Staatsarchiv des Kantons Bern Archives de l’Etat de Berne Staatskanzlei Chancellerie d’Etat Warum gerade Meienried? Die Entstehung der modernen Einwohnergemeinde im Kanton Bern 1. Allgemeines zur Entwicklung der Gemeinden Die heutigen Einwohner-, Burger- und Kirchgemeinden sind durch das Gesetz über die Organisation und die Geschäftsführung der Gemeindebehörden vom 20. Dezember 1833 geschaffen worden. Natürlich gab es schon vorher "Gemeinden", ihre Aufgaben, ihre Zusammensetzung und ihre Struktur waren jedoch von Ort zu Ort verschieden. Am frühesten fassbar sind die Kirchgemeinden. Ihr Territorium war bereits seit dem Mittelalter relativ klar definiert. Sie hatte natürlich nicht nur kirchliche Aufgaben wahrzunehmen, sondern sie übernahm sukzessive eine Vielfalt von politischen Aufgaben. Für die Obrigkeit war meist die Kirchgemeinde (Kirchhöre, Kirchspiel) der Ansprechpartner, wenn es um die Durchsetzung von obrigkeitlichen Anordnungen ging. Wie in vielen alpinen Regionen erscheint auch im Berner Oberland schon recht früh die Talgemeinde als politische Einheit. Sie weist viele Ähnlichkeiten zu den Stadtgemeinden auf, die sich ja meist auch schon mit der mittelalterlichen Gründung der Stadt und der Verleihung des Stadtrechts konstituieren. Die Talgemeinden (vielfach als "Landschaft" bezeichnet) entwickeln sich meist in Konkurrenz zu den feudalen Gewalten. Bereits im späten Mittelalter besitzen diese Talgemeinden nicht nur eigene Behörden, sie verfügen oft auch über eine eigene Fahne, ein eigenes Siegel und auch über ein eigenständiges Recht, das sich oft bis ins 19. Jahrhundert behauptet. Dieses attraktive Modell konnte sich allerdings ausserhalb des alpinen Raums kaum entfalten und auch im Berner Oberland war diese lokale Autonomie im Bödeli, im Gebiet des ehemaligen Klosters Interlaken, am wenigsten entwickelt. Mit dem Gemeindegesetz von 1833 verschwanden die Talgemeinden. Sie hatten keinen Platz im neuen System. Im Mittelland war "die Gemeinde" dagegen vor allem die Nutzungs-, Flur- oder Dorfgemeinde. Sie entwickelte sich aus der Notwendigkeit, den bäuerlichen Alltag, die Arbeit auf den Fluren, die Nutzung der Allmenden und der anderen gemeinsamen Ressourcen gemeinsam zu organisieren. Entsprechend den unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten war die Organisation, die Struktur, die Zuständigkeiten und auch die Zugehörigkeit von Ort zu Ort verschieden. Den Gemeinden war traditionell die Sorge für die Armen überbunden. Wer aber im einzelnen zu einer Gemeinde gehörte, war in der Regel schwer fassbar. Am klarsten war die Situation in den Kirchgemeinden - dort war im Prinzip das Territorium massgebend. Dieses Territorialprinzip bedeutete aber auch, dass eine Person, welche das Territorium einer Kirchgemeinde - aus welchen Gründen auch immer - verliess, nicht mehr dazugehörte. Staatsarchiv des Kantons Bern Bei der steigenden Armenlast im 17. Jahrhundert ermunterte dies die kommunalen Behörden, Arme und Unterstützungsbedürftige nach Möglichkeit in andere Gemeinden abzuschieben. Die Bettlerordnung von 1676 befahl nun den Kirchgemeinden, ihre Armen in einem Rodel zu verzeichnen. Die Starken und Gesunden sollten künftig arbeiten gehen, die Kranken und Schwachen aber durch die Kirchgemeinden aus dem Armengut, mit Steuern oder auch im Umgang von Haus zu Haus unterstützt werden. So hoffte man die Bettelei auf den Strassen abstellen zu können. In immer neuen obrigkeitlichen Mandaten wird dann immer mehr präzisiert, dass diese Unterstützungspflicht bei den jeweiligen Gemeinde bleibt, auch dann, wenn die Armen nun ausserhalb der Gemeinde wohnen, auch dann, wenn es sich inzwischen um Kinder dieser Armen handelt etc., ja schliesslich sollte, den Armen, die sich ausserhalb der Gemeinde niederliessen, ein "Schein" mitgegeben werden, der bestätigt, dass sie jederzeit in ihre Heimat zurückkehren könnten und dort als Arme unterstützungsberechtigt seien. Es war die Geburt des Heimatscheins und des Burgerrechts in den bernischen Landgemeinden. Dabei gab es jedoch viele Unterschiede: Mancherorts war man Burger in einer Gemeinde, andernorts Burger einer Kirchgemeinde, auch die Landschaften waren teilweise die zuständige Armenbehörde, so dass die Betroffenen als Burger der "Landschaft" galten. 