Gutes Essen verbindet über alle Grenzen hinweg

Baden-Wettingen
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www.aargauerzeitung.ch | az | Montag, 4. Juni 2012
Gutes Essen verbindet über alle Grenzen hinweg
Wettingen Am Fest der Kulturen auf dem Zentrumsplatz eröffneten sich den Besuchern ganz neue Gaumenfreuden
VON URSULA BURGHERR
Haben Sie schon einmal Tschebureki,
Börek oder Pleskawitza probiert? Um
das Rätsel gleich zu lösen: Tschebureki sind mit Fleisch und Zwiebeln gefüllte Teigwaren und stammen aus
Russland. Pleskawitza – ein Nationalgericht aus Serbien – besteht aus
Hackfleisch und Schafskäse. Völkerverständigung wird am von der SP
Wettingen organisierten Fest der Kulturen vorwiegend über die Geschmackssinne betrieben. «Die Gruppen wollen keinen Umsatz machen,
sondern primär ihre landestypischen
Spezialitäten präsentieren», verkündeten Patrick Neuenschwander und
Lea Schmidmeister von der Kulturgruppe der SP Wettingen.
Kaviar rot und schwarz gab es bei
den Russinnen zu kosten. Aber auch
«Die Gruppen wollen
ihre landesspezifischen
Spezialitäten
präsentieren.»
Patrick Neuenschwander,
Mitorganisator
-publikumsangepasster russischer Salat, der eigentlich nichts mit dem
rund 143 Millionen Einwohner zählenden Staat in Eurasien zu tun hat.
Die serbische Sektion brachte Spanferkel auf den Tisch – und Cevapcici,
das sich durch die vielen über das
Die drei Russinnen begeisterten das Publikum mit ihren schönen Trachten und Volkstänzen.
ganze Land verteilten Verkaufsstände neben Pizza und Hamburger zum
Renner entwickelt hat. Besir Kisa
vom kurdischen Kulturverein und Second@s Plus Aargau zeigte in seiner
Rede einmal mehr die immer grösser
werdende Schere zwischen Arm und
Reich auf. Das Publikum erschien
zahlreich und genoss es, mit anderen
Nationalitäten über traditionelle
Speisen Kontakt zu machen. Nirgendwo wie beim Essen verbinden
sich die Kulturen, möge die politische Realität noch so widrig sein.
Auch Vertreterinnen von Aargauer
URSULA BURGHERR
Interreligiösen Arbeitskreis (AIRAK)
waren anwesend. Sie gestalten an jedem 16. des Monats einen interreligiösen Stammtisch im reformierten
Kirchgemeindehaus Baden.
Umfrage Welche Vorteile sehen Sie in der Schweiz und Ihrer Heimat?
UBU
Sadet, Suzan, Bermal
Gongna
Anna Gütiger
Dragan, Michael und Nino
B. Menzi, M. Liauw
Kurdistan
Tibet
Moskau
Serbien
Partner Pakistan und Indonesien
«Wir müssen vor Heimweh weinen,
wenn wir an das Land denken, in
dem wir geboren sind. Wir lieben das
Essen und die wunderbaren Naturlandschaften von dort. Aber die
Schweiz ist auch schön.»
«Dieses Land ist mit seinen Bergen
ähnlich wie Tibet. Die Leute in meiner Heimat begegnen sich aber mit
noch mehr Respekt als die Schweizer. Das hängt vor allem mit dem
buddhistischen Glauben zusammen.»
«In Russland sind die Leute offener
als in der Schweiz. Aber das hiesige
Sozialsystem ist viel besser. Ich
wünschte mir, dass alle Ausländer,
die ansässig werden, das helvetische
Kulturgut mehr schätzen und die
Sprache lernen.»
«Wir haben hier eindeutig bessere
Zukunftsmöglichkeiten als in unserem Land. Die Multikultur und Weltoffenheit, die in der Schweiz herrschen, wissen wir sehr zu schätzen.»
«Die Organisation in der Schweiz ist
beispiellos! Moralische Regeln in der
Schule sind nicht nur bei Muslimen
streng, sondern auch bei Katholiken.
Wir plädieren für mehr Offenheit.»
