Praxis 22 Ausgabe 12/14, 17. Jahrgang für Positive D HIV hat weltweit Millionen Todesopfer gefordert. In Deutschland halten Medikamente das Virus heute soweit in Schach, dass infizierte Menschen damit alt werden können. Was das für ihr Leben bedeutet, zeigt ein Besuch in der Berliner Schwerpunktpraxis von Dietmar Schranz. Eine Reportage von Kay Funke-Kaiser (Text) und Stefan Boness (Fotos) Ausgabe 12/14, 17. Jahrgang HIV UND AIDS ietmar Schranz, Arzt für Innere Medizin, legt die lebensrettenden Medikamente vor sich auf den Tisch. Die erste Pille ist orange, die zweite blassrosa, die dritte grün. Alle drei sind groß und kantig und sehen nicht so aus, als seien sie einfach zu schlucken. Alle drei sind die neuesten Präparate in der Behandlung von HIV-Patienten. Jedes der Medikamente enthält drei Wirkstoffe. Es braucht mindestens drei Wirkstoffe, um eines der gefährlichsten Viren der vergangenen 50 Jahre erfolgreich zu bekämpfen. Einer allein reicht nicht. Das Virus verändert sich so schnell, dass dauernd neue Varianten entstehen, gegen die das verabreichte Arzneimittel dann wirkungslos ist. Erst drei Wirkstoffe zusammen halten die Mutationen im Zaum. Diese Erkenntnis brachte die Wende im Kampf gegen das HIVirus, das bisher weltweit fast 40 Millionen Menschen das Leben kostete (siehe Kasten „HIV und Aids in Zahlen“ auf Seite 24). Individuelle Dauer-Medikation finden. Ralph Ehrlich sitzt seinem Arzt Dietmar Schranz gegenüber und betrachtet mit ihm gemeinsam die Kurve seiner Leberwerte auf dem Computerbildschirm. Vor drei Monaten hatte er eines der neuen KombiPräparate ausprobiert. Nur noch eine Tablette morgens und eine am Abend einzunehmen – das war deutlich einfacher gewesen, als jeden Wirkstoff einzeln. Doch Ralph Ehrlich vertrug das Kombi-Präparat nicht. Es hatte starke Nebenwirkungen. Seine Fettwerte stiegen an, die Kurve auf dem Computerbildschirm ging in diesem Zeitraum deutlich nach oben. Er entschied, zu seinen alten Medikamenten zurückzukehren. Jetzt muss er morgens und abends wieder jeweils drei Tabletten schlucken. Was sich zunächst wie eine Kleinigkeit anhört, ist tatsächlich nicht so einfach, wenn es darum geht, jahrelang sorgfältig Tabletten einzunehmen. Auf Dauer die richtige Medikation für den Patienten zu finden, ist ein ganz entscheidender Punkt in der HIV-Behandlung. „Den meisten Patienten ist klar, welches Risiko sie eingehen, wenn sie ihre Tabletten nicht regelmäßig nehmen“, sagt Arzt Dietmar Schranz. Sind zu wenige Wirkstoffe im Blut, kann sich das Virus wieder vermehren und unempfindlich gegen die Arznei werden. Solche Resistenzen gehören zu den größten Risikofaktoren in der HIV-Behandlung. Durch Resistenzen kann ein Arzneimittel nach dem anderen für den Patienten unwirksam werden. Das Virus wäre erneut lebensgefährlich. 23 „Bleiben wir bei dieser Medikation?“ fragt Internist Dietmar Schranz (links) seinen Patienten Ralph Ehrlich. Der hat ein neues Kombipräparat gegen HIV nicht vertragen und will „erst einmal Ruhe“. Abwehrkräfte bleiben stabil. Für Ralph Ehrlich war die Rückkehr zur alten Medikation erst einmal richtig. Seine Leberwerte liegen wieder im normalen Bereich. „Bleiben wir jetzt bei dieser Medikation?“, fragt Schranz seinen Patienten. Die Fettwerte sprechen dafür, die große Anzahl an einzelnen Tabletten dagegen. Dietmar Schranz erläutert seinem Patienten die Alternativen: Er könnte auch eines der anderen Kombi-Präparate ausprobieren. Inzwischen gebe es sogar eins, bei dem müsste er nur noch eine Tablette am Tag einnehmen. Allerdings nach dem Essen. Nur eine Banane, die Ralph Ehrlich oft zum Frühstück ausreicht, sei zu wenig. Mindestens 400 Kilokalorien müssten es schon sein. Ralph schaut noch einmal auf die Kurve seiner Leberwerte und entscheidet sich: „Erst einmal Ruhe.