„Ich konnte doch meine Patienten nicht betrügen“, Natalie Grams Stellungname von Curt Kösters, Präsidiumsmitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie (WissHom) und ehemaliger Vorsitzender des DZVhÄ Foto: DZVhÄ Der öffentliche Auftritt von Natalie Grams ist professionell geplant und durchgestylt, mein Kompliment. In ihrem Buch „Homöopathie neu gedacht“ zitiert die Autorin eingangs und neben Samuel Hahnemann (§2 Organon), Georg Christoph Lichtenberg: „Die gemeinsten Meinungen und was jeder für ausgemacht hält, verdient oft am meisten untersucht zu werden.“ Dem stimme ich unbedingt zu – und habe da gleich auch noch ein weiteres schönes Lichtenberg-Zitat: „Um über gewisse Gegenstände mit Dreistigkeit zu schreiben, ist fast nothwendig, daß man nicht viel davon versteht.“ Das Buch von Natalie Grams enthält neben richtigen Hinweisen (auf die im Folgenden auch noch eingegangen werden soll) auch einige Fehler; Fehler, die für eine vergleichsweise wenig erfahrene homöopathische Ärztin überwiegend verzeihlich sind, für eine Buchautorin allerdings weniger. Der eigentliche Text des Buches beginnt recht fulminant: „Ja, ich habe unter homöopathischer Therapie schwere Angstzustände und Depressionen verschwinden, bösartige Krebsgeschwüre zurückgehen und akute eitrige Mandelentzündungen heilen sehen.“ (S. 1) Auf Seite zwei beginnt die Autorin sich zu wiederholen: „Ausgangslage ist: Täglich kommen Patienten zu mir in die Praxis und berichten gerührt und erleichtert, dass sich ihre Beschwerden seit Beginn der Behandlung gebessert haben […] ich behandle Patienten mit schweren 1 Suchtproblemen, Angst- und Depressionszuständen, die teilweise schon seit Wochen nicht mehr am normalen Leben teilnehmen. Ich behandle Patienten, die sich seit Jahren in anderer Therapie befinden – sei es psychologischer sei es klassisch medizinischer Behandlung, Patienten mit Krebs und anderen als chronisch geltenden Krankheiten wie zum Beispiel Asthma, Neurodermitis, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Allergien, Schlafstörungen, Schmerzen et cetera.“ (S.2) Wenn diese Behandlungen erfolgreich waren, was Sprachduktus und Kontext nahelegen, ergibt sich daraus die Frage, ob das mit einem Placebo-Effekt noch zu erklären ist. Die Autorin stellt sich diese Frage auch, nur umgekehrt. Ebenfalls auf Seite zwei findet sich dann schon die Quintessenz des ganzen Buches: „Wie kann es sein, dass ihnen [den Patienten] eine Methode hilft, die nachweislich nichts verschreibt?“ Der Rest des Buches ist dann im Wesentlichen eine Ausformulierung und Wiederholung dieser Frage – vielen Wiederholungen allerdings. Die Autorin stellt fest, dass eine homöopathische Behandlung nicht bei allen ihren Patienten wirkte – doch aber bei vielen – und fragt sich in immer neuen Formulierungen, wie etwas wirkt, das ja gar nicht wirken kann. Eine wirkliche Antwort auf diese Frage findet sie nicht. Ausführlich und im Wesentlichen richtig schildert sie zunächst die praktische Herangehensweise der Homöopathie (kleine Fehler sind hier vernachlässigbar und im Wesentlichen der Tatsache geschuldet, dass die Autorin sich eingehend offenbar nur mit einer sehr spezifischen Verschreibungstechnik befasst hat). Wirklich beunruhigend an diesem Buch ist nicht die Kritik der Autorin an der Homöopathie, sondern die Tatsache, dass die Autorin in ihrer Ausbildung zur homöopathischen Ärztin offenbar zentrale Aussagen der Homöopathie nicht gelernt oder nicht verstanden hat. Auf Seite 60 ihres Buches schreibt sie u.a.: „Es gibt keine ‚Selbstheilungskraft‘ und keine ‚Lebenskraft‘ im naturwissenschaftlichen Sinn. Es gibt kein Prinzip der Ähnlichkeit in Hahnemanns Sinn. […] Es gibt keine Studien, die eine Wirkung der Homöopathie tatsächlich und zweifelsfrei belegen; allenfalls ein unspezifischer Placebo-Effekt kann auftreten.“ Zur Selbstheilungskraft / Lebenskraft „Es gibt keine ‚Selbstheilungskraft‘‚ naturwissenschaftlichen Sinn.“ (S. 60) und keine ‚Lebenskraft‘ im Auf Anhieb ist man geneigt, diese apodiktische Äußerung der Autorin für einen Scherz zu halten; immerhin hat sie Medizin studiert. Medicus curat – natura sanat (Der Arzt behandelt, die Natur heilt) – schon mal gehört? 2 Wenn die Autorin bezweifeln möchte, dass diese recht alte Mediziner-Weisheit nach wie vor gültig ist, kann sie einen Chirurgen fragen: Der kann Wunden zunähen; ob die dann aber auch heilen, hängt eben von der Selbstheilungskraft des Organismus ab. Wenn diese schlecht ist – was durchaus vorkommen kann – hat er ein Problem. Und wenn das nicht genügt, ist vielleicht dieser Artikel hilfreich: http://www.ucl.ac.uk/news/news-articles/news-releases-archive/waterloo. Mervyn Singer, ein durchaus renommierter Experte für Intensivmedizin, weist hier darauf hin, dass die Überlebensraten von Kriegsverletzten aus der Schlacht von Waterloo unter damaligen stationären Bedingungen nicht schlechter waren als unter heutigen Intensivbedingungen (mit modernen Operationstechniken, mit Bluttransfusionen und Antibiotika). Und wenn Grams – wie es gelegentlich den Anschein hat – in Wikipedia die Quelle ultimativer Wahrheiten sieht (39 von 47 Onlinequellen verweisen auf Wikipedia), kann ihr auch hier geholfen werden: Der Begriff Lebenskraft bei Hahnemann beschreibt nichts anderes als die Fähigkeit biologischer Organismen als komplexes autoregulatives System zu agieren, d.h. aufgrund eigenständiger Mechanismen