bücher - Christ in der Gegenwart

BÜCHER DER GEGENWART
FRÜHJAHR 2015
Von Werner Trutwin
S
chon wieder wendet sich der weltbekannte Ägyptologe Jan Assmann,
dem wir aufschlussreiche Bücher
über Ägypten und den Einfluss Ägyptens
auf die europäische Kulturgeschichte verdanken, der Bibel zu. Erstmals hatte er sich
ausführlich 1997/98 zum Buch Exodus, dem
zweiten Buch des Mose im Alten Testament,
in dem Werk „Mose, der Ägypter“ und danach 2003 in „Die Mosaische Unterscheidung“ geäußert. Weil ihm ein historisch
begründetes Urteil über den biblischen
Moses kaum mehr möglich schien, lag der
Schwerpunkt seiner Untersuchung auf dem
Moses der Erinnerung, wie er im religiösen
und kulturellen Gedächtnis fortlebt. Dieser
Moses habe die verhängnisvolle „Mosaische
Unterscheidung“ in die Welt gebracht, die
erstmals bei den Religionen den Unterschied zwischen „Wahr“ und „Unwahr“
machte. Seitdem werde zwischen dem einen
wahren Gott und den vielen falschen Göttern, zwischen Dogmen und Häresien, zwischen Bilderverbot und Idolatrie, zwischen
Juden und Gojim unterschieden, was später
zu der Unterscheidung zwischen Christen
und Heiden, zwischen Muslimen und Ungläubigen geführt habe. Nun werden andere
Religionen ausgegrenzt, diskriminiert, des
Irrtums, des Unglaubens und Götzendienstes beschuldigt. Das daraus entstehende Gewaltpotenzial lebe vor allem im Christentum und Islam fort, weniger im Judentum.
Monotheismus des Vertrauens
Eine solche Unterscheidung gab es nach
Assmann in der antiken Welt nicht. Die
alten Religionen in Ägypten, in Mesopotamien, in Griechenland und in Rom waren
„übersetzbar“. Das heißt: Die vielen Götter
des einen Volkes konnten in den vielen Göttern eines anderen Volkes wiederentdeckt
werden. Der ägyptische Amun war der griechische Zeus und der römische Jupiter. Die
Götter hatten bei gleichen Funktionen nur
unterschiedliche Namen. Darum baute der
alte Polytheismus Brücken zwischen Völkern und Religionen. In dieser „Übersetzung der Religion“ sah Assmann eine große
kulturelle Leistung.
Wenn Assmann nun eine neue Untersuchung über den Exodus vorlegt, könnte
man befürchten, dass der erbitterte Streit
um Moses nun auf der Ebene der beiden
Völker Ägypten und Israel weiter verfolgt
werde, indem die ägyptische Hochkultur
ihre geistige Überlegenheit über das damals kulturell nicht sonderlich hervorgetretene Israel beweisen könne. Dann hätte
der Ägyptologe auch auf diesem Feld über
den Bibelwissenschaftler gesiegt. Doch
zeigt schon ein flüchtiger Blick in das neue
Buch, dass diese Befürchtung völlig unberechtigt ist. Das Gegenteil ist richtig. Gleich
zu Beginn distanziert sich Assmann eindeutig von seiner damaligen Auffassung,
weil er von dieser „Mosaischen Unterscheidung“ bei genauerer Lektüre des Buches Exodus nichts gefunden hat und die
Frage nach Wahrheit in Israel erst nach der
Endredaktion des Buches Exodus etwa im
fünften Jahrhundert vor Christi Geburt
gestellt wurde. Je weiter man liest, umso
Der Nachhall des
Auszugs aus Ägypten
Jan Assmann hat sich erneut der Bibel zugewendet,
dem Buch Exodus als einer bedeutenden Literatur, die
revolutionär war und kulturell bedeutsam bleibt.
mehr staunt man über die Bewunderung,
die der Ägyptologe nun für die Bibel zeigt.
Ein häufig von ihm gebrauchter Begriff
ist „revolutionär“, der selbst im Untertitel
vorkommt und der eindeutig positiv gemeint ist.
Der Autor setzt im Buch Exodus an die
Stelle des „Monotheismus der Wahrheit“
nun einen „Monotheismus des Vertrauens
oder der Treue“. Dieser wurde nach dem
Auszug aus Ägypten am Berg Sinai gestiftet,
als Gott einen Bund mit dem Volk schloss
und sich mit den Geboten vom Sinai auch
als der Gesetzgeber des Volkes offenbarte.
Das war für Assmann schon deshalb revolutionär, weil nun erstmals ein Volk zum
Adressaten der göttlichen Botschaft und
ein König als Gesetzgeber überflüssig wird.
Dabei ist zu beachten, dass es zur Zeit der
Abfassung des Buches Exodus keinen König mehr gab. Assmann spricht von einer
„Theologisierung des Rechts“, die die ganze
Lebensform eines Volkes in eine göttliche
Dimension erhebt. Dafür gibt es in der Alten Welt keine Parallele. Vielleicht darf man
in dieser neuen Bedeutung des Volkes ein
frühes Element auf dem langen Weg zur
Demokratie sehen.
Der Bund mit Israel, in dem sich Gott
selbst eifersüchtig nennt, ist am ehesten mit
einer Ehe zu vergleichen, in der die Eheleute
sich gegenseitige Treue und Liebe versprechen. Wo diese Erwartung durch Untreue
und Verrat enttäuscht wird, ist eine Katastrophe wahrscheinlich. Da tritt im Buch
Exodus bei Bundesbruch eine neue Form
von Gewaltanwendung zutage, wie die Erzählung vom Goldenen Kalb beweist. Als
Moses beim Abstieg vom heiligen Berg
dieses Szenario sieht, zertrümmert er beide
Gesetzestafeln und beginnt ein furchtbares
Gemetzel unter den Götzendienern, weil sie
eine wichtige Grundforderung des soeben
geschlossenen Sinaibundes verletzt haben.
Hier muss allerdings kritisch gegen Assmann gefragt werden, ob in einem religiösen Bund aus gebrochenem Vertrauen Gewalt folgen muss. Sind nicht auch gewaltlose
Reaktionen denkbar, die zu einer Toleranz
führen, die zwar von der eigenen Religion
überzeugt ist, diese Überzeugung aber auch
anderen zugesteht?
Erzählung, die Geschichte macht
Obwohl Assmann dem Exodus einen historischen Kern zuschreibt, handelt es sich
für ihn bei diesem biblischen Buch nicht um
eine historische Darstellung („History“),
sondern um den Exodus der Erinnerung
in der Form einer dramatischen Erzählung
(„Story“). Selbst wenn die geschilderten
Erzählungen nicht wirklich geschehen
EDITORIAL
Kirche, Kirche, Kirche
I
st „Kirche“ wirklich so interessant, wie
es die Kirchen-Berichterstattung mit
ihren „Aufregern“ sowohl in den säkularen als auch in den kirchlichen Medien
nahelegt? Wer die Buchprogramme
sichtet, wird feststellen, dass sich das
Entscheidende, Wichtige in einem ganz
anderen Horizont abspielt: im Persönlichen, Existenziellen, Kulturellen. Darum
kümmern sich gerade im Sachbuchsegment inzwischen sogar solche Verlage,
die man klassisch-traditionell nicht mit
diesen Themen verbindet.
Vermutlich berührt der ganze
Kirchenbetrieb mitsamt seinen von
Öffentlichkeits-PR-Arbeitern getriebenen „Unterhaltungsshows“, ob analog
oder digital, die Menschen innerlich
überhaupt nicht so, wie es die äußerliche
Schwerpunktsetzung erwarten lässt.
Weniger Kirche – mehr Glauben, mehr
Zweifeln, mehr „Gott“. Die letzten Fragen bleiben die ersten Fragen, zumindest
für Leute, die sich mit dem Allerweltstheater von heute, das morgen bereits
überholt ist, nicht zufriedengeben. Wen
erschüttert tatsächlich noch die Tebartzvan-Elst-Geschichte? Welche Bischofswahl war zuletzt nochmal umstritten?
Wie war das mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche
– wo genau?
Die Zeit überlebt nicht die Zeit. Das
große Vergessen kommt schneller, als
uns jeweils momentan lieb ist. Das Zukünftige wird das Heutige ungeahnt, für
uns unvorstellbar in den Schatten stellen.
Auch im Religiösen. Nur das persönliche
Ende begleitet uns, solange wir leben.
Und dann?
rö.
sind, so sind sie doch bis heute wirkmächtig. „Die Exodus-Erzählung schreibt nicht
Geschichte, sondern sie macht Geschichte.“
Ein Beweis ihrer Wirklichkeit liegt in der
Fortdauer des jüdischen Volkes, in dem das
Buch Exodus entstand.
Im Ganzen ist hier ein Kommentar entstanden, der zugleich den Text erklärt und
seine Aktualität offenlegt. Er stützt sich dabei auf Ergebnisse der modernen Exegese,
ohne sie da, wo sie kontrovers sind, zu diskutieren. Im Aufbau werden drei Teile unterschieden: (1) der Auszug aus Ägypten,
(2) das Geschehen am Sinai: Erwählung,
Bund, Gesetz, (3) Gottesnähe mit Beschreibung des Zeltheiligtums als Institution von
Gottes andauernder Gegenwart.
„Moses und Aaron“ bis heute
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier
eine Sinngeschichte des Exodus entworfen
wird, die im Neuen Testament weiterlebt
und bis heute das abendländische Denken beeinflusst, wie ein ewiger Nachhall.