“ Er habe eine leicht hypochondrische Ader und der Anstieg der Fettwerte habe ihn schon beunruhigt. Dietmar Schranz unterstützt diese Entscheidung. In drei Monaten wollen sie erneut beraten. Bis dahin: keine weiteren Experimente. Solch ruhige Entscheidungen gehören zu den großen Fortschritten in der HIV-Therapie. Wer heute ein HI-Virus in sich trägt, muss nicht mehr um sein Leben fürchten. Das Virus steckt zwar in seinem Körper, aber es ist nicht mehr in der Lage, die Abwehrkräfte so zu schwächen, dass er an einer sonst harmlosen Krankheit stirbt. „Wer heute regelmäßig seine Medikamente nimmt, hat eine mehr oder weniger normale Lebenserwartung“, erklärt Dietmar Schranz. „Er ist zwar chronisch krank, kann aber meist leben und arbeiten wie jeder andere auch.“ In Deutschland leben schätzungsweise knapp 80.000 Menschen mit einer HIV-Infektion. Ihre Zahl nimmt seit den 1990er-Jahren zu, da seit dieser Zeit weniger Menschen an der Infektion sterben. Seither sind neue hochwirksame Therapien verfügbar. 24 HIV und Aids in Zahlen Aids steht für Acquired Immunodeficiency Syndrome. Ursache für Aids ist die Infektion mit HIV (Human Immunodeficiency Virus). Von Aids spricht man, wenn das HI-Virus das körpereigene Abwehrsystem so weit geschwächt hat, dass es dem Körper schwerfällt, Infektionen zu bekämpfen. HIV befällt vor allem die Helferzellen und vermehrt sich in ihnen. Die Helferzellen steuern andere Zellen des Immunsystems bei der Abwehr von Krankheitserregern. Eine HIV-Infektion ist nach wie vor nicht heilbar. Wenn rechtzeitig eine antiretrovirale Therapie gegen HIV begonnen und konsequent weitergeführt wird, bestehen gute Chancen, über viele Jahre und Jahrzehnte mit HIV zu leben und eine schwere Immunschwäche zu verhindern, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter www.gib-aids-keine-chance.de Laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts lebten in Deutschland Ende 2013 rund 80.000 Menschen mit HIV, darunter 65.000 Männer. Rund 3.200 Menschen infizierten sich demnach 2013 neu mit HIV. Geschätzt 14.000 Menschen leben mit einer noch nicht diagnostizierten HIV-Infektion. 2013 starben etwa 550 Menschen infolge der Infektion. Rund 54.000 Infizierte standen Ende 2013 unter antiretroviraler Therapie. Seit Beginn der Epidemie starben in Deutschland rund 28.000 Menschen an HIV/Aids. Weltweit haben sich nach Angaben von UNAIDS seit Beginn der Epidemie mehr als 78 Millionen Menschen mit HIV infiziert. Knapp 39 Millionen sind an den Folgen ihrer HIV-Infektion gestorben. Ende 2013 lebten weltweit schätzungsweise 35 Millionen Menschen mit HIV, von denen rund 13 Millionen Zugang zu HIV-Medikamenten hatten. Die Zahl der Neuinfektionen sank 2013 auf 2,1 Millionen, die Zahl der HIV-bedingten Todesfälle auf 1,5 Millionen. √ Ausgabe 12/14, 17. Jahrgang Test im praxiseigenen Labor: Drei Wirkstoffe müssen HIV-Infizierte gleichzeitig und auf Dauer einnehmen – dann ist bei den meisten das Virus im Blut nicht mehr nachweisbar. Eine Erkältung konnte tödlich sein. Damit ist eine Normalität sagen: „Heute haben wir kaum noch Patienten, die wir nicht eingekehrt, die 1983, als das Virus erstmals beschrieben wurde, behandeln können. Bei über 85 Prozent der Patienten ist das undenkbar war. „In den ersten Jahren der Epidemie hieß es für HI-Virus sogar im Blut nicht mehr nachweisbar. Das ist ein einen Arzt vor allem, viel zu viel sterbendes Elend zu ertragen“, enormer Fortschritt.