Herzklang Ein Leben mit der Natur und für die

LebensWerk
Die Taufkapelle ist
ein Lieblingsort von
Erika Schultes
Die Wallfahrtskirche
St. Marinus und Anianus
in Wilparting liegt auf
dem Jakobsweg
Ein Leben mit der Natur und für die Musik
Herzklang
Mit 17 gründete Erika Schultes
ihre eigene Mädelsband. S
­ ingen
und musizieren war immer ihre
Leidenschaft. Die Musik hat ihr
auch in Zeiten der Krankheit
geholfen. Mit 37 gab sie ihren
Job in der Tourismusbranche auf
und gründete die Musikküche
& Klanggärtnerei – ein deutsch­
landweit einmaliges Projekt.
30 Land Werk
W
enn abends die Sonne hinter dem Horizont
versinkt und die Wallfahrtskirche St. Marinus
und Anianus im oberbayerischen Wilparting
in goldenes Licht taucht, kann man einen
Moment erleben, der Erika Schultes besonders am Herzen
liegt. Die letzten Sonnenstrahlen fallen durch die hölzerne
Tür der kleinen Taufkapelle, einen achteckigen Raum mit
barockem Altar, in dem die zarten Töne einer ­keltischen
Harfe erklingen. Hier, wo einst der Heilige ­Marinus als
Einsiedler lebte und der Legende nach den Märtyrertod
starb, sitzt Erika Schultes und zupft das irische Abendlied „Der letzte Tanz der Sonne“ von Christoph P
­ ampuch
– eine eingängige Melodie, die mit glasklarem Klang im
Raum schwebt und durch die starke Akustik das alte Gemäuer von allen Seiten erfüllt. Die Sonne beleuchtet M
Mit der keltischen
Harfe spielt Erika
Schultes das Lied
„Der letzte Tanz
der Sonne“
Land Werk 31
das ­Gesicht der M
­ usikerin. Es glüht, sie strahlt – ein wunderbarer Moment, der für kurze Zeit sogar das gnadenlose
Motorenrauschen der Autobahn vergessen lässt, die sich in
Sichtweite der Kapelle entlangzieht.
Es sind diese Orte, die Erika Schultes anziehen. Kraftorte,
wo unterirdische Wasseradern verlaufen und Menschen
die Erdstrahlen spüren können. Hier hat sie geheiratet und
hier kommt sie immer wieder hin, um andere Menschen
die Magie des Ortes erleben zu lassen. Die Taufkapelle von
Wilparting ist eine Station von insgesamt 18 eines Meditationspfades auf dem südostbayerischen Jakobsweg von
Bad Aibling nach Holzkirchen. Erika Schultes hat ihn konzipiert und eingerichtet, damals, als sie Geschäftsführerin
des Tourismusverbandes Bayerisches Oberland war. „Da
war das noch neu, dass man einen Wanderweg mit Anleitungen zur Meditation und Besinnung verbindet, bei dem
Menschen die Kraftquellen der Natur erleben können.
Heute ist das ja in Mode gekommen“, erzählt sie.
Spurwechsel
Erika Schultes bietet Naturseminare an.
Das sind ein- oder mehrtägige Wanderungen zu Wasserquellen, zu besonderen Naturschauplätzen, an denen sie mit
einer Gruppe singt, meditiert, die Natur
beobachtet und vespert. „Für mich drückt
sich Tourismus nicht nur in Übernachtungszahlen aus. Mein Anliegen war und
ist vielmehr, den Menschen eine Auszeit
zu ermöglichen, wo sie die herrliche Natur im Alpenvorland erleben, wieder zu
sich kommen und Kraft schöpfen können.“
Hatten Sie mit Ihrem Anliegen damals
­Erfolg?
Für die Musikerin
ist die Kapelle ein
„Kraftort“
Wo früher
Mönche als
Einsiedler
lebten, ...
32 Land Werk
... singt und
spielt Erika
Schultes heute
mit ganzem
Herzen
Die „Tausendjährige
Frau Oach“, eine uralte
Eiche mit Marienbild
in Irschenberg
Die Harfe ist eins von vielen Instrumenten,
die die Künstlerin spielt
Der Meditationsweg war ein wichtiges
Projekt, das ich als Geschäftsführerin
realisiert habe. Aber in dieser Zeit habe
ich auch gemerkt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für mich beim Tourismusverband erschöpft waren. Ich wollte mehr
aus meinem kreativen Potenzial machen
und hatte immer stärker den Wunsch,
wieder zu musizieren. Die Musik war
ganz in den Hintergrund geraten.
War das ein Grund, warum Sie den Posten
aufgaben und dem Tourismusverband
den Rücken kehrten?
Ich wollte eigentlich schon seit meiner
Jugend die Musik zum Beruf machen.
