10.06.2015 ZPO II Teil 1.6: Weitere Arten des Verfahrensabschlusses RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 1 Teil 1.6: Weitere Arten des Verfahrensabschlusses 1. Abschnitt: Erledigung der Hauptsache RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 2 1 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Erledigung der Hauptsache ◊ Erledigung der Hauptsache ◊ Situation: ursprünglich zulässige und begründete Klage wird nach Erhebung unzulässig oder unbegründet (= "erledigendes Ereignis") • z.B. Erfüllung, Untergang der streitbefangenen Sache, Zeitablauf bei zeitlich gebundenem Begehren, Wegfall der Wiederholungsgefahr bei Unterlassungsklage • Kläger kann nicht mehr mit dem ursprünglichen Antrag obsiegen (etwa bei der Erfüllung: Wenn die Forderung erfüllt ist, erlischt sie nach § 362 BGB, so dass die Klage abzuweisen wäre, wenn der Antrag weiter verfolgt wird). Klageabweisung hätte aber negative Kostenfolgen. RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 3 Verfahrensbeendigung Erledigung der Hauptsache ◊ günstigere Kostenentscheidung durch Erledigungserklärung • beiderseitig • oder einseitig (nicht im Gesetz geregelt) ◊ erledigendes Ereignis muss nach Klageerhebung eingetreten sein - entfällt der ursprüngliche Klageanlass zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit (nach Einreichung, aber vor Zustellung der Kl.), so liegt nach h.M. keine Erledigung im Rechtssinne vor nur Klagerücknahme nach § 269 III 3 (Entscheidung über die Kosten nach billigem Ermessen) RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 4 2 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Erledigung der Hauptsache ◊ Übereinstimmende Erledigungserklärung: ◊ Kläger erklärt die Erledigung, der Beklagte kann sich anschließen • auch durch "Schweigen" = Verstreichenlassen einer zweiwöchigen Notfrist ab Zustellung der Erledigungserklärung, § 91a I 2 Rechtshängigkeit wird ex nunc beendet • ohne gerichtliche Prüfung des erledigenden Ereignisses (Dispositionsmaxime) Gericht entscheidet nur noch über die Kosten • von Amts wegen • nach billigem Ermessen • maßgeblich: der voraussichtliche Prozessausgang • aber nur unter Zugrundelegung des „bisherigen“ Sach- und Streitstandes • durch Beschluss, § 91a I 1 • vorläufig vollstreckbar, § 794 I Nr. 3 • dagegen sofortige Beschwerde, § 91a II 2, 511, 567 II 1 RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 5 Verfahrensbeendigung Erledigung der Hauptsache ◊ Einseitige Ek ◊ = Erledigungserklärung des Klägers, der sich der Beklagte nicht angeschlossen hat (auch nicht durch Fristablauf, § 91a I 2) Rechtshängigkeit wird nicht beendet Umdeutung der Erledigungserklärung des Kl.: Klageänderung auf Feststellung, dass die Klage in der Hauptsache erledigt ist (BGH, h.M., sog. Klageänderungstheorie) • ab jetzt hängt die Begründetheit davon ab, ob ein erledigendes Ereignis (s.o.) vorliegt, das konkret zur Erledigung geführt hat • praktisch geht es weiterhin um die ursprüngliche Zulässigkeit und Begründetheit der Klage Entscheidung durch Urteil • h.M.: Kosten nach allgemeinen Regeln, §§ 91 f. Bekl. muss Kosten tragen, wenn zu Unrecht daran festgehalten hat, von Anfang an im Recht gewesen zu sein. RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 6 3 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Erledigung der Hauptsache ◊ K verklagt den B auf 3000 Euro Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall. Während des Prozesses zahlt B die geforderte Summe an K. K und B sind der Auffassung, dass es überflüssig sei, wenn jetzt noch ein Gerichtsurteil ergehe. Wie können sie den Prozess ohne Urteil beenden? ◊ B zahlt „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ und „unter Verwahrung gegen die Kosten des Rechtsstreits“. Wie kann K der drohenden Klageabweisung entgehen? RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 7 Verfahrensbeendigung Erledigung der Hauptsache ◊ Lösung: ◊ - Beide Seiten erklären die Erledigung der Hauptsache (sog. beiderseitige Erledigungserklärung). Das Gericht entscheidet lediglich gemäß § 91 a ZPO