“ erinnert sich Dietmar Schranz, damals Medizinstudent. Infizierte sich ein Mensch mit dem Virus, hatte er durchschnittlich Die Diagnose war ein Schock. Ralph Ehrlich ist heute 51 Jahre noch drei Jahre zu leben. Hatte das Virus das menschliche Ab- alt. 1991 hat er sich mit dem Virus angesteckt. Fast die Hälfte wehrsystem entscheidend geschwächt, lag die Lebenserwartung seines Lebens ist er HIV-positiv. Die ersten Jahre wusste er nichts sogar nur bei sechs Monaten. Die HIV-Infizierten erkrankten von der Infektion. Jahre später ging er an einem Wochenende nicht tödlich am Virus, sondern daran, dass der menschliche wegen einer Erkältung mit viel zu hohem Fieber ins KrankenKörper nicht mehr in der Lage war, sich gegen Krankheiten zu haus. Die Ärzte konnten sich das Fieber nicht erklären und wehren. Aus einer Erkältung wurde so schnell eine Lungenent- schlugen mehr aus Routine einen HIV-Test vor. Das Ergebnis zündung, die sich vielleicht noch erfolgreich mit Antibiotika war für Ehrlich unfassbar: „Die müssen was verwechselt haben, die haben die Blutproben vertauscht!“ behandeln ließ. Doch dann folgte Sein Hausarzt machte einen Kon schnell eine weitere Erkrankung der trolltest und 14 Tage später vor klar: nächsten, bis der Patient nicht mehr Die Ärzte konnten bis Mitte Er war lebensgefährlich erkrankt. Die zu retten war. „Die Ärzte waren bis der neunziger Jahre dem Sterben Jahre, die er noch zu leben hatte, Mitte der neunziger Jahre nicht in keinen Einhalt gebieten. waren an einer Hand abzuzählen. der Lage, diese Treppe nach unten Das Ende plötzlich so nah. Ralph zu verhindern“, berichtet Schranz. Ehrlich saß auf der Treppe vor der Die Praxen von schwulen Hausärzten entwickelten sich damals über Nacht zu ersten Schwer- Praxis und heulte. Wo und wann er sich angesteckt hatte, wusspunktpraxen. Das Robert Koch-Institut, eine Einrichtung der te er nicht. „Ich bin doch völlig der romantische Typ.“ Harten Bundesregierung zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten, Sex hatten andere praktiziert, er nicht. Er war der Kuscheltyp. hatte wegen einer neuen Impfung gegen Hepatitis B bundesweit Warum bloß hatte es ihn getroffen? Es blieb das Gefühl, etwas Blutproben eingefroren und diese nach Ausbruch der HIV- falsch gemacht zu haben, sich nicht ausreichend geschützt zu Epidemie getestet. Die erschreckenden Testergebnisse schickte haben, selbst an der Krankheit schuld zu sein. Zwei Wochen dauerte es, bis er die Diagnose seiner Mutter das Institut an die behandelnden Ärzte. Schwule Hausärzte hatten so von heute auf morgen eine große Zahl von Patienten, berichten konnte. Was für ein Gespräch, ihr mit der Diagnose die HIV-positiv getestet waren. Manche veranstalteten „Info- sagen zu müssen, dass er noch vor ihr sterben werde. Es war dann abende“ mit 30 bis 40 Patienten, an denen sie diesen verzweifelt seine Mutter, die aktiv wurde, die nach dem richtigen Arzt und mitteilten mussten: „Sie haben alle das Virus und ich habe nach Selbsthilfegruppen suchte. Sie fragte genau nach: „Was ist keine Ahnung, wie ich ihnen helfen kann.“ Es war ein Alptraum. denn das, was mein Sohn da hat?“, während der Sohn grübelte: Die Ärzte sahen ihre Patienten teilweise täglich, um Infusionen „Was fängst du noch mit der restlichen Zeit an?“ Unsäglich das zu legen oder Chemotherapien durchzuführen. Dem Sterben Gefühl, sich nicht mehr auf seinen Körper verlassen zu können. Ein nichtiger Anlass und es war aus und vorbei. Jederzeit konnkonnten sie jedoch keinen Einhalt gebieten. Fast jedes Jahr kam ein neues Medikament auf den Markt, te die tödliche Spirale der Erkrankungen losgehen. doch erst 1996 war klar: Drei Wirkstoffe sind nötig, um das Virus erfolgreich zu bekämpfen. Zwei sind zu wenig. Gut 30 Solidarität unter Homosexuellen. Also Tabletten und nochmals Jahre nach Ausbruch der HIV-Infektion kann Dietmar Schranz Tabletten nehmen. Zwölf bis 15 am Tag, zu festgelegten Uhr- Ausgabe 12/14, 17. Jahrgang 25 „Die haben die Blutproben verwechselt.