Medienliste zum Thema "Krieg, Flucht und Asyl im

Von Akim und einem Zuhause, das überall sein kann
Bilder-und Kinderbücher zum Thema Krieg, Flucht und Asyl
Frank Cottrell Boyce: Der unvergessene Mantel
Retrospektiv berichtet die inzwischen erwachsene Julie von einer Begegnung aus ihrer
Volksschulzeit, als Dschingis und dessen kleiner Bruder Nergei neu in die Klasse kommen und
sowohl Kinder als auch Lehrerin mit ihrem reichlich unkonventionellen Verhalten ebenso wie mit
Geschichten vom fantastischen Leben in der Mongolei in Atem halten. Scheinbare
Unglaubwürdigkeiten werden dabei mit Polaroidfotos aus der Welt geschafft – auch für die Leser,
denn der an das Erscheinungsbild eines Schulheftes angelehnte Text wird mit diesen Fotos bebildert.
Julie ist fasziniert von der fremden Welt. Erst als die erträumte Heimat sich als Patchwork aus
lapidaren Fotos vom Schulhof entpuppt, zeigt sich das wahre Schicksal einer Flüchtlingsfamilie.
Denn eines Tages kommen die beiden Brüder nicht mehr in die Schule… Ein mit Sprachwitz und
Situationskomik präsentierter Kinderroman, der am Symbol eines zotteligen Wintermantels
unterschiedliche Erinnerungsebenen freilegt.
Aus dem Engl. von Salah Naoura.
Mit Fotografien von Carl Hunter und Clare Heney, Carlsen 2012, 106 S.
Claude K. Dubois: Akim rennt
Still und zurückgenommen entfaltet die belgische Illustratorin Claude K. Dubois ein Szenario von
Krieg: Ihr Blick richtet sich dabei auf die Krisenregion des Kaukasus – wobei dabei weniger eine
konkrete zeitgeschichtliche Verortung als vielmehr eine Lenkung des Blicks auf die Peripherien des
Weltgeschehens vorgenommen wird. Wenn jeder Christ und jede Christin aufgefordert ist, den Mut
zu haben, Randgebiete zu erreichen, wie Papst Franziskus es in Evangelii Gaudium formuliert hat,
erfordert der Aufruf auch unser Bemühen, das Erleben jener zu begreifen, die aus dem geordneten
Miteinander herausfallen. Die Künstlerin wählt das Mittel der Bildsprache, sie stellt jedes Bild auf
eine Seite und ordnet sie dennoch sequenziell an. Kurzen Textpassagen schließen sich skizzenhafte
Bildfolgen an, die wie das Storyboard einer Reflexion über das individuelle Schicksal eines Kindes
im Krieg wirken. Man folgt in den grau-braun getönten Buntstiftzeichnungen Akim, seiner
Verzweiflung, seiner Einsamkeit in der Konfrontation mit einem Bombenangriff auf sein Dorf. In
der letzten Bildsequenz schließlich findet Akim seine Mutter wieder – und mit ihr jene Heimat,
Geborgenheit und Zugehörigkeit, auf die jedes Kind ein Recht haben sollte. Ein politisches
Bilderbuch, das seine Bedeutung gerade im Kontext europäischer Flüchtlings-und Asylpolitik
entfaltet.
Aus dem Franz. v. Tobias Scheffel.
Moritz 2013, 48 S.
Annegert Fuchshuber: Karlinchen. Ein Kind auf der Flucht
Das Bilderbuch erzählt von einem Mädchen, das aus seinen gesamten Lebensbezügen gerissen wird:
„Karlinchen lief davon, denn Feuer fiel vom Himmel, und sie hatte Hunger, und niemand kümmerte
sich um ein Kind, das allein war und voller Angst…“ (Eingangsseite). Wo findet Karlinchen Liebe
und Geborgenheit und ein neues Zuhause? Wer hilft einem Kind, das fremd und anders ist? Sein
Weg führt von der scheinbar heilen Welt eines Bauernhofes in das Land der Steinbeißer, der
Nebelkrähen, Seidenschwänze, Schaffraffern bis hin zu den Menschen auf der Müllhalde, die selbst
am Existenzminimum leben. Überall wird Karlinchen abgelehnt: an einigen Stationen ihres Weges
wird sie zwar zunächst freundlich aufgenommen, aber die „Helfer“ haben eine enge Vorstellung
davon, was Karlinchen wirklich braucht, sie sind auf ihren eigenen „point of view“ fixiert. Völlig
überraschend findet Karlinchens Suche ein Ende bei einem buntscheckigen Narren, der von
Karlinchen gefragt wird: „Heißen so die Leute, die gut sind zu anderen?“. Die bekannte Illustratorin
Annegert Fuchshuber hat ihre Geschichte mit detailreichen, auf den ersten Blick naiv anmutenden,
aber symbolträchtigen Bildern ausgestattet, die in eigener Sprache die Verzweiflung Karlinchens
und die Dramatik ihres Fluchtweges ausmalen.