durch Beschluss über die Kosten des Rechtsstreits. Es wird die Kosten demjenigen aufgelegen, der vermutlich verloren hätte, hier also dem B. ◊ - Wenn B der Erledigungserkl. des K nicht zustimmt, kann K die Klage ändern und statt des ursprünglichen Zahlungsbegehrens die Feststellung beantragen, dass die Hauptsache erledigt ist (sog. einseitige Erledigungserklärung). RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 8 4 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Erledigung der Hauptsache ◊ K verklagt den B auf Zahlung. Die Klageschrift geht am 24.10.2008 bei Gericht ein und wird dem B am 31.10.2008 zugestellt. Am 30.10.2008 zahlt B an K den geschuldeten Betrag. ◊ Lösung: Das „erledigende Ereignis“ war bereits vor Rechtshängigkeit eingetreten. Der BGH hat eine einseitige Erledigung in einer solchen Situation abgelehnt: Vor Rechtshängigkeit könne schon begrifflich nicht von der „Hauptsache“ und folglich auch nicht von deren Erledigung gesprochen werden. K muss die Klage als zurücknehmen, wird hier aber kostenmäßig privilegiert, § 269 III. RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 9 Teil 1.6: Weitere Arten des Verfahrensabschlusses 2. Abschnitt: Prozessvergleich RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 10 5 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich ◊ Gütliche Beilegung des Rechtsstreits durch gegenseitiges Nachgeben • § 278 II: obligatorische Güteverhandlung vor der mündlichen Verhandlung, erleichterter Vergleichsabschluss aufgrund eines schriftlichen Vergleichsvorschlags des Gerichts, § 278 VI ◊ Doppelnatur • Rechtsgeschäft, materiellrechtlicher Vergleich, § 779 BGB • Prozessvertrag • weil er den Rechtsstreit beendet • weil er Vollstreckungstitel ist, vgl. § 794 I Nr. 1 RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 11 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich Doppelnatur Rechtsgeschäft Prozessvertrag RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 12 6 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich ◊ Zustandekommen ◊ Materiellrechtliche Voraussetzungen eines Rechtsgeschäfts • zusätzlich: gegenseitiges Nachgeben, § 779 BGB • sehr geringe Anforderungen: minimales Zugeständnis, z.B. bzgl. der Fälligkeit, genügt • lediglich ein reines Anerkenntnis oder ein Verzicht werden nicht erfasst, jede andere Beendigung reicht aus ◊ Prozessuale Voraussetzungen: • Prozesshandlungsvoraussetzungen der Parteien • vor einem deutschen Gericht im rechtshängigen Verfahren • gerichtliche Protokollierung (§ 160 III Nr. 1) • ersetzt evtl. bürgerlichrechtliche Formerfordernisse, §§ 127a, 126 IV, 129 II BGB • Parteien müssen dispositionsbefugt sein • Bedingungen sind möglich RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 13 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich Zustandekommen: Prozessvertrag ◊ 1. Variante: Eigeninitiative der Parteien • Erklärung der Parteien • Einbeziehung Dritter ist möglich • Vollstreckungstitel ist der Vergleich gegen den Dritten aber nur, wenn er sich laut Prozessvergleich eindeutig als Schuldner bekannt hat und der Zwangsvollstr. unterworfen hat • in der mündlichen Verhandlung • in einem rechtshängigen Verfahren • auch PKH-Verfahren oder selbständiges Beweisverfahren • vor einem deutschen Gericht • nicht zwingend vor dem Prozessgericht • auch vor einem beauftragten oder ersuchten Richter • Protokollierung, § 160 III Nr. 1 ◊ 2. Variante: Gerichtlicher Vergleichsvorschlag • schriftliche Annahme durch die Parteien und gerichtlicher Beschluss, der das Zustandekommen feststellt, § 278 VI RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 14 7 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich Wirkungen des Prozessvergleichs ◊ prozessuale Wirkungen: • unmittelbare Beendigung des Rechtsstreits und der Rechtshängigkeit des Anspruchs • i.d.R. konkludent vereinbart: Beseitigung eines in dieser Sache bereits ergangenen, aber noch nicht rechtskräftigen Urteils, § 269 III 1 analog • Vollstreckungstitel, § 794 I Nr. 1 ◊ materiellrechtliche Wirkungen • je nach Vertragsinhalt • es können auch Fragen einbezogen werden, die nicht Gegenstand des Prozesses waren RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 15 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich ◊ Prozessvergleich „unter Widerrufsvorbehalt“ ◊ Praktisches Bedürfnis, da • Vergleichsvorschlag oft erst in der mündlichen Verhandlung vom Gericht unterbreitet wird, • in der Mandant nicht anwesend ist • oder der Mandant ist anwesend, kann sich aber noch nicht entscheiden (seltener Fall), • oder eine Versicherung steht hinter dem Prozess als Rechtsschutz- oder Haftpflichtversicherer, mit der der Vergleich abgesprochen werden muss. ◊ Rechtskonstruktion: • Grundsatz: Nicht-Widerruf in der vereinbarten Frist ist aufschiebende Bedingung für das Wirksamwerden des Vergleichs • wird die Widerrufsfrist versäumt, wird der Vergleich wirksam RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 16 8 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich Auswirkung von Unwirksamkeitsgründen ◊ Anfängliche Unwirksamkeit: prozessbeendigende Wirkung entfällt (auch Vollstreckungstitel), "altes" Verfahren wird auf Antrag fortgesetzt • ... des materiellrechtlichen Vergleichs, z.B. wegen Sittenwidrigkeit • ... des Prozessvertrags, z.B. wegen nicht ordnungsgemäßer Protokollierung oder bei fehlender Postulationsfähigkeit • Auslegung, ob Rechtsgeschäft wirksam sein soll, §§ 139, 140 BGB • Entscheidung gemäß Vergleichsinhalt ◊ Nachträgliche Unwirksamkeit • ... des materiellrechtlichen Vergleichs (z.B. durch Rücktritt, Anfechtung wegen eines Willensmangels [Zuordnung wg. § 142 BGB str.], Aufhebung): • h.M., BGH: Prozessvertrag wird nicht beeinflusst • Prozess bleibt beendet, Vollstreckungstitel erhalten • neuer Prozess (mit dem alten Streitstoff) notwendig • A.A. BAG, Teile der Literatur: schlägt auf Prozessvertrag durch RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 17 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 18 9 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 19 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich Streit über den Prozessvergleich RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 20 10 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Prozessvergleich Kosten des Prozessvergleichs ◊ Außergerichtliche Kosten erhöhen sich um eine 1,0 Gebühr ◊ Regelung im Prozessvergleich • entweder positiv oder negativ • oder indem lediglich § 98 abbedungen und das Gericht um eine Kostenentscheidung nach § 91a gebeten wird ◊ sonst: Aufhebung gegeneinander, § 98 S. 1 • Gerichtskosten hälftig zu teilen • außergerichtlichen Kosten werden von jeder Partei selbst getragen, § 92 I 2 RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 21 Teil 1.6: Weitere Arten des Verfahrensabschlusses 3. Abschnitt: Klagerücknahme RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 22 11 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Klagerücknahme ◊ Klagerücknahme ◊ Voraussetzungen • Erklärung des Klägers • einseitige Prozesshandlung, daher unwiderruflich, unanfechtbar, bedingungsfeindlich • Einwilligung des Beklagten, • nur, wenn bereits die Verhandlung zur Hauptsache (d.h. zur Begründetheit) begonnen hat (Antrag des Beklagten auf Klageabweisung), § 269 I RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 23 Verfahrensbeendigung Klagerücknahme ◊ Wirkungen • Beseitigung der Rechtshängigkeit ex tunc, § 269 III 1 • Kostentragungspflicht grds. des Klägers, § 269 III 2 • Ausnahme: Rücknahme wegen Wegfalls des Klageanlasses zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit, § 269 III 3 • auch, wenn die Klage gar nicht zugestellt wurde • keine Entscheidung zur Hauptsache keine Rechtskraft neue Klage möglich • aber Prozesseinrede, wenn die Kosten der zurückgenommenen Klage nicht bezahlt wurden, § 269 VI • Materiell-rechtlich: Verjährungshemmende Wirkung: § 204 II 2 BGB beachten! RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 24 12 10.06.2015 Verfahrensbeendigung Klagerücknahme RA Prof. Dr. Hubert Schmidt - ZPO II 25 13
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