auf ihre Umwelt und deren Einflüsse zu reagieren. https://de.wikipedia.org/wiki/Komplexes_adaptives_System https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstorganisation Und wenn sich Professor Singer fragt, was für die heutige konventionelle Medizin aus den Erfahrungen der Mediziner nach der Schlacht von Waterloo zu lernen ist, dann stellt er sich eben diese Frage, wie die entsprechenden Fähigkeiten des Organismus besser genutzt werden können. https://de.wikipedia.org/wiki/Ressourcenorientierung https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz (in beiden Links ist überhaupt nicht von Medizin die Rede, es geht aber um das gleiche Problem.) Aus medizinischer Perspektive wird https://de.wikipedia.org/wiki/Salutogenese die Frage hier behandelt: Und selbstverständlich ist damit noch nicht beantwortet, wie ein homöopathisches Mittel diese Selbstheilungskräfte / Lebenskraft des Organismus anregt – und damit kommen wir zum Ähnlichkeitsprinzip. Ähnlichkeitsprinzip „Es gibt kein Prinzip der Ähnlichkeit in Hahnemanns Sinn.“ (S.60) Es ist eine inhärente Eigenschaft komplexer autoregulativer Systeme, dass sie über die Fähigkeit verfügen, sich selbst konstant zu halten. Komplexe autoregulative Systeme (durchaus nicht nur biologische Organismen), 3 verfügen also über Möglichkeiten, potentiell schädliche Außenreize durch eine dem Reiz entgegengesetzte Reaktion auszugleichen. Diese Gegenregulation erfolgt in aller Regel überschießend: Wenn Sie Ihre Hand in kaltes Wasser halten, wird sie anschließend wärmer als sie zuvor war. Dieses nennt sich dann auch Kneipp-Therapie und soll bei häufigerer Anwendung auch dauerhaft die Regulationsfähigkeit des Organismus und seine Resistenz gegen Kälteeinflüsse verbessern. Beschrieben wird dieses Prinzip bei Wikipedia auch unter den Stichwörtern: https://de.wikipedia.org/wiki/Arndt-Schulz-Regel https://de.wikipedia.org/wiki/Hormesis Für die konventionelle Arzneitherapie ist diese Fähigkeit des Organismus häufig eher lästig. Mit konventionellen Pharmaka versucht man in der Regel, einen bestimmten Zustand des Organismus zu erzwingen. Der Organismus wehrt sich dagegen. Beispiele: Mit der Verabreichung von Benzodiazepinen in hinreichender Dosis kann man Schlaf erzwingen; dem folgt dann aber tendenziell Schlaflosigkeit, bei längerer Einnahme auch eine anhaltende Beeinträchtigung des Schlafes. Mit Abführmitteln in hinreichender Dosis erzeugt man auf längere Sicht eine Verstopfung. Abschwellende Nasentropfen wirken wunderbar, erzeugen allerdings binnen kurzem eine anhaltende Schwellung. Spätestens die wiederholte Einnahme euphorisierender Substanzen führt zur Dysphorie. Derartige Effekte sind für sehr viele Pharmaka gut bekannt, so viele, dass man das für ein durchgehendes Prinzip halten kann; ein Prinzip, das aber auch aus systemtheoretischen Überlegungen plausibel ist. Homöopathie ist also nichts anderes als der Versuch, diese autoregulativen Eigenschaften komplexer Systeme anzuregen – statt dagegen anzukämpfen. Man verabreicht ein Arzneimittel, das Symptome auslösen kann, die den Symptomen des Patienten möglichst weitgehend ähneln – mit dem Ziel eine Gegenregulation auszulösen, die sich dann aber überwiegend gegen die bereits vorbestehenden Symptome richtet. Beobachten lassen sich die zugrundeliegenden Phänomene durchaus nicht nur in der Arzneitherapie, sondern eben auch im Zusammenhang mit physikalischen Reizen, seelischen Reizen und auch in sozialen Systemen. In der Psychotherapie wird die Anwendung des gleichen Prinzips auch als paradoxe Intervention bezeichnet. Hahnemann, der dieses Prinzip durchaus nicht als Erster in der Medizin beschrieben hat, aber doch als Erster systematisch erforscht und erprobt hat, war bereits bekannt, dass es hier um ein Phänomen geht, das auch außerhalb arzneilicher Wirkungen anwendbar ist – „So wird auch Trauer und Gram durch 4 einen neuen, stärkeren, jemand Anderm begegneten Trauerfall, sei er auch nur erdichtet, im Gemüthe ausgelöscht.“ schreibt er. Bei der Untersuchung der arzneilichen Anwendung stieß er dann auch relativ rasch auf die Tatsache, dass für die Auslösung von Reaktionen des Organismus zumindest nicht die gleichen Dosis-Wirkungs-Beziehungen gelten, wie für die eigentliche arzneiliche Wirkung (bei Hahnemann Erstwirkung). Auch sehr kleine Reize können sehr große Reaktionen auslösen. https://de.wikipedia.org/wiki/Nichtlineares_System (Oder auch die Literaturempfehlung: „Das Sandkorn, das die Erde zum Beben bringt“) Allerdings: Je kleiner der Reiz ist, der noch eine Reaktion auslösen soll, desto genauer muss er gesetzt werden. Selbstverständlich ist damit noch nicht belegt, dass dieses Prinzip dann auch in der Praxis funktioniert – und dass es auch mit Hochpotenzen funktioniert. – Und damit kommen wir dann zur Forschung. Forschung zur Homöopathie „Es gibt keine Studien, die eine Wirkung der Homöopathie tatsächlich und zweifelsfrei belegen; allenfalls ein unspezifischer Placebo-Effekt kann auftreten.