Was es von der Sklaverei in Ägypten, vom
Durchzug durch das Rote Meer, von der
Wüstenwanderung, von der Gesetzgebung
am Sinai, von dem Aufbruch in das Gelobte
Land erzählt, ist zum Symbol und Interpretationsmodell unseres Lebens und unserer
Geschichte geworden. Seine Wirkungsgeschichte lebt in der Liturgie (Karsamstag),
im Brauchtum (Ostern), in der Malerei
(Michelangelo, Rembrandt, Chagall), in
der Religionspädagogik (Exodus als Religionsmodell und Lebensmodell) und in der
Musik (Gospels) fort. Assmann selbst baut
die Deutung von zwei Szenen aus Schönbergs Oper „Moses und Aaron“ in sein Buch
ein. Viele Philosophen und Psychologen,
Staatsrechtler und Dichter haben sich mit
Exodusthemen befasst, unter anderem Nikolaus von Kues, Machiavelli, Grotius, Spinoza, Lessing, Hobbes, Schiller und Freud.
Noch in Kants berühmter Formulierung
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen
aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ sieht der Autor zu Recht eine Exodusstruktur. Sie ist vor allem verbunden mit
dem Gedanken der Freiheit, die im Kampf
gegen Unterdrückung errungen wurde.
Martin Luther King hat seinen Kampf gegen die Rassentrennung in Amerika mit
dem Exodus aus Ägypten verglichen.
Der letzte Satz dieses spannenden Buches klingt zwar etwas pathetisch, weist aber
nochmals auf die große Bedeutung des Exodus hin: „Die Exodusgeschichte (lässt sich)
als die ‚grandioseste und folgenreichste‘
Geschichte verstehen, die sich Menschen
jemals erzählt haben. Sie erzählt von einer
Wende, die sie dann im Zuge ihrer Nacherzählungen und Umdeutungen selbst herbeigeführt hat. Und ist zum narrativen Muster
und Symbol grundlegender geistiger, religiöser und politischer Wenden überhaupt
geworden.“
Sie ist auch ein Beweis dafür, wie aktuell
das Alte Testament ist.
Jan Assmann
Exodus
Die Revolution der Alten Welt (Verlag C. H.
Beck, München 2015, 493 S. mit 40 Abb.,
29,95 €)
218 Religionsgeschichte
Nr. 41 / 2014 BÜCHER CIG
Der Kampf um Jerusalem
Die Kreuzzüge, dargestellt aus
westlicher und islamischer Sicht.
D
er Kreuzzugsgedanke widerspricht klar
der sanften Religion Jesu Christi. Es
ist also recht und billig, dass im Dokument
der Internationalen Theologenkommission
„Erinnern und Versöhnen. Die Kirche und
die Verfehlungen in ihrer Vergangenheit“
(2000) die Kreuzzüge neben Inquisition
und anderem als Fehlentwicklungen des
Christentums benannt werden – und dass
Johannes Paul II. die Verfehlungen beklagt
hat. Aber die historische Betrachtung kann
sich nicht auf die moralische Feststellung
beschränken. Die Geschichtswissenschaft
soll die Vergangenheit aus ihr heraus erklären und verstehen.
Im engen Wortsinn meinen die Kreuzzüge die Eroberung Jerusalems aus der
Hand der Muslime. Im weiten Sinne fällt
auch die Expansion europäischer Kernländer von der Mitte des 11. bis Ende des
17. Jahrhunderts darunter: also die Kriege
von Königen und Päpsten gegen Ketzerbewegungen (Albigenser, Hussiten), der
englische Kolonialismus in der keltischen
Welt, die Ausdehnung des deutschen Siedlungsgebietes nach Osteuropa, die Rückeroberung Spaniens aus der Hand der
Muslime, die Unternehmungen der Kreuzfahrer und Kolonisten im östlichen Mittelmeerraum, die „Türkenkriege“ der Neuzeit
und schließlich die europäische Ausdehnung nach Übersee. Während die Kreuzzüge zur Eroberung Jerusalems schließlich
scheiterten, ist die europäische Expansion
bei allen Schattenseiten in gewisser Weise
eine „Erfolgsgeschichte“, sofern es den Europäern gelang, ihre Religion und Kultur
zu universalisieren und sich gegenüber
den Muslimen, die ihnen den Weg zu den
blühenden Kulturen Asiens versperrten, zu
behaupten. Die vorliegenden Publikationen
beschränken sich nur auf die Versuche zur
Eroberung Jerusalems.
Was Thomas Asbridge von der Queen
Mary University in London über die Kreuzzüge zwischen 1095 und 1291 sagt, ist nicht
immer neu, wird aber in der gewohnt klaren
Art englischsprachiger Geschichtsschreibung erzählt. Der Antwort des Islam und
dem Dschihad-Gedanken schenkt er die
gebührende Aufmerksamkeit. Man hätte
sich allerdings gewünscht, dass er der Entstehung des Kreuzzugsgedankens vor dem
Hintergrund der mittelalterlichen Theorie
des gerechten Krieges gründlicher nachgeht.
Asbridge bestreitet, dass der Vormarsch
der seldschukischen Türken gegen die Byzantiner ab 1071 oder die Eroberung Toledos 1085 durch den von burgundischen
Rittern unterstützten kastilischen König Alfons VI. mit der darauffolgenden Angriffspolitik der Almoraviden 1086 eine Rolle bei
der Entstehung des ersten Kreuzzugs 1095
gespielt habe. Vielmehr seien die Kreuzzüge
im Rahmen des jahrhundertealten Kampfes
zwischen Christen und Muslimen entstanden, ohne dass es um 1100 dafür besondere Gründe gegeben hätte. Die Kreuzzüge
gründen für ihn in einem sich vertiefenden
spirituellen Bedürfnis, Jerusalem wiederzugewinnen und zu verteidigen. Diese Sicht
verkennt, dass die Eroberung Toledos in
der damaligen westlichen Christenheit wie
ein Fanal wirkte und das Selbstbewusstsein
gegenüber den Muslimen stärkte. Sonst
wäre ein (Rück-)Eroberungsunternehmen
wie die Kreuzzüge nicht möglich gewesen,
ganz gleich wie stark der spirituelle Antrieb
gewesen sein mag. Zu begrüßen ist hingegen, dass sich Asbridge gegen den „Kreuzzugsparallelismus“ oder die – oft von beiden
Seiten betriebene – Instrumentalisierung
der Kreuzzüge im Rahmen der heutigen
Konflikte mit der islamischen Welt wehrt.
Die Kreuzzüge solle man dort lassen, wo sie
hingehören: „in der Vergangenheit“.
Der Band von Paul M. Cobb, Professor
für Islamische Geschichte an der University
of Pennsylvania, wird eröffnet mit Nachdenklichem über die Vereinnahmung von
Saladin als „Markenzeichen“ durch diverse
intellektuelle Subkulturen und autoritäre Regime des Nahen Ostens, was, wie der Film
„Kingdom of Heaven“ (2005) zeigt, nicht
ohne Einfluss auf die westliche Sicht der
Kreuzzüge geblieben ist. Das Buch erzählt
die Eroberung Jerusalems „weder triumphal
noch tränenreich“ und beruht so gut wie
gänzlich „auf den islamischen Originalquellen“. Darin liegt Cobbs Verdienst. Dabei hat
er Verständnis für eine weite Beurteilung: Im
Kontext der islamischen Welt können und
sollten sie „als aktiver Teil einer dynamischen Beziehung zwischen mittelalterlichen
islamischen Staaten und Gesellschaften von
Spanien bis nach Iran betrachtet werden“.
In muslimischer Perspektive beginnen
die Kreuzzüge nicht mit der Rede von
Papst Urban II. 1095 und enden nicht mit
der Vertreibung der letzten Kreuzfahrer aus
der Stadt Akkon 1291: „Aus ihrer Sicht ist
die Invasion des Morgenlandes im Zuge des
ersten Kreuzzugs lediglich ein Höhepunkt
der europäischen Aggression, die Jahrzehnte früher begann: im 11. Jahrhundert in
Spanien und Sizilien“. Die westliche Kreuzzugsforschung sollte dem doppelten FanalEffekt der Eroberung Toledos 1085 mehr
Aufmerksamkeit schenken: Sie stärkte einerseits das europäische Selbstbewusstsein
und wurde andererseits von den Muslimen
als Beginn einer neuen Phase der Auseinandersetzungen mit der lateinischen, „fränkischen“ Christenheit verstanden. Für den
Autor sind die Kreuzzüge integraler Teil der
Geschichte des Islam. Die islamischen Quellen bringen andere Perspektiven hinein und
helfen, die Lebenswelt der muslimischen
Bevölkerung zu begreifen, „die von Spanien
bis Syrien zum Ziel fränkischer Eroberungen“ wurde. Die Quellen berichten nicht nur
von militärischen Konflikten, sondern auch
von menschlichen Begegnungen. Erst wenn
wir bei solchen Konflikten den Blick weiten
und die andere Seite mitberücksichtigen,
sind wir auf dem Weg zu einer wirklichen
Globalgeschichte. Cobbs Arbeit ist ein wichtiger Schritt dazu.
Mariano Delgado
I
Die Märtyrer jetzt
nnerhalb von zwei Jahrzehnten haben
sich die Gewalt gegen Christen und die
Verfolgung von Christen zu einem internationalen Krieg gegen Christen dramatisiert.
Der amerikanische Journalist und CNNVatikankorrespondent John L. Allen hat anhand zahlreicher Quellen neben regionalen
Überblicken in akribischer Kleinstarbeit
eine schier unüberschaubare Zahl von Fällen nachgezeichnet und die Schicksale einzelner Personen beschrieben, Prominenter
wie Nichtprominenter, ob in Nigeria, im
Sudan, in China, Indien, Indonesien, Nordkorea, Pakistan, Vietnam, Saudi-Arabien,
Syrien oder der Türkei. Auch Russland und
Weißrussland kommen vor, von der Mafia
ermordete Märtyrer des Glaubens in Italien
– und sogar Staaten Lateinamerikas.
