Interview mit dem hessischen Staatsminister Florian Rentsch Schnelle Datenverbindungen sind unverzichtbare Infrastruktur Außerordentlich gute Noten erteilt Staatsminister Florian Rentsch den Breitbandinitiativen in den Landkreisen Lahn-Dill und Marburg-Biedenkopf. Für ihr Engagement in Sachen „Schnelles Internet für Alle“ lobt er außerdem Uwe Hainbach, den Präsidenten der IHK Lahn-Dill und den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer Burghard Loewe. Staatsminister Florian Rentsch im Gespräch mit der IHK Lahn-Dill: „Mit dem Ausbau der Breitbandnetze legen wir die Grundlage für künftiges wirtschaftliches Wachstum“ sagt er. LahnDill Wirtschaft: Welche Bedeutung messen Sie dem Breitbandausbau in Hessen bei? Staatsminister Florian Rentsch: Eine sehr hohe: Schnelle Datenverbindungen sind heute eine unverzichtbare Infrastruktur für Bürger und Unternehmen und ein Standortfaktor für Kommunen. Für viele Unternehmen sind sie inzwischen genauso wichtig wie die Verkehrsanbindung. Das heißt: Mit dem Ausbau der Breitbandnetze legen wir die Grundlage für künftiges wirtschaftliches Wachstum. Dabei erzielen wir mit relativ geringem Mitteleinsatz einen hohen wirtschaftlichen Nutzen. LDW: Wie wollen Sie den Unterschieden bei der Ausstattung mit Breitbandinfrastruktur zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Räumen begegnen? StM Rentsch: Unsere ganze Strategie ist darauf ausgerichtet, diese digitale Spaltung zu verhindern. In den Ballungsräumen sorgt ja der Markt alleine für den Ausbau. Wir haben nur dort eingegriffen, wo dies – wie vor allem in ländlichen, dünnbesiedelten Gebieten - für kommerzielle TK-Anbieter unrentabel war. Mittlerweile befinden wir uns in der interessanten Situation, dass der ländliche Raum teilweise besser versorgt ist als die städtischen Gebiete. Die Früchte unserer Arbeit zeigen sich deutlich: Wir machen den ländlichen Raum zukunftsfähig. LDW: Wo liegt der Unterschied zwischen LTE und NGA und welche Variante ist für die Zukunftsfähigkeit einer Industrieregion am besten geeignet? StM Rentsch: LTE ist ein Übertragungsstandard für Funknetze, die das Internet auf mobile Endgeräte wie Smartphones oder Laptops bringen. Zurzeit schaffen dieser Bandbreiten von 3 bis 10 Mbit/s für den Kunden. Je mehr Kunden es gibt, desto größere Datenmengen müssen zu den Funkmasten transportiert und von dort abgeführt werden, und dafür ist eine kabelgebundene Anbindung notwendig. Wenn man dies bei der Planung kabelgebundener Hochleistungsnetze (NGA-Netze) berücksichtigt, sind Synergien möglich. Zukünftig ist deshalb von einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Funkanbietern und Besitzern von Glasfaserinfrastrukturen auszugehen. Perspektivisch ergibt sich daraus eine dauerhafte Koexistenz von funk- und kabelbasierten Netzen. LDW: Was sagt Ihnen der Begriff „Industrie 4.0“, oder die „vierte industrielle Revolution“? StM Rentsch: Die erste industrielle Revolution war die Einführung mechanischer Produktionsanlagen Ende des 18. Jahrhunderts, die zweite begann mit der Nutzung der Elektrizität, die dritte mit Elektronik und IT. Mit der zunehmenden Vernetzung unserer Lebenswelt über das Internet, der Kommunikation von Apparaten untereinander, dem sogenannte „Internet der Dinge“ sind wir jetzt auf dem Weg zur vierten Industriellen Revolution. Darauf spielt der Ausdruck „Industrie 4.0“ an, der ein Zukunftsprojekt aus der High-Tech-Strategie der Bundesregierung bezeichnet. Die technologische Entwicklung eröffnet uns die Chance, auch als Hochlohnland Produktionsstandorte behaupten zu können. Schließlich liegen die Geschäftspotenziale der 4. Industriellen Revolution nicht nur in der betrieblichen Prozessoptimierung, sondern auch in ihren Dienstleistungen für vielfältige Anwendungsbereiche. Mein Eindruck ist, dass die hessische Industrie diesen Prozess aktiv mitgestaltet. Die Landesregierung unterstützt sie in diesem Prozess mit bedarfsgerechten Innovationsförderangeboten. LDW: Wie beurteilen Sie die Breitbandinitiativen in den Landkreisen Lahn-Dill und Marburg-Biedenkopf? StM Rentsch: Beide sind vorbildlich. Beide Landräte haben den Breitbandausbau zur „Chefsache“ erklärt, man hat sich kreisübergreifend abgestimmt, und das Land hat die Aktivitäten in enger Abstimmung begleitet. Finanziell wurden die Landkreise bei der Erstellung der Machbarkeitsstudie, bei der Leerrohrmitverlegung und mit Mittel der Interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ) unterstützt. Im Gegenzug sind in die Entwicklung der hessischen NGA Strategie und ihrer Instrumente die Erfahrungen der Landkreise eingeflossen; auf ihnen basiert zum Beispiel das 200 Mio. Euro Bürgschafts- und Darlehnsprogramm des Landes. Herr