August Senmarsow: deutschen Tieformvorschläge zur Gcschklite der Eenaissance. Unsere deutsche Kunstgeschichte leidet an einem hartnäcki gen Zwi espalt der Auffassungswei sen grade dort, wo si e anfängt, dem modernen Empfi nden verständli ch zu werden und dem hi stori schen Urtei l des heuti gen Forschers ei n genaueres Ei ngehen auf di e Entwi cklung des Ei nzelnen zu gestatten, — das hei fst grade an jenem Uebergang, wo di e Ei nen vom „Ausgang des Mi ttel alters", di e Andern vom „Begi nn der neuen Zei t" zu sprechen pflegen. — Oft frei li ch laufen di ese bei den Beze i chnungen i n be li ebi gem Wechsel durchei nander, ohne dafs man bei i hrer A n wendung si ch jedesmal Eechenschaft gäbe, dafs mi t der W a h l des ei nen oder des anderen Ausdruckes auch ei n Wechsel des Standpunktes und dami t ebenso des Mafsstabos verbunden i st, di e doch notwendi g unsere Charakteri sti k besti mmen, vi ellei cht aber von vornherei n unsere Erkenntni s i e nse i it g vorschl i efsen. Der Kunsthi stori ker glaubt si ch genauer auszudrücken, wenn er statt jener allgemei ngeschi chtli chen Bezei chnungen di e Namen der Sti le „Goti k" und „Eenai ssance" verwendet, di e nach i hrem bi s heri gen Gebrauch i e nen it ef i nnerli chen Unterschi ed bedeuten wollen. D i e Kunstwi ssenschaft i st weni gstens bestrebt, den „goti schen Sti l" als Inbegri ff des mi ttelalterli chen Gei stes zu fassen, während si e bei „Eenai ssance" mi t Vorli ebe an di e Aeufsorung ei nes fri schen, völli g andersgearteten Si nnes denkt, der vi el eher auf Ueberwi ndung des mi ttelalterli chen Bannes ausgeht. Wer anges i chts ei ner kunstgeschi chtli chen Erschei nung von Goti k spri cht, i st i mmer versucht, zuglei ch das System der mi ttelalterli chen Weltanschauung dahi nter und somi t ki rchli che Befangenhei t dari n zu erbli cken; er entni mmt den Mafsstab für deren Beurtei lung ni cht allei n dem i nnersten Wesen jenes Sti les, sondern auch dem Urtei l, das über di e Kulturverhältni sse der Zei t, i n der di eser Sti l auftrat, verbrei tet i st. — Wer dagegen i n ei nem Kunstwerk 42 AUGUST SCHMAKSOW: die Züge sucht, die als anerkannte Merkmale der Ecnaissanee gelten, der will in ihm zugleich die Urkunde des neuen, dem Mittelalter entwachsenen Geistes erkennen, der dem modernen Fühlen und Denken schon so viel näher kommt. Diese Entscheidung zwischen zwei Stilcharakteren gilt durchgehends f ür die europäische Kunstgeschichte in ihrem gemein samen Gange, im Sinne ihrer internationalen Entwicklung, wie hei romanischen so bei germanischen Völkern zugleich. Sowie aber statt dessen der nationale Standpunkt als der eigentlich maf sgobende angenommen wird, oder die Betrachtungsweise sich diesseits der Alpen hält, da gewinnt durch die besondern Ver hältnisse der nordischen Kunst jene W a h l des einen oder andern Ausdrucks noch eine besondere Bedeutung. Dies eben ist in ganz eigentümlicher Weise bei uns in Deutschland der Fall. Zumal da, wo das Bestreben genauerer Abgränzung der Stilphasen unter sich hinzukommt, und die beiden Bezeichnungen „Spätgotik" und „Frührenaissance" aneinander rücken, um scharf e Auseinander setzungen zwischen den beiderseitigen Ansprüchen zu ermöglichen, da ergiebt sich bislang ein verhängnisvoller Widerspruch, der mittlerweile tief eingewurzelt ist, und der f ür unsere Heimat wie f ür die gesamte nordische Kunst umher die gröf ste Verwir rung hervorruf t. Künstlerische Erscheinungen, die sowol zeitlich als örtlich dicht neben einander stehen, j a notwendig zusammen gehören, werden zwei verschiedenen Stilen ziigewiesen, in zwei verschie dene Kunstperioden eingeordnet, d. h. auscinandergerissen und als Bestandteile zweier womöglich ganz entgegengesetzter Ent wicklungsreihen begrif f en, wie man eben Gotik und Renaissance z u ' fassen pf legt. Solch ein Widerspruch in der Charakteristik mehrerer gleichzeitiger Kunstwerke am selben Orte stellt sieh zunächst ein, wenn diese verschiedenen Kunstgattungen angehören. W i r rechnen z. B. eine Kirche noch zur Spätgotik, während die Wandgemälde im Chor, obgleich sie f rüher entstanden sein mögen, als der Bau des Langhauses vollendet ward, schon dem neuen Stil beigemessen werden. Gelegentlich aber wird ein Kunsthistoriker, der von der Baukunst ausgegangen ist, der Neigung nachgeben, auch diese Malereien noch spätgotisch zu nennen, obwol die Elemente des neuen Wesens schon unverkenn bar überwiegen. In der Baukunst und ihrer Ornamentik herrscht nach der gebräuchlichen Bezeichnung der gotische Stil noch länger REFOEMVOKSCHLäOE Z UK GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. 43 als ein Jahrhundert, während in der Malerei schon immer all gemeiner auch im Norden von „Frührenaissance" gesprochen wird. J a , dieser Widerstreit in der Z uweisung an verschiedene Stile betrifft dann auch die einzelnen Bestandteile eines und desselben Werkes selbst, und läfst das Ganze, das als Schöpfung womöglich der selben Hände, der nämlichen Person, eines durchaus gesunden und ganzen Künstlers entstanden war, vor dem Auge des Kritikers als ein heilloses, wenn auch noch so „interessantes" Z witterding erscheinen. Das eben ist das Wesen jeder Uebergangsperiode, wird man sagen, dafs sich das Alte mit dem Neuen durchdringt und oft gar seltsam mit einander verquickt. Gewifs! gegen das Vor handensein solcher Uebergangserscheinungen soll kein Z weifel er hoben werden. Nicht allein in Deutschland, in Frankreich und im Norden sonst haben wir dergleichen anzuerkennen, sondern auch auf dem Boden der italienischen Renaissance, wo die Gotik doch nie recht heimisch gewesen sein soll, vor allen Dingen in Oberitalien. W i e steht es mit der Porta della Carta am Dogen palast oder mit den Chorschranken der Frari in Venedig, wie vollends mit dem Mailänder Dom und seinem Skulpturenschmuck? Es ist nicht gleichgiltig, ob wir den Namen Gotik oder Renais sance gebrauchen, wenn es darauf ankommt zu wissen, wo steckt das Neue? Sollte es nicht auch verborgen in altertümelndem Gewände vorhanden sein? Der Name schon kann darüber täuschen oder irre führen. Bei uns in Deutschland aber verbindet sich mit dieser Stil bezeichnung fast durchgehends noch ein entscheidendes Urteil über den Gang, oder vielmehr den Stillstand der deutschen Kunst, bei dem wir uns schwerlich beruhigen dürfen, wenn einmal der nationale Standpunkt eingenommen wird. W i r reden in der Bau kunst von Spätgotik, gestatten also dem Gotiker über diese Er scheinungen das Urteil zu sprechen. Der strenge Vertreter dieses Stiles, der seine Begriffe an französischen Kathedralen gebildet, vermag aber die Leistungen der Spätgotik in Deutschland nur schwer noch in ihrer künstlerischen Berechtigung anzuerkennen. E r ist viel eher geneigt, von Entartung und von Verfall zu reden. W o immer sein Mafsstab angelegt wird, der doch schliefslich französischer Herkunft ist, ergiebt sich ein abfälliges Urteil, und das Bild der deutschen Architekturgeschichte kann, vom Standpunkt des reinen Gotikers betrachtet, sich nur unklar und 44 AUGUST SCUMAKSOW: verschwommen au snehmen. Das Endergebnis ist gewifs nicht be fried igend . Wer d ie Entwicklung d er d eutschen Kunst im 15. Jahrhund ert d em heimischen Verständ nis näher bringen möchte, verzichtet wohl ganz auf d ie Einbeziehung d er Bauwerke und erklärt, wie Springer, d ie Malerei habe d ie führend e Bolle gespielt. Von „d eutscher Benaissance" d agegen beginnt man in d er Baukunst zu red en, wenn d ie italienischen Stilformen bei uns eind ringen, so d afs im Grund e d och nur von italienischer Benais sance in Deutschland gesprochen werd en d ürfte, wie später von holländ ischer Benaissance auf d eutschem Bod en. Auch hier giebt d en Mafsstab wied er ein Fremd es. Und gestatten wir, wie d ort d em Gotiker, hier d em Kenner d er italienischen Benaissance, d as Urteil über d ie Leistungen d er d eutschen Architektur abzugeben, so mufs d as Ergebnis ungefähr ebenso lauten. Die d eutschen Baumeister sind nicht allein lange zurückgeblieben hinter d em italienischen Fortschritt, sond ern d ie Nachahmung antikischer A r t gelingt ihnen auch d ann nur in sehr beschränktem Grad e. Beim besten Willen ihre Fortschritte anzuerkennen, kann d er stete Vergleich mit italienischen Mustern d och nur unbefried igend aus fallen ; d enn d ie Aneignung bleibt lange äusserlich und ungeschickt, und von d er Hauptsache, d ie über Zierrat und Einzelformen d es klassischen Erbteils hinausgeht, kann erst spät, in d en Tagen d er italienischen Hochrenaissance od er gar erst nach d ieser kurzen Blütezeit d ie Bed e sein. Der d eutsche Forscher vermifst in beid en Fällen d ie A u f weisung d es Eigensten, d ie Anwend ung d es nationalen Frinzips. Solange es bei unsern Stilbezeichnungen „Spätgotik" und „Früh renaissance" an d iesem d eutschen Kern gebricht, solange mufs d as Eigentümlichste d er d eutschen und vielleicht d er gesamten nord ischen Kunst verloren gehen. Sprofst in d er Kunst d ieser Zeit aufkeimend en Lebens überall nichts, d as als schöpferische Kraft, als urwüchsige Originalität zu gelten Anspruch hätteV Was nach d em fremd en Mafsstab gemessen, in d ie Kategorie d er Absond erlichkeit, d es zähen Festhaltens am Hergebrachten, d es blofsen Zurückgebliebenseins hinter d em glänzend en Fortschritt d er süd lichen Nachbarn herabged rückt werd en mufs, — wie stellt es sich d ar, wenn es am eignen selbstgewachsenen Mafsstab ge messen würd e? Aber giebt es einen solchen heimischen Mafs stab V Bis jetzt scheint ein d eutsches od er gar germanisches REFORMVORSCHLXGE z u n GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. 4 5 Prinzip, das sich als Richtschnur einer Entwicklung verfolgen liefse, überhaupt nicht entdeckt oder höchstens etwa f ür f igür liche Darstellung als wünschenswert anerkannt zu sein. Oder kam es nur f ür diese Periode des Uebergangs abhanden? — weil auch hier die Unterscheidung des Alten und des Neuen nicht durchgef ührt worden, weil unzureichende Kriterien den Blick f ür charakteristische Leistungen beirrt und eine Verwechslung mit den letzten Ausläuf ern mittelalterlicher Kunst ermöglicht hatten? Dann läge die Unklarheit und Verworrenheit des heutigen Urteils nicht an der unzulänglichen Ausdrucks weise, an Namen und Stilbezeichnungen allein, sondern an einem methodischen Fehler, den die Kunstgeschichte mittlerweile zu verbessern im Stande sein dürf te, sobald sie ihn einmal herausgef unden. Viel leicht ist dieser Fehler garnichts anderes, als die notwendige Schattenseite bisher erworbener Vorzüge und kann im natürlichen Fortschritt von selbst eliminiert, oder als Rückschlag der bisherigen Unterlassungssünden in eine f ruchtbare Potenz verwandelt werden. I. Die Kunstwissenschaf t hat im Bemühen, ihre Forschungs methode dem besondern Gegenstand entsprechend auszubilden und von dem Verf ahren ihrer Nachbarinnen zu unterscheiden, das Augenmerk vor allen Dingen auf die f ormalen Eigenschaf ten ihrer Objekte gerichtet und muf s es immer wieder darau f richten. Nur ist der Begrif f Form selber variabel. Es wächst die Form mit ihren gröf sern Zwecken, könnte man hier sagen, obgleich damit nur Eine Richtung dieses Wandels bezeichnet wird und die innere Mannichf altigkeit der Metamorphose sonst ausser Be tracht bleibt. W i e dem Philologen ist es auch zeitweilig dem Kunsthistoriker ergangen; er ist bei der Grammatik der Einzel f ormen stehen geblieben, auf die er bei strenger Vergleichung immer wieder hingedrängt wird. Exakte Analyse des Einzelnen und Kleinen lernt auch der minder veranlagte Beobachter regel recht ausf ühren. A f u Grund solcher waren die Bezeichnungen der damit unterscheidbaren Stile geprägt. Nach den Einzelheiten, die besonders ins Auge f ielen, nannte man sie: Rundbogenstil hief s was wir romanische, Spitzbogenstil, was wir gotische Bau kunst nennen. Sowie man aber zu der Erkenntnis vordrang, 