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APER Nr. 1/20014 Institut für Politikw
wissenschaaft Universsität Wien 2
ELMARFLATSCHART·IPWWorkingPaperNr.1/2014
Krise der Ökonomie, Krise der Politik? Perspektiven einer formkritischen Theorie gesellschaftlicher Krisendynamiken ELMAR FLATSCHART Universität Wien IPW Working Paper Nr. 1/2014 Institut für Politikwissenschaft Fakultät für Sozialwissenschaften Universität Wien ELMAR FLATSCHART studierte Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung in Wien
undFrankfurta.M.EristzurzeitLektoramInstitutfürPolitikwissenschaftderUniversitätWien
undwarDOC‐StipendiatderÖsterreichischenAkademiederWissenschaftenundJuniorVisiting
FellowamInstitutfürdieWissenschaftenvomMenschen.SeineForschungsschwerpunktesind
WissenschaftstheoriederSozialwissenschaften,kritischeGesellschafts‐undStaatstheoriesowie
materialistisch‐feministischeAnsätze.
E‐Mail:[email protected]
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Impressum
DieIPWWorkingPaperssindeineVeröffentlichungsreihedesInstitutsfürPolitikwissenschaft
derUniversitätWien.DieReihestelltErgebnisseundKonzepteaktuellerForschungendesInsti‐
tutsfürPolitikwissenschafteinerbreitenfachspezifischenÖffentlichkeitvor.
ISSN1995‐7955
Eigentümerin,Herausgeberin
InstitutfürPolitikwissenschaft
FakultätfürSozialwissenschaften
UniversitätWien
Universitätsstraße7
1010Wien
Redaktion
MelaniePichler
HannaLichtenberger
[email protected]
[email protected]
EinzelneAusgabenkönnenbeimInstitutfürPolitikwissenschaftbestelltwerden.
DownloaddervollständigenIPWWorkingPapersalsPDFunter:
http://politikwissenschaft.univie.ac.at/institut/ipw‐working‐papers/
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ELMARFLATSCHART·IPWWorkingPaperNr.1/2014
Abstract DervorliegendeTextbeschäftigtsichmitauseinermaterialistischenPerspektivemitkrisenthe‐
oretischenFragestellungen.Eswirdversucht,dasVerhältnisvonökonomischenundpolitischen
KrisenaspektenauseinermöglichstintegralenPerspektivezuverhandeln.Einführendwerden
einige bestehende Krisenerklärungen besprochen und kritisiert, wobei wissenschaftstheoreti‐
sche und inhaltliche Probleme aufgezeigt werden. Im Rückgriff auf primär ökonomietheoreti‐
scheÜberlegungenwirdgezeigt,dassexternalistischeundhinsichtlichderVerschränkungvon
PolitikundÖkonomiereduktionischeAnsätzezu(jenen)inhaltlichenSchwächenführen.Eswird
argumentiert, dass ein erweitertes Verständnis des gesellschaftlichen Naturverhältnisses zwi‐
schenStoffundFormimKontextderKrisendebatte,wieesu.a.vonRobertKurzentwickeltwur‐
de,interessantePotentialefüreineBewältigungkrisentheoretischerDesideratebietet.Zugleich
ermöglichtdieformtheoretischePerspektivevonKurz–wieichinFolgeanhandpolitiktheoreti‐
scher Erwägungen zeige – eine Erweiterung krisentheoretischer Verständnisse auf das Politi‐
sche. Im Rekurs auf das zuvor dargestellte Konzept des Politikfetischs werden abschließend
weiterführende Überlegungen zu einer formtheoretischen Analyse der Krise des Politischen
präsentiert.
Schlagworte: gesellschaftstheoretische Krisentheorie; Krise‐/Krisenhaftigkeit; Politikfetisch;
Synchronität/DiachronitätderTheorie;Stoff‐Form‐Verhältnis
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1. Einleitung SpätestensseitderSubprime‐KriseimJahr2008istderBegriffderKrise–allerdingsv.a.
inderengenBedeutungderFinanz‐oderWirtschaftskrise–wiederinallerMunde.Auchwenn
immermehrPositioneneinprogressistischesBildgesellschaftlicherEntwicklunginFragestellen
unddabeizunehmendauchAspektejenseitsdesreinÖkonomischenBeachtungfinden,bleiben
dieanalytischenundmeso‐theoretischenErörterungenzurKrisegesellschaftstheoretischmeist
unterkomplex.FeststellbaristdabeieinegewisseKluftzwischenallgemeineren,systemischund
meist im engeren Sinne ökonomisch argumentierenden Ansätzen und solchen, die Momente
sozialer bzw. politischer Antagonismen akzentuieren. Diese Kluft ist aus gesellschaftstheoreti‐
scher Perspektive unbefriedigend, da sie auf ein fehlendes vermittelndes Theoriestratum ver‐
weist,daseinerseitsÜbersetzbarkeitermöglichenwürde,andererseitsaberauchkomplementä‐
renErklärungszugängendenWegöffnenkönnte.MeineAnnahmeist,dassohneeinsolchesthe‐
oretischesProgramm,dieerklärendeSchärfebeiderSeitenstarkeingeschränktwird,mithindie
KonzeptioneinergesellschaftlichenKrisealsheuristischerMöglichkeitshorizontausdemBlick‐
winkel gerät. Im Folgenden möchte ich diesem Mangel ein Stück weit beikommen und so zu
einem integraleren Verständnis von Krisenprozessen beitragen. Es geht also darum, theoreti‐
scheIndikatorenfürdieAnnahmeeinerumfassendengesellschaftlichen,d.h.ökonomischenund
politischenKrisenentwicklungaufzeigen.
UmdiesesVerständniseinergesellschaftstheoretischenEbenederAuseinandersetzungintelli‐
gibelzuvermitteln,erscheintesnötig,eineumfassendedarstellendeHinführungsarbeitvoraus‐
zuschicken.IchwerdefolglichdenerstenSchwerpunktaufdieBegriffsarbeitsowiedieSondie‐
rung der sozialwissenschaftlichen Debatte zur Krise legen. Es geht dabei darum, Konzepte zu
kontextualisierenundaufihre(fehlende)gesellschaftstheoretischeGrundierunghinzuuntersu‐
chen.HierfürwirddieUnterscheidungvonKrise–einerobjektivenDynamikaufderEbenesozi‐
aler Formen – und Krisenhaftigkeit – eines bloß phänomenalen Ausdrucks von Krisen – eine
wichtigeRollespielen.DarananschließendmöchteichdieChanceneinermaterialistischenKri‐
sentheorie,welcheüberreinökonomischeAspektehinausgeht,erörternundwerdehierbeiv.a.
aufdieRelevanzeinergesellschaftskritischen–imVergleichzueinerreindeskriptiven–Erörte‐
rungeingehen.DieDarstellungdesForschungsstandesentlangderobenfestgestelltentheoreti‐
schen Spaltung der Krisentheorien wird zeigen, dass ökonomische und politisch argumentie‐
rendeAnsätzevielfachnichtnurinkommensurabelsind,sondernjespezifischeErklärungsan‐
geboteliefern,dieeinerKonzeptualisierungeinessozialwissenschaftlichenKrisenbegriffsmehr
oderwenigerzuträglichsind.DarananschließendbetrachteichdiesesProblemschwerpunkt‐
mäßig von Seiten ökonomischer Krisentheorien, vor dem Hintergrund der These, dass diese
bisweilen einen schärferen, aber exogenen Krisenbegriff hervorbringen. Als Beispiel hierfür
zieheichparadigmatischdenimkritischenDiskursetabliertenKrisenbegriffvonElmarAltvater
heran,dereineexternalistische,aufÖkologiefokussierteVariantederMarxschenGesellschafts‐
theorie propagiert. Dieser Perspektive stelle ich die sozialwissenschaftlich wenig rezipierte
„fundamentaleKrisentheorie“vonRobertKurzentgegen,diesichstärkerumeineendogene,an
MarxorientierteArgumentationbemühtunddieseaufBasiseinerformkritischenPerspektive
entwickelt.InderFolgewirddertheoretischeVersuchunternommen,dieformkritischeTheo‐
rieprogrammatikaufdaspolitischeFeldzubeziehen.Dabeimöchteichzeigen,dassAspektedes
Politischenweder(nur)alsreaktiveElementeinder(ökonomischen)Kriseverstandenwerden
können,nochalsunabhängigeInstanzderAntagonismenverstandenwerdensollten,sondern
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ihrerelativgesonderteBindungandiegrundlegendeFormlogikzuentwickelnist.Rudimentäre
GrundlagenhierfürversucheichimkritischenAnschlussandieMarxscheForm‐undFetisch‐
theorieunddiesogenanntedeutscheStaatsableitungsdebattevorzulegen.Abschließendsollen
TendenzenundmöglicheInterpretationslinien,welchePerspektiveneinesPolitikfetischesund
seinerKriseinderspätkapitalistischenKrisenvergesellschaftungeröffnen,aufgezeigtwerden. ELMARFLATSCHART·IPWWorkingPaperNr.1/2014
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2. Krise oder Krisenhaftigkeit? Eine kategoriale Verständi‐
gung Inder(oftmalsmodernisierungstheoretischen)Auseinandersetzungmitgrundlegenden
gesellschaftlichenDynamikensindbereitsseiteinigerZeitAnsätzevertreten,diedysfunktionale
Aspektehervorheben.DieseVorstellungenkönnenimweitestenSinnealsTheoremezurKrisen‐
haftigkeitvonVergesellschaftungverstandenwerden.GemeinsamistdiesenÜberlegungen,dass
sieaufbestimmteAspektedersozialenEntwicklungfokussieren,ohnedabeijedochdasgesell‐
schaftliche Ganze genügend zu berücksichtigen. Klassische Vorschläge (Beck, 1986; Giddens,
1990;Sennett,2006)hebenvorallemdieUnstetigkeitundUnsicherheitderVerhältnissehervor.
Andere,v.a.der„Postmoderne“(Lyotard,1979)zuzuordnendeÜberlegungenflankierendiesin
kulturtheoretischerHinsichtinRichtungeines„ToddesSubjekts“(Foucault,1974,S.373)oder
einerneuenkulturellenLogikdesKapitals(Jameson,1991).
Jene allgemeinen Feststellungen von krisenhaften Phänomenen in Konzepten der zeithistori‐
schen (Meta‐)Verortung sind für diese Arbeit primär als Abgrenzung von Interesse. Sie teilen
nämlich eine implizite oder explizite Grundannahme, die zugleich ihre theoretische Leerstelle
darstellt:siegehenvoneinemhistorischenund/oderideengeschichtlichenBruchaus,derkri‐
senhafte Aspekte bedingt. Dieser Bruch wird jedoch nicht krisentheoretisch erklärt, sondern
wird – in zumeist unkritischer Manier – deskriptiv betrachtet bzw. als veränderte Conditio
schlichtangenommen.2DementsprechendgehteswenigerumeineErklärungalsumeineBe‐
schreibung,denndieangeführtenGründe(etwabeiBeck(1986,S.25)dasRisikopotentialund
bei Giddens (1990, S. 33) die These der Entbettung) verbleiben vage und historisch‐
undifferenziert.Dieshatinsbesonderemiteinem–vonmaterialistischerSeitekritisierten(vgl.
Kurz, 1996) – affirmativen Konzept der Moderne3 zu tun, das auf ein undifferenziertes Ver‐
ständnisgesellschaftlicherKonstitutionundEntwicklungaufbaut.Schablonenhaftzeichnetsich
hierbereitsdasProblemab,dassohneeinenobjektivenBegriffundeinerklarengesellschafts‐
theoretischen Verortung von Krise jegliche Versuche einer Analyse krisenhafter Phänomene
fundamentlosbleiben.EinhinreichenderKrisenbegriffkannausschließlichineinerKrisentheo‐
rieerarbeitetwerden,diesichsystematischdenaufgeworfenenProblemenwidmet:Werbzw.
was ist überhaupt in der Krise? Was sind strukturelle Dimensionen der Krise? Was bedeutet
KriseineinembreiterengesellschaftstheoretischenRahmen?WohinführtKrisefolglich?
KritischematerialistischeAnsätzekönnenzurBeantwortungdieserFragenbeitragen,indemsie
eine systematische gesellschaftstheoretische Heuristik liefern. Mit Gesellschaftstheorie ist ge‐
meint,dasseineErklärungvonGesellschaftlichkeitalshistorischgewordenererfolgt.Anschlie‐
ßendanmarxistischeTheorienistdasVerhältnisvonGeschichtlichkeitundGesellschaftlichkeitzu
erklären,wobeieineTotalitätsperspektiveinderBetrachtung–d.h.dieerklärendeundkritische
BezugnahmeaufeinenbestimmtenundweiterzubestimmendenGegenstandalsGanzem–das
distinktiveMerkmaljenerTheoriebildungist.OberflächlichenReflektionenaufkrisenhaftePhä‐
nomene steht somit eine Perspektive gegenüber, die Krise in einem nicht‐kontingenten Deu‐
tungsrahmenverortetundsystematischimhistorischenZusammenhangerklärt.
SolleinersolchenmaterialistischenOntologieGenügegetanwerden,stelltsichdieFragenach
der Intension und Extension, d.h. Zeitlichkeit und Räumlichkeit gesellschaftlicher Entwicklung
geratenindenBlick.Dennwennangenommenwird,dasseseinematerialeBasis4gesellschaftli‐
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Dass dies der Fall ist, beweisen auch neuere Schriften, die sich explizit mit der Krise beschäftigen. So ist etwa
Ulrich Becks Weltrisikogesellschaft (vgl. Beck, 2008) wenig mehr als ein Neuaufguss der alten Thesen vor dem
Hintergrund neuer Phänomene (ökologische Krise, Finanzkrise, Terrorismus).
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Der Begriffe der Moderne ist deshalb ambivalent zu betrachten, da mit ihm oftmals keine historische Situierung
gefasst wird, sondern auf ein universalisiertes Konzept progressiver Entwicklung rekurriert wird.
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Hiermit ist nicht nur gemeint, dass Gesellschaft auf materiale Stofflichkeit aufbaut, es geht vielmehr um die sehr
spezifische Art der Materialität, welche die Stoff-Form-Beziehung in der Moderne annimmt. Einige Aspekte der
Materialität des modernen gesellschaftlichen Naturverhältnisses werden in der Folge verhandelt, zum Materiebegriff
weiterführend, siehe Flatschart (2013).
