»TIPP« zur klärungsorientierten Psychotherapie Das Transponible Integrative Prozessuale Psychotherapiemodell als Methode in der Psychotherapie Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht Praxis für Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Ritterplan 5 · 37073 Göttingen –1– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Zusammenfassung TIPP als individuelles Lebenspanorama ist eine konsistenzsteigernde Methode, indem es interagierende zentrale Faktoren im Überblick symbolisiert: die Dynamik des Positiven und Negativen, achtsame Selbstreflektion, haltgebende Beziehungen, Kognitionen, Veränderbares und Hinzunehmendes im Hinblick auf die individuellen Lebensziele. TIPP veranschaulicht potentielle Ansatzpunkte der Therapie. Die praktische Relevanz wird von Klienten und Therapeuten bestätigt. Schlüsselwörter Metamodell, Lebenspanorama, Achtsamkeit, Konsistenzverbesserung, Positive Psychologie »TIPP« A Model to improve consistency in Psychotherapy Summary TIPP as an individual “panorama of life” is a new coherence-enhancing technique that provides a symbol-based overview of interacting key factors: the dynamics of the positive and negative, mindful self-reflection, reliable relationships, cognitions, circumstances that can be changed and those that have to be accepted with regard to individual life goals. TIPP can highlight crucial problems and identify potential starting points for therapeutic intervention. The practical usefulness and relevance is confirmed by clients and therapists. Keywords metamodel, panorama of life, mindfulness, improvement of consistency, positive psychology –2– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Einführung TIPP ist ein neues, auf Symbolen beruhendes Modell psychischer Prozesse. Es ist transponibel, indem sich verschiedene Therapieansätze überführen lassen. Es ist integrativ, indem Interventionsmethoden diverser Psychotherapieansätze nach ihrem Wirkungsspektrum eingeordnet werden können. Es ist prozessual, indem es einen Überblick des Lebens-, Erlebens- und Therapieprozesses bietet. Im therapeutischen Kontext ist es eine Methode zur Konsistenzentwicklung. Die Förderung einer der Außenwelt angemessenen intrapersonalen Widerspruchsfreiheit ist das Ziel der Klärungsorientierten Psychotherapie. In der Psychotherapie gilt es, der Komplexität menschlichen Erlebens und Entwickelns gerecht zu werden. Parfy und Lenz (2009) führen hierzu aus, dass sich die zahlreichen relevanten, miteinander in Wechselwirkung stehenden Faktoren besser räumlich simultan und dynamisch begreifen lassen würden. Aber so viel Bildhaftigkeit „sei mit den Mitteln unserer Sprache leider schwer einzufangen“ (S. 64). Bereits Sachse (2003) fordert übergreifende Modelle, die die relevanten Schemata und die bedeutsamsten Zusammenhänge des Erlebens und Veränderns adäquat repräsentieren. In therapiezielorientierten Prozessen sollen sie die Kommunizierbarkeit und Erinnerbarkeit des Bedeutsamen sowie die Handlungsorientierung von Klienten* und Therapeuten unterstützen. Grawe (2004) entwickelt als übergreifendes Ziel der Psychotherapie die Verbesserung der Konsistenz, also der „Übereinstimmung bzw. Vereinbarkeit der gleichzeitig ablaufenden neuronalen/psychischen Prozesse.