46 ADGOST SCHMARSOW: dafs nicht diese Einzelformen das Wesen des Stiles ausmachen, sondern dafs ein Zusammenhang zwischen ihnen bestehe, d. Ii. sowie man zur Syntax übe rging, mufste n die se Be ze ichnunge n falle n. Die Be obachtung und Be tonung de r ge ge nse itige n Be dingthe it, de r Ve rbindung zwische n de n Baugliode rn, die man ge rn mit de m Ge wächs de s e ige ne n organische n Le ibe s ve rglich, führte zur Erke nntnis de r konstruktive n We chse lbe zie hunge n zwische n alle n Te ile n de s Aufbaue s, und ihr wolle n die Name n Eomanismus und Gotik ge re cht we rde n. Be sonde rs die Gotik e r fre ut sich de r volle n Ane rke nnung, abe r auch de r e rbitte rte n A n fe indung, e ine s ausge machte n Syste ms. Me rkwürdig nur, dafs man so lange Ze it braucht, auch die Ue be rtragung die se s Syste ms auf das ge samte Ge bie t de r darste lle nde n Künste we ite r zu ve rfolge n, d. h. e s in Plastik und Male re i e be nso aufzusuche n, wie man e s in le tzte r Ve rkle ine rung doch be i de r Orname ntik be stätigt finde t. Doch ge nug, von die se r Erke nntnis aus be griff de r Historike r wie de r Syste matike r die Abwandlung de r gotische n Baukunst bis in ihre le tzte n Spure n. Die Ge wölbe konstruktion ge währte dafür de n Anhalt. Und we nn he rnach das Rippe nge rüst mit se ine n fülle nde n Kappe n auch nicht me hr he rvortritt, sonde rn nur die äusse rliche Ersche inung de s Spitzboge ns ode r mannichfaltige r Komplikatione n im Ste m- und Ne tzge wölbe de n Zusamm e nhang mit de n konstruktive n Errunge nschafte n de r Gotik noch vor Auge n ste llt, — die s konstruktive Erbte il ge nügt, um auch die ve rschie de nste n Abwandlunge n als „Spätgotik" unte r de n all ge me ine n Stilbe griff zu subsumie re n. Die s ist de r Standpunkt de r Me hrzahl unse re r Forsche r noch he ute . In de r Lösung konstruktive r Proble me glaubt man j a die Entste hung de r Gotik zu finde n und de n Ke rn de s Bausyste ms zu e rgre ife n. Darnach müfste auch die Ge schichte de s Stile s i m We se ntliche n in de r Ge schichte konstruktive r Lösunge n aufge he n. Virtuose Spie el er ei n mit solche n Proble me n od e r abstrakte Künste el ei n mit ihre r Be re chnung sind auch das Höchste , das man de n Le tztlinge n nachzurühme n we ifs. Inde sse n, — ist nicht die se r ganze konstruktive Apparat auch in de n. Tage n höchste r Blüte de s Stile s, j a be i se ine r Entste hung se lbst, nur Mitte l zum Zwe ck? Wär e wirklich die Lösung konstruktive r Proble me Se lbstzwe ck de r gotische n Archite ktur als Kunst ge we se n? Ganz allmählich dringt wol, trotz manche rle i Anfe chtung durch e ntge ge nste he nde Ge wohnhe it, die Einsicht durch, dafs de r REFORMVORSCHLäGE ZUR GES CHICHTE DER DEUTS CHEN RENAIS S ANCE. 47 Kern der architektonischen S chöpfung anderswo zu suchen sei, als in den tektonischen Bestandteilen oder in dem Baumaterial, aus denen das fertige Werk zusammengesetzt ist, anderswo als in diesen Mitteln, die doch nur dem schöpferischen Willen dienen sollen. Die Bedingungen, die in und mit diesen Herstcllungsmitteln gegeben sind, können die vorschwebende Idee, den Raum gedanken, der verwirklicht werden soll, wol zeitweilig modificieren, können seine Ausführung bei den ersten Versuchen hemmen, einschränken; sie können ihn aber auch fördern, weiter heraus treiben zu kühnerer Entfaltung, sie können, wo sie als sicheres Erbteil vorhanden sind, seine Ausgestaltung von vornherein be günstigen. Eins aber ist sicher, die treibende Kraft steckt nicht in den Einzelformen, sondern macht sich diese, auch wo sie nicht da sind, oder macht sie sich zurecht nach dem eigenen Willen, wo sie anders vorhanden sind. Die treibende Kraft steckt auch nicht in der Konstruktion, sondern macht sich diese, wo sie nicht da ist, oder wandelt sie solange ab, bis sie ihr Genüge leistet, oder schaltet frei mit allen brauchbaren Möglichkeiten, ohne sich um den ursprünglichen S inn oder die einstige Entstehung zu kümmern, wenn sie nur leisten was sie jetzt sollen. D a s s t i l b i l d e n d e P r i n z i p k a n n a l s o n u r i n der R a u m f o r m s e l b e r g e s u c h t w e r d e n , ' die doch gewifs auch ein E o r m p r i n z i p ist, und schon durch das Verhältnis der drei Dimensionen allein ihren formbestimmenden Einflufs auf alle Bauglieder und Einzel bildungen ausüben mufs. Die Hauptsache, auf die es zur ge schichtlichen Erkenntnis der S tile zunächst ankommt, ist also das Raumgebilde als solches; d i e i n n e r e R a u m f o r m i s t der K e r n der a r c h i t e k t o n i s c h e n S chöpfung.1) i) Vgl. die Aufstellung dieses Prinzips in meiner Leipziger Antritts rede: „das Wesen der architektonischen S chöpfung" 1893. Der Haupt einwand dagegen ist als Frage formuliert worden, wie denn der Raum die stilbildende Kraft besitzen solle, die ich ihm zutraue. Darauf oben die Antwort: man vergifst, dafs der konkrete Raum, d. h. die Raumform, die verwirklicht wird, doch selber Form ist, die als Form prinzip auf alle Teile weiterwirken mufs. Neuerdings hat RICHARD S TREITER (Architektonische Zeitfragen, Berlin 1898, S. 114) gemeint, mir entgegenhalten zu müssen: „die romanische Gewölbebasilika unter scheidet sich von der frühgotischen in Bezug auf Raumbildung fast garnicht." Die Folgerung müfste also lauten, beide gehörten im Grunde auch demselben S til an. Warum wird denn nicht gesagt, dafs eine grofse Anzahl historisch geschulter Architekten, eben diese Auffassung 48 AUGUST Wenden an, so bisher wir werden diesen G r u n d s a t z wir geschehen, SCIIMAKSOW: genötigt, hinter a u f die gotische noch einen das Bekannte Schritt und gehen, d. h. s t a t t der G e w ö l b e k o n s t r u k t i o n statt des einzelnen Gewölbjoches I n n e n r a u m e s ins A u g e z u fassen. Lehre jedoch struktiven wäre die, dafs Errungenschaften zureichender G r u n d der der die der S p ä t g o t i k Einzelformen, Greifbare die die Gesamtform Z usammenhang gotischen mit Baukunst des Darnach den kon noch kein Z usammenhang w ä r e der B e anders z u definieren als bisher. trotz es E i n e weitere Konsequenz dieser sei, d a s B a u w e r k , das diesen ganz als zurückzu u n d ihrer Fortschritte, vielmehr a u f w e i s t , z u m g o t i s c h e n S t i l z u rechnen. griff Architektur weiter mancherlei Abwandlung oder Nicht Ent- von der E i n h e i t der E n t w i c k l u n g zwischen beiden sogenannten S t i l e n der mittelalterlichen B a u k u n s t vertritt? Mit dieser A n s i c h t , die sich auf andre G r ü n d e b e r u f t , trifft aber die ineinige noch nicht ü b e r e i n ; denn die K a u m b i l d u n g der flachgedeckten sog. frühromanischen B a s i l i k a weicht j e d e n f a l l s von der frühgotischen so w e i t ab, dafs ich sie n i c h t unter einem Stil begreifen k a n n . D i e richtige Folgerung aus m e i n e m Prinzip w ä r e zunächst nur d i e , dafs die R a u m b i l d u n g schon vor d e m E i n t r i t t der frühgotischen Formensprache u n d G e w ö l b e k o n s t r u k t i o n einen Umschwung erlebt h a b e , dafs eben auch hier weder die k o n struktiven Lösungen der A u f g a b e , noch die E i n z e l b i l d u n g der B a u glieder zur Erkenntnis ausreiche, sondern nur die A u f g a b e selbst, d i e Neuschöpfung des R a m n g e b i l d e s , gleichgut m i t welchen M i t t e l n , hier also g l e i c h g u t , ob m i t spätromanischen Formen u n d Konsti - uktionen oder m i t frühgotischon. Das Beispiel, das m a n gegen mich ins F e l d führt, beweist also nur die Brauchbarkeit meines Prinzips, K l a r h e i t i n die Periode des sogenannten Ucbergaugsstiles zu b r i n g e n , den m a n zwischen R o m a n i s m u s u n d Gotik eingeschoben hat. Ganz ä h n l i e h steht es wol m i t dem Verhältnis der fn'ihromanischen zur altchristlichen Basilika, auf die STHEITER sich beruft. Habe ich mich verpflichtet, d i e üblichen Bezeichnungen der Baustile als unantastbar hinzunehmen, u n d von meinem Einteilungsprinzip behauptet, es müsse die E r k l ä r u n g dieser hergebrachten Terminologie leisten? I m Gegenteil, es mufs damit a u f räumen. Ebenso wenig habe ich behauptet, jeder Stil habe nur eine einzige R a u m f o m i oder einen durchgehenden T y p u s für alle seine R a u m g e b i l d e hervorgebracht. Also der E i n w u r f : „würde man eine römische B a s i l i c a forensis u n d das Pantheon (als Innenräume) f ü r Bauwerke ein u n d desselben Stiles erklären können?'' trifft mich w e d e r nach der e i n e n , noch nach der andren Seite, u n d die A n t w o r t steht schon bei J a k o b liurckhardt in seiner Definition der speeifischen „ R a u m stile". A u f die letzte Frage nach der Sophienkirche „in klassischer E i n k l e i d u n g " antworte ich: j a ! und abermals j a ! Dies Kauingeliilde würde den neuen Stil offenbaren, auch dann. REFORMVORSCHLAGE 7.VR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. artung noch im m er erkennen lassen, R i p pe n s y s te m s und n ie re n de n Ge r ü s te s d. h . Prinzip das Me r k m ael . die G e w o h n h e i t nicht Dei die d ie von S o n de r a n g de n blos Z u ge h ö r i g ke i t zum mit de m s t re n g e ntwicklung e in g o t i s c he n ge me i n d u r c h g re i fe n de r w ä re n dei g o t i s c he n de s funktio d a z w i s c he n , e n t s c he i de n de n Stil auch i n e i ne r Raumge bilde S u m me ' w i c h t i g s t e r R a u m ge b i l de h a be n . Te i le n D a s spätgotische w e n i g s t e n s e i ne Grund nur be haupte t we rde n auf Grund e ine r we se nsgle iche n R a u m f o r m . m ü f s te auf de s n o t w e n d i g f ü l le n de n G l ie de r b a ue s , le t z te n E n t w i c k l u n g s p h a s c k ö n n t e solche s Form ensprache G e w ö l be k o n s t r a k t i o n k l a re de s der gotischen 49 S o wei U n te r s c h ie d auf a be r de r H ö h e in de m he r v o r t r ä te , als E i ge n s c h a f te n de r Stil R a u m g a n ze n s o w ei de r Grund ge d a n ke de r fe rtige n, w e n n auch a u s laute r e re rbte n H c r s t e l l u n g s - mitte ln zu S t a n de ge k o m me ne n Schöpfung a n de r s ge a r et t e r w i e s e , so h ä t t e n w i r we rk nach stab de s G o t i ke r g o t i s c he n A n f o r d e r u n g e n m i t te l a l te r l i c he n a u c h n o c h so s e hr v o n o de r v o n U n k l a r h e i t e n u r te i l S t iel s ü be r s o n de r n dei de m H i s t o r i ke r kunst, de r zu be urte ile n a n z u el ge n ; Entartung de r u n be f a n ge ne n de n de s P a r te i s t a n d p u n k t ne u und und de n M a f s - de r das le tzte ge b ü h r t We r t nicht ihm, R a u m ge b i l de s , S y s te m a t i ke r de r ste r n ge S te i n me t ze n a r be i t , re de n , Be t r a c h te r als mag de r Le i s t u n g R a u m s c h ö p f u n g e n , e i ne m ü be r sich R e c h t m e h r , d ie s B a u de r K o n s t r u k t i o n H a u p t s a c he de r ke i n S t i l i s te n de m de r Bau hinaus ist, o de r w e n n e s d u r c h a u s s e i n m u f s , d e m A n w a l t e i n e s a n d e r n S t i l e s . Abe r we l c he s S t i le s d e n n ? Was i s t d ie s b i s z u e i ne m seO w i se s n Grade we r k Ze u ge Nun s i c he r l i c h e i ne U r k u n de sich wird ä u f se m de n vor d ie R a u m ge f ü h l s . e n t s c he i de n de — Frage e D r ge s te l l t : „ S p ä t g o t i k " m e h r ist u n d se in soll, d a n n m ü f s t e was wir e i ne n b i s he r w i s s e n , „ R e n a i s s a n c e " ne ue n fe r me d e t n s c h ö p ef r i s c he n , G r u n d ge d a n ke n e d r se i n , we n n e s Ge h a l t vollständig u n se l b s t ä n d i ge n m a le n , N u r die se de r ge re c h t Fe s t k le be n so m e h r , als e s R a u m b i l d u n g e nt bringt. E i n ze l f o r me n Auffassung ve rmag de m zu an und we r de n f re m de n und Entsche idung k ü n s t le r i s c he n be f re i t u n s und von ä u f se r l i c he n de r K o n s t r u k t i o n s m i t t e l , e r le r n t . PMl.