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cherEntwicklunggibt,diehistorischfestzumachenist–alsoGeschichtenichtbloßeKontingenz
oder absolute Determination ist – so müssen Anfangs‐ und Endbedingungen der historischen
FormationinihregesellschaftstheoretischeBestimmungeingehen.Zentralsindhierfürausma‐
terialistischer Sicht die Wechselwirkungen von sozialen und stofflichen Bedingungen, die gesell‐
schaftliche Naturverhältnisse hervorbringen, wie sie im Anschluss an den „interdisziplinären
Materialismus“derFrankfurterSchuleerschlossenwurden(Görg,1999,S.115).Einematerialis‐
tischeTotalitätsperspektiveistindieserHinsichtnichttopologischeindimensionalzubetrachten,
alsoetwaderartig,dassvomStofflichenausgegangenwird,ausdeminmonistischerWeisealle
weiterenKategoriendeduziertwerden.VielmehrergibtsichdieHerausforderung,dassdiekon‐
kret‐komplexe Realität mit systematischer Abstraktionsleistung zu verbinden ist. Marx bringt
dieseskategorialeProblemzumAusdruck,wennerdaraufverweist,dassdiebürgerlicheGesell‐
schaftrealexistiertundsichpostfestum,verzögerndundverklärendinunseremDenken ein‐
schreibt und sich hieraus die diskursive und letztlich auch heuristische Problematik der Be‐
griffsbestimmungenergibt:
Wie überhaupt bei jeder historischen, sozialen Wissenschaft, ist bei dem Gange der ökonomischen Kategorien immer festzuhalten, daß, wie in der Wirklichkeit, so im Kopf, das
Subjekt, hier die moderne bürgerliche Gesellschaft, gegeben ist, und daß die Kategorien
daher Daseinsformen, Existenzbestimmungen, oft nur einzelne Seiten dieser bestimmten
Gesellschaft, dieses Subjekts, ausdrücken, und daß sie daher auch wissenschaftlich keineswegs da erst anfängt, wo nun von ihr als solcher die Rede ist. (Marx, 1978, S. 637)
Esistalsostetsvonder„modernenbürgerlichenGesellschaft“,demKapitalismusalsTotalitäts‐
kategorieauszugehen.AußerhalbdieserBestimmungfindetkeineGeschichtestatt.Zugleichist
diesegeschichtlicheSituierungallerdingsauchmitzweiProblemenverbunden:Einerseitsführt
dieEntwicklungderKategorienausderhistorischenFormationnotwendigdazu,dassKonzepte
sowohlgeschichtlichrückprojiziertalsauchüberhistorischverstetigtbetrachtetwerden.Raum‐
zeitlicheEntwicklungverläuftallerdingsnichtlinear.EsstelltsichalsodieFrage,wiedieserdia‐
chronenTheorieproblematik,mithineinemepistemologischemRelativismusunddessengesell‐
schaftlichenBasisinderhistorischenKontingenzRechnunggetragenwerdenkann.Andererseits
kannjedochdieTotalitätsperspektiveundsomiteinintegralertheoretischerAnspruchimSinne
einersynchronenTheorieproblematik5nichtaufgegebenwerden,wennGesellschaftalsdistinkti‐
veshistorischesSystemweiterhineineRollespielensoll.FolglichisteineTheoriezentral,welche
die historische Einbettung ernst nimmt und an Hand ihrer konkreten Erscheinungsformen
durchdringt, sie dabei aber gesellschaftstheoretisch entwickelt und somit nicht auf der Ebene
kontingenterEinzelerscheinungenverbleibt.
DiesebeidenProblemesindallgemeinerNatur,siewerdenjedochamgesellschaftstheoretischen
ToposKrisebesondersmanifest.DennganzandersalsinderhegemonialenSozialwissenschaft,
dievielfachgeprägtvoneinem„methodologischenIndividualismus“(Schumpeter,1908,S.88)
atomistischundraum‐zeitlichopakargumentiertundsobestenfallseinundeutlichestheoreti‐
schesBildmöglicherKrisenhaftigkeitzeichnenkann,müssteeinekritischeAuseinandersetzung
mitderKrisedasVerhältnisumdrehen:ZuerstmüsstemitKrisentheorievondergrundsätzlichen
EbenegesellschaftlicherKonstitutionausgegangenwerden,währendPhänomenederKrisenhaf‐
tigkeitals(möglicher)AusdruckjenerkonstitutivenLogikzuerschließenwären.Diesimpliziert
einerseits, dass begründete theoretische und empirische Argumente für die Darlegung gesell‐
schaftlicherKriseentwickeltwerdenmüssenundkrisenhafteErscheinungennichtnotwendiger
AusdruckeinergesamtgesellschaftlichenKrisesind.Esbedeutetjedochandererseitsauch,dass
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Die Trennung in synchrone und diachrone Momente ist keine gänzlich neue, von mir eingeführte Heuristik. Sie
spielt in den Sprachwissenschaften und hier besonders jener Ferdinand de Saussures eine struktive Rolle und steht
auch dort für das Wechselspiel zwischen statisch-systematischen und dynamisch-evolutiven Aspekten des Gegenstands (De Saussure, 2001, S. 96). Meine Anwendung des Begriffs zielt jedoch stärker auf die Erklärung des konstitutiven Entstehungszusammenhangs der Trennung und setzt somit die Gegebenheit der Spaltung nicht einfach voraus.
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dieMöglichkeiteinersystemischenKrisenentwicklung mit gesamtgesellschaftlicherTragweite
nichtvonvornhereinabgestrittenwird.
Die Ignoranz gegenüber der bloßen Eventualität eines derartigen gesellschaftlichen Entwick‐
lungsweges–dertatsächlicheNachweisistnatürlichBringschuldderAnsätze–istdemnachals
krisentheoretischesMankoeinerpositivistischvorgeprägtenWissenschaftstheorieund‐praxis6
zuwerten,diesicheinergesellschaftstheoretischenDimensionvonvornhereinverwehrt.Inihr
gibteseinerseitskeinenAnfangundkeinEnde–alsoabsolutehistorischeKontingenz–,ande‐
rerseitsaberdennochnurklare,einwertigeanalytischeAussagenüberdenGegenstand–also
absolute theoretische Determination. Die Ablehnung einer gesellschaftstheoretisch fundierten
KrisentheorieistindieserHinsichtAusdruckdespositivistischenSyndroms,Gesellschaftnichtals
widersprüchlicheTotalität(imSinnedesVerhältnissesvonSynchronieundDiachronie)wahr‐
nehmenzukönnen,sondernsieinvereinseitigenderWeiseentwederalsKontingenzoderDe‐
termination zu fixieren, wobei in der Praxis beiderlei regelmäßig vermengt wird. Der Wider‐
spruchzwischendiesenbeidentheoretischen(Vor‐)Annahmenbleibtdabeiungesehen.Mithin
kann auch die Homologie von theoretischen und realen systemischen Widersprüchen (sowie
derenraum‐zeitlich‐prozessualeEntfaltung)–alsodieVerbindungzurgesellschaftlichenKonsti‐
tutionslogik–keinenPlatzhaben.
Auch kritische Ansätze der Politischen Ökonomie sind von diesem problematischen basalen
Gesellschaftsverständnisbefangen.SoetwajenervonMichaelHeinrich,derinseinerRe‐Lektüre
vonMarxvordemHintergrundeinermonetärenWerttheoriestetsbeansprucht,nurden„idea‐
lenDurchschnitt“(Heinrich,2003,S.343)einergewissermaßengeschichtlichbereinigtenöko‐
nomischenLogikdarzustellen.DasProblemdiesesundähnlicherpositivistischerAnsätzeistes,
dass sie Aspekte der historischen Dynamik, die gerade materialistische Krisentheorien aus‐
zeichnen,nichterfassenkönnen(vgl.Trenkle,2000),dasieeineetabliertehistorischeFormation
inihrervorgefundenenGliederungreproduzierenanstattihrehistorisch‐logischenKonstitutions‐
undTransformationsprinzipienintegralzuerfassen.KriseistaufBasisderartigerAnnahmennur
nochalsimmanenteKrisenhaftigkeitanalysierbar.
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Der Begriff Positivismus firmiert hier in seiner vom „Positivismus-Streit“ (Adorno, 1976) geprägten weiten Auslegung als Bezeichnung für eine Widersprüche sistierende Position, die sich auf konkrete Erfahrungen (Empirismus)
oder subjektive Phänomene (Idealismus/Konstruktivismus) als Basis ihrer Wissensansprüche stützt, anstatt beide vor
dem kritischen Verständnis eines gesellschaftlichen Totalitätsbegriffs und somit eines stratifizierten Realitätsverständnisses zu deuten.
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3. Krisentheoretische Defizite der materialistischen Debatte WennimletztenTeildieallgemeineThesevertretenwurde,dassmaterialistischeAnsätze
gegenüberdemsozialwissenschaftlichenMainstreamklareheuristischeVorteileaufweisen,so
ist dieser Befund nun zu differenzieren. Die wissenschaftstheoretischen Potentiale kritisch‐
materialistischer Zugänge sind von der wissenschaftlichen Umsetzung in der konkreten For‐
schungundTheorieproduktionzuunterscheiden,dienunzuuntersuchenist.Einimdeutsch‐
sprachigenRaumrelevanterForschungsstrangbeziehtsichheuteaufTheoriendespolitischen
AntagonismusimAnschlussanAntonioGramscibzw.dervonihminspirierten„Philosophieder
Praxis“(vgl.Buckel&Fischer‐Lescano,2007;Opratko&Prausmüller,2011;Votsos,2001).7Sie
akzentuiereninihrem„politischenMaterialismus“dasMomentderKontingenzundbetrachten
Krisenphänomene aus dieser Perspektive. Der Topos Krise rückte hier – ebenso wie im
Mainstream – erst mit der zuvor kaum vorhergesehenen Finanzkrise ab 2007 wieder in den
Fokus der Debatte. Es überrascht angesichts dieses ereignisbezogenen Interesses nicht, dass
theoretischeErörterungenbishergegenüberphänomenologischenAnalysenundPerspektivie‐
rungenimHintertreffenblieben.SymptomatischhierfürstehteineKrisendiagnose,welchege‐
wissermaßenderfraktionierten„Mosaik‐Linken“(Urban,2012)entspricht.DieKrisewirdwe‐
niger aus einer integralen gesellschaftstheoretischen Perspektive, sondern in ihren pluralen
ErscheinungsformenalsVielfachKrisewahrgenommen.8IminteressantenSammelbandmitsel‐
bigem Namen (Demirović et al., 2011) finden sich zahlreiche Beiträge, die unterschiedlichste
Teilaspekte möglicher Krisenerscheinungen behandeln, welche von der Reproduktionsarbeit
über sozialökologische Gesichtspunkte bis hin zu raumtheoretischen Betrachtungsweisen rei‐
chen.Esistnunzwarfortschrittlich,dassnebenderökonomischenKrise„Krisendynamikenin
anderengesellschaftlichenTeilbereicheninihrerzeitlich‐räumlichenUngleichzeitigkeitGegen‐
standderAnalysesein“sollen(Demirovićetal.,2011,S.7).DiesesVorhabenkannjedochauf
BasisderimvorigenKapitelentwickeltenAnnahmennurdannzielführendsein,wenneinege‐
sellschaftstheoretische Grundlage vorliegt, auf deren Basis die Fragmente wieder zusammen‐
führbar sind. An diesem Punkt jedoch findet sich v.a. die Zurückweisung „objektivistische[r]
Krisenverständnisse“(Demirovićetal.,2011,S.8).WashierunterabgesehenvonderVerteidi‐
gungdeseigenen„Kontingenzgebots“zuverstehenist,wirdzuerstnichtklar,esbleibtallerdings
eintheoretischesVakuum,dassichmitdemdurchaus(über‐)präsentenökonomischenStrang
derKrisendiagnosensowohlinjenemSammelbandalsauchinderbreiterenDebattespreizt.Ein
objektivistischesKrisenverständniswirdscheinbarv.a.vonjenenkritisiert,diedas„Vielfach“in
derVielfachKrisevertreten,währenddie„ObjektivitätderKrise“,alsodaseigentliche(krisenthe‐
oretische) Substrat, welches das synthetische Kitt hinter diesem scheinbaren Konsens bildet,
mehroderwenigerverhaltendanndochstetsin„derÖkonomie“gesuchtwird.Deutlichzeigt
sich das, wenn im Eingangsartikel, der das „Vielfache“ mit dem etwas anderen Akzent einer
„multiplen“Krisezusammenzudenkenversucht,gleichamAnfangjeneOppositionauftritt:
Die bürgerliche Gesellschaftsformation wird regelmäßig von Krisen ergriffen. […] Krisen
sind objektive Vorgänge, doch dürfen sie nicht objektivistisch missverstanden werden.
Krisen brechen nicht von außen in eine Gesellschaft ein, die sich im Prinzip im Gleichge
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Als im weiteren Sinne jener Theorietradition zugehörig ist hier auch die neue Poulantzas-Rezeption anzuführen
(Bretthauer et al., 2006; Demirović, 2007; Jessop, 2005; Kannankulam, 2008). Einige kritische Bemerkungen zur
Gramsci-Rezeption finden sich bei Flatschart (2010).
8
Ein überraschend expliziter Versuch einer Deutung der pluralen Krisenhaftigkeit vor dem Hintergrund einer dezidiert systemischen Krisenperspektive findet sich bei einem Autorenkollektiv aus dem Umfeld der Zeitschrift „Sozialismus“ (Bischoff et al., 2010). Auch wenn grundsätzlich bereits das Nachdenken über eine fundamentale Krise nicht
selbstverständlich und daher begrüßenswert ist, gestaltet sich die Ausführung doch schwach. Sie verbleibt hinsichtlich der Kausalzusammenhänge undeutlich und tendiert zu simplen ökonomischen Determinismen (Bischoff et al.,
2010, S. 53).
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wicht befindet und nun von der Krise in ihrem normalen und funktionstüchtigen Gang unterbrochen wird. In die Krise geraten immer konkrete soziale Verhältnisse, also relativ regelmäßige Praktiken sozialer Kollektive und Individuen. […] Anders gesagt, Krise und
Krisenbewusstsein lassen sich nicht trennen. (Bader et al., 2011, S. 11)
EineInkonsistenzdieserPositionäußertsichnichtnurinder,zumindestaufdenerstenBlick
unklarenAnnahme,dassvoneinerObjektivitätderKrise,diejedochnicht„objektivistischmiss‐
verstanden“ werden solle, auszugehen wäre. Es existieren hier zwei Befunde: einerseits eine
scheinbaralsobjektivistischverdammtePosition,dievoneiner„Äußerlichkeit“vonKrisenaus‐
gehe,welchedaskapitalistischeGleichgewichtstöre.DieseKritikbeziehtsichwohlaufdieoben
dargelegtesynchronePerspektive,wiesieetwavonMichaelHeinrichundinandererWeiseauch
vonderherrschendenWirtschaftstheorievertretenwird.DemwirdeinediachronePerspektive
der„konkretensozialenVerhältnisse“gegenübergestellt,dieindieKrisekommenkönnten,wo‐
beidasBewusstseinderAkteur_inneneinekonstitutiveRollespiele.Eswirdhierletztlichaufdie
hegemonietheoretische Programmatik in Anschluss an Gramsci bzw. die Gramsci‐Rezeption
abgezielt, wenn die „derzeitige Krisenkonstellation“ als eine „innerhalb der Kräfteverhältnisse
desneoliberalenFinanzmarktkapitalismus“zuverortendeerschlossenwirdundsodieKriseals
„Resultat[eigeneHerv.]dermitdiesemverbundenenHerrschaftsverhältnisse,Kräfteverhältnis‐
seundKonflikte“(Baderetal.,2011,S.13)gedeutetwird.DietheoretischeSchwächederPositi‐
oneinermultiplenKriseverdeutlichtsichalsAmbivalenzderBestimmungderKausalbeziehun‐
gen: Denn scheinen in den abstrakten Äußerungen die Kräfteverhältnisse eigentlich die Krise
hervorzubringen,sowirdimweiterenText,wannimmereszukonkretenErklärungenderKri‐
senursachenkommt,einstillerökonomischer„Objektivismus“bedient,derinkeinerausgewie‐
senenBeziehungzujenendiachronenAussagenüberdieKrisenhaftigkeitsteht.Sowirdetwaauf
dieÜberakkumulationstheorieRobertBrennersverwiesen,welche–durchausinKonkordanz
mitdemeingangsauchvertretenenkreislauftheoretischenVerständnis9(Baderetal.,2011,S.
11)–dieReinformeiner„äußeren“,objektivenökonomischenKrisentheoriedarstelltundsomit
dieökonomischenKrisenursacheneindeutigaußerhalbpolitischerKräfte‐undHegemoniever‐
hältnisse,etwadesNeoliberalismus,stellt.
Auf ähnliche Weise besteht dieses Problem auch bei einem weiteren materialistischen For‐
schungsstrang,derRegulationstheorie.Obwohlmancherortsversuchtwird,gramscianischeund
regulationstheoretischeAnsätzezusammenzuführen(vgl.z.B.Jessop,2007,S.210),bleibtmeist
impliziteineinseitigesDeterminationsverhältnisvonSeitenderAkkumulationsregimeerhalten.
