Hochverehrte Professora Nagl-Docekal! Es ist mir eine richtige Freude, Ihnen heute die Laudatio zur Verleihung des Possaner-„Würdigungspreises für ein Lebenswerk“ halten zu können. Sie weisen eine wissenschaftliche Bilderbuchkarriere auf. Dabei wäre eine solche wie die Ihre nach den neuen Karriererichtlinien an der Wiener Universität heute gar nicht mehr so leicht möglich. Sie haben nämlich zwischen 1962 und 2009 alle Karrierestufen allein innerhalb der Universität Wien erklommen. 1962 begannen Sie mit dem Studium der Geschichte, Philosophie und Germanistik, das Sie 1967 mit der Promotio sub auspiciis praesidentis Francisci Jonas krönten. Dann ging der Aufstieg unaufhaltsam weiter: 1968 bis 1985 Universitätsassistentin am Institut für Philosophie, in dieser Zeit 1981 Habilitation mit dem anspruchsvollen Grundlagenthema „Die Objektivität der Geschichtswissenschaft“. 1985 wurden Sie als Assistentin am eigenen Institut Professorin. Sie waren dies bis zu ihrer Emeritierung 2009. Laudatio Paul M. Zulehner 1 So sehr Sie Ihre berufliche Karriere innerhalb der Uni Wien gemacht haben – Sie haben weit über diese hinaus international eine ebenso nachhaltige wie anerkannte Wirkung entfaltet. Die Liste der Orte, an denen Sie als Gastprofessorin wirkten, beeindruckt: Utrecht, Frankfurt, Konstanz, Berlin, Innsbruck, St. Petersburg. Als in Wien gereifte Philosophin genießen Sie in der internationalen Scientific Community einen erlesenen Ruf und mehren so auch die Reputation ihrer Heimatuniversität in Wien. Schon mehrere Jurys zur Vergabe von wissenschaftlichen Auszeichnungen konnten an Ihnen nicht vorüber: 1983 erhielten sie den “Förderungspreis” der Stadt Wien 1997 den “Käthe Leichter Preis”, einen österreichischen Staatspreis, 2009 wiederum von der Stadt Wien den “Preis für Geistes- und Sozialwissenschaften” Und heute erhalten sie als Krönung den für ihr Lebenswerk geradezu maßgeschneiderten Possaner-Preis. Maßgeschneidert: Denn Sie sind eine der international herausragenden feministischen Philosophinnen. Und das in einer Zeit, die Sie kürzlich mit dem Laudatio Paul M. Zulehner 2 Ergebnis einer Studie in England so charakterisierten: „Feminism is overwhelmingly unpopular, indeed‚ almost hated.“ Die Ergebnisse aus meiner eigenen österreichischen Geschlechter-Studie aus dem Jahre 2012 bestätigen die auch unter Frauen weit verbreitete Skepsis gegenüber dem Feminismus. 41% der Frauen unter 29 Jahren – das ist auch der Prozentwert für alle Befragten zusammen – halten den Feminismus für überholt. Zwar stehen zumal jüngere Frauen nach wie vor für Emanzipation, nur - sie kämpfen dafür nicht mehr unter der Flagge des Feminismus. Aber nicht nur im gesellschaftspolitischen Diskurs ist der Feminismus in Krise. Selbst an der Universität Wien gerät „feministische Wissenschaft in Bedrängnis“, so formulierten Anfang des Jahres Besorgte der akademischen Szene rund um die Nachbesetzung der Lehrstühle für Politische Theorie von Eva Kreisky und Genderstudies von Sigrid Schmitz. Für diese antifeministische Tendenz in Gesellschaft und Wissenschaft nennen Sie, verehrte Professora, mehrere Gründe.21 Laudatio Paul M. Zulehner 3 Die patriarchatskritischen Kategorien des Feminismus seien zu simplifizierend. Sexuelle Orientierungen neben der heterosexuellen (zwischen Mann und Frau) kämen nicht in das Blickfeld. Vor allem aber – ich zitiere Sie selbst: „Den harten Kern der Ablehnung bilden jene politisch einflussreichen und die öffentliche Meinung weithin bestimmenden Kreise, die – indem sie propagieren, dass die Zeit des Feminismus endgültig vorüber sei – auf eine Rückkehr zu traditionellen geschlechterhierarchischen Lebensmustern abzielen.