Nach meiner Krankheit kam auch noch
die Idee dazu, Menschen mit Musik zu
begleiten. Aber damals hatte ich nicht den
Mut dazu, diesen Weg zu gehen. Trotzdem wurde der Wunsch über die Jahre
immer stärker. Deshalb habe ich dann
beim Tourismusverband aufgehört, nach
einigen Fortbildungen mit Musikunterricht begonnen und die Ausbildung zur
Musiktherapeutin gemacht.
Was für eine Krankheit hatten Sie?
Mit Anfang 20 spürte ich beim Singen
auf der Bühne einen Knoten im Hals, der
gedrückt hat. Bei der Untersuchung kam
heraus, dass es Schilddrüsenkrebs war.
Aber zum Glück noch ganz am Anfang.
Die Schilddrüse wurde herausgenom- M
Tafeln begleiten
die Pilger auf dem
Meditationsweg
Land Werk 33
Lieblingsstrophe von ­Erika
Schultes aus dem Lied
„Kimmt schö hoamli die
Nacht“, von ihr arrangiert
und abgewandelt:
„Kimmt schö hoamli die Nacht“:
Kimmt schö hoamli die Nacht
und die Engerl halt’n d’Wacht
üba mi und meine Leut
dass uns allsam nixe feit.
Weitere Strophen dieses
­traditionellen Liedes:
Kimmt schö hoamli di Nacht
is mei Tagwerk vollbracht
sing i gern wann i alloani bi
staad a Liadl für mi.
Zusammen mit ihrem Mann
Hans ist Erika Schultes das
Duo „Dopf & Deggl“
Die „Bayerische
Pippi Lang­
strumpf“ und
ihr spiele­
rischer Beglei­
ter „Anian“
Erika Schultes
arbeitet mit
vielen ver­
schiedenen
Instrumenten
34 Land Werk
Und wia guat is die Ruah
geh i’s Feldwegerl zua
sogar s’Fischerl drin im Wiesnbach
springt koan Fliagerl mehr nach.
men, ich bekam eine Strahlenbehandlung
und muss seitdem Jodpräparate nehmen.
Heute ist die Krankheit nicht mehr so
präsent für mich.
Wie war das damals für Sie? Sie waren ja
noch sehr jung!
Natürlich war es ein Schock. Aber die
Musik und die Natur haben mir geholfen. In der Kur habe ich zum ersten Mal
Musiktherapie erlebt, und ich habe auch
selbst Singabende organisiert. Da ­wurde
mir klar, dass Musik heilen kann. Ich
habe damals viel gelernt an Verständnis und Mitgefühl für andere Menschen.
­Diese Erfahrung ist eine große Bereicherung für meine Arbeit heute.
„G’spuit und g’sunga“*
Ein Blick in das Musikzimmer von ­Erika
Schultes zeigt ihr musikalisches Universum: Akkordeon, Klarinette, Ukulele,
Guitalele, Mandoline, diatonische Harmonika, Banjo, schamanische Trommel,
Meerestrommel, Tischröhrenspiel, keltische Babyharfe, große Harfe, Gitarre und
eine afrikanische Bechertrommel. „Kinder, die ich unterrichte, sollen erst mal herausfinden, welches Instrument zu ihnen
passt“, sagt sie. „Ich möchte nicht nur das
Handwerk beibringen, sondern Menschen
begleiten. Manche Kinder haben spezielle
Handicaps, können nicht sprechen oder
haben Lernschwierigkeiten. Deshalb ist es
*Gespielt und gesungen
Die keltische Babyharfe ist für Kinder ein
­zauberhaftes Instrument
wichtig, dass eine entspannte Atmosphäre
herrscht, denn wenn man entspannt ist,
kann man gut lernen.“
Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Ich habe mit sieben Jahren begonnen, Akkordeon zu lernen, später auch Klarinette
und Gitarre. Ich habe in einer Blaskapelle
gespielt und als ich 17 war zusammen mit
drei Freundinnen eine Band gegründet:
„Die Tigers“. Wir haben Tanzmusik gespielt, auf Hochzeiten und in Bierzelten
Lieder von Juliane Werding gesungen,
unsere Instrumente mit dem Anhänger
durch die Gegend gefahren, Veranstaltungen moderiert und richtig eingeheizt –
und das immerhin zehn Jahre lang. Heute
möchte ich diese Erfahrung weitergeben
und plane eine Band mit den Flüchtlingsjugendlichen vom Caritas-Kinderdorf in
Irschenberg. Die Gitarren wurden schon
gespendet.
Wie arbeiten Sie da konkret?