Annette Betz, 2015
Annette Betz spendet 1 €/CHF pro verkauftem Exemplar an Save the Children, die weltweit größte unabhängige
Kinderrechtsorganisation, die beispielhafte Flüchtlingshilfe leistet - hier und in den Krisengebieten.
PPP über www.kirchebrienz.ch/downloads/karlinchen.ppt
Heinz Janisch / Birgitta Heiskel: Der rote Mantel. Die Geschichte vom heiligen Martin
Im Kontext von Flucht scheint die bekannte Geschichte des Heiligen Martin erst auf den zweiten
Blick naheliegend. Bedenkt man aber seine Funktion als Schutzpatron der Flüchtlinge und sein
überliefertes Engagement für die Armen, ist das gesetzte Vorzeichen, das Heinz Janisch für seine
Version der Geschichte wählt, nur folgerichtig.
Das Bilderbuch beginnt mit einer Rahmenerzählung: Wir begegnen dem jungen Amir, dem ein
namenloser Mann eine rote Decke geschenkt hat. Genauer verortet wird das Umfeld von Amir nicht
– zu lesen ist nur von einer Reise mit dem Lastwagen und einem großen Saal in einer fremden Stadt,
in dem Kinder und Erwachsene auf Matratzen liegen. Beim Wunsch, seinem Helfer einen Namen zu
geben, erzählt eine Frau Amir von einem, der es ähnlich gemacht hat …
Heinz Janisch verwebt mehrere Überlieferungen aus dem Leben und Wirken von Martin von Tours
in die Geborgenheit einer Erzählsituation. Im Gespräch zwischen dem zuhörenden Kind und der
erzählenden Frau werden immer wieder Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart gezogen
und gezeigt, dass sich Menschlichkeit auf immer gleiche Weise äußern kann. In den stimmigen
Illustrationen zieht sich der rote Mantel wie ein roter Faden durchs Buch und bildet den einzigen
farbigen Kontrast zu den filigranen Bleistiftzeichnungen. Sein Leuchten und seine Wärme werden
verstärkt durch die bedachte Gestaltung des Bilderbuchs, die einzelne Textpassagen rot setzt und
Martins Botschaft ins Heute holt.
Tyrolia 2015, 26 S.
Verena Kobald /Freya Blackwood: Zuhause kann überall sein
„Meine Tante nannte mich Wildfang. Dann kam der Krieg und meine Tante nannte mich nicht mehr
Wildfang. Um in Sicherheit zu sein, kamen wir in dieses Land. Alles war fremd.“ So lapidar beginnt
dieses australische Bilderbuch – die Fremdheitserfahrung, die die kindliche Protagonistin mit
Worten benennt, wird in den Bildern stark über farbliche Kontraste markiert: Während das neue
Land in kühlen, hellen Farben dargestellt wird, haben das Mädchen und ihre Tante dunkle Haut und
tragen Kleidung in leuchtenden, warmen Farben. Für die langsame Annäherung und schließlich das
sich Zuhause fühlen in der neuen Umgebung, der neuen Sprache, wird das auch für jüngere Kinder
gut fassbare (Sprach-)bild einer warmen, Geborgenheit spendenden Decke gewählt – und am
Schlussbild schließlich ist die gelungene Integration auch an der harmonischen Durchmischung der
Farben zu sehen.
Aus dem Engl. v. Tatjana Kröll.
Knesebeck 2015, 17 S.