“ (S. 186). Eine vergleichbare Konzeptualisierung findet sich auch in der Positiven Psychologie: Antonovski und Franke (1997) beschreiben die Bedeutung des Kohärenzsinns im Konzept der Salutogenese. Methode in der Psychotherapie Das nonverbale, auf Symbolen beruhende Modell TIPP stellt eine psychotherapeutische Methode dar, mit Klienten in einem einzigen Bild einen Überblick zu gewinnen über: • • • • • • • das akute Problem mit den dazugehörigen Verhaltensweisen, Kognitionen, Emotionen, Körperreaktionen die übergeordneten Regeln und Metakognitionen die Auslöser und Ursachen die erwarteten künftigen Krisen und möglichen Ziele die Notwendigkeit zur Akzeptanz des Unveränderlichen sowie die Möglichkeit zur Gestaltung des Beeinflussbaren und des konstruktiven Umgangs mit Ereignissen den komplexen Therapieprozess * In diesem Artikel wurde bei geschlechtsspezifischen Bezeichnungen ausschließlich die „männliche Form” verwendet. Dieses Vorgehen soll keine Diskriminierung der Klientinnen, Therapeutinnen, etc. darstellen, sondern erfolgte aus Gründen der besseren Lesbarkeit. –3– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Einsatz im Therapieprozess TIPP soll diagnoseorientierten Therapiemanuale und Psychotherapieansätze nicht ersetzen, sondern diese um eine effizienz- und konsistenzsteigernde Methode ergänzen. TIPP kann zu verschiedenen Zeitpunkten im Therapieprozess eingesetzt werden: • • • Während der Probatorik, um gemeinsam mit dem Klienten ein Gesamtbild des Lebens und des therapeutischen Prozesses zu erhalten und eine Fallkonzeptualisierung zu entwickeln. Prozessbegleitend zur Entwicklung und Aufrechterhaltung des Überblicks der Veränderungsmöglichkeiten, -bedingungen, -schritte und Erfolge. Am Ende der Therapie zur Rückfallprophylaxe. Das Bild TIPP TIPP wurde in iterativen Prozessen in Therapie und Supervision entlang verhaltenstherapeutischer Theorienbildung mit einer achtsam-empathischen Grundhaltung entwickelt. Um Klienten an TIPP heranzuführen, empfiehlt es sich, die Symbolik zunächst schrittweise zur Illustration wichtiger Gesprächsinhalte zu nutzen. Hierzu lassen sich auf Papier, White Board oder Flip Chart kleinere Skizzen mit einzelnen Symbolen entwickeln: zum Beispiel eine durch zu viele Stressoren (Gewichte) aus der Balance gekommene Waage. Bei Fortschreiten des Verständnisprozesses kann die im DIN A5-Format vorliegende, nonverbale, rein symbolische Basisvorlage mit individuellen Inhalten beschriftet werden. Hier können zudem stichwortartig bedeutsame Erinnerungen festgehalten werden. Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn zunächst der Therapeut diese Aspekte notiert. Als Hausaufgabe kann der Patient die Ergebnisse in eine weitere Basisvorlage übertragen und sein persönliches TIPP-Lebenspanorama erstellen. Dieses Arbeitspapier kann bei Bedarf weiterentwickelt werden und den gesamten Therapieprozess begleiten. Zusätzlich unterstützt ein TIPP-Poster im DIN A0-Format die Orientierung am Lebenspanorama. –– Abbildung 1 (Probatorik) einfügen –– Gespiegelt an der vertikalen Mittelachse sind alle Zeichen symmetrisch in Rot bzw. Grün dargestellt. Die gleichzeitige Visualisierung saluto- und pathogenetischer Aspekte (z.B. Erlebnisse, Ziele, adaptive und maladaptive Kognitionen) trägt den Erkenntnissen der Positiven Psychologie sowie der aktuellen Neuropsychologie Rechnung, dass zielorientiertes Handeln effektiver ist als die alleinige Konzentration auf die Beseitigung des Negativen. Bedeutung der Gegenwart Dem Bauch der Strichfigur entspringt eine Lemniskate. Diese liegende Acht stellt die Schwingungsfähigkeit menschlichen Erlebens dar. Bei Menschen, die eine Psychotherapie aufsuchen, ist die Kontrolle der grün/roten Balance beeinträchtigt. Zu häufig, zu lange, zu intensiv kommt es z.B. durch zu viele Stressoren (rote Gewichte) zu