-Mst. Classe 1899. ke i ne A l le m , D a s ist auch me ine volle Ue be rze ugung, dafs die so f a l l e n m u f s . ve r ä n de r te n , K u n s t h i s t o r i ke r e s j a nach um g o t i s c he n zum Ausdruck Bau ne ue n W o l l e n s , e i n a n d e r s g e a r t e t e n G e i s t e s o de r m i n d e s t e n s v ö l l i g kräftig ab e r noch gotisch e inge kle ide te , gotisch konstruie rte dann? 4 d ie de m Me r k man 50 AUGUST SCHMAKSOW: Damit kommt aber selbstverständlich auch die bisherige Def inition der Eenaissance in Deutschland als ebenso ungenügende, nach äuf serlichen Formelementon bestimmte, zu Fall. Bis heute spricht man, wie gesagt, von Eenaissance in der deutsehen Bau kunst, wenn die Einzelf ormen der italienischen Architektur ein dringen, wenn die Bekleidung mit Säulenordnungen und Pilastern, wenn die Verdrängung des Spitzbogens durch den Rundbogen in Fenstern, Arkaden u. dgl. beginnt. Das ist aber f ür uns kein aus reichender Grund, ebenso wenig wie die antikisierende Ornamentik; sondern erst die Baumbildung im Sinne des neuen Stils wäre das entscheidende Kriterium. — Wann aber tritt diese ein? Wenn es sich auch da wieder um die Uebertragung des italienischen Raumgef ühls nach Deutsch land handelte, so kämen wir sicher in die Zeit der italienischen Hoch- ja eigentlich erst der Spätrenaissance, jedenf alls auf eine nachträgliche Horübernahme des f ertigen Vorbildes, nicht auf eine schöpf erische Tätigkeit von eigner Art. Die Entscheidung aber, um was es sich handelt, steht nicht dem Kenner der italienischen Renaissance als Verf echter dieses Stiles zu, der den Deutschen zu nächst f remd ist, wie die Gotik auch dereinst, sondern sie muf s dem deutschen Forscher, dem Kenner des heimischen, echt natio nalen Wesens überlassen bleiben, zunächst unbekümmert um die Vorstellungen, die bereits Gemeingut der internationalen Kunst geschichte geworden sind. Es handelt sich weder um die Ideale f ranzösischer Gotik und ihre Geschichte auf deutschem Boden, noch um die Ideale italienischer Renaissance und ihre Verbreitung oder Verwandlung diesseits der Alpen, sondern um die Ideale der deutschen Baukunst und ihre Verwirklichung in der eigenen Heimat, vornehmlich im f ünf zehnten Jahrhundert. W i e wäre es jedoch, wenn die deutsche Baukunst das Haupt erf ordernis, das wir an die Entstehung eines neuen Stiles, einer selbständig schaf f enden Architektm-periode stellen, die Gestaltung eines neuen andersgearteten Raumgebildes bereits f rüher erf üllt hätte? Die unbef angene vergleichende Erf orschung der Architektur als Raumkunst kommt zu diesem Ergebnis. Es giebt eine ganze Reihe solcher Bauwerke, die mit. vollem Rechte als neue Raum schöpf ungen anerkannt werden dürf en, sobald wir einmal von der Einkleidung im Einzelnen absehen oder doch die Konstruktions mittel und die Formbildung ihrer Glieder als sekundäres Moment betrachten. REFORMVORSCHLäGE ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. • 51 XL Begreiflicherweise begegnen diese Schöpfungsbauten zunächst da, wo die Haupttätigkeit der mittelalterlichen Baukunst gelegen hatte, auf kirchlichem Gebiete, und zwar zu einer Zeit, wo eine neue Aufgabe, die Stadtkirche, sich darbot, die freilich nicht un mittelbar, wie man es wol darstellt, aber doch als Gelegenheits ursache zu einer neuen Lösung geführt hat. A n erster Stelle ver dient die Kreuzkirche von Gmünd in Schwaben genannt zu werden, die 1351 durch Heinrich den P arier von Köln gegründet und bis zu seinem Tode 1377 weitergebaut, bis 1410 vollendet dastand. 1 ) Bs ist ein einheitlicher Hallenraum, Chor und Langhaus an einander geschoben und durch die Fortsetzung der Seitenschiffe als Umgang um das Chorinnere mit einander verschmolzen. Das Allerheiligste ist so in das Gemeindehaus aufgenommen, für weitere Altäre ein Kranz niedriger, nur die Zwischenräume zwischen den Strebepfeilern füllender, nach aufsen nicht polygon vorspringender Kapellen bestimmt. Ein für das Auge horizontal sich ausbreitendes Sterngewölbe überdeckt das Ganze, von schlanken Rundpfeilern durchhin getragen. Nur einzelne Symptome verraten noch den Erstlingsversuch grade an den Stellen, wo er vom Gewohnten ab weicht: wo zwischen Chor und Langhaus ein Turm hier, die Sakristei dort sich herausschiebt, der Boden sich erhöht, durch den Kapellen kranz die Zweigeschossigkeit sich einstellt, die nach aufsen einen Kontrast zum Hauptkörper, aber auch entschlossene Horizontal abstufung zur Schau trägt. — Dies Beispiel wirkt als Vorbild ringsum bis nach Bayern hinein und findet in nächster Nähe seine weitere Vollendung: klar und verstandesmäfsiger in S. Georg von Nördlingen ( 1 4 2 7 — 1 4 5 4 [Beginn des Turmbaus] — 1 5 0 5 ) , einem herrlichen Saalbau; lichtvoll und schlank gewachsen in S. Georg zu Dinkelsbühl ( 1 4 4 4 — 1 4 6 4 — 9 2 ) . Sehr bezeichnend unter scheiden sich von diesen Stadtkirchen die letzten Anwandlungen 1) Die Erkenntnis der Wichtigkeit dieser Bauten ist allmählich aufgegangen; ich finde sie am klarsten herausgefühlt, wenn auch nicht prinzipiell durchschlagend verwertet bei LüBKE, besonders in der Deut schen Kunstgeschichte; KUGLER macht einen Einschnitt in der Geschichte der Baukunst um 1350, ohne nähere Motivierung und ohne weitem Verfolg des Neuen, das seitdem aufkeimt. In der Bearbeitung des SCHNAASESCHEN Bandes ist aber infolge der neuen Ansichten seines Mit arbeiters ein Widerspruch zur ursprünglichen Disposition fühlbar. 4* 52 AUGUST SCHMäBSOW: monumentaler Grösse in Ulm, in Landslmt und in M ünchen. Weit räumigkeit ist überall das Ideal; aber es wird damit auch die mächtige Höhe beibehalten, nur die M asse nicht erleichtert nach oben, sondern mit hinauf genommen wie in voller Wucht. Nur in Ulm sollte im Turmbau die Durchbrechung bis zur luftigen Helmspitze emporsteigen als Kontrast zu dem gewaltigen Kirchen körper. Allein eben dieser Innenraum, der den Wetteifer mit dem. letzten komplicierten Kathedralbau in Eegensburg deutlich ver kündet, aber auch den Gegensatz dazu, in der Unterordnung des Chores, der Gleichheit der Schiffe und ihrer schlichten Endiguug schroff genug ausspricht; er wurde im Lauf der Zeit durch Ein stellung neuer Trägerreihen wesentlich verändert, und eben dadurch dem Eindruck der Kirchen von Gmünd und Nördlingen näher ver wandt als die ursprüngliche Absicht gewesen. Schlicht und ein heitlich, wuchtig und ernst ist der gestreckte Langbau der Frauen kirche in M ünchen (1468 — 88), deren gewaltiges Turmpaar ohne Helmspitzen das Wahrzeichen der Stadt geblieben. Die saalartige Einheit des Grundpianos aber prägt sich am deutlichsten in Ingol stadt aus (Chor 1 4 2 7 — 3 9 , das Uebrige bis an den Anfang des 16. Jh.), wo die Uebereckstellung der beiden Westtürme im Innern ursprünglich ein korrespondierendos Gegenbild hervorbrachten. des Chorhauptes Nur dem bescheidneren Gemeindehaus, wie es in Gmünd ge schaffen war, gehörte die Zukunft. Der Chor der Pfarrkirche von Bozen zeugt in der zweiten Hälfte oder gegen Ende des vier zehnten Jahrhunderts von einer direkten Uebertragung nach Tirol, wo sich durch zugewanderte M eister aus Schwaben zunächst, dann auch durch heimische Kräfte eine fruchtbare Tätigkeit in derselben Bichtung eröffnet. Die Pfarrkirchen in Hall bei Innsbruck, deren Gewölbeschlufssteine von 1434 datiert sind, in Sterzing 1 4 1 7 — 1 4 7 3 , in Schwaz ( 1 4 6 0 — 6 5 — 1 5 0 0 ) bestätigen die Aufnahme des näm lichen Wollens bald in bescheidenen Gränzen, bald im vollen Aufschwung zur Weiträumigkeit, aber stets als saalartige Halle, deren Eindruck auch in Schwaz, mit dem gedoppelten Chor und den vier Schiffen, ungestört, j a in vollster Breite vorwaltet, dann aber in der Franziskanerkirche daselbst (1507 — 1 515) /.u einer reif sten Vollendung gesteigert wird. Diese Tiroler Hallenkirchen sind deshalb so wichtig, weil sie das deutsche Bauideal bis über die Gränzen der italienischen ' . K u l t u r hinaustragen (z. B. Pergine im Val Sugana), das der M aler REFOIIMVORSCHLäGE ZUH GESCHICHTE DER DEUTSCHEN REN AISSAN CE. 53 Michael Pacher, mit der Kunst Paduas und Venedigs wol ver traut, bewufst als Tempel gefeiert hat, wo wir gewifs antikische Rekonstruktionen im Sinne SQUARCION ES oder MAN TEGN AS erwarten ( St. Wolfgangsaltar)', und weil sie Stand halten gegenüber dem Andringen der italienischen Formensprache, bis die Rokokozeit sie mit Stuck und Malereien entstellt hat. Ist dach die Hof- | kirche in Innsbruck, die 1553 — 63 erbaut ward, nichts anderes, als eine Wiederholung des nämlichen Raumgebildes, nur in der Einzelbildung der Kapitelle u. dgl. dem klassizierenden Ge schmack der vorgerückten Zeit entsprechend angenähert, und deshalb als Musterleistung deutscher Renaissance in Anspruch genommen.*) Gleichzeitig mit dem Auftreten des Kölner Parliers Heinrich in Gmünd und der Seinigen, deren Wirksamkeit sich weit hin aus nach Süden erstreckt, entwickelt sich im N orden, auf dem Köln benachbarten Gebiet, wo immer eigene Selbständigkeit be hauptet war, -in Westfalen, eine durchaus verwandte N eubildung. ' Umbauten und Erweiterungen vorhandener Werke, in denen stets die N eigung zu breitgolagerter Weiträumigkeit und massiger Er scheinung des Innern gewaltet hatte, erschweren die Erkenntnis oder doch die Zeitbestimmung in voller Klarheit. Aber auch hier fehlt es nicht an Schöpfungsbauten, die den saalartigen Charakter der Stadtkirche, die Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Raumes, und das Bedürfnis nach horizontaler Ausbreitung des Deckengewölbes aufser Zweifel stellen. Als solche Bekennt nisse des neuen Wollens, die in einem Gufs gelungen, seien nur die Wiesenkirche in Soest (im Chor 1343, in den Türmen 1422 begonnen) und die Lambertikirche in Münster (1375 bog.) her vorgehoben, während die Chorbauten der Marienkirche in Osna brück (1406 — 24) und in Lippstadt ( 1 4 7 8 ) die Fortdauer des nämlichen Strebens im 15. Jahrhundert bezeugen, auf das es uns hier ankommt. Uebergehen wir, nur der Kürze wegen, die Beiträge, die der Kirchenbau der norddeutschen Tiefebene, besonders in Branden burgischen Backsteinwerken geliefert, — verzichten wir, wenn auch sehr ungern, auf den Blick zu unsern Hansestädten an der 1) Vergl. neuerdings besonders B. RIEHL, Die Kunst an der Brennerstrafse, Leipzig 1898, S. 58, wo auch über einschiffige Kirchen der sog. Spätgotik willkommene Angaben gemacht sind. 54 AUGUST SCHMARSOW: Os ts ee, wo s ich ein Vergleich mit den Niederlanden aufdrängt wo eine Perle reiner Gotik wie die Klosterkirche in Doberan neben zahlreichen Zeugen monumentalen Sinnes von Lübeck bis Danzig und weiter hinaus schon die Neigung zu malerischen R eizen und perspektivischem Zauber bekundet, — lassen w i r auch den wertvollen Einflufs des Deutschordens im Osten hier aus dem Spiel, weil er an andrer Stelle z u Worte kommen ffiufs und vermeiden die Anerkennung bedeutsamer Metamorphosen selbst in späten Mönchskirchen, wie auf dem Sande in Breslau, nur um den wichtigsten Faden desto straifer festzuhalten. Ein Meister aus Westfalen, AR NOLD m i t Namen, erscheint im jetzigen Königreich Sachsen und tritt in Verbindung mit einer R eihe von Bauten, die zur letzten Zusammenfassung der wesent lichen Tendenz aus Nord und Süden überleiten. -1) Die Marienkirche in Zwickau (Chor 1453 — 75, T u r m 1 4 7 3 — 1 5 0 6 , nördlicher A n bau am Chor 1505 — 1 5 1 7 ) und die Kirche in Mittweida sind noch komplicierte Gebilde, in denen das Breiterwerden ohne R ück sicht auf den Grundplan der ursprünglichen Anlage, nur die Lockerung des Systems bestätigt, aber zugleich den Boden f u r völlig freie Neuschöpfungen bereitet. Die Kunigundenkircho ( 1 4 7 0 voll.) und die Petrikirche ( 1 4 7 6 — 9 9 ) zu R ochlitz geben die be scheidenere Form des Gotteshauses für die bürgerliche Gemeinde klar und einfach, wenn auch mit eigenem doch untergeordnetem Chor. Ein äufserer Umstand (die Bestimmung zur Fürstengruft) trennt am D o m zu Freiberg den Chor vom Gemeindehaus ab und gewährt so die Möglichkeit, dies letztere als einheitlichen Ver sammlungssaal zu entwickeln, hier schon mit bewufst ausgebildeter Empore als mittlerer Horizontalzonc ringsum (1481 — 1501). Dies zweite Moment, das am Chor von S. Lorenz in Nürnberg (1439 — 1 4 7 7 ) zuerst aufgetreten war, weist auf die Einmündung des süddeutschen Stromes, den wir vorher verfolgt, aus Franken her. Und unverkennbar schliefsen sich die letzten Steigerungen und folgerichtigen Abklärungen hier im Erzgebirge an die Schöpfungs bauten von Gmünd und Dinkelsbühl oder Ingolstadt ebenso an, 1) Vgl. für das Folgende besonders die Leipziger Dissertation von E. HAENEL, die auf Grund einer Preisaufgabe der philos. Fakultät im kunsthistorischen Institut entstanden ist: Spätgotik und R enaissance, Stuttgart P. NEFF Verlag —, auf deren genauere Angaben und weitere Zusammenstellung des oinschläglichen Materials ich mich hier be ziehen darf. REFOKMVOKSCHLAGE ZUK GESCHICHTE HER DEUTSCHEN RENAISSANCE. 