Dieszeigtsichetwadarin,dassselbstderdeutschenSchuleumJoachimHirsch,diesichdurch‐
wegspositivzur„integralenStaatstheorie“nachGramsci/Poulantzasäußert,ein„Ökonomismus
undFunktionalismus“(Girschner,2006)vorgeworfenwird,dersichmiteinergramscianischen
Position–insbesonderezurFragenachder(politischen)BestimmungdesCharaktersderAr‐
beitskraft10 und folglich von Klasse – nicht vereinbaren lässt. Inwiefern die Torpedierung der
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Überakkumulationstheorien sind in der gängigen Debatte sehr verbreitet (Bischoff et al., 2010; Huffschmid, 2010;
Sablowski, 2011). Sie sind kritisch zu betrachten, da ihr kreislauftheoretisches Substrat problematisch ist. Es speist
sich alleinig aus einer Disproportionalität zwischen Produktion und Zirkulation, geht also davon aus, dass eine produzierte Mehrwertmasse sich großräumig nicht realisieren kann. Die Überakkumulationstheorie erklärt diesen Zustand jedoch keineswegs und kann auch keinen Grund für diese Entwicklung liefern. Insofern kann die Überakkumulation streng genommen nicht als Krise gedeutet werden, da sie letztlich nicht (bzw. nicht qualitativ, sondern höchstens quantitativ) von einer „normalen“, einfach zu bereinigenden Disproportionalität im Kreislauf des Kapitals zu
unterscheiden ist. Die Fragmente einer expliziteren Marxschen Krisentheorie zielen dann auch nicht auf die Überakkumulation, sondern auf Dynamiken auf der Ebene der organischen Zusammensetzung des Kapitals ab (vgl. Kurz,
2012, S. 255-273).
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Es geht dabei um den marxistischen Kernkonflikt, ob das Proletariat eigentlich dem Kapitalverhältnis vorgängig ist
und in ihm nur in seinen kreativen Potenzen unterdrückt ist, oder es umgekehrt (historischer) Ausdruck genuin kapitalistischer sozialer Formen ist und auf diese Weise von Anfang an ein Unterdrückungsverhältnis repräsentiert (vgl.
etwa Reitter, 2011, S. 85-86). Erstere Position, die den sozialen/politischen Antagonismus in den Vordergrund rückt,
birgt die Schwierigkeit, dass gesellschaftstheoretische Aussagen über Transformationen immer erst ex post möglich
sind – es gibt in letzter Instanz keinerlei Dimension historischer Determination. Krise kann demgemäß erst dann,
wenn sie gewissermaßen schon wieder vorbei ist, als ein Zustand „in dem das Alte stirbt, aber das Neue noch nicht
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Hirschschen Akkumulationstheorie so haltbar ist, interessiert hier weniger als die generelle
ProblematikdeskrisentheoretischenHiatuszwischeneinersynchronen,kreislauftheoretischen
undeinerdiachronen,aufKräfteverhältnisseabzielendenHeuristik.SynchroneAnsätzestellen
demgemäß die statische, gesetzmäßige und systemisch‐funktionale Seite in den Vordergrund
undsindinder(heutigen)materialistischenDebatteregelmäßigimFelddesÖkonomischenzu
verortenbzw.argumentierenökonomisch.UmgekehrtwirddasdiachroneMomentderHistori‐
zitätundspezifischenGestaltbarkeittendenziellinpolitischenTheorievorschlägenverhandelt.
Im sozialwissenschaftlichen Betrieb existieren beide Stränge durchaus nebeneinander. Hier
spieltdasErbeLouisAlthusserseineRolle,insofernalsseineradikaleAbsageanKonzepteder
dialektischenVerhältnisbestimmungundseinPlädoyerfüreinekontingenteTheoriederÜber‐
determinierung des Widerspruchs zwischen „dem Ökonomischen“ und „den Überbauten“
(Althusser, 1965, S. 81) einen analytischen Pluralismus begünstigen. Wiewohl dieser Pluralis‐
mus für sich genommen fruchtbar sein kann bzw. neuen Forschungsperspektiven (auch und
geradeimKontexteinerAnalysederVielfachKrise)Raumgegebenhabenmag,11genügterden
Anforderungen(meta‐)theoretischerKonsistenznicht.
EinezentraleThesedieserArbeitistes,dassdiesegesellschaftstheoretischeLeerstelle,dieletztlich
einederVermittlungderangeführtenTheorieproblematikenist,umfassendwirksamist.Sieäu‐
ßertsichnichtnuraufeinerabstraktenEbene,sondernganzunmittelbarauchspätestensdann,
wenneinreinanalytischersozialwissenschaftlicherBetriebmitdemPhänomenderKrisekon‐
frontiertist.DasVerhältnisvonKrise(alsgesellschaftstheoretischesDesiderat)undKrisenhaf‐
tigkeit (als Ausdruck einer pluralen phänomenalen Ebene bzw. ihrer Theoretisierung) kann
nicht hinreichend bestimmt werden, was zu Inkongruenzen hinsichtlich beider Seiten führt.
Einerseitswerden„objektiveKrisenbegriffe“gescheut,dasiediescheinbarePluralitätder„be‐
sonderenKrisendynamiken“untergrabenunddieKontingenzpolitischerKämpfeinFragestel‐
len.AndererseitswirdjedochbeiderBestimmungdessen,wasdennüberhauptKriseausmacht,
stets auf ein ökonomisches Ferment zurückgegriffen, das frei von Aspekten des kontingenten
Anderenist,insofernesals„Sphäre“derAkkumulationvereinheitlichtundkreislauftheoretisch
fixierterscheint.DeräußerstvageBegriffdesNeoliberalismusstelltdabeigewissermaßeneinen
Transmissionsriemen zwischen ökonomischen und allen anderen Krisenaspekten dar, er ist
jedochvielfachkaummehralsein„leererSignifikant“,derkeineneigentlichenErklärungsbeitrag
zuleistenvermag.DennvondereinenSeitewirderökonomischerklärtund–etwaregulationis‐
tisch–mehroderminderalsResultatpostfordistischerAkkumulationsregimegedeutet(Hirsch,
2002),währendervongramscianischerSeitepolitischalsKonsequenzderVerschiebunghege‐
monialerKämpfebetrachtetwird.DieseOppositionfälltangesichtsderKriseauseinander.Denn
Phänomene ökonomischer Krisenhaftigkeit bedingen zwar, wie Alex Demirović (2011, S. 65)
richtig feststellt, nicht automatisch solche der politischen Krisenhaftigkeit. Sie können aber
durchausAusdruckeinernicht‐phänomenalenKrisendynamiksein.EineKrisentheoriemitge‐
samtgesellschaftlichem Blickwinkel müsste demnach ein konstitutionslogisches Scheitern auf
einerbasalenEbenesozialerFormenuntersuchen.WesentlichhierfüristdieDeutungdergesell‐
schaftlichen Konstitutionslogik, die sich im Spannungsfeld gesellschaftlicher Naturverhältnisse
geboren werden kann“ (Gramsci, 1994, S. 354) bestimmt werden. Wieso und unter welchen Bedingungen dies passiert(e) kann ex ante nicht erschlossen werden, da es schlussendlich politische Kräfteverhältnisse sind, die für die
Definition als große, im gramscianischen Sinne „organische“ Krise letztentscheidend sind. Ob es sich um eine solche
Krise dominanter Strukturen handelt, lässt sich also erst dann bestimmten, wenn sie „durch den Aufbau einer neuen
Struktur überwunden werden“ (Gramsci, 1994, S. 1680, zit.n. Candeias, 2013, S. 21). Dies impliziert einerseits eine
krisentheoretische Sackgasse, insofern sich analytische Konstatierungen letztlich wiederum auf Aspekte der Krisenhaftigkeit reduzieren müssen, deren ominöser „Umschlag von Quantität in Qualität“ (Candeias, 2013, S. 17) unerklärlich bleibt. Andererseits ist damit eigentlich schon gesetzt, dass es eine Bewältigungsstrategie gibt, d.h. ein neuer
hegemonialer Block entstehen kann. Dass Krise auch bedeuten könnte, dass für Derartiges auf Basis immanenter
(politischer) Kategorien keine Basis mehr vorhanden ist, kann innerhalb dieses, letztlich diachrone Aspekte überakzentuierenden, Rahmens nicht erschlossen werden.
11
Dies impliziert nicht den Umkehrschluss, dass eine (derartige) interdisziplinäre Forschungsperspektive vor dem
Hintergrund einer kritisch-dialektischen Theorie unmöglich (gewesen) wäre, wie bereits im Verweis auf den interdisziplinären Materialismus der Frankfurter Schule nahegelegt wurde.
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13
bzw.umgekehrtauchnaturalisierterGesellschaftsverhältnissealsscheinbarabsolutsynchroner
und konstanter ergibt. Überlegungen hierzu finden sich bisher v.a. im Feld der Ökonomie. Es
machtfolglichfürmaterialistischeÜberlegungenSinn,mitökonomischenbzw.ökonomiekriti‐
schenAnsätzenzubeginnen–auchwennsievoneinerstarkenÄußerlichkeitausgehen,mithin
die ökonomische Sphäre als kausalen Orkus absolutieren. Diese Privilegierung ist zuerst eine
reinheuristische.SiefolgtandererseitsaberaucheinerrealenfunktionalenHierarchie,diesich
diskursivwiderspiegelt,ideengeschichtlichz.B.paradigmatischinderDialektikdes„homooeco‐
nomicus“undseines„Anderen“(Habermann,2008,S.13‐18).12DiediesemCharakternachkon‐
kreteUntersuchungsebeneistjedochaufderEbenederTotalitätnichtalsminderbewertetzu
betrachten–imGegenteilistdasAnderederökonomischenMaterialitätebensomanifesterTeil
einergesellschaftlichenMaterialität,diesichgeradedurchjeneDialektikvon„Wert“und„Abspal‐
tung“konstituiert(Scholz,2011)13undauchÖkonomieundPolitikalsFormprinzipienscheidet.
EsgiltalsoletztlicheinegesellschaftstheoretischeSynthesebeiderAspektezuleisten.
12
Inwiefern diese Dynamik von Szientifischem und Anderem ein basales Konstitutionsprinzip modern-kapitalistischer
Vergesellschaftungslogik ist, war der Schwerpunkt meiner Dissertation (vgl. Flatschart, 2014).
13
Auf Aspekte der (symbolischen) Vergeschlechtlichung dieser Dialektik und somit auch des Verhältnisses von
synchronen und diachronen Theorieproblematiken kann hier nicht umfassend eingegangen werden. Einige Hinweise
finden sich in der marxistisch-feministischen Debatte zu den unterschiedlichen „Zeitlogiken“ von produktiven und
reproduktiven Sphären bzw. deren symbolischer Aufladung, so etwa bei Frigga Haug (1996a; b) sowie weiterführend
bei Roswitha Scholz (2011, S. 100-108) und Flatschart (2014).
14
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4. Polit‐ökonomische Krise als Folge von entbetteter Ökonomie und exogenen Grenzen Diedeutschsprachigepolit‐ökonomischeDebattezurKriseistinihrerVitalitätheuteweitvom
Standder1970erund1980erJahreentfernt.EinprominenterAutor,derentgegendiesemTrend
beständigzurKrisepublizierte,istElmarAltvater.InderFolgestelleichseineKrisentheorievor,
dieichalsBasisfürdieweitere,m.E.richtigereArgumentationentlangderThesenvonRobert
Kurznützenmöchte.AltvaterskrisentheoretischeAnalysenberuhenaufeinerspezifischensozi‐
alökologischen Interpretation der (Kritik der) Politischen Ökonomie und sind in dieser Weise
durchaus als im obigen Sinne „objektivistisches“ Erklärungsmodell zu deuten. Gemäß dieser
VorstellungkannderKapitalismusnur„eingebettet“inzahlreiche„gesellschaftlicheundnatürli‐
cheBindungen“(Altvater&Mahnkopf,2004,S.109)existieren.FürihnzeichnetsichdieKapi‐
talbewegungimAnschlussanKarlPolyanidannauchdurcheineEntbettungderÖkonomieaus,
diewesentlichaufderEntstehungeines„selbstregulierendenMarktes“ohne„menschlicheund
natürlicheSubstanz“aufbaut,welche„denMenschenzerstöre[…]undseineUmweltinWildnis“
(Polanyi,1978,S.19‐20,zit.n.Altvater&Mahnkopf,2004,S.109)verwandle.Essindalsodie
MarktmechanismenimengerenSinne,diedasProblemdesKapitalismusausmachen,insofern
sieeinen„Wachstumsfetischismus“(Altvater,2010,S.129)bedingen,dergegenüberderNatur
zwangsläufigblindseinmuss.DiesesWachstumgehtmiteinerenergetischenBasiseinher,die
sich durch ein „geschlossenes“ System – nämlich jenes fossiler Energieträger – auszeichnet
(Altvater,2010,S.138).D.h.nichtsweniger,alsdassdieindustrielleRevolutionderProduktiv‐
kräfteimKapitalismusnichtnureineenergetischbeschränkteist,sondernintrinsischmitdem
herrschendenGesellschaftssystemverwobenist.DerkapitalistischeWachstumsimperativkonn‐
tesichnurentfalten,weilerden„Trick“(Altvater,2010,S.134)desRückgriffsaufeineräumlich
mobile,energetischdichteundzeitlichstatischeEnergieformwählte.DiefürdenKapitalismus
charakteristischeRolledersozialenRaum‐Zeit‐VerhältnisseundihreenergetischenKonsequen‐
zenstellenalsofürAltvaterdieBasisderGesellschaftskritikdar.DasökologischeArgumentist
sozwarnichtgesellschaftlichunvermittelt,esstehtjedochalsLetzt‐ResiduumimRaum.Inge‐
wisserWeisekannanschließendandieVorstellungdesentbettetenMarkteseineontologische
Hierarchieausgemachtwerden,wobeiökologischeKonstantendietiefsteEbenedarstellen,auf
dersichGesellschaftaufbaut,diewiederumvomKapitalismus,verstandenv.a.alsMarktradikali‐
sierung,geprägtist.AltvatersKonzepteiner„Vielfachkrise“(Altvater,2010,S.155‐190)liestsich
dannauchalseines,dasdurchwegsexogeneFaktoren(PeakOil,Klimawandel)aufführtundden
SchwerpunktaufdieEntropiedesSystemsbestärkt(vgl.Altvater,2009).14
GegenüberDisproportionalitätstheorienderKrisehatdieserAnsatzdenVorteileinerklarenkau‐
salen Bezogenheit. Während z.B. David Harvey, der eine an Rosa Luxemburgs Imperialismus‐
theorie (Luxemburg, 1975) angelegte These der Überakkumulation vertritt und einen damit
verbundenenImpulszurLandnahmedurch„kreativeZerstörung“(Harvey,2010,S.185)sieht,
zwarzahlreichephänomenaleVerschiebungenderletztenJahrzehntegutbeschreibenkannund
zweifellosdurchdenverstärktenFokusaufRäumlichkeiteinesinnvolleErgänzungimSinnedes
„spatialturn“geleistethat,kannerankeinerStelleerklären,warumsichdiesehistorischeDy‐
namik ergab.Derartige(überakkumulationstheoretische)Heuristikenkönnen alsfunktionalis‐
tischbezeichnetwerden,dasiestarkfunktionalegesellschaftstheoretischeSinngefügeaufbauen,
jedoch den ursächlichen Zusammenhang der funktionalen Beziehungen nicht mehr historisch
rückbindenkönnen.AndersAltvater,dermitseinerTheseökologischerEntropiealsprimacausa
eineBasisfürfunktionaleArgumenteliefert.