Landrat Fischbach ist als Präsident des hessischen Landkreistages Mitglied des Breitband-Lenkungsausschusses. LDW: Ist die Wirtschaftsregion an Lahn und Dill ohne leistungsfähige Breitbandinfrastruktur überhaupt wettbewerbsfähig? StM Rentsch: Ein flächendeckender und schneller Breitbandausbau ist immer eine Investition in die Zukunftsfähigkeit der Region. Die IHK Lahn-Dill hat bereits vor einigen Jahren den Breitbandausbau als wichtiges Leitprojekt identifiziert und vorangetrieben – nicht zuletzt durch die Unternehmensumfrage. Einen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle an den IHK-Präsidenten Uwe Hainbach, aber auch an den für das Projekt Breitband bei der IHK verantwortlichen stellvertretenden Hauptgeschäftsführer Burghard Loewe richten. Nun gilt es, den Breitbandausbau rasch umzusetzen, um etwa die Abwanderung von Unternehmen zu vermeiden. LDW: Bis wann kann die Region mit der Bewilligung ihrer Darlehensanträge rechnen? StM Rentsch: Der Antrag des Lahn Dill Kreises liegt seit kurzem vor. Die Erfahrung zeigt, dass die Bearbeitungszeit vom Zusammenspiel der Akteure und von der Qualität der vorgelegten Unterlagen abhängt. Das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure funktionierte in der Vergangenheit reibungslos, und deshalb gehen wir auch bei dem Antrag des Lahn-Dill-Kreises von einer -gemessen an der Größe des Projektes- schnellen Bearbeitung aus. Allerdings sind von der Technik bis zum Beihilferecht viele Fragen zu klären, damit ein wirtschaftliches Projekt entsteht. LDW: Der Freistaat Bayern setzt nach Presseinformationen 2 Milliarden für den Breitbandausbau ein. Wie hoch ist das finanzielle Engagement Hessens? StM Rentsch: Tatsächlich hat die EU-Kommission Bayern ein Beihilfevolumen von zwei Milliarden Euro genehmigt. Damit hat sie eine Obergrenze gezogen. Bis 2014 wollen die Regierungsfraktionen in München für den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen 500 Mio. Euro zur Verfügung stellen. Allerdings ist Bayern in Bezug auf die Zahl der Fläche und Landkreise sehr viel größer. Hessen hat bereits Anfang 2011 ein Bürgschafts- und Darlehensprogramm über 200 Mio. Euro gestartet. Wir setzen nicht auf verlorene Zuschüsse, sondern auf das Prinzip der geteilten Verantwortung, das Land, Kommunen und Unternehmen einbindet: jeder leistet seinen Beitrag. In Hessen haben wir ein ineinandergreifendes System etabliert. Indem wir bei Straßenbaumaßnahmen Leerrohre mit verlegen, senken wir die Investitionskosten erheblich und generieren gleichzeitig Investitionen in Milliardenhöhe. Gerade letzte Woche haben wir dem Main-Kinzig-Kreis ein Breitbanddarlehen über 50,5 Mio. Euro überreicht. Für den Ausbau der passiven Infrastruktur werden sowohl im Landkreis Marburg-Biedenkopf als auch im Lahn-Dill-Kreis mehr als 40 Mio. Euro in benötigt. Nicht mit eingerechnet sind die noch zu tätigenden Investitionen in die aktive Infrastruktur, die Betriebsinvestitionen. Mit unserem Breitband-Projekt haben wir die größte Dynamik in allen Bundesländern erreicht. Da der Ausbau hauptsächlich durch lokale Player stattfindet, bleibt die Wertschöpfung in Hessen. LDW: Wo findet sich Hessen rangmäßig im Breitbandausbau des Bundes wieder? StM Rentsch: Mit der Ende 2011 erreichten Grundversorgung bzw. Perspektive auf eine Grundversorgung für 99,5% der hessischen Haushalte belegt Hessen einen der Spitzenplätze in Deutschland. Beim NGA-Ausbau hat Hessen Vorbildliches geschafft: Als erster hat der Odenwaldkreis Ende 2012 den NGA-Ausbau abgeschlossen, in vier weiteren Kreisen läuft der Aufbau bereits. Zehn Landkreise und das NGA-Cluster Nordhessen (Landkreise Hersfeld-Rotenburg, Schwalm-Eder, Waldeck-Frankenberg, Werra Meißner, Kassel und die Stadt Kassel) haben Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben und damit den ersten Schritt zu einem Hochgeschwindigkeitsnetz getan. LDW: Die Deutsche Telekom engagiert sich im Breitbandausbau in Kommunen, wenn diese den unrentierlichen Teil der Kosten in Form eines „verlorenen Baukosten-zuschusses“ zahlt. Ist diese Praxis mit den Beihilfevorschriften der EU vereinbar? StM Rentsch: Grundsätzlich lässt die EU unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Unterstützungen einzelner Akteure am Markt zu. Je nach Einzelfall ist zu klären, ob und ggfs. in welchem Umfang diese Voraussetzungen gegeben sind. Das bedeutet, dass nicht nur die Telekom, sondern alle am Breitbandausbau mitwirkenden Unternehmen die Möglichkeit haben, bei den Kommunen unrentierliche Kosten geltend zu machen. Damit ist gewährleistet, dass Wettbewerbsverzerrungen nicht möglich sind. Das Interview wurde geführt von Susanne Boikat
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