Vortrag Dr. Brigitte Augustin

Dr. Brigitte Augustin, Referat anlässlich der Auftaktveranstaltung zum frauenORT Henriette SchraderBreymann in Wolfenbüttel
Henriette Schrader-Breymann (1827-1899)
Und wie viel und wie wenig ist der einzelne Mensch, wenn er geboren wird mit
Ideen und dem Drange, sie zu verwirklichen. Nie kann er dies direkt, denn er ist
immer ein Stück der Masse, die er nicht ignorieren kann. (Henriette Breymann)
Die Idee, die Breymann antrieb, war die Ermöglichung einer Berufsausbildung für
Mädchen der bürgerlichen Mittelschicht, damit sie ihren Lebensunterhalt selbst
bestreiten konnten und nicht gezwungen waren, eine Versorgungsehe einzugehen.
Diese außerhäusliche Berufstätigkeit sah sie auf dem Gebiet der frühkindlichen
Erziehung gegeben. Was sie nicht ignorieren konnte, war die normative
Rollenerwartung an junge Frauen der Mittelschicht im 19. J. mit dem Aspekt der
Häuslichkeit und Familienzugewandtheit. Ihr gelang jedoch eine Umdefinierung der
zeitgenössischen Wertigkeit der Geschlechtscharaktere. Ja, argumentierte sie, die
Natur habe das Weib zur Mutter geschaffen, aber diese Mütterlichkeit bedürfe der
Ausbildung. Instinkt und Liebe würden nicht ausreichen, die eigenen Kinder –
geschweige denn die Pflege anderer – zu übernehmen.
Mit der Umsetzung ihrer Idee fing sie klein an. Im heimatlichen Pfarrhaus eröffnete
sie zusammen mit ihrer Familie anfangs ein kleines Mädchenpensionat. Als die
Kapazitäten dort ausgeschöpft waren, kaufte die Familie ein Gärtnereigrundstück mit
einem vorhandenen Gebäudekomplex – damals gelegen vor den Toren
Wolfenbüttels. Hier kann man schon von einem Bildungsinstitut sprechen. Die
Vervollständigung der Bildung der mehr als 40 jungen Mädchen erfolgte nach einem
gut ausgearbeiteten Stundenplan. Und - die Schülerinnen hatten die Möglichkeit, an
einem Ausbildungskurs zur Erzieherin teilzunehmen. Für diese Ausbildung hatte
Breymann dem Institut einen Kindergarten angegliedert, für den sie eine ausgefeilte
Methodik-Didaktik ausgearbeitet hatte.
Hier begann ihr Weg als Reformpädagogin zwischen Tradition und Moderne.
Reformpädagogin – das ist ein großes Wort. Und – es war ein langer Weg dorthin.
Henriette Breymann ließ sich mit 21 Jahren von ihrem Großonkel Friedrich Fröbel
(wir kennen ihn als Begründer des Kindergartens) zur Erzieherin ausbilden. Ihr war
allerdings von Anfang an klar, dass die Ausbildung bei Fröbel nur ein Anfang sein
konnte. In den Jahren bis zur Eröffnung des ersten Pensionats bildete sie sich
umfangreich weiter. Mehrere Male arbeitete sie für Monate in verschiedenen
Kindergärten in Dresden oder in Baden-Baden. In Schweinfurt leitet sie für ein
dreiviertel Jahr eine Mädchenschule.
Darüber hinaus studierte sie die pädagogischen, philosophischen und
anthropologischen Grundlagenwerke ihrer Zeit. Und sie stand in einem regen
Gedankenaustausch mit dem Kreis um Fröbel, den sie in ihrer Ausbildungszeit
kennen gelernt hatte.
Sie wäre aber sicher nicht so erfolgreich gewesen, wenn sie nicht ständig ihre Arbeit
reflektiert und neue Erkenntnisse aufgenommen hätte. Noch kurz vor ihrem Tod – im
Bett liegend – diskutierte sie mit ihren Mitstreiterinnen über pädagogische und
religiöse Fragen, um mit ihnen nach besseren Wegen der Vermittlung zu suchen.
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Dr. Brigitte Augustin, Referat anlässlich der Auftaktveranstaltung zum frauenORT Henriette SchraderBreymann in Wolfenbüttel
Ihre Professionalität, die sie als Wegbereiterin einer neuen Pädagogik ausweist,
stellte sie erstmals öffentlich 1872 dar. Da ist sie 45 Jahre alt und kann auf fast 20
Jahre pädagogischer Tätigkeit zurückblicken. Sie veröffentlichte „Die Grundzüge
der Ideen Friedrich Fröbels angewendet auf Kinderstube und Kindergarten“.
Darin legt sie auf 40 Seiten die Grundlage ihrer pädagogischen Konzeption vor, die
die Handlungsweise im Kindergarten beschreibt und damit auch gleichzeitig Vorgabe
für die Erzieherinnenausbildung ist.
