute darum, dass Sie das Gerät kennenlernen und sehen, wie es funktioniert. Sie können nun einfach einmal ausprobieren, wie sich die Balkenhöhe verändert, wenn Sie Ihre Sitzposition ändern oder Ihren Nacken anspannen. T Ausprobieren T Ein wesentliches Ziel ist es, die Anspannung zu reduzieren; wir werden dafür in den nächsten Sitzungen verschiedene Übungen einführen. Um das Gerät aber genauer zu verstehen und auch Ihre Muskulatur bzw. die An- und Entspannung bewusster wahrzunehmen, möchte ich Sie bitten, dass Sie versuchen, die/den Balken auf dem Bildschirm kleiner werden zu lassen. Probieren Sie einfach einmal aus, wie Sie ihre Muskulatur entspannen können. Sie können z. B. verschiedene Sitzpositionen ausprobieren, die Augen offen oder geschlossen halten, sich auf die Schmerzen konzentrieren oder wegträumen. Probieren Sie einfach das Gerät aus und gewöhnen Sie sich erst einmal daran. Ich lasse Ihnen dafür ein paar Minuten Zeit. Anmerkungen für den Therapeuten Der Patient wird mit dem Biofeedback-Gerät vertraut gemacht. Auch wenn Patienten in der Diagnostiksitzung das Gerät bereits kennengelernt haben, sollten die einzelnen Schritte in der ersten Sitzung noch einmal sehr genau erklärt werden. Zum Teil haben Patienten ein unangenehmes Gefühl oder sind sogar ängstlich, weil sie befürchten, dass das Gerät Strom in ihren Körper sendet. Daher ist ein sehr transparentes Vorgehen notwendig, bei dem jeder einzelne Schritt genau erklärt wird.
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