Die Jugendlichen sind zwischen 13 und
18 Jahre alt. Viele haben traumatische Erfahrungen gemacht. Mit der Musik helfe
ich ihnen auszudrücken, was mit Worten
nicht möglich ist. Wir haben unterschiedliche Percussioninstrumente und singen
Lieder aus ihrer Heimat: aus Somalia
oder Afghanistan. So kann ich ihre Seele
zum Klingen bringen und ihnen helfen,
ihre Erlebnisse zu verarbeiten.
Sie spielen nicht nur traditionelles Liedgut und Schlager, sondern auch Musik
aus anderen Ländern?
Beim sogenannten Tradimix mischt sich
Bayerisches mit internationalen Klängen:
Irisch, Englisch, Spanisch und Oberkrainisch (Slowenisch). Wir dichten zu traditionellen Melodien neue Texte. Aus einem
alten Sennerinnenlied dichte ich viel-
Von Irschenberg aus
sieht man auf das
Mangfallgebirge mit
dem Wendelstein
Den Schäferwagen nutzt Erika Schultes auch
für ihren Musikunterricht
leicht eine Strophe um. Aber wir spielen
auch Tango und Balladen, wir lassen das
Wilde und das Zarte in uns erklingen ...
Sie spielen zusammen mit Ihrem Mann
Hans Stadler?
Ja, wir sind das Duo „Dopf & Deggl“. Wir
haben uns über die Musik kennengelernt
und spielen jetzt gemeinsam auf Festen
und Feiern, bei Geburtstagen, Hochzeiten
oder Taufen. Hans spielt Alphorn, Akkordeon, Trompete und Didgeridoo. Wir
singen und reimen sogenannte Gstanzl,
das sind Verse, die den Jubilar oder das
Paar würdigen, mit denen man Glück und
­Segen wünscht.
„Mein Herz schlägt bayerisch“, haben Sie
mal gesagt. Was meinen Sie damit?
Ich bin ein sehr bodenständiger Mensch
und mit dem bayerischen Dialekt kann
ich besser meine Gefühle ausdrücken –
wie ein Maler, der beim Malen mehr Farben zur Verfügung hat.
Naturpädagogisches Konzept
Vor fünf Jahren entdeckte Erika Schultes in der Zeitung eine Anzeige für Schäferwagen. Die gefielen ihr so gut, dass
sie sich einen neuen bauen ließ, um ihn
nicht nur als Wohnwagen, sondern auch
für ihren Musikunterricht zu nutzen. M
Land Werk 35
Das „Baumhorchen“
gehört zum Lernen
mit allen Sinnen
Fingerspiele
trainieren Finger
und Hände
Das Räuchern lieben die Kinder
besonders
ZUR PERSON
Erika Schultes
Künstlerin und
­Musiktherapeutin
geboren 1971, stammt gebürtig aus
dem Altmühltal in der Oberpfalz
Nach der Hauptschule arbeitete sie zunächst als Postbeamtin und Briefzustellerin,
später machte sie ihren Realschulabschluss
und das Abitur nach. Sie wechselte beruflich in die Stadtverwaltung von Regensburg, wo sie auch im Bereich der Personalführung tätig war. Einige Jahre später ließ
sie sich in München zur Tourismusfachwirtin
ausbilden und war nach einer kurzen
Zeit am Bodensee sechs Jahre lang beim
Tourismusverband Bayerisches Oberland
(inzwischen wurde er in Tourismusverband
Alpenregion Tegernsee Schliersee e.V. umbenannt) im Landkreis Miesbach tätig, erst
als Assistentin, dann als Geschäftsführerin.
2009 machte sie sich mit ihrem Unternehmen Musikküche & Klanggärtnerei in
Irschenberg selbstständig. In München ließ
sie sich zur Musiktherapeutin ausbilden.
Seitdem arbeitet sie als Musikerin, Naturund Musikpädagogin, Seminarleiterin und
Musiktherapeutin.
Land Werk
Während des Sommers steht er am Waldrand in Irschenberg. Über eine Wiese gelangt man dorthin. Der Wind weht frisch.
Die Kinder stapfen mit ihren Müttern
durch das Gras. Zwischen drei und sechs
Jahre sind sie alt und freuen sich schon
auf den gemütlichen Wagen. Dort ist es
warm, im weißen Emailofen knistert das
Holzfeuer. Leopold, Ludwig, Emma und
Luise ziehen ihre Schuhe aus, drängen
sich um den kleinen Tisch und warten
gespannt, was kommt: „Wir sind eins mit
den Sternen, eins mit den Bergen, eins mit
den Blumen und dem Gras“, singt Erika
Schultes. Dazu spielt sie Guitalele, eine
kleine Gitarre mit sechs Seiten, die Kinder
stimmen ein und klopfen mit Holzstäben
den Takt dazu. Lieder vom Regenbogen
und Zauberzwerg folgen, es gibt Fingerspiele, Leopold und Emma begleiten mit
der Melodica, und sie dürfen dirigieren:
­„Verrücktspielen“ nennt die Musikpädagogin das. Die Kinder geben mit den Händen
einen Rhythmus vor und die anderen ahmen ihn nach: langsam oder schnell, laut
oder leise. „Die Kinder lernen zu führen
und geführt zu werden, genau hinzuhören
und zu sehen“, erklärt Erika Schultes.