55 wie an die von Soest und Münster in Westfalen. In Annaberg ( 1 4 9 9 begonnen, 1520 gewölbt) und in Schneeberg (1 5 1 5 — 2 6 ) stehen sie vollendet vor unsern Augen, und die Abzweigung nach Pirna (Stadtkirche 1 5 0 4 — 1 5 4 6 ) wie die Uebertragung in das deutsche Nachbargebiet zu B r ü x in Böhmen (Stadtkirche 1517 — 3 2 ) x ) bezeugen, wie der durchgreifende Wirkungskreis eines Jakob von Schweinfurt das bewufste Pesthalten an der gelungenen Ausprägung des gemeinsamen Raumgefühls. W e r nur Einzelformen der Bauglieder oder Gewölbkon struktionen als Merkmale eines Stiles anzusehen gewohnt ist, wird ziemlich ratlos dastehen, wenn er ehrlich genug ist, ohne vorgefafste Meinung aus den sichtbaren Kennzeichen allein das ent scheidende Urteil gewinnen zu wollen. Wer aber das Eaumgebilde als solches herauszuschälen weifs und diese Raumform als die eigentliche Schöpfung des Architekten anerkennt, der wird keinen Augenblick in Zweifel bleiben, dafs hier zur Vollendung gedeiht, was seit der Mitte des 14. Jahrhunderts schon in einzelnen Werken sich vorbereitet und durch das ganze 15. Jahrhundert sich weiter entwickelt, gegenüber manchen andern Anwandlungen, besonders konservativ hierarchischer Tendenz, fortschreitend sich geklärt hat. Es giebt also eine d u r c h a u s o r i g i n e l l e deutsche A r c h i t e k t u r i n der P e r i o d e , v o n der w i r r e d e n , längst ehe die Pormensprache und die Ziermotive oder gar die Raumideale der italienischen Renaissance über die Alpen hereingetragen wurden ins deutsche Land. Kurz gesagt: w a s i n der d e u t s e h e n B a u k u n s t b i s h e r „ S p ä t g o t i k " h e i f s t , das i s t z u m g u t e n , j a z u m b e s t e n T e i l d e u t s c h e „ F r ü h r e n a i s s a n c e " und gewährt uns das Bild einer eigenen Entwicklung, die sich dem italienischen Q uattrocento durchaus als Parallele an die Seite stellt, d. h. sowol gleichzeitig verläuft als künstlerisch sich entsprechend — nämlich dem Wesen und der Vergangenheit des Volkes diesseits der Alpen entsprechend — charakterisiert. Sowie wir einmal erklärt haben: so sieht die „deutsche Renaissance", die auf heimischem Boden erwächst, aus — che fremde Einflüsse formaler A r t Macht gewinnen, da geht es wie dem Eisen bei der Berührung eines kräftigen Magneten. Dauert diese Berührung nur lange genug, so richten sich alle Moleküle, 1) Vgl. Jos. NEUWIETH, Die Baugeschichte der Stadtkircbe in Brüx. 1897. 56 AUGUST SCHMAKSOW : der Anziehung folgend, und was bis dahin der gotische P o l weiter Entfernung nur schwach noch zu halten verm ochte, an W a s durch Zwischenschiebung anders gerichteter Teile vollends gelockert w a r , so dafs keine ausgesprochene Tendenz hervortreten m ochte das kehrt sich alles schnell und unerwartet dem neuen Kraft-! centrum zu, sowie wir den Pol der Eenaissance heranbringe^ seine W i r k u n g zu erproben. Bald ist die ganze Reihe ander s ' orientiert, und die Richtung dos Zuges klar ausgesprochen. Dje Entschiedenheit, m it der er sich äufsert, die Wucht, mit der dieser« Umschwung eintritt, und der energische Widerstand, der sich jedem Versuche der Lostrennimg von diesem neugewonnenen Pol ent gegensetzt, beweisen, dafs wir es mit gutem edlem Stahl zu t u Q haben und nicht mit rostzerfressenem altem Eisen, das man als wertloses Gerumpel abtut. HL Das bewährt sich, wie schon am Kirchenbau, erstrecht a i u Profanbau der ganzen Periode. Sowie die Formen der Auszierunound der Konstruktion, als Mittel eines gemeinsamen über sie hin aus greifenden Z weckes, bei der Betrachtung zurücktreten dürfen, und die Raumbildung als solche, die Disposition der Räume nebenund übereinander das Hauptaugenmerk bildet, so drängt sich auch eine Fülle mannichfaltiger Erscheinungen unter den einheitlichen Gesichtspunkt, und der Fortschritt im Sinne der Renaissance mufs einleuchten. Hier eröffnet sich für die Geschichte der deutschen Wohnung und der öffentlichen Gebäude ein lange vernachlässigtes, hinter den Kirchenbau unbilliger und mifsverständlichcr Weise zurückgedrängtes Arbeitsfeld. Wenn schon der Kirchenbau immer deutlicher, wie in Italien seit BKUNELLESCHI'S Tagen, zu dem menschlich absehbaren Mafsstab zurückkehrt 1 ), so gewinnt der Horizontalismus des Stockwerkbaues für profane Z wecke schon eine prinzipielle Bedeutung, die der Durchführung des Vertikalis mus im Sinne der Gotik von Anfang an widerstrebt. Schon im Verlauf des 14. Jahrhunderts ist der Kampf und Ausgleich dieser 1) Als ein Uebergangsglied zwischen kirchlicher und profaner Bau kunst erscheint mir schon „Unser üben frouwen Säl" in Nürnberg, die Karl IV. zu Bepräsentationszwocken zunächst, nach Art des Festsaals mit Kapelle (Chörlein) daran erbauen liefs. Andere Vorbereitungen auch im westfälischen Kirchenbau und im Ordenslando Breufson. RBFOKMVOBSCHLÄQE ZUIl GESCHICHTE DEK DEUTSCHEN RENAISSANCE. 5 7 beiden Richtungen bei allen Profanbauten aufserordentlich lehr reich. Kein Zweifel, dem Horizontalismus g ehört die Zukunft; denn das Bürg erhaus und das Rathaus, die Fürstenwohnung wie der Landsitz werden alle zu Aeufserung en des g emeinsamen Strebens nach menschenwürdig em Dasein, vollziehe sich nun die Wieder g eburt des g anzen Menschen zunächst mit Hülfe des Gemeinsinns, der Genossenschaft, oder hernach auf diesem Grunde als Verherr lichung des Individuums. Hier ist die Stelle, wo die wertvolle Erbschaft des Deutschordens zu Worte kommen mufs, und die Be tätig ung des Selbstg efühls deutscher Hansestädte im Wetteifer mit den westlichen Nachbarn. Hier wird im Wohnbau des Bürg ers die Stammeseig entümlicbkeit der Väter verwertet, in die Städte her eing enommen, nach den neuen Beding ung en abg ewandelt, durch Gewohnheiten fremden Zuzug s aus andern Gauen beeinflufst, im Verkehr mit auswärtig en Mittelpunkten des Handels auch neue Form g ewonnen. Das g esteig erte Leben drän g t überall zu an g emessener Raumschöpfung . A n den westlichen Gränzen vollzieht sich der Austausch mit den Niederlanden und Frankreich, in den Hansestädten hier und da auch mit Eng land; im Süden, besonders an den Strafsen über die Alpen, winkt das lockende Vorbild Italiens zum Lebensg enufs im Freien, und das Vorbild der Edelsitze und Villen wird in den Städten ebenso fühlbar wie draufsen im Dorf bei den Bauern. Auch hier aber läfst sich in Tirol verfolg en, wie keinesweg s die deutsche Bauweise selbstverständlich vor der fremden zurück weicht, wie ein unselbständig es zurückg ebliebenes Wesen vor dem überleg enen Herrn und Meister. Es ist vielmehr eine lang e wechselreiche und charaktervolle Entwicklung sg eschichte, die wir vor uns ausg ebreitet sehen, und spät noch stellen sich die heimischen Raumformen stolz und selbstbewufst mitten im italienischen Sprach g ebiet, besonders aber an den strittig en Gränzen dem antikischen Wesen g eg enüber. Davon erzählen die Burg en auf den Höhen an der Brennerstrafso entlang , davon Landhäuser der Herrn m den Dörfern, der Bürg er und Patrizier in den Städten, davon die Schlösser der Bischöfe, der Fürsten und der Kaufleute. Von Schwaz mit Tratzberg und Innsbruck mit dem g oldenen Dachl steig en wir hinauf nach Sterzing mit seinem Jöchelsturm und den Burg en Reifenstein und Sprechenstein, nach Brixen mit seinem Winkelhof, oder Pallaus und Felthurns, dann hinunter nach Bozen mit Haselburg und Runkelstein, wo von der andern Seite die §8 AuOUST SCHMAKSOW : Eichtling von Meran herüber mündet. Aber weit vorgeschoben gegen den Aufstieg italienischer Kultur stehen die Schlösser, selbst Stadt- und Landsitz des Trentiner Bischofs, die alten „spätgotisch" eingekleideten Teile des festen Vescovado zu Trient und die B u r g über P crgine im Val Sugana. Der Gegensatz gegen die wälschen Nachbarn zwingt uns hier, die Frage nach dem deutschen B a u wesen schärfer zu stellen als sonst, und nicht zu ruhen, bis wir in den charakteristischen Unterschied seiner Kaumbildung und Anordnung eingedrungen sind. 1 ) D a gilt es ein Zurückgreifen nach Norden, über Bayern und P ranken und Schwaben hinaus, und höchst willkommen wird ein ausführliches Bekenntnis wie das Fürstenschlofs zu Meilsen, das derselbe ARNOLD WESTFAELING, den wir vorher beim Kirchenbau genannt, im letzten Jahrzehnt seines Lebens 1 4 7 1 — 8 1 erbauen durfte. D a belohnt sich der Ausgang von den Bauten der Deutschordensmeister, der Blick in die Herr-enwolmung der Marienburg, und wir lernen, dafs dem Deutschen sein Heim sich ganz anders gestaltet als dem Südländer, sich anders gestalten mufs aus der innersten Natur seines Lebens heraus. Welch eine unerschlossene Fundgrube für die P sychologie der Baumbildung liegt allein in dem Vergleich solcher Beispiele. Und seltsam, weit unten in einem andern Alpental, der D o r a Baltea, die zwischen dem grofsen und kleinen St. Bernhard hin unter strömt nach Aosta, findet sich im Castello d'Issogne, (Jas GIORGIO DI CHALLANT ( f 1509) ums Jahr 1490 erbaut hat, in ei^er Reihe von Zimmern, die man „spätgotisch" nennt 2 ), der nämliche Charakter und an traulicher Stätte das selbe Bekenntnis warm herziger Gemütlichkeit wie in DUERERS „Hieronymus im Gehaus". Angesichts solcher und ähnlicher Erscheinungen, auf die v o r erst nur flüchtig hingedeutet werden soll, mufs die Unzulänglich keit des bisherigen Begriffes von Renaissance wol zugestanden werden. W i e die letzte der genannten Beispiele liegen zahlreiche andere, die nicht in diesen Begriff eingehen, auf oberitalienischem 1) Dies entbehre ich auch bei RIEHL a. a. 0., der die Bedeutung des Erkers oder Chörle so hübsch hervorhebt, sie aber als deutsches Wahrzeichen auch nach Trient und Rovereto verfolgen durfte. Vgl. auch P . CLEMEN, Tyroler Burgen, Wien und Leipzig 1894, wo unigekehrt der Einflufs des italienischen P alastes auf die Tyroler Schlösser besprochen wird, und STEDB, Drei Sommer in Tyrol, 3. Aufl München 1895. 