“23 Feministische Philosophie ist also heute mehr denn je gesellschaftspolitisch wie biographisch herausgefordert. Deshalb wäre es ein herber Verlust für die Geschlechterforschung, würde der von Ihnen eingeschlagene Weg einer feministischen Philosophie nicht mehr konsequent weiter verfolgt werden. Zu Ihren Verdiensten zählt, dass sie dank Ihrer philosophischen Ausrichtung den Fokus von sex und gender auf die Person verlagert haben. In dieser sehen sie den anthropologischen Grund sowohl für Gleichwertigkeit (egalité) als auch Laudatio Paul M. Zulehner 4 Gleichberechtigung. Nicht mehr die Polarität von Mann und Frau steht bei Ihnen im Mittelpunkt, sondern die durchaus bezogene Einmaligkeit der jeweiligen Person. Dabei verwischen Sie keineswegs die Unterschiede zwischen Geschlechtern. 1 Ihr wissenschaftliches Bemühen zeigt bei diesem philosophischen Ringen eine hohe pontifikale Kraft. Sie huldigen keinem Biologismus, welcher die Unterschiede zwischen den Geschlechtern allein als vorfindbar erklärt. Sie vertreten auch keinen Radikalkonstruktivismus, für den das biologisch Vorfindbare belanglos ist und nur noch das gesellschaftlich Erfindbare zählt. Sie entgehen dieser kämpferischen Polarisierung, indem sie eben die Person in die Mitte rücken. Allerdings sind selbst dank dieser anthropologisch bestens begründeten Akzentverschiebung keineswegs alle denkerischen Herausforderungen vom Tisch. Immer noch bleibt die für das persönliche wie gesellschaftliche Leben brisante Frage offen, wie sich nun das Personale im einzelnen Menschen zu seiner Laudatio Paul M. Zulehner 5 einmaligen Leiblichkeit verhält. Wie formt der ja auch jeweils individuelle Leib mit all seinen wundersamen Ausstattungen biologischer Art die jeweilige Person, diesen einen Menschen, die einmalige Person, und umgekehrt, wie gestaltet „das Personale“ „seinen höchst einmaligen Leib“? Diese Frage ist selbst alltagssprachlich nicht belanglos. Was sagt etwa jener junge Mann von sich, der in der Schlosskirche in Wien seinen Dienst tut und biologisch von beiden Geschlechtern etwas an sich hat? Eine Antwort werde sich, so eine Ihrer zuversichtlichen Positionen, wohl erst am Ende eines langen Weges erschließen. Mir erscheint die Position nicht schlüssig, dass man die Geschlechterdifferenzen deshalb radikal auflösen müsse, weil aus ihnen bislang Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen abgeleitet und legitimiert worden sind. Ich teile diesbezüglich Ihre vorausblickende Vision, dass – erst – nach einer weitgehenden Behebung der Ungerechtigkeiten ernsthaft über Geschlechter und ihre Differenz nachgedacht werden könne. Ganz in diesem Sinn lese ich bei Ihnen: Laudatio Paul M. Zulehner 6 „Wie ist eine Gesellschaft zu denken, in der alle die gleichen Rechte und die gleichen Chancen haben [Egalität], damit sie befreit sind zur Entfaltung ihrer jeweiligen Besonderheiten? Und weiter: Was bedeutet es, unter diesen Bedingungen Frau und Mann zu sein?