“ Ralph Ehrlich konnte es vor rund 20 Jahren zunächst nicht glauben, dass er HIV-positiv ist. zeiten. Die einen 20 Minuten vor dem Essen, die anderen danach. Ohne Auszeit. Ein strenges Regiment. Immer an die Tabletten denken. Immer die Tabletten mitnehmen, wenn man abends nicht zu Hause aß. Die Tabletten erlaubten auch kein Vergessen der Erkrankung. Jeden Tag war die tödliche Infektion gegenwärtig. Ständig musste Ralph Ehrlich aufpassen. Bloß keine U-Bahn fahren, sich nicht mit einem Schnupfen anstecken. Ein Leben mit ständiger Todesahnung. Aber auch er war für andere lebensgefährlich, wenn er nicht aufpasste. Ralph Ehrlich war ansteckend. HIV wird durch Sexualkontakte übertragen, anal oder vaginal, durch Bluttransfusionen, die gemeinsame Nutzung von Spritzen oder von der Mutter auf das Kind während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder beim Stillen. Direkter Blutkontakt birgt das größte Risiko. Auch beim Oralverkehr besteht eine geringe Übertragungschance, wenn Verletzungen im Mund bestehen. Wie bei vielen begann die Stigmatisierung bei Ehrlich mit der SelbstStigmatisierung: „Ich bin derjenige, der das Virus mitbringt.“ Sein Engagement bei der AIDS-Hilfe half ihm, mit der Krankheit leben zu lernen: mit der Notwendigkeit, regelmäßig zu seinem Arzt zu gehen, sich Blut abnehmen zu lassen und seine Medikation zu besprechen. Aber auch, sich weder zurückzuziehen noch isolieren zu lassen. Mit der Krankheit sogar öffentlich zu leben. Die Geschichte des Kampfes gegen die HIV-Infektion ist auch die Geschichte einer großen Solidarität unter Homosexuellen. Ein gemeinsamen Leben und Sterben vor aller Augen. Ein Marathon bringt den Wendepunkt. Auf der einen Seite dieser Impuls: „Wir lassen uns von der Krankheit nicht unterkriegen.“ Ich beweis mir und den anderen, dass noch viel möglich ist. 2008 lief Ralph Ehrlich seinen ersten Berlin-Marathon. Ein Jahr lang trainierte er regelmäßig. Von wegen, ständig wie ein Untoter durch die Gegend zu schleichen. Jeder Kilometer der Strecke gab ihm Vertrauen in seinen Körper zurück. Es waren sagenhafte 42,195 Kilometer. Der Wendepunkt waren die Freunde und die Familie an der Strecke. Alle unterstützen ihn, alle jubelten ihm zu. Da war sie wieder, die Freude am Leben. „Viel lieber wäre ich in Paris!“ Das soll auf seinem Grabstein stehen, sagt Ralph Ehrlich. Im „Raum der Stille“ in der Praxis von Dietmar Schranz sind an der Wand die Namen der verstorbenen Patienten zu lesen. 26 Ausgabe 12/14, 17. Jahrgang gemerkt?“, fragt Schranz. Herr R. schaut einen Moment vor sich hin, als hätte er die Frage nicht gehört, antwortet aber dann: „Kam plötzlich.“ „Sie sind gefallen“, hakt der Arzt nach. „Ja, vom Stuhl gefallen“, erwidert Herr R. Auf dem Computerbildschirm erscheint eine lange Liste von Medikamenten, die er täglich einnehmen muss, längst nicht nur gegen seine HIV-Infektion. Seine Leberwerte sind schlecht und Herr R. leidet häufig unter starken Durchfällen. Dietmar Schranz geht mit seinem Patienten die Medikamente durch, ohne dass Herr R. immer folgen kann. „Das besprechen wir nächstes Mal mit Steffie, ihrer Betreuerin“, schlägt der Arzt vor. Herr R. reagiert nicht. „Wer ist Steffie?“, fragt Schranz. Immer noch keine Antwort. „Sie sind noch nicht wieder ganz auf dem Damm, nicht wahr?“ Herr R. lächelt. Ihm macht nicht nur seine HIV-Infektion, seine Demenz, sondern auch eine Hepatitis C-Infektion zu schaffen. Luft zum Atmen geben. Dietmar Schranz hat bis heute eine „Ich möchte noch vor meinem Ruhestand erleben, dass sich eine HIV-Erkrankung heilen lässt“, sagt HIV-Spezialist Dietmar Schranz. Auf der anderen Seite hieß die Geschichte der AIDS-Hilfe aber auch: „Wir trauern gemeinsam um unsere Toten.