2) Vgl. die P ublikation von R . FOHHEK, Spätgotische Wohnräume und Wandmalereien aus Schlofs Issogno mit 12 Lichtdrucktafeln Stras burg 1896. REFORMVOKSCHLAGE ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. Boden. Italienische na issa nce Forschungen nnd Ba rock klärung geführt: der von Re ha b e n m i c h a ber schon f r ü h e r zu der Er Na m e über da s Verhältnis 59 „ R e na i s sa n c e " könne und dürfe in der K u n s t g e s c h i c h t e n u r eine P e r i o d e bezeichnen, deron historische B e d i n g u n g e n d u r c h a u s einseitig v e r k a n n t w ü r d e n , w e n n m a n nur in der N a c h a h m u n g der Antike suche wie bisher. sie Diese P e r i o d e setzt v i e l m e h r i n erster L i n i e da s M i t t e l a l t e r v o r a u s , a u f da s sie f o l g t , a us dem sie h e r a u s w ä c h s t , so sehr sie sich i m G e g e n sa tz d a z u f ü h l e n m a g . Fa k t o r dem ma n Erbe dem ebenso da ma l s der die Wir notwendig b ra u c h e n zu ihrer E r k l ä r u n g zurückkehren leiblichen Väter neue G e n e r a t i o n diesen w i e da s wiederentdeckte A l t e r t u m , möchte, vielleicht ja , wir b ra u c h e n n o t w e n d i g e r a ls na chstrebt, — und da s zu dies I d ea l , es f r a g t sich, dies letztere n i c h t eher die eigene N a t u r ist a ls die A n t i k e , ob die ma n w i e d e r z u erobern w ä h n t . A l l e K u n s t t r a d i t i o n , a lle S c h u l u n g i m H a n d w e r k ist „ g o t i s c h " — m i t t e la l t e r l i c h , ohne F r a g e ; u n d es wäi - o Sa che der v o r u r t e i l s f r e i e n F o r s c h u n g f e s t z u s t e l l e n , wie viel t r o t z a lles a n t i k i s c h e n E i f e r s die A n s c h a u u n g e n u n d E m p f i n d u n g e n der K ü n s t l e r noch m i t t e l a l t e r l i c h bleiben, gleich den D a r s t e l l u n g s kreisen, die v e r la n g e n , Volk und und wie Kirche viel, wo von ma n ihnen neu belebt zu sehen da r ü b e r h i n a u s g e w a c h s e n ist, m e h r der S e l b s t b c f r e i u n g i m A n g e s i c h t der N a t u r , der a u f r i c h t i g e n W i r k l i c h k e i t s t r e u e v e r d a n k t w i r d , a ls der kla ssischen L e h r m e i s t e r i n , der K u n s t der A n t i k e ? — genügend a usgeglichenen I n dem unvermittelten Nebeneina nderbestehen oder doch der un m i t t e la l t e r l i c h e n V e r e r b u n g u n d der eigenen, sei es direkten, sei es i n d i r e k t e n ( d u r c h die A n t i k e v e r m i t t e l t e n ) E r w e r b u n g l i e g t der C h a r a k t e r der K u n s t beschlossen, die w i r „ F r ü h r e n a i s s a n c e " nennen. „Wichtigor n o c h erscheint die E r k e n n t n i s , da fs der e n t w i c k e l t e Stil, den wir „ H o c h r e na i s sa n c e " nennen, seinem innersten W e s e n na ch n i c h t s o w o l a u f einer g l ü c k l i c h e r e n N a c h a h m u n g der A n t i k e b e r u h t , sondern v i e l m e h r a u f einer g l ü c k l i c h e n V e r e i n i g u n g des m i t t e l a l t e r l i c h e n u n d a n t i k e n K u n s t i d e a l e s , u n d z w a r i m S i n n e eines N e u e n , da s k u l t u r geschichtlich n u r a ls die W i e d e r g e b u r t des g a n z e n Menschen z u h a r m o nischer E n t w i c k l u n g a ller A n l a g e n , z u g l ü c k l i c h e m Z u s a m m e n w i r k e n seiner p h y s i s c h e n u n d p s y c h i s c h e n K r ä f t e bezeichnet w e r d e n d a r f . ' ) i) SCHMARSOW, BAROCK und ROKOKO (Beiträge zur Aesthetik der bildenden Künste II) Leipzig 1897 S. 37 ö'., wo übrigens Beoba chtungen über die Architektur des Mittela lters und der Rena issa nce, besonders in Oberita lien, direkt a uch hier einschl a gen. Iii) A U G U S T SCIIMAHSOW : Diese Auseinandersetz ungen, die gan z o b j e k t i v v o n der Be t r a c h t u n g der italienisc hen Renaissan c e ausgehen, j a i m H i n b l i c k auf Vollender der Hoc hrenaissanc e RAFAEL als unerläfsli c h Umfange für die wie LIONARDO, erkannt worden, gleic hzeitige — E n t w ic k l u n g in Deutsc hland den N i e d e r l a n d e n , w i e i n F r a n k r e i c h u n d d e m N o r d e n Diese D e f i n i t i o n erst eröffnet u n s BRAMANTE, sie gelten i n v o l l e m das V e r s t ä n d n i s und überhaupt. des Werdens u n d giebt u n s den ec hten Mafsstab i n die H a n d f ü r die B e w e r t u n g unsres heimisc hen Wesens. B i s d a h i n k a m f ü r die „deutsc he F r ü h r e n a i s s a n c e " die A r c h i tektur eigentlic h g a r n ci h t in B e t r ac h t ; denn die gleic hzeitigen L e i s t u n g e n dieser K u n s t w u r d e n als A n h ä n g s e l der v o r i g e n P e r i o d e abgetan. E i n T e i l v o n i h n e n gehört j a zweifellos z u den L e t z t l i n g e n der G o t i k ; aber s c hon w o ein „ A u f f l a c k e r n sc höpferisc her K r a f t " b e m e r k b a r w i r d , sollte m a n vorsic htiger f r a g e n , ob es a u c h wirklic h das letzte eines v e r a l t e t e n K u n s t p r i n z i p s eines n e u e n bedeutet. Die Tradition oder das erste der F o r m e n ü b t , w o sie k i r c h l i c h g e h e i l i g t w a r d , a u f l a n g e Z e i t ein U e b e r g e w ic h t aus; u n d Aeufserlic hen aber eben diese F o r m e n s p r a c h e i m uns n ic h t beirren: n a t ü r l ic h das nur ist fremder H ü l f e verdrängt werden zu können, jemehr ihr ererbte Gewohnheit b ü r g e r l ic h e n währt. Um des Kreise ganzen überhaupt Kunsthandwerks den eben und h a r t n äc k i g s t e n der die klein R üc k h a l t ge so w i c h t i g e r w i r d f ü r die weitere D u r c h f ü h r u n g des hier geforderten P r i n z i p s das S t u d i u m der die sie Einzelnen l e t z t e , das i m N o r d e n beseitigt w i r d , u n d sie g r a d e sc heint mit darf besonders b e d r üc k e n d e s aus dem innersten Geist P r o f a n a rc h i t e k t u r , der Renaissanc e a u s v o n j e t z t a b , für Jahrhunderte hinaus, Baroc k und einbegriffen, d e n Vortritt her Rokoko vor der k i r c h l i c h e n gewinnt. Der U m sc h w u n g l i e g t i n d e r s o g e n a n n t e n s p ä t g o t i s c h e n Zeit. Wir a uc h im sehen in i h m Kirc henbau die Ursac he n ac h g e w i e s e n , f o r t sc h r e i t e n d e n des N e u e n , also den das wir Hauptstrom der E n t w ic k l u n g . IV. D i e s E r g e b n i s k l i n g t g a n z anders als die bisherige E r k l ä r u n g : die führende Rolle nommen. Der unter Nac hweis den K ü n s t e n habe die M a l e r e i über einer reic hen A r c h i t e k t u r , die den N a m e n „deutsc he Frührenaissanc e" für si c h b e a n s p r u c h e n darf, beric htigt ÜEFOBMV0RSC1II.ÄGK a ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN R E N A I S S A N C E . 6 1 u f e i n m a l das V e r h ä l t n i s d er K ü n s t e , d as sicli verschoben h a b e n sollte, ohne d afs gegangen. f ü r d en Wie erfahren hätten K e n n e r d es M i t t e l a l t e r s , beherrschend konnte wir unwahrscheinlich übei-wiegt. ein und w i e es zu k l a n g eine solche weshalb, Behauptung i n d e m d ie B a u k u n s t so all U n t e r solchen A u s p i z i e n d er K u n s t ü b u n g Umschwung zu G u n s t e n d er M a l e r e i nicht plötzlich eintreten, s o n d e r n h ä t t e einer l a n g e n V o r b e r e i t u n g b e d u r f t . w 0 wäre in gotischen K i r c h e n d er P l a t z d a z u g e w e s e n , Vorbereitung, — etwa i n d er V e r äd n e r u n g d er A r c h i t e k t u r frei m a c h e n , d ie G l a s m a l e r e i d er Fenster? erst m u f s t e d as F e l d Wand flächen Un d w o d ie Eine f ü r d ie M a l e r w i ed e r d a r b i e t e n , a u f d enen sie sich ergehen k o n n t e n , od er d en P l a t z schaffen f ü r ihre T a f e l b i l d e r . Nicht s o w o l d ie K i r c h e im strengen S i n n e d er G o t i k , m e h r d ie S e i t e n k a p e l l e n u n d Z u n f t , d er F a m i l i e d iese Freiheit in u nd e nd l i c h d es gewissen einzelnen Stifters Gränzen. b a l l e n , d ie G i l d e n s t u b e n u n d sich d en B u r g k a p e l l e n Die K u n s t d ie u nd mögen. auch technische Als bei zu Kleinkunst höchster einer von u nd Tuch e s , d ie anreihen u n d zum B i s d a h i n f e h l t d ieser d er Anspruch f ü h r e nd e n miniaturartiger Vollkommenheit Stellung i m Gesamtleben Liebhaberei. selbst sind d en K r e u z g ä n g e n V o l l e nd u n g S c h ä t z u n g , d ie viel gewähren R a t h ä u s e r , d ie d ie W o h n u n g e n Schauplatz umfassend er Malereien werd en. wertige als N e b e n a l t ä r e , d er B r u d e r s c h a f t , d er Rolle auf Schärfe s c h w e r l i c h d ie voll berechtigen kann sie t o n a n g e b e nd e g e w i n n e n , sond ern b l e i b t eine v o r n e h m e Diese Mittel erobert sie erst d u r c h d en F l e i f s von Generationen.*) Ganz and ers stellt sich d ie S a c h e a l l e r d i n g s , jener B e h a u p t u n g d ie <ltix Malerische als Kunst k a n n d urch alle wenn man m i t d er llichiung z u s a m m e n w i r f t od er v e r w e c h s e l t . d es M a l e r i s c h e n " d amals Malerei Künste Die „Entd eckung gehen u nd bestimmt a l l e rd i n g s d a s S c h i c k s a l f a s t a l l e r S c h w e s t e r n m e h r m i nd e r v e r h ä n g n i s v o l l mit. Diese Beobachtung ebenso j e n s e i t s w i e d iesseits d er A l p e n . d eres M e r k m a l d er d e u t s c h e u K u n s t i m aber m a c h e n E s ist a l s o k e i n engeren Ganges wie im S üd e n so i m od er wir beson Sinne. D i e K u n s t d er M a l e r e i d a g e g e n b e d a r f z u r E r k l ä r u n g d amaligen in «uf N o r d e n d er ihres Herleitung i ) V g l . hierzu d en Versuch einer biogenetischen E r k l ä r u n g d er „nied erländ ischen Frührenaissanee" von FR. CARSTANJEN in d er Vierteljalirschrift für wissenschaftliche Philosophie 1895. 62 AUGUST SCIIMAKSOW: au s der mittelalterlichen Tradition. Aber nicht in jenem äufserlichon, sei es formalen sei es technischen Sinn allein, wie es bis her versucht worden; auch hier kann die Auffassung wol mittler weile tiefer in ihr Wesen hineingreifen. — Was helfen uns U mrifs und Schraffierung, was Färbung und Bindemittel, was all die Befangenheiten oder Errungenschaften des Verfahrens, deren Mannichfaltigkeit der zusammenfassende Blick des Historikers doch aus den Augen verliert. Es sind ja doch, wie Einzelformen und Konstraktionsweisen in der Baukunst, nur Mittel zum Zwecke, Herstellungsmethoden, die in den Dienst der psychischen Macht treten, über die wir zunächst Aufschlufs verlangen. Nehmen wir dies Verfahren zum Mafsstab, richten unsere Bewertung nach dem Grade ihrer Vollkommenheit, so urteilen wir von einem Standpunkte aus, von dem die Künstler selbst ihr Tun und Treiben garnicht selber absehen konnten, antieipieren die Portschritte von Generationen und schieben ihnen einen Zweck unter, den sie vielleicht garnicht gewollt oder auch nur gekannt haben, nämlich die Nachahmung der Natur, die adäquate Wiedergabe des Ge sehenen im Abbild. 1 ) Damit nehmen wir für das Mittelalter voraus, was die folgende Periode, die uns hier beschäftigt, erst entdeckt hat. Auch das ist eine Tat der Renaissance, die Wieder geburt des Menschen in die Natur hinein, die eigne des Menschen wie der Welt um ihn her. Erst von diesem neugewonnenen Standpunkt aus gewinnen die Bezeichnungen „typisch" oder „kon ventionell" für die Darstellung der Dinge aus der Wirklichkeit ihren Sinn, nämlich den der Negation adäquater Wiedergabe der Figuren oder des Schauplatzes. Wenn vollends der Begriff „kon ventionell" aus der logischen Entwicklungsreihe herausfallt; wenn er zu allen Zeiten, wo ein gewisses Stadium erreicht und geläufig geworden ist, seine Anwendung finden kann; wenn dagegen die Verwertung jener andern unter sich ebenbürtigen Begriffe, zu denen wir „typisch" und „individuell" rechnen, für die Werke der Bau kunst in demselben Sinne ganz unstatthaft erscheint: — so drängt schon das einfachste Bedürfnis zusammenfassender Betrachtung selbst darauf hin, einen andern Mafsstab zu suchen, der nicht den beiden bildenden Künsten im engern Sinn, Malerei und Plastik, l) Vgl. RUD. KAUTZSCH, Einleitende Erörterungen zu einer Geschichte der Deutschen Handschrii'tenilhistnition. Leipziger Dissertation 1894. zu den betr. Stellen in LAMPRKCIIT'X deutscher (ieschiclite; die Termino logie stammt übrigens aus SCIINAASK. REFORMVORSCHT.AGE ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. 