14
Ältere Arbeiten beziehen teilweise auch endogene Faktoren in das Krisenverständnis mit ein (z.B. Altvater, 1991).
Diese lasse ich in meiner Auseinandersetzung bewusst außen vor, da es mir weniger um das (Gesamt-)Werk Altvaters
als um eine möglichst pointierte Gegenüberstellung krisentheoretischer Überlegungen geht.
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15
DieSchwierigkeitderAltvaterschenTheseistjedoch,dasssieÖkologie–ähnlichwieaufandere
WeiseauchdieherrschendeWirtschaftslehre–alsstofflich‐überhistorischeKonstantefasstund
tendenziellaußerhalbvonsozialenVerhältnissenstellt.DasNatürlicheindengesellschaftlichen
NaturverhältnissenhatsoinletzterInstanzstetsdieOberhand.EineKompatibilitätmitAnsät‐
zen,welcheaufpolitischeKräfteverhältnissealsMovensderGesellschaftabzielen,bestehtinso‐
fern in keiner Weise – zumindest nicht, wenn diesen mehr als ein bloß reaktives Potential in
einem(ökonomisch)vorgeformtenRaumzugesprochenwerdensoll.DiesetheoretischeInkom‐
patibilitätscheintAltvaterselbstnichtzusehen,daermancherortstrotzdemaufdieEigenstän‐
digkeitderpolitischenSphäreundihrerKräfteverhältnisseverweist(Altvater,2011).Dochwer
genauerliest,erkennteineeigentümlicheEntbettungdergesellschaftstheoretischenArgumente,
die das oben genannte Problem eines positivistischen Syndroms, mithin des Auseinanderrei‐
ßens von synchronen und diachronen Aspekten, reproduziert. Altvaters Thesen sind zwar
„stark“. Mit dem Theoriekorpus der im vorigen Kapitel beschriebenen nicht‐objektivistischen
Vielfachkrisebleibensiejedocheigentlichunvermittelbar.
Die fehlende Brücke zwischen der ökonomischen und politischen Sphäre verweist bereits auf
klareDefizitedestheoretischenAnsatzes.BeigenauererBetrachtungkönnenjedochauchdieim
engeren Sinne ökonomischen Argumente hinterfragt werden.15 Altvater liest den Kapitalismus
letztlichalseinPhänomenderZirkulationssphäreundlässtdieeigentlicheProduktiondesWer‐
tesaußerAcht.DiewertproduktiveabstrakteArbeitalsdasfürMarxzentraleMomentderge‐
sellschaftlichenSubsumptionunterdasKapitalbleibtunberücksichtigt.Deutlichwirddiesinder
Geldtheorie,hinsichtlichdererAltvaterineinemfrüherenWerkeineneinfachenBruchzwischen
„monetärer“und„realer“Ökonomieannimmt:„GeldemanzipiertsichalsovonderSubstanz,die
ihmeinenmaterialenundlokalenCharaktergibt.GeldemanzipiertsichvonderArbeit,monetä‐
re und reale Ökonomie entkoppeln sich“ (Altvater & Mahnkopf, 2004, S. 149). Wiewohl Marx
hinsichtlichderEinschätzungderKategorieArbeitinsgesamtambivalentblieb(Kurz,2003),ist
jenesDeutungsmusterohneZweifelreduktionistisch.Dennesfragtnichtmehrnachdemeigent‐
lichen gesellschaftlichen Aspekt, der sozialen Verhältnisbestimmung, hinter der zur Geldform
gerinnenden Wertsubstanz, sondern setzt diese einfach voraus. In gewisser Weise unterliegt
Altvater hier selbst dem Kapitalfetisch, indem er nicht mehr nach den konkreten endogenen
(alsogesellschaftlichen)BedingungeninnerhalbderkapitalistischenSystemlogikfragt,sondern
schlicht deren abstrakten Teil abkappt und gesondert kritisiert, während Aspekte der (Wert‐
)ProduktiondurchdienaturalistischeArgumentationersetztwerden.DieKrisedesFinanzkapi‐
talsalseinerweiteren„gegenüberderbereitsausGesellschaftundNaturentbettetenkapitalisti‐
schenMarktwirtschaft“(Altvater,2010,S.53)enthobenenSphärestelltsichsoalseigentümliche
ErgänzungzurstofflichenKrisedar.AuchwennAltvaterbehauptet,dass„NaturformundVer‐
wertung“verknüpftsind,es„[o]hnedie‚Realwirtschaft‘[…]keinenfunktionierendenFinanzsek‐
tor“(Altvater,2010,S.18‐19)gebenkönne,lieferterkeineschlüssigenArgumentedafür,warum
diesderFallseinsollte.
DenninderTatgehtesumdietheoretischeVerhandlungderVermittlungvonRealwirtschaft
undFinanzsektor,ebensowieesabstrakterumFragendessozialenVerhältnissesvonStoffund
Form (Ortlieb, 2008) geht. Altvater kann diese Vermittlung auf Basis seines Entbettungstheo‐
remsnichtleisten,weilerendogeneAspektederKrisenichtalsdeterminierendeFaktorenzu‐
lässt, d.h. letztlich die Frage der gesellschaftlichen Naturverhältnisse unterkomplex erschließt,
indemerdieRolleabstrakterArbeitalsVergesellschaftungsmusterimStoffwechselprozessmit
derNaturfalscheinschätzt.Esfehltbeiihmder–genuingesellschaftliche–Vermittlungsschritt
zwischennatürlichenundgesellschaftlichenGrenzen,wieThomasGehrigimAnschlussanAltva‐
tersEntropiekonzeptfeststellte:
15
Im Rahmen dieses Textes kann nicht auf deren physikalisch-ökologische Seite sui generis eingegangen werden, da
dies eingehendere (auch naturwissenschaftliche) Beschäftigung nötig machen würde (vgl. dazu z.B. Huisken, 2006).
Die ökonomische Seite der Theorie lässt sich allerdings mit sozialwissenschaftlichen Instrumentarien kritisieren,
wobei die Rezeption der Kritik der Politischen Ökonomie im Vordergrund steht.
16
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Das grundsätzliche Problem ist, dass die verschiedenen Prozesse der Entropiezunahme sich
qualitativ in Bezug auf die Auswirkungen auf den Menschen (und d.h. dessen natürliche
Umwelt) nicht unterscheiden lassen. Es ist kein allgemeiner naturwissenschaftlicher Maßstab für die verschiedenen Qualitäten der Stoffe etc. anzugeben. Dazu wäre ein zusätzliches normatives Erfassungs- und Bewertungssystem notwendig. Dieses, nicht die Entropierechnung, fungierte dann als qualitativ-anthropozentrisches Maß. (Gehrig, 2011, S. 639)
DiesverunmöglichtkonsequenterweiseauchdenAnschlussangenuinsozialeDesiderate,wie
solchederKräfteverhältnissebzw.einerdiachronenTheorieproblematikimweiterenSinne,da
jene–imAnschlussanMarx–AspektedergesellschaftlichenFormderArbeitbzw.ihrerwider‐
sprüchlichenDimensionenakzentuieren.
Die Problematik einer gesellschaftstheoretischen Inkohärenz, welche vor der Festlegung des
DualismusvonÖkonomieundPolitikangesiedeltist,alsogewissermaßenseineEntstehungsbe‐
dingungselbstbetrifftundnichtdie(jeweilige)ExistenzderSphärenpositivistischbereitsvo‐
raussetztund/oderableitet,wirdvonmaterialistischerSeiteseltenindenBlickgenommen.Ul‐
richBrandundMarkusWissenhabenineinersehrluzidenArbeitzurRegulationderökologi‐
schenKrise(Brand&Wissen,2011)aufregulationstheoretischerBasisversucht,eineVermitt‐
lung des Konzepts der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und einer gramscianischen Hege‐
monietheoriezuentwickeln.Siegehen–ähnlichwie(nominell)auchAltvater–voneinemKon‐
zeptdergesellschaftlichenNaturverhältnisseaus,hebenjedochstärkerhervor,dass„Vermitt‐
lungprozesshaftaufganzverschiedenenEbenenundinsehrunterschiedlichenBereichenstatt‐
findet“(Brand&Wissen,2011,S.15).DieFragebleibtallerdings,wiedieseVermittlungvon„ma‐
teriell‐stofflichen“ und „kulturell‐symbolischen“ (Brand & Wissen, 2011, S. 16) Dimensionen zu
konzeptualisierenist,d.h.wiesichdiegegenseitigeDurchdringungletztlichgesellschaftlichkon‐
stituiert.DerVerweisauf„Rückkopplungsschleifen“undein„intentionalesMoment“(Brand&
Wissen,2011,S.16)isthiersicherlichhilfreich–verweisterdochaufdiediachroneSeiteinner‐
halbeinersynchronenTheorieproblematik.
Esistdabeizueinfach,wennausderprinzipiellenTatsachesozialerDeterminationdesgesell‐
schaftlichenNaturverhältnissesgeschlossenwird,dassletzteres(a)„Teilalleranderensozialen
Verhältnisse“(Brand&Wissen2011,S.15)wäreunddabei(b)notwendig„alsRegulation[…]
ohnesteuerndesZentrum“(Brand&Wissen,2011,S.17)erscheint,welchedie„strukturellen
WidersprücheübereinenbestimmtenZeitraumhinwegprozessierbar“(Brand&Wissen,2011,
S.18)mache.DieThese(a)birgtzumindestimplizitdieontologischeAnnahme,dassdasVer‐
hältnis von Gesellschaft und Natur „durchaus kontingent[...]“ eine „hegemonial konstituierte
Beziehungvonmateriellenundkulturellen[…]Aspekten“(Brand&Wissen,2011,S.15‐16)re‐
präsentiere. Die gesellschaftstheoretische Bestimmung des Naturverhältnisses wird also auch
hierdurcheinKontingenzmomentobstruiert,daseigentlich–alsdiachronesMoment–zumin‐
destnichtubiquitäreGeltungbeanspruchenkann,sonderngeradeinsVerhältniszurSynchronie
des(ökonomischakzentuierten)Naturverhältnisseszusetzenwäre.AufdieserBasiserscheint
die Schlussfolgerung (b) eingängig, dass es zu – ebenso kontingenten – Regulationsformen
kommt,dieeineBearbeitungvonWidersprüchenmöglichmachen.WelcheWidersprüchedies
sind bzw. wie sie – auf einer Ebene der nicht bloßzufälligen Artikulation – basal zu verorten
sind,bleibtallerdingsaußenvor.16
DiedurchgängigeKontingenzannahme hatparadoxerweiseallerdingsdie,bereitsweiteroben
problematisierten Konsequenzen, dass (1) die Möglichkeit (politischer) Regulation prinzipiell
immerbesteht(wennsieauchumkämpftist)und(2)den„KrisendesVerwertungsprozesses“
als „immanente Schranken der kapitalistischen Produktionsweise“ (Brand & Wissen, 2011, S.
16
Gegenüber der ursprünglichen Fassung des Konzepts der gesellschaftlichen Naturverhältnisse in der älteren Kritischen Theorie bedeutet dies eine signifikante Alteration, da letztere immer nach einem (benennbaren) Prinzip sozialer
Synthesis suchte (vgl. z.B. Adorno, 2003a, 755-758).
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17)schroffgegenübersteht.DurchdasKontingenzgebot–dennauchdieimmanentenSchranken
sindkontingent(Brand&Wissen,2011,S.28,Fn.4)–wirdletztlichdasProblemderVerhältnis‐
bestimmung umschifft und die Frage der Eigendynamik des Ökonomischen, die bei Altvater
externalistisch überbetont wird, nicht gelöst. Dies bedeutet zwar nicht, dass die weiteren
Schlussfolgerungenfalschseinmüssen–KämpfeumHegemonieundRegulationfindenjastatt
und die diesbezüglichen politisch‐analytischen Ausführungen sind durchwegs schlüssig. Sie
erklärenjedochnichtdieVerhältnisbestimmungderzugrundeliegendensozialenFormen,mit‐
hinauchnichtdasVerhältnisvonSynchronieundDiachronieinderTheorie,wieesfüreinekon‐
sistente gesellschaftstheoretische Totalitätsbestimmung unentbehrlich ist. Letztlich entstehen
ähnlicheProblemewiebeiAltvater–allerdingsunteranderemVorzeichen,nämlicheinerÜber‐
akzentuierung des diachronen Moments der historischen Kontingenz, welches die synchrone
Seite krisentheoretisch unterbestimmt lässt. Krise als Schranke der sozialen Synthesis selbst,
mithin als Ausdruck einer Transformation des Verhältnisses von Synchronie und Diachronie,
gerätsoausdemFokus.HiermussoffensichtlichinspezifischerWeisesowohlüberdie–öko‐
nomisch‐analytischdurchausversierte–SichtweiseAltvatersalsauchdie–politisch‐analytisch
avancierten–KonzepteimAnschlussandieRegulationstheoriebzw.einegramscianischeHe‐
gemonietheoriehinausgegangenwerden.
18
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5. Krise als fetischistische Widerspruchsdynamik zwischen Stoff und Form DerindensozialwissenschaftlichenDebattenbisherwenigrezipiertekrisentheoretische
AnsatzvonRobertKurzkanninvielerHinsichtalsalternativerLösungsvorschlagderaufgewor‐
fenenSchwierigkeitenbetrachtetwerden.AndersalsAltvaterstelltergenuingesellschaftstheo‐
retischeKonzepteindenVordergrund,welcheeinenwesentlichanderenAkzentinderBearbei‐
tung der Widersprüche der gesellschaftlichen Naturverhältnisse setzen, verbaut dabei jedoch
nicht den Weg zur Frage einer synchronen Perspektive auf die (scheinbar) selbstzweckhafte
BewegungineinerexternalisiertenSphärederökonomischenGesetzesregime.SeinAnsatzgeht
voneinerinnerenSchrankederkapitalistischenVergesellschaftungaus,dieletztendlichzwangs‐
läufigimZusammenhangeinerFormkriseundsomiteines„KollapsderModernisierung“(Kurz,
1994)steht.WährenddiebürgerlicheMedienlandschaftdenAnsatznuroberflächlich,etwaent‐
langdesbewusstpopulärwissenschaftlichgehaltenen„SchwarzbuchKapitalismus“(Kurz,1999)
rezipierte,warendieReaktionenvonSeitenmaterialistischerPositionenverhalten,wasinsbe‐
sonderederRezeptiondesgesellschaftstheoretischenKernsderKrisentheorieabträglichwar.17
Aspekte jenes Kerns möchte ich in Folge vor dem Hintergrund des gesellschaftstheoretischen
Gehalts,mithinderAussagekraftbezüglichderobenaufgeworfenenFragen,beleuchten.
Daspolit‐ökonomischeFundamentderTheorieRobertKurzʼlässtsichalsdifferentesVerständ‐
nisdesgesellschaftlichenNaturverhältnissesdeuten,nämlichalseines,dasexplizitdieFragenach
denMechanismengesellschaftlicherSynthesisstellt.KurzbetrachtetimAnschlussanMarxdie
kapitalistischeGesellschaftalsein„automatische[s]Subjekt“(Marx,1975,S.169),welchessich
durchdiefetischistischeNaturalisierungdesSozialenundeinereziprokequasi‐sozialeVerselbst‐
ständigungderNatur(alsgesellschaftlicher,zweiter Natur)auszeichnet.Eshandeltsichdabei
umeineeigenständigeDimensionderGrundierungsozialerVerhältnisse,dieals„Verselbststän‐
digungvonAusgeburteneinesHandelns,dasdembewusstenDenkenvorausgehtbzw.voraus‐
gesetztistundselberdessenFormkonstituiert“(Kurz,2012,S.70)zuverstehenist.Dieser„re‐
almetaphysische[…]Selbstzweck“(Kurz,2012,S.77)istsignifikantfürdie„Totalitätdesgesell‐
schaftlichenZusammenhangs“(Kurz,2012,S.167),vonderallerdingszuabstrahierenist,umzu
konkreterenKategorienzugelangen.DiesistderFall,wennzwischensynchronenunddiachro‐
nen,strukturellenundkontingentenodermateriellenundsozialen/kulturellenAspektenunter‐
schiedenwird.