Der Autor räumt mit manchen Mythen
auf: etwa dass Christen nur dort gefährdet
seien, wo sie in der Minderheit sind; dass
niemand die Bedrohung habe kommen
sehen; dass es sich nur dann um ein Martyrium handele, wenn es ausschließlich um
religiöse Motive im engsten Sinne gehe, oder
dass Glaubensverfolgung ein rein politisches
Problem sei. Das Buch nimmt niemanden
aus, beschreibt auch Verfolgung im Namen
eines radikalen Hinduismus wie eines vermeintlich so friedliebenden Buddhismus.
Besonders tragisch ist, dass die weltweite
christliche Ökumene bisher wenig öffentlich
präsent und kaum politisch entschieden in
John L. Allen
Krieg gegen Christen
(Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2014,
368 S., 24,99 €)
Religion und Krieg
D
er Religionswissenschaftler Hartmut
Zinser geht davon aus, dass Religion
als Kulturschöpfung des Menschen Identität
stiftet, die es zu verteidigen gilt. Aus diesem
Grund könne keine Religion in sich friedfertig sein. Durch den Wahrheits- und Absolutheitsanspruch mancher Religionen werde
zudem die Neigung einerseits zur Verbreitung und Mission, andererseits zur Abgrenzung verstärkt. Daher würden auch in Religionen, die grundsätzlichen Gewaltverzicht
lehren, Kriege immer wieder gerechtfertigt
oder gar mitverursacht. Zugleich aber haben
alle Religionen die Anwendung von Gewalt
durch Beschränkungen und Regeln kanalisiert oder sogar ganz abgelehnt.
Hartmut Zinser versucht, die verschiedenen Rechtfertigungsstrategien, die reli-
giösen Interpretationen von kriegerischen
Auseinandersetzungen und Kriegslehren
aufzuspüren und herauszuarbeiten. Er bezieht sich dabei vor allem auf die römische
Antike, auf Christentum, Hinduismus,
Buddhismus und Islam. Das Judentum
wird leider nicht in einem eigenen Kapitel und ohne aktuelle Bezüge behandelt,
obwohl der Autor gerade im jüdischen
Denkmodell zur Interpretation von Niederlagen einen Anknüpfungspunkt für ein
friedfertiges Miteinander der Religionen
sieht.
Christina Herzog
Hartmut Zinser
Religion und Krieg
(Wilhelm Fink, Paderborn 2015, 200 S.,
24,90 €)
Madeleine Delbrêl: eine wegweisende Gestalt
NE
Soeben erschienen – und gleich
»Religiöses Buch des Monats«
U
Rosemarie Nürnberg, ANDERS BETEN
Impulse von Madeleine Delbrêl
Thomas Asbridge
Die Kreuzzüge
(Klett-Cotta, Stuttgart, 3. Auflage 2015,
807 S. m. 32. Abb. und 16 Karten, 16,95 €)
Paul M. Cobb
Der Kampf ums Paradies
Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge
(Philipp von Zabern Verlag, Darmstadt 2015,
428 S. m. 15 s/w-Abb. u. 10 Karten, 29,95 €)
einer gemeinsamen großen Anstrengung
für die bedrängten Glaubensgeschwister
Partei ergriffen, medial sichtbar die notwendige Solidarität wahrgenommen hat. Dabei
könnte die lahmende Christenheit selber
ökumenisch neu belebt werden, wenn sie
„andere christliche Traditionen angesichts
des Zeugnisses ihrer Märtyrer besser zu
schätzen lernt und die Neigung entsteht,
sich mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren, statt vorwiegend auf die Feinheiten in
den Diskussionen über die Glaubenslehre“.
Beklagt wird außerdem, dass eine multikulturelle Ideologie, vermischt mit einer naiven
Sicht des interreligiösen Dialogs, Christen –
und vor allem Intellektuelle – blockiert, die
Dinge beim Namen zu nennen.
Eine Schwäche des Buches ist, dass es
selber ein wenig diesem Trend unterliegt,
den Islam, aus dessen Reihen momentan die
schlimmsten Dschihadisten gegen das Christentum kommen, fast zu entschuldigen. Das
liegt daran, dass das Buch noch vor der gigantischen Welle der Barbarei, ausgelöst vom
„Islamischen Staat im Irak und in Groß-Syrien“, von Boko Haram und Al-Shabaab auf
Englisch verfasst und bei der Übersetzung
nicht aktualisiert worden ist.Johannes Röser
Wie beten? Wann beten? Die Anstöße der französischen
Sozialarbeiterin und »Mystikerin der Straße« sind ebenso
aktuell wie originell. Ein Meditations- und Lebensbuch.
ISBN 978-3-7346-1032-5
144 Seiten, gebunden, EUR 14,95
VERLAG NEUE STADT
Bücher-der-GW-2015-nürnberg.indd 1
Münchener Str. 2, D-85667 Oberpframmern, Tel. 08093 2091
E-Mail: [email protected]
www.neuestadt.com
23.04.2015 10:10:49
CIG BÜCHER Nr. 20 / 2015
Kulturgeschichte 219
Die ewige Unruhe
U
nruhig war das Leben immer, und
auch eine Sehnsucht nach Ruhe hat es
immer gegeben. Aber irgendetwas hat sich
grundlegend und unheimlich verändert.
Der Kieler Philosoph Ralf Konersmann
versucht, dem ein Gesicht zu geben. Der Triumph der Unruhe über die Ruhe hat sich als
kulturelle Form des Westens durchgesetzt,
und er scheint vollkommen, seit die Unruhe
sich im 19. Jahrhundert mit dem Prinzip der
Weltveränderung verbunden hat: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden
interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern“, schrieb Karl Marx.
In den biblischen Erzählungen vom
Sündenfall und vom Brudermord des Kain
wurde die Unruhe noch als Verworfenheit
markiert. In der Neuzeit aber wird sie als
Eröffnung von Möglichkeiten der Veränderung positiv umgedeutet. Gegen diese hastig-haltlose Unruhe scheint kein Kraut der
Kulturkritik gewachsen. Konersmann wirbt
für eine gelassene Aufklärung. Er möchte
verstehen, was es mit den Umdeutungen der
Unruhe auf sich hat, und folgt den Spuren
von Adam und Eva, Abel und Kain, Seneca
und Pascal, Hegel und Marx und vielen
anderen. Mit der Geduld des langen Blicks
und gegen wohlfeile kulturkritische Aufrufe
zu mehr Entschleunigung legt Konersmann
jene archäologischen Umwertungsschichten
frei, aus denen heraus sich die Kultur des
Westens heute als eine „Kultur der Unruhe“
versteht. Auf den Spuren der Metapherntheorie Hans Blumenbergs gilt seine Sympathie
der aktiv-empfänglichen Ästhetik Paul Valérys, der Kulturkritik Blaise Pascals und
jener epikuräisch-stoischen Selbstsorge,
der es gelingt, dem Leben in und trotz aller
Unruhe eine Fassung zu geben und „das Leben in den Grenzen des Anstands und der
Vernunft zu genießen.“ Die Unruhewelt ist
für Konersmann eine vollendete Tatsache.
An diesem Punkt indes brechen Fragen auf. Hat das Paradies des Ursprungs
in der Gegenwart wirklich ein für alle Mal
seine Autorität abgegeben? Und darf die
Aufklärung über die westliche „Kultur der
Unruhe“ wirklich so gelassen ausfallen, wie
es das höchst lesenswerte Buch auf so beeindruckende Weise vorführt? Joachim Hake
Ralf Konersmann
Die Unruhe der Welt
(S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015,
464 S. m. Abb., 24,99 €)
Mehr als andere Denker des
20. Jahrhunderts hat Martin Buber
den »Dialog« geübt und theoretisch
durchdacht. Karl-Josef Kuschel stellt
den Kämpfer Buber vor, der für eine
eigenständige jüdische Identität
streitet und gerade dadurch für
Christen ein bleibend interessanter, aber auch unbequemer
Gesprächspartner ist.
Karl-Josef Kuschel
MARTIN BUBER – SEINE
HERAUSFORDERUNG AN DAS
CHRISTENTUM
363 S. / geb. mit Schutzumschlag
€ 24,99 (D) / € 25,70 (A) / CHF* 33,90
ISBN 978-3-579-07086-5
Interpretationen und
Orientierungshilfen
Warten, philosophisch
er „seine Aufmerksamkeit nicht auf
das Gewöhnliche richtet, wird niemals dem Universellen auf die Spur kommen“. Unter diesem Motto steht das Buch
des holländischen Schriftstellers und Philosophen Coen Simon „Warten macht glücklich!“. Da wird die Erinnerung an den Besuch
eines Bruce-Springsteen-Konzerts in seiner
Jugend der Ausgangspunkt für ein neues
Verständnis vom Wesen der Zeit: Die Zeit,
die man mit Warten verbringt, verschwindet,
sobald das Ziel erreicht ist. Die Schilderung
einer Kindergarten-Rangelei führt zu Überlegungen über den eigenen Willen, zu Betrachtungen über die Sehnsucht der Liebe,
die Grenzen zwischen sich und dem anderen
aufzulösen, was jedoch mit der Unmöglichkeit der Erfüllung konfrontiert ist.
Anders als der Titel vermuten lässt, ist
das Buch kein Ratgeber zum Glücklichsein,
sondern eine Sammlung von – zwölf – eigenständigen Essays, die Warten, Sehnsucht und
S
Verlangen in ihren Ausformungen philosophisch betrachten. Coen nimmt beispielsweise Bezug auf Schopenhauer, Kant oder
Descartes, allerdings entwickelt der Schriftsteller keine systematische Untersuchung.