1676 wurden also nicht neue Gemeinden geschaffen, vielmehr wurde den bestehenden Gemeinden eine Last auferlegt, der sie sich künftig nicht mehr so leicht entziehen konnten. Dass damit auch das typisch schweizerische Gemeindebürgerrecht geschaffen und auch der Personenkreis definiert wurde, welcher sich künftig als Burger einer Gemeinde bezeichnen konnte, war ein unbeabsichtigter Nebeneffekt. Dieses heterogene, von Ort zu Ort, von Region zu Region unterschiedliche Gemeindewesen bestand – mit einem kurzen Unterbruch in der Zeit der Helvetik – bis zur ersten demokratischen Verfassung des Kantons Bern 1831. Es gab also nicht einen fest definierten Typus der Dorfgemeinde, sondern je nach Ort waren die Verhältnisse verschieden, mancherorts bildeten die grossen Höfe die Dorfgemeinde (die Dorfbewohner ohne Land waren ausgeschlossen), andernorts waren es die Burger (die Dorfbewohner ohne Burgerrecht waren ausgeschlossen). Je nach Tradition und Privilegien funktionierten die Gemeinden anders. Als weitere wichtige rechtliche Einheit kam ferner hinzu das Gericht, auch Untergericht, Herrschaft oder Twingherrschaft genannt. Es waren die alten Herrschaftsbezirke, in denen im Mittelalter die feudalen Herren ihr Recht auf Twing und Bann – also ihr Recht zu gebieten („twingen“) und zu verbieten („bannen“) – ausgeübt hatten. Der Staat Bern oder einzelne Burger der Stadt Bern hatten diese Rechte erworben und an die Stelle der Feudalherren getreten. Nun hatte der Feudalherr seine Gerichtsrechte nie einfach alleine ausgeübt: Das Gericht als Institution bestand aus mehreren örtlichen Gerichtsässen. War der Herrschaftsherr (oder der bernische Landvogt) abwesend – und dies war eigentlich die Regel –, so wurde dieses Gericht vom örtlichen „Statthalter“, „Ammann“ oder „Weibel“ (auch die Titel sind je nach Ort verschieden) präsidiert. Dabei trat die Funktion als Strafgericht in geringfügigen Sachen immer mehr zurück und das Kollegium wurde allmählich zu einem Gemeinderat im heutigen Sinne. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert waren diese Gerichte vor allem auch noch für die Fertigung von Grundstückskäufen zuständig. Wie beim Gerichtsbezirk so gab es auch bei der Kirchgemeinde seit der Reformation ein Gremium: das Chorgericht. Das Chorgericht hatte ursprünglich wirklich in erster Linie die Sittengerichtsbarkeit wahrgenommen, aber auch da kamen allmählich weitere Aufgaben hinzu, so dass auch diese Behörde bald vielfältige Exekutivaufgaben wahrnahm (besonders im Bereich Armen- Seite 2 von 7 Staatsarchiv des Kantons Bern und Schulwesen). Neben diesen Räten gab es in den meisten Gemeinden zusätzliche Funktionen, vor allem auch für die Verwaltung von Gemeindevermögen (Kirchengut, Armengut, Spendgut, Burgergut etc.). Die jeweiligen Pflichtenhefte, aber auch die jeweiligen Zuordnungen waren von Ort zu Ort verschieden, oft nicht einmal schriftlich festgelegt, sondern lediglich durch Tradition definiert. Als das Gemeindegesetz von 1833 diese buntscheckige Landschaft von lokalen Behörden neu und einheitlich ordnete, definierte es die Behörden und die Aufgaben der noch heute bestehenden drei Gemeindetypen: a) Kirchgemeinden b) Einwohnergemeinden c) Burgergemeinden Gar nichts aber besagte dieses Gesetz über die Grösse oder das Territorium der einzelnen Gemeinden. Man ging einfach davon aus, das sei bekannt. Problematisch war dieses Vorgehen vor allem bei den Einwohnergemeinden, die es als Territorialgemeinden so gar nicht gegeben hatte. Es gab daher bis ins frühe 20. Jahrhundert noch viele Änderungen bei der Festlegung der Gemeindeterritorien. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Gemeindegrenzen dann im Rahmen der Grundbuch-Vermessung genau definiert. Im Blick auf das Gemeindeterritorium kann – etwas generalisierend – folgendes festgehalten werden: Es gibt zwei Typen von Einwohnergemeinden: das Territorium des Typus A ist identisch mit dem Territorium der Kirchgemeinden. Hier sind die Ortsgemeinden 1833 sehr schwach ausgeprägt oder existieren nicht mehr. Diese Gemeinden sind in der Regel territorial sehr viel grösser als die anderen (Beispiele: Bolligen (ehem. EG), Köniz, Mühleberg, Neuenegg, Schüpfen, Vechigen, Wohlen, Worb, etc.). Beim Typus B wurden die alten Ortsgemeinden zur Einwohnergemeinde (Beispiele: die EG der KG Belp, Thurnen, Münsingen, Grosshöchstetten, oder