Blues Max hat den Blues, aber keinen roten Faden
sollen seine Geschichten handeln,
flüstert er mit dieser verführenden
Stimme ins Mikrofon, während sein
Begleitgitarrist Richard Koechli wunderbar melancholische Harmonien
ins Dunkel des Publikumsraums entlässt. Blues Max beginnt zu erzählen,
mal singend, mal ganz ohne Musik.
Er erzählt von Gottes Desinteresse
am irdischen Fussballgeschehen, von
Piero Esteriores Erfolgskonzept und
von Brady Dougans Millionen-Boni.
Er singt über das brennende Feuerwehr-Depot, den Weg vom InternetChat ins Doppelbett und vom «Vogulisi», das plötzlich entflieht. Er verzieht das Gesicht zu einer grimmigen
Gölä-Grimasse, stammelt ein paar
Sätze im St. Galler Dialekt und unterstreicht seinen angekündigt schrägen Stil mit jeder Minute mehr.
Baden Werner Widmer alias
Blues Max war mit seinem Programm «light» im ThiK zu Gast.
Er hätte beinahe überzeugt.
VON SAMUEL SCHUMACHER
Ein Horrorszenario: Die vorderste
Reihe besetzt von nicht zahlenden
Vorstandsmitgliedern der Kulturkommission, zwei grimmige Paare,
in der Mitte viel freie Kapazität, und
ganz hinten ein pensionierter Primarlehrer, der für das Dorfblatt den
Wert der ländlichen Kleinkultur
schönschreibt. Und vorn, einsam auf
der Bühne, steht Werner Widmer alias Blues Max und kämpft gegen die
erdrückende Leere. So ist er ihm in
Erinnerung
geblieben,
sein
schlimmster Auftritt als Solo-Blueser
und -Komiker. Irgendwo im Nirvana
des Emmentals. Darum sei er schon
sehr froh, an diesem Abend im vollbesetzten ThiK im kulturell beflissenen Baden zu stehen und auf viel Gegenliebe aus dem Publikum zu stossen, ruft Blues Max mit seiner dunk-
Blues Max und Richard Koechli im ThiK.
len, kratzigen Stimme. Der Applaus
ist ihm sicher, vorerst.
Blues Max greift zur Gitarre, wie
er das seit nun rund 30 Jahren als
Bühnenartist tut, räuspert ins Mikrofon und schielt verschmitzt unter der
SAMUEL SCHUMACHER
Krempe seines Huts hervor. Als
schräg philosophierender VollblutBlueser preist sich Blues Max auf seiner Homepage an, und kommt auf
der ThiK-Bühne gleich zur Sache.
Vom Leichten und vom Schweren
Die besseren Anekdoten
Die Musik ist gut, richtig schön.
Die Blues-Harmonien und der stoisch-coole Richard Koechli erinnern
an eine Bar-Szene im Wilden Westen.
Der Sound gefällt, viele wippen mit.
Der inhaltliche rote Faden aber fehlt.
Und für einen wilden, unkoordinierten Ritt zwischen leicht und schwer
sind die Geschichten dann doch zu
platt. Der subtil homophobe Humor
wirkt – trotz Ankündigung – unpassend. Die alte Mär der lauten, ungehobelten Teenager in öffentlichen
Verkehrsmitteln ist abgegriffen, die
Metapher des «pubertierenden Güggels mit Migrationshintergrund und
kulturellem Schleudertrauma» lau.
Richtig witzig wird der souverän
spielende Blues-Komiker, als er aus
seiner vielleicht sogar wahren Biografie zu erzählen beginnt. Die viel
zu weite «Konf-Schale», der er nur
knapp entkam und die Annäherungsversuche als Jugendlicher an seine
grosse Liebe mithilfe einer Velopumpe klaubt er aus der Erinnerung hervor. In diesen Momenten entkommt
er der Schwere, sorgt für Lacher und
Schmunzeln. Man wünscht sich
mehr davon, und weniger Promi-Verriss und Generalangriffe auf Banker
und die Jugend. Blues Max behält
recht, wenn er zu Beginn des Abends
ankündigt, es könnte heiter werden,
müsse aber nicht.