Philosophischer Essay

Philosophischer Essay
„Die Menschenrechte sind eine westliche Erfindung, im Wesentlichen zuerst formuliert Ende
des 18. Jahrhunderts in der amerikanischen Verfassung. [...]
Ich bin wahrscheinlich stärker am Frieden orientiert als an den Menschenrechten.
Das hängt aber mit meiner Kriegserfahrung zusammen.“
(Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt im ZEIT-Magazin vom 9.1.2014)
von Janne Kühner
Helmut Schmidt stellt in seine Aussage die Menschenrechte als Dogma des westlichen
Kulturkreises dar und benennt somit indirekt die bestehende Problematik: Der Westen
generalisiere seine Ansichten und beziehe sie trotz großer kultureller Differenzen
leichtfertigerweise auf die ganze Welt.
Seiner Meinung nach ist das Streben nach Frieden von größerer Wichtigkeit, da dieses
universeller und über verschiedene Kulturen hinausgehend sei. Zwar schränkt er seine
Aussage ein, indem er sie ausdrücklich als subjektive Sichtweise darstellt und mit seiner
Kriegserfahrung im 2. Weltkrieg begründet, nichtsdestotrotz deutet sie die Forderung an, sich
vordergründig auf die Wiederherstellung, bzw. Bewahrung des Friedens zu auszurichten.
Vor Beginn einer Erörterung dieses Problems scheint es jedoch sinnvoll, die Begriffe
„Menschenrechte“ und „Frieden“ zu definieren.
Unter Menschenrechten verstehen wir die Grundrechte des Menschen, unabhängig seiner
Herkunft, Kultur, seines Geschlechts oder Alters. Jeder hat das Recht auf Leben, auf
körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Bildung, um nur einige zu nennen. Auch die
Menschenwürde spielt eine wichtige Rolle. Allerdings müsste man prüfen, ob der hohe
Stellenwert, den man den Menschenrechten zuteilt, wirklich und wie von Schmidt angedeutet
weltweit derselbe ist.
Die Erklärung des Begriffes „Frieden“ scheint ebenfalls nur auf den ersten Blick einfach.
Zuerst einmal bedeutet Frieden die friedliche, d.h. gewaltfreie Koexistenz zweier Parteien.
Nun stellt sich jedoch die Frage, wie weit die Begriffe „gewaltfrei“ und „Parteien“ reichen.
Man kann bei letzteren von Staaten, Kulturen, Religionen, aber auch von Einzelpersonen, z.B.
Nachbarn oder Mitschülern reden. Auch Gewalt und Konflikte existieren auf allen Ebenen.
Allerdings unterscheidet man zwischen physischer und psychischer Gewalt. Wenn sich ein
Land nicht im Krieg befindet oder jemand nicht regelmäßig verprügelt wird, heißt das also
noch lange nicht, dass Frieden herrscht, da auch Worte oder Gesten verletzen können.
Doch letztendlich - und ganz im Sinne meiner Darstellung des Problems in der Einleitung muss ich diese versuchten Definitionen als westlich geprägt und subjektiv hinstellen und mich
fragen, ob es so etwas wie universelle und objektive Definitionen überhaupt gibt.
Doch woran sollte man sich letztendlich mehr orientieren?
Zunächst muss klargestellt werden, dass Schmidt weder Menschenrechte, noch Frieden
ablehnt. Er stellt erstere lediglich als eine Erfindung des Westens dar, impliziert dabei aber
den Vorwurf, man gehe fälschlicherweise davon aus, das Verständnis von Menschenrechten
und der hohe Stellenwert, der ihnen zugesprochen wird, sei überall auf der Welt gleich. Daher
sei es besser, sich am Frieden auszurichten.
1 Ein Kritikpunkt, den Gegner des universellen Menschenrechtsgedankens anbringen, ist, dass
Menschenrechte das Individuum in den Mittelpunkt stellen. Dies sei typisch westlich und
widerspräche z.B. Werten der asiatischen Kultur, in der das Kollektiv den höchsten
Stellenwert besitze. Das gemeinsame Streben nach Frieden würde hingegen beiden Kulturen
gerecht werden und die Völkerverständigung fördern. Gestört würde diese stattdessen durch
die Einmischung und Druckausübung westlicher Staaten als – überspitzt formuliert „selbsternannte Menschenrechtspolizei“.
Meiner Meinung nach muss man Konflikte in Kauf nehmen, um Menschenrechte zu schützen
und Verletzungen zu verhindern, da Menschenrechte unsere Grund- und Freiheitsrechte
darstellen, die staats- und dementsprechend gesetzübergreifend gelten und uns alle
gleichermaßen schützen. Es ist deswegen richtig und wichtig, dass sie das Individuum
schützen und ihm gleichzeitig Grenzen aufzeigen. Denn auch wenn man die Gemeinschaft
und die Gruppe in den Vordergrund stellt, darf man nicht vergessen, dass diese aus
individuellen Einzelpersönlichkeiten bestehen, deren Würde und Freiheit im Denken und
Handeln gesichert werden muss.
Auch wenn der Frieden ebenso wichtig für Individuum und Gesellschaft ist, darf man keine
Menschenrechtsverletzungen hinnehmen, bzw. zulassen, nur um des Friedens willen. Dadurch
würden die Menschenrechte ihren Wert und der Mensch seinen Rechte und somit seinen
Schutz verlieren.
Man könnte an dieser Stelle argumentieren, dass man, wenn man Menschenrechten und deren
Verteidigung oberste Priorität zuschreiben würde, keinen Krieg mehr führen dürfe, auch nicht
im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, da im solchen zwangsläufig Menschenrechte
gebrochen werden, allen voran das Recht auf Leben.
Doch dieses Argument vertritt erstens eine kompromisslose Ablehnung von Krieg und
impliziert damit, dass man sogar gezwungen sei, Terrororganisationen gewähren zu lassen.
Zweitens schützt uns Frieden zwischen Staaten ebenfalls nicht vor Menschenrechtsverletzungen, da – wie in meiner Definition schon angedeutet – Frieden nicht nur auf
staatliche Ebene bezogen werden darf, genauso wenig wie Menschenrechte, bzw. deren
Verletzung.
In der Konklusion bedeutet das nun, dass man sich zuerst an den Menschenrechten orientieren
muss, da sie über alle Staatsgrenzen hinaus das Individuum und seine Würde schützen und
gleichzeitig seine Rechte und Handlungsgrenzen definieren. Zwar ist der Frieden
gleichermaßen wichtig, doch darf man auf keinen Fall Verletzungen der menschlichen
Freiheit im Denken und Handeln und seiner Würde hinnehmen. Allerdings schränkt Helmut
Schmidt seine Aussage ein, indem er sie mit seiner Kriegserfahrung begründet. Daher muss
ich hinzufügen, dass meine Argumentation diese Perspektive nicht berücksichtigt und nicht
berücksichtigen kann, da ich selbst nie solche Erfahrungen gesammelt habe.
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