Können Alleinerziehende ihre Existenz durch Erwerbsarbeit sichern

Können Alleinerziehende ihre Existenz
durch Erwerbsarbeit sichern?
Entkoppelung von Erwerbstätigkeit und
materieller Sicherheit
WSI-Gleichstellungstagung 'Genderungleichheiten in der Arbeit'
Berlin, 18.09.2015
Karen Jaehrling
[email protected]
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Gliederung und Kernthesen
1) Entkoppelung von Erwerbstätigkeit und materieller
Sicherheit: ein Problemaufriss
2) Erwerbsbeteiligung: nimmt zu, aber Vorsprung von
Alleinerziehenden geschrumpft
3) Veränderte Arbeitsmarktstrukturen: betreffen
Alleinerziehende in spezifischer Weise
4) Soziale Sicherung: Teil oder Lösung des Problems?
2
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(1) Entkoppelung von Erwerbstätigkeit und
materieller Sicherheit
• Mehr Erwerbstätige, mehr Armutsgefährdung
– Gilt auch für Alleinerziehende (Abb.1)
Erwerbstätigkeit verringert individuelles Armutsrisiko
– aber gegenläufige Trends verhindern dennoch, dass Armutsrisiken
insgesamt sinken
• Mögliche Ursachen dieser ‚Entkoppelung‘
a. (Selektionseffekt)
b. Niedrigere Markteinkommen
c. Unzureichende Sozialeinkommen
d. Veränderte Haushaltsstrukturen und Erwerbsmuster
...und ihre spezifischen Auswirkungen für Alleinerziehende
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Abb. 1 Mehr Erwerbstätige, mehr Armutsgefährdung
74
66
80
71
65
70
60
50
43
39
40
30
16
15
20
10
0
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
Beschäftigungsquote insges.
Beschäftigungsquote Alleinerz.
Armutsrisiko insgesamt
Armutsrisiko Alleinerziehende
Quelle: Mikrozensus (Stat. Bundesamt / BA)
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(2) Erwerbsbeteiligung nimmt zu, aber
Vorsprung nimmt ab
• Im internationalen Vergleich: Angleichung
– Beschäftigungsquoten in D mittlerweile ähnlich hoch wie
in Schweden oder Frankreich (Abb. 2)
– Arbeitsintensität unterscheidet sich weiterhin (Abb.3)
• Im Binnenvergleich: Mütter mit Partner haben ‚überholt‘
– Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Partner nimmt seit
Mitte 1990er Jahre in allen Ländern stärker zu (Abb. 4)
– Alleinerziehende nicht mehr häufiger erwerbstätig als
Mütter in Paarhaushalten
• Nach Kontrolle von soziodem. Merkmalen sogar seltener
– Sonderfall Deutschland: Weiterhin höhere
Wochenarbeitszeit von Alleinerziehenden (Abb. 5a+b) 5
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Abb. 2 Beschäftigungsquote von Alleinerziehenden
80
76,8
75
71,3
70,6
69,8
70
65
64,2
60
55
2005
2006
2007
Deutschland Alleinerz.
Quelle: EU-LFS (Eurostat)
2008
2009
2010
Schweden Alleinerz.
2011
2012
2013
2014
Frankreich Alleinerz
6
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Abb. 3: Wochenarbeitszeit von Alleinerziehenden (2008)
Quelle: EU-LFS (DE, FR, UK); EU-SILC (SE); Berechnungen des IAQ
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Abb. 4 Beschäftigungsquote von Müttern nach HH-Typ
90
85
80
76,8
75
71,3
70,6
69,8
70
65
64,2
60
55
2005 2006 2007
Deutschland Alleinerz.
2008 2009 2010
Schweden Alleinerz.
