PRESSEMITTEILUNG „Ich bin viel mutiger geworden!“ Die 10-jährige Lisa und ihre Pflegefamilie berichten über die gemeinsamen Erfahrungen Westfälische Pflegefamilie – Mutter Susanne, Vater Thomas mit Pflegetochter Lisa Gelsenkirchen/Wattenscheid, 12. August 2015 – Lisa, 10 Jahre alt, lebt jetzt seit gut dreieinhalb Jahren in einer Westfälischen Pflegefamilie (WPF) im Bochumer Umkreis „An den Anfang kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern“ erzählt Lisa. Dass sie zu Hause bei den neuen Pflegeeltern, Pizza gebacken hat nicht und auch nicht daran, dass sie ein eigenes Zimmer bekommen sollte und eine „intakte“ Familie mit Mutter, Vater und zwei erwachsenen Brüdern. Heute ist das alles Normalität für Lisa geworden. Erinnern kann sie sich aber noch an Jackie, den schwarzen Kater der Familie, und an Matze, den jüngeren der beiden neuen Pflegebrüder. „Vor dem habe Seite 1 von 5 ich mich damals mächtig gefürchtet“, erzählt Lisa. „Und vor dem Nachbarn, der Polizist war. Überhaupt hatte ich am Anfang ganz viel Angst vor Männern.“ „Angst vor Männern, in seltenen Fällen auch vor Frauen“, berichten die Beraterinnen des Ev. Kinder- und Jugendhauses Bochum, Cordula Sternemann, Irmela Dickel und Jutta Koenning, „ist eine der typischen möglichen „Auffälligkeiten“, die Pflegekinder aus ihren vorherigen Familien mitbringen können.“ Diese kann sich so manifestiert haben, dass sie alles andere im Leben bestimmt und überschattet. Wie Lisa ihre Angst damals überwunden hat, führt sie direkt vor. Sie springt von ihrem Stuhl auf, nimmt sich Thomas, ihren Pflegevater, und führt es uns direkt vor: „So“, sagt sie. Beide stellen sich „in Kampfhaltung“ und beginnen ein Spaßkämpfchen – Kräftemessen, Raufen und Rangeln. „Das war immer Spaß“, sagt Lisa „Thomas hat mir dabei nie weh getan“. Man sieht beiden die Freude an. „Lisa hat gelernt, dass sie jemand ist“, bringt es die Pflegemutter Susanne auf den Punkt. „Dabei haben die Schule, das große Engagement von Lisas Klassenlehrer und auch die WPF-Beraterin mit ihrer ständigen Erreichbarkeit, aber auch der Kontakt zu den leiblichen Eltern und Geschwistern mitgeholfen. „Und Lisa hat uns dadurch ermöglicht, dass wir jetzt da sind, wo wir sind.“ Andere Geschichten haben mit Verwahrlosung und Vernachlässigung, mit sexuellem und/ oder seelischem Missbrauch und manchmal auch mit schweren psychischen Erkrankungen der leiblichen Eltern zu tun. „In jedem Fall aber belasten sie immer die gesunde seelische und körperliche Entwicklung. Sie sind so bestimmend und massiv geworden, dass Kinder sich selbst blockieren, nicht richtig lernen können, traurig, aggressiv oder manchmal auch alles gleichzeitig sein können“, berichten die Beraterinnen weiter. Das kann in Einzelfällen bis hin zum Verlust der Freude am Leben selber gehen. Seite 2 von 5 Da setzt die Arbeit der Berater an. Das Konzept der Westfälischen Pflegefamilien zielt darauf hin, im gemeinsamen Austausch mit den Pflegeeltern immer wieder Verständnis für die Reaktionen der Kinder aufzubringen. „Das ist oft sehr schwierig für die Eltern, da die Reaktionen der Kinder für sie oft nicht verstehbar sind und auch die Kinder selber diese nicht erklären können“, so die Beraterinnen. Deshalb wird nach Ursachen und Auslösern geforscht und ausprobiert, was hilfreich für das Kind ist. „Das kann in bestimmten Fällen auch eine Therapie sein.“ „Jedes Kind hat zu jeder Zeit immer einen guten Grund für sein Handeln“, sagt Frau Koenning, „das haben Traumaforscher herausgefunden. Der Körper versucht „seinen eigenen Weg zur Heilung“ zu finden – und das ist manchmal „ganz schön schräg“. „Dafür brauchen Pflegeeltern Mut. Und Neugier“, sagt Thomas, Lisas Pflegevater. Mut, sich auf „fremdes“ Territorium zu begeben, Mut zur Ratlosigkeit und auch zum Fehlermachen. Pflegeeltern sind ein bisschen wie Wissenschaftler. Sie beobachten, forschen, analysieren, verwerfen „Altes“ und Neues und entdecken oft auch Überraschendes. Bei diesen ganzen Prozessen stehen die Beraterinnen den Pflegefamilien hilfreich zur Seite. Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass die Kinder nicht per se schlechte sind oder böse Absichten haben und z. B. Eltern, Lehrer oder andere Kinder in Kitas, Schulen oder Vereinen ärgern oder provozieren wollen“, erläutert Frau Sternemann. „Wie im Grunde alle Menschen es tun, ringen sie um Anerkennung, Achtung und Liebe.“ „Eine ganz schön große Aufgabe“, sagt Pflegemutter Susanne. Aber eine Aufgabe, die auch viel Spaß und Freude macht. „Und neuer Kreativität fördert, die man mithilfe der Berater plötzlich finden kann“, sagen beide Pflegeeltern. „Da waren wir manchmal von uns selbst überrascht“. „Wenn man von Problemen redet, erhält man Probleme - wenn man über Lösungen spricht, erhält man Lösungen“, stellte schon der amerikanische Psychotherapeut Steve de Shazer fest. Das sehen auch die Beraterinnen so und arbeiten zusammen Seite 3 von 5 mit den Pflegefamilien daran, die besten Lösungen für die jeweilige Situation zu finden. Bei der Frage, ob Lisa auch anderen Kindern eine Westfälische Pflegefamilie empfehlen würde, geht ihr Gesicht wieder in ein großes, rundes Strahlen über – „Jaaa. Das ist eine tolle Sache“. Gestern noch hatte die Familie einen Ausflug ins Sauerland zu einer anderen Pflegefamilie gemacht. „Die Familie dort lebt auf einem Hof, hat Kühe, Pferde und Ziegen. Da ist es toll und denen geht es auch richtig gut da.“ Tauschen will Lisa aber trotzdem nicht. Sie ist froh, dass sie Susanne und Thomas und ihre beiden großen Brüder als Familie hat. Informationen zu Westfälischen Pflegefamilien (WPF): WPF ist ein Sonderpflegemodell des Landesjugendamtes beim Landesverband Westfalen-Lippe (LWL). Das Ev. Kinder – und Jugendhaus in Bochum, eine Einrichtung des Diakoniewerkes Gelsenkirchen und Wattenscheid e. V., feiert in diesem Jahr sein 10- jähriges WPFBestehen und verfügt mit seinem Team aus Sozialpädagoginnen, Familientherapeutinnen, Trauma-, Kinder- und Jugendtherapeutinnen über viel Erfahrung im Umgang mit Familien und Kindern aller Altersstufen und Besonderheiten. Die Berater bieten regelmäßige Beratung zuhause an, veranstalten Elternabende und bieten, neben dem LWL, auch Fortbildungen zu speziellen und allgemeinen Erziehungsfragen an. Sie unterstützen die Pflegeeltern, wenn nötig oder gewünscht, bei Schul- oder Kindergartengesprächen oder der Suche nach geeigneten Therapiestellen, knüpfen und organisieren Kontakte zur Herkunftsfamilie und begleiten Besuchskontakte. Sie nehmen mit Pflegeeltern und Vormündern an Hilfeplanungen der Jugendämter teil und sind selber eingebunden in ein Netz aus Supervision durch den LWL, Fort- und Weiterbildungen, Co-Beratung und Teambesprechungen. Und eine Leistung, die von den Pflegeeltern besonders geschätzt wird, ist die ständige Erreichbarkeit der Beraterinnen. Die Pflegeeltern werden also niemals alleingelassen mit den Schwierigkeiten. Seite 4 von 5 Informationsveranstaltung für interessierte Familien Das Ev. Kinder- und Jugendhaus lädt alle Interessierten zu einer Informationsveranstaltung am Dienstag, den 18. August 2015 um 19.00 Uhr ins Familienbüro Bochum, Centrumplatz 2, 44866 Bochum ein. Darüber hinaus stehen die Beraterinnen Interessierten jederzeit telefonisch zur Verfügung. Sie erreichen das Team unter folgenden Telefonnummern. Jutta Koenning 02327 / 22 40 710 Irmela Dickel 02327 / 22 40 711 Cordula Sternemann 02327 / 22 40 712 Seite 5 von 5
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