Später wird sie diese Grundlagen noch differenzieren und weiter ausarbeiten, und
zwar in dem von ihr in Berlin aufgebauten Pestalozzi-Fröbel-Haus. Denn nach ihrer
Heirat mit Karl Schrader zog das Ehepaar nach Berlin.
Aber die ersten Grundlagen ihrer Kindergarten- und Erzieherinnenpädagogik hat sie
in ihrem Institut in Wolfenbüttel gelegt.
Dazu einige Eckpunkte.
Der Titel ihrer Edition weist schon darauf hin, dass ihr Konzept Fröbelsche Ideen
aufnahm.
Zur Fröbelschen Erziehung hielt sie fest.
An möglichst edeln Lebensverhältnissen fürs Leben gebildet werden, indem
das Kind von früh an seinen Kräften gemäß mit an der Bildung dieser
Verhältnisse schafft – das ist Fröbelsche Erziehung. (Henriette Breymann)
In der Praxis sah das so aus. Jedem Kind sollte seine eigene Entwicklungszeit
gegeben werden. Dem Kind sollte Zeit gegeben werden selbst gemachte
Erfahrungen zu sammeln. Hier hatte das Spiel einen hohen Stellenwert. Neben das
freie Spiel stellte Breymann ein angeleitetes Spiel, so dass die Kinder an kleinen
gestellten Aufgaben sich weiter entwickeln konnten.
Breymann gestaltete ihren Kindergarten auf den Grundzügen des Familienlebens in
kleinen Gruppen, so dass die Erzieherinnen ein persönliches Verhältnis zu „ihren“
Kindern aufbauen konnten.
Die von ihr entwickelte Didaktik-Methodik ging vom Kind aus. Seine Ideen und sein
Entwicklungsstand steuerten den Kindergartenalltag.
Dieser Alltag lässt sich besonders eindrücklich am Beispiel des von ihr entwickelten
Monatsgegenstandes beschreiben.
Der Monatsgegenstand war ein längerfristiges Projekt. Er stellte für einen gewissen
Zeitraum einen Gegenstand oder eine Verrichtung in den Fokus der pädagogischen
Arbeit im Kindergarten. So ein Monatsgegenstand konnte z.B. die Erbse sein. Die
Kinder säten die Erbsen im eigenen Garten aus, halfen bei der Pflege und Ernte. Die
größeren Kinder kochten daraus eine Erbsensuppe, die am Mittagstisch verteilt
wurde. Einige Erbsen wurden getrocknet und in kleinen Säckchen an die Kinder
verteilt. Hatten sie Erbsen daraus verbraucht – zum Beispiel an Tauben verfüttert –
sollten die Kinder die Erbsen in ihren Säckchen so verteilen, dass alle wieder gleich
viele Erbsen hatten. Breymann entwarf Singspiele und eine kleine Geschichte und
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ein Lied um diesen Gegenstand herum. Man achtete auf korrekte Aussprache in
ganzen Sätzen.
Insgesamt sollte das Kleinkind durch den Monatsgegenstand nicht nur in die
Gegebenheiten der Umwelt, in die Natur, in Herstellungsprozesse eingeführt werden.
Es sollte auch den Gesamtzusammenhang erkennen, in dem Dinge und
Verrichtungen im Leben stehen. Außerdem sollte es durch ein Tätigsein mit anderen
und für andere zur Gesellschaftsfähigkeit erzogen werden. Hierfür zog Breymann
auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten heran.
Auch wenn die Pädagogik Breymanns hier nur stark gerafft dargestellt wird, lässt sich
doch die Modernität ihrer Ansätze erkennen.
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An der kindlichen Lebenswelt orientierte Projektarbeit,
kleine Gruppen mit familienähnlichem Charakter,
sprachliche und mathematische Kompetenzvermittlung,
das freie und angeleitete Spiel,
die Wertschätzung der kindlichen Entwicklungszeit
und insgesamt eine Pädagogik, die vom Kind ausging.
All dies sind Ansätze, die in heutigen Kindertagesstätten in den verschiedensten
Ausrichtungen vorzufinden sind.
Damit weist sich Henriette Breymann als innovative und moderne Pädagogin aus.
Auch wenn die frühkindliche Erziehung und Bildung für Breymann eine
Herzensangelegenheit war und einen hohen Stellenwert einnahm, war doch der
Kindergarten letztlich Mittel zum Zweck einer Frauenbildung, die das traditionelle
Frauenbild mit modernen, zukunftsweisenden Wirkungsmöglichkeiten für Frauen
verband.
Sie beschrieb es einmal so:
Ich habe mich der Idee der weiblichen Erziehung gewidmet und bin ihr im
ganzen treu geblieben, habe für sie gearbeitet, wenn auch in einzelnen Tagen
mein Leben auf und ab wogt, Licht und Schatten wechselt, ich oft rechts und
links ausweiche, so hat mich doch nichts von der Bahn fortgetrieben, in die
mein Schicksal mich geführt. (Henriette Breymann)
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