AndersalsinvielenEntwürfenwirddasgesellschaftlicheNaturverhältnisalsonichtäußerlich
alssozialesVerhältnisuntervielengedachtbzw.letztlichdochaufeinstofflichesResiduumzu‐
rückgeführt,sondernalsprozessierendesFetischverhältnisverstanden,indemaufBasisrealabs‐
trakterVermittlungsmechanismenSozialesundNaturnegativverschränktsind.AufdenTopos
derKriseheruntergebrochenmüsstegewissermaßengesagtwerden,dassdasgesellschaftliche
Naturverhältnisnicht„in“derKrise,sondernselbstdieKriseist(diesich–mindestensseitdem
EndedesFordismus–progressiventfaltet).DiesistalsabstrakteÜberlegungübergesellschaftli‐
cheTotalitätwohlschwerzufassen.DieArtderVermittlung,mithindieAnnahmeeinerfetischis‐
tischenDimensiondergesellschaftlichenSynthesis,lässtsichallerdingsauchdurchdieverschie‐
denenkonkreterenKategorienderKritikderPolitischenÖkonomienachverfolgen,wasalsdar‐
stellungslogischerSchrittzureigentlichenKrisentheoriehilfreichist.
17
Diese mangelnde wissenschaftliche Rezeption hat meiner Einschätzung nach (mindestens) drei Ursachen. Erstens
gibt es formale bzw. stilistische Gründe – Kurzʼ Schreibstil ist essayistisch und oftmals polemisch und kümmert sich
wenig um akademische Konventionen. Zweitens und als Resultat dieser Vorgangsweise machen seine Schriften oft
den Eindruck methodischer Unterkomplexität, die sich maßgeblich aus dem tentativen und thesenhaften Charakter
ergibt. Drittens ist das Ziel der Erörterungen selbst umstritten bzw. wenig akzeptiert, nämlich die Formulierung einer
möglichst radikalen, abstrakten wie auch integralen und deshalb bisweilen notwendig vage bleibenden Gesellschafskritik.
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Eine Gegenüberstellung der Position Altvaters macht die Differenzen deutlich. Während jener
den Arbeitsbegriff unbestimmt lässt und implizit sowohl naturalisiert als auch enthistorisiert,
sieht Kurz Arbeit als ebenso genuin gesellschaftliche Form wie das Geld bzw. das Kapital. Er
bestimmtdasVerhältnis vonArbeitundGeldalsfürdenKapitalismuskonstitutiveswieauch
widersprüchliches (Kurz, 1995, S. 21), denn grundsätzlich ist Geld die verallgemeinerte Form
vonWert,derwiederumdurchArbeitgeschaffenwird.Geldkannalsoals„toteArbeit“verstan‐
denwerden,entwickeltjedochaucheineEigendynamik,wennesalsKapitalprozessiert.Diese
DynamikbirgteinenWiderspruch,derim(gesellschaftlich‐stofflichen)Auseinandertretenvon
gesellschaftlichem Wertresiduum (Geld) und gesellschaftlicher Wertsubstanz (Arbeit) begrün‐
detliegt.WährenddasGeldalswirklichesGeld,alssachlicheMaterialisierungeinesgesellschaftli‐
chenVerhältnisseseinökonomischesEigenlebenführenkann,dasdie„okkulteQualität“(Marx,
1975,S.169)birgt,sichaussichselbstzuvermehren,kanndieGeldformalsWertformnichtvon
derabstraktenArbeitgetrenntwerden.InderoberflächlichenErscheinungdeswirklichenGel‐
desinderZirkulationerlischtjedochderengesellschaftlicheBestimmungdurchdieVerausga‐
bungmenschlicherEnergie.Gelderscheintzugleichals„natürlicher“WertträgerinseinerFunk‐
tion als Wertmaß und als kontingente „soziale Konvention“ in seiner Wirkungsweise als Zah‐
lungsmittel. Als wirkliches Geld kannes von einer eingeschränkten „sphärenfixierten“ Ökono‐
mietheoriedeshalbnichterschlossenwerden,weilderGeldfetischdazuführt,dassdieeigentlich
gesellschaftlicheDenominationdesGeldesalsdurchgesetzterWertformundsomitResultatder
VerausgabungabstrakterArbeitaußenvorbleibt.
DiesverweistaufeinetranszendentaleWerttheorie,diesichgeradenichtaufeinesphärenmäßi‐
geVerortunginder(stofflichen)Naturoderder(abstrakten)Geldökonomiekapriziertundso‐
mitauchnichtvoneinerbloßenDisproportionalitätskriseausgeht.
Im Tausch, sprich: in der Realisierungsbewegung auf dem Markt ist der Wert tatsächlich
nur ein scheinbar nominalistisches Gedankending, weil die Verausgabung abstraktmenschlicher Energie ja bereits vergangen ist und nur als gesellschaftliche Abstraktion fiktiv am Warending als dessen „Geltungsbestimmung“ haftet. Aber diese Energie muss ja
wirklich in der Produktion verbrannt worden sein, damit das möglich ist; die Realabstraktion erfasst in diesem Sinne auch die Produktion, nicht erst die Markthandlung, und in diesem Sinne ist der Wert eben kein bloß nominales Gedankending, sondern eine andere Art
der Realabstraktion: ein Gedankending nur insofern, als die Verausgabung physiologischer
Energie zwar nicht von deren konkreter Form (alias „konkrete Arbeit“) getrennt werden
kann; aber ein Gedankending, das zugleich als solches materiell ist, nämlich das Moment
realer Energieverausgabung. (Kurz, 2012, S. 194)
KurzträgthieralsoderTatsacheRechnung,dassaufeinerTotalitätsebenedievermittelteVer‐
schränkungvon„VerausgabungmenschlicherEnergie“inderProduktionundderen„Geltungs‐
bestimmung“inderZirkulationanzunehmenistunddieszueinerspezifischenrealabstrakten
DimensiongesellschaftlicherVerhältnisseführt.OhneaufdieerkenntnistheoretischenImplikati‐
onen dieser Annahme eingehen zu können,18 lässt sich hieraus bereits die krisentheoretische
SchlussfolgerungeinergänzlichdifferentausgerichtetenPerspektiveableiten.Derinderobigen
Widerspruchskonstellation zwischen Krise und Krisenhaftigkeit, exogener und endogener De‐
termination, bestimmte Hiatus wird insofern überbrückt, als die Sphärentrennung als solche
transzendiertunddurcheinengesamtgesellschaftlichenSubstanzbegriffersetztwird,deraufdie
gesellschaftlichen Verhältnisse, nämlich jene der „Verausgabung menschlicher Energie“ in der
spezifisch kapitalistischen Formbestimmung abzielt. Anders als im positivistischen Paradigma
wird also nicht die Reduzibilität der abstrakten Äußerungen auf eine vereinseitigte Fixierung
angenommen,sonderndieFixierungausderwidersprüchlichengesellschaftlichenFormebene
entwickelt.D.h.einAuseinanderfallenvonProduktionundZirkulationkannzwardieeinzelnen
18
Zur Realabstraktion als zentralem Problem in der Rezeption der Kritik der Politischen Ökonomie, siehe Flatschart
(2012).
20
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„Marktmonaden“betreffenundbishinzutatsächlichen„Bereinigungskrisen“bloßerzirkulativer
Fluktuationen reichen, allerdings nicht die Krisendynamik auf einer gesamtgesellschaftlichen
Ebenetangieren.DennaufdieserEbenedergesellschaftlichenKonstitutionkannnunkeineDis‐
proportionalitätderökonomischenSphärenmehrausgemachtwerden,sondernjeneKonstitu‐
tion selbst ist als sich zuspitzendes Widerspruchsverhältnis von Stoff und Form, von Ge‐
brauchswertmasseundWertsubstanz(Kurz,2012,S.248)zubetrachten.
KurzverortetdenGrundfürdiekrisenhafteWiderspruchsdynamikindersogenannten„dritten
industriellen Revolution der Mikroelektronik“ (Kurz, 2012, S. 294), welche die fordistische, auf
gelingender Produktion des relativen Mehrwerts19 beruhende, Akkumulationsdynamik zum
StillstandundschließlicheinerregressivenBewegungbrachte.DieBegründunghierfürähnelt
jenerinMarxʼGesetzdestendenziellenFallsderProfitrate,setztjedochdieAkzentegemäßder
erläutertenVerschiebungaufeinergesamtgesellschaftlichenEbenederWertsubstanzwesent‐
lichanders.DenngingesbeiMarxnochumdenempirischenBeweiseinertatsächlichsinkenden
Profitrate, d.h. um die Oberflächenerscheinung empirischer ökonomischer Entwicklungen, fo‐
kussiert Kurz auf eine theoretische, nicht‐empirische gesellschaftliche Wesensebene der Ent‐
wicklungstendenzen.DieseArgumentationverstehtsichzugleichalsPräzisierungvonundKritik
anMarx,dennjenerargumentiertimKapitalinbesagtemKapiteleigentlichaufzweiEbenen:
EinerseitsaufderWertebene,wodieAnnahmeeinersteigendenorganischenZusammensetzung
desKapitalseinzighinsichtlichdergesamtgesellschaftlichenMehrwertmasseRelevanzerlangt.
Da die Masse der angewandten lebendigen Arbeit stets abnimmt im Verhältnis zu der Masse der von ihr in Bewegung gesetzten vergegenständlichten Arbeit, der produktiv konsumierten Produktionsmittel, so muß auch der Teil dieser lebendigen Arbeit, der unbezahlt
ist und sich in Mehrwert vergegenständlicht, in einem stets abnehmenden Verhältnis stehn
zum Wertumfang des angewandten Gesamtkapitals. (Marx, 1974, S. 223)
DasArgumentisteinesderzunehmendenRationalisierungundberuhtsomitaufderProduktion
desrelativenMehrwerts.DastetsmehrundmehrMaschineneingesetztwerden,wirdderAnteil
der notwendigen Arbeitskraft im Produktionsprozess geringer und somit auch der neu zuge‐
setzte Mehrwert. Dieses Argument ist allerdings zweifelsfrei nur als gesamtgesellschaftliches
gültig,dennesabstrahiertvonderKonkurrenzundderVerteilungderMehrwertmasseaufdie
Einzelkapitalien.
Marxgehtnunaberauchdavonaus,dassdas„VerhältnisderMehrwertsmassezumWertdes
angewandtenGesamtkapitals“unmittelbareinwirktauf„dieProfitrate,diedaherbeständigfal‐
lenmuß.“(Marx,1974,S.223).DiesezweitePreisebenederArgumentationfälltineinsmitder
ersten,daMarxannahm,dasssichPreisundWertebeneineinquantitativesAbleitungsverhält‐
nisbringenließen,d.h.auchempirischerfasstwerdenkönnten.DieSuchenachdieserAbleitung,
dieals„Transformationsproblem“diemarxistischeDebattewieeinroterFadendurchzieht,re‐
präsentiertjedochlautKurzeinefalscheFragestellung,dieletztlichaufeinteilweisepositivisti‐
sches Wissenschaftsverständnis bei Marx selbst zurückzuführen ist (Kurz, 2012, S. 167‐192).
DennaufderEbeneeines gesellschaftskritischenTotalitätsbezugsgehtesnicht um empirische
Fakten,sonderndieKritikvonbasalenkausalenMechanismenundihrerTendenzen.
EingängiglässtsichdiesauchauseinerformalenDarstellungderjeweiligenEbenenerschließen.
DieProfitrate unterscheidetsichvonderMehrwertrate dadurch,dassinsiedaskonstante
Kapital zusätzlich zum Mehrwert als Vorauskosten der Kapitalist_innen mit eingeht. Die
ProfitratestehtfolglichderbetriebswirtschaftlichenRationalitätundsomitderOberflächenebe‐
ne der Preise und Einzelkapitalien näher als Überlegungen auf der versteckten Wesensebene
19
Damit ist gemeint, dass die Akkumulation nicht auf Basis einer absoluten, exogenen (Verlängerung des Arbeitstags, erstmalige Subsumption von Menschen unter das Kapital), sondern einer relativen, endogenen Entwicklungsweise erfolgt. D.h. die Vergrößerung des Mehrwerts erfolgt auf Basis der Abnahme der notwendigen Arbeitszeit, die
sich wesentlich dadurch ergibt, dass sich mittels technischer Innovation der Wert, der zur Reproduktion der Ware
Arbeitskraft nötig ist, verringert. Vereinfacht gesagt ersetzt die Maschine zunehmend den_die ArbeiterIn.
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desWerts.AufdieserArgumentationsebenelässtsichjedochdietoteArbeitderin gebunde‐
nenwachsendenWertmassenichtadäquatzurGeltungbringen,dasieimKonzeptderVoraus‐
kosten intrinsisch mit dem variablen Kapital verbunden ist; letzteres erscheint derart als
raum‐zeitlichexternalisierte,quasinatürlicheQuelledesReichtums.DieFragenachder„empiri‐
schenProfitrate“bzw.auchProfitmasseinPreisenkannalsovölligandereErgebnisseliefernals
jenenachderEntwicklungderorganischenZusammensetzung.MithinkönnenbisweilenProfite
erzieltwerden,dienichtmehrannäherndanrealeWertproduktionrückkoppelbarsind,wiees
indergigantischen„Blase“derauf„fiktiverAkkumulation“beruhenden„finanzkapitalistischen“
EntwicklungderFallist(Lohoff&Trenkle,2012,S.280‐281).
Tatsächlichhandeltessichjedochauchdabeium„eingefrorene“gesellschaftlich‐stofflichePotenz,
die zwar zeit‐räumlich auf vergangener Wertproduktion beruht, aber als soziale Form keines‐
wegs irrelevant ist bzw. schlicht quasi‐versachlicht aus der gesellschaftlichen Entwicklung ex‐
ternalisiertwerdenkann,sondernstetsaufdiedynamischesozialeFormderArbeitverwiesen
bleibt.DiegenuingesellschaftlicheDynamikaufderEbenederorganischenZusammensetzung
des Kapitals kann demnach nicht zeit‐räumlich isoliert bzw. positivistisch‐vereinseitigend
verstanden werden. Während die Frage nach der Profitrate eine derartige Eingrenzung ver‐
sucht,indemsie und zusammenzieht,alsAggregatbetrachtetundsomiteinestetsrelative
Darstellung ermöglicht, kann verstanden als gesellschaftliche Potenz steigender kapitalisti‐
scherVergesellschaftung(welcheletztlichaufdieSteigerungderindustriellenProduktivkräfte,
mithindieProduktiondesrelativenMehrwertszurückgeht)nurinspezifischeRelationzu ,der
lebendigenArbeit,betrachtetwerden.
Eskannhiernunangenommenwerden,dassdiesteigendeorganischeZusammensetzungnicht
ewigdurchdiesteigendeMehrwertrate(über‐)kompensiertwerdenkann,wieesfüreinegelin‐
gende Akkumulation nötig ist. Eine Zeit lang kann die, in der steigenden organischen Zusam‐
mensetzung ausgedrückte gesellschaftliche Potenz – symptomatisch ausgedrückt in der „Pro‐
duktivkraftWissenschaft“(Ortlieb,2008,S.25)–durchdieVerbilligungvon ausglichenwer‐
den,wennneueproduktiveSektorenentstehen,aufderenBasiseineerweiterteReproduktion
möglichist.DurchdieseProduktiondesrelativenMehrwertssteigtaberinjedemFall ,da als
toteArbeitverstecktindenWertvon eingeht(dieReproduktionskostendes_derArbeiter_in
sinken und deshalb auch der Wert der Ware Arbeitskraft). Dieser Anstieg der Mehrwertrate
stehtwiederumfürdieEntwicklungderProduktivkräfte,dieEingangindieorganischeZusam‐
mensetzungfindet.