Joke van Leeuwen: Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor
Todas Vater ist nicht mehr länger Feinbäcker. Ab jetzt ist er Soldat. Es ist Krieg in Todas Heimat
und das Mädchen wird zu ihrer Mutter, an die sie sich nicht mehr erinnern kann, über die Grenze
geschickt. Zuerst per organisierter Auswanderung, später ganz auf sich alleine gestellt, begibt sie
sich in ein fremdes Land, um dort auf eine noch fremdere Frau zu treffen. Joke van Leeuwen erzählt
konsequent aus kindlich-naiver Sicht von den Etappen einer Flucht und der Unwissenheit des
Mädchens ob der Krisensituation in ihrem Heimatland, wobei niemals reale Nationen angesprochen
werden – das Kriegsgeschehen bleibt abstrakt. Todas Entwurzelung wird gerade deshalb
unmittelbar und durchaus beklemmend erfahrbar, durch das enthobene Szenario und die vielen
zwischenmenschlichen Begegnungen auf ihrem Weg aber auch gelindert. Die konsequent verfolgte
Wahrnehmung eines Kindes und die vielen Gedanken, die sich die junge Ich-Erzählerin macht,
bereiten die Krisen einer Flucht und den Begriff der „Grenze“ auch für jüngere Leser auf. Auch die
Illustrationen, die aus dem Text gegriffene Briefe, Notizen oder Buchseiten abbilden, verstärken die
Authentizität.
Aus dem Niederländ. v. Hanni Ehlers.
Oetinger 2015, 119 S.
Paul Maar /Verena Ballhaus: Neben mir ist noch Platz
Die Geschichte erzählt von Steffi, einem deutschen, und Aischa, einem libanesischen Mädchen,
deren Freundschaft durch Missverständnisse fast zerbricht.
Steffi und Aischa wohnen in der gleichen Straße und gehen in die gleiche Schule. Für Steffi ist es
nicht immer leicht, eine Freundin aus einem fremden, fernen Land zu haben. Es hat Zeit und
Standhaftigkeit gegenüber den Anfeindungen der anderen Kinder gebraucht, bis aus Steffi und
Aischa Freundinnen wurden. Immer wieder stoßen sie auf Unterschiede in ihrer Lebensweise:
Aischa ißt nicht die Bratwurst aus Schweinefleisch und ständig bringt sie ihren großen Bruder
Jussef mit, der auf sie aufpassen muss. Aber immer häufiger spielen sie zusammen, machen
gemeinsam ihre Schulaufgaben. Steffi fühlt sich in Aischas großer Familie wohl, und sie erfährt viel
über ihre Lebensweise. Die Freundschaft hält, bis nach einem Anschlag auf Aischas Wohnung die
Familie in ihre Heimat, den Libanon, zurückkehrt. Es ist ein schmerzlicher Verlust für Steffi, sie hat
eine Freundin verloren. Als dann das neue Mädchen Naima in die Klasse kommt, zeigt sie auf den
leeren Stuhl und sagt: „Neben mir ist noch Platz.“
Menschen aus anderen Ländern und Kulturen wecken bei uns oft Misstrauen und manchmal sogar
Angst, aber auch wir machen diesen Menschen Angst, denn wir sind so fremd für sie, wie sie uns.
Wenn es gelingt, sich besser kennen zu lernen und dadurch Missverständnisse und Vorurteile
auszuräumen, könnte die gegenseitige Befangenheit schwinden, und das Fremde zum Vertrauten
werden. Wie dies möglich ist, davon erzählt die Geschichte von Steffi und Aischa.
dtv junior 1999, 48 S. (aus der Besprechung: global-lernen.de)
Uticha Marmon: Mein Freund Salim
Hannes' jüngere Schwester Tammi lässt sich gerne Geschichten von ihm erzählen. Und eigentlich
mag sie am allerliebsten die Abenteuer von Tom Sawyer. Aber jetzt ist alles anders: Jetzt soll er ihr
wieder und wieder die Geschichte des Vogeljungen erzählen. Angefangen hat alles mit dem
Spielplatz, als Hannes die Mädchenjacke des fremden Jungen aufgefallen ist, mit Glitzervögeln
drauf und das Buch mit der seltsamen Schrift, in das er immer wieder hineingeschaut hat. Sprechen
kann er nicht mit Salim, denn der kann kein Wort Deutsch. Und trotzdem werden er, Hannes,
Tammi und ihre Freunde bald Teil einer gemeinsamen Geschichte, die viel dramatischer ist, als die
Kinder ahnen konnten...