“ (S.60) Das ist eine Irreführung des Lesers. – Aber wenigstens eine hinreichend geschickte Formulierung. Es gibt nämlich in der Medizin überhaupt keine einzige klinische Studie, die irgend etwas zweifelsfrei belegt; insofern kann diese Formulierung dann auch gefahrlos auf homöopathische Studien angewandt werden. Aus eben diesem Grund haben sich die Experten für Studien darauf geeinigt, den Zweifel (im Umkehrschluss: die Irrtumswahrscheinlichkeit – P-Wert) mathematisch zu definieren. Als Mindeststandard für klinische Studien gilt, dass die statistische Irrtumswahrscheinlichkeit unter 5% liegen muss. Auf Seite 135 ihres Buches schreibt die Autorin dann allerdings: „Eine Wirkung über einen Placebo-Effekt hinaus wurde in keiner Studie jemals festgestellt, […]“ Und das ist schlicht und einfach eine falsche Tatsachenbehauptung – und sofern bewusst erfolgt: Eine Lüge! Von einer wissenschaftlich gebildeten Autorin, die von sich behauptet, dass sie ursprünglich ein „flammendes Plädoyer für die Homöopathie“ (Vorwort – Seite VI) habe schreiben wollen, kann erwartet werden, dass sie sich mit der Studienlage mindestens soweit auseinandergesetzt hat, dass sie die Unwahrheit dieser Behauptung erkennen konnte. 5 Zu ihren Gunsten könnte allenfalls angenommen werden, dass sie sich zweifelhafter Ratgeber in Wissenschaftsfragen bedient hat und von diesen irregeleitet wurde. Tatsache ist jedenfalls, dass eine ganze Reihe von Doppelblindstudien gibt – auch von methodisch guten Studien – die eine Wirkung über den PlaceboEffekt hinaus festgestellt haben. Tatsache ist weiterhin, dass es auch in der Grundlagenforschung eine Reihe von Experimenten gibt, die einen Effekt von Hochpotenzen unter experimentellen Bedingungen zeigen. Eine Auflistung von 21 qualitativ hochwertigen Doppelblindstudien mit überwiegend positivem Ergebnis hätte die Autorin bereits in der von ihr zitierten homöopathiekritischen Metaanalyse von Shang et al. finden können. Ihre finale und viel zitierte Schlussfolgerung (Placebo-Effekt) konnten Shang et al. in dieser Studie nur belegen, indem sie die Studiengröße als zusätzliches Auswahlkriterium einführten. Dass dieses Kriterium für eine zusammenfassende Darstellung mehrerer Studien kein sinnvolles Kriterium ist, wurde in der Diskussion um diese Studie bereits angemerkt; ebenfalls, dass die sehr spezielle Wahl des Selektionskriteriums in diesem Fall noch zusätzlich auffällt (eine Reanalyse konnte zeigen, dass sowohl eine etwas niedrigere als auch eine etwas höhere Schwelle jeweils zu einem anderen Ergebnis geführt hätte). Auf welcher Rationale beruht eine Schwelle von 85, wenn sowohl eine Schwelle von 75 als auch eine Schwelle von 100 zu einer positiven Gesamtaussage geführt hätte? Studien mit niedrigerer Teilnehmerzahl sind anfälliger für zufällige Ergebnisse; dies wird bei der Berechnung der Signifikanz allerdings bereits berücksichtigt und führt dazu, dass eine kleinere Studie eine tendenziell höhere Effektstärke haben muss, um ein signifikantes Ergebnis zu erzielen. Aus methodischer Sicht ist daher eine Reihe von methodisch guten Studien mit kleiner Teilnehmerzahl eine mindestens ebenso valide Aussage, wie eine große Studie mit der gleichen Signifikanz und der Gesamtteilnehmerzahl dieser kleinen Studien. Zu Gunsten der Autorin kann angenommen werden, dass sie sich mit einzelnen Studien und der jeweiligen Diskussion dazu nicht differenziert auseinandergesetzt hat. Sie zitiert ausschließlich und sehr selektiv Übersichtsarbeiten. Ihre wichtigste Referenz in Wissenschaftsfragen aber scheint Norbert Aust zu sein, ein Maschinenbauer aus Schopfheim, spezialisiert auf Vakuumpumpen und Kompressoren. 6 Der wissenschaftliche Diskurs und die Skeptiker Überraschend an Grams Buch ist, dass in Forschungsfragen ausschließlich Homöopathie-Skeptiker zitiert werden – insbesondere wenn man die Aussage der Autorin für bare Münze nimmt, dass sie ursprünglich ein flammendes Plädoyer für die Homöopathie habe schreiben wollen. Eine differenzierte Auseinandersetzung sieht anders aus. Denn selbst in Kreisen der Homöopathie-Skeptiker wurde nämlich inzwischen die Tatsache zur Kenntnis genommen, dass es eine Reihe von methodisch guten Studien mit signifikant positivem Ergebnis für die Homöopathie gibt. Quasi „offiziell“ ist das seit dem homöopathiekrischen Buch von Weymayr/Heißmann: „Die Homöopathie-Lüge: So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen“. Einer skeptischen Öffentlichkeit wurde hier - wenn auch sehr verklausuliert und erst auf einer der hinteren Seiten - erstmals übermittelt, dass es methodisch gute Studien zur Homöopathie gibt, die einen signifikanten Effekt zeigen: „Dass es tatsächlich auch Studien gibt, die hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, aber trotzdem eine spezifische Wirkung der Homöopathie nahe legen, erlaubt nur den Schluss, dass die Studien methodisch nicht perfekt oder die Ergebnisse bloßer Zufall waren.“ (Homöopathie-Lüge S. 317) Diesen etwas verklausulierten Satz kann man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es gibt also Studien (plural), auch nach Auffassung der Autoren, die hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, aber trotzdem eine spezifische Wirkung der Homöopathie nahe legen. Was heißt nun nahe legen? – Gibt es "nahe legen" in der Wissenschaft? – Es gibt doch nur Daten oder keine Daten. Den Beleg für methodische Schwächen bzw. das Wirken des Zufalls bleiben die Autoren ohnehin schuldig. Aber recht haben sie: DIE methodisch perfekte Studie gibt es nämlich nicht in der Medizin. – Methodisch perfekt ist allenfalls eine Studie, die noch nicht von zwei kritischen Biomathematikern gelesen wurde. So eben funktioniert der wissenschaftliche Diskurs. Daher gibt es Kriterien für die methodische Akzeptanz einer Studie (z.B. den Jadad-Score – und dazu gibt es auch einen Eintrag bei Wikipedia). Akzeptiert ist mittlerweile also auch im beleseneren Teil der Skeptiker-Szene, dass es methodisch gute Studien gibt, die einen Effekt der Homöopathie zeigen – unterschiedlich sind nur die Reaktionen. Christian Weymayr war (im Gegensatz zu Natalie Grams) auch klar, dass sich diese methodisch guten Studien nicht mit dem Zufall der Statistik hinweg erklären lassen (der kann nur für ca. 5% herhalten - mehr nicht). Weymayr hat 7 dann letzten Endes einen wissenschaftstheoretisch eher kühnen aber immerhin originellen Ausweg gefunden: nämlich die These, dass sich Homöopathie einfach gar nicht untersuchen ließe mit Doppelblindstudien. Norbert Aust – die wichtigste Referenz der Autorin in Wissenschaftsfragen neben Wikipedia – argumentiert differenzierter. Der Maschinenbauer kritisiert in seinem Blog und in diversen anderen Medien der Skeptiker-Szene durchaus lesenswert einzelne Homöopathie-Studien. Dass er selbst weder Mediziner noch Medizinforscher ist, sondern studierter Maschinenbauer, entkräftet seine Argumente sicherlich auch nicht. Aber warum beteiligt sich Aust nicht am wissenschaftlichen Diskurs zur Homöopathie, wenn er doch mit seinem Blog antritt, um die Schwächen positiver Homöopathie-Studien herauszuarbeiten? Für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es seit einigen Jahrzehnten etablierte Spielregeln: - Wissenschaftliche Ergebnisse werden in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht – und vor der Veröffentlichung von den Herausgebern auf ihre Plausibilität geprüft (Peer-Review). - Kritik an wissenschaftlichen Ergebnissen wird dann wiederum ebenfalls von diesen Zeitschriften veröffentlicht, soweit es sich um eine substantielle Kritik handelt. Dort haben dann die ursprünglichen Autoren die Möglichkeit zu der Kritik Stellung zu nehmen. - Wenn sich eine wissenschaftliche Zeitschrift weigert eine substantielle Kritik zu veröffentlichen, kann und sollte diese in anderen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht werden. - Die populärwissenschaftliche Diskussion über Forschung ist eine Metaebene. Hier können die Ergebnisse des eigentlichen wissenschaftlichen Diskurses zitiert und argumentativ verwendet werden. - Kritiken, die nie in die wissenschaftliche Diskussion eingeflossen sind – und sich ihrerseits dann den entsprechenden Antworten gestellt haben – zu zitieren, ist möglich aber unfruchtbar. Fruchtbar ist letzten Endes nur der Diskurs! Mit wissenschaftlich publizierter Kritik müssen sich die Autoren auseinandersetzen; das führt zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Methodik und letzten Endes zu genaueren Ergebnissen. Norbert Aust veröffentlicht seine - möglicherweise ja substantiellen - Kritiken an einzelnen Studien in Blogs und populärwissenschaftlichen Medien aus dem Umfeld der Skeptiker-Szene; als wissenschaftliche Quelle ist er nicht zitierbar. Edzard Ernst als drittwichtigster Referenz der Autorin in Wissenschaftsfragen kann man wiederum nicht vorwerfen, dass er sich nicht am 8 Wissenschaftsdiskurs beteiligt. Ernst ist emeritierter Professor für Komplementärmedizin und er hat viele Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Auch Prof. Edzard Ernst blieb nicht verborgen, dass es eine Reihe von methodisch guten Studien zur Homöopathie gibt, die einen signifikanten Effekt zeigen und dass das mit reiner Zufallswahrscheinlichkeit nicht hinreichend erklärbar ist. Er fand seinen eigenen Ansatz zur Erklärung: Es könne sich dabei nur um Fälschungen handeln! – Einen Beweis dafür blieb er allerdings schuldig. Die Namen der hier genannten Homöopathie-Skeptiker stehen aber nur stellvertretend für jeweils typische Protagonisten. Wissenschaftstheoretisch ergänzen sich diese unterschiedlichen Argumentationslinien: Positive Homöopathie-Studien sind irrelevant, weil die Untersuchung der Homöopathie mit Doppelblindstudien ohnehin irrelevant ist. (Weymayr) Positive Homöopathie-Studien sind irrelevant, weil alle Studien methodische Schwächen aufweisen (Aust) Positive Homöopathie-Studien sind irrelevant, weil es sich dabei erkennbar um Fälschungen handelt (Ernst) Zusammen gesehen wirken sie aber doch merkwürdig (und eher als Versuch einer Neuillustration des Palmström-Verdikts „Nicht sein kann, was nicht sein darf“) – auch weil jeder dieser drei Protagonisten den jeweils anderen Argumentationslinien offensichtlich nur begrenzt vertraut. Bedauerlich ist, dass sich die Autorin mit der Diskussion rund um die Homöopathie-Forschung nur oberflächlich auseinandergesetzt hat. Ärgerlich: große und kleine Fehler Manches in Grams Buch ist allerdings schlicht naiv und ärgerlich. wissenschaftstheoretischer, gesundheitspolitischer oder medizinischer Hinsicht. In Gesundheitskoordinatoren Homöopathische Ärzte, schlägt Grams vor, seien aufgrund ihrer umfangreichen zeitlichen Befassung prädestiniert für eine Lotsen-Funktion im Gesundheitswesen (vgl. S.144). Mit Verlaub: Das geschieht in der Praxis längst. Homöopathische Ärzte, die in der Regel die Symptome der jeweiligen Patienten genauer erfragt haben, veranlassen daraufhin die Diagnostik möglicherweise etwas gezielter und differenzierter; sie überweisen zur Diagnostik und Therapie ggf. an konventionelle Kollegen, sie setzen ggf. aber auch andere komplementärmedizinische Therapien gezielt ein und sie verschreiben ggf. selbst konventionelle Arzneimittel (nur eben deutlich weniger, als ihre konventionellen Kollegen). 