63 allein entnom m en ist, sondern sich ebenso auf die andern Schwester künste übertragen läfst. Wenn es klar geworden, dafs der mittel alterliche Zeichner oder Maler vielmehr f ü r d i e p o e t i s c h e V o r s t e l l u n g und im innigsten Bündnis mit der leicht entzündbaren Phantasie des Lesers oder Hörers arbeitet, so tut ihm jenes A n sinnen a posteriori, das Eealitätsgefühl späterer Generationen zu befriedigen, nur Gewalt an, und das Prinzip zur Charakteristik seines eigensten T uns kann nur aus dem Grunde einer Psychologie geschöpft werden, die dem Geist der Innerlichkeit gerecht zu werden weifs, der durch die höchsten Leistungen mittelalterlicher Kunst bezeugt wird. Erst wenn diese Charakteristik der „gotischen" Malerei in ihrer reinsten Blüte gelungen, wird es auch möglich werden, die Differenzierung des Neuen folgerichtig darzulegen, d. h. die Renaissance der Malerei im Abendlande, zumal bei uns in Deutschland zu verstehen. Genau so, wie in Italien einem BUAMANT E die Schöpfung der Hochrenaissance nicht anders gelin gen konnte, als durch Verwertung des reichen mittelalterlichen Erbes, das in der Lombardei vor ihm ausgebreitet lag, und durch dessen Verbindung mit den Offenbarungen der antiken Architektur, deren Raumgedanken ihm in ihrer ganzen Grofsartigkeit aufgegangen waren, genau so ergiebt sich der Aufstieg ziu- Hochrenaissance in Deutschland für ABBRECHT DUEREK, den Maler, nicht sowol auf Grund seiner wirklichkeitstreuen Gemälde, seines mühsamen Kleibelns mit naturgemäfsen Farben, sondern auf Grund seiner durch geistigten Griffelkunst, durch die Verbindung der köstlichsten Schätze mittelalterlicher Poesie, des volkstümlichen oft gar phan tastischen Inhalts mit der geläuterten Formensprache und der gewaltigen Raumdarstellung, die doch in Kupferstich und Holz schnitt auf so manchen, dem Maler mit vollen Farben sonst zu Gebote stehenden Faktor der vollen Verwirklichung verzichten. 1 ) In diesen tief innerlichen, durch und durch poetischen Schöpfungen, Einzelblättern Renaissance. wie Cyklen, liegt der Höhepunkt der deutschen Und aus dem alten Bündnis der Malerei mit der Dichtung, mit dem geschriebenen und gesprochenen Wort erklärt, sich auch das /uri'uklileihen der eigentlichen Dichtkunst selbst und der verhängnisvolle Umschwung, der die bildende Kunst nach kurzer Blüte ereilt, seitdem das „ W o r t " wieder mächtig geworden i) Vgl. SciiMAiisow, Zur Frage nach dem Malerischen (Heiträge zur Aeslh. d. bildenden Künste [.) Leipzig 1896. S. »9 ff. u. 95 ff. 64 AUGUST SCHMARSOW : und eine angstvolle Gemütsbewegung um der Seelen Heil das ganze Volk ergreift. Damals schlingt sich im Kirchenlied ein andres Band, zwischen Dichtung und Musik, und dieser neue Appell an die Innerlichkeit des nordischen dürfnis nach Kunst Stelle. auf Charakters entspricht dem Be lange hinaus und gar bald an erster Zu seiner Zeit aber verdient ALBRECIIT DUERER durchaus für den N orden denselben Platz, wie LION ARDO DA VIN CI drüben; dieser hat die italienische, jener die deutsche Hochrenaissance her aufgeführt. *) Zwischen der Gotik des Mittelalters und der kurzen Hoch renaissance während der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts liegt aber auch für die deutsche Malerei der Uebergang, die Werdezeit des N euen, wie in Italien sich ebenso das Quattrocento charakterisiert. Hier ist der richtige Platz, mit aller Gewissen haftigkeit von der allmählichen Entdeckung des Malerischen zu handeln, aber noch lange keine Veranlassung von der führenden Polle der Malerei zu reden. viel gearbeitet worden. Hier ist auch neuerdings eifrig und Die bequeme Hypothese vom nieder ländischen Einfiufs, der jeden Fortschritt erklären sollte, beginnt zu weichen und wird auf beweisbare Einzelfälle zurückgedrängt durch die Ueberzeugung, dafs auf deutschem Boden an den ver schiedensten, oft den vom niederländischen Verkehr entlegensten Stellen zu gleicher Zeit dieselbe Richtung eingeschlagen wird. 2 ) Der Drang zur N atürlichkeit der Dinge, zu Wirklichkeit und Wahrheit des Sichtbaren geht durch das ganze Abendland, nur in mannichfaltigen Graden und Aeufserungsweisen je nach dem Cha rakter des Stammes und der historisch gewordenen Sinnesart der bisherigen Kunst. den Disteln Es wachsen und Trauben eben nicht plötzlich Rosen auf den Dornen. Das Studium auf der 1) Im Verzeichnis meiner Vorlesungen zu Breslau findet sich schon ein Kolleg über „ALBRECIIT DUEBEB und LION ARDO DA VIN CI"; die Zu sammenstellung beider N amen imil's allein schon den Sachverständigen auch den Grundgedanken vermittelt haben, der darin ausgesprochen liegt. 2) Vgl. R. KAUTZSCH, a. a. 0. B. RIEHL, Studien zur Gesch. der bayerischen Malerei des 15. Jahrhunderts, Oberbayrisches Archiv Bd. 49. 1896. H. SEMPER, Die Brixencr Malerschule 1891. u. s. w. B. HAEN DCKE, Dissertation über FURTMATE, besonders über die Mettener Handschriften aus der 1. Hälfte des 15. Jh. Für die Tafelmalerei ist von besondrer Wichtigkeit, die Abhandlung FR. V. REBERS in den Sitzungsberichten der K. bayr. Akad. d. Wissensehaften, CJeber die Stilentwicklung der schwäb. und fränkischen Malerschulen 1897. und über H. MULTSCHER 1898. RlCFORM VORSCHLAGE ZUR Cr ESCUICHTE »ER DEUTSCHEN RENAISSANCE. 65 Hamlscli r iftenmale r ei hat uns schon ein gut Stück weiter geführt in d ieser Erkenntnis, d ie nur mit d em Grund prinzip zur Auf fassung als d eutsche Renaissance, d as hier vorgeschlagen wird , d urchaus übereintrifft. Das heimische Wachstum wird uns aber erst recht aufgehen, wenn sich mit d em umsichtigen Bearbeiten d er Miniaturen d ie Beachtung und Veröffentlichung d er W a n d malereien, nicht d er Tafelbild er allein verbind et. Bayern und Tirol haben uns bis jetzt schon d ie wichtigsten Aufschlüsse ge boten; Schwaben würd e nicht nachzustehen brauchen, wenn es d em Beispiel Bad ens folgte. Mit d er Tafelmalerei von d er einen, mit Holzschnitt und Kupferstich von d er and ern Seite wächst aller d ings erst d er Umfang d er Malerei zu d em mächtigen Bild erstrom, d er d urch alle Gauen flutet. Langsam keimt aus d em erwachend en Sinn für d as Stoffliche d er Dinge auch d as Gefallen an d er Sachlichkeit und Treue d er Wied ergabe. Die Freud e am sichtbaren und tastbaren Aeufsern, an d er natürlichen Färbung und Textur, eine gewisse, uns viel leicht kind lich erscheinend e, Lust an aller A r t Zeug, an kost baren Geweben, an Ed elsteinen un d Gold , d ie allmählich zum Prunken mit d er Uebcrfülle solcher materiellen Werte ausartet, ergiebt d ie Grund lage, nicht allein für d ie Schätzung mühsamen Klaiblens sond ern auch d er malerischen Reize; d ie Innerlichkeit d er d eutschen Auffassung versetzt sich grad e in d iese Erzeugnisse, wo Natur und Menschenhand schon zusammen geai-beitet haben, und gewinnt d urch sie d en Zugang zu d em Allermateriellstcn. Sie erfafst d en Nied erschlag d er Bewegungen, d ie solche Gewebe zu Stand e gebracht haben, d . h. d i e m o t o r i s c h e n R e i z e s i c h d u r c hd r i n g e nd e r Beziehungen eher als d ie sichtbaren W a h r z e i c h e n d es natürlichen Zusammenhangs d er Dinge. Von d em Gefühl für d as Stoffliche, für Gold schmied sarbeit und Brokat, für Pelzwerk und Stickereien, geht auch d as Gefühl für d ie Einzel heiten d er Natur aus: einzelne Blumen und Zweiglein, Käfer und Schmetterlinge, Vögel und kleine Tiere werd en eher in d en Schatz d er Beobachtung aufgenommen als ein Stück nur ihrer zugehörigen Umgebung, eine einzelne Bruchstelle im porösen Gestein eher als d ie Felswand . Durch ein Hinterpförtchen schleicht sich d as A l l tägliche in d ie heiligen Geschichten ein und verwand elt sie in Haus märchen nach d em Herzen d es d eutschen Kleinbürgers. V o m Kloinen und Nebensächlichen beginnt d ie Vermenschlichung und spät erst, wenn (bis wahrhaft Menschliche d en eigentlichen Inhalt ausmacht, rhil.-hist. ('lasse 1S09. 5 66 AUGUST SCHMAHSOW: und, um rein als solches zur Geltung zu kommen, das überflüssi ge Bei werk wi eder abstrei ft, dann erfüllt si ch auch hi er di e W i eder geburt von Innen heraus. Wi r bedürfen ei ner ei ngehenden Psychologi e der deutschen Kunst, so hi ngebend und li ebevoll wi e wi r si e der i tali eni schen Eenai ssance gewi dmet haben. wi cklung hi er grade i S e wi rd uns lehren, dafs di e Ent den umgekehrten W e g ei nschlägt als i m Süden, eben von Innen nach Aufsen. D i e vollendete Form der äufsern Erschei nung, di e plasti sche klare Gestaltung, di e Schönhei t des organi schen Lei bes i m Si nne der Ant i ke oder der Itali ener, i st das Letzte, i e ne Errungenschaft der Hochrenai ssance, d ie w i eder ni emand anders als DUERER verdankt wi rd. V. So kann das ganze Kapi tel der Gestaltung i be uns dahei m nur i m Zusammenhang mi t der mi ttelalterli chen Kunstübung, aus der Erbschaft der Goti k begri ffen werden. Eben deshalb berei tet di e Betrachtung der sogenannten „spätgoti schen Plastik" i n Deutsch land als „deutsche Eenai ssance" vi ellei cht noch mehr Schwi eri g kei ten als di e Malerei . das si ch gewi fs Das W i derstreben gegen di ese Auffassung, geltend machon wi rd, il egt aber zum grofsen Tei l an der unzulängli chen Vorstellung von der goti schen Skulptur, di e si ch ni cht scharf genug an di e Bei spi ele des strengen Sti les hält, sondern beli ebi g i n Frühgoti sches und Spätgoti sches aus grei ft. Seltsamer Wei se hat di e Erkenntni s der Goti k als Sti l, als System, noch so weni g Anwendung auf di e bei den andern bi ldenden Künste gefunden, auf Plasti k und Malerei , di e eben durch di ese Anwendung des Hausgesetzos der Archi tektur auf i hr ganzes Kunststi les Schaffensgebi et herangezogen zur Ausbi ldung werden. Dafs i e nes e i nhe i tl i chen di eses Hausgesetz der Archi tektur, auf das Gebi et der fi gürli chen Darstellung übertragen, vor allen Di ngen di e Durchführung besti mmter Proporti onen i n jegli cher Gestaltung bedeuten müsse, schei nt man si ch ni rgends recht klar gemacht zu haben. So erst gewi nnt aber jede Fi gur ei n festes Verhältni s zu i hrer räumli chen Umgränzung, sei di es ei n Tabernakel für di e Statue, ei n Vi erpass für das Beli ef, ei n ei ngerahmter Ausschni tt i m Fenster oder an der W a n d für das Flachbi ld. Und aus dem Zusammenwi rken des Gehäuses und der Gestaltung dari n ergeben si ch di e wei tern Gesetze des Gruppen- RBFOKMVOBSCHLiaB ZUB GESCHICHTE DBB DEUTSCHEN RENAISSANCE. 