Was ist ihnen beim Musikunterricht
­wichtig?
Es geht nicht um Leistung oder um vorgegebene Ziele, die erreicht werden sollen. Es gibt auch keine falschen Töne, nur
Variationen. Die Kinder sollen ein Gespür
für die Musik entwickeln und lernen, sich
mit der Musik auszudrücken. Bei diesem
ganzheitlichen Konzept beziehe ich die
Natur bewusst mit ein. Ich erzähle Märchen, wir gehen in den Wald, wir horchen
an den Bäumen, wir fühlen die Baum­
Erika Schultes spielt und singt, wo sie
geht und steht
rinde, wir lauschen den Vogelstimmen. Es
ist ein Lernen mit allen Sinnen. Mit dem
Schäferwagen sind wir immer mitten in
der Natur, er gibt den Kindern Geborgenheit und Schutz, wenn es mal regnet. Er
ist gemütlich, die Kinder lieben die Schaffelle darin, für sie bedeutet es auch immer
ein bisschen Abenteuer.
Zum Schluss wird noch die obere Liege
heruntergeklappt. Das finden die Kinder
am besten. Jetzt sitzen sie oben wie auf
­einer kleinen Bühne und dürfen die Lavendelblüten in die Schale streuen, unter der
ein Teelicht brennt. Damit räuchert Erika
Schultes den Wagen ein, das entspannt.
Wer mag, darf sich jetzt noch ausstrecken
und bekommt die Klangschale auf den
Rücken. „Ich möchte heute Nacht hier
schlafen“, sagt der sechsjährige ­Leopold
zum Schluss. Am liebsten wollen sie alle
hierbleiben. Aber Amelia und Melina stehen schon vor der Tür des Schäferwagens
und warten, bis sie an der Reihe sind.
Die Brückenbauerin
Seitdem Erika Schultes die Musik zu
­ihrem Beruf gemacht hat und mit dem
Schäferwagen durch die Lande zieht,
bekommt sie immer wieder Post und
E-Mails: von Frauen und Männern, die
ihr danken für den schönen Singabend
im Schäferwagen, für die musikalische
Leopold und Emma spielen mit
der Melodica
Märchen
und Lieder
im Elfen­
kostüm sind
für Kinder
spannend
Amelia und Melina begleiten das
Lied mit den Klangglocken
Gestaltung der Hochzeit oder des Geburtstags, für die gemeinsame Mittsommernacht, für Gedichte und Lieder bei
Vollmond oder für die Begleitung auf
dem Pilgerweg. Es ist, als ob ihre Musik
zurückschallt. „Es gibt eine große Sehnsucht nach Natur und Gemeinschaft“,
sagt sie. „Die Natur nährt und ich spür’
die Kraft der alten Lieder. Ich sehe mich
als Brückenbauerin zwischen Altem und
Neuem, zwischen verschiedenen Traditionen und von einer Kultur zu anderen.“
Als Künstlerin lebt sie ihre Vielfalt aus:
Mal sieht man sie im Dirndl, mal im
Elfenkostüm, mal im luftigen Blumen­
kleid, dann wieder mit ­Wanderhose und
Rucksack. Manchmal lebt sie wie ein
­Hirte im Schäferwagen, singt mit anderen
Frauen auf Kunst­
handwerkermärkten
oder stapft mit Ehemann Hans, der ­Jäger
und ­
Wildnispädagoge ist, sowie einer
Horde Kinder durch den Wald. „Vielleicht
habe ich damals durch die Krankheit
Kraft bekommen, Dinge zu verändern,
und das möchte ich weitergeben“, beschreibt sie ihre Motivation. „Ich k
­ enne
das Gefühl der Existenzangst, als ich
meinen Job aufgab und erst mal vor dem
Nichts stand. Aber mit dieser Erfahrung
kann ich heute anderen Mut machen, auf
ihr Herz zu hören und ihren Bedürfnissen
zu folgen. Dann können sie ihren ganz
­eigenen Weg gehen.“
f
Text: Johanna Reiser
Fotos: Manuel Bachmann
Kontakt
Erika Schultes
Musikküche & Klanggärtnerei
Lanzing 3a
83737 Irschenberg
“ 0 80 62/80 40 89
E-Mail: [email protected]
www.erika-schultes.de
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