HINTERGRUND 3 FREIT A G, 11. M Ä RZ 2016 Sie liefern 007 und dem Heer die Waffen Die heimische Rüstungsindustrie ist klein, viel kritisiert und höchst erfolgreich. Ein Besuch bei Steyr-Mannlicher, der Waffenschmiede für die Polizei und das Bundesheer. ALEXANDER PURGER Das Steyr-Scharfschützengewehr HS.50 wird u. a. vom Jagdkommando verwendet. BILD: SN/STEYR MANNLICHER ganschnigg, einer der Eigentümer von Steyr-Mannlicher, lachend. Über die Werbung freue man sich aber natürlich. Obwohl: Werbung braucht seine Firma eigentlich nicht. Bestimmte Steyr-Gewehre genießen in interessierten Kreisen so etwas wie Kultstatus. Für Steyr kann das zum Problem werden. Vor allem dann, wenn Dschihadisten in ihren Fotoblogs mit dem Steyr-Scharfschützengewehr HS.50 posieren. Politische Aufregung im In- und Ausland ist regelmäßig die Folge, von illegalen Waffenexporten in Kriegsgebiete ist dann die Rede. „Dabei konnte noch niemand den Beweis erbringen, dass es sich wirklich um unsere Gewehre handelt“, betont Steyr-Geschäftsführer Michael Engesser. Das Scharfschützengewehr, das Panzerungen durchschlägt und auf zwei Kilometer trifft, werde von vielen Firmen nachgebaut, darunter auch in Deutschland, wo es interessanterweise nicht als Kriegsmaterial gilt. Man kann es dort sogar bei Online- händlern kaufen. In Österreich gilt das 36 Kilogramm schwere und inklusive Zieloptik 12.000 Euro teure Über-Gewehr als Kriegsmaterial und unterliegt somit strengen Exportbeschränkungen. Kriegsmaterial darf nur an Länder verkauft werden, die nicht Krieg führen und die Menschenrechte BILD: SN/PUR WIEN. Am Anfang war Königgrätz. 1866 musste Österreich in der Entscheidungsschlacht um die Vorherrschaft in Deutschland gegen Preußen eine historische Niederlage einstecken. Der Grund: Die Preußen waren mit ihren neuen Hinterladergewehren waffentechnisch weit überlegen. Der revolutionäre Waffentyp war zunächst Österreich angeboten worden, doch Wien hatte aufgrund eines Sparkurses beim Heer abgelehnt. Berlin griff zu. Nach dem Debakel von Königgrätz beschloss Österreich aufzuholen. Josef Werndl konstruierte in Steyr in Oberösterreich ein eigenes, bahnbrechendes Hinterladergewehr mit sogenanntem Tabernakelverschluss und rüstete damit die kaiserliche Armee aus. Der Aufstieg von Steyr zur weltberühmten Waffenschmiede begann. Von Irland bis Kolumbien, von Rumänien bis Mexiko – die Steyr-Gewehre wurden in die ganze Welt exportiert. Noch heute werden in Kleinraming bei Steyr Gewehre und Pistolen hergestellt. Nach zwischenzeitlicher Verstaatlichung ist das Unternehmen nun wieder in privaten Händen. Die Waffen gehen zu 95 Prozent in den Export. Österreichische Kunden sind das Bundesheer und die Spezialeinsatzkräfte der Exekutive. Sie sind in illustrer Gesellschaft: Beim jüngsten James-Bond-Film „Spectre“ bekommt 007 von Mister Q, dem Herrn über die jeweils neueste Waffentechnik, ein futuristisch aussehendes Gewehr. Es ist ein SteyrSturmgewehr AUG A3. „Wir haben für diese Produktplatzierung nichts gezahlt“, versichert Gerhard Unter- „Der Staat braucht Machtmittel.“ G. Unterganschnigg, Steyr achten. Zudem muss der Kunde garantieren, dass er die Waffen nicht weiterverkauft. Dieser bürokratisch aufwendige Prozess soll verhindern, dass österreichische Waffen in falsche Hände – etwa jene des IS – gelangen. „Wir sind das am besten kontrollierte Unternehmen Österreichs“, sagt Unterganschnigg. Vier Ressorts – Innen-, Außen-, Wirtschafts- und Verteidigungsministerium – reden bei den Exporten mit, zusätzlich kontrollieren noch der Zoll und die Bezirkshauptmannschaft. Eine Außenstelle des staatlichen Beschussamtes befindet sich direkt auf dem Firmengelände. Zu etwa einem Viertel produzieren die 180 Mitarbeiter von SteyrMannlicher Jagdgewehre, zu drei Viertel Militärwaffen. Aktuelle Exportkunden sind etwa Australien, der Oman und Uruguay. Insgesamt verlassen pro Tag 100 bis 120 Waffen das Werk in Kleinraming. In Österreich verläuft das Geschäft mit Militärwaffen schleppend bis gar nicht. „Das Bundesheer investiert ja nichts“, sagt Unterganschnigg. Das Jagdkommando sei zwar mit den modernsten Waffen, darunter auch dem HS.50, ausgerüstet, die Standardwaffe sei aber nach wie vor das Sturmgewehr StG 77. Bei seiner Einführung war diese Waffe eine Sensation: das erste Gewehr aus Kunststoff. Mittlerweile haben die meisten Armeen, die es damals kauften, auf Nachfol- Daten & Fakten 100 heimische Firmen auf dem internationalen Markt der „Sicherheitswirtschaft“ Milliardengeschäfte