Stattdessen bilden persönliche Anekdoten
die Grundlage für seine Überlegungen, an die
sich seine Assoziationen anknüpfen. Seine
Gedankengänge sind meist leicht nachzuvollziehen, seine Sprache ist angenehm, verliert
sie sich doch nicht in komplizierten, abstrakten Formulierungen. Die zutiefst religiöse Sehnsucht nach dem Universellen, nach
Gott, ist allerdings kein Thema. Sie findet sich
nur in einer Bemerkung darüber, dass Gott
als „Illusion“ weder zu beweisen noch zu widerlegen sei, wieder.
Dorothea Röser
Coen Simon
Warten macht glücklich!
Eine Philosophie der Sehnsucht (Konrad
Theiss Verlag, Darmstadt 2015, 192 S., 19,95 €)
Schäm dich!
cham und Beschämung werden nicht
wertgeschätzt. Umso erstaunlicher ist
das von der amerikanischen Umweltwissenschaftlerin Jennifer Jacquet vorgelegte Buch.
Schlüssig weist sie nach, wie es Unternehmen und Staaten gelingt, ihre gesellschaftliche Verantwortung für Umwelt und Mensch
auf das individuelle Schuldgefühl von – einigen wenigen – Verbrauchern abzuwälzen,
mittels Verbrauchersiegeln, fairem Handel
oder freiwilligem Verzicht auf Fernflüge.
Die Folge ist, dass sich gesetzlich in
drängenden Fragen wie Erd­
erwärmung,
Ausbeutung, Artensterben usw. kaum etwas ändert. Gerade, wenn es noch keine
Gesetze gibt, um vor allem Unternehmen
und Institutionen zu einer Veränderung zu
bewegen, sei das Instrument der öffentlichen Beschämung äußerst effektiv. Jennifer
Jacquet führt faire Grundregeln aus. In ihrer
sehr gut recherchierten Streitschrift wagt sie
nicht weniger, als den durch die demokratischen Prozesse verlangsamten Gesellschaften
einen Weg zu zeigen, wie Rettung dennoch
möglich ist. Sie setzt bei den wirklichen Entscheidern an.
Elena Griepentrog
Jennifer Jacquet
Scham
Die politische Kraft eines unterschätzten
Gefühls (S. Fischer Verlag, Frankfurt am
Main 2015, 224 S., 18,99 €)
*empf. Verkaufspreis
W
Jörg Zink betrachtet und interpretiert Rembrandts biblische Werke und
bringt sie so zum Sprechen. In diesem
spirituellen Geschenkbuch wird uns
nicht nur der Maler Rembrandt nahe
gebracht, sondern ein einsamer
Mensch, der seinen Glauben kompromisslos auf seine Weise gestaltet.
Jörg Zink
WAS DIE NACHT HELL MACHT
Mit Rembrandt die biblische
Botschaft entdecken
56 S. / geb. / durchgehend 4-farbig
mit ca. 15 Bildern von Rembrandt
€ 14,99 (D) / € 15,50 (A) / CHF* 20,50
ISBN 978-3-579-08519-7
www.gtvh.de
Wie viele Menschen plagen auch
Detlev F. Neufert unzählige Fragen
und Zweifel. Deshalb hat er das
Gespräch mit Gottes Sohn gesucht.
In einem tiefgehenden, ehrlichen
und bisweilen recht streitlustigen
Schlagabtausch offenbart Jesus
vieles, das zum Nachdenken anregt.
Dieses Buch ist Lesevergnügen und
Orientierungshilfe zugleich.
Detlev F. Neufert
JESUS: DAS INTERVIEW
Neues vom Auferstandenen
256 Seiten / Klappenbroschur
€ 17,99 (D) / € 18,50 (A) / CHF* 24,50
ISBN 978-3-579-07088-9
GÜTERSLOHER
VERLAGSHAUS
Alle Bücher auch als
E-Book erhältlich
220 Gesellschaft / Judentum
Nr. 41 / 2014 BÜCHER CIG
7105 lebende Sprachen
E
inwohnermeldeämter verzeichnen hundert und mehr Nationalitäten schon in
Kleinstädten. Mit den Mundarten vor Ort
und den Dialekten aus den Herkunftsländern stoßen da auf engstem Raum gut und
gern ebenso viele Idiome aufeinander. In
den Kirchengemeinden hören Gläubige mit
zwanzig, dreißig und mehr verschiedenen
Mutter- (und Liturgie-)Sprachen die Predigt und die Kirchenlieder auf Deutsch. Die
Theologie kommt an den „toten“ Sprachen
nicht vorbei. Die Mission hat die Vielfalt der
Sprachen zu ihrem Anliegen gemacht.
Der Sprachwissenschaftler Dieter Wunderlich verhilft uns zu einer gedanklichen
Ordnung angesichts der „babylonischen
Sprachverwirrung“, verschafft mit nützlichen
Tabellen den Durchblick bei aktuell 7105 lebenden Sprachen, entfaltet das Repertoire
der Linguisten in beeindruckender Fülle von
Beispielen aus allen Kontinenten. Besonders
zugänglich: die Ausführungen über das dezimierte Jiddisch und die Wiederbelebung
des Hebräischen. Es geht um philosophische
Fragen, die Rolle von Anthropologie und Ge-
netik bei der Erforschung von Sprache und
Sprechen, das Entstehen und das Aussterben
von Idiomen, den Spracherwerb des Kindes
und des Erwachsenen, die Strukturunterschiede zwischen Sprachfamilien …
Der Autor stellt sich auch der Frage des
Bibellesers: Was sprach denn der „erste
Mensch“, und wie kam er überhaupt zur
Sprache? „Eine erste Sprache gibt es so wenig
wie einen ersten aufrechten Menschen …
Sprache ist ein biologisches Phänomen in
der Evolution der Gattung Mensch.“ Sprache
ist demnach „mehrfach entstanden“. Menschen besitzen „ein spezifisch auf Sprachkonstruktion und Sprachlernen ausgerichtetes genetisches Programm, das dazu führt,
dass alle Sprachen trotz aller Verschiedenheit im Prinzip gleich sind.“ Gerhard Adler
Dieter Wunderlich
Sprachen der Welt
Warum sie so verschieden sind und sich
doch alle gleichen (Lambert Schneider
Verlag, Darmstadt 2015, 288 S. mit 24 s/wAbb. und 25 Tabellen, 29,95 €)
Medium Leib
G
erade weil „Spiritualität“ so modisch
geworden ist, braucht es solide, nicht
zuletzt philosophische Grundlegungen. Dafür die Phänomenologie auf der Linie von
Husserl bis Lévinas und Henry zu wählen,
legt sich nahe, ganz auf der Spur von Edith
Stein und Klaus Hemmerle. „Zu den Sachen
selbst“ heißt es da: „Die phänomenologische
Methode geht von der sinnlichen Wahrnehmung aus, um in Akten der Anschauung,
die jederzeit abrufbar sind, das Wesen der
Dinge zu erfassen“ beziehungsweise diese(s)
erscheinen zu lassen.
Im Zentrum steht also die kontemplative Haltung der Aufmerksamkeit, und
naheliegend sind die Bezüge zu patristischen und monastischen Überlieferungen.
Vier Grundphänomene und Leitbegriffe
werden mit vielen kostbaren Zitaten entfaltet, im gelungenen Rhythmus von anschaulichem Alltagsbezug und plastischer
Reflexion: Berührung, Wahrnehmung,
Erfahrung und Begegnung. Dass dabei der
Leib als „Medium“ der Transzendenz und
als spürbarer „Ort“ des Unsichtbaren und
Unbegreiflichen im Mittelpunkt steht, ist
besonders verdienstvoll. Die vorausgesetzte
theologische Position freilich wird nicht
eigens entfaltet (und auch die philosophische lockt zur Ergänzung); die protestartig
befreiende, auch politische Dimension des
Glaubens kommt – trotz vieler kritischer
Alltagsbezüge – zu kurz. So ist der verdienstvolle Brückenschlag zu Bibel und Liturgie doch etwas harmonistisch und auch
kurzschlüssig: Wo zum Beispiel geht es um
die Wahrnehmung des Bösen? Insgesamt
aber handelt es sich um ein wichtiges, ja
grundlegendes Buch.
Gotthard Fuchs
Clara Vasseur, Johannes Bündgens
Spiritualität der Wahrnehmung
Einführung und Einübung (Verlag Karl Alber,
Freiburg, München 2015, 336 S., 24 €)
Werden und Vergehen
W
as gilt, wenn sich alles „im Fluss“
verändert, nichts Bestand hat? Damit beschäftigt sich Wolfgang Schivelbuschs
anregende Studie, die zu den „Dingen“ auch
den menschlichen Körper zählt. Ob er den
Menschen selber auch darunter fasst, bleibt
unklar. Jedenfalls kommt ein zentraler theologischer Begriff im Buch nicht vor, obwohl
es beständig um ihn kreist: Gemeint ist
die Lehre von der Heilsökonomie, also der
heilsgeschichtlichen Ordnung: dass der Entwicklung und verzehrenden Nutzung von
Materie ein Schöpfungsplan zugrunde liege,
der letztlich das Heil des Kosmos zum Ziel
hat. Schivelbusch entfaltet eine Theorie, die
vom mechanistischen über das vitalistische
Weltbild zu den Naturwissenschaften führt.
Angesichts des ehernen, für Hoffnungen
blinden Gesetzes vom Werden und Vergehen
erscheint die Vorstellung eines Heils wie eine
nachträgliche Kostümierung. Diese wenig
beruhigende Gewissheit wird durch Schivelbuschs nicht weniger beunruhigende Erkenntnis nochmals unterlaufen, „dass neues
Leben ohne die Zerstörung des bestehenden
unmöglich ist“. Damit legt „das verzehrende
Leben der Dinge“ jedoch einen Begriff religiösen Bewusstseins nahe – den der Schuld.
