Psychotherapie UND Depression Ist eines von beiden nicht genug Leid... ? hauckundbauer.de Nico Niedermeier und Tim Pfeiffer-Gerschel 3. Deutscher Patientenkongress Depression, Leipzig, 12.09.2015 Am Anfang – gehören Sie dazu (?)… Seien wir optimistisch! Mehr Betroffene werden in der Versorgung als „depressiv“ erkannt (noch nicht genug …) … und richtig diagnostiziert ist nicht gleich „gut behandelt“ Und: Welche Form der Psychotherapie bedeutet denn „gut behandelt“? Jacobi, F., et al., Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung - Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Der Nervenarzt, 2014. 85(1): p. 77-87. DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, AkdÄ, BPtK, BApK, DAGSHG, DEGAM, DGPM, DGPs, DGRW (Hrsg) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression*. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression - Langfassung, 2. Auflage, Konsultationsfassung, 20. Juli 2015. Available from: www.depression.versorgungsleitlinien.de Am Anfang – gehören Sie dazu (?)… Seien wir optimistisch! Auch, wenn alles „optimal“ beginnt (Kontakt mit [Fach-]Arzt, Diagnostik, Aufklärung über psychotherapeutische und medikamentöse Optionen, Orientierung an den S3 Leitlinien/Nationalen Versorgungsleitlinien*) gibt es zahlreiche „Realitäten“ (Versorgungsrealität, Fachwissen, Diagnostik, Motivation), die den Therapieverlauf beeinflussen werden Und dann entstehen viele Unsicherheiten und manche Irritation Wir möchten erläutern, warum dies (unter anderem) der Fall ist … Jacobi, F., et al., Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung - Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Der Nervenarzt, 2014. 85(1): p. 77-87. DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, AkdÄ, BPtK, BApK, DAGSHG, DEGAM, DGPM, DGPs, DGRW (Hrsg) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression*. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression - Langfassung, 2. Auflage, Konsultationsfassung, 20. Juli 2015. Available from: www.depression.versorgungsleitlinien.de Kognitive VT Eine Vielzahl an Möglichkeiten…. Empirische Befunde unterstützen die Rolle der Psychotherapie, v.a. Kognitive Verhaltenstherapie Interpersonelle Therapie Psychodynamische Kurzzeittherapie Leitlinien sehen Kombination mit Antidepressiva vor (schwere/mittelgradige depressive Episode) …und das ist nur der Anfang MBCT + Tiefen-PT + ACT Interperso nelle-PT Depression Gesprächs - PT CBASP Systemische - PT Hypnotherapie Was „man“ so braucht – Es kommt darauf an.. Erkrankungsphasen und Behandlungsabschnitte Chronisch Psychotherapie UND Depressionen können sehr ‚erfolgreich‘ sein … Ausgewählte Ergebnisse aus Metaanalysen und RCTs (zit. nach DGPPN, BÄK, KBV et al. (2015)1)) Akute, leichte, mittelschwere Depression Schwere Depression Kognitive Verhaltenstherapie KVT >/= AD KVT > Wartekontrollgruppe KVT = IPT, supp. PT, >/= STPP, ACT KVT = AD KVT + AD > KVT KVT + AD > AD Interpersonelle Psychotherapie IPT >/= AD IPT > Wartekontrollgruppe IPT >/= KVT, IPT > supp. PT IPT + AD > IPT IPT + AD > AD Psychodynamische Kurzzeittherapie Psychodyn. KZT > Wartekontrollgruppe Psychodyn. KZT =/> KVT Verfahren KVT = Kognitive Verhaltenstherapie; AD = Antidepressiva; IPT = Interpersonelle Psychotherapie; supp. PT = supportive Psychotherapie; STPP = Psychodynamische Psychotherapie; ACT = Akzeptanz- und Commitmenttherapie 1) DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, AkdÄ, BPtK, BApK, DAGSHG, DEGAM, DGPM, DGPs, DGRW (Hrsg) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression*. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression - Langfassung, 2. Auflage, Konsultationsfassung, 20. Juli 2015. Available from: www.depression.versorgungsleitlinien.de Herr K. Ein Beispiel 32 Jahre alt, Architekt, verheiratet, keine Kinder. Während der letzten Monate schleichend aufgetretene depressive Symptomatik, nach Beförderung und Heirat. Akut: Stark negative Gedanken über sich („ich bin immer mit allem gleich überfordert“) die Umwelt („alle halten mich für einen Versager“) und die Zukunft („das wird nie wieder besser“). Körperlich ausgeprägte Unruhe, in Gedanken immer bei zukünftigen Aufgaben, „kann nicht im Augenblick leben“. Stark rückzügliches Verhalten, Sozialkontakte, Sport und Hobbies völlig vernachlässigt. Ehefrau des Patienten wollte unbedingt heiraten, er selbst hatte Angst vor „so viel Nähe“, konnte dies aber nicht artikulieren. Auch in der Arbeit „eigentlich keine Lust auf Beförderung“ („so viel Verantwortung“), traute sich nicht, dies kund zu tun. In der Kindheit ängstlich und unsicher. Zudem streng fordernde „kaltherzige“ Eltern, die sehr unglücklich miteinander verheiratet waren. Psychotherapeutische Therapieoptionen für Herrn K. Idealisiert… Akut: Stark negative Gedanken über sich („ich bin immer mit allem gleich überfordert“) die Umwelt („alle halten mich für einen Versager“) und die Zukunft („das wird nie wieder besser“) Kognitive VT Körperlich ausgeprägte Unruhe, in Gedanken immer bei zukünftigen Aufgaben, „kann nicht im Augenblick leben“ MBCT Stark rückzügliches Verhalten, Sozialkontakte, Sport und Hobbies wurden in den letzten Jahren völlig vernachlässigt Klassische VT Die Ehefrau des Patienten wollte unbedingt heiraten, er selbst hatte Angst vor „so viel Nähe“, konnte dies aber nicht artikulieren. Auch in der Arbeit „eigentlich keine Lust auf Beförderung“ („so viel Verantwortung“), traute sich nicht dies kund zu tun IPT In der Kindheit ängstlich und unsicher. Zudem streng fordernde „kaltherzige“ Eltern, die sehr unglücklich miteinander verheiratet waren. Tiefenpsychologische Therapieverfahren Psychotherapie UND Depressionen können sehr ‚erfolgreich‘ sein … müssen aber nicht. Empirische Befunde Verfahren Dysthymia Kognitive Verhaltenstherapie KVT </= AD KVT + AD > AD Interpersonelle Psychotherapie IPT < IPT + AD IPT + AD = AD IPT = supp. KZT Kognitive Verhaltenstherapie (CBASP) Chronische Depression CBASP + AD > CBASP, AD CBASP < AD (mit frühem Trauma) CBASP > AD (ohne frühes Trauma) KVT = Kognitive Verhaltenstherapie; AD = Antidepressiva; IPT = Interpersonelle Psychotherapie; supp. KZT = supportive Kurzzeitpsychotherapie; CBASP = Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy Wo tauchen die Betroffenen erstmalig auf… Und (wie) kommen sie dann an eine Psychotherapie? Gerste, B. & C. Roick, Prävalenz und Inzidenz sowie Versorgung depressiver Erkrankungen in Deutschland. Versorgungs-Report 2013/2014. Schwerpunkt Depression, ed. J. Klauber, et al. 2014, Stuttgart: Schattauer Identifizierbare Probleme – Auswahl des Therapeuten Willkommen in der Wirklichkeit Wichtige Faktoren Regionale Aspekte (Verfügbarkeit von Therapeuten, Wartezeiten) Empfehlungen von Vertrauenspersonen („Geh doch mal zum Psychotherapeuten“) Fachliche Qualifikation („Wochenendtherapeut“) Chemie der Beteiligten untereinander – Beziehungsaspekt („Wie können wir miteinander?“) Abgleich der Health-Belief Modelle („Warum glauben wir, bin ich depressiv?) Definitiv relevant Optimal: Kombination aus formalen Aspekten (Achten Sie darauf!) und positiv erlebter Beziehung (Denken Sie an viele Stunden der gemeinsamen Arbeit…) Identifizierbare Probleme – Auswahl des Verfahrens Betroffener wählt sein Behandlungsverfahren, … … nach freiem Platz … ohne mit der Methode vertraut zu sein … evtl. obwohl es bei der vorliegenden Symptomatik schlecht geeignet erscheint Behandler … erklärt sein Behandlungsverfahren nicht … kennt alternative Verfahren nicht oder weist nicht darauf hin … hat Vorurteile gegenüber anderen Verfahren … überprüft nicht, ob alternative Verfahren besser für den Betroffenen geeignet wären Identifizierbare Probleme – Diagnostik Plötzlich einsetzendes Morgentief, Unruhe, Agitiertheit, Konzentrationsstörung Schon immer sozial schlecht integriert, ängstlich vermeidend, unsicher, Beförderung Nach dieser Depression