9 Beschränkung auf die geistige Ebene Die Homöopathie sei geeignet, eine Störung der geistigen Ebene zu behandeln; Krankheiten bei denen ganz klar eine materielle Ursache vorliegt (z.B eine bakterielle Blasenentzündung mit gesichertem mikrobiologischen Befund), seien auch materiell zu behandeln (z.B. durch Gabe eines Antibiotikums). (S.123) Wie vereinbart Grams dies mit ihrer eigenen Beobachtung, dass auch eitrige (also wohl doch bakteriell bedingte) Mandelentzündungen unter einer homöopathischen Behandlung heilen? Auch bakterielle Infekte werden häufig – und in aller Regel auch erfolgreich – homöopathisch behandelt. Wenn das aus irgendeinem Grunde nicht funktioniert, verschreiben auch homöopathische Ärzte hin und wieder Antibiotika; allerdings verschreiben sie diese nur in einem winzigen Bruchteil der Fälle, verglichen mit ihren konventionellen Kollegen. Homöopathie als Psychotherapie Die Autorin hält die Homöopathie für eine Sonderform der psychosomatischen Medizin und will sich persönlich künftig in dieser Richtung weiter fortbilden. Das sei ihr unbenommen. – Ob sie dann auch unter einer psychosomatischen Behandlung „bösartige Krebsgeschwüre zurückgehen und akute eitrige Mandelentzündungen heilen sehen“ wird, muss sich erst noch zeigen. – Gibt es dazu Studien? Der Versuch einer Trennung zwischen der materiellen, seelischen und geistigen Ebene ist medizinisch naiv und wird eben auch dem Konzept der psychosomatischen Medizin nicht gerecht. Wie ist das mit rezidivierenden Blasenentzündungen? Ist deren Ursache nicht auch aus psychosomatischer Sicht häufig eher auf der Beziehungsebene zu suchen? (selbst wenn man bei der Untersuchung dann natürlich doch Bakterien findet). Grams verheddert sich hier in dem Versuch, verschiedene Ebenen voneinander zu scheiden, die in einem ganzheitlichen Behandlungskonzept eben nie vollständig voneinander geschieden werden können. Sie versucht die Sichtweise der Psychosomatik und die Sichtweise der GWUP in Einklang zu bringen, was ein relativ heroisches Unterfangen ist. Wenn die Autorin die von ihr ja offenbar selbst erlebten Erfolge einer homöopathischen Behandlung ausschließlich dem Zeitaufwand zuschreiben möchte, fragt man sich, warum nicht jede Psychotherapie – in der Regel wesentlich zeitaufwändiger (eine Stunde pro Woche verbringe ich mit keinem meiner Patienten) – bei diesen Krankheitsbildern (Krebs, eitrige Mandelentzündungen, Asthma, Neurodermitis, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Allergien, Schlafstörungen, Schmerzen und insbesondere et cetera) sensationelle Erfolge erzielt. 10 Empfindungsmethode Und wenn sie – was sie zumindest andeutungsweise tut – in der Empfindungsmethode nach Sankaran eine Art von Super-Psychotherapie sieht (der Patient wird hier im Kern verstanden), dann stellt sie Hypothesen auf: - Die Hypothese, dass sich die Erfolge der Sankaran-Methode auch ganz ohne Globuli erzielen ließen. Die Hypothese, dass dies auch für die gesamte Homöopathie gilt Die Hypothese, dass sich vergleichbare Effekte mit psychotherapeutischen Methoden erzielen lassen. Die Hypothese, dass sich diese Effekte erzielen lassen mit homöopathischen Arzneimitteln, aber unabhängig davon, aus welchem Wirkstoff diese ursprünglich hergestellt wurden. All das sind wissenschaftlich interessante und Arbeitshypothesen – allerdings bisher unbewiesene. wissenschaftlich prüfbare Für die normale klassische Homöopathie und deren Anamnese kann das weitgehend zurückgewiesen werden. – Kontexteffekte gibt es hier sicher auch, wie bei jeder Medizin. Ziel einer normalen homöopathischen Anamnese ist es jedoch nicht, den Patienten im Kern zu verstehen (obwohl das ein Nebeneffekt sein kann); das Ziel ist, Symptome zu sammeln, die zu einer Verschreibung führen. Abgesehen davon enthält die Annahme, einen Menschen im Kern verstanden zu haben, nachdem man zwei oder drei Stunden mit ihm geredet hat, immer auch eine ordentliche Portion von Hybris. Biografen unterhalten sich nicht selten mehrere hundert Stunden mit dem Menschen, den sie darstellen möchten. Und wenn sie dann ein Buch geschrieben haben, kommt ein anderer Biograf und schreibt ein weiteres Buch über den gleichen Menschen – ein Buch das völlig neue und andere Facetten dieses Menschen beleuchtet. Weitere kleinere medizinhistorische und wissenschaftstheoretische Fehler sind, wie bereits erwähnt, verzeihlich. Sie sollen hier - ohne Anspruch auf Vollständigkeit – auch nur als Tipp im Hinblick auf eine mögliche Neuauflage des Buches erwähnt werden: S. 15 – Die Zusatzbezeichnung Homöopathie gibt es nicht erst seit 2003, sondern schon wesentlich länger. Meine eigene Zusatzbezeichnung – ausgestellt von der Ärztekammer Hamburg – datiert 1993. S. 21 – Dass Hahnemann den Blutkreislauf nicht kannte, erscheint eher unwahrscheinlich. (Harvey hat den im 17. Jh entdeckt, wenn ich recht erinnere) 11 S. 22 – Dieses Zitat aus Wikipedia zum Naturalismus (Die Naturwissenschaften sind für die Beschreibung und Erklärung der Welt „das Maß aller Dinge“) ist etwas zu platter Scientismus (Feyerabend und Kuhn dazu lesen?) S. 25 – Belladonna ruft hochfiebrige Zustände hervor(?) - Belladonna kann in Einzelfällen zu vergleichsweise geringen Temperaturerhöhungen führen; viel wesentlicher ist aber doch die Röte, das Pulsieren und das Delir – die