Magie des Geldes Auf dem Sprung nach Deutschland Von Florian Schwab _ Vor einem Jahr haben die Fintech-Pioniere Oliver Herren und Felix Niederer ihre Online-Vermögensverwaltung aufgeschaltet. Wie ist es ihnen im Markt ergangen? Depot-Eröffnung per Mausklick? Unternehmer Niederer (l.), Herren. «Fintech» ist in aller Munde. Konferenzen, gute Geschäftsideen und noch bessere Absichten spriessen wie Pilze aus dem Boden. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) und die Schweizerische Bankiervereinigung stimmen in den Ruf ein: Digital soll er werden, der Finanzplatz; finance und technology sollen zu Fintech fusioniert werden. Vor drei Jahren, als das Wort Fintech noch niemand kannte, beschlossen zwei junge Unternehmer, Ernst zu machen: Oliver Herren (36), der zuvor erfolgreich den Online-Shop Digitec aufgebaut hatte, und Felix Niederer (42), ein ETH-Physiker mit langjähriger Erfahrung in der Bankenwelt. Gemeinsam gründeten sie das Start-up True Wealth. Herren war beim Verkauf von Digitec an die Migros zu Vermögen gekommen. Er sprach bei etlichen Banken vor, um sich bei der Anlage beraten zu lassen. Doch der Jungunternehmer erlebte eine Überraschung: Die Schweizer Vermögensverwaltung ist in den neunziger Jahren stehengeblieben. Keine Bank konnte ihm bieten, was er wollte: eine breit diversifizierte Online-Vermögensanlage ohne Schnickschnack und ohne offene oder versteckte Erwartungen an den Kunden, sich an teuren Repräsentationskosten des Bankhauses zu beteiligen. Also beschloss Herren kurzerhand, eine solche Online-Vermögensverwaltung zu gründen. Das Finanzmarkt-Know-how brachte Weltwoche Nr. 44.15 Bild: Fabian Häfeli für die Weltwoche sein Geschäftspartner Felix Niederer ein. Die Geschäftsidee basiert auf einfachen Annahmen: Es ist fast oder ganz unmöglich, mit taktischen Anlageentscheidungen langfristig eine höhere Rendite als den Markt-Durchschnitt zu erzielen, wie dies auch die Theorie der effizienten Märkte besagt. Und: Die erwartete Rendite eines Anlageportfolios hängt vom Risiko ab, das ein Anleger zu tragen bereit ist. Wer sein Vermögen mit True Wealth investiert, muss zuerst Fragen zum Risiko beantworten, das er einzugehen willens und in der Lage ist. True Wealth generiert dann automatisch ein darauf abgestimmtes Portfolio aus Anlageklassen wie Aktien, Obligationen, Immobilien und Rohstoffen. Der Anleger kann danach die Anteile der verschiedenen Klassen und Unterklassen von Hand ändern, sofern er dies möchte. Anschliessend überweist er den zu investierenden Betrag auf ein persönliches Konto bei der Depot-Bank von True Wealth, wo dieser automatisch gemäss den Vorgaben angelegt wird. Kurzum: Herren und Niederer erheben den Anspruch, aus finanzwirtschaftlicher Sicht optimale Anlage-Portfolios zusammenzustellen. Die dafür notwendige Mathematik spielt sich unter einer intuitiven Benutzeroberfläche ab. Bereits mit einem Betrag von unter 10 000 Franken ist man dabei. Vergleichbare Vermö- gensverwaltung ist bei Privatbanken erst ab mehreren hunderttausend Franken denkbar. Mit einer All-inclusive-Verwaltungsgebühr von 0,5 Prozent des Anlagevolumens ist True Wealth zudem im Vergleich mit herkömmlichen Anbietern überaus konkurrenzfähig. Fünfhundert Kunden Vor einem Jahr wagte der Vermögensverwalter den Markteintritt (Weltwoche Nr. 43/14, «Jagdfreunde»). Wie ist das Angebot auf dem Markt angekommen? Wir treffen Felix Niederer und Oliver Herren in Zürich. Sie sprühen vor Zuversicht und Tatendrang. Kürzlich hat die Firma einen vierten Mitarbeiter eingestellt, der für die Kundengewinnung zuständig ist. Auf Werbung hat True Wealth bislang verzichtet. Trotzdem habe das Unternehmen bereits gegen 500 Kunden, erzählen die Jungunternehmer. Insgesamt summieren sich die verwalteten Vermögen auf über zwanzig Millionen Franken. Die Gründer hoffen darauf, dass bisherige Investoren nach einer «Testphase» ihr Anlagevolumen weiter erhöhen. Fürs Erste ist Oliver Herren zufrieden: «Wir sind innerhalb des Business-Plans.» Die Gewinnschwelle werde die Online-Vermögensverwaltung bei rund 200 Millionen Franken erreichen. Ein weiter Weg, doch die Gründer sind überzeugt, dass es in der Schweiz zu schaffen ist. Ihre Ambitionen allerdings gehen über die Landesgrenzen hinaus. Sie wollen ins europäi sche Ausland expandieren, sobald die Finan zierung gesichert ist. Zwei bis drei Millionen Franken würde dieser Schritt ins nördliche Nachbarland kosten. Obwohl alle von Fintech sprechen, sei es «nicht einfach, Investoren zu finden», so Niederer. Von sich aus seien zwei True-Wealth-Kunden auf die beiden Unternehmer zugekommen und hätten je einen niedrigen sechsstelligen Betrag investiert. Weitere strategische Optionen für Niederer und Herren beinhalten die Zusammenarbeit mit Banken, denen sie ihre Plattform als sogenannte white labelling-Lösung anbieten könnten. Doch momentan versuchen es die Unternehmer allein. Auch ein Entwurf für Sparpläne bei der dritten Säule, wo die Erträge steuerfrei sind, liegt in der Schublade. Abschreckend wirkt hier momentan die Regulierung. True Wealth, das derzeit als unabhängiger Vermögensverwalter einer Selbstregulierungsorganisation ange schlossen ist, müsste eine Anlagestiftung gründen oder sich einer bestehenden anschliessen. Beides wäre mit einem höheren Aufwand für die Umsetzung zusätzlicher Regulierungen verbunden. Überhaupt die Politik: Laut Nie derer und Herren stehen behördliche Auflagen vielen Fintech-Anwendungen im Weg. Die Kunden seien es gewohnt, dass die Dinge im Internet schnell gingen. Doch als Vermögensverwalter muss man bis heute seine Kunden auf dem Postweg zweifelsfrei identifizieren können. Depot-Eröffnung per Mausklick? So weit g ist man in der Schweiz noch nicht. 73
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