Doron Rabinovici - Fakultät für Kulturwissenschaften

30. Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller
im Wintersemester 2011/12
Doron Rabinovici:
Manche Menschen kenne ich von später – oder:
Was fällt mir eigentlich ein?
Schreiben als Erinnerung, Vorstellung und Eigensinn
Themen und Termine:
(jew. montags, 16.15-17.45 Uhr in Hörsaal G)
05.12.2011
Diesseits und Jenseits von Ohnehin. Auftaktlesung
09.01.2012
Nach Wilna. Oder: Schreiben und Erinnerung
16.01.2012
Das Unerhörte zur Sprache bringen
23.01.2012
Wahrheit oder Pflicht. Schreiben zwischen Lust, Last und Notwendigkeit
30.01.2012
Texte aus Andernorts. Abschlusslesung
Mit Witz und Ironie setzt Doron Rabinovici
dings weist dabei in Rabinovicis Literatur
sich in seinem literarischen Werk immer wie-
stets hinaus auf Probleme des Zusammenle-
der aufs Neue mit der Dialektik von Erinnern
bens in den multiethnischen Industriegesell-
und Vergessen, mit der Konstruktion von Ge-
schaften. So sind Rabinovicis Figuren – zu-
schichte und Vergangenheit, nationaler (Ös-
mal in den Romanen Ohnehin (2004) und
terreich) und kultureller (jüdischer) Identität
Andernorts (2010) – immer auch Repräsen-
auseinander. Die Wurzeln von Rabinovicis
tanten einer hybriden ‚Migrationsmelange’,
ebenso artifiziellem wie unterhaltsamem Er-
die Trennendes mischt. Das ‚jüdische‘ The-
zählen reichen dabei einerseits zurück bis zu
ma, so beschreibt Rabinovici selbst den ‚Ort‘
Leo Perutz und Alfred Kubin, weit in die Tra-
seiner Literatur, „berührt die Fragen aller
ditionen des Phantastischen und Surrealen
Minderheiten überhaupt in unserer multikul-
also (vgl. hier insbesondere die Erzählungen
turellen Zeit, [ein Thema,] das natürlich
aus „Papirnik“ [1994] und den Roman Suche
weltweit wichtiger geworden ist. Wir sind
nach M. [1997]); andererseits ist sein Erzäh-
insofern in eine Rolle gekommen, in der wir
len ganz gegenwärtig in dem Bemühen, dem
etwas aussprechen, wonach ein Bedarf be-
komplexen Verhältnis von Vergangenheit und
steht.“
Gegenwart mit ‚heutigen‘ Geschichten beizukommen, Literatur so in ihrer Gegenwärtig-
Doron Rabinovici wurde 1961 in Tel Aviv
keit als Medium gesellschaftlicher Analyse,
geboren, seit 1964 lebt er in Wien. Er studier-
des Ein- und Widerspruchs zu beweisen – und
te an der dortigen Universität Geschichte,
dies mit einem gleich doppelten Ziel: demje-
Ethnologie, Medizin, Psychologie und wurde
nigen, einer „‚wahren’ Rede“ (Stephan Brae-
im Jahre 2000 promoviert mit einer Untersu-
se) über Juden und Deutsche/Österreicher
chung über die Geschichte der Wiener israeli-
nach der Shoah Zugänge zu eröffnen, und
tischen Kultusgemeinde nach dem ‚An-
zugleich demjenigen, den Konstruktionen
schluss‘ Österreichs, deren Rolle bei der Ver-
einer jüdischen Identität allein über das Opfer
nichtung an das jüdische Selbstverständnis
und damit als ‚negative Identität’ die Bedeu-
nach 1945 rührte. In zahlreichen Essays hat
tungsmacht zu entziehen. Die Auseinander-
sich Rabinovici neben seiner literarischen
setzung mit jüdischer Identität im prekären
Arbeit immer wieder ganz unmittelbar in die
Nebeneinander von Juden und Nicht-Juden in
österreichische Politik eingemischt.
den „Täterländern“ (Robert Schindel) aller-
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Werkverzeichnis (Auswahl):
Papirnik. Stories Suhrkamp, Suhrkamp, Frankfurt/Main 1994
Suche nach M. Roman in zwölf Episoden. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1997
Ohnehin. Roman. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2004
Das Jooloomooloo. Kinderbuch mit Illustrationen von Christina Gschwantner, Jooloomooloo, Wien
2008
Andernorts. Roman. Suhrkamp, Berlin 2010
Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat. Historische Studie, Jüdischer
Verlag, Frankfurt/Main 2000
Republik der Courage. Wider die Verhaiderung (hg. zus. mit Robert Misik), Suhrkamp, Berlin 2000
Berichte aus Quarantanien (hg. zus. mit Isolde Charim), Suhrkamp, Frankfurt/Main 2000
Credo und Credit. Einmischungen. Essays, Suhrkamp, Frankfurt/Main 2001
Der ewige Widerstand. Über einen strittigen Begriff, Styria, Wien 2008
Die Paderborner Gastdozentur für Schriftstel-
Die Paderborner Gastdozentur erweitert und
lerinnen und Schriftsteller wurde 1983 einge-
ergänzt dieses Angebot. Sie will eine Verbin-
richtet. Sie ist ein Angebot der Universität für
dung zwischen Literaturwissenschaft und
alle – nicht nur für Studierende –, die in Pa-
schriftstellerischer Praxis herstellen. Daher
derborn und Umgebung an Literatur interes-
werden ‚theoretische’ Themen mit Vorträgen
siert sind. Die wissenschaftliche Beschäfti-
über verschiedene Aspekte des literarischen
gung mit Literatur will Einsichten in ihre
Lebens verbunden.
künstlerische und historische Eigenart, ihre
Bedeutung und Wirkung vermitteln.
Bisher waren Max von der Grün, Erich Loest,
Die Begegnung mit Autorinnen und Autoren
Peter Rühmkorf, Peter Schneider, Dieter Wel-
ist kann darüber hinaus Einblicke in die Ar-
lershoff, Eva Demski, Herta Müller, Günter
beitsweisen und -bedingungen des ‚Schrei-
Kunert, Uwe Timm, Hanns-Josef Ortheil,
bens heute’ gewähren und das Verständnis für
Friedrich Christian Delius, Anne Duden,
Literatur als Kunst zu fördern. Daher führen
Hartmut Lange, Wilhelm Genazino, Volker
das Institut für Germanistik und Vergleichen-
Braun, Angela Krauß, Arnold Stadler, Josef
de Literaturwissenschaft und die Fakultät für
Haslinger, Marcel Beyer, Robert Schindel,
Kulturwissenschaften der Universität Pader-
Ulrich Woelk, Robert Menasse, Judith Kuck-
born seit vielen Jahren zudem regelmäßig
art, Werner Fritsch, Albert Ostermaier, Lea
Autorenlesungen durch. Bisher waren mehr
Singer und Kathrin Röggla als Gastdozentin-
als 180 Schriftstellerinnen und Schriftsteller
nen und Gastdozenten in Paderborn.
zu Gast.
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