Vermehrt Ängstlichkeit, Rückzug, Überforderungsgefühl „Leitwolf“, immer 60 Stunden gearbeitet, nebenbei ein Haus gebaut und zwei Bücher geschrieben Zusammenbruch Frühe Trennung der Eltern, sexueller Missbrauch durch Freund der Mutter, in der Pubertät schon Ritzen und chronische Suizidalität Fokus in der Therapie auf… Ursachen (oft gewünscht…) Aufrechterhaltende Bedingungen (oft nicht klar) Funktionale Bedingungen (oft kompliziert) Veränderungsmöglichkeiten (oft unbequem und belastend) Multidimensionale Diagnostik erforderlich Machen wir es noch etwas komplizierter… Studien belegen, dass manche depressive Patienten innerhalb einer Therapie rascher Fortschritte machen als andere. Wirkungs- und Wirksamkeitsunterschiede gehen zurück auf Unterschiede bzgl. Persönlichkeit Prämorbider Belastungen Lebensgeschichten (z.B. sexueller Missbrauch, Traumatisierung, Verlusterlebnisse) Kultureller Hintergründe Reflexionsvermögen und –bereitschaft Beziehungen Soziale Kompetenzen Ergebnis Komorbiditäten Variationen im Störungsbild „Leben“ vs. „Störungslehre“ Was leistet Psychotherapie Kann Psychotherapie das, was diagnostiziert werden kann, auch immer „lösen“? Arbeitsplatzverlust Trennungserfahrungen „Burn-Out“ durch Überlastung Vereinsamung Somatische Erkrankungen Psychotherapie kann häufig helfen die Folgen von Leid erträglicher zu machen, sie kann kein gelebtes Leben umschreiben… Frau P. Noch ein Beispiel Lebhafte, hübsche, 44 jährige Patientin, mit einem histrionischen Persönlichkeitsstil Alleinerziehende Mutter eines dreijährigen Sohnes, Vater des Kindes ist Südamerikaner, kümmert sich nicht, zahlt keinen Unterhalt Frau P. ist Kommunikationswissenschaftlerin, findet keinen Job im erlernten Beruf, arbeitet als Dozentin an einer privaten Hochschule, 18 Stunden pro Woche, diese sind über den ganzen Tag verteilt. Das erarbeitete Gehalt liegt knapp über Harz IV Die Eltern der Pat. wohnen über 300 Kilometer entfernt Frau P. ist chronisch erschöpft, rückzüglich, hat ein ständig ein schlechtes Gewissen gegenüber Ihrem Kind, keine Zeit für sich, keine Partnerschaft, fühlt sich einsam, leidet unter Schlafstörungen und zunehmender depressiver Stimmung, bei massivem Überforderungsgefühl Und – „Again what learnt?“ (Lothar Matthäus) Wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns mal janz dumm … (Gymnasialprofessor Bömmel) Eignen Sie sich Fachwissen an, werden Sie zu Experten ihrer Erkrankungen Überlegen sie gut, zu wem Sie sich in Therapie begeben und „was“ sie „wie“ behandeln möchten Aber: Lassen Sie sich aktiv helfen und suchen Sie Unterstützung Übertragen Sie theoretische Befunde aus Studien nicht 1:1 auf sich So schwer es ist: Seien Sie mutig, lassen Sie es auf einen Versuch ankommen Prüfen Sie Fakten und sprechen in der Therapie doch von Persönlichem Profitieren Sie von der „Breitbandwirkung“ der Psychotherapie Passung Klient und Therapeut….unspezifische Wirkfaktoren in der Psychotherapie Besondere Qualität und systematische Gestaltung der therapeutischen Beziehung. Dies beinhaltet, eine akzeptierende, offene und aktiv zuhö-rende und mitfühlende Arbeitsbeziehung zu etablieren, die dazu beiträgt, Gefühle von Wertlosigkeit und Demoralisierung seitens der Patienten zu lindern sowie soziale Unterstützung zu gewähren. Die Qualität der therapeutischen Beziehung bzw. des Arbeitsbündnisses von Patient und Therapeut trägt signifikant zur Erklärung positiver Therapieeffekte bei und wird als einer der wichtigsten Behandlungs-faktoren betrachtet Wirkfaktor Ressourcenaktivierung Wirkfaktor Problemaktualisierung Wirkfaktor Problembewältigung: Wirkfaktor motivationale Klärung: Therapeutenvariable Patientenvariable Health Belief Modell S 3 Leitlinien zur unipolaren Depression,Stand 20.07.2015 Gute Therapeuten Gute Klienten Schlechte Therapeuten Schlechte Klienten Störfaktoren….. Nebenwirkung von Psychotherapie……….. Was können wir alle daraus lernen…..
© Copyright 2024 ExpyDoc