6 7 ba u efl u nd der Au steilu ng in der Fläche, die Folgerungen tektoniseher und dekorativer Füllung. Mit der Lockerung des gotischen Bausystems mu f s auch die straf f e Schulung der Gestalten bildner verf allen. Sie verlieren den f esten Rückhalt am Auf bau des Ganzen und werden of t ratlos üher die Hauptsache: wie stelle ich meine Figur hin, auf daf s sie selbständig dastehe. Bis dahin vrar alle Auf merksamkeit auf das tektonische Gerüst gerichtet, das organische Gewächs nicht in seiner Unabhängigkeit anerkannt. Das Studium des Nackten war durch die Berechnung des Glieder mannes oder gar eines linearen Schemas verdrängt. Unter der Gewandung steckt f ast immer nur eine A r t Skelett, j a statt des Mannequin nur eine tektonische Werk f orm, an deren Stelle die Figur f ungiert. Kein Wunder, wenn darnach die Freiheit eigener Beobachtung mehr beim Gewände als beim Körper einsetzt und eher auf malerische Draperie verf ällt als auf plastischen Zu sammenhalt, oder gar auf klare Betonung der entscheidenden Gliedmaf sen darunter. Der Fortschritt, den wir anerkennen, geht lange Zeit nicht über die sichtbaren Körperteil« der Gewandf igur, wie Kopf und Hände, höchstens die Füf sc noch hinaus. In der (Jesamtauf f assung macht sich ebenso lange nur ein unsicheres Schwanken zwischen tektonischem A u f b a u und f läckenhaf ter Relief anschauung bemerkbar. Die letztere scheint mit ihren malerischen Vorzügen den Sieg behalten zu sollen. Spät erst und vereinzelt regt sich der Sinn f ür die Hauptsache plastischer Gestaltung, das Verständnis f ür das organische Gewächs des menschlichen Körpers selber und die volle Rundung seiner Formen. Seit der spaten und kurzen Blüte romanischer Skulptur liegt aber dies plastische Gef ühl den deutschen Stämmen, die sich am Kunst leben besonders beteiligt haben, f erner als irgend etwas Anderes. Der entscheidende Umschwung in der Bildhauerei hat sich denn auch nicht wie im Kirchenbau bei uns vollzogen, sondern bei unsern westlichen Nachbarn, in den Niederlanden und Burgund, und zwar zur selben Zeit, seit der Mitte schon des 14. Jahr hunderts. Höchst bezeichnend f ür die Wichtigkeit des syste matischen Zusammenhangs mit dem Baustil setzt er ein mit einem Wechsel in der Proportion der Figuren. Sie werden unter setzt und gedrungen. Niederländische Steinmetzen, die in Paris und sonst im Dienst der f ranzösischen Könige beschäf tigt werden, sind off enbar die Träger gesprochener Neigung dieser Neuerung, zu Wirklichkeitstreue die sich verbindet 6* mit aus und vor 08 AUGUST dem Derben faltigkeit und der Unedlen SCHMARSOW: nicht Charaktere zurückschreckt. wird hier, unterschieden u n d E a s s c n g e g c n s i i t z e n gipfeln am Ende Die ausgehend erob ert. Mannieh- von Diese Stammes Fortschritte des 1 4 . J a h r h u n d e r t s u n d a m A n f a n g des 15. schon in den L e i s t u n g e n des H o l l ä n d e r s CLAUS SLUTER, i m D i e n s t des H e r z o g s und von Burgund rücksichtslose urteilt, den der der w i r d w o l k a u m u m g eb e n d e n zu b ezeichnen. Es w i e die G e m ä l d e und der niederländische sie noch — allein zugehörigen Orna „spätgotische dem und so gut diesem V o r g a n g Stammeseigentümlichkeit das Charaktervolle kecken W u r f Skulptur" Frührenaissance Der niederdeutschen zugleich Fülle u nb e f a n g e n b e der v a n E y c k , d i o u n m i t t e l b a r das P l a s t i s c h e mit den M u t hab en, mit dem Namen ist der P l a s t i k folgen. im Verein W e r i h r e strotzende Charakteristik Architekturteilen m e n t i k e t w a zulie b e — für zu Dijon. Wahrheit des B u r l e s k e n danken a u c h in wir kirch licher U m g e b u n g , w i e er a m H o f d e r französischen K ö n i g e b elieb t war, an das der üb erraschende Wende Mischung noch von H e r v o rb r e c h e n des Spott alten und des ganz Jahrhunderts. Bigotterie in Individuellen U n d b ei der dieser b u r g u n d i s c h e n A t m o s p h ä r e g e d e i h t das A u f t r e t e n d e r a l t e n S o n d e r l i n g e , die u n s als Moses u n d die P r o p h e t e n g e z e i g t w e r d e n , n o c h u nb e f a n g e n e r , als i n den B i l d n i s s e n der f r o m m e n S t i f t e r m i t i h r e n S c h u t z h e i l i g e n a n der Karthause. Dagegen steht weit zurück. Volkes von Und damals, Entwicklung. die diesseits der die dem ziehen. dem ganzen Hergang der heimischen a u f s o r o r d e n t l i c h b eachtenswerte B e i t r ä g e wie für Alpen, dio h ab e n mächtigen fremd Ub e erall plastischen weitere die Geschichte deutschen schreitet Einfiufs der Stämme für Skulptur doch aufzu jedoch Behauptung, auf dafs Aufmerksamkeit das der Darstellung die G r ab m o n u m o n t e und Tatsache allein gerecht W i e d e r g ab e genügt als für des unsre „Renaissance" sogenannten zu w e r d e n des zeit vollen dieser sich der zur Wort auf Hauptgewicht n u r die A u f f a s s u n g künstlerischen Skulptur für fort Diese unsre liegt Personen u n ab l ä s s i g Individuellen. der b u r g u n d i s c h - n i e d e r l ä n d i s c h e n g eb l i eb e n , Schaffens genössischen schen dynamisch U n d z w a r m ü s s e n w i e d e r g r a d e die innersten G e g e n d e n , Schöpfungen dem wie A b er gleichzeitige weisen. die deutsche P l a s t i k , zeitlich w i e ob en das e n t s p r i c h t w i e d e r d e m W e s e n unsers vermöge. spätgoti REFORMVOHSCHI.äGE z n i GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. Die Invontarisation der Denkmäler hat üb erall, 69 in Ob er- wie in Niederdeutschland eine üb erraschende Fülle solcher Werke zu Tage gefördert. Es b edarf nur noch gleiehmäfsiger Pub li kation und durchgreifender Zusammenordnung zu Gruppen des Gleichartigen, um eine stattliche Entwicklungsreihe vor Augen zu stellen. Wie stellt allein ein HANS MUELTSCHER von Ulm in der Mitte dieses Zeitraums da. seitdem sein Altar von Sterzing (1458) veröffentlicht worden! 1 ) — Das ganze Geb iet der Holzplastik, das sich vorwiegend auf die Altarschreine erstreckt, scheint untrennb ar mit der Tafelmalerei verb unden, um so mehr, jo deutlicher die Verquickung des Stiles dieser Altarb ilder selb st mit dem Wesen der Holzschnitzerei aufgewiesen worden. Und dennoch müssen sie daneb en wieder sorgfältig auseinandergehalten werden; denn die Beob achtung der Unterschiede ist nicht minder lehrreich als die der Ueb ereinstimmung. Auch die italienische Plastik des Quattrocento b leib t ohne stetige Seitenb licke auf Malerei und Goldschmiedsarb eit nur halb verstanden und halb erklärt, ob gleich die Macht des plastischen Ideals soviel früher und stärker hervorb richt als b ei uns. Die malerische Tendenz, die sich dagegen geltend macht, gewinnt im Norden nur weiteren Umfang und führt zu den seltsamsten Irrungen zwischen den Künsten, zumal in den Reliefs der Altäre, deren Schi-einfacher oft mit vollgerundeten Figuren erfüllt sind. Deshalb müssen alle jene Beob achtungen üb er die Freude am Stofflichen, die Versenkung in Natur und Geb aren des Materials, von denen ob en b ei der Malerei die Rede war, auch hier ihren Platz finden, zumal da wirkliche Bemalung und Ausstaffierung, nicht selten in ganz transitorischer Auffassung, hinzukommt und die Gränzen verwischen hilft. Den letzten Schlüssel für die Entfremdung vom eigentlichen Wesen des plastischen Schaffens finden wir jedoch erst b ei einer gemeinsamen Betrachtung der Künste in noch weiterem Umfang, d. h. indem wir nicht allein die nächste Nachb arin Malerei, sondern auch die Architektur, von der wir vorhin b ei der Gotik ausgegangen, und das gesamte Geb iet der Tektonik und Orna mentik herb eiziehen. Sie alle b ieten gemeinsame Züge, die unter dem Gesichtspunkt b ildnerischer Gestaltung und ihrer Elemente zusammengefafst werden können. Hier grade stofsen wir auf die 1) Kunsthistorische Gesellschaft für photographische Pub likationen, Vierter Jahrgang, 1838. AUGUST SCHMAHSOW : 70 Einzelformen der Einkleidung, auf die künstle rische Ausge staltung de r We rkstücke , auf die Profili e rung de r Kämpfe r und Base n, de r Rippe n und Simse , auf die Be tonung de r konstruktive n Funktione n und auf das fre ie Spie l de r De korationsmotive , d. h. auf die Ke nnze iche n, nach de ne n man ge me inhin noch imme r de n Stil zu be stimme n pfle gt. Grad e hie r wird unse rm Vorschlag, de n bishe rige n Be griff von „Spätgotisch" aufzuge be n ode r in stre nge re m Sinne zu be schränke n, de r le bhafte ste und hartnäckigste Wide rspruch be ge gne n. Es se i de shalb nochmals ausdrücklich e r klärt, dafs e s uns auf de n Name n grade für die s Ge bie t de r Te ktonik und Orname ntik, de r handwe rkliche re n Kle inkunst zu nächst garnicht ankommt, dafs die übliche und be que me Be ze ich nung ruhig be ste he n ble ibe n mag, bis ge naue re Ause inande r se tzung und e indringliche s Ve rständnis be sse re Einsicht ve rbre ite t habe n. Die s zu le iste n be trachte ich abe r als e ine une rläfsliche Aufgabe de r Psychologie unsre r de utsche n Kunst. Solle n unsre vorläufige n Winke auch hie r von de r gotische n Orname ntik im e nge rn Sinne d. h. von de r de s stre nge n abe r völlig durchge bilde te n Stile s ausge he n, so ist ihr Zusamme nhang mit de m Bausyste m se lbst imme r ane rkannt worde n. ge se tz de r Archite ktur hat sie nicht Das Hans alle in vollständig durch drunge n, sonde rn ihre Forme nsprache so völlig assimilie rt, dafs ihre line are n wie ihre plastische n Ge bilde nichts ande re s sind als die Wie de rholung de r konstruktive n Ve rbindunge n und te ktoni sehen Glieder. In Stabwe rk und Mafswe rk de r Fe nste r waltot, obgle ich in schlanke r Ge stre ckthe it, noch e inige rmafse n de r Ernst de s ge se tzmäfsige n Aufbaue s; wo die nämliche Struktur abe r nur die Fläche n be kle ide t ode r in luftig durchbroche ne r Arbe it nach aufse n tritt, da e rsche int die s Zie rwe rk tatsächlich wie he rvorge trie be n durch de n Ucbe rschufs de r Kräfte , inde s auch hie r nur als Wiederholung de r nämliche n Motive und Kombinationen, in abe r malige r Ve rkle ine rung, wie die Mate rie . e in üppige s Spie l im Triumph übe r Nirg e nds wird die Le hre , als be ginne Stil in de r Orname ntik zu ke ime n und e robe re die je de r ne ue sich von da aus übrige n Künste , Archite ktur und Kunsthandwe rk, Plastik und Mal e r e i, so durch de n tatsächliche n Ge ge nbe we is ad ge führt, wie absurdum von de r Orname ntik de s gotische n Stils auf se ine r Höhe . Hie r ist das Bausyste m das Primäre und die Orname ntik das Abge le ite te , ihr Abhängigke itsve rhältnis zur Achite ktur ganz unanfe chtbar. REKORMVORSCHEAGE ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. D i e A n w e n d u n g des n ä m l i c h e n H a u s g e s e t z e s a u f Malerei Stiles ist vorhin berührt i n allen K ü n s t e n , a uf z u w e i s e n h a t , lichen — Hegemonie des dadurch Folge. Und was ist Plastik und Einheitlichkeit Spiegelbild in diese straf f e D i s c i p l i n Architekten des das des M i t t e l a l t e r s hat o r d e n t l i c h starken V e r b r a u c h heitlichkeit Diese des die der Gotische w i e k a u m ein zweiter grade Weltanschauung Durch f ührung — worden. 71 aber der kirch scholastischen im Dreibund notwendig unter einen der ausser des g e m e i n s a m e n G r u n d m o t i v e s dieses künstlerische Schaf f ens ihrer ermöglicht? Prinzip, das — f ruchtbar zur die Ein und uner schöp f l i c h g e n u g m uf s es erschienen sein, da es die „ a l l e i n seligm a e h e n d e " E o r m e l bot. w ie I n d e m gotischen B a u s y s t e m w a l t e t nicht, i n der klassischen A r c h i t e k t u r , das V e r h ä l t n i s v o n K r a f t u n d L a s t , v o n t r a g e n d e n u n d getragenen T e i l e n u n t e r der V o r h e r r s c h a f t der Buhe, sondern der Bewegung. Af u dem Moment der An s p a n n u n g , des K r a f t a u f w a n d e s , der gegenseitigen B e d i n g t h e i t A uf r e c h t e r h a l t e n A uf des erreichten A uf s c h w u n g s liegt der im Accent. der B e t o n u n g dieses l e b e n d i g e n P a k t o r s , der E n e r g i e , b e r u h t die aesthetischc W i r k u n g . wjrd P ü r den d u r c h w a n d e l n d e n Betrachter es z u m G e f ü h l eines stetigen H i n ü b e r - u n d H e r ü b e r s t r ö m e n s der K r äf t e - Die Porm berechnet, die S t r e c k u n g Rundung und Pülle aller G l i e d e r dieses A uf b a u e s der S e h n e n des K ö r p e r s . ist die H a u p t s a c h e , d a r a uf nicht die F ü r die B e t r a c h t u n g u n d den G e n uf s dieser echt p l a s t i s c h e n E r s c h e i n u n g , die i m a n t i k e n Bau so b e r u h i g e n d ü b e r w i e g t , ist h i e r w e d e r P l a t z n o c h Muf se. der V e r s c h i e b u n g des T o n e s a uf E s ist n i c h t m e h r plastisch, M o t i v transponiert. sondern N i c h t die G e s t a l t , sondern die G e b ä r d e ist es, w o r a u f kommt. rung. Alles an D a r a u s ergiebt sich alles ü e b r i g e als n o t w e n d i g e F o l g e während der H e r r s c h af t der G o t i k v e rf ü g t e n , diese U e b e r t r a g u n g ins M i m i s c h e a b g e l e n k t . Körper in R u h e , f ür d e n G e n uf s F ü r die ist Transposition durch Gestaltung des l e i b l i c h e n D a s e i n s s e l b s t g e n u gsa m e r B e h a r r u n g b l e i b t k a u m e t w a s ü b r i g . ja nicht der V e r i n n e r l i c h u n g . mehr Hier und nicht in U n d diese ins Mimische bedeutet i m Vergleich m i t dem plastischen W e s e n Akt mimisch. B a s gesamte plastische Interesse, ü b e r das