negativem Empfinden. –4– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Entsprechend einer horizontalen Verhaltensanalyse sensu Bartling et al. (2008) können auf dieser Ebene antezendente und kontingente Ereignisse (Sterne) und die in steter Interaktion stehenden behavioralen, kognitiven, emotionalen und physiologischen Verhaltensvariablen auf der Lemniskate erfasst werden. Entsprechend der vertikalen Verhaltensanalyse befinden sich über den Schleifen Metakognitionen – symbolisiert durch (EEG-)Wellen – wie z.B. Regeln, Pläne, Schemata unterschiedlicher Abstraktionsstufen. Auf der ersten Stufe z.B. „Bedingte Annahmen“ sensu Beck (1999) mit Regeln über sich und die Welt sowie auf der zweiten Abstraktionsstufe mit generalisierten „Grundannahmen“ über sich. Die Pfeile symbolisieren die Interaktion zwischen Metakognitionen und situativ Erlebtem. Intensive negativ erlebte Ereignisse „infizieren“ induktiv negative Metakognitionen; „virulente“ negative Metakognitionen führen vermehrt deduktiv zu möglicherweise fälschlich bzw. übertrieben negativen Beurteilungen. Auf der Waage liegen verschiedene Gewichte, zum einen Stressoren und förderliche Aktivitäten, zum anderen auch prädisponierende genetische, neurobiologische und kulturelle Einflussfaktoren. Alle beeinflussen die Möglichkeiten des Menschen, eine zufriedene Ausgewogenheit mit sich und der Umwelt erreichen zu können. Während oberhalb der Waage der individuelle Wirkungskreis des Menschen erfasst ist, stellen die gelben Sterne, als Stimuli bzw. Konsequenzen, den Übergang zu den Wirkungskreisen signifikanter Mitmenschen dar. So können Menschen als soziale Wesen in ihren gegenwärtigen interaktionellen Beziehungen abgebildet werden. In sozialkonstruktivistischer Hinsicht wird die Wirkung des Einen zum Auslöser für den Anderen, dessen Wirkung wiederum beim Ersten etwas auslöst. In Paartherapien kann mit gekoppelten TIPPs gearbeitet werden. Das am Fragezeichen aufgehängte Pendel steht für Unveränderliches, das hinzunehmen, zu akzeptieren ist. Zirkadiane Rhythmen (Tag/Nacht-, Wochen-, Jahreszeitrhythmus) und auch Glücksfälle und Schicksalsschläge sind im Pendel symbolisiert. Die Pendelbewegung erfasst das Ausgeliefertsein an positive und negative externe Einflüsse. Im Fragezeichen ist die Frage nach dem Zusammenhang, dem „Sinn des Ganzen“ symbolisiert: Der „liebende“ und/oder „strafende Gott“, Schicksal, Zufall, Natur, Chaos, Energie, Liebe oder auch philosophische Konzepte, wie z.B. „der unbewegte Beweger“ nach Aristoteles. Besonders bei der Arbeit mit schwer depressiven, suizidalen oder sterbenden Menschen ist es von großer Bedeutung, dass Therapeuten ihre eigene Position dazu selbst gut reflektiert haben (vgl. Stavemann (2008)). Die dunkelblauen Vögel symbolisieren die situativen/überdauernden, bewussten/unbewussten, vergangenen/gegenwärtigen/zukünftigen Ich-Zustände, die die Selbst-Organisation und das Verhalten im gegenwärtigen sozialen Kontext beeinflussen. Im persönlichen Erleben werden diese Ich-Anteile kaum differenziert bewusst erfasst. Je nach individueller Reflektionsstufe werden sie als ich-synton oder ich-dyston erlebt. Diagnostiker definieren Ihr Zusammenwirken, ihre soziale und individuelle Funktionsweise als „gesund“ oder „krank“. In neuropsychologischer Perspektive (z.B. Grawe 2004) wird ihr Ursprung in komplexen neuronalen Zellverbänden und Mustern verortet. Diese werden in ihrer Struktur und Funktionsweise als genetisch fundiert und durch die individuelle Lerngeschichte geprägt verstanden. Sie