Symptomatik (meinetwegen auch das Bild) eines hochfieberhaften Zustandes, aber in der Regel eben ohne Fieber. Dieser Unterschied ist durchaus wesentlich zum Verständnis des Ähnlichkeitsprinzips (vgl. die Diskussion um den Chinarinden-Versuch). S. 27 – Homöopathie wird hier in den Kontext der Signaturenlehre gesetzt „Walnüsse gegen Gehirnerkrankungen“. Ganz so einfach ist das nicht; es gibt durchaus fundamentale Unterschiede zwischen Signaturenlehre und Homöopathie. Bereits Hahnemann hat sich zu diesem Thema sehr eindeutig und ausführlich positioniert – das sollte man dazu gelesen haben als Buchautorin, und diesem Fall eben nicht nur das Organon. S. 42 oben – „immer ein Bild“ – unten in der Anmerkung: „immer nur ein Mittel“ – Ich weiß, dass das von manchen Dozenten so erzählt wird (vgl. Ausbildungsdefizite), das ist aber trotzdem Unsinn. Die Verschreibung eines Mittels nach dem Ähnlichkeitsprinzip ist naturgemäß immer eine Näherungslösung. Auch wenn wir meinen das ähnlichste Mittel verschrieben zu haben, wissen wir nie mit Sicherheit, ob es nicht ein ähnlicheres gibt – und sei es unter den nicht oder nicht zureichend geprüften Mitteln. S. 119 – als Beispiel für „als ob“ – „als ob ich gefangen wäre“ – Das geht so nicht; ein klassisches „als ob“-Symptom ist eine unmittelbar vom Patienten geäußerte körperliche Empfindung („als ob sich ein Nagel in meinen Kopf bohren würde“) und eben nicht die seelische Gesamtinterpretation des eigenen Zustandes. S. 168 – „Emergenz nach unten“ – Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Emergenz ist eine Eigenschaft komplexer Systeme, die es zumindest in der bisherigen wissenschaftlichen Terminologie eben nur in eine Richtung geben kann. Das Verständnis von Emergenz ist durchaus wesentlich zum Verständnis der Lebenskraft. S. 181 – Die Beschreibung des Studiendesigns dort ist nichts Neues, sondern die etwas schlichte Beschreibung des Designs einer so genannten pragmatischen Studie (pragmatic trial). Der einzige Haken dabei: Norbert Aust, die finale wissenschaftliche Autorität der Autorin, würde die Ergebnisse dieser Studie ohnehin und per se als irrelevant erklären. S. 184 – sensationeller Vorschlag, den SF 36 (einen standardisierten und validierten Fragebogen zur Lebensqualität) als Verlaufsparameter zu verwenden; aber sehr viele Studien zur Versorgungsforschung hat die Autorin offenbar noch nicht gelesen, 12 sonst wüsste sie, dass dieses (und vergleichbare Instrumente) längst verwendet werden. Berechtige Kritik Richtig ist: - - Es gibt unterschiedliche Verschreibungstechniken innerhalb der Homöopathie - daher kann nur mit Einschränkungen von DER Homöopathie gesprochen werden. Es gibt sicher noch eine Menge offene Fragen zur Theorie und Praxis der Arzneimittelprüfungen. Verschreibungstechniken Es gibt derzeit innerhalb der klassischen Homöopathie eine ganze Anzahl unterschiedlicher Verschreibungstechniken, insbesondere bei chronischen Erkrankungen. Die Wertigkeit und Bedeutung der einzelnen Methoden ist Gegenstand lebhafter Kontroversen innerhalb der homöopathischen Community. Einigermaßen gesichert (auf derzeitigem Erkenntnisstand) ist: Die Anwendbarkeit und Effektivität der verschiedenen Methoden hängt auch vom Einzelfall ab – von der Krankheit, von der Auskunftsfreudigkeit und Präzision des Patienten bei der Angabe der Symptome – aber auch von der Anamnesetechnik und den jeweiligen Fähigkeiten des Therapeuten. Erfahrene homöopathische Ärzte kennen nicht selten auch mehrere Analyse- und Verschreibungstechniken, die sie dann je nach Situation einsetzen. Ganz so dramatisch sind die Differenzen nicht, wie die Autorin sie darstellt. Beispielsweise beschreibt sie dann (S. 31) Symptome einer von ihr (mit Rhustoxicodendron) erfolgreich behandelten Patientin mit Rückenschmerzen und beschreibt dort typische Modalitäten, die auch einen anderen Homöopathen – völlig unabhängig von dem Gefühl der Beengung und des Gefangenseins zur Verschreibung von Rhus-tox. hätten führen können. All diese Differenzen beziehen sich im Wesentlichen ohnehin nur auf die Behandlung chronischer Erkrankungen, Erkrankungen also, die mit konventionellen Arzneimitteln nur gelindert und höchst selten geheilt werden können. – Bei der Behandlung akuter Krankheiten sind die methodischen Differenzen äußerst gering und die Übereinstimmung der Verschreibungen ist wesentlich höher. Befriedigend ist die bestehende Vielfalt von Verschreibungstechniken allerdings auch aus homöopathischer Sicht nicht, zumal es keine verlässlichen Zahlen gibt zur Effektivität der einzelnen Methoden. De facto benötigen alle Verschreibungstechniken in der Regel mehrere Mittel nacheinander bei der Behandlung einer chronischen Erkrankung. Bei der Beurteilung der Effektivität der einzelnen Verschreibung sind sich die verschiedenen Methoden 13 dann aber weitgehend einig, so dass sich einige der Differenzen zwischen den Methoden dann - bei der Betrachtung von längeren Verschreibungsreihen wiederum relativieren. Messinstrumente zur Effektivität einzelner Verschreibungstechniken werden im Rahmen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie (WissHom) derzeit erarbeitet; es werden aber auch im besten Fall sicherlich noch Jahre vergehen, bis wirklich valide Aussagen möglich sind, welche Verschreibungstechnik am effektivsten ist (möglicherweise auch: welche Verschreibungstechniken in welchen Situationen am sinnvollsten sind). Eher belustigend vor diesem Hintergrund ist allerdings, dass die Autorin einzig die von ihr erlernte Verschreibungstechnik für effektiv und exakt hält: „Andere Schulen in der Homöopathie bieten keine so klare Anamnese- und Entscheidungsstruktur [wie die Empfindungsmethode nach Sankaran] und lassen dem Therapeuten dadurch einen zu großen subjektiven Spielraum.