WirhabenesaufdieserEbenemiteinerdialektischenBeziehungzutun,derenRelationjedoch
vorerst undynamisch erscheint. Zeit‐räumlich relevant kann diese Darstellungsebene deshalb
nicht sein, da derartige Bezugsgrößen auf der Ebene analytischer Stasis abstrakt‐
mathematischer Variablen verbleiben, während es gesellschaftstheoretischer Erörterung um
substanzielleAussagengeht,welchediegesellschaftlicheTotalitätalsProzessbetreffen.Aufdie‐
ser gesamtgesellschaftlichen Ebene interessiert folglich nicht die Mehrwertrate oder die stei‐
gendeorganischeZusammensetzungalsherausgegriffene„Größe“,sonderndieFragedergesell‐
schaftlichenMehrwertmasseundihrerBeziehungzurMasseangesellschaftlich‐stofflicherPotenz.
DieseZuordnungensindnichtmehrstrengempirischmessbar,wennauchtendenzielleAussa‐
gen aus den komplexen Fluktuationsformen der Preisebene ableitbar sind. Auf dieser Ebene
erscheint es evident, dass die Proportion beider dann kippen muss, wenn gewisse qualitative
Veränderungenvon dazuführen,dasseineErweiterungvon nichtmehrmöglicherscheint.
Wenn also – simpel heruntergebrochen – die verstetigten menschlichen Potentiale und ihre
spezifisch‐kapitalistischeFormderUmsetzung(letztlichArbeitalsVerausgabungmenschlicher
Energie)nichtmehrzusammenzubringensind.
Der gesetzmäßige Fall der Profitrate ist daher nicht identisch mit einem andererseits in derselben Weise gesetzmäßigen Anstieg der absoluten Profitmasse, sondern dieser kompensatorische Zusammenhang gilt nur für ein begrenztes historisches Stadium in der Entfaltung
kapitalistischer Dynamik und ihres Widerspruchs. Überschreitet die irreversible Entwick-
22
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lung ein bestimmtes Limit der Produktivkraft, so erreicht sie ihre Klimax in dem Sinne,
dass die Wegrationalisierung von Arbeitskraft die Expansion des Kapitals einholt und
überholt […]. Dann schlägt die relative Verminderung der Arbeitskraft gegenüber dem
Sachkapital in eine absolute Verminderung der auf dem erreichten Produktivitätsstandard
noch anwendbaren (kapitalproduktiven) Arbeitskraft um, also auch der (relative) Fall der
Profitrate in den absoluten Fall der Profitmasse (des Gesamtkapitals oder bei Marx des
„Gesellschaftskapitals“). Die Gesetzmäßigkeit besteht dann darin, dass das Kapital gesetzmäßig in einen Zustand übergeht, in dem es sein eigenes Gesetz der Anhäufung von
„abstraktem Reichtum“ nicht mehr erfüllen kann. (Kurz, 2012, S. 312)
DiesheißtnichtswenigeralsdassdieEntwicklungderProduktivkraftimweitestenSinneeiner
Grenzeunterliegt,dasieineinemSelbstwiderspruchverfangenist.Dieserführtdazu,dassdie
sozialeFormkapitalistischerDynamiksichzunehmendhintertreibt.Andersphärenmäßigsepa‐
rierten ökonomischen Oberfläche äußert sich dies in einem Abschmelzen der Wertsubstanz
abstrakter Arbeit und somit der fehlschlagenden Akkumulation (und der damit verbundenen
zunehmendenVerschiebungvonrealemzufiktivemKapital).DieserProzessistirreversibel,da
eraufdergesellschaftlichenFormebeneselbststattfindet.
Zusammenfassendlässtsichalsofesthalten:Altvaterbetrachtet–aufGrundseinerverkürzten
VorstellungvonArbeitundeinerzirkulativ‐orientierten„Entbettungstheorie“–diekrisenhafte
GrenzedesNaturverhältnissesalsexogene.StofflichkeitistfürihnalsotendenzielletwasNicht‐
Gesellschaftliches.DemgegenüberentwickeltKurzKrisealseinProblemdersozialenFormge‐
sellschaftlich‐stofflicherPotenz.WennmitKurzüberhauptvonEntbettunggesprochenwerden
kann,sonurimSinneeinerimmanenten,gesellschaftlichenWiderspruchsdynamik.Dieseistin
dersozialenFormbestimmungselbstzwangsläufigangelegt,insofernalsdieimmanentegesell‐
schaftlich‐stoffliche Potenz mit der Form in Konflikt gerät. Ernst Lohoff und Norbert Trenkle
(2012) konzedieren pointiert: „Diese Gesellschaft ist zu reich für den Kapitalismus!“ (S. 285).
DieshatingewisserWeiseseineRichtigkeit–allerdingsnur,wenngenaugeklärtwird,wasmit
den eingesetzten Begriffen gemeint ist. Gesellschaftlichkeit wie auch Reichtum existieren im
StatusQuonämlichnuralskapitalistische.WennjedochgenerellereDefinitionengewähltwer‐
denundfestgehaltenwird,dassdiegesellschaftlichePotenzschlechthin(diesichnichtanders
alsinihrerhistorischenFormaktualisierenkann)nichtmehrmitdenBedingungenihrerKonsti‐
tution(diewiederumnotwendigjenePotenzhervorbringenmuss)vereinbarsind,dannergibt
sich das richtige Bild einer inneren Grenze, die weitere progressive Entwicklung innerhalb der
FormundauchderFormselbstnichtmehrmöglichmacht.20
Wenn die These einer derart umfassenden gesellschaftlichen Formkrise vertreten wird, kann
schondeshalbnichtmehrreinökonomischargumentiertwerden,weildieökonomischeForm
nicht als Sphäre positiviert wird, sondern gesellschaftlich kontextualisiert erscheint. Folglich
reichtesnichtaus,dasScheiterndesFordismusbzw.dasihmfolgendeVakuumreinakkumula‐
tionstheoretischzuerklären.EsmussvielmehrandiegesellschaftstheoretischeSubstanzgegan‐
genwerden,die–somöchteichzeigen–ineinerdifferenziertenRezeptionderMarxschenFeti‐
schtheoriezusuchenist.DievolleKonsequenzeinerderartigenPerspektive,geradeauchfürdas
Politische,wurdevonRobertKurznichtsystematischerörtert.21DieMöglichkeiteinerAnwen‐
dungaufnicht‐ökonomischemTerrainistjedochzweifellosangelegt,daanvielenPunktenexpli‐
zitdiemoderneSphärentrennungkritisiertwird(vgl.z.B.Kurz,2003b,S.438).InFolgemöchte
ichdeshalbüberKurzhinauseinigeÜberlegungenzueinermöglichenFormkrisedesPolitischen
präsentieren, welche als Erweiterung der Krisentheorie zu betrachten sind und den Wider‐
spruch zwischen synchronen und diachronen Theorieproblematiken in produktiver Weise zu
bearbeitensuchen.
20
Dies heißt nicht, dass keinerlei Entwicklung mehr stattfinden würde. Im Gegenteil ist es sogar naheliegend, dass
sich die empirisch wahrnehmbare Alltagswelt umfassend transformiert, wie etwa die Herausbildung eines Finanzkapitalismus (Windolf, 2005) nahelegt.
2121
Er beschäftigte sich jedoch vor seinem unerwarteten Tod intensiv mit dieser Materie, wie einführende Studien
zeigen (Kurz, 2011a; 2011b)
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23
6 Der Zusammenhang zu Politischer Form und Politik‐
fetisch IndiesemKapitelsollesdarumgehen,dasPolitischeanalogzumÖkonomischenalssoziale
Form zu fassen, die eine fetischistische Vermittlung mit dem Ökonomischen aufweist, sich je‐
dochdurcheigeneBestimmungenauszeichnet.WennichvonsozialerFormspreche,soimpli‐
ziertdiesbereitsdenVerweisaufeinekomplexeTheorietradition,dieeinendistinktenZugang
zurProblematikderBestimmungdesVerhältnissesderbeidenzentralen„Sphären“entwickelt.
ImAnschlussaneinennichtoffensichtlichendialektischenKernderMarxschenKritikderPoliti‐
schen Ökonomie werden die Grundkategorien bzw. ihre Ordnung als nicht einfach gegebene
konzipiert,sondernineinem(nur)demKapitalismuseigentümlichenKonstitutionszusammen‐
hangverortet.
Marx dechiffriert den ökonomischen Gegenstands-Bereich und Gegenstands-Typ als den
von Formen, spezifisch sozialen Formen, die der gesellschaftliche Charakter der Arbeit unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen annehmen muß: die »Wertgegenständlichkeit« der Arbeitsprodukte wie ihre Wert-Formen. Die »Objekte« der Ökonomie, ihr ausgezeichneter »Gegenstand«, sind stets solche Werte bzw. Wertgrößen und darin allesamt
Formen jener spezifisch gesellschaftlichen Arbeit. Nur: als solche Formen verdecken und
verschleiern sie zugleich ihren sozialen Gehalt und Grund. (Brentel, 1989, S. 13)
Ohne hier auf die ökonomiekritischen Konsequenzen dieser werttheoretischen Stoßrichtung
eingehenzukönnen,lässtsichdieAnnahmeüberdie„ObjektederÖkonomie“auchaufjeneder
Politikübertragen.SozialeFormensinddemnachimKapitalismus–nunverstandenalsGesell‐
schaftssystem–nichtalseinwertigzuerfassendeModellezuerschließen,sondernalsverwiesene
dialektischeZusammenhänge,dieeineverdeckteRelationzuihremsozialenGehaltaufweisen.
DieMarxscheFetischtheoriestehtfürdieseTatsacheundweistjenengesamtgesellschaftlichen
Konstitutionszusammenhang entlang der ökonomischen Kategorien nach – auf diese muss er
allerdings,wieneueAnsätzegezeigthaben(vgl.Grigat,2007;Neupert,2013),nichtbeschränkt
bleiben. Für eine erweiterte Erschließung zentral ist die Konzeption einer verkehrenden Ver‐
dinglichungsozialerVerhältnisse,dieimZusammenhangmitKurzʼFassungdergesellschaftlichen
Naturverhältnissebzw.ihresreal‐abstraktenCharakterseineRollespielte.Damitistnichtein‐
fachgemeint,dassmenschlicheBeziehungenvonDingenbestimmtsindbzw.dinglicheEigen‐
schaftenaufweisen.VielmehrgehtesumeineWechselwirkungindersichdinglicheundsoziale
Verhältnisse binnenhistorisch, also im Gültigkeitsbereich der kapitalistischen Gesellschaftsfor‐
mation,nichtmehrklarscheidenlassen.DieshatzurFolge,dassdie„gesellschaftlichenBezie‐
hungen“notwendig„alsdas,wassiesind[eigeneHerv.],d.h.nichtalsunmittelbargesellschaftli‐
cheVerhältnissederPersoneninihrenArbeitenselbst,sondernvielmehralssachlicheVerhält‐
nissederPersonenundgesellschaftlicheVerhältnissederSachen“(Marx,1975,S.87)erschei‐
nen.EshandeltsichalsobeidensozialenFormendesKapitalismusstrenggenommennicht,wie
Brentel nahelegt, um einen „Schleier“, hinter dem sich ein „richtiges“ soziales Verhältnis ver‐
steckt. Vielmehr sind die systematisch verdeckten Verhältnisse ihrerseits historisch situierte
undmüssenalssolchezwangsläufigihreverdinglichteFormhervorbringen.Diescheinbareinfa‐
chenDualismen,welcheunsbeständigaufderOberflächenebeneanalytischerAnnäherungenan
dieVerhältnissebegegnen,sinddergestaltwederalsstarreOppositionennochalsahistorische
Konstanten zu betrachten. Sie werden durch die fetischistische Verfasstheit der gesellschaftli‐
chenVerhältnissebestimmtundzusammengehalten.Alssolchebildensieineinerfunktionalen,
aberauchsozial‐prozesshaftenDimensioneinaporetischesWiderspruchsfeld.
EinereinfunktionalePerspektive,wiesieetwavonderSystemtheorieundauchihrenmateria‐
listischenSympathisant_inneninderstaatstheoretischenDebattevertretenwird(Jessop,2008),
greift folglich zu kurz, weil sie ein statisches Bild funktionaler Beziehungen nahelegt. Ebenso
24
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grundlegendverkürztscheinteinereinprozesshafteBestimmung,wiesieetwahinsichtlichdes
Staates als gesellschaftliches Verhältnis von Alex Demirović im Anschluss an eine spezifische
Poulantzas‐Lektürenahegelegtwird(Demirović,2007,S.223‐224).DasMarxscheVerständnis
fetischistischer sozialer Verhältnisse begründet demgegenüber auf einer grundsätzlichen, ge‐
sellschaftstheoretischenEbeneeindynamischesTheoriekonzeptsozialerFormen,welchesnicht
nurdierealeSegmentierungfunktionalerBeziehungenanerkennt,sondernzugleichauchihren
historischenEntstehungshintergrundalsVerdichtungspezifischgebündeltensozialenHandelns
mitdenkt.Eszieltalsodaraufab,eineabseitsjeglicherpositiv‐essentialistischerVorbestimmung
zuentwickelnde„negativeOntologie“(Schmidt,1978,S.74)zufassen,dieeinespezifischkapita‐
listischefunktionaleErstarrung,wiesichregelmäßigintopologischenSegmentierungenäußert,
ebenso berücksichtigt wie ihr eigentliches gesellschaftliches Werden erklärt. Alfred Schmidt
verdeutlicht dies in einer allgemein‐philosophischen Einordnung zum Verhältnis von (gesell‐
schaftlicher)Prozesslogikund(vergegenständlichter)Dinghaftigkeit:
Wie man die Dinge nicht metaphysisch-starr als fertig und unveränderlich ansehen darf,
ohne in einen Irrtum zu verfallen, so darf man sie umgekehrt auch nicht restlos in die Momente der sie vermittelnden gesellschaftlichen Prozesse auflösen, was den gleichen metaphysischen Fehler mit umgekehrten Vorzeichen bedeuten würde. Es kommt vielmehr darauf an, die konkrete Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermitteltheit des dinglichen
Seins in ihrer jeweiligen Gestalt zu entfalten. (Schmidt, 1978, S. 64)
Diese„konkreteDialektikvonUnmittelbarkeitundVermitteltheit“spielteinestruktiveRollefür
das Verständnis moderner Gesellschaft. Sie befördert – im kritischen und erweiternden An‐
schlussandieMarxscheFetischtheorie–einePerspektiveaufsozialeFormen,dieihreWider‐
sprüchlichkeit,alsoZerrissenheitzwischenantagonistischenPolen,akzentuiertundzugleichdie
interne Verwiesenheit binärer Opposition indiziert. Verdinglichung ist somit nicht mehr rein
ideologisch zu fassen, sondern als Ausdruck einer historischen Vergesellschaftungsmatrix, die
widersprüchlichesozialeFormenhervorbringt.