Womöglich ist er es, der den Kreislauf von
Werden und Vergehen durchbricht – dadurch, dass sich Schuld niemals verrechnen
lässt, sondern auf Vergebung hofft und damit
auf Heil. Clemens Klünemann
Wolfgang Schivelbusch
Das verzehrende Leben der Dinge
Versuch über die Konsumtion (Carl Hanser
Verlag, München 2015, 190 S., 19,90 €)
Buber für Christen
W
arum es gut ist, sich an den jüdischen
Religionsphilosophen Martin Buber
zu erinnern, der vor fünfzig Jahren gestorben ist, veranschaulicht Karl-Josef Kuschel.
Von der Kirche ist viel beschämender Antijudaismus propagiert worden. Immer noch
gibt es viel Ignoranz, Missachtung gegen
die Juden, worauf der Autor aufmerksam
macht. Das Zweite Vatikanische Konzil
hatte sich mit seiner auf den Dialog mit
dem Judentum bezogenen Erklärung „Nostra Aetate“ sehr schwergetan. Spätestens seit
der Schoah (hebräisch „Verheerung, Katastrophe“) müssen wir Paulus ernstnehmen:
„Nicht du trägst die Wurzel, sondern die
Wurzel dich.“
Kuschel sieht das christliche Defizit und
erinnert daran, dass Buber, von dem sich das
„offizielle“ Judentum allerdings nicht repräsentiert sieht, einer der Ersten war, der von
jüdischer Seite das Tabu brach: von seinen
ersten „Reden über das Judentum“ (1911)
bis zu dem Buch „Zwei Glaubensweisen“
(1950) wächst ihm die Gestalt Jesu, den er
seinen „großen Bruder“ nennt. Freilich ist
es der „palästinensische Jesus“, keineswegs
der Christus, den Paulus und Johannes herausheben. Denn einen „Messias“, der bereits
gekommen wäre, kann Buber als Jude von
seinem Glauben her nicht annehmen.
Buber hatte schon als Schüler eines
polnischen Gymnasiums in Lemberg die
Minderheits-Position der Juden erfahren
und im Lauf seines Lebens „jüdisch-christliche Religionsgespräche“ erlebt, sich als
glaubender Jude behauptet – eine Seite in
seiner Lebensgeschichte, die zeigt, wie er
als wacher Zeitgenosse am Christentum
gar nicht vorbei konnte. Das betont Jüdische an seinem Profil, womit er unbequem
ist, neben der Neu-Entdeckung der chassidischen Tradition und des Zionismus,
leider oft unterschlagen, hebt Kuschel gut
heraus, ergänzt also die umfassend und
flüssig geschriebene Biografie nach ihrer
theologischen Innenseite. Er dokumentiert
vieles, vergisst nicht die gemeinsame Aufgabe von Juden und Christen – und die
notwendige andere Israel-Theologie der
Christen.
Lorenz Wachinger
Karl-Josef Kuschel
Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum
(Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015,
362 S., 24,99 €)
Anti-Judaismus als Welterklärung
E
ine Ideengeschichte der letzten 2000
Jahre im mediterran-europäischen
Raum wird in diesem Werk vorgelegt. Immens belesen, scharfsinnig und subtil in seiner Analyse fragt der Chicagoer Historiker
David Nirenberg danach, welche Rolle Stichworte wie Juden, Judentum oder Judaisierer
im Denken der Epochen und Kulturen spielten. Der Bogen, den er spannt, reicht vom alten Ägypten, von dem frühen Christentum,
dem Islam über das christliche Mittelalter bis
in die Neuzeit mit Reformation, Aufklärung,
Revolution, 19. und 20. Jahrhundert.
Verblüffend: Wo immer das Verhältnis
zu Kosmos, Geschichte, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen
begriffen sein wollte, bemühte man (auch)
Vorstellungen und Denkfiguren des Jüdischen. Zu sehr materielle, zu sehr empirische, aber auch zu stark intellektuell geistige
Auffassungen wurden beim Gegner jeweils
als „Judaisieren“ gebrandmarkt. Und das
auch dort, wo es kaum Juden gab oder gar
keine! „Judaisieren“ funktionierte auch ohne
Kontakt zu realen Juden als Denkform zur
Welterklärung; nicht selten mit üblen Folgen für die wirklichen Juden. Ein wirkungsstarkes Muster für solche variantenreichen
Konzepte sieht Nirenberg grundgelegt in
Paulus’ Warnung: „Der Buchstabe tötet,
der Geist macht lebendig“, und der damit
verbundenen „Ablösungslogik“ der Kirche
vom Judentum.
Die Lektüre dieses anspruchsvollen,
gut lesbaren Werkes beeindruckt – und
bedrückt. Es lässt erahnen, wie groß die
Aufgabe ist, die Beziehung der Kirche zum
Judentum neu zu bestimmen und die christliche Theo-Logik von Grund auf einer Revision zu unterziehen.
Paul Petzel
David Nirenberg
Anti-Judaismus
Eine andere Geschichte des westlichen
Denkens (Verlag C. H. Beck, München
2015, 587 S., 39,95 €)
Die Minderheiten
W
as ermöglicht den Zusammenhalt eines Landes? Worin braucht es Übereinstimmung, wo ginge ohne die Vielfalt
Lebensqualität verloren? Was darf verboten
werden, was muss erlaubt bleiben? Diffuse
Ängste wie extremistische Versuchungen
lassen sich durch staatliche Verbote kaum
zügeln. Eine neue „religiöse Intoleranz“
wird zum Problem vieler Gesellschaften.
Damit setzt sich die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum auseinander. Das
Gewissen des Einzelnen bei der Gesetzgebung zu achten, kann religiös motivierter
Gewissenlosigkeit vorbeugen, so die Autorin.
Zukunft gibt es, solange man in der Lage
ist, sich in Minderheiten hineinzuversetzen.
Dies muss nicht den Verlust der Identität
mit sich bringen, kann diese doch gerade
in Integrationswillen und Toleranz bestehen. Die Autorin sieht ihre Erkenntnisse in
Amerika besser umgesetzt als im Europa der
Nationen, was sie mit vielen Beobachtungen
zu belegen sucht.
Klaus Hamburger
Martha Nussbaum
Die neue religiöse Intoleranz
Ein Ausweg aus der Politik der Angst (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt,
2014, 220 S.,19,95 €)
CIG BÜCHER Nr. 41 / 2014
Werte 221
Die Opfer der Reformtheorien
exueller Missbrauch von Kindern ist
ein alltägliches Geschehen. Überall,
wo Macht im Spiel ist, kann diese sich auch
mit der Sexualität verbinden und so zu sexueller Gewalt werden. Der Bildungsjournalist Christian Füller hat nicht nur diese
gerne verdrängte Wahrheit veranschaulicht.
Er will in erster Linie aufzeigen, wie Missbrauch schon seit der griechischen Antike
verschleiert, ideologisch als „pädagogischer
Eros“ oder als sexuelle Befreiung des Kindes
verbrämt wurde. Körper und Sexualität galten dabei als entscheidendes Mittel, um die
Gesellschaft zu verändern.
Der Autor hat ausführlich Dokumente
und Archive recherchiert, um aufzuzeigen, dass die Idee, körperliche Liebe sei
wichtig, um Kinder ganzheitlich zu bilden,
sich in den deutschen Protestbewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts mehr
oder weniger ausdrücklich wiederfindet.
Er zerstört die gängigen Idealisierungen und
edlen Theorien, die noch immer verhindern, dahinter den grausamen Missbrauch
zu entdecken. Platons „Gastmahl“ – eine
Grundschrift abendländischer Philosophie – preist nicht nur den Eros als Verlangen nach dem Schönen, sondern setzt da-
bei auch die körperliche Liebe mit Knaben
voraus. In der Wandervogel-Bewegung zu
Beginn des vorigen Jahrhunderts bildete die
„mystische Erfahrung“ von Natur, Zeltleben
und Lagerfeuer den Rahmen für sexuelle
Gewaltbeziehungen. Und die Reformpädagogik, die Kinderläden der Achtundsechziger und Grünen propagierten zwar die
Befreiung des Kindes aus den Zwängen der
Gesellschaft, ermöglichten aber zugleich
den Päderasten unter dem Deckmantel der
„sexuellen Revolution“ Sex mit Kindern.
Ausführlich befasst sich Füller mit dem
Internet als „pädophiler Spielwiese“. Er sieht
noch viel Aufklärungsbedarf, nicht nur bei
den Grünen, die sich gern beim Blick auf
andere moralisch entrüsten. Nur wenn schonungslos offengelegt wird, wo und wie der
Missbrauch ideologisch beschönigt wird,
kann das Bewusstsein geschärft werden, dass
es um die Opfer geht und um entschiedene
Hilfe für diese. Helmut Jaschke
Christian Füller
Die Revolution missbraucht ihre Kinder
Sexuelle Gewalt in deutschen Protestbewegungen (Carl Hanser Verlag, München
2015, 280 S., 21,90 €)
Der Preis der Freiheit
W
ieder einmal stellt Otfried Höffe die
große Entdeckung des modernen
Denkens in den Vordergrund: Freiheit. Es
geht um Freiheit in Medizin und Erziehung, in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik,
Wissenschaft und Kunst. Ethische Herausforderungen am Lebensanfang und Lebensende werden von ihm genauso zur Sprache
gebracht und diskutiert wie Gerechtigkeit,
Globalisierung oder Toleranz.
Höffe zeigt, dass die besondere Würde
des Menschen in seiner Freiheit liegt. Dies
wurde in der Moderne immer mehr erkannt. Doch gibt es auch einen Preis der
Freiheit: Menschen müssen sich entscheiden. Und einen noch viel größerer Preis:
Freiheit kann missbraucht werden; es gibt
das Böse. Auch auf die Schattenseiten der
Freiheit und ihre Grenzen, auf die Kritik an
der Moderne und ihre „Selbstgefährdung“
geht der Verfasser sachlich und differenziert
ein. Holger Zaborowski
Otfried Höffe
Kritik der Freiheit
Das Grundproblem der Moderne
(Verlag C. H. Beck, München 2015,
398 S., 29,95 €)
W
as ist Geld? Nur ein Zahlungsmittel,
das erfunden wurde, um die Abwicklung des Tauschhandels zu erleichtern? Diese Erklärung greift dem Leipziger
Philosophen Christoph Türcke nach zu kurz.