“ Am 30. November veranstaltet die Berliner AIDS-Hilfe jedes Jahr einen Trauerzug für die Verstorbenen, in diesem Jahr bereits der 27. Allein in Berlin sind es geschätzt 400 bis 600 Personen. Ralph Ehrlich weiß bereits, was auf seinem Grabstein stehen soll: „Viel lieber wäre ich in Paris!“ Paris ist seine Lieblingsstadt. In Paris hat er anderthalb aufregende Jahre gelebt. Und viel lieber ginge er noch einmal auf den Boulevards dieser Stadt spazieren, als hier in der Erde zu verrotten – das soll die Botschaft seiner Grabinschrift verkünden. Seine wiedergefundene Lebensfreude soll noch seinen Tod überdauern. Auch in der Praxis von Dietmar Schranz wird der Toten gedacht. Zwischen Empfang und Warte raum liegt ein kleiner Ruheraum mit einem Deckenfenster, ein Raum der Stille, in dem an einer Wand die Namen der verstorbenen Patienten stehen. Ein Raum der Besinnung, in dem weder Patienten noch das Lebensende vergessen werden. Dieser Raum steht für Schranz auch für eine spirituelle Kraft, die ihn bei Todesfällen trägt. Aber auch von seinen Patienten erfahre er Mut und Kraft, die ihm oft Rückhalt gebe. HIV plus Demenz und Hepatitis. Sein Körper komme bis heute gut mit dem Virus klar, sagt Ralph Ehrlich. Bisher sind keine lebensgefährlichen Folgeerkrankungen aufgetreten, bisher stehen ihm noch alle Medikamente offen. Noch hat sich keine Resistenz gegen einen Wirkstoff gebildet. Ganz anders ergeht es Herrn R., den seine Betreuerin mit Rollator in das Sprechzimmer von Dietmar Schranz führt. Herr R. hat jahrelang Drogen genommen anstelle seiner Medikamente. Inzwischen lebt er im Heim, wo die Schwestern dafür sorgen, dass er seine HIV-Hemmer nun regelmäßig nimmt. Vor ein paar Tagen hatte er aufgrund eines epileptischen Anfalls einen Unfall. „Haben Sie selbst etwas Ausgabe 12/14, 17. Jahrgang Schwerpunktpraxis für HIV-Infizierte. Im Jahr 2001 hat er diese Praxis eingerichtet, „die Luft zum Atmen geben soll“. Die Sprechzimmer sind deshalb eher klein, dagegen bieten der Empfang und das Wartezimmer viel Platz. „Schon die Atmosphäre soll helfen, gesund zu werden.“ Viele seiner Patienten schätzen vor allem, dass hier ihre HIV-Infektion und Homo sexualität normal sind. Kein anderer Patient steht auf, wenn er von der Erkrankung des Patienten neben ihm erfährt. Viele kommen von außerhalb nach Berlin, aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen. „Je weiter jemand von einer Großstadt oder einer Schwulenszene entfernt wohnt, desto größer ist die Diskriminierung“, erklärt Schranz. Auch gebe es immer noch Ärzte, die keine HIV-Patienten behandeln. Selbst in Berlin weigerten sich insbesondere einzelne Zahnärzte. In Berlin ist die Behandlung von HIV-Patienten inzwischen Alltag und Routine. Noch ist die Krankheit nicht besiegt, noch infizieren sich in Deutschland jährlich 3.000 bis 4.000 Menschen mit dem Virus. Die meisten von ihnen sind Männer, die mit Männern Sex haben, und Personen, die intravenös Drogen nehmen. „Mein Wunsch wäre es, noch bis zum Ende meiner beruflichen Tätigkeit erleben zu können, dass eine Heilung der HIV-Erkrankung möglich ist“, sagt Dietmar Schranz, 54 Jahre alt. „Dass ein Wirkstoff gefunden wird, der einen Patienten vollständig vom HI-Virus befreit.“ √ Kay Funke-Kaiser ist freier Journalist in Berlin. Kontakt: [email protected] Stefan Boness ist freier Photojournalist in Berlin. Kontakt: www.iponphoto.com Gemeinschaftspraxis mit Schwerpunkt HIV Gemeinsam mit seinem Kollegen Klaus Fischer betreibt Internist Dietmar Schranz in Berlin eine HIV-Schwerpunktpraxis. Insgesamt acht Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter unterstützen die beiden Ärzte. Die Praxis bietet unter anderem hausärztliche Versorgung, HIVTherapie, Behandlung chronischer Virushepatitiden, psychotherapeutische Beratung und Intervention. www.schranzundfischer.de 27
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