finden offenbar in Stammhirn, limbischem System und Großhirnrinde ihren Ausgang und stehen mit den Sinneseindrücken der Körperperipherie in steter Wechselwirkung –5– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung (Hüther 2006). Entsprechend der Hebbschen Regel „neurons that fire together wire together“ (Hebb 2002) kann man sich hier Neuronenverbände vorstellen, die von Erfahrungsmustern der Vergangenheit ausgehend mit Wahrnehmungen und Bedeutungen der Gegenwart und Zukunft interagieren. Im psychotherapeutischen Kontext sind hier je nach Theorieansatz „Innere Kinder“ (Young et al. 2008), „Ego-States“ (Peichl 2007), oder auch – reduziert auf den kognitiven Inhalt des Symbols „roter Vogel“ – die „negative kognitive Triade“ sensu Aaron Beck (1999) zu nennen. Der grüne Vogel ist der des Optimisten, der sich an positiven, grünen Ereignissen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft orientiert und annäherungsmotiviert ist. Vergangenheit und disponierende Faktoren Am unteren Rand des Bildes sind auf der rechten Seite in der Lemniskate mit der großen grünen Schleife positiv gefärbte Erlebnisse zu repräsentieren, während links die negativen Zeiten (Vernachlässigung, Traumata, Krisen) zu verzeichnen sind. Die gestrichelte Linie verdeutlicht den möglichen positiven oder negativen Einfluss dieser Erfahrungen als Ressource bzw. Vulnerabilität auf den Inhalt der aktuell entscheidenden Kognitionen (Wellen). In den Steinen sind verschiedene individuelle Einflußgrößen erfasst, die entsprechend ihrer Valenz als negative (rote) oder positive (grüne) Gewichte auf der Waage Bedeutung erlangen: Genetische Faktoren: Es kann als erwiesen gelten, dass Gene und Wechselwirkungen spezifischer Genomabschnitte in Interaktion mit Lebenserfahrungen die Auftretenswahrscheinlichkeit spezifischer Erkrankungen und Verhaltensmuster erhöhen. Dispositionen dieser Art werden vermutlich u.a. in Reizverarbeitungsmustern, Persönlichkeitszügen, im Temperament wirksam (vgl. z.B. Cichon & Rietschel). Neurobiologische und neuropsychologische Faktoren: Die neurobiologische Forschung erbringt in wachsendem Maß Belege, dass Neuromodulatoren, neuroendokrine Systeme, neuroanatomische Veränderungen und spezifische neuronale Funktionen an der Modulation der Emotionalität beteiligt sind. Neuropsychologisch werden beispielsweise die Einflüsse von Aufmerksamkeit, Kurzzeitgedächtnis oder auch die Bedeutung des „Behavioral Activation Systems“ (BAS) untersucht. Letzterem wird eine Bedeutung für motivationales und zielgerichtetes Verhalten zugewiesen (Hautzinger & Meyer 2011). Soziokulturelle Faktoren: Auch demographische Faktoren wie z.B. Religions-, Kultur- und Schichtzugehörigkeit spielen eine Rolle bei der Entstehung und Modulation von Affekten und Verhalten. Familiäre Faktoren: Hier lässt sich der Einfluss familiärer Gepflogenheiten, der mit dem jeweiligen spezifischen Familienkontext einhergehende Erfahrungshintergrund sowie beispielsweise auch die Modellwirkung bedeutsamer Personen aufführen. Zukunftsentwürfe Die große Sonne steht für das kardinale Annäherungsziel des Lebens (Grawe 2004), die kleinen Sonnen für Etappen- oder Therapieziele. –6– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Analog stehen Regenwolke/Mond auf der linken Seite des Bildes für das große Vermeidungsziel, bzw. verschiedene kleinere Vermeidungsziele (Grawe 2004). Der gewundene Weg zu Lebenszielen verläuft durch antizipierte gefürchtete/vermiedene und durch attraktive/angestrebte künftige Situationen. Er symbolisiert das in