Auch wenn die „Ökonomie von Aristoteles
bis Marx“ das so sah: Nicht durch Gütertausch werden Geld und Zins verständlich – sondern durch Schuld. Türcke setzt,
naturgemäß spekulativ, in der Frühzeit der
Menschengeschichte an, deutet das Menschenopfer, die erste „Zahlung“, als kollektive Furcht- und Schreckensbewältigung.
Später bekommt das Opfer einen Adressaten: Einer höheren Macht wird es geschuldet und immer neu dargebracht – stets im
Bewusstsein, immer (etwas) „schuldig“ zu
bleiben. Das Opfer wird ritualisiert und
transformiert: vom Menschen- zum Tierund zum Metallopfer. Es ist schuldbeladen
Christoph Türcke
Mehr!
Philosophie des Geldes (Verlag C. H. Beck,
München 2015, 480 S., 29,95 €)
Was ist gerecht?
G
erechtigkeit ist eines jener Grundworte,
welche die politische Auseinandersetzung moderner westlicher Gesellschaften
beherrschen. Aber was ist darunter zu verstehen? Beim Versuch, den Begriff dingfest
zu machen, muss man beinahe scheitern. Ist
Gerechtigkeit eine Norm, eine Moral, ein
Verfahren oder ein Sachverhalt? An dieser
Frage arbeitet sich der Publizist Christian
Schüle ab. Sein Stil ist journalistisch, seine
Sprache gewitzt, seine Hypothese klar: Wir
kommen im nachmetaphysischen Zeitalter
nicht mehr an eine Wesensbestimmung
der Gerechtigkeit heran, aber gerade eine
pluralistische Demokratie kann auf den
Anspruch nicht verzichten, für möglichst
gerechte Verhältnisse zu sorgen.
Nach materialreichen Diskussionen,
die kaum eine philosophische Facette der
Gerechtigkeitsdebatte und auch nicht gegenwärtige sozioökonomische Beispielfälle
auslassen, endet der Autor mit einem Plädo-
Wider die moralische
Arroganz des Westens
Wenn die Idee der Menschenrechte ein Charakteristikum
der westlichen Kultur ist, wie kann es dann sein, dass
die längste Zeit europäischer Geschichte von Sklaverei
und Folter durchzogen ist? Hans Joas zeigt anhand der
aktuellen Rechtfertigung von Inhumanität im Westen, wie
fragil der Fortschritt in Richtung einer Sakralisierung der
Person ist, und warnt vor jedem kulturellen Triumphalismus, der sich auf die erreichten Fortschritte beruft.
www.koesel.de
und bleibt es auch, als es im Tempelkult mit
Zins verbunden wird und den Übertritt in
die profane Handelswelt vollzieht.
Spannend beschreibt Türcke zahlreiche
Wandlungen des Geldes bis zu seiner flüchtigen elektronischen Form der Gegenwart. Jede
Wandlung bindet er erhellend in die ununterbrochene Kette eines letztlich immer gleichen Schuldbegleichungskreislaufs ein. Die
Zentralbank? Nur eine neue Form des Tempelschatzes, deren Priester schon vor langer
Zeit die erste „Kaufkraft“ garantierten. Eine
Empfehlung für jeden, der der Faszination
des Geldes kurzweilig und tiefsinnig zugleich
auf die Spur kommen will. Norbert Schwab
yer für Beteiligungsgerechtigkeit. Das Buch
eignet sich für jeden, der eine zwar sachkundige, aber nicht lehrbuchartige Aufbereitung
der Frage sucht, weshalb man heute noch
von Gerechtigkeit sprechen sollte. Zwei Aspekte stoßen aber unangenehm auf: zum einen der wegen der zahlreichen als „Bekenntnisse“ bezeichneten Einschübe des Autors
doch zunehmend selbstverliebte Stil. Und
obwohl sich der Verfasser um die Einbeziehung religiöser Traditionen bemüht, driftet
der Text zum anderen doch immer wieder
in platte Klischees über die Religion ab. Sind
Christentum und biblischer Glaube wirklich
nur eine „Schutzgemeinschaft der Zukurzgekommenen“, ist Paulus gar der „Chefideologe
des Christentums“?
Daniel Bogner
Christian Schüle
Was ist Gerechtigkeit heute?
Eine Abrechnung (Pattloch Verlag, München 2015, 360 S., 19,99 €)
96 Seiten | € 10,00 [D] | ISBN 978-3-466-37126-6
Auch als E-Book erhältlich
S
Tempelschatz Zentralbank
222 Glaubensleben
Nr. 41 / 2014 BÜCHER CIG
Die zwei Leben des Augustinus
V
on Geldgier motivierte Gewalt und
Terror, Zerstörung von Kulturgütern,
Kriege und Flüchtlingswellen – in solche
Zeitereignisse zeichnet Klaus Rosen die
Lebensgeschichte des Augustinus mit dem
Stift des Historikers hinein: nüchtern und
ohne jede legendarische Überhöhung, detailreich und wissenschaftlich gesichert.
Dabei kommt die Theologie nicht zu kurz.
Es entsteht das Porträt einer facettenreichen und auch widerspruchsvollen Persönlichkeit, eines Menschen, der in jungen
Jahren Gottesdienste aus sexuellem Interesse
aufsuchte, der seine Mutter arglistig täuschte
und einen Gönner brüskierte, der sich noch
während der Verlobungszeit eine neue Konkubine zulegte und seinen Sohn verleugnete.
Eines Menschen aber auch, der ein Genie der
Freundschaft war und immer neue Leute in
seinen Bann zog, um mit ihnen eine neue
evangeliumsgemäße Lebensform zu erproben, der trotz einer schwachen Gesundheit ein
schier unfassbares Arbeits­pensum absolvierte,
der jeder Bitte um Hilfe nachkam und keiner
Auseinandersetzung auswich, der sich ständig in die Politik einmischte und dabei klar
Stellung bezog, der die Bibel als Richtschnur
für Denken und Handeln nahm und bis zuletzt als Seelsorger für die ihm anvertrauten
Menschen da war. Die Attribute „Genie“ und
„Heiliger“ wachsen in einer spannungsreichen und konflikthaften Biografie irgendwie
zusammen. Augustinus selbst hätte wohl gesagt: aus Gnade.
Josef Epping
Klaus Rosen
Augustinus
Genie und Heiliger (Philipp von Zabern
Verlag, Darmstadt 2015, 256 S. mit 18 s/wAbb. und 2 Karten, 29,95 €)
Andächtig alltäglich
Z
u einem achtsamen und andächtigen
Umgang mit sich selbst und dem Leben
lädt Holger Zaborowski ein. Die zuerst in der
Rubrik „Liturgie im Leben“ des CIG erschienenen Beiträge umfassen die Vielfalt des Lebens. Der Autor erinnert daran, dass Glück
Gnade sei, dass Freude in die Weite führe.
Nur mit anderen zusammen könne man
feiern, jede Feier stehe in der Spannung zwischen Erfüllung und Sehnsucht. Zaborowski
blendet Leiden, Altern und Sterben nicht aus,
schafft es aber, diese in einen tieferen Sinn
einzubetten. Die Beziehung zwischen Gott
und Mensch wird reflektiert, wobei die Impulse mit Gedanken zur Liturgie enden. Die
Denkanstöße für den Alltag sind mehr als
nur ein Andachtsbuch. Martina Ahmann
Holger Zaborowski
Andächtig leben
Denkanstöße für den Alltag (Verlag Herder,
Freiburg 2015, 159 S., 16,99 €)
Die Erfolgsformel
des Papstes
Bonhoeffers Weg Sperrige Märtyrer
F
E
Charles Marsh
Dietrich Bonhoeffer
Der verklärte Fremde. Eine Biografie
(Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015,
592 S., 29,99 €)
Eberhard Schockenhoff
Entschiedenheit und Widerstand
Das Lebenszeugnis der Märtyrer (Verlag
Herder, Freiburg 2015, 239 S., 22,99 €)
ür den Theologen Charles Marsh war die
Sichtung der nachgelassenen Briefe, Fotos und Notizbücher Dietrich Bonhoeffers
(1906–1945) Anlass, die Biografie des Theologen und Widerstandskämpfers zu verfassen. Einfühlsam und gründlich schlägt er
den Bogen eines kurzen, ereignisreichen
Lebens: Schon mit 23 – der Zeit seiner Habilitation – prophezeit sich der privilegierte
Sohn aus bestem Haus nüchtern, dass er
nicht älter als 40 werden würde. Ist deshalb
sein Leben so erfüllt von Tätigkeit, Reisen,
Begegnungen, Gedanken und Texten?
Berührungsängste hatte Bonhoeffer nie.
So besuchte er in Harlem afroamerikanische Gottesdienste und schrieb begeistert:
„Ich habe in Negerkirchen das Evangelium
predigen hören.“ Wieder in Berlin zog er
vor seiner Ordinierung zum Pfarrer 1931
von der elterlichen Grunewalder Villa in
den Prenzlauer Berg, eine Gegend mit den
„schwierigsten sozialen und politischen
Verhältnissen“. Er, der oft ratlos war, was er
den Menschen „am Rand der Gesellschaft“
geben sollte, leitete dort eine Konfirman­
dengruppe der Zionskirche, insgesamt
Söhne arbeitsloser Fabrikarbeiter, und
gründete eine „Jugendstube“ für arbeitslose
Jugendliche, die 1933 von den Nazis aufgelöst wurde.