“ (S. 46) Der Verdacht liegt nahe, dass sich die Verfasserin mit anderen Methoden nur wenig befasst hat. Die Empfindungsmethode nach Sankaran ist alles Mögliche, vielleicht gar die effektivste aller Verschreibungsstrategien (Zu dieser Annahme gibt es allerdings noch keine belastbaren Zahlen). Sie ist aber ganz sicher nicht die exakteste aller Verschreibungsstrategien. Wie auch an akuten Verschreibungen leicht zu belegen ist: Die einfachste und exakteste Methode – und daher auch die Referenzmethode für andere Verschreibungstechniken - ist eine strikt symptomenbezogene Methode, weil eben diese am wenigsten Spielraum für Interpretationen lässt. Arzneimittelprüfungen Auch verschiedene Settings der homöopathischen Arzneimittelprüfungen werden in der homöopathischen Community kritisch diskutiert; besonders kritisch allerdings Settings aus dem Umfeld von Rajan Sankaran, eines zeitgenössischen indischen und von der Autorin besonders geschätzten homöopathischen Arztes. Praktikable Richtlinien für die Durchführung von homöopathischen Arzneimittelprüfungen finden sich bereits bei Hahnemann; umfassende Richtlinien wurden in den letzten Jahren in Kooperation verschiedener internationaler Dachorganisationen erarbeitet. http://www.lmhi.org/downloads/articles/homeopathic-proving-guidelines-pdf.pdf. Zudem gibt es – bereits seit dem 19. Jh. – praktikable und funktionierende Vorgehensweisen, um die Ergebnisse aus den Arzneimittelprüfungen (und der Toxikologie) auf ihre Nützlichkeit in Behandlungsfällen zu prüfen und zu bestätigen (Verifikation von Symptomen). Bisher wird das allerdings nicht mit hinreichender Systematik durchgeführt; ferner gibt es auch noch kein praktikables Instrument um unbestätigte Symptome dann 14 auch wieder auszusortieren aus der homöopathischen Materia Medica. – Es wird noch viele Jahre dauern, bis die derzeit in Entwicklung befindlichen Instrumente soweit greifen, dass sich die Diskriminationsfähigkeit einzelner Symptome bei der Verschreibung wahrnehmbar erhöht. Derzeit haben die Erkenntnisinstrumente der Homöopathie Unschärfen, die sich mit Sicherheit auch auf die Effektivität der einzelnen Verschreibung (insbesondere bei chronischen Erkrankungen) auswirken; dennoch hat die Homöopathie in der Praxis und in Bezug auf die hier angewandten Mittel jedenfalls eine weit höhere und weit besser begründete Diskriminationsfähigkeit bei ihren Verschreibungen als beispielsweise die Differentialtherapie von Antihypertonika oder Neuroleptika in der konventionellen Praxis. Auch bei den Arzneimittelprüfungen lassen sich also die kritischen Anmerkungen der Autorin nachvollziehen, ohne zwingend ihren Schlussfolgerungen zuzustimmen. Fazit Insgesamt neigt die Autorin etwas dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Für Skeptiker ist dieses Buch nicht wirklich interessant – abgesehen von dem Kitzel, dass hier eine ausgebildete homöopathische Ärztin schreibt. – Im Wesentlichen werden nur längst bekannte Argumente wiedergegeben. Interessant wäre das Buch also eher für homöopathische Ärzte, um sich mit der Kritik auseinanderzusetzen – die häufigen Wiederholungen machen das aber ermüdend. – Und zu den einzelnen berechtigten kritischen Hinweisen gibt es innerhalb der homöopathischen Diskussion wesentlich differenziertere und substantiellere kritische Aussagen. Ansonsten wäre die eigentliche Neuheit des Buches, dass auch eine kritische Öffentlichkeit zur Kenntnis nimmt, dass eine homöopathische Behandlung einen relevanten Einfluss haben kann auf den Verlauf bösartiger Erkrankungen. Vergleichbar hat ja das homöopathiekritische Buch von Herrn Weymayr (Die Homöopathie-Lüge) einer skeptischen Öffentlichkeit, wenn auch erst auf einer der hinteren Seiten und sehr verklausuliert, erstmals übermittelt, dass es methodisch gute Studien zur Homöopathie gibt, die einen signifikanten Effekt zeigen. Für hoffnungsvolle Patienten ist zum Thema Krebs an dieser Stelle allerdings der deutliche Hinweis angebracht (die Autorin des Buches hat den im Eifer leider vergessen), dass es sich bei den Erfolgen homöopathischer Therapie bei malignen Erkrankungen zwar im Einzelnen um reale Erfolge handelt, dass es hier aber eben doch nur um Einzelfälle geht. In gegenwärtiger Situation kann einem Patienten mit einer malignen Erkrankung, für den es eine mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kurativ wirksame konventionelle Therapie gibt, nur zu dieser Therapie geraten werden. 