Deutschland Paar
Schweden Paar
Quelle: EU-LFS (Eurostat)
2011
2012 2013 2014
Frankreich Alleinerz
Frankreich Paar
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Abb. 5a: Teilzeitquote aktiv erwerbstätiger Mütter* nach
Haushaltstyp
*ohne Beurlaubungen (z.B. Mutterschutz/Erziehungsurlaub)
Quelle: Stat. Bundesamt / Mikrozensus (u.a. Keller/Haustein 2014)
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Abb. 5b: Wöchentliche Arbeitszeit von Müttern (2008)
Quelle: EU-LFS (DE, FR) / EU-SILC (SE); Berechnungen des IAQ
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(3) Wandel der Arbeitsmärkte: betrifft
Alleinerziehende in spezifischer Weise
• Teilzeit als Flexibilisierungsstrategie der Betriebe
– Zunahme von (kurzer) Teilzeit v.a. in weiblich dominierten Jobs
– Flexible Arbeitszeit als größere Hürde für Alleinerziehende
(Betreuung in Randzeiten)
• Wachstum Niedriglohnsegment
– besonders stark in weiblich dominierten Berufen
– besonders stark für formal gering Qualifizierte
• Zunahme von Befristung / instabiler Beschäftigung
– Befristungsanteil unter AE höher als bei Müttern mit Partner
– Häufigere Ab- und Zugänge in Beschäftigung
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Zwischenfazit: Allgemeine Trends und
spezifische Folgen für Alleinerziehende
• Trend 1: zunehmende Erwerbsbeteiligung von Müttern
– bei Alleinerziehenden weniger stark ausgeprägt
Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht alleinige Erklärung
– sogar niedriger bei ansonsten gleichen Voraussetzungen
Spezifische Hürden der Erwerbsbeteiligung
• Trend 2: Teilzeit als dominantes Erwerbsmuster für Mütter
– greift auch bei Alleinerziehenden, wenn auch weniger stark
Allgemeine gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Normen?)
• Trend 3: Flexibilisierung und Wachstum NL-Sektor
– Trifft AE wegen soziodem. Merkmale (weiblich, Anteil gering
Qualifizierter) + AM-Segmentation stärker
Allgemeine + geschlechtsspezif. Arbeitsmarktrisiken
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Zwischenfazit
• Spezifische Folgen für Alleinerziehende
– sinkendes Markteinkommen
– wg. geringerem VZ-Anteil + gestiegenem Niedriglohnsrisiko
– verschlechterte Einkommensposition von Alleinerziehenden
• in Zukunft ggf. noch stärker (siehe Frankreich + Schweden)
– schlechtere Beschäftigungschancen
• wg. erhöhter Konkurrenz um Jobs in weibl. dominierten Tätigkeiten?
• verstärkt durch ‚statistische Diskriminierung‘ (Vorbehalte
gegenüber Alleinerziehenden wegen größerem Ausfallrisiko)
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(4) Soziale Sicherung: Teil oder Lösung des
Problems?
• Entkoppelung auch in anderen Ländern: Armut nimmt zu,
trotz stagnierender oder steigender Erwerbsbeteiligung
• Sozialleistungen in D fangen dies in höherem Maße auf:
– trotz geringerem Arbeitsumfang ähnlich viele ‚working poor‘ (Abb. 6)
– nach 2008 Angleichung unter Alleinerziehenden insgesamt (Abb. 7)
• Mögliche Hintergründe für Angleichung der Armutsrisiken
– Höheres Arbeitslosengeld greift infolge Krise weniger
– Bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen in SE und F niedriger (Abb. 8)
• Auch wg. mangelnder Anpassung bedürftigkeitsgeprüfter Leistungen
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Abb. 6: Armutsgefährdung von Alleinerziehenden vor
und nach Steuern und Transfers (in %) (2006/2007)
80
70
60
50
40
30
68
51
50
47
38
34 36
26
27
18 16 19
20
10
0
vor Steuern und nach Steuern und vor Steuern und nach Steuern und
Transfers
Transfers
Transfers
Transfers
Alle Alleinerziehenden
Deutschland
Erwerbstätige Alleinerziehende
Frankreich
Schweden
Quelle: EU-SILC (Berechnungen des IAQ)
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Abb. 8: Höhe bedürftigkeitsgeprüfter Sozialleistungen (2009)
verfügbares Einkommen in % des medianen bedarfsgewichteten Haushaltseinkommens
90%
(1692)
80%
70%
(1473)
In-Work Benefit
(1878)
(1795)
'Sozialhilfe'
60%
Wohngeld
50%
40%
20%
familienbez.