DiesesProblemistbesondersevidentimzentralenDualismusderkapitalistischenGesellschaft,
jenemzwischenPolitischemundÖkonomischembzw.dermanifestenOppositionderimAlltags‐
bewusstseinerscheinendenEntitätenStaatundWirtschaft.DieFragedesVerhältnissesundder
(differenzierenden) Definition beider sozialer Formen ist keine neue, sondern wird in einer
formanalytischenTheoriedebatte(vgl.Elbe,2008)bereitsseitgeraumerZeitthematisiert.Letz‐
tere kann als maßgeblichen Begründer den russischen Rechtstheoretiker Eugen Paschukanis
(2003)undseinTheoremzurDialektikvonWaren‐undRechtsformvorweisenundfandihren
Höhepunkt in der sogenannten (deutschen) Staatsableitungsdebatte (Braunmühl et al., 1973;
Flatow & Huisken, 1973; Hirsch, 1974; Hochberger, 1974). Die Staatsableitungsdebatte nahm
ihrenAusgangspunktineinerkonkret‐politischenFragestellung,jenernachdenGrenzensozial‐
staatlicher Transformation kapitalistischer Realität (Müller & Neusüss, 1970). Sie erwuchs je‐
dochalsbaldzueinerumfassendentheoretischenAuseinandersetzungüberdasVerhältnisvon
politischerundökonomischerForm.IndieserDebattedominiertenAnsätze,welchediepoliti‐
scheFormmehroderwenigerunmittelbarausdemWarentauschbzw.deninihmauftretenden
bürgerlichen (Privat‐)Rechtssubjekt ableiteten (Negt, 1975). Diese Ansätze argumentierten
meistfunktionalistisch,dasieaufeinebestehendeSphärentrennungeinseitigaufbauten,anstatt
jeneselbstkonstitutivzuhinterfragenunddenprozesshaftenAspektpolitischerKonstituierung
zu berücksichtigen. Es lassen sich allerdings auch differenzierte Positionen finden, die jener
Schwierigkeit durchaus eingedenk waren. So etwa jene von Elmar Altvater, der den Staat als
zentraleInstanzderReproduktionbetrachtete,welcheinseinerTrennungvonderÖkonomie
nichtnachträglichabzuleitenist,sondern(logischundhistorisch)gleichzeitigmitderWertver‐
gesellschaftung zu betrachten und ihr somit sowohl innerlich als auch äußerlich ist (Altvater,
1972,S.8).
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JoachimHirsch(1976)brachteimkritischenAnschlussandieStaatsableitungsdebattedieProb‐
lematikderVermittlungsebenenzwischenabstrakterFormundkonkret‐historischenVerdich‐
tungsprozesseneinundbezogsichaufdie–diachroneAspekteakzentuierenden–Staatstheo‐
rienimAnschlussanGramsciundPoulantzas.AuchwennHirschdieProblemederErörterung
auf einer allgemeinen Ebene unterschätzt und gewissermaßen selbst ungenügende Vermitt‐
lungsarbeit leistete (v.a. was die grundsätzlich inkommensurablen Theoriegrammatiken der
„deutschen“ und „französischen“ Staatstheorien anbelangt), muss das Grundproblem der Zu‐
sammenführungdiachronerundsynchronerProblematikenweiterhinalsDesideratgelten.Es
solltefolglichauchnichtmehrder„unglückliche“Begriff(Kannankulam,2009,S.43)derAblei‐
tungverwendetwerden,sondernehervoneinemkonstitutionslogischenNachvollzugdeszentra‐
len modernen Verhältnisses von zeitlich opaken und räumlich komprimierenden (abstrakten)
Produktionsmomenten einerseits und zeitlich fixierten und räumlich artikulierten (konkreten)
Reproduktionsmomenten andererseits ausgegangen werden. Ein derartiger konstitutionslogi‐
scherNachvollzugmusssichseinergeschichtlichenSituierungbewusstsein:Eskannnichtmehr
um eine rein logisch verbleibende Argumentation der funktionalen Korrespondenzen gehen,
sonderndiepolitischeFormmuss–korrespondierendmitderökonomischen–ineinemhistori‐
schenEntstehungszusammenhangkontextualisiertwerden.AlssolchehatderbürgerlicheStaat
als„subjektloseGewalt“(Gerstenberger,2006)eineeigeneGeschichte,eristjedochauchnicht
völligautarkvonderökonomischenFormzubetrachten,daeraufdie„TrennungderPolitikvon
derÖkonomie“selbstaufbaut,diewiederumalseine„StrukturvoraussetzungfürdieDominanz
kapitalistischerFormenderProduktion“(Gerstenberger,2006,S.525)gilt.
AlsvorläufigesResultatderAnschlüsseandieStaatsableitungsdebattebzw.dasinihraufschei‐
nendeProblemderTheoretisierungdergenuinmodernenpolitischenFormalsAnderesderöko‐
nomischenFormkannfestgehaltenwerden,dasswederfunktionaleAbleitungenalleine,noch
die überhistorische Existenz eines Politischen anstrebenswert sind. Dies würde ein quasi‐
exogenesSubstratdesmenschlichenPolitischenschlechthinvoraussetzen,welchesanalogzur
stofflichen Komponente als ahistorischer kausaler Ursprungsgrund der weiteren Theorieent‐
wicklungfigurierenwürde.GegenderartigePositionenkannmitdemjungenMarxargumentiert
werden,derinseinerSchrift„ZurJudenfrage“nichtnurdieideologischeDimensiondieserVer‐
allgemeinerung offenlegt, sondern zugleich auch den Grund für die ideologische Verzerrung
fetischistischerVerhältnisseaufzeigt.
Der Mensch in seiner nächsten Wirklichkeit, in der bürgerlichen Gesellschaft, ist ein profanes Wesen. Hier, wo er als wirkliches Individuum sich selbst und andern gilt, ist er eine
unwahre Erscheinung. In dem Staat dagegen, wo der Mensch als Gattungswesen gilt, ist er
das imaginäre Glied einer eingebildeten Souveränität, ist er seines wirklichen individuellen
Lebens beraubt und mit einer unwirklichen Allgemeinheit erfüllt. (Marx, 1981, S. 354)
In diesem Spannungsfeld kann nun – in Analogie zum von Marx entwickelten ökonomischen
Fetisch–voneinemPolitikfetischgesprochenwerden.ZweifelloslässtsichdieArgumentation
nichtunisonoübernehmen.DerModusdisputandiistjedochhomologkonzipierbar.Dennwird
dermoderneFetischismusalskausaleSchnittschnellezwischendenWiderspruchsseitenernst
genommen,sokanneralsallgemeiner,verkehrenderAusdruckdesVerhältnissesvonStrukturund
HandelnnichtnurfürdieökonomischeSphäreGeltungbeanspruchen,sondernmussebenauch
in der politischen Sphäre eine Rolle spielen. Die Theoretisierung moderner Fetischvergesell‐
schaftungsolltealsodenkonstitutivenEntstehungszusammenhangvonbeidenSphäreninihrer
gegenseitigenDurchdringungnachzeichnen.
Beidieser Verhältnisbestimmung handeltessichumeine Variantedes allgemeinenProblems
derRelationvonSubjektundObjekt.HierwirdnunmitderFrankfurterSchulevoneinerzweiten
Naturausgegangen,welchesymbolischfüreineverselbstständigteundinBezugaufdiereflexi‐
ven Formen gesellschaftlicher Akteur_innen verkehrte Beziehung des Subjekts auf das Objekt
steht.DiesführtzuraporetischenSperrungdergenuinmodernenSubjekt‐Objekt‐Relation:
26
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Offenbar ist es schwierig, die Meta-Reflexion des Verhältnisses in den Denkformen dieses
Verhältnisses zu denken, die aber zunächst vorausgesetzt sind. Das fetisch-konstituierte
Bewusstsein kommt spontan zu dem Schluß, das codierende und gesetzstiftende „Wesen“
zu veräußerlichen, um dann beim Subjekt als Marionette zu landen. Aber da „draußen“ ist
„nichts“ („Nichts“). Das Subjekt ist eine Marionette, die selber die Fäden zieht. Für das
Subjekt gibt es als Bezugsgröße entweder bewusstlose Objekte (Natur) oder andere Subjekte. Dann kann der Fetisch nur noch entweder Objekt, Natur und somit unausweichlich,
oder eben ein anderes und äußeres Subjekt sein. Die Begriffe von Fetisch und zweiter Natur verweisen aber darauf [...], dass es ein „etwas“ gibt, das im Subjekt-Objekt-Dualismus
nicht aufgeht, das selbst weder Subjekt noch Objekt ist, sondern dieses Verhältnis erst konstituiert. (Kurz, 2004, S. 188)
DieAusführungKurzʼistnichtnurallgemeinerhellend,wennesumeinVerständnisdesmoder‐
nenFetischismusgeht,sieistauchinstruktivfüreineErschließungdesGehaltsdesPolitikfeti‐
sches.DieserstelltgewissermaßendieandereSeitederbereitsvonMarxerschlossenenökono‐
miekritischenMedailledar.InderSphärederÖkonomiezeigtsichderFetischalsVerkehrung
vonSubjektundObjekthinsichtlichder„objektivierten“und„naturalisierten“Seite.Diesoziale
FormderVergesellschaftungmussals(zweite)NaturerscheinenundwirktderartaufdieSub‐
jekte zurück. Die ZwangsgesetzederÖkonomiesinddenSubjektenscheinbar völlig äußerlich
(wiewohl jene sie natürlich internalisiert haben) und in dieser Hinsicht formieren sie sich als
„Marionetten“, als bloße „Charaktermasken“, wie Marx es formulierte. Diese synchronisierte
Ebene eines eigentümlich äußerlichen automatischen Subjekts wird als hermetisch und un‐
durchdringbarerfahrenundistesinnerhalbderVerhältnisseauch.
DemgegenübererscheintdasautonomebürgerlicheSubjektalsgetrennteInstanz,diemitganz
konträrenEigenschaftenversehenauftritt.Alsrationales,aufgeklärtes(symbolischmännliches,
weißes,westlichesundheterosexuellkonnotiertes)Handlungswesenwähntessichautarkund
entscheidungsfähig.DerErfüllungsraumdesSubjektsistdasimÖffentlichenangesiedeltePoliti‐
schebzw.seineinstitutionalisiert‐herrschaftsförmigeStrukturierunginderverdichtetenForm
des Staates und seiner Apparate.22 Dabei erscheint die Politik als grundsätzlich diachrone In‐
stanzderfreienGestaltungsozialerVerhältnisse.WährenddieArbeitalsfetischistischeRealabs‐
traktionfürdie–scheinbardeterminierteundabstrakte–FormdesNaturbezugssteht,istPoli‐
tik die Handlungsräson der – scheinbar kontingenten und konkreten – Form des Bezugs auf
sozialeVerhältnisse.
BeiderpolitischenSeitedesFetischismushandeltessichumeinImaginäres,dasdavonausgeht,
„einem‚Stoff‘die‚Form‘auf[zu]prägen“(Machiavelli,1986,S.54)unddieWeltalseine„flüssige,
formbareMasse“(Fach,2008,S.31)vorzufinden.EsgehtinnerhalbdesPolitikfetischessomit
nicht einfach darum, soziale Verhältnisse zu gestalten, sondern Gestaltung muss zwangsläufig
innerhalbderumfassenden„AutonomiedesPolitischen“(Fach,2008,S.35)erfolgen,dieaufdie
Akteur_innnenalsabsolute,essenzialisierteHandlungsmatrix(derMacht)zurückwirkt.Neben
einerimaginierten„richtigen“Politik(diealssolchenichtexistiert,eineideologischeVerklärung
bzw. einen projektiven Wunsch darstellt) findet sich im Alltagsverstand die Vorstellung einer
„falschenPolitik“,die„denPolitiker_innen“zugeschobenwirdundals„Machiavellismus“(Fach,
2008,S.11)kritisiertwird.DieseDopplungselbstindiziertdieversteckteFormgebundenheitdes
Politischen,das–trotzanderweitigemWunsch–letztendlichstetsinjener„falschen“institutio‐
nellverstetigtenundstaatlichformiertenWeiseauftretenmuss.
DasKonzeptdesPolitikfetischesscheintinähnlicherWeiseauchbeiJohnHollowayauf:
22
Feministische Kritik hat die patriarchale Gestalt des Öffentlichen sowie die strukturell männliche Prägung des
Handlungswesens aufgezeigt (vgl. Sauer, 2001). Form und Inhalt fallen allerdings nicht so einfach zusammen. Was
die Vergesellschaftungslogik selbst betrifft, weist die synchrone Dimension regelmäßig eine symbolisch männliche,
die diachrone eine symbolisch weibliche Markierung auf. Diese Überlegungen auf das Konzept des Politikfetisches
anzuwenden wäre eine lohnende Aufgabe, welche jedoch im Rahmen dieses Artikels nicht bewältigt werden kann.
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27
Marx's critique of political economy should be extended to the critique of law and
the state, that law and the state should be understood as fetishised forms of social relations in the same way as value, capital and the other categories of political economy.
This meant that law and the state, like value, were specifically capitalist forms of social
relations. (Holloway, 2002, S. 47)
Eshandeltsich,soHollowayweiter,umfetischisierteFormen,dasievoneinem„sozialenFluss
desTuns“(Holloway,2002,S.17)abstrahierenundeinefalscheVerdinglichungmitsichbrin‐
gen.23InnerhalbdesRahmensdieserHandlungsmatrixistfolglichdieFreiheitderGestaltbarkeit
(der Subjekte) eine relative und eingeschränkte. Als Ausdruck einer historischen Formgebun‐
denheitistdemnachauchdieparadoxeMetapherdes(politischen)Subjektsals„Marionette,die
selbstdieFädenzieht“einedurchauszutreffende.
Beiderlei, die ökonomische Natürlichkeit und die politische Formbarkeit, sind also verknüpft
undaufeinebestimmte,historischeWeise„falsch“,wennderentwickelteKonstitutionszusam‐
menhangderFormsphärenselbstberücksichtigtwird.DenndieConditioeinerabsolutexogen
zusetzendenNaturunddeseinfachenBezugsaufsierepräsentiert–spätestensangesichtsder
heutigenkomplexengesellschaftlichenNaturverhältnisseeinerdurchTechnikumfassendher‐
vorgebrachten„neuenNatur“(Scheich,1988,S.134)–eineAuslassungdersozialenZutatzum
„Natürlichen“.EbensokannjedochauchdasPolitischenichtalsunmittelbar‐sozialeHandlungs‐
formverstandenwerden.DieUnmittelbarkeitisteinefalsche,insoferndieVermittlungsinstanzen
zwischensozialerundpolitischerRealitätabstrakt‐repräsentativbleibenmüssen,alsokeineun‐
mittelbareTeilhabeermöglichen.Siesindvielmehrverwiesenaufeinegenuinmoderne,quasi‐
natürliche Metaphysik der Macht, die eine Eigendynamik aufweist und damit ein spezifisches
herrschaftlichesSubjekt‐Objekt‐Verhältniskonstituiert.24
AufderBasisdesFetischismusistdieSubjekt‐Objekt‐RelationindoppelterWeiseverkehrt:ei‐
nerseits,weilsiehinsichtlichjenerkonstitutivenWesenslogiknotwendigfalscheVorstellungen–
Ideologien–evoziert;andererseits,dajeneWesenslogikselbsteinetautologische,selbstzweck‐
hafteundvonsozialerundkognitiverUnmittelbarkeitabstrahierteFormhervorbringt,dieauf
nicht bloß epistemische Weise unwahr ist, sondern als „Ganzes das Unwahre ist“ (Adorno,
2003b,S.586),alsointransparenteundnichtunmittelbarveränderbaresozialeVerhältnisse(re‐
)produziert.