Daniela Maria Ziegler
s gibt sicher nicht viele Glaubensthemen, die so viel Abwehr, Irritation
und Sprachlosigkeit hervorrufen wie das
Martyrium. Für Gott sein Leben zu geben,
dem haftet in vielen Fällen etwas Sinnloses
und Zerstörerisches an. Gerade in unseren
Tagen, in denen so viele Menschen der Religion den Rücken kehren, sind die Lebensgeschichten voller Gewalt und Schmerz im
Namen des Glaubens schwer auszuhalten.
Eberhard Schockenhoff führt mit viel
psychologischem Feingefühl in die sperrige
Materie ein. Der Moraltheologe spürt den
Motiven der Blutzeugen nach und schlägt
den Bogen vom Urchristentum bis in die
heutige Zeit, in der der Märtyrerbegriff für
viele zum Synonym für fanatische muslimische Selbstmordattentäter geworden ist.
Einen längeren Abschnitt widmet er den
bekannten Märtyrern im Nazi-Widerstand
Bonhoeffer und Moltke sowie ihren Familien. Vor allem anhand der sehr persönlichen Briefe lässt sich nachvollziehen, welche
Schmerzen diese Gewissensentscheidung
hinterlässt. Mit dem Kapitel „Dank an die
Märtyrer“ bezieht Schockenhoff zusammenfassend und undogmatisch Stellung.
Wer das Thema nicht scheut und nach dem
tieferen Sinn des Unverständlichen sucht,
findet in „Entschiedenheit und Widerstand“
interessante Impulse.
Barbara Münzer
Den eigenen Weg zum
tieferen Glauben
Das Buch ist ein Lob auf die
spirituellen Möglichkeiten
unserer Gegenwart. Wie nie
zuvor stehen uns heute Inhalte
verschiedener Religionen und
Konfessionen zur Verfügung.
Auch immer mehr Christinnen
und Christen suchen nach mehr
als nur die eine Wahrheit. Ein
Buch, das religiöse Pluralität
wertschätzt und nicht länger als
»Patchwork-Religion« verteufelt.
Franziskus kommt an. Er wird
für seinen Stil geliebt, obwohl
er es nicht jedem recht machen
will und klare Entscheidungen
nicht scheut. Chris Lowney beschreibt, weshalb der Papst so
erfolgreich ist, und erklärt, wie
seine Spiritualität auch für uns
hilfreich sein kann.
ca. 224 Seiten | Gebunden
mit Schutzumschlag
ca. € 16,99 / € [A] 17,50
ISBN 978-3-451-32809-1
ca. 192 Seiten | Gebunden
ca. € 19,99 / € [A] 20,60
ISBN 978-3-451-34215-8
Neu in allen Buchhandlungen
oder unter www.herder.de
Neu in allen Buchhandlungen
oder unter www.herder.de
CIG BÜCHER Nr. 41 / 2014
Hirnforschung / Bibel 223
Existiert Gott nur durch das Gehirn?
D
4
ie Hirnforschung gehört zu den angesagtesten Wissenschaftszweigen.
Nicht nur, dass viele von ihr die Erklärung
der letzten offenen Fragen über den Menschen und die Welt erwarten, sie stellt auch
die Rede und die Lehre von Gott radikal
infrage. Immer genauere Forschungsergebnisse scheinen zu belegen, dass der in allen
Kulturen feststellbare Gottesglaube lediglich
eine Art Linse ist, durch die wir die Wirklichkeit gedeutet wahrnehmen, dass es sich
bei Gott um „ein von unserem Gehirn erzeugtes subjektives Phänomen“ handelt und
dass die Hoffnung auf ein Leben nach dem
Tod der Menschheit im Evolutionsprozess
Vorteile verschafft, da diese Perspektive den
Willen zum Überleben und die Bereitschaft,
sich für den anderen einzusetzen, stärkt.
Von solchen Auffassungen, die einen Abschied vom Glauben an Gott hin zu einem
Glauben an den Naturalismus begründen
wollen, geht der Jesuit, Psychotherapeut,
Philosoph und Theologe Hans Goller aus,
um zunächst einen Überblick über die Forschung der Neurotheologie zu geben. Theologen, Philosophen und Psychologen wollen zwar mit Hilfe neurowissenschaftlicher
Methoden der Religiosität des Menschen
auf die Spur kommen, tun sich jedoch nach
wie vor mit wirklichen Erklärungen schwer.
Denn die Versuche mit nur wenigen Personen liefern lediglich auf den Einzelnen und
sein Gehirn zugeschnittene Ergebnisse. Es
gibt zudem sich schlicht widersprechende
Befunde: Während einige Forscher schließen, bei religiösen Erfahrungen handle es
sich eher um eine Angelegenheit kognitiver, also verstandesmäßiger Bewertungen,
verorten andere die Religiosität verstärkt
in mit Emotionen befassten Bereichen des
Gehirns. „Von eindeutigen und klaren psychophysischen Korrelationen kann bisher
noch keine Rede sein“, so Goller.
Das wissenschaftstheoretische Grundproblem liegt in der Frage, wie das Verhältnis des menschlichen Bewusstseins
zu den Milliarden Nervenzellen mit ihren
zahllosen Verbindungen bestimmt wird.
Wird das Bewusstsein auf ein Produkt der
Hirnfunktionen verkürzt, wie dies unter
Neurowissenschaftlern immer wieder geschieht, ist der Mensch sein Gehirn, und die
ihn umgebende Welt sowie Gott existieren
lediglich als neuronale Prozesse. Wird das
Gehirn dagegen als das Organ beschrieben,
das unsere Beziehungen mit der dinglichen
Welt, den Mitmenschen und uns selbst vermittelt, umfasst das Bewusstsein den ganzen
Menschen. Das Gehirn lässt sich dann mit
einem Musikinstrument vergleichen, das
nicht selbst die Musik hervorbringt, es aber
dem Musiker ermöglicht, zu musizieren.
Existiert das Bewusstsein aber auch unabhängig vom sterblichen Körper, also über
den Tod hinaus? Berichte sogenannter Nahtoderfahrungen und ihre wissenschaftliche
Untersuchung stellen Goller zufolge die
These infrage, das Gehirn produziere das Bewusstsein und der Hirntod sei sein definitives Ende. Mit den bisherigen Forschungsergebnissen lässt sich jedoch nicht belegen, ob
es sich bei dem häufig beschriebenen Phänomen, dass der klinisch tote Patient sich
von außen betrachten und die Wiederbelebungsbemühungen beobachten konnte, um
die Reaktion des sterbenden Gehirns handelt
oder ob diese Erlebnisse auch unabhängig
von den Hirnfunktionen gemacht wurden.
Dies würde die Vermutung eines außerhalb
des Körpers und des Gehirns weiterexistierenden Bewusstseins, einer Seele zumindest
stärken. Goller gewährt spannende Einblicke
in den Forschungsstand der Neurotheologie
und stellt die sich widersprechenden Positionen dar. Dabei wird immer auch deutlich,
dass er eine Verkürzung des menschlichen
Bewusstseins auf rein materielle Prozesse
ablehnt.
Stephan Neumann
Hans Goller
Wohnt Gott im Gehirn?
Warum die Neurowissenschaften die
Religion nicht erklären (Butzon & Bercker,
Kevelaer 2015, 296 S., 24,95 €)
Theologie der Heiligen Schriften
D
ie Studie über „Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments“ ist nur auf den ersten Blick etwas
für bibelwissenschaftliche Feinschmecker.
Tatsächlich handelt es sich um einen programmatischen Wurf, der eine Übersicht
verschafft über die Entwicklung neutestamentlicher Fragehorizonte. Gerade so wird
das Buch von Paul-Gerhard Klumbies zu
einem gelungenen Plädoyer für eine betont theologische Interpretation biblischer
Texte. Im Zentrum der Untersuchung steht
die „Theologie des Neuen Testaments“ als
ein im Bereich der Wissenschaft etabliertes
Genre, dessen Hauptaufgabe in der Präsentation der Forschungsergebnisse liegt. Im
Zuge der Aufklärung hatte sie sich zu einer
stark historisch und philologisch ausgerichteten Literaturgattung entwickelt.
Klumbies fragt nach dem Eigenen einer
„Theologie des Neuen Testaments“ und zeigt
auf, worin ihr Auftrag über alle historischphilologischen Einsichten hinaus besteht
und wie ihr Beitrag zur Theologie als Ganzes zu bestimmen ist. Ohne die Notwendigkeit exakter Analyse infrage zu stellen, wird
der Anspruch einer genuin theologischen
Deutung begründet, weil nur so dem den
Heiligen Schriften innewohnenden Selbstverständnis, Wort des lebendigen Gottes im
Wort von Menschen zu sein, Rechnung getragen werden kann. Entscheidend ist, mehr
Theologie zu wagen.
Robert Vorholt
Paul-Gerhard Klumbies
Herkunft und Horizont der Theologie
des Neuen Testaments
(Mohr Siebeck, Tübingen 2015, 187 S., 29 €)
Nächstenliebe, biblisch
N
ächstenliebe ist keine rein christliche
Angelegenheit. Die barmherzige Zuwendung zum Anderen, das selbstlose Lindern von Not, die Hilfe für Leib und Seele sowie der Aufbau einer gerechten Gesellschaft
finden sich als Ziel und Beweggrund in allen
Kulturen, Religionen, auch in der Politik.
Was aber meint Nächstenliebe als Herzstück
jesuanischen Denkens und Lebens?
Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding analysiert die biblisch-jüdischchristliche Grundlage anhand der Quellen.
Entstanden ist aber kein trockener Traktat,
sondern ein leidenschaftlich vorgetragenes
Plädoyer für den Kern jesuanischer Ethik.
In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Bedeutung der christlichen Botschaft schwindet, will Söding im besten Sinn aufklären.