Sprachlosigkeit ist nur ein Aspekt des großen Themas "Flüchtlinge". Aber selbst, wenn man über
Sprache nicht kommunizieren kann, gibt es Themen, die Kinder aus ganz unterschiedlichen
Kulturen und mit komplett unterschiedlichen Erfahrungen verbinden. Und Dinge, die allen wichtig
sind - wie Familie und Freundschaft.
Magellan 2015, 158 S.(aus der Besprechung stiftunglesen.de)
Michael Roher: Zugvögel
Mitte April landen die Zugvögel. Im Bild werden sie als Menschen mit Schnabelmasken gezeigt –
gekleidet in bunte Stoffe mit fremden Mustern, die gleichermaßen ihre Andersartigkeit, aber auch
Ähnlichkeit zu den „Einheimischen“ markieren. Der Sommer bringt Annäherung, im Herbst aber
steht fest, dass die neue Heimat keine Heimat bleiben kann: „Wir sind Zugvögel. Es ist uns nicht
erlaubt zu bleiben.“ Doch die tatkräftige Frau Lorenz beherbergt in ihrem, optisch deutlich an das
Motiv der Arche angelehnten Nest unterschiedliche Menschen, die nicht wissen wohin. In mitunter
gemaltem Collagen-Stil und gedeckten herbstlichen Farben erzählt der österreichische
Bilderbuchkünstler Michael Roher in Bild und Text sehr zurückgenommen vom Leben in der
Emigration. Das verfremdende Moment der Zugvögel vermeidet zu vordergründige Botschaften.
Sie sind fremd, und sie haben wohl gute Gründe, um in die Fremde zu ziehen. Das poetische
Bilderbuch besticht durch seine zarten Illustrationen und den umso klareren Aufruf zur
Menschlichkeit.
Picus 2012, 32 S.
Alain Serres /Aurélia Fronty: Ich bin ein Kind und habe Rechte
In diesem Bilderbuch stellen Kinder die wichtigsten der insgesamt 54 Kinderrechte in einfachen,
klaren Worten vor: Auf jeweils einer Doppelseite wird eines dieser Rechte „verhandelt“:
anschaulich, konkret, mal pragmatisch, mal cool, mal poetisch. Ganz verschieden sind auch die
großflächigen, farbenfrohen Illustrationen, die sowohl konkrete Szenen wiedergeben als auch
fantasievoll mit Symbolen oder Details spielen. Die letzten Seiten enthalten zusätzliche
Informationen, etwa über die UNO und das Kinderhilfswerk UNICEF.
Das Bilderbuch regt dazu an, über die Verwirklichung der Kinderrechte bei uns und in fremden
Ländern ins Gespräch zu kommen: Was ist mit den Flüchtlingskindern , die bei uns leben? Wie steht
es mit ihren Rechten „Nie Gewalt erleiden zu müssen“, „Nie das Gewitter von Waffen und Krieg
erleben zu müssen“, „Zu lernen, was Frieden und Respekt bedeuten“?
Aus dem Franz. v. Thomas Bodmer.
NordSüd 2013, 44 S.
Anja Tuckermann und Tine Schulz: Alle da! Unser kunterbuntes Leben
Die farbintensive Gestaltung des Bilderbuchs aus dem Klett Kinderbuch Verlag folgt ganz dem
Gestus der thematisierten Multikulturalität. Einen treffenden Vorgeschmack gibt das limonengelbe
Cover, auf dem sich Groß und Klein in allen möglichen Posen und Possen beim gemeinsamen
Feiern versammelt haben. Vielleicht ist es ein vietnamesisches Tet-Fest, das indische Holi-Fest oder
doch Chanukka? Ein grünhaariger Junge verkündet durch ein Megaphon, sodass es auch die
Entferntesten hören: ,,Alle da!“ Ach ja, und wer? Na wir, die wir alle von den ersten Menschen
abstammen und heute wie damals, hier wie dort lachen, streiten, neugierig sind oder uns gruseln.
Was uns unterscheiden kann sind unsere Schicksale, wie das Samiras und ihrer Familie, die wie
aktuell zehntausend Andere Syrien und alles, was ihre Heimat bedeutet, hinter sich lassen müssen.
Das hitzig diskutierte und komplexe Thema wird mit ,,Menschlichkeit“ beantwortet.
Klett 2014, 40 S.
Ergänzte und bearbeitete Liste der STUBE-Beratungsstelle für Kinder-und Jugendliteratur, Wien
Gabriele Cramer, [email protected], Stand: 11/2015