der Regel notwendige „Aufkreuzen“ zu immer höheren Zielen. Das Symbol des Aufkreuzens aus der Seglersprache impliziert die motivierende Tatsache, dass man sehr wohl auch Ziele erreichen kann, die exakt gegen die „Richtung des Windes“ liegen. Die Entwicklung eigener Fertigkeiten, geduldiges „Aufkreuzen“, das „Spiel mit Wellen und Wind“, „Wind in die Segel holen“, das Bewältigen von Unangenehmem (z.B. Konfrontationsübungen, Konflikte und Krisen), sowie ein Auftanken der Ressourcen und die Bestärkung positiver Kognitionen in angenehmen sonnigen Erlebnissen ist dazu erforderlich. Achtsame Vogelperspektive Das rot-grüne Doppelherz in der Mitte des Bildes TIPP stellt den ausgewogenen inneren Bewusstseinszustand des „healthy adult“ (Young et al. 2008), des „gesunden Erwachsenen“ (Roediger 2011), der „fully functioning person“ (Rogers 1983, 1986), des „weisen Erwachsenen“ (Baumann & Linden 2008), des nicht neurotischen Erwachsenen dar. Inwiefern hier die geistige Freiheit zur Selbstbestimmung zu finden ist, bleibt vorerst wissenschaftlich strittig. Diese ruhige, sichere Position mag auf hilfreichen Lernerfahrungen, einem guten Umgang mit sich und der Welt in einer für die Person zu bewältigenden Umwelt, der gut reflektierten Verarbeitung der Vergangenheit und angemessenen Zielen beruhen. Gutes Kohärenzerleben ist dabei die Basis für flexibles, reflexives, ausgewogenes und adaptives Denken. Schulen lässt sich die innere achtsame Ausgewogenheit durch meditative Praxis oder auch mittels regelmäßiger Reflektion des eigenen Lebens und Erlebens, z.B. mit TIPP. Achtsamkeit wird in verschiedensten therapeutischen Ansätzen als zentral betrachtet: In der Gestalttherapie als „awareness“, in der Klientenzentrierte Therapie als „Achtsamkeit und Akzeptanz“, in der Psychoanalyse als „freie Assoziation, gleichschwebende Aufmerksamkeit“ sowie auch in allen neueren verhaltenstherapeutischen Ansätzen, wie Dialektisch-Behavioraler Therapie (DBT; Linehan 1996), Mindfulness-Based-Cognitive Therapy (MBCT; Segal et al. 2008), Acceptance and Commitment-Therapy (ACT; Hayes et al. 2004). Die entscheidende Bedeutung des Konstrukts der Achtsamkeit ist in TIPP durch die zentrale Positionierung des Doppelherzes hervorgehoben. Achtsamkeit bezeichnet die gerichtete und weit geöffnete Aufmerksamkeit auf innere und äußere Prozesse (Heidenreich & Michalak 2006, Michalak & Heidenreich 2012). Diese Vogelperspektive ermöglicht sowohl eine bessere Distanzierung zu spontanen eigenen Alltagsreaktionen als auch eine bessere Integration verschiedener Ich-Anteile. Das im therapeutischen Prozess einfühlsam gemeinsam entwickelte individuelle Lebenspanorama TIPP verstärkt – ergänzend zu Achtsamkeitsübungen – eine akzeptierend wertschätzende Betrachtung des eigenen Erlebens, der Mitmenschen und der Welt. Das unter dem rotgrünen Doppelherz befindliche Oval symbolisiert eine Linse. Die Linse steht für die Möglichkeiten, sich und seine Welt differenziert zu betrachten. Mit dem Weitwinkel wird die gegenwärtige Situation erfasst, mit dem Teleobjektiv vergangene Erlebnisse und zukünftige Annäherungs- und Vermeidungsziele, mit Lupe und Mikroskop der innere Mikrokosmos mit Gedanken, Gefühlen, Körperreaktionen. In einem Prisma lassen sich die komplexen inneren und –7– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung äußeren, vergangenen, gegenwärtigen und zukunftsbetreffenden Projektionen wiederfinden. Diese Art der Selbstreflektion trägt zu einem akzeptierenden Verständnis der lebensgeschichtlichen Entwicklung bei und