Er geht von der jüdischen Grundlage der
Nächstenliebe in der Tora, in den fünf Büchern Mose, aus (Lev 19,18) und schlägt von
dort den Bogen zum Neuen Testament. Das
Gebot der Nächstenliebe ist biblisch eng
an das Gebot der Gottesliebe gekoppelt,
was einen gewissen Unterschied setzt zur
Nächstenliebe allgemein. Ohne Gottesliebe
keine Nächstenliebe und schon gar keine
Feindesliebe. Der barmherzige Samariter in
Jesu Gleichnis veranschaulicht das. In frühchristlicher Zeit hat das christliche Engagement für die Armen gerade auf Nichtchristen überzeugend gewirkt, wie besonders die
neutestamentliche Briefliteratur zeigt.
Der Verfasser stellt zudem die philosophische und psychologische Kritik an der
Nächstenliebe dar. Er fragt unter anderem:
Wird das Böse nicht verharmlost durch die
Annahme, die Nächstenliebe nehme alles
hin? Söding widerspricht mit Paulus: Die
Nächstenliebe stellt sich dem Bösen: „um es
zu verwandeln“.
Jürgen Springer
Thomas Söding
Nächstenliebe
Gottes Gebot als Verheißung und Anspruch
(Herder, Freiburg 2015, 423 S., 26,99 €)
Neuerscheinungen zu aktuellen Themen der Theologie
OttO Weiss
Kulturkatholizismus
Katholiken auf dem Weg in die
deutsche Kultur (1900–1933)
Mit einem Vorwort von Hans Maier
anDreas WOllbOlD
Pastoral mit
wiederverheirateten
Geschiedenen – gordischer
Otto Weiß zeichnet den Weg der
katholischen intellektuellen in die
deutsche Kultur nach und stellt
die Protagonisten und Wortführer
vor. Das faszinierende Porträt einer
spannenden epoche!
Walter WinK
auGust laumer
Eine Theologie der Gewaltfreiheit
Eine Einführung in ihre Grundlagen
ein preisgekröntes Werk!
Verwandlung der Mächte Pastoraltheologie
Zur aktuellen Debatte – neue
lösungsvorschläge.
»Das Buch ermutigt, scheinbar alternativlose Systeme nicht als gottgegeben
hinzunehmen.«Die KirChe
Was ist Pastoraltheologie und was
sind ihre Grundbegriffe? theorie
und pastorale Praxis – für studierende und in der Pastoral tätige.
272 S., kart., ISBN 978-3-7917-2661-8
e (D) 22,– / auch als eBook
176 S., kart., ISBN 978-3-7917-2591-8
e(D) 19,95
232 S., kart., ISBN 978-3-7917-2662-5
e (D) 19,95 / auch als eBook
Knoten oder ungeahnte Möglichkeiten?
»Das Werk genügt hohen wissenschaftlichen Ansprüchen
und bietet zugleich (…) eine spannende Lektüre.«
Christ in Der GeGenWart
312 S., kart., ISBN 978-3-7917-2615-1, e(D) 29,95
auch als eBook
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224 Kirche / Leben
Nr. 41 / 2014 BÜCHER CIG
Das Christusjahr Laie oder Volk?
Zwei Mönche
Immer besser?
D
as Kirchenjahr ist viel mehr als Brauchtum. Es erzählt und vergegenwärtigt
die Christusgeschichte. Am Anfang und am
Ende steht Jesus Christus. Der evangelische
Theologe Gerhard Sauter zeigt, wie in der
frühen Kirche die Christusfeste von ihren
historischen Gedächtnisstätten in Israel gelöst wurden, so dass sie von der Kirche an
jedem Ort gefeiert werden konnten. Nach
wie vor hat jedes Fest einen christologischen
Sinnkern, den der Autor herausarbeitet.
Sauter schreibt besonders für Liturgen,
Prediger und Personen, die den Glauben
in Katechese und Unterricht weitergeben.
In der Verkündigung soll der eigentliche
Gehalt der Feste weder zerredet noch verschwiegen werden. Biblische Predigten, Homilien dürfen sich nicht in „Umsetzungen
der Festtagstexte in ethische Strategien oder
Maximen der Lebensführung“ erschöpfen.
Die Feste sind auch nicht in Wohlfühlfeiern
umzuwidmen.
In den Feiern werden die Menschen in
das Handeln Gottes an Jesus mit hineingenommen. Insofern ist das Kirchenjahr eine
„Gedächtnisstütze der Kirche“, die hilft,
nicht zu vergessen, was wir erhoffen dürfen: ein sinnvolles Leben auch im Leid – und
dass der Tod nicht das Ende von allem ist. So
ist das Kirchenjahr eine „Form der öffentlichen Theologie“. Heike Helmchen-Menke
W
D
er Glaube kommt vom Hören – auf
Menschen, die etwas bezeugen können. Das vorliegende Buch gibt Gelegenheit,
hineinzuhören in ein Gespräch der Benediktinermönche Anselm Grün und David
Steindl-Rast.
Von der Frage nach Gott und dem
Selbstverständnis des Menschen über den
Umgang der Religionen mit dem Leid bis
hin zu zeitgemäßen Versprachlichungen
von Trinität und Inkarnation reicht der
Spannungsbogen. Es empfiehlt sich, jedes
der 22 Kapitel für sich zu lesen. Man darf
kein Streitgespräch erwarten. Im Wesentlichen stimmen der Mönch aus Münsterschwarzach und der in Wien gebürtige,
in den USA lebende Einsiedler überein,
wenngleich an einigen Passagen deutlich
wird, dass Grün immer wieder auf die
Psychologie C. G. Jungs zurückkommt,
während Steindl-Rast stark geprägt ist von
seinem jahrzehntelangen Engagement im
interreligiösen Dialog, besonders mit dem
Buddhismus.
Als Leser profitiert man von der reichen
geistlichen Erfahrung der Gesprächspartner,
die ihren Dialog immer auf einem Niveau
halten, das weder seicht oder anbiedernd ist
noch intellektuell unnötig kompliziert oder
anstrengend daherkommt. Jakob Paula
ie Hoffnung auf das „Neue Jerusalem“
ist wie ein heimlicher Code in die
abendländische Geistesgeschichte eingegangen. Sie prägt, wie der Ideen-Historiker
Bedrich Loewenstein eindrucksvoll darlegt,
die Erwartungen vieler, die sich längst vom
Glauben an ein eschatologisches Gottesreich
verabschiedet haben. „Wie sich im Mittelalter die konträren Ideen des Imperium
Romanum und des christlichen Heilsplans
zusammenfanden zum provisorischen katechon (im Sinn von ‚Verzögern‘) des Heiligen
Reiches, so in der Neuzeit die herkömmliche Erwartungshaltung mit dem Glauben
an die weltliche Erfüllung der Zeit.“
Dass sich alles stetig zum Höheren und
Besseren entwickelt, erscheine den meisten
Europäern als unbezweifelbare Tatsache.
Angefangen in der Antike (Prometheus),
geht es dem Autor darum aufzuzeigen, dass
Fortschritts-„Glaube“ stets eine Schlagseite
aufweist: sich ideologisch zu immunisieren
und humane Entfaltung zu verhindern. Dagegen plädiert der in Prag geborene Wissenschaftler dafür, sich nicht dem Prozess eines
„total engineering“ zu überlassen, sondern
den historischen Boden zu untersuchen, auf
dem wir stehen, um „aus der Größe und den
Abgründen des europäischen Abenteuers zu
lernen.“ Thomas Brose
Gerhard Sauter
Schrittfolgen der Hoffnung
Theologie des Kirchenjahres (Gütersloher
Verlagshaus, Gütersloh 2015, 272 S., 29,99 €)
Peter Neuner
Abschied von der Ständekirche
Plädoyer für eine Theologie des Gottesvolkes (Herder, Freiburg 2015, 288 S., 24,99 €)
Anselm Grün, David Steindl-Rast
Das glauben wir
Spiritualität für unsere Zeit. Hg. von Johannes Kaup (Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2015, 190 S., 19,99 €)
Bedrich Loewenstein
Der Fortschrittsglaube
Europäisches Geschichtsdenken zwischen
Utopie und Ideologie (Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt, 520 S., 49,95 €)
enn sich auf die Frage ‚Wer ist ein
Laie?‘ oder ‚Was ist ein Laie?‘ offensichtlich keine befriedigende Antwort finden
lässt, kann das seinen Grund darin haben,
dass die Frage falsch gestellt ist. Auf eine
falsch gestellte Frage lässt sich nun einmal
keine befriedigende Antwort geben.“ So beurteilt Peter Neuner das übliche Ringen um
ein angemessenes Verständnis des „Laien“,
also des Nicht-Ordinierten, in der Kirche.
Stattdessen plädiert er dafür, die Herkunft
des Begriffs „Laie“, von griechisch „laós“ –
das heißt zum Volk gehörig –, wieder ernstzunehmen. Denn dort, wo im Neuen Testament „laós“ Christen meint, markiere dies
nicht eine Differenzierung innerhalb des
Gottesvolkes, sondern bezeichne die „Glaubenden und Getauften im Gegensatz zu den
Nicht-Getauften und Nicht-Glaubenden“.
Neuner schließt sich denen an, die sich
für einen Verzicht auf die Rede vom Laien
aussprechen zugunsten der Besinnung darauf, dass alle Getauften „Glieder des Volkes
Gottes, also ‚Laien‘“ sind. Dieser „wahren
Gleichheit“ innerhalb des Volkes Gottes
widerspricht auch nicht, „dass es in der Kirche verschiedene Ämter und Dienste geben
muss“, ohne die „das Volk nicht das Volk
Gottes, die Kirche wäre“. Das Buch führt
aus, was immer noch nicht genug erkannt
und verwirklicht ist.
Matthias Mühl
D
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