Österreichs Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft erzielte zuletzt einen Umsatz von bis zu 2,5 Mrd. Euro im Jahr. Der Exportanteil beträgt dabei stolze 94 Prozent. Ein aktuell bedeutender Umsatzbringer ist die MAN Military Vehicles Gmbh, die derzeit im Rahmen eines Großauftrags 2500 militärische Nutzfahrzeuge nach Australien liefert. Unter den rund 100 österreichischen Unternehmen in diesem Sektor sind aber nur mehr wenige klassische Rüstungsproduzenten wie SteyrMannlicher, Hirtenberger oder Glock. Der 2003 vom US-Konzern General Dynamics übernommene Panzerbauer Steyr hat die Produktion in Wien-Simmering 2014 eingestellt und dient derzeit primär als Entwicklungs- und Wartungscenter. Hochtechnologiebranche Klassische Militärgüter machen nur einen begrenzten Teil des Milliarden-Exportvolumens der Sicherheitswirtschaft aus, wie Reinhard Marak, Chef der ARGE Sicherheit und Wirtschaft der Wirtschaftskammer, erklärt. Die Branche ist hochtechnologie- und forschungslastig. Eingerechnet werden viele DualUse-Güter (für zivile, aber auch militärische Zwecke einsetzbar): etwa Drohnen oder „open source technology“, mit der man aus dem Internet Informationen herausfiltern könne. Gerade im Bereich Kommunikation reüssieren etwa mit dem Wiener Hightech-Unternehmen Frequentis oder dem Satelliten- kommunikationsspezialisten Scotty in der Sicherheitswirtschaft heimische Firmen international. Stabilisierender Faktor Marak betont, dass die Verteidigungswirtschaft eine strategisch wichtige Wirtschaftsbranche sei, die durch die Produktion von Komponenten oder Teilkomponenten im eigenen Land auch zur Sicherheit Österreichs beitrage. Nur als Käufer aufzutreten und voll aufs Ausland angewiesen zu sein sei sicherheits- und verteidigungspolitisch problematisch. Gegenseitige Abhängigkeit sei im Sicherheitsbereich ein stabilisierender Faktor. Skandalträchtige Deals Affären und Skandale um heimische Waffengeschäfte gab es im- mer wieder. Nachdem 1976 die Lieferung von Gewehren und 400.000 Schuss Munition aus Bundesheerbeständen ins kriegsführende Syrien aufflog, musste Heeresminister Lütgendorf gehen. In den 1980ern landeten nach Jordanien gelieferte Kanonen der voest-Tochter Noricum im Irak. Noricum-Kanonen, die offiziell nach Libyen gegangen waren, tauchten im Iran auf. Für voestManager und Innenminister Karl Blecha gab es in der Noricum-Affäre Schuldsprüche. Erst im Februar wurde in Tschechien ein Ex-Berater des einstigen Regierungschefs Mirek Topolánek verurteilt, weil er österreichischen Managern vortäuschte, imstande zu sein, die Entscheidung der Regierung bei der Bestellung von Pandur-Panzerfahrzeugen zu beeinflussen. schli gemodelle umgerüstet. „Beim Bundesheer rennen sie immer noch mit den 40 Jahre alten Waffen herum“, sagt der Steyr-Miteigentümer. Wer das Budget des Bundesheeres kennt, weiß: Einen Ersatz der rund 100.000 StG 77 wird sich das Heer noch lange Zeit nicht leisten können. Obwohl Steyr mit dem STM 556 gerade ein ganz neues Gewehr entwickelt – die erste Waffe, die ohne Ölung funktioniert. Auch bei den Jagdwaffen setzt das Unternehmen auf Innovation. Die neueste Entwicklung ist ein Gewehr mit eingebauter Elektronik. Fällt das Gewehr um oder nimmt einen ungewöhnlichen Winkel ein, sichert sich die Waffe von selbst. Das soll Jagdunfälle verhindern. Bleibt die Frage, warum man so etwas Unsympathisches wie Waffen herstellt. „Ich bin ein starker Verfechter des staatlichen Gewaltmonopols“, antwortet Unterganschnigg. „Der Staat sorgt für die Aufrechterhaltung der Sicherheit, damit es nicht jeder Einzelne tun muss. Für diese Aufgabe muss man dem Staat die notwendigen Machtmittel in die Hand geben – eben auch Waffen.“ Um eine eigenständige, vom Ausland unabhängige Verteidigung sicherstellen zu können, würden andere europäische Staaten ihre Rüstungsindustrie massiv fördern. In Österreich sei das nicht der Fall. Dass die Österreicher seit dem Ausbruch der Asylkrise privat massiv aufrüsten, merkt auch SteyrMannlicher an steigenden Absatzzahlen. Grund zur Freude sei das aber nicht, sagt der Miteigentümer. „Es ist traurig, weil das zeigt doch nur, dass das staatliche Gewaltmonopol nicht mehr funktioniert.“ Unterganschnigg warnt sogar davor, sich zur Abwehr von Einbrechern eine Pistole aufs Nachtkastel zu legen. „Nicht umsonst stehen die Einsatzkräfte regelmäßig auf dem Schießstand“, sagt er. „Wenn Ungeübte in einer extremen Stresssituation zur Waffe greifen, bringt das nicht mehr Sicherheit, sondern das Gegenteil.“
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