die k u n s t ü b e n d e n Völker der Mit die B e w e g u n g ist aber das ganze w e n i g e r ' als w i r d ü b e r a l l a n die echt einen Gesetze u n d die E r l e b n i s s e unsrer N e r v e n , u n s r e r Seele, u n s r e r I n n e n w e l t appelliert. Poetische bewegungen u n d V o r s t e l l u n g s l a uf und musikalische Analogieen, stellen sich eher e i n , G e m ü t sals An- 72 AtJÖUST ScmiAitsow: schauungen der Auf senwclt. Und wenn es gelingt, dies mimische Grundmotiv in Steinmetzenarbeit und Bildwerk zu verkörpern, so ist damit die Gesamtheit der „Artos plastieac" unter die Herr schaf t des Geistigen in uns genommen. Die Bauglieder, die Streben und Bögen, die Dienste und Eippen sind ganz G e b ä r d e , abstrakte Gebärde von unten bis oben. Tritt die Menschengestalt oder ein Tier, eine Pf lanze daf ür ein, so interessieren ihre Formen nur soweit als sie Träger der Gebärde sind; je ausgreif ender diese durch den ganzen Körper geht, desto besser; ist sie nur eine Teilbewegung, so bleibt das Uebrige gleichgiltig und deshalb in der Ausf ührung schematisch. Nicht das Blatt in ruhiger Lage sondern in gespreizter Spannung, die Knolle im Auf stieg sich emporschmiegend, oder in stark markierter Schwellung, am voll kommensten aber auch spätesten die auf steigende oder auf und ab f ortlauf ende Ranke, weil sie von einem Ende bis zum andern in lebendigster Bewegung — s i c h g e b ä r d e t . Kein Wunder, wenn nach einem solchen Au f wand an Kraf t und motorischem Ausdruck, den man in allen Gebieten der bildenden Künste bis hinein in die Erzeugnisse des Handwerks und die kleinsten Ornamente durchvcrf olgt, sich am Ende die Erschöpf ung einstellt, wenn die natürliche Gebärde erlahmt und die künstlich berechnete Spannung an die Stelle tritt. Der Rück schlag gegen das Uebermaf s erregten, angestrengten Gebarens ist unverkennbar in dem Stadium, das man Spätgotik nennt. Die Masse des Steins meldet sich wieder in ihrem natürlichen Recht, j a in ihrer trägen Wucht und bleibt unorganisiert bestehen. Die Pro f ile erschla ff en oder verschwinden ganz, der vielf ach ein gezogene und vorspringende Pf eiler vereinf acht sich im Sinne des Kompakten, räumt dem Rundpf eil er seinen Platz ein, und nimmt die Rippen oder Grate des Gewölbes unvermittelt auf seinen Kämpf errand, der ebenso gut grades Gebälk tragen könnte. Das Gewölbe selbst betont nicht mehr die Stellen wirklicher Spannung, trägt nicht mehr die Punktionen der Kraf t zur Schau, sondern verbirgt die Konstruktion unter einem Netz von Schein rippen, in denen nur die Bewegung ausklingt, wie in einem Spiel. Dort oben in der Höhe, wo der Betrachter nicht unmittelbar, nicht, im Bereich der eigenen Tastregion berührt wird, sondern nur mit, den Blicken sich ergehen mag, schlingt sich der Reigentanz zu Sterngebilden und einf aches Dmvhschneidungen der Linien, nicht mehr im Auf schwung zum Scheitel, sondern immer lässige]- sich ausbreitend, IlnFORMVORSCHLÄGE & E S DEICHTE ZUR DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. 7 3 w i e eine h o r i z o n t a l gelagerte D e c k e oder ein l e i c h t g e b l ä h t e s V e l a i-ium ü b e r den S ä u l e n h i n . Die ihre pla stische D e k o r a t i o n S t ra f f h e i t , m i t S ta b - die B o g e n f o r m e n werden und Ma fswerk verliert geschmeidiger, weicher u n d b e q u e m e r , oder sie la ssen d e m g r a d e n H o r i z o n t a l s c h l u f s Ma s s e seinen mittelnd. Ernst, nur noch den U e b e r ga n g im der Winkel ver U e b ea r l l w i r d a u s d e m G e s t e i n selbst da s R i p p e n w a c h s - t u m a usgeschieden u n d a u f einzelne b e v o r z u g t e S t e l l e n , w i e P r a c h t porta le u n d Fenster v e r s pa r t . H i e r a ber g e w i n n t es b a l d o-a nz a n d e r n C h a r a k t e r : d a s I n t e r e s s e ha ftet einen nicht mehr sondern a n a n ö der gespa nnten Energie der B e w e g u n g , na t ü r l i c h e n , g l e i c h s a m tum des P l ' la n z e n g e b i l d e s , scheinung die zurückgewendet, in da s a ls Geäst selbst mit Aehnlichkeit a N t u r b e oa b chtung, Motiv sich vom ma c h t tektonische sich wie d ra u f s e n a n B u r g r a i n e n Durchschneidungon oder in a uf geltend Ba l d sind die da s Aufsenwelt und nimmt da s t e h t , vollrundes -zufälligem sich Gezweig Gedeihen oder K i r c h h o f s m a u e r n . Wölbungen knorriges von a ndern der V e g e ta t i o n g ra d l i n i g e n in mehrfa cher Wieder vorbereitende Bekenntnis der Schmuck Loslösung der Struktur s e l b e r , w i e die N e t z - u n d S t e r n g e b i l d e ü b e r droben. u n m i t t e l ba r e r da s Die des O r n a m e n t s a u s d e m i n n e r n Z u s a m m e n h a n g m i t des B a u k ö r p e r s Die sehen w i r a m M a u e r w e r k , und Durchkreuzungen nur Er wird. h o l u n g , w i e sie v o r h e r u n d n e b e n d i e s e m v e g e t a b i l i s c h e n a uftreten, dem Wa c h s wirklicher gröfser Innenleben Ma s s e a n e r ka n n t s ta r k e m E p h e u B ä u m e n a nheften, dessen immer a n d e r m S i n n e a uf. von überla ssenon Nähe Nur des mit dem Unterschied, d u r c h wa n d e l n d e n da fs hier B e t ra c h t e r s a u c h den in da s D e k o ra t i o n s m o t i v m e h r m i t d e n A n f o r d e r u n g e n a n die T a s t r e g i o n , die Sta tik und Der Sinn des der R ea l i s m u s M e c ha n i k der Unterbrechung durch Tektonischen unsers Umschwungs der des N a t u r g e f ü h l s , ka n n eigenen Leibes zu rechnen nicht Renaissance, z w e i f e l ha f t nicht mehr — sein: a n ch es ha t . ist al n g e r die g a n z a b s t r a k t e M i m i k des L i n e a r e n u n d strengen G o t i k — noch w i e es b e i m B e g i n n der eine letzte Frühgotik Jeufserunt/ sich geregt ha t t e . 1 ) i ) E i n Beweis da für liegt a uch in der Geschichte der sta tua rischen Kunst. E i n e Zeit l a n g sind die G e s t a l t e n , o f t in übermäfsiger Ge strecktheit ihre Selbständigkeit betonend, doch o h n m ä c h t i g i m Motiv, w o nicht ga nz m o t i v l o s ; sie ha lten ihre A t t r i b u t e ga nz äulserlieli und 74 AUGUST SCHMAESOW: W a s vom got ischen St andpunkt fall d er im' wir aus als Ent art ung und Ver geschild ert word en ist, d as erscheint unter d em Gesichtspunkt Eenaissance als eine Reihe von wolverständ lichen Symptomen Vollzug d er Wied ergeburt. Freilich, d a d er neue Stil, wie nachgewiesen haben, mit d er Raumbild ung anfängt und all mählich d ie Masse d es raumumschliefsend en und raumglied ornd en Materials wied er in ihre einfache, sachgemäfse Bed eutung einsetzt, ind em sie d en Schein eigenen mimischen Ausd rucks abstreift, so bleibt d as weite Gebiet d er Ornamentik auf lange hin d er will kommene Spielraum, auf d em sich d as altgewohnte Gebaren in mannichfaltigster Lebend igkeit ergehen kann. W i r anerkennen d iese Zone zunächst als neutrale, weil wir nicht d en Aberglauben teilen, als müsse d ie Entstehung d es Stiles' aus d em Kleinen und Nebensächlichen abgeleitet werd en, — machen aber and rerseits d arauf aufmerksam, d afs d ies zunächst belanglose Formenspiel d och unverkennbar zum Tummelplatz d er neuen Sinnesart wird und eine Umd eutung aller Motive aus d em Mimisch-Abstrakten in d as Plastisch-Konkrete, aus d er innerlichen Bewegung in d ie äufserliche Erscheinung, aus d em Geistigen ins Natürliche ver folgen läfst. Die ruhige Existenz, d as wirkliche Aussehen, d er beharrliche Zustand gewinnt überall d ie Oberhand . Mit d em Begriff d er Renaissance, wie wir ihn oben aufgestellt, vermögen wir d iesen Symptomen d iesseits d er Alpen genau ebenso gerecht zu werd en wie d enen in Oberitalicn, d er Dekoration d er Porta d ella (Jarta am Dogenpalast in Vened ig od er d er Skulpturenfülle d es Domes von Mailand , d er Terracottaplastik in d er Pellegrinikapclle von St. Anastasia in Verona od er d en Wand malereien eines Vittore Pisanello. So aber begrüfsen wir überall neues Leben, schöpferische Originalität, eine einheitliche d urch un d d urch charakteristische Entwicklung, ahne d er Anhänglichkeit für d ie altgewohnte Formen sprache, d er langbewährten Treue für d as mittelalterliche Erbteil irgend wie zu nahe treten zu müssen. Von selbst ergeben sich aber d ie Vorteile d es d urchgehend s gültigen Prinzips auch für d ie Hauptsache, wie bei uns d aheim, so auf d em benachbarten Bod en Italiens, Frankreichs, d er Nied erland e und weiter hinaus. Dem oberitalienischen Kirchenbau, an erster Stelle d em Mailänd er fremd, während die Draperie sich malerisch ausbreitet und den Zu sammenhalt der Gliedmaßen verhüllen darf. RKFOBMVORSCHLXGE D om zun GESCHICHTE selbst, und dem DER DEUTSCHEN RENAISSANCE. 75 französischen Palastbau (vgl. auch Musee de Cluny und Maison de Jacques Coeur), den flandrischen Rat häusern, Hallen und Stadtkirchen, den englischen Schlössern und Colleges vermögen wir nur gerecht zu werden, wenn wir sie als Raumgebilde fassen, und meinetwegen der Renaissance, der sie angehören, mit_ JAKOB BURCKHARDT als spezifischem Raumstil beizukommen suchen. Damit leuchtet auch die Bedeutung des gefundenen Prinzips für die internationale Kunstgeschichte wol in die Augen. Für die ganze Reihe der europäischen Kulturvölker stellt sich die Entwicklung und Entfaltung der Renaissance als ein gleichartiger n u r nach der Stammeseigentümlichkeit und der Vergangenheit der Rationen sich differenzierender Vorgang heraus. Der Parallclisjnus beginnt mit der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, gegen dessen Ende die neuen Leistungen überall die Oberhand gewinnen und den weiteren Fortschritt bestimmen. Das italienische Quattrocento findet in Deutschland ebenso, wie in den Nieder landen und sonst, seine Analogie. Auch die kurze Dauer der Hochrenaissance ist gemeinsam; denn die schöpferische Kraft, die sich bis dahin in die Kunst ergossen hat, wird durch andre Momente des nationalen Lebens, hier durch die religiöse Bewegung und das Reformationswerk, dort durch die Staatenentwicklung oder den Aufschwung wissenschaftlicher Erkenntnis absorbiert. Genug, die Ströme teilen sich, und der internationale Austausch verändert ihre Bahnen. Aber als zugehörig zur grofsen Renais sancebewegung erweisen sich auch die Phasen, die wir in der Kunstgeschichte zunächst als Z eitalter des BAROCK und ROKOKO bezeichnen. Erst mit der archäologischen Renaissance, dem KLASSICISMUS, geht die Epoche zu Ende. Wenn so aber die Einheit vom Ende des vierzehnten Jahr hunderts durch das ganze fünfzehnte hin bis zur glücklichsten Blüte zeit in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten auch in Deutschland allseitig erwiesen ist, wenn ebenso, wie in Italien ein LIONARDO DA V I N C I , b e i uns die HOLBEIN u n d VISCHER, v o r A l l e n aber ein ALBRECHT DUEKER in ihrer Jugendentwicklung noch ganz dem „Quattrocento" angehören, um in ihrer Reife die „Hochrenaissance" emporzuführen, so ergiebt sich noch ein Erträgnis der Kunst geschichte, das auch der Periodisierung der allgemeinen Geschichte 76 AUGUST SCHMARSOW: REFORMVORSCHI., Z. GESCH. I>. DEUTSCH. RENAISS. zu Gute kommen mag. Mit seinen augenfälligen Beweisen in der Hand m ufs der Kunsthistoriker Einspruch erheben gegen jeden Versuch, beim Beginn des sechzehnten Jahrhunderts einen Ein schnitt zu statuieren, der m ehr als eine Sondorung zweier Phasen des näm lichen Entwicklungsprozesses bedeuten soll. W i e unsre Geschichte der Reform ation gewöhnt ist, bis auf die Entstehungs ursachen der religiösen Bewegung zurückzugreifen, die Zeiten der Kirchenspaltung und der deutschen Mystik in ihre Betrachtung hineinzuziehen, so kann und m ufs es auch die Kunstgeschichte grade bei der Auffassung halten, der wir hier das Wort geredet haben, zur wahren Durchführung des nationalen Standpunktes, der allen übrigen vorgeht.
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