15 Bei Tumoren mit einer sehr schlechten Prognose und bei metastasierten Tumoren kann die Abwägung unter Umständen anders ausfallen. Hier erzielen konventionelle Therapien häufig nur eine geringe Erhöhung der Lebenserwartung – (teilweise handelt es sich hier nur um Wochen), allerdings um den Preis einer erheblichen Verschlechterung der Lebensqualität. Eine alternative und sachgerechte homöopathische Behandlung (je nach den Umständen im Einzelfall auch eine additive homöopathische Behandlung) kann hier zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen. - Für die Erhöhung der Lebenserwartung gibt es mögliche Hinweise, aber keine belastbaren Zahlen. Was bleibt von diesem Buch, außer einigen noch zu prüfenden Arbeitshypothesen? Erkennbare Ausbildungsdefizite der Autorin sollten zumindest ein Anlass sein für den DZVhÄ, das eigene Ausbildungskonzept kritisch zu prüfen. Publication Bias Ein letzter interessanter Aspekt des Buches noch – und nur ein Gedankenspiel: Wenn die Autorin das Buch geschrieben hätte, das sie nach eigener Aussage ursprünglich hätte schreiben wollen, das „flammende Plädoyer für die Homöopathie“ und wenn sie sich in diesem Kontext als wissenschaftlich ausgebildete Ärztin inszeniert hätte, die sich der Homöopathie zugewandt hat, wie wäre dann wohl die mediale Rezeption ihres Buches ausgefallen? Wäre Ihr Buch dann auch in mehreren hochrangigen Print-Medien und in Fernsehsendungen gewürdigt worden? Nun könnte man meinen, die Autorin profitiert hier von der schönen alten Journalisten-Regel (Hund beißt Mann, keine Nachricht – Mann beißt Hund, Nachricht). - Wissenschaftlich ausgebildete Ärzte, die sich der Homöopathie zuwenden, gibt es jedes Jahr viele – und Bücher, die die Erfolge der Homöopathie anhand von Fällen und von Studien darlegen, auch etliche. In diesem Fall trifft diese Regel aber nicht den Kern der Angelegenheit: Weymayr, der sich nun nicht als ausgebildeter homöopathischer Arzt outen konnte, wurde ähnlich gut medial rezipiert. In der wissenschaftlichen Community wird die Wahrnehmungsverzerrung der Wissenschaft aufgrund selektiver Publikation von Ergebnissen als Publikations-Bias (Bias=Verzerrung) bezeichnet. In der konventionellen Medizin ist der wichtigste Publikations-Bias derzeit, dass negative Studien gelegentlich einfach gar nicht veröffentlicht werden. Der bekannte englische Pharma-Kritiker (und Homöopathie-Kritiker) Goldacre schätzt z.B., dass in der konventionellen Krebstherapie nur etwa 5% der industriefinanzierten Studien publiziert werden. 16 Ein auch nur annähernd vergleichbarer Publikations-Bias wäre in der HomöopathieForschung schon aus dem schlichten Grund nicht möglich, dass die ganz überwiegende Zahl der Studien nicht industriefinanziert sind, sondern mit öffentlichen Mitteln oder mit Mitteln von Stiftungen; in beiden Fällen lassen sich Durchführung und Ergebnis der Studien nicht verschweigen. Angewandt auf die Homöopathie besteht der Publikations-Bias Wahrnehmungsverzerrung in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit – hauptsächlich darin, dass Studien mit positiven Ergebnissen nur mit Schwierigkeiten einen Publikationsort finden – und wenn dann eher erstrangigen. – die derzeit großen keinen Der renommierte Lancet hat in den vergangenen Jahren auch schon mindestens eine Homöopathie-Studie abgelehnt – eben nicht aufgrund von methodischen Einwänden, sondern mit der Begründung, dass das Thema für die Leser des Journals nicht interessant sei. Dieses Desinteresse seiner Leser an diesem Thema hindert den Lancet aber nicht daran, weiterhin negative Arbeiten zur Publikation zu akzeptieren – im Zweifel auch reine Literaturarbeiten fragwürdiger Relevanz. Arbeiten mit negativem Ergebnis haben es aber nicht nur leichter mit der Publikation, sie werden dann auch von Wissenschaftsredaktionen der Publikumspresse breit zitiert (in deutlichem Gegensatz zu positiven Studien). Positive Studien werden breit zitiert, wenn sie widerlegt werden konnten. In einer Veranstaltung (im Rahmen einer Tagung von Netzwerk Recherche, eines recht renommierten deutschen Journalistenverbandes), an der mehrere bekannte deutsche Wissenschaftsjournalisten beteiligt waren, fiel dann auch schon mal die schöne Bemerkung: Man habe hier schließlich auch eine Verantwortung als Journalist; wenn man einen Beitrag über Homöopathie schreibe, und dabei einen homöopathischen Arzt oder Forscher zu Wort kommen lasse mit dem Hinweis, dass es doch eine Reihe positiver Studien gäbe, dann könnten die Leser das falsch verstehen; die könnten dann vielleicht den Eindruck bekommen, dass doch etwas dran sei an der Sache. Ähnlich verhalte sich das ja mit der Berichterstattung über die Klimaforschung. Verblüfft hat mich nicht so sehr dieses etwas paternalistische Berufsethos – sondern die Offenheit, mit der das ausgesprochen wurde, und die Tatsache, dass keiner der anwesenden deutschen Wissenschaftsjournalisten (mindestens 50) sich zum Widerspruch genötigt fühlte. Wie war das noch mal? Die gemeinsten Meinungen und was jeder für ausgemacht hält, verdient oft am meisten untersucht zu werden. Was im Moment offenbar jeder Wissenschaftsredakteur in Deutschland für ausgemacht hält, ist die Unwirksamkeit der Homöopathie. Und nur das unbelehrbare 17 Publikum ist da gelegentlich noch anderer Meinung, vor allem wenn es sich seine Meinung aufgrund eigener Erfahrung gebildet hat. Belustigend ist in diesem Zusammenhang noch, dass Weymayr, sich in seinem Buch als einsamer Rufer in der Wüste darstellte, der letzte Standhafte gegen ein Heer von leider völlig unkritischen Journalisten - ein Thema, dem ein eigenes Kapitel seines Buches gewidmet ist. Der Moderator der Veranstaltung - in dem Buch ebenfalls kritisiert von Weymayr und darauf angesprochen in der Veranstaltung, antwortete: „Das klären wir intern“. Ganz so einsam ist Weymayr offenbar doch nicht – und in diesem Verein jedenfalls gut vernetzt. 18
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