AUSLESE - Fachzeitschriften Religion und Theologie

AUSLESE | Empfehlung
Text: Mirjam Zimmermann
»Ich konnte Julian immer weniger verstehen. Und
ohne diesen Murat jemals kennengelernt zu haben,
begann ich ihn zu hassen, denn Julian sprach so
liebevoll von dieser Religion, die er von diesem Murat hatte, wie andere über ihre Freundin sprechen.
Es war, als würde sich Stück für Stück etwas Großes,
Trennendes zwischen uns schieben, uns auseinanderreißen …«
Romea und Julian sind die Protagonisten in Anna
Kuschnarowas Roman »Djihad Paradise«, der, wie
durch das literarische Vorbild angelegt, eine tragische Liebesgeschichte erzählt und dabei plastisch das
Bild einer muslimisch salafistischen Bewegung zwischen Tradition und Terror zeichnet. Dabei werden
die Leserinnen und Leser von Anfang an durch den
kurz bevorstehenden Selbstmordanschlag auf dem
Berliner Alexanderplatz in Atem gehalten. Julian ist
dort, um die »ungläubigen Kuffar« in die Hölle zu
bringen, als er zufällig seiner früheren Geliebten
Romea begegnet. Dieser war erzählt worden, Julian
wäre als Kämpfer der Al-Qaida gefallen.
Zwei Handlungsstränge erzählen dann abwechselnd
aus der Perspektive von Romea und Julian die Vorgeschichte: Die schwierige Familiensituation von
Julian, die ihn zum Verbrecher macht, die Beziehung
zu Romea, einem Mädchen aus akademischem
Haus, das so gar nicht zu ihm zu passen scheint,
die Bekehrung durch Murat im Gefängnis, geheime
Hochzeit und Eintritt in den Islam, das abgeschottete Leben in der salafistischen Gemeinschaft, Julians
Koranstudien in Ägypten, Gehirnwäsche und Ausbildung bei den Mudschahedin in Afghanistan.
Romea ist von Julian so angezogen, dass sie sich
dem Elternhaus schnell entfremdet und sich in einer
symbiotischen Beziehung nicht nur für den Nichtsnutz begeistert, sondern auch immer mehr für den
Islam interessiert, um Julian nicht zu verlieren. Für
sie ist die unbekannte Religion auch eine intellektu-
elle Herausforderung. Dennoch passt sie sich an die
traditionellen Regeln der Gemeinde an, die Frauen
eher eine untergeordnete Rolle zuweisen. Ihre Eltern
haben keine Chance, sie nach Hause zu holen. Erst
als Romea von Julians Djihadplänen erfährt, wacht
sie auf und versucht ihn verbal zu überzeugen. Julian, der sich jetzt Abdel nennt, quittiert dieses Aufbegehren, indem er Romea bis zur Bewusstlosigkeit
verprügelt. Sein Verhalten begründet er damit, dass
seine Freundin »zwischen Allah, dem Allmächtigen,
und mir« stand, »weil ich sie mehr geliebt hatte als
ihn«. Durch diesen persönlichen Bruch ist er den
Verlockungen des rigiden Weltbilds des Islamismus
und den Verführungen einer autoritären religiösen
Gemeinschaft endgültig erlegen. Der Kontakt zur
Außenwelt ist abgeschnitten, willig geht er ins Ausbildungscamp für Djihadisten. Obwohl ihn die grausamen Erlebnisse im pakistanisch-afghanischen
Grenzgebiet wie beispielsweise der Selbstmord seines
Freundes zweifeln lassen, endet die Handlung mit
dem lange vorbereiteten Anschlag: Auf dem Berliner
Alexanderplatz allerdings zweifelt Julian bei der
zufälligen Begegnung mit Romea, schon mit einem
Sprengstoffgürtel ausgestattet, an seinem Auftrag.
Durch einen tragischen Unfall, so müssen die Leser­
Innen folgern, kommt es dennoch zur Auslösung:
»Romea ist das Letzte, was ich spüre. Over.«
KatBl 140 (2015) Heft 5 | 2 015
Anna Kuschnarowa,
Djihad Paradise,
Weinheim (Beltz &
Gelberg) 2013, 416 S.,
€ 14,95
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