Dreckslockn statt Freddy Mercury ================================ Von Stefan Weiss München - Zwischen all den neumodernen Vorstadthäusern ist es eigentlich nicht zu übersehen. Wie aus der Zeit gefallen steht es da herum, das alte Wirtshaus, das seit gut 150 Jahren unverrückbar seine Stellung hält. Hier in Solln, im südlichsten Teil der großen Stadt, ist die Gaststätte Iberl eine Institution. Ein Dorado bayerischer Genusskultur - nicht nur in kulinarischer Hinsicht: Seit fast 50 Jahren beherbergt das Gasthaus auch die Iberl-Bühne, ein Volkstheater, das vielen als Kultstätte des Genres gilt. Das soll nun anders werden. Gegründet hat die Bühne Georg Maier, der das Gasthaus "Iberl" 1966 übernahm. Unermüdlich leitet der 72-Jährige die Bühne bis heute, schreibt die Stücke und spielt natürlich auch selbst. Im Herbst aber verlässt das Ensemble den alten Spielort und zieht in eine andere Kultlokalität: Die Räumlichkeiten des 80er-Jahre-Clubs Sugar Shack in der Neuhauser Straße, der zuletzt nur noch "Sugar" hieß. Aus Disco wird also Dialekt. Bis es mit dem Umzug so weit ist, spielen Maier und sein Ensemble derzeit im "Iberl" aber noch einmal so richtig auf. Ein letzter Lokalaugenschein. Dunkle Holzstühle, schummriges Licht, dicke Wirtshausluft. Die Hinterzimmer und Bauernstuben um 1900, in denen Georg Maiers Stücke spielen, sie müssen genauso ausgesehen haben. Auch einen Jazzclub könnte man sich gut vorstellen. Den wollte Maier nämlich ursprünglich hier eröffnen. Und das kommt nicht von irgendwo: Als Sohn einer amerikanischen Mutter und eines bayerischen Gastwirts kam Maier früh mit verschiedenen Lebenswelten der Nachkriegs-Stadt in Berührung. Die Musik der GIs, die Einheimischen im Wirtshaus, Trickser, Taschenspieler und die US-Filme in den Kinos - all das prägte den jungen Iberl-Wirt. "Nur war meine Musik zu gut", sagt Maier heute. So gut, dass die Gäste ausblieben. Vom Rat eines Freundes, stattdessen besser Volkstheater zu machen, war der Jazzer vorerst wenig angetan. Ausprobiert hat er es dann aber doch. Und heute, gut 40 erfolgreiche Eigenproduktionen später, kann Maier über den Gründungsmythos gut lachen. Dass er, der einstige Theater-Muffel, es mit seiner Bühne nicht nur in die Feuilletons, sondern sogar ins Fernsehen schaffen sollte, macht ihn stolz. Dass die Einschaltquoten nicht ganz gepasst haben, darüber lacht Maier heute: "Wenn die Norddeutschen irgendwann beginnen, meine Stücke zu verstehen, dann hab' ich sie falsch geschrieben." Die Gäste wissen natürlich, worum es hier geht. Zum Theaterbesuch der Iberl-Bühne ist das Weißbier genauso obligat wie der Schweinsbraten und die Fleischpflanzerl. Der Theatersaal, der sich langsam füllt, gleicht bald einem altrömischen Genussspektakel, von dem sich die Gäste eigentlich nur noch durch die aufrechte Sitzhaltung unterscheiden. Da darf schon mal laut gelacht, ausgelassen auf den Tisch gehauen und - selten in München - urbairisch g'ratscht werden. Tracht und Karohemden sind Programm, Schnupftabak wird ausgetauscht und Bier auch schon mal blind verkostet. In der kleinen Seitenloge vorne rechts sitzen zwei im wahrsten Sinne des Wortes gut behütete Trachtler, die zur Einstimmung zwei Schnäpse heben. Ob sie vielleicht zur Inszenierung gehören? Man weiß es nicht. Beim dritten Klingeln ist der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. "Wir sind eigentlich immer ausgelastet", sagt der Chef. Man hat Stammgäste, treue Fans, oft über Generationen hinweg. Nur wenn der FC Bayern spielt, sagt man, sei bei der Iberl-Bühne etwas weniger Andrang. Heute steht "Die drei Quartel Bier-Rebellion" auf dem Programm, eines der jüngsten Werke aus Georg Maiers Feder. Schauplatz ist das Hinterzimmer eines Dorfgasthauses, in das der schnoddrige Brandschutzinspektor Rudi Greiffer geschickt wird, um das mysteriöse Feuer in der hiesigen Klosterbrauerei aufzuklären. Schnell werden einem die einzigen bayerischen Kapitalverbrechen (Betrügerisches Einschenken und Bierpreiserhöhung) klar gemacht und die dazugehörigen Vokabeln gleich auf Schildern präsentiert: Miese "Dreiquartel-Dreckslockn" und skandalöse "Fehlt-a-Finger" sauft schließlich niemand gerne. Wie sich das für Maiers Theater gehört, wird auch das Publikum lautstark eingebunden. Wann immer sich die Chance zum Zwischenruf ergibt, das Stammpublikum steigt gerne darauf ein. Dass sich Bühne und Saal richtig ergänzen, dafür sorgt inzwischen Georg Maiers Tochter, Georgia. Vom Herrgottswinkel im Tisch-Eck über die Rehgeweihe an der Wand bis hin zur Kostümierung stimmt hier einfach alles. Hintergrund des Stücks ist, wie so oft bei Georg Maier, eine wahre Begebenheit - in diesem Fall der oberbayerische Bierstreit von 1910. Es sind diese Randnotizen der Geschichte, die Probleme der einfachen Menschen, die den Stückeschreiber interessieren. Mit künstlichem KlischeeFeuerwerk à la Komödienstadel will Maier nichts zu tun haben. Schenkelklopfer und verbohrten Bayern-Patriotismus sucht man hier vergeblich. Traditionen werden nicht blindlings abgefeiert, sondern stets ironisch gebrochen und in aktuellen Bezug gestellt. Damit wandelt Maier auf den Spuren Raimunds und Nestroys, jenen Wiener Vormärz-Literaten, deren Stücke bis heute von zeitloser Beliebtheit sind. Dass Ähnliches auch auf Bairisch geht, zeigt der Applaus, der am Ende des dritten Aktes aufbrandet. "Die drei Quartel Bier-Rebellion" - auch an diesem Abend ein Brüller. Vom Herbst an soll also in der Innenstadt gelacht werden. "Bäck to the Roots", sagt der Chef im Hinblick auf den Umzug, denn nur unweit der neuen Spielstätte stand Maier als Jugendlicher hinterm Tresen der "Hundskugel". Münchens ältestes Wirtshaus, das einst seinem Vater gehörte, ist mittlerweile aufgelassen. Und noch ein zweiter Kreis schließt sich mit dem Einzug der Iberl-Bühne in das ehemalige Sugar Shack: Wo einst Freddie Mercury, Mick Jagger und Frank Zappa internationales Pop-Flair entfalteten, kehrt nun wieder urbayerische Bodenständigkeit ein. Bis 1886 war an dem Ort nämlich eine Bierbrauerei beheimatet. Der Club wird von der Augustiner Brauerei jetzt in ein voll funktionstüchtiges Wirtshaus umgebaut. Schweinsbraten und Bier kommen am neuen Standort übrigens direkt vom Wiesnwirt Manfred Vollmer. Prost, Mahlzeit, und toi toi toi auf die nächsten fünfzig Jahre.
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