Mit der komplexen gesellschaftstheoretischen Heuristik des Fetischismus lässt sich also der
konstitutive Entstehungszusammenhang beider reziprok aufeinander verwiesenen Seiten der
modernenKonditionerfassen.Diesimpliziertauch,dassdieSphärentrennungalssolcheletztlich
nichtrigidebeibehaltenwerdenkann,sonderndavonauszugehenist,dasseineinjeweilsbe‐
stimmterWeisereziprokrelativeBesonderungvorliegt.Dasheißt–undhieristdasfunktionale
Argument der Staatsableitungsdebatte durchaus aufzunehmen – dass funktionierende (d.h.
wachsendeundbeschleunigtwachsende)25kapitalistischeVergesellschaftungstetseinEquilib‐
rium einer synchron‐progressiven Seite der ökonomischen Logik und einer diachron‐
23
An Holloways Ansatz ist allerdings zu kritisieren, dass er – trotz der progressiven Fetischkritik – letztlich davon
ausgeht, dass eine rein negatorische Perspektive hinsichtlich der sozialen Formen ausreichen würde, um zu einem
befreiten „sozialen Fluss des Tuns“ zu gelangen. Dies ignoriert, dass eine reine Negation die Formen weder auflöst
noch verändert. Die hochgradig aktualistische Perspektive führt Holloway dazu, zeit-räumliche Verstetigung und die
daraus resultierenden Widersprüche für konkrete (emanzipatorische) Praxis zu vernachlässigen und folglich beim
„Schrei“ bzw. der Negation stehen zu bleiben.
24
Diese Eigendynamik und somit das genuin politische Momente am Politikfetisch müsste vor dem Hintergrund
dieser theoretischen Folie umfassender dargestellt werden, was ein eigenständiges Projekt darstellen würde. Illustrative Hinweise liefern für mich jedoch immer noch zahlreiche skeptische und „realistische“ Autor_innen, wie etwa
Niccolò Machiavelli (Machiavelli, 1986). Hinsichtlich der spezifischen Machtform und ihrer „Techniken“ bleibt
Michel Foucault (2005, S. 149-155) – der an Machiavelli anschließt – eine Referenz, indem er die „Kunst des Regierens“ (S. 153) historisch-genealogisch nachzeichnete.
25
Eine gesellschaftstheoretische Analyse der Erscheinungsformen jener im Prinzip G-W-G‘ sinnbildhaft festgehaltenen Dynamik lässt sich nicht auf rein ökonomische Kriterien reduzieren, sondern hat allgemein-soziologisch zu
erfolgen. Instruktiv sind hier etwa die Ausführungen von Hartmut Rosa (2005), der die gesellschaftliche Beschleunigung im Kontext einer kapitalistischen Wachstumsbewegung umfangreich aufarbeitet.
28
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regulierendenSeitepolitischerLogikvoraussetzt.BeiderleiSeitenbildentopologischerfassbare
Sphärenaus,dieinihrerrelativenTrennungerscheinen,jedochkonstitutivaufeinanderverwie‐
sensind.StaatundÖkonomieergänzensichso,geradeweilsieeinwidersprüchlichesVerhältnis
repräsentieren.GesellschaftlicheKrisemussaufdieserBasisnunkategorialerweitertgedacht
werden.
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29
7. Perspektiven einer Krisentheorie des Politischen Festzuhalten gilt es, dass die moderne Sphärentrennung natürlich ebenso wenig (empirisch)
fassbaristwiederFetischismus.DiekonkretenVerhältnissesindinihrerKomplexitätausdieser
Determination niemals einfach ableitbar, sondern weisen ein überschießendes Moment auf,
welches für die Betrachtung der fetischistischen Vergesellschaftungslogik von Bedeutung ist.
Anzuerkennen ist, dass die abstrakten Kategorien der Fetisch‐ und Formanalyse funktionale
gegenübersozial‐prozessualenundsymbolischenMomentenprivilegierenunddazutendieren,
statischzubleiben.Konkret‐komplexeAnalysendürfenallerdingsnichtineinerstatischenHeu‐
ristikaufgehen,dasieaufGeschichtlichkeitbezogensindundsomitinihrerKategorienfindung
eineProzessdimensionberücksichtigensollten.Diesimpliziert,dassdieMöglichkeitderkrisen‐
haftenVeränderungauchimfunktionalenGehäusederFetischkonstitutioneineRepräsentation
findenmuss.
In diesem Verhältnis ist Krise als Dysfunktionalität im Kern jener selbstzweckhaften kapitalisti‐
schenBewegungimWechselspielvonPolitikundÖkonomiezuerschließen.Esgehtalsoletztlich
darum, eine integrale Perspektive zu entwickeln, in der abstrakt‐logische Äußerungen nicht
segmentiertvonkonkret‐komplexenhistorischenPhänomenengefasst,sondernineindichtes
Konstellationsgefügeverwobenwerden,welchesAussagenhinsichtlichder„konkretenTotalität“
(Kosik,1976,S.44)gesellschaftlicherVerhältnissemöglichmachtunddabeisensibelbleibtfür
dieMöglichkeitderVeränderungderFormenselbst.EineAnnäherunganmöglicheTendenzen
einerderartigenTransformation,die–analogzuKurzʼökonomischerTheorie–auchdasPoliti‐
scheumfasst,sollnunabschließendholzschnittartigdargestelltwerden.
DieimletztenKapitelentwickelteHinführungzurPolitikformunddemPolitikfetischalszugleich
trennendeundverbindendeInstanzderVermittlungmitderökonomischenFormkannvordem
Hintergrund der dargelegten materialistischen Theorie der ökonomischen Krise von Robert
Kurzneugedeutetwerden.DementsprechendkanndieMöglichkeiteinerFormkrisedesVerge‐
sellschaftungsprinzipsinErwägunggezogenwerden,d.h.esgilteinScheiternderKonstitutions‐
logikansichalshistorischeOptiontheoretischzusondieren.DieBasisdiesesScheiternswurde
mit Kurz zumindest rudimentär erörtert – die gesellschaftlichen Potenzen korrespondieren
nichtmehrmitihrerfetischistischenFormundjenebeginntsichfolglichregressivzuentwickeln.
WeitereAnschlüssehinsichtlichderpolitischenSeitekönnenallerdingsnichtbeiAusführungen
übereinen„idealenDurchschnitt“stehenbleiben.ImLichtederdargelegtenThesezumPolitikfe‐
tischmussdietheoretischeErschließungdiesesRealitätsbezugsaucheineandereseinalsjene
imÖkonomischen.DennwennsichPolitikinderOberflächenwahrnehmungalsdiachroneund
aktual‐determinierende Instanz darstellt, so muss eine kritische Annäherung gewissermaßen
durchdiePerspektivejenessphärenmäßigsituiertenundformgebundenenRastersaufdieTie‐
fenstruktureinermöglichenFormveränderungblicken.
DasheißtnunfürdieTheoriederKrisederPolitik,dasssienichtvoneinzelneneruptivenZu‐
spitzungen,wiesieökonomischeKrisenhaftigkeitauszeichnen,aufeinegrundlegendeFormkri‐
seschließenkann,sondernumgekehrtgraduelleVerschiebungeninderscheinbar(weiterhin)
ubiquitärenRealitätdesdiachronenpolitischenHandelnsdechiffrierenmuss.26Diesistzweifel‐
losungleichschwieriger,trifftjedochimKerndasgleicheProblem,nämlichwiekannzwischen
(kontingenten) Aspekten der Krisenhaftigkeit und genuinen Auswüchsen einer Formkrise auf
der Ebene fetischistischer Relationalität von Politik und Ökonomie unterschieden werden. Im
LichtederobigentheoretischenGrundbestimmungenkönnenzweiIndikatorenfüreineForm‐
krisedesPolitischenausgemachtwerden.
a)
DiefunktionaleSeitederFormlogikdesPolitischen,alsoderScheinunddieRealität
einer, als politisch wahrgenommenen (und eigentlich von sozialer Interaktion
schlechthin separierten) Handlungs‐ und Gestaltungsfähigkeit, beginnt brüchig zu
werden. Politik erscheint also als ausgehöhlt und zunehmend unfähig, tatsächliche
26
Eine hierfür dienliche Schnittstelle scheint mir die Postdemokratie- und Postpolitik-Debatte zu sein.
30
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Veränderungzubewirken.Zentralsindhiervon–gemäßderVerstetigungundfunk‐
tionalenAusdifferenzierungdesPolitischenimStaat–zuerststaatlicheInstitutionen
bzw.politische(Groß‐)Subjekte(z.B.Parteien)betroffen.
b)
Die Sphärentrennung zwischen Politik und Ökonomie lässt sich als solche immer
wenigerklarfestmachen.GrenzenzwischendenfunktionaldifferenziertenRäumen
erodierenundführenzueinermehroderwenigerwahrnehmbarenDisproportiona‐
litätzwischenProduktions‐undReproduktionsaspekten,mithinaucheinerVerwir‐
rungdesVerhältnissessynchronerunddiachronerProblematiken.Hieristalsoder
KerndesmodernenFetischverhältnissesselbstalseigentlicherkausalerUrsprungim
FokusderBetrachtung.
BeideAspektesindnichtvoneinanderzutrennenbzw.erscheineninkomplexenphänomenolo‐
gischen Überlagerungs‐ und Verkettungszusammenhängen. Es bedarf einer umfassenden Un‐
tersuchungderErscheinungsweisenpolitischerForm,welcheandersalsimsynchronenTheo‐
riestratumderÖkonomiedurchdiediachronenFragmentierungenzuerschließensind.Fürein
derartigesForschungsprogrammseheichindervorherrschendenDebattewenigeAnsatzpunk‐
te,waswohlmaßgeblichdamitzusammenhängt,dassformkritischeÜberlegungeninanhistori‐
schenTransformationeninteressiertenArbeitenwenigRelevanzhaben.27
EsbleibtnunabschließendaufdieGrenzenundPotentialedesskizziertenTheorierahmenshin‐
zuweisen.DieAnnahmeeinerFormkrisedesPolitischenstelltkeinedeterministischeFeststel‐
lungdar,diejeglichesHandlungspotentialnegiertbzw.unisonoaufdiachroneAspektederGe‐
staltung umzulegen ist. Es geht vielmehr um den Nachvollzug abstrakter konstitutiver Zusam‐
menhängeundumihreVermittlungmitkonkretenHandlungsräumenvordemHintergrundsich
transformierender Strukturen. Die in der modernen Fetischkonstellation angelegten Form‐
zwänge,welchesichauchinderGrenzziehungdesPolitischenartikulieren,negierenwederdie
MöglichkeitnochdieNotwendigkeitderHandlunginnerhalbdieserKondition.Postuliertwird
einzig,dassdieSpielräumeinspezifischerWeiseengerwerdenbzw.schwierigerineinepoliti‐
scheFormzubringende(komplexe)Selektivitätenanzunehmensind.AndersalsesetwaJohn
Hollowaynahelegt,isthierauskeinnihilistischerAbkehrreflexabzuleiten.GeradedieUbiquität
derFormimpliziert,dasseskeinenSinnmacht,das„Ganze“desPolitischeneinfachnurzunegie‐
ren.DennsozialwirkmächtigeHandlungensindineinerfetischistischenFormlogiknichtinei‐
nem„Außen“umsetzbar,sondernmüssendurchdievorgefundeneWiderspruchskonstellation
desobenumrissenenPolitikfetischeshindurch.Diesimpliziertauch,dassdiederGesellschafts‐
formation inhärenten Kräfteverhältnisse, ideologischen Inklusions‐ und Exklusionsmechanis‐
menundzentralenHerrschaftsachsen,wieetwadiepatriarchale,nichteinfachaufhörenzuexis‐
tieren. Klassenkämpfe, Kämpfe gegen (Hetero‐)Sexismus, Rassismus und Nationalismus sind
weiterhingesellschaftlichsituierteAntagonismen.IhreArtikulationineiner(progressiven)poli‐
tischenFormwirdjedochzusehendsschwieriger,weildasFormgefügeeinerfunktionalenrela‐
tivenBesonderungvonökonomischenundpolitischenInstanzenselbstdysfunktionalwird.Jene
Dysfunktionalitätist–imRahmenmodernerFetischverhältnisse–einezugleich„äußere“ wie
auch„innere“,siebegegnetAkteur_inneninstrukturellverstetigterFormundinverinnerlichter
WeisedermöglichenHandlungs‐undDenkweisendesPolitischen.Diesbedeutet,dasssichauch
füremanzipatorischeAkteur_innenAnknüpfungspunkteansPolitischeebensowieHandlungs‐
spielräumeinihmschwierigerfindenlassen.Amdeutlichstenkenntlichwirddieswohldarin,
dass verstetigte politische Konstituierung in Form einer geschlossenen (Meta‐)Subjektivität
27
Eine gewisse Ausnahme stellen die Arbeiten von Alex Demirović (2009) dar, der die Problematik einer Positivierung der politischen Form stellenweise hervorhebt. So etwa wenn er – in Auseinandersetzung mit Marx und der
Rätedemokratie – das Argument der „Überwindung der konstitutiven Differenzierungslinie, durch die sich diese
beiden Sphären voneinander trennen“ (S. 187) als emanzipatorisches Ziel einbringt. Dieser Gedanke wird allerdings
nicht zu Ende geführt, da Demivorić regelmäßig eher an eine kontingenztheoretische Basis anschließt. Ansonsten ist
zwar eine beschränkte Rezeption formanalytischer Theoreme zu verzeichnen (Buckel, 2006; Elbe, 2008; Genetti,
2008; Kannankulam, 2000; Kannakulam & Hirsch, 2006), es findet darüber hinaus jedoch – anders als es im durchaus produktiven Anschluss an Nicos Poulantzas der Fall ist – wenig an systematisch weiterführender formkritischer
Theoriebildung statt.
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heutekaumnochgreifbarist,siegelingtstetsnurtemporärunderscheintfragil.Zugleichwird
dieWidersprüchlichkeitpolitischerProgrammatikenvordemHintergrundkomplexererDiffe‐
renzenimmeraugenscheinlicher.WerdenErkenntnisseeinerformkritischenTheoriederKrise
desPolitischenernstgenommen,sokönnensichemanzipatorischeKräftedieserSchwierigkeiten
nichtentziehen.DasmachtalternativeKonzeptenötig,setztaberzuallererstdieAkzeptanzder
neuenQualitätderWidersprüchlichkeitvoraus.
HierbeikannkritischeTheoriearbeithelfen.Siesollteabstrakte Tendenzen, Richtungsweisun‐
gen und Rahmenbewegungen von strukturellen Möglichkeitsräumen erschließen, denen Ak‐
teur_inneninletzterKonsequenzschwierigentkommenkönnen–auchwennsienichtunmittel‐
bar,alsempirischerlebteZwängeundEinschränkungenpolitischerundnicht‐politischersozia‐
lerHandlungwirken.DieAnnahmeeinerFormkrisedesPolitischenmeintfolglichnicht,dassein
Ende im Sinne eines einfachen (positiven) Zusammenbruchs‐Szenarios absehbar ist. Eher ist
voneinerstetigenAnnäherunganeinAuseinanderbrechengesellschaftlicherSynthesisauszu‐
gehen,wobeidieserProzessderKrisesichdurchausregressivprolongierenkönnte.28DieAn‐
nahmeeinerinnerenSchrankederpolitischenFormerklärtdasPolitischebzw.politischeKämpfe
alsonichtfürunnötig,sondernsollteimGegenteilquaErklärunggesellschaftlicherKrisenver‐
hältnissediesichkategorialveränderndenKoordinatensystemesozialerTransformationabste‐
ckenhelfen.
28
Dies würde autokratischere Herrschaftsszenarien nahelegen, die weit über das hinausgehen, was wir in den westlichen Zentren bereits heute als „neuer Sicherheitsstaat“ (Hirsch, 1995, S. 160) bzw. eigentlich besser als „Unsicherheitsstaat“ erleben, der zusehends „robust“ die Reproduktionsbedingungen absichert. Durchaus instruktiv sind hier
Anknüpfungen an das Konzept des „autoritären Etatismus“ von Nicos Poulantzas, mithilfe dessen Krisendynamiken
auch empirisch sondiert werden können (vgl. z.B. Duma, Lichtenberger & Konecny, 2013; Forschungsgruppe
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