Leistungen
Nettoverdienst
10%
Armutsrisiko-grenze
30%
33%
(1126)
67%
(2252)
33%
67%
33%
2 Kinder
1 Kind
2 Kinder
1 Kind
2 Kinder
1 Kind
2 Kinder
1 Kind
2 Kinder
1 Kind
2 Kinder
1 Kind
0%
67%
DE
FR
SE
Bruttoverdienst in % des Durchschnittslohns von Vollzeitbeschäftigten
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Fazit und Ausblick
• Alleinerziehende arbeiten nicht mehr häufiger, aber (in D)
länger als Mütter in Paar-Haushalten
– Aber: Teilzeit heute auch unter Alleinerziehenden dominant
• Erwerbseinkommen reicht bei den meisten nicht einmal für
kurzfristige Existenzsicherung
– Auch in Ländern, wo Alleinerziehende meist vollzeit(nah) arbeiten,
reicht Erwerbseinkommen häufig nicht aus
Existenzsicherung durch Erwerbstätigkeit UND
Sozialleistungen als Regelfall
• Ergänzende Sozialleistungen daher wichtiger Teil der
Lösung – nicht des Problems („Abhängigkeit von ALG II“)
In Zukunft vermutlich noch wichtiger durch weitere Angleichung der
Erwerbsmuster zw. verheirateten und alleinerz. Müttern (s. SE+FR)
n
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Fazit und Ausblick
• Sozialleistungen wichtiger als Steuererleichterungen
– Denn: nur knapp die Hälfte der erwerbstätigen AE hat BruttoErwerbseinkommen oberhalb Armutsrisikogrenze
Steuererleichterungen erreicht viele gar nicht
Stattdessen: ggf. Freibeträge im ALG II nach Kinderanzahl staffeln
+ auskömmliche Regelsätze
• Spezifische Wirkung allgemeiner Arbeitsmarktrisiken
erfordert Kombination allg. und spezifischer Lösungen
− Allgemein: z.B. Verbesserung von Arbeitsmarktsituation für gering
Qualifizierte; Rückbau Niedriglohnsektor
− Spezifisch: Förderprogramme, die Haushaltssituation
berücksichtigen
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Zum Weiterlesen
• Jaehrling, K. / Kalina, T./ Mesaros, L. (2014): Mehr Arbeit,
mehr Armut? Ausmaß und Hintergründe der Entkoppelung
von Erwerbsarbeit und materieller Sicherheit von
Alleinerziehenden im Ländervergleich. In: Köln Z Soziol
66:343-370
• Jaehrling, K. (2014): Was heißt ‚Eigenverantwortung für
den Lebensunterhalt‘? Eine ländervergleichende Analyse
von Armutsrisiken und Einkommensaufstockung bei
Alleinerziehenden. In: ZSR 60 (3): 223-245
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Zusatzfolien
25.09.2015
www.iaq.uni-due.de
20
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Anteil Alleinerziehender mit Bezug von Sozialleistungen im Vorjahr (gepoolte Daten, 2004-2008)
Sozialschutzfunktion
DE
F
SE
UK
"unemployment benefits"
28,9
15,1
19,8
1,8
"social exclusion not
elsewhere classified"
19,5
23,5
14,1
67,3
Kumulierte Anteile (I)
40,0
33,5
29,3
68,2
"housing allowance"
16,5
66,3
49,2
48,5
Kumulierte Anteile (II)
49,7
72,2
57,1
73,1
Quelle: EU-SILC; Werte weisen keine Jahresdurchschnittswerte
aus, sondern Gesamtanteil derjenigen, die im Laufe des Jahres
jeweilige Leistungen erhielten.
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Erwerbstätige Alleinerziehende im SGB II (2013)
Quelle: BA 2013: Analyse des Arbeitsmarktes für Alleinerziehende
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