Im Gespräch: Wirtschaftstrends 2015 Rubel-Krise und Sanktionen: Mit intelligenten Anreizsystemen die wichtigsten Mitarbeiter und Führungskräfte in Russland halten. Herr Dr. Krämer, wie schätzen Sie die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland für die deutsche Wirtschaft ein? Dr. Jens Uwe Krämer: Schon längst treffen die Sanktionen nicht mehr nur Russland, sondern auch in immer stärkerem Maße deutsche Unternehmen. Dazu zählen zum Beispiel Firmen aus den Sektoren Medizintechnik, Maschinenbau (diese stehen zum Teil auf der Embargo-Liste wegen sogenannter Dual-Use-Güter) bis hin zu großen Fahrzeugproduzenten, die aufgrund der Abwertung des Rubels keine Fahrzeuge an ihr Händlernetz in Russland liefern können. Besonders betroffen ist darüber hinaus die Nahrungsmittelindustrie. Die Dramatik dieser Entwicklung wird bislang in Deutschland stark unterschätzt. Dr. Jens Uwe Krämer ist Director Osteuropa, Russland & GUS bei Kienbaum Management Consultants und berät Kunden in Osteuropa und Deutschland vor allem in Fragen des Talentmanagement und der Vergütung. Er arbeitet von den Kienbaum-Standorten Wien, Moskau und Frankfurt aus. Aber die deutschen Unternehmen stecken den Kopf nicht in den Sand: Adidas hat sich zum Beispiel schon frühzeitig geäußert, am Geschäft in Russland festzuhalten. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Unternehmen mit Vertriebsniederlassungen in Russland und der Ukraine derzeit vor großen Herausforderungen stehen. Sowohl große mittelständische Firmen als auch Dax-Konzerne, die ihre Produkte in Euro verkaufen, haben Schwierigkeiten, in Russland Absatz zu generieren, weil der Rubel so schwach geworden ist. Viele Unternehmen sehen sich inzwischen zu Gewinnkorrekturen gezwungen, nicht zuletzt bedingt durch die Russland-Krise. Man kann konstatieren: Aktivitäten in Russland sind momentan ein Investment. Das macht es umso schwieriger, zwischen den Konzernzentralen in Deutschland bzw. Westeuropa und den Niederlassungen in Osteuropa ein Verständnis über die Situation und die richtige Vorgehensweise herzustellen. Wie können die deutschen Unternehmen in der derzeitigen Situation agieren, um die Krise bestmöglich zu meistern? Dr. Jens Uwe Krämer: Vorweg sei gesagt: Die Krise wird nicht ewig dauern. Deshalb ist es so wichtig, als Unternehmen zu definieren, welche Mitarbeiter man mittel- und langfristig für das Russland-Geschäft braucht, insbesondere im Vertrieb. Die Schlüsselpersonen sind hier die Vertriebsleiter: Mit ihnen stehen und fallen ganze Vertriebsstrukturen und Kundenstämme. Geht der Vertriebsleiter, nimmt er seine Kunden in der Regel mit. Die Vergütung ist ein wichtiger Stellhebel: Der Trend zur Lokalisierung von Expatriats führt dazu, dass viele Vertragswerke von Führungskräften auf Rubel-Basis (oder als SplitContracts; d.h. zum Teil in Rubel, zum Teil in Euro) verfasst sind. Diese Einkommen sind in der derzeitigen Situation nicht wettbewerbsfähig. Hier müssen die Unternehmen intelligente Lösungen entwickeln, um über Anreizsysteme die wichtigsten Mitarbeiter und Führungskräfte halten zu können. Der Wirkungsmechanismus dieser Systeme muss auf Dauer der Krise begrenzt sein, damit keine unendlichen Belastungen für das Personalbudget entstehen. Geeignete Instrumente Dr. Julia Kupzowa ist Senior Consultant bei Kienbaum Management Consultants und berät Unternehmen insbesondere bei den Themen Strategieentwicklung und Prozessoptimierung. Sie ist von den KienbaumStandorten München und Moskau aus tätig. Im Gespräch: Wirtschaftstrends 2015 Rubel-Krise und Sanktionen: Mit intelligenten Anreizsystemen die wichtigsten Mitarbeiter und Führungskräfte in Russland halten. Interview mit Dr. Jens Uwe Krämer und Dr. Julia Kupzowa (Fortsetzung) sind zum Beispiel Cost-of-Living-Ausgleich, die Umstellung der Auszahlungsrhythmen von Boni gerade im Vertrieb und ggf. die zeitlich befristete Umstellung auf einen rollierend zu berechnenden Wechselkurs. Was wir in Westeuropa ausblenden, ist die Dreifach-Belastung vieler Mitarbeiter in Russland: erstens durch die Abwertung des Rubel, zweitens durch die extrem hohe Inflation und drittens durch den Umstand, dass Darlehen für den Immobilienkauf häufig entweder in Euro, US-Dollar oder Schweizer Franken aufgenommen wurden. Wie können die deutschen Unternehmen in der derzeitigen Situation agieren, um die Krise bestmöglich zu meistern? Dr. Jens Uwe Krämer: Drei Fragen stehen derzeit ganz oben auf der Agenda: 1. Wie halte ich mein Geschäft aufrecht bzw. halte ich das Geschäft überhaupt aufrecht, d.h. ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll? 2. Wer sind die wichtigsten Mitarbeiter, die ich für die Zeit nach der Krise halten möchte? 3. Rubel vs. Dollar/Euro: Wäre eine umfassende Umstellung der Verträge auf ‚harte Währung‘ Sinn machen? Um die zweite Frage zu bewältigen, empfiehlt sich eine Segmentierung in kurz-, mittel- und langfristige Bedarfe mit entsprechenden Stufenplänen. Und Frage 3 ist mit einem klaren Nein zu beantworten. Generell steht fest: Völlig falsch wäre es, wenn die westeuropäischen Unternehmen sich in Schweigen hüllen und sich hinter Excel-Sheets und Guidelines verstecken würden. Stattdessen ist eine intensive und offene Kommunikation mit den Mitarbeitern in Russland nötig. Guidelines müssen für die Dauer der Krise flexibel interpretiert werden, um auf diese außergewöhnliche Situation angemessen zu reagieren. Wie genau kann Kienbaum Unternehmen bei ihrem Russland-Geschäft in Zeiten der Krise unterstützen? Dr. Jens Uwe Krämer: Nicht nur westeuropäische, sondern auch russische Unternehmen sind von der Krise massiv betroffen, an denen nicht zuletzt wiederum auch deutsche Arbeitsplätze hängen; dazu zählen etwa große Energiekonzerne. Diese reagieren auf die gegenwärtige Situation mit Aktivitäten in den Bereichen strategisches Workforce Management und Labour Cost Management. Kienbaum unterstützt westeuropäische Unternehmen in Russland konkret wie folgt: Wir sind vor Ort und zeichnen als erstes die Ist-Situation neutral und objektiv auf. Darüber hinaus helfen wir beim Erfassen und Segmentieren der Problemlage gerade im Vertrieb. Zum Beispiel unterstützen wir dabei, Vertriebsvergütungssysteme flexibler zu gestalten, zum Beispiel mit Gehaltskorridoren anstatt fester Saläre. Unsere umfassende Markterfahrung nutzen wir dazu, um einzuschätzen, welche tatsächliche Gehaltsentwicklung sich künftig abzeichnet. Wir haben das gesamte Instrumentarium der Personalarbeit im Blick: Ob Segmentieren, Teilzeitmodelle, Sabbatical-Lösungen – je nach spezifischer Situation in den Unternehmen ist ein jeweils anderer Mix zielführend. Dr. Julia Kupzowa: Wir beobachten derzeit eine Stärkung des Rubels gegenüber US-Dollar und Euro; russische Börsenindizes sind auch seit vergangenem Dezember sehr dynamisch gestiegen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Krise schon vorüber ist. Vor Ort in unserem Office in Moskau beobachten wir, dass die reale Wirtschaft noch eine sehr harte Zeit durchstehen muss. Der Personalabbau und die Reduzierung des verfügbaren Einkommens werden die russische Kaufkraft negativ beeinflussen. Dies könnte eine negative Kettenreaktion zur Folge haben: Die Konsumenten kaufen weniger, deshalb sinken die Umsätze der Händler, diese wiederum bauen Personal ab – ein mögliches Szenario, das auch Produzenten trifft. Im Gespräch: Wirtschaftstrends 2015 Rubel-Krise und Sanktionen: Mit intelligenten Anreizsystemen die wichtigsten Mitarbeiter und Führungskräfte in Russland halten. Interview mit Dr. Jens Uwe Krämer und Dr. Julia Kupzowa (Fortsetzung) Was müssen westeuropäische Unternehmen bei ihrer Personalarbeit zur Bewältigung der Russland-Krise beachten? Dr. Jens Uwe Krämer: Überaus wichtig ist zu wissen: In Russland erstreckt sich ist die Rolle eines Managers nicht nur auf das Arbeitsleben. Vielmehr haben Manager auch eine soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und ihren Familien. Deshalb stehen Manager in Russland unter erheblichem Druck, wenn Mitarbeiter in soziale Notlagen geraten, etwa wegen Hauskrediten, teurer Lebensmittel oder dem Zugang zu einer erstklassigen ärztlichen Versorgung. Deshalb ist es einerseits aus strategisches Sicht wichtig zu segmentieren, welche Mitarbeiter man halten will und welche nicht. Auf der anderen Seite sollte sich das Unternehmen aber für alle Mitarbeiter in Russland verantwortlich fühlen. Zum Beispiel mit einer Einmalzahlung an Reinigungskräfte, Pförtner usw. Dieses Investment ist es alle Male wert, die Mitarbeiter zu binden. Und es zahlt sich aus, denn in dieser Ausnahmesituation zählt eine solche Geste doppelt. Denn den Schwächsten geht es in der Krise am schlechtesten, so der kollektivistische Geist in der russischen Gesellschaft. Dr. Julia Kupzowa: In der Krise versuchen die Unternehmen eine Balance zwischen fixen und variablen Kosten zu finden. Hierbei sind insbesondere die Personalkosten im Fokus. Die rückläufigen Umsätze und Gewinne zwingen das Management die Höhe der Gehälter und die Anzahl der Mitarbeiter an die neue „Sanktions-Welt“ anzupassen. Dabei ist es sehr wichtig und erfolgskritisch, das Kernpersonal und insbesondere die Verkaufsteams nicht zu demotivieren. Die Bereitschaft des Managements, die Erfolge auf dem schwachen Markt zu teilen, wirkt dabei sehr positiv und motivierend auf die Mitarbeiter. Wie wird Ihre Beratungsarbeit in den nächsten Monaten in Russland aussehen? Dr. Jens Uwe Krämer: Die Krise geht weiter und es ist kein Ende in Sicht. Aber die Unternehmen sollten nicht untätig bleiben. Auch wir sind dauerhaft vor Ort: mit unserem Moskauer Office-Team und mit mir persönlich als Berater, der von Frankfurt, Wien und Moskau aus operiert. Wir unterstützen russische Unternehmen vor Ort in Russland und mit westeuropäischen Filialen genauso wie westeuropäische Unternehmen in Russland. Dadurch verfügen wir über umfassende Marktkenntnisse sowohl in West- als auch in Osteuropa und können die unterschiedlichen Perspektiven gewinnbringend für unsere Kunden in unsere Beratungsarbeit einbringen, um sie auf den schwierigen Weg durch die Russland-Krise erfolgreich zu begleiten. Frau Dr. Kupzowa, Herr Dr. Krämer, herzlichen Dank für das Gespräch.
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