auch Münchenbuchsee, Jegenstorf, Hindelbank, Grafenried, Fraubrunnen, Kirchberg). Die Ortsgemeinden waren hier stark in der Bevölkerung verankert, hatten in der Regel ein beträchtliches Vermögen und hatten schon bisher wichtige Aufgaben für das tägliche Zusammenleben wahrgenommen. Das Resultat war eine völlig unterschiedliche Gemeindestruktur. Die Fusionsbestrebungen in den letzten Jahren konzentrieren sich denn auch bezeichnenderweise auf die Gemeinden des Typus B. Als Personalgemeinde weitgehend neu entstanden sind 1833 auch die Burgergemeinden, insbesondere auf dem Lande. Die Kirchgemeinde wurde 1833 am wenigsten verändert, hier begann der Wandlungsprozess erst jetzt, indem diese nun sukzessive ihre politischen Aufgaben (Schulwesen, Armenwesen, Begräbniswesen etc.) an die Einwohnergemeinden oder andere politische Gemeinden (Verbandsgemeinden) abgeben mussten. (1874: neues Kirchgesetz bildet gewissermassen den Abschluss des Prozesses) Nach 1833 sind die Talgemeinden im Berner Oberland (das Oberhasli z.B. wurde künstlich in die heutigen Gemeinden aufgeteilt) und die Gerichte oder Gerichtsherrschaften als politisch überholt dahingefallen. Seite 3 von 7 Staatsarchiv des Kantons Bern aus: Planungsatlas des Kantons Bern, Dritte Lieferung: Historische Planungsgrundlagen Bern 1973, S. 275 Seite 4 von 7 Staatsarchiv des Kantons Bern Seite 5 von 7 Staatsarchiv des Kantons Bern 2. Der Fall Meienried Vor der ersten Juragewässerkorrektion 1868-1891 befand sich das Dorf Meienried in einer Art Insellage auf drei Seiten von der Aare und der Zihl umgeben. Drei Fähren verbanden das Dorf im 18. Jahrhundert mit den Nachbarorten: Meienried – Büren Meienried – Dotzigen Meienried – Safneren / Orpund Kirchlich gehörte Meienried zum Kirchspiel Büren, es war Teil des Gerichtes Diessbach und hatte im 18. Jahrhundert eine eigene Ortsgemeinde, obwohl bei der Volkszählung 1764 nur 69 Personen dort wohnten (davon nur 15 Männer in erwerbsfähigem Alter). Zum Vergleich: Das Städtchen Büren zählte damals 579 Einwohner. (B XIII 602) AA IV 1128 (Ausschnitt aus Plan des Meienried-Zehntens 1788) Das Armengut der Gemeinde war bescheiden – 40 Kronen im Umfrage-Jahr 1764 –, aber das Städtchen Büren war in diesem Punkte auch nicht sehr viel reicher (140 Kronen). Die Armenlasten von rund 20 Kronen jährlich konnten nicht aus dem Vermögensertrag finanziert werden, sie wurden durch jährliche Steuern beglichen. (B III 207) Seite 6 von 7 Staatsarchiv des Kantons Bern Als 1846 wiederum eine Erhebung durchgeführt wurde, hatten sich die Verhältnisse doch schon deutlich verschoben: Meienried besass bei 104 Einwohnern ein gesamtes Gemeindevermögen von Fr. 3372.85, das Städtchen Büren dagegen zählte bereits 1174 Einwohner und besass ein Vermögen von insgesamt Fr. 619‘723.11. (BB XIII b 602) Wenn wir uns also noch einmal fragen, weshalb Meienried 1833 eine eigene Einwohnergemeinde bildete, so können wir folgende Gründe erkennen: Meienried war 1833 geographisch stark isoliert es bildete seit langem eine eigene Dorfgemeinde (Tradition) es unterschied sich auch kulturell stark vom Städtchen Büren, mit dem es eine gemeinsame Kirchgemeinde bildete. Nach dem oben dargestellten Entwicklungstendenzen entstanden Grossgemeinden vor allem dort, wo die Ortsgemeinden schwach, die Kirchgemeinden aber schon bisher viele Aufgaben in einem grösseren Rahmen erledigt hatten und wo daher meist auch das Gemeindevermögen auf dieser Ebene verwaltet wurde. Alles dies traf auf Büren und Meienried nicht zu: Das Städtchen Büren mit seinen Privilegien hatte eine ausgeprägte eigene Verwaltung, die Kirchgemeinde war da höchsten eine Unterabteilung, in der Meienried sicherlich nur geringfügig Einfluss nehmen konnte. Die Frage einer Fusion hat sich damals mit Sicherheit nicht gestellt. Wir dürfen jedoch davon ausgehen, dass das reichere, aufstrebende Büren auch nicht das geringste Interesse an einem Zusammengehen mit der kleinen Dorfgemeinde hatte. Im übrigen – vergessen wir nicht – Meienried war zwar eine kleine Gemeinde, aber für die damalige Zeit durchaus noch nicht ein Sonderfall. Die Anforderungen an die Gemeinden waren bescheiden und konnten mit wenig Aufwand erledigt werden. Dies aber sollte sich nun zunehmend ändern. Seite 7 von 7
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