verbessert Konsistenz, Kongruenz und Kontinuität des Erlebnisstroms. Als dynamisches Symbol ist ein Funke, ein „springender Punkt“ in TIPP dargestellt. Während des therapeutischen Gespräches symbolisiert er den aktuellen Gesprächsgegenstand, das momentane und vom Therapeuten empathisch erfasste Erleben des Klienten. Er bezeichnet ein zentrales Agens der therapeutischen guten Beziehung und erfasst die Entität, in der momentan am ehesten die Möglichkeit einer tiefgreifenden und langanhaltenden Veränderung zu finden ist. Mittels dieses springenden Punktes lässt sich auch konkretisieren, auf welcher Ebene (z.B. Vergangenheitsbewältigung, Aktivitätenplanung, Kognitive Umstrukturierung, Zielentwicklung) gerade gearbeitet wird. Wertschätzende Beziehungen Die Bedeutung einer sicheren Bindung zur gesunden menschlichen Entwicklung ist durch vielerlei Befunde belegt (vgl. z.B. Grossmann & Grossmann 2003). Im ursprünglichen Sinn ist es die Beziehung zu den Eltern und anderen signifikanten Bezugspersonen, im späteren Lebensverlauf zu wohlgesonnenen Erwachsenen, Freunden, ggf. zum Therapeuten. Fehlt die Geborgenheit, ein Containment der Gefühle, entwickeln sich zunächst adaptive Überlebensstrategien, die in der durch mehr Freiheitsgrade gekennzeichneten Welt des Erwachsenen maladaptiv sind, z.B. ängstlich rigide, skeptisch-misstrauisch, abwertend. Sie bedürfen heilender neuer Beziehungserfahrungen. Es ist visualisiert, dass das „gesunde Ich“ quasi an positiven Beziehungserfahrungen „hängt“ und dass man sich als Mensch auf der Lemniskate an einer wirklich guten Beziehung aufrichten und einen zuverlässigen Schwerpunkt auf der Waage des Lebens finden kann. Der hellblaue Vogel symbolisiert eine als bedeutsam empfundene Bezugsperson. Die Lemniskaten im Bauch der Vögel signalisieren auch hier die in steter Veränderung befindlichen Erlebniszustände. Die maßgebliche Bedeutung der therapeutischen Beziehung für den Therapieerfolg wurde in unzähligen Therapiestudien und diesbezüglichen Metaanalysen (Grawe 1999) belegt. Nahezu alle Therapierichtungen enthalten Ideen und Regeln zu ihrer sinnvollen Gestaltung (Rogers 1983, 1986; Sachse 2003, Sachse et al. 2011]. Beispielsweise wird bei Mc Coullough (2006) ein „disciplined personal involvement“, bei Young et al. (2008) ein „limited reparenting“ als bedeutsam bezeichnet. Die gestrichelte Linie stellt als intrapersonelle Ich-Achse den wertschätzenden inneren Dialog dar, der auf emotionalem Halt und guter kognitiver Orientierung beruht. Checkliste im Bildlichen Ziel psychotherapeutischer Interventionen ist die Wiederherstellung der Balance und Annäherung an persönliche Lebensziele. Dies ist durch Kombination verschiedener therapeutischer Techniken möglich: –8– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung a) durch Verhaltensveränderungen (z.B. Aktivitätenplanung, behaviorale Strategien). In TIPP wird dies durch eine Reduktion roter (Stressoren) und eine Akkumulation grüner Gewichte (angenehme Aktivitäten) dargestellt. b) durch Modifikation der Kognitionen (Wellen) im weitesten Sinn (kognitive Copingstrategien, Schemata, Regeln, Pläne, achtsame Grundhaltung). Dieser Veränderung hin zu vermehrt konstruktiven (grünen) Bedeutungen folgen deduktiv neue Entwicklungen des Verhaltens, der Gefühle, der Körperreaktionen, die in der linken grünen Schleife der Lemniskate sichtbar werden. c) durch Schulung von adäquateren Wahrnehmungsprozessen, d) durch Entwicklung einer achtsamen Grundhaltung (rot-grünes Doppelherz) e) durch Verbesserung der Beziehungsfähigkeit (Beziehungsherz) f) durch die Entwicklung realistischer Annäherungsziele und den konstruktiven Umgang mit Vermeidungszielen g) durch Vergangenheitsbewältigung, indem früher erworbene Erfahrungsmuster in der Therapie einer neuen Lerngeschichte ausgesetzt werden, z.B. durch „innere-Kind-Arbeit“, Stühle-Dialoge, Phantasiereisen. Fazit für die Praxis • TIPP ist ein therapeutisches Instrument, um Kohärenz und Selbstwirksamkeit zu erhöhen. Im Sinne einer kognitiven Landkarte bietet es Orientierung in der lebenszielorientierten Selbstorganisation. • Kognitive Schemata bleiben während der therapeutischen Bearbeitung durch die Symbolik besser emotional aktiviert und sind so leichter modifizierbar. • Es verknüpft menschliches Erleben mit professionellem Planen und Handeln, indem es sowohl umgangssprachlich als auch in Fachtermini zu beschreiben ist. • TIPP ermöglicht Psychotherapeuten eine individuelle Fallkonzeptualisierung. Die Transponierbarkeit von TIPP ermöglicht, verschiedene Therapieansätze und die diesbezüglichen Interventionsstrategien in TIPP darstellen. • Die bunte symbolische Fallskizze lässt sich für Psychotherapeuten zur Intravision sowie Supervision nutzen. • Komplexes prozessuales Denken, das verschiedene Therapieansätze involviert, kann übersichtlich strukturiert und leichter vermittelt werden. Danksagung Ich danke Frau Prof. Margarete Boos, Frau Prof. Claudia Mähler, Herrn Prof. Martin Hautzinger sowie Dr. Heinz Liebeck für hilfreiche Diskussionen und Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieses Artikels. Meinen Klienten, Kollegen sowie allen Supervisanden und Auszubildenden danke ich für viele Anregungen aus der Anwendung von TIPP. –9– Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Abbildungslegende Abbildung 1: Das TIPP-Modell als Probatorik-Vorlage. An der Mittelachse gespiegelt finden sich links maladaptive, rechts adaptive Faktoren; links Fachtermini, rechts sokratische Fragen Interessenkonflikt Die Autorin gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen. – 10 – Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Literatur Antonovsky A, Franke A (1997): Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen, DGVT. Bartling G, Echelmeyer L, Engberding M (2008): Problemanalyse im therapeutischen Prozess. Stuttgart, Kohlhammer. Baumann K, Linden M (2008): Weisheitskompetenzen und Weisheitstherapie. Lengerich, Pabst Science Publishers. Beck J (1999): Praxis der kognitiven Therapie. Weinheim, Psychologie Verlags Union. Cichon S, Rietschel M (2007): Die Genetik der bipolaren Störung. Medizinische Genetik; 19:335-341. Grawe K (1999): Gründe und Vorschläge für eine allgemeine Psychotherapie. Psychotherapeut; 44:350-359. Grawe K (2004): Neuropsychotherapie. Göttingen, Hogrefe. Grossmann KE, Grossmann K (2003): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. Stuttgart, Klett-Cotta. Hautzinger M, Meyer TD (2011): Bipolar affektive Störungen. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen, Hogrefe. Hayes SC, Strohsahl KD, Wilson KG (2004): Akzeptanz und Commitment Therapie: Ein erlebnisorientierter Ansatz zur Verhaltensveränderung. München, CIP-Medien. 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Margit Brenig-Eggebrecht · Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen Verhaltenstherapie · Supervision · Ausbildung Korrespondenzadresse Dipl.-Psych. Margit Brenig-Eggebrecht Ritterplan 5 · D-37073 Göttingen (0551) 5 31 21 00 @ [email protected] – 13 –
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