“ 2 Auch in einem anderen philosophischen Anliegen haben Sie hohe pontifikale Kompetenz erwiesen: Bei der Vermittlung zwischen Glaube und Wissen. Erinnert sei an Ihre gute Zusammenarbeit mit der Philosophie an theologischen Fakultäten in Wien oder auch in Innsbruck, wo Sie eine Gastprofessur wahrgenommen haben. In Erinnerung ist manchen auch das große Symposium zu „Glaube und Wissen“, das Sie zusammen mit Rudolf Langthaler und Juergen Habermas zum Thema “Glauben und Wissen” an der Universität Wien im Jahre 2005 organisiert haben. Das postaufklärerische Brückenbauen zwischen Glaube und Wissen liegt Ihnen schon seit Ihrer Doktorarbeit über den Geschichtsphilosophen Ernst von Lasaulx. Brückenschlagen streben Sie nicht nur in Ihrer Grundlagenarbeit an, sondern Laudatio Paul M. Zulehner 7 verbinden diese pontifikale Denkart auch mit Ihrem feministischen Anliegen. Am Denkort „Geschlecht“ mühen Sie sich ab, auch zur Vermittlung von Moderne und Kirche beizutragen. Das ist auch deshalb für den Erfolg ihrer feministischen Anliegen sinnvoll, ja gerade unverzichtbar, weil zumal die religiösen Legitimationen von traditionellen Geschlechterrollen den Abbau von Ungerechtigkeiten enorm behindern. Es ist ja kein Zweifel, dass sich eine große Zahl von katholischen Bischöfen und Kirchenmitgliedern just von einer Frau, nämlich Gabriele Kuby, in ihrem ererbten einseitigen Essentialismus in der Geschlechterfrage bestärken lässt. Kuby hat (leider sage ich) erheblich mehr Einfluss auf das Lehren der katholischen Kirche als die vielen engagiert arbeitenden feministischen Theologinnen in den christlichen Kirchen. Sie kämpft in geradezu verbissener ideologischer Weise gegen die von ihr so genannte Gender-Ideology. Gender wird von ihr völlig einseitig radikalkonstruktivistisch definiert. Die Gender-Ideology gelte ihrer Meinung nach als Vorwand zur Durchsetzung von gay-marriges, abortion und andere aus ihrer Sicht verwerfliche Vorgänge. Laudatio Paul M. Zulehner 8 Ich hatte während der ersten Familiensynode 2014 dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn ein SMS geschickt mit der Bitte, dafür zu sorgen, dass allein der Begriff gender-ideology im Schlusstext nicht mehr vorkomme. Er versprach es, schaffte es aber nicht. Leider steht im Schlusstext der Bischofssynode zu lesen: „Eine kulturelle Herausforderung, die heute von großer Bedeutung ist, geht von der „Gender“-Ideologie aus, welche den Unterschied und die natürliche Verwiesenheit von Mann und Frau leugnet. Sie stellt eine Gesellschaft ohne Geschlechterdifferenz in Aussicht und höhlt die anthropologische Grundlage der Familie aus. Diese Ideologie fördert Erziehungspläne und eine Ausrichtung der Gesetzgebung, welche eine persönliche Identität und affektive Intimität fördern, die von der biologischen Verschiedenheit zwischen Mann und Frau radikal abgekoppelt sind. Die menschliche Identität wird einer individualistischen Wahlfreiheit ausgeliefert, die sich auch im Laufe der Zeit ändern kann.“1 1 Familiensynode: Relatio, Rom 2015, Nr. 8. Laudatio Paul M. Zulehner 9 Der Einfluss von Gabriele Kuby ist trotz fachlicher Kritik unter vielen Theologinnen und Theologen Europas bislang ungebrochen. Umso wertvoller ist der Versuch von Ihnen, Frau Professora, zwischen einem einseitigen Essentialismus und einem ebenso einseitigen Radikalkonstruktivismus zu vermitteln. Wenn etwas ideologisch ist, dann wohl eben diese verfeindeten Extrempositionen. Gerade als katholischer Theologe fühle ich in mir für Ihren brückenbauenden Beitrag zu dieser Auseinandersetzung Dankbarkeit. Etwa für ihren Beitrag: „Geschlechtergerechtigkeit: Wie könnte eine philsophische Perspektive für die theologische Debatte von Relevanz sein?“2 Meine knappen Anmerkungen zu wichtigen Momenten in ihrem großen Lebenswerk konnten dieses gewiss nicht ausreichend würdigen. Die Verleihung des Possanerpreises möge meine Laudatio auf symbolischer Ebene abrunden. 2 Theologische